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Title Page
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
Nachtrag 1
Nachtrag 2
Nachtrag 3
Nachtrag 4
Nachtrag 5
Nachtrag 6
Yvette Kolb
Jürgen von Tomëi
Die Büglerin des Unrechts
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Yvette Kolb



Als Primaballerina feierte Yvette Kolb, noch unter der Ballettlegende Waclaw Orlikowsky, grosse Erfolge. Eine Fussoperation beendete ihre tänzerische Karriere. Nach der Schauspielschule in Berlin fand sie als vielbeschäftigte Schauspielerin in Deutschland, Österreich und der Schweiz schon bald den Weg auf die Bühne zurück.

Ephraim Kishon, den sie als Vorleserin seiner Texte jahrelang auf seinen zahlreichen Tourneen begleitete, entdeckte ihr Talent als Autorin mit Witz und spitzer Feder. Er war es auch, der sie ermunterte, mit ihren Gedichten und Geschichten in Versform an die Öffentlichkeit zu gelangen. Zu ihren ersten drei Gedichtbänden schrieb Ephraim Kishon jeweils das Vorwort.

«Die Büglerin des Unrechts» ist Yvette Kolbs Debutroman.

Nachtrag 1

Eberhard Kuschel hatte seine Gattin Karolina Kuschel um achtzehn Jahre überlebt. Er hauchte sein Leben tatsächlich in seinem zweiundachtzigsten Lebensjahr aus. Es kam also genau so, wie er es geplant hatte.

In der ersten Zeit nach Karolinas Freitod wurde Eberhard von einem etwas schlechten Gewissen geplagt. Immerhin hatte er die Frau, mit der er zweiunddreissig Jahre seines Lebens verbracht hatte, in den Tod getrieben wegen einer Geliebten, die gar nicht existierte. Andererseits hatte er diese Geliebte ja nicht ohne Grund erfunden. Auslöser für das ganze Drama war nach wie vor der Rheinländische Sauerbraten, den er ständig hätte loben sollen. Demzufolge trug eigentlich einzig und allein die Köchin des Sauerbratens die Schuld an der Tragödie.

Eberhards schlechtes Gewissen verflüchtigte sich relativ rasch und wurde von einem grenzenlosen Erstaunen abgelöst. Erstens erstaunte es ihn, dass Karolinas Liebe zu ihm immer noch so gross war, dass sie es besser fand, in den Tod zu gehen, als ihn an eine andere Frau zu verlieren. Noch mehr aber erstaunte es ihn, dass Karolina einen dermassen komplizierten Weg in den Tod gewählt hatte. Sie hätte es doch wirklich einfacher haben können. Zum Beispiel mit Schlaftabletten. Oder mit einem Haartrockner, den sie in die Badewanne geschmissen hätte. Auch hätte sie von einer Brücke springen können oder sich erhängen. Aber nein! Seine Gemahlin schleppte einen Gartenzwerg auf ein Dach, knotete ihn an einer Türe fest und liess sich von ihm erschlagen. Darauf musste erst einmal einer kommen! Dass der Gartenzwerg bei dem komplizierten Manöver zu Bruch ging, konnte Eberhard seiner Gattin allerdings nie ganz verzeihen.

Karolinas Witwer staunte auch über die Grube, die seine Angetraute gegraben hatte, bevor sie sich von dem Zwerg zerschmettern liess. Was bezweckte sie damit? Hatte sie gehofft, direkt hineinzufallen oder was? Aber dann hätte sie vermutlich den Boden nicht mit einem Gitter abgedeckt. Bestimmt hätte sie es vorgezogen, weich zu fallen und das Gitter hätte schliesslich das Gegenteil bewirkt. Eberhard fragte sich, ob sie vielleicht gewünscht hatte, dass ihr Mann sie in der Grube begraben würde. Wenn ihn nicht alles täuschte, konnte man von der Krollhausener Gemeinde tatsächlich die Erlaubnis anfordern, die Urne mit der Asche eines Verstorbenen nach Hause zu nehmen und sie irgendwo hinzustellen, also auch in eine Grube im eigenen Garten. Doch Eberhard musste sich eingestehen, dass er es als eher unangenehm empfunden hätte, Karolinas Asche direkt unter seinem Schlafzimmerfenster zu wissen.

Der komische, gepiercte und picklige Pitt, welcher vielleicht einige der vielen ungeklärten Fragen hätte beantworten können, blieb leider verschollen. Nachdem er sich mit Eberhards fünftausend Franken abgesetzt hatte, nahm er auch niemals wieder Kontakt zu Salome Paoli auf. Deswegen erfuhren weder Salome noch Eberhard jemals, was zwischen ihm und Karolina vorgefallen war, falls der junge Schnösel Karolina überhaupt aufgesucht hatte!

Die merkwürdigen Leute aus dem Häkelverein, welche alle an Karolinas Begräbnis versammelt waren, halfen Eberhard auch nicht weiter. Sie kondolierten ihm zwar, aber sonst wurde er von dem blöden Pack geschnitten. Sie redeten kein Wort mit ihm. Genauso verhielt es sich mit der gesamten Bevölkerung Krollhausens. Der einstige Käse-König der Stadt wurde nach Karolinas Freitod geächtet. Natürlich gab man ihm die Schuld an ihrem Tod, doch Eberhard war das eigentlich egal. Er war sogar ein bisschen stolz darauf. Immerhin hatte eine Frau aus Liebe zu ihm Selbstmord begangen! In ganz Krollhausen gab es garantiert keinen anderen Kerl, der das von sich behaupten konnte!

Nachdem Eberhard Kuschel nun also frei war, überlegte er, ob er vielleicht Salome um ihre Hand bitten sollte. Schliesslich waren sie Verbündete und beide in den bizarren Selbstmord Karolinas involviert. Doch mit einer Frau war es natürlich wie mit den Bettsocken: der Erwerb einer solchen war eine grössere Investition und musste reiflich überlegt werden. Als Eberhard sich nach jahrelangem Überlegen tatsächlich entschloss, Salome zu fragen, ob sie Lust hätte, seine Frau zu werden, war sie längst an Mister Adonis, den Inhaber des Spezialgeschäfts für Herrenunterwäsche, vergeben. Eberhard war sehr erleichtert, denn eine Frau, selbst wenn es einem gelang, sie zur Sparsamkeit zu erziehen, kam immer noch teurer zu stehen als gar keine Frau.

Die Grube hatte Eberhard nie mehr zugeschüttet. Sein Interesse an dem Garten hielt sich schon seit jeher in Grenzen, und als Karolina seinen geliebten Zwerg mit in den Tod nahm, wusste er sowieso nicht mehr, was er da draussen sollte.

Als Eberhard Kuschel in seinem zweiundachtzigsten Lebensjahr fühlte, dass es mit ihm zu Ende ging, räumte er alle seine Konten leer.

Es war ein riesiges Vermögen, welches sich, besonders in den Jahren, wo es ihm vergönnt war, alleine zu leben, angehäuft hatte. Er packte das viele, viele Geld in diverse Koffer, legte diese in die Grube in seinem Garten und schüttete sie endlich zu.

Leider war Eberhard kein Pharao. Niemand wäre bereit gewesen, ihm sein Vermögen ins Jenseits mitzugeben. Doch da er es selbst nicht haben konnte, sollte es auch kein anderer kriegen.

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Nachtrag 2

Als Salome kapierte, dass Pickel Pitt sie nicht nur verlassen, sondern sie auch um ihre fünftausend Franken gebracht hatte, bekam sie einen Wutanfall, wie sie bis anhin noch keinen hatte. In ihr tobte ein Vulkan. Zum Glück war sie fast vollständig eingegipst. Der Vulkan wäre sonst aus ihr herausgebrochen und hätte vermutlich ganz Krollhausen in Brand gesetzt. Dass die Käse-Königin sich nach dem Gespräch mit Pitt umgebracht hatte, wunderte Salome kein bisschen. Bestimmt hatte dieses Wüstenkamel, diese picklige, dusslige Oberkuh, dieser gepiercte Hornochse, alles falsch gemacht und mit seinen vertrottelten Idiotien die Käse-Kuschel in den Tod getrieben!

Salomes Wut dauerte solange, bis am Tag nach der Katastrophe die Türe ihres Krankenzimmers geöffnet wurde. Zuerst nahm Salome nichts weiter wahr als einen riesigen Strauss gelber Rosen. Der Mann, der sich allmählich hinter den Rosen hervorschob, war das Wunderbarste, was Salome jemals zu Gesicht bekam. Salome wusste in der gleichen Sekunde, dass dieser Mann die absolut grösste Liebe ihres Lebens sein würde. Auf diesen Mann hatte sie schon immer gewartet. Das war der Mann, mit dem sie alt werden wollte. Es stellte sich ganz schnell heraus, dass der Rosenkavalier, mit dem Salome Paoli alt werden wollte, der Mann war, der sie über den Haufen gefahren hatte. Er war nur gekommen, um sich nach dem Befinden seines Opfers zu erkundigen und um sich bei ihm zu entschuldigen, obwohl ihn genaugenommen gar keine Schuld traf. Das Altwerden mit Salome stellte den Fahrer des silbernen Saabs nun allerdings vor ein grösseres Problem. Er hatte nämlich bereits eine Frau, mit der er alt werden musste.

Salome wartete eineinhalb Jahre lang darauf, dass der Mann, der ihre absolut grösste Liebe war, sich scheiden lassen würde. Als sich jedoch auch nach eineinhalb Jahren jedes seiner diesbezüglichen Versprechen in Luft aufgelöst hatte, verliess sie den Kerl, mit dem sie alt werden wollte. Sie nahm endlich den Antrag ihres Chefs, Mister Adonis, an. Mister Adonis war zwar wirklich nicht die absolut grösste Liebe ihres Lebens, aber da sie mit diesen immer nur Pech gehabt hatte, entschied sie sich für eine weniger grosse Liebe, dafür aber für eine gesicherte Zukunft. Mit Mister Adonis konnte sie allerdings nicht – selbst wenn sie gewollt hätte – alt werden. Mister Adonis war nämlich bereits alt und Salome musste nicht allzu lange auf sein Ableben warten. Da sie eine versierte Fachfrau in Sachen Herrenunterwäsche war, übernahm sie natürlich das «Adonis» und führte es sehr erfolgreich weiter. Sie wurde ein geschätztes Mitglied der oberen Krollhausener Gesellschaft und ausserdem das absolute Zugpferd der Krollhausener Laienbühne. Mit Leichtigkeit schaffte sie den Sprung von der jungen Liebhaberin in das Fach der Mütterrollen. Als sie zweiundsiebzig Jahre alt war, durfte sie den grössten Triumph ihrer Karriere feiern. Sie wurde vom Krollhausener Theaterpublikum frenetisch umjubelt als Claire Zachanassian in Dürrenmatts «Besuch der alten Dame.»

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Nachtrag 3

Pickel-Pitt-Piercing erfuhr, solange er lebte, niemals, was mit der Messerwerferin Kuschel geschah. Unter seinem Künstlernamen «Pepepe» machte er tatsächlich eine riesige Karriere. Seine «Mopsfrauen mit Wagenrad» erlangten schon bald Weltruhm. Sie verliessen sehr schnell den alten Stall in Südfrankreich und reisten um die ganze Welt. Besonders berühmt wurde seine «Mopsfrau mit Wagenrad, reitend auf dussliger Kuh.» Seine Mopsfrauen erinnerten ein wenig an Niki de Saint Phalles «Nanas,» doch sie waren noch bunter, noch dicker, noch lustiger. Mit dem vielen Geld, welches Pitt verdiente, liess er sich die Piercings entfernen, die er ja nur an sich hatte, um von seinen Pickeln abzulenken. Er ging zu einem Schönheitschirurgen und liess sich die Pusteln weglasern. Als das getan war, konnte Pitts Vorderansicht ohne weiteres mit seiner Hinteransicht konkurrieren. Reich, erfolgreich, berühmt und gut aussehend, wurde Pitt zu einem Mann, dem die Frauen zu Füssen lagen. Es dauerte nicht sehr lange, da hatte Pickel-Pitt-Piercing die Provinzstadt Krollhausen, sein rotes Füchslein sowie die fünftausend Franken, die er eigentlich irgendwann zurückzahlen wollte, vergessen.

Als Pepepe zweiundsechzig Jahre alt war, gedachte er, seine grösste, seine lustigste, seine monumentalste Mopsfrau zu kreieren: «Mopsfrau mit Dutt, messerwerfend im Zirkus.» Er war gerade dabei, der zehnmeterfünfzig hohen, messerwerfenden Mopsfrau den Dutt zu montieren, als aus noch unerfindlichen Gründen die Leiter, auf der er stand, ins Wanken geriet. Pepepe, der merkte, dass die Leiter kippte, wollte sich am Dutt seiner messerwerfenden Mopsfrau festhalten. Doch da der Dutt bereits am Kopf der Mopsfrau festsass, riss er bei seinem Sturz die Zehnmeterfünfzigfrau mit sich. Sie erschlug ihn und im Anschluss daran begrub sie ihn unter sich. Dadurch war erwiesen, dass sich Pepepe nicht umsonst sein Leben lang vor messerwerfenden Frauen gefürchtet hatte.

Seine Tasche, welche ihn auf all seinen Reisen durch die Welt begleitet hatte, wurde versteigert und erzielte den stolzen Preis von 8.500 Dollar. Ein Raunen ging durch die Welt, als bekannt wurde, dass der Ersteigerer kein Liebhaber von Pepepe‘s Kunst war, sondern ein Fan von Roger Federer.

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Nachtrag 4

Nach Karolina Kuschels rätselhaftem Selbstmord existierte der Häkelverein Krollhausen nicht mehr lange. Die Mitglieder fühlten sich schuldig an Karolinas Tod und mochten sich deshalb kaum noch in die Augen schauen. Sie machten sich gegenseitig Vorwürfe. Sie gingen auf Siegfried los, das einzige männliche Mitglied, und sagten, wenn er nicht vorgeschlagen hätte, den Zwerg auf das Dach zu wuchten, wäre das alles vielleicht nicht passiert. Siegfried verteidigte sich wütend. Er sagte, er sei das gar nicht gewesen, der diesen Vorschlag gemacht hätte, und er hätte überhaupt die Nase voll von gackernden, häkelnden Hühnern und er hätte sowieso vorgehabt, seinen Austritt aus diesem beschissenen Verein zu geben. Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und widmete sein zukünftiges Leben nur noch der einzigen Frau, die er im ganzen Universum einigermassen verstehen konnte.

Doris Fürstenberger sagte zu Selma Mülli, Karolina hätte sich vielleicht nicht umgebracht, wenn man ihre Situation ernster genommen hätte. Selmas zynische und böse Sprüche hätten Karolina bestimmt nicht geholfen und sie in ihrem Entschluss, Schluss zu machen, eventuell noch bestärkt. Doris schaute die Lampe, die über Selmas Kopf baumelte, strafend an. Selma antwortete, dass ihre Sprüche weder zynisch noch böse gewesen seien, sondern lustig, und sie wolle nichts mehr zu tun haben mit Leuten, die keinen Sinn für Humor hätten. Frieda Schwellnuss, die Gründerin des Häkelvereins, erhielt Selmas Kündigung schriftlich.

Frieda Schwellnuss meinte, sie alle trügen an Karolinas Selbstmord eine Mitschuld. Man hätte doch merken müssen, wie schlecht es um die Ärmste stand.

Lisa Pfannmatter fauchte, das sei Quatsch. Niemand hätte ahnen können, dass Karolina plante, eine Selbstentleibung vorzunehmen. Es sei doch verrückt, meinte sie, dass ein Mensch eine Grube für zwei Häschen buddeln lässt, obwohl er vor hat, sich umzubringen. Sie schickte Frieda Schwellnuss eine E-Mail, in der sie ihren Austritt aus dem Häkelverein bekannt gab. Sie schrieb, dass ihr Sohn sich in einen anderen Mann verliebt hätte. Der Sohn wollte sich von seinem ersten Mann scheiden lassen und den anderen heiraten. Der Andere aber hätte nicht das geringste Interesse an Lisas gehäkelten Topflappen, und deshalb sah Lisa keinen Grund, im Häkelverein weitere Topflappen zu häkeln.

Darauf beschlossen Frieda Schwellnuss und Doris Fürstenberger, an den Mittwoch Nachmittagen, anstatt zu häkeln, Karolinas Grab zu besuchen und jeweils ein Blumensträusschen drauf zu legen. Sie machten das dreimal. Am vierten Mittwoch rief Doris Fürstenberger Frieda Schwellnuss an und sagte, sie hätte die Grippe und sie würde sich melden, sobald sie wieder gesund sei. Frieda Schwellnuss hörte, solange sie lebte, nichts mehr von Doris Fürstenberger. Frieda ging noch einmal zu Karolinas Grab. Sie legte ein gehäkeltes Blumensträusschen nieder, und da dieses niemals welkte, gab es für Frieda keinen Grund mehr, Karolina jemals wieder einen Besuch abzustatten.

Frieda Schwellnuss, die Gründerin des Häkelvereins Krollhausen, löste den Verein auf und gründete den «samstäglichen Krollhausener Flohmarkt.» An ihrem eigenen Stand verkaufte sie alles, was sie in ihren aktiven Jahren als Häklerin gehäkelt hatte. Mit dem Erlös machte sie eine Kreuzfahrt, von der sie nie mehr zurückkehrte.

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Nachtrag 5

Siegfried Kohlbrenner war es vergönnt, noch einige schöne Jahre mit Mami zu verbringen. Als Mamis Augen immer schwächer wurden, erlaubte sie ihm doch noch, nähen zu lernen. Er besuchte einen Nähkurs an der Krollhausener Hauptstrasse. Er war das einzige männliche Mitglied und seine Mitnäherinnen staunten, wie geschickt er sich anstellte. Als er ihnen eines seiner gehäkelten Murmelsäckchen zeigte, waren sie alle restlos entzückt und er konnte fortan ihrer Bewunderung sicher sein. Als Siegfried, der Hase, die Kunst des Nähens einigermassen beherrschte, bereitete es ihm viel Vergnügen, abends mit Mami gemütlich vor dem Fernseher zu sitzen und die kleineren Näharbeiten, die im Laufe der Woche angefallen waren, zu erledigen. Seine grosse Liebe gehörte aber trotz allem dem Häkeln. Wenn Mami ins Bett gegangen war, nahm er sein Häkelkörbchen hervor und versuchte – in Erinnerung an Karolina Kuschel, die auf so tragische Weise ums Leben kam – Hasenkleidchen zu häkeln, was ihm aber leider nie so richtig gelang.

Siegfried Kohlbrenner ist übrigens der einzige, der heute noch lebt. Er hat die Gene seiner Mami geerbt und gilt zur Zeit, mit seinen hundertachtzehn Jahren, als ältester Mensch der Welt. Er lebt, geistig noch relativ rege, zurückgezogen im städtischen Altenheim Krollhausen und häkelt Murmelsäckchen. Die Murmelsäckchen werden vom Krollhausener Hilfswerk in die dritte Welt verschickt, wo sie – glaubt das Krollhausener Hilfswerk – den bedürftigen Kindern bestimmt viel Freude machen.

Mami Kohlbrenner wurde übrigens hundertundneun Jahre alt. Sie hatte den Fallschirmsprung an ihrem hundertundneunten Geburtstag nicht überlebt. Ihr Kreislauf, der des hohen Alters wegen nicht mehr ganz stabil war, brach während des Sprungs zusammen. Mami Kohlbrenners Fallschirmsprungbegleiter konnte nur noch ihren Tod feststellen, als sie in einem Spargelfeld in der Nähe von Schwetzingen landeten.

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Nachtrag 6

Fast in der gleichen Sekunde, als Columbo Karolinas Kopf zerschmetterte, entbrannte ein heftiger Streit zwischen dem Aussenminister der Hölle und der Aussenministerin des Himmels. Bei Gewaltverbrechen kam es zwischen den beiden normalerweise zu keinen Konflikten. Die Sachlage war in diesen Fällen jeweils kristallklar und gab zu keinen Diskussionen Anlass: das Opfer eines Verbrechens wurde von der Aussenministerin des Himmels abgeholt und der Täter oder die Täterin selbstverständlich vom Aussenminister der Hölle.

Karolina Kuschels Fall war nun allerdings vollkommen anders gelagert als alles bisher Dagewesene. Der Höllenminister behauptete, Karolina sei ohne Zweifel unter der Kategorie «Täterin» einzustufen und gehöre also ihm. Immerhin hätte sie kaltblütig einen Mord geplant und diesen auch ausgeführt. Dass sie wegen ihrer Dummheit oder Ungeschicklichkeit ihr eigenes Opfer wurde, sei völlig irrelevant.

Mit diesen Argumenten konnte sich die Himmelsministerin ganz und gar nicht anfreunden. Sie war der Meinung, es spiele absolut keine Rolle, wer den Mordplan ausgeheckt hätte, das Opfer sei nun einmal Karolina und jedes Opfer gehöre automatisch ihr.

Da die beiden sich nicht einigen konnten, beschlossen sie, bei ihren obersten Chefs anzufragen und die Entscheidung dieses problematischen Falles ihnen zu überlassen. Da ihre beiden Bosse selbstverständlich unmöglich alle ihre anfallenden Vepflichtungen auf der Stelle beiseite legen konnten, nur um sich um den Fall «Kuschel» zu kümmern, würde es einige Zeit dauern, bis ein Urteil gefällt werden konnte.

Die beiden Aussenminister entschieden, Karolina zwischenzeitlich auf dem Planeten «Provisorium» zu platzieren. Der Planet Provisorium war ein kleiner Fixstern, der für die beiden Minister sehr praktisch lag. Er war ungefähr gleichviele Lichtjahre vom Himmel entfernt wie von der Hölle.

Auf dem Fixstern Provisorium wurden die Seelen zwischengelagert, die nicht eindeutig für den Himmel oder eindeutig für die Hölle prädestiniert waren. Dazu gehörten unter anderem sehr viele Politiker. Für die beiden Aussenminister war es oft unglaublich schwierig zu entscheiden, ob ein Politiker auf Erden nun eigentlich Gutes oder Schlechtes angerichtet hatte. Sie überliessen das definitive Urteil dann ihren Chefs und wenn diese ihren Entscheid getroffen hatten, holte der entsprechende Minister den Zwischengelagerten auf dem Fixstern Provisorium ab.

Karolina Kuschels Fall nun sorgte allerdings in der obersten Chefetage der Hölle genauso wie in der des Himmels für rote Köpfe. Wohin gehörte die Seele eines Menschen, der gleichzeitig Täter und Opfer war? Es entbrannten unglaublich hitzige Diskussionen, doch leider fand keine Einigung statt. Nach äonenlangen Zeiten, in denen kein Durchbruch erzielt wurde, beschloss man schliesslich, Karolina Kuschel, Opfer und Täterin zugleich, dort zu belassen, wo sie war, nämlich auf dem Stern Provisorium.

Karolina aber genoss ihr Dasein auf dem ihr zugewiesenen Platz. Sie war überzeugt, dass es weder im Himmel noch in der Hölle so interessant sein konnte wie auf ihrem Stern. Sie hatte den Überblick über den ganzen Planeten Erde, und wenn ihr die Machenschaften der Menschen auch oft unbegreiflich waren, so wurde es doch nie langweilig, sie zu beobachten.

Obwohl Karolina sich in ihrem irdischen Leben nie für Politik interessiert hatte, fand sie es doch amüsant, einige der Herrscherinnen und Herrscher der Welt, die durch ihren Stern geschleust wurden, kennenzulernen. Sie war sehr erstaunt darüber, dass die meisten der hohen Damen und Herren Politiker ihre wirren Ansichten über das, was gut oder schlecht war für die Menschheit, selbst im Jenseits nicht ablegten.



Karolina war wirklich absolut zufrieden. Obwohl sich in der seligen Ewigkeit niemand dazu äusserte, war Karolina überzeugt, dass der ihr zugewiesene Platz die von ihr erwartete Belohnung war. Zugegeben, sie hatte die Aufgabe, die ihr als Büglerin des Unrechts zugewiesen war, gründlich versaut, aber dass sie den Willen und den Mut hatte, sich dieser Aufgabe zu stellen, hatte sie, trotz des missglückten Finales, wirklich bewiesen. Und dieses herrliche Plätzchen auf dem Stern Provisorium war hundertprozentig die Belohnung für ihre tapferen und selbstlosen Bemühungen.

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Ja, Karolina Kuschel war glücklich. Sie hatte sich danach gesehnt, frei zu sein. Und nun hatte sie das höchste Mass an Freiheit erlangt, denn – glaubte nicht schon Reinhard Mey, dass die Freiheit über den Wolken grenzenlos sei?

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Jürgen von Tomëi

Mehrere Bücher von Yvette Kolb waren bereits erfolgreich veröffentlicht, als sie Jürgen von Tomëi, den bekannten Polit- und Portraitkarikaturisten, kennenlernte. Das war der Anfang einer fruchtbaren Zusammenarbeit.

Jürgen von Tomëi wurde in Basel zum Grafiker ausgebildet. Durch Hanns Dieter Hüsch, seinen lebenslangen Freund, wurde er ermuntert, Karikaturen zu zeichnen. Seit 1967 zeichnet er Karikaturen für diverse deutsche und schweizerische Zeitungen, unter anderem 15 Jahre lang für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Er illustrierte Bücher für Hanns Dieter Hüsch und viele andere Autoren.

Bis heute haben Yvette Kolb und Jürgen von Tomëi – ein Traumpaar auf humoristischem Gebiet – gemeinsam mehrere Bücher veröffentlicht.

Die Büglerin des Unrechts

Eberhard Kuschel, der Käse-König von Krollhausen, hat eine junge Geliebte. Er will sich deswegen nach zweiunddreissigjähriger Ehe scheiden lassen. Karolina, seine Frau, denkt nicht daran, das Feld zu räumen. Sie sinnt auf Rache. Wild entschlossen plant sie einen Vergeltungsschlag gegen ihren ungetreuen Angetrauten. Sie ist besessen von dem Gedanken, das ihr angetane Unrecht auszubügeln. Akribisch und präzise verfolgt sie einen tödlichen Plan. Weil sie aber im Morden völlig unroutiniert ist, stolpert sie über so manchen Stein, der ihr den Weg zum Ziel versperrt.

Wird es Karolina Kuschel trotz aller Schwierigkeiten gelingen, ihre Aufgabe als «Büglerin des Unrechts» zu bewältigen?



«Die Büglerin des Unrechts» ist ein Lesespass der ganz besonderen Art.