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Jens-Uwe Meyer ist einer der renommiertesten Trainer Deutschlands für kreative Kommunikation. Mit seiner Firma »Die Ideeologen« zeigt er Unternehmen wie Volkswagen, der DekaBank, Microsoft und Nestlé, wie sie auf neue Ideen kommen. Meyer hat einen MBA in Medienmanagement und unterrichtet Manager an der Handelshochschule Leipzig.

Er ist Autor von sechs Büchern und zahlreichen Fachartikeln, die unter anderem im Harvard Business Manager, der faz und der welt veröffentlicht wurden. Zuletzt erschienen seine Bücher »Das Edison-Prinzip« (), welches die faszinierenden Denktechniken des Erfinders der Glühbirne vorstellt, sowie »Kreativ trotz Krawatte« (), das zeigt, wie Unternehmen eine Innovationskultur aufbauen können.

Jens-Uwe Meyer

Kreative PR

2., überarbeitete Auflage

UVK Verlagsgesellschaft mbH

PR Praxis

Band 11

Bildnachweis:

Macnews.de (); holidaycheck.de (); Markus Mönch (, , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ); Roger Schmidt (, , , , , , ); Weleda (); Deutsche Telekom (); Pro Sieben (); Google (); Barclays Bank (); Plenum Stoll und Fischbach (); Eichborn (); FischerAppelt (); CMA (), Dove (); Audi (, ); Carl Zeiss (, ); Playmais (), Royal Life Saving Society (); Linde (); Land der Ideen (); Tourism Queensland (); Hyunday (); ESA (); Luxpro (); dpa (, ); Burger King (), Stabilo (), Sixt (), Stepstone (), DocMorris (), Frosta (), Karlscast (, ), Nintendo (), hausgemacht.tv (), Der Servicepionier (); HI-TEC (); Tipp-Ex (, ); Procter & Gamble (), Welthungerhilfe (), Google Inc. (, , ); IBM (), Euroheat (), Canon (), Dell (), Opera (, )

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

abrufbar.

ISSN 1863-8988

ISBN 978-3-86764-308-5

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2011

Einband: Susanne Fuellhaas, Konstanz

Einbandfoto: iStockphoto

Redaktion: Nicolas Thun

Satz und Layout: Klose Textmanagement, Berlin

Druck: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg

UVK Verlagsgesellschaft mbH

Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz

Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98

Inhalt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 

Lebensdauer 0,8 Sekunden – Das Schicksal einer Pressemitteilung

Es gibt Pressemitteilungen, deren Überlebenszeit in einer durchschnittlichen Redaktion nicht länger als 0,8 Sekunden beträgt. Dann landen sie im Papierkorb. Das gleiche Schicksal ereilt Kundenzeitungen, die an den Interessen ihrer Leser vorbeigeschrieben sind, und Newsletter, deren Unterhaltungswert so hoch ist wie der eines Medikamenten-Beipackzettels. Nach 0,8 Sekunden sind sie Geschichte. Andere Pressemitteilungen fallen auf: Redakteure lesen den Text an, werden neugierig, greifen zum Telefon. Es gibt Mitarbeiterzeitungen, die nicht nur gelesen, sondern aufbewahrt werden. Und Newsletter, bei denen der Reflex, sofort die Delete-Taste zu drücken, aussetzt. Was macht den Unterschied? Kreativität.

PR-Arbeit ist ein täglicher Kampf um Aufmerksamkeit. Seit der ersten Auflage dieses Buchs im Jahr 2007 ist dieser Kampf noch härter geworden. Die Informationsflut steigt täglich an. Millionen von Absendern – vom Nachbarn bis zum Weltkonzern – twittern, posten bei FACEBOOK oder kommunizieren über iPhone Apps. Es wird täglich schwieriger, mit Botschaften durchzudringen. Schon wartet die nächste Information, der nächste Reiz. Es ist das Realität geworden, was Internetpioniere in den 90er-Jahren prognostiziert haben: eine neue Gesellschaft, in der jeder Zugang zu einer nie gekannten Menge an Informationen hat; in der Menschen gezielt mit Botschaften angesprochen werden können; und in der jeder, der etwas Wichtiges oder Unwichtiges zu sagen hat, es in wenigen Sekunden der ganzen Welt mitteilen kann. Die Frage ist nur: Wer liest das alles?

Diese Meldung hingegen fällt auf:

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Eine Meldung, die auffällt

Diese Meldung schafft das, was alle haben möchten: Aufmerksamkeit. Denn heute – ein Jahrzehnt nach den Visionen des allumfassend informierten Menschen – ist folgendes Phänomen zu beobachten: Statt gierig Informationen aufzusaugen, entwickeln Konsumenten immer bessere Vermeidungsstrategien, um unerwünschte Botschaften auszublenden. Es geht auch nicht anders: Wer alles lesen würde, was gesendet wird, würde im Irrenhaus landen. Denn vom Börsenkursanbieter bis zum Lokalpolitiker, vom Industrielobbyisten bis zum Internetblogger, vom Restaurantbesitzer bis zum Kundenberater – alle wollen nur eines: Aufmerksamkeit. Ob Fernsehbeiträge oder Radionachrichten, Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, Internet-Portale und mobile Informationsdienste. Nimmt man nun noch die Werbung dazu – Konkurrent der Öffentlichkeitsarbeiter beim Kampf um Aufmerksamkeit – kann man sich schnell ausrechnen, dass Konsumenten kaum eine Minute verbringen, ohne dass jemand versucht, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

Aus Sicht der Umworbenen hilft nur eines: Filtern und ausblenden! Themen, die nicht auffallen und die uninteressant aufbereitet sind, erreichen – so das Ergebnis der modernen Hirnforschung – nicht einmal das Bewusstsein der Zielgruppe. Vielleicht freuen Sie sich als Pressesprecher, weil Sie Ihre Meldung in der Zeitung platzieren konnten. Doch das ist noch kein Garant dafür, dass ein Leser sie wirklich wahrnimmt. Konsumenten ertragen das Geschrei der Mediengesellschaft vielfach nur noch. Wie sie den Rasenmäher ihres Nachbarn ertragen, indem sie das Geräusch überhören: Ausblenden und Abschalten zählen zu den elementaren Überlebenstaktiken im Informationsdschungel.

Um den Filter der Konsumenten zu durchbrechen, müssen Sie als Pressesprecher, PR-Manager oder PR-Referent spannende Themen entwickeln, die sich vom Einheitsbrei der Medienlandschaft positiv abheben und die punktgenau das Interesse und die Situation der Zielgruppe treffen. Sie müssen unkonventionell an Themen herangehen, originelle Ansätze und neue »Drehs« finden, um Journalisten und Medienkonsumenten zu überzeugen und so Ihre Kunden in den Medien zu platzieren.

Heute und in Zukunft müssen Sie in der Öffentlichkeitsarbeit die Trends in den Medien berücksichtigen: Journalisten sind mehr und mehr gezwungen, neue Ideen zu entwickeln, um Leser, Hörer und Zuschauer davon zu überzeugen, ein journalistisches Produkt zu konsumieren. Zeitungen und Zeitschriften kämpfen gegen sinkende Auflagen, einem Großteil der Radiosender sind in den letzten Jahren die Hörer abhandengekommen und der Druck auf dem Werbemarkt führt dazu, dass in vielen Fernsehredaktionen heute mehr auf die Einschaltquote als auf den Inhalt geachtet wird. Erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeiter wissen das: Sie sind Dienstleister, die dem Fernsehredakteur Quote und dem Zeitungsredakteur Auflage bringen. Dieses Erfolgsprinzip ist nicht neu. Warum ist Thomas Edison, der Erfinder der Glühbirne, zu einem der bekanntesten Erfinder der Geschichte geworden? Ein Grund ist, so schreibt Paul Israel in einer Biografie, dass er der Liebling der Boulevardpresse war, die mit »dem Zauberer« – wie er zu Lebzeiten genannt wurde – die Erfahrung machte: Jede Titelgeschichte mit Thomas Edison steigert die Auflage.

Das Prinzip ist heute das Gleiche wie vor 100 Jahren, doch die Zahl und die Zersplitterung der Medien, die Menge an Informationen, die Zahl der unterschiedlichen Medienmacher, die Geschwindigkeit, der Konkurrenzdruck der Informationsanbieter und das Verhalten der Zielgruppe haben sich geändert. Wenn es eine PR-Agentur heute schafft, im Auftrag eines Reiseanbieters ein Holiday Ressort an der türkischen Küste als Empfehlung in den Medien zu platzieren, war das früher ein großer Erfolg. Heute geht der internetaffine Reisende auf und prüft, wie andere Reisende das Ressort bewertet haben.

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Knallharte Kritik im Web: holidaycheck.de

Bei diesem Hotel hilft die beste Kampagne nichts mehr: Wenn zehn Reisende eine als Traumhotel beschriebene Anlage verreißen, ist der Erfolg gleich wieder verpufft. Und der Reiseveranstalter, für den Sie vielleicht arbeiten, wird mit Worten wie »Ekelurlaub« in Verbindung gebracht. Im schlimmsten Fall schlägt der Erfolg ins Gegenteil um und die Zeitungsredaktion erhält wütende Mails von Lesern, die sich darüber beschweren, was für einen »Mist« die Zeitung empfiehlt. Mitarbeiter aus PR und Unternehmenskommunikation müssen heute mehrdimensionaler denken als früher, eine hochkreative Fähigkeit. Und sie müssen Ideen entwickeln, um den Zeitungsleser genauso anzusprechen wie den Internetuser auf der Suche nach weiteren Informationen.

Es ist nicht immer nur die eine große Idee, die eine Pressekampagne erfolgreich macht, sondern viele kleine: Die Idee, das Thema aus einer ungewöhnlichen Perspektive zu betrachten, eine überraschende PR-Aktion zu starten, eine originelle Überschrift oder gelungene sprachliche Bilder zu finden. Und natürlich: Ideen für die Ideenpräsentation zu finden. Eine gute Idee ist immer nur so gut wie ihre Präsentation.

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Viele kleine Ideen entscheiden über den Erfolg

2003 erschien im UVK-Verlag mein Buch »Journalistische Kreativität«, das Journalisten praktisch-methodische Anleitungen bietet, wie sie Themen generieren und kreativ weiterdrehen können. Dieses Buch hat deutlich gemacht, dass Kreativität im Journalismus nicht heißen muss, witzig oder humorvoll zu sein. Im Gegenteil: Kreativer Journalismus kann ernst und konservativ daherkommen. Ein Magazinjournalist, der ungewöhnliche Denkwege bei seiner Recherche beschreitet und neue Wege findet, um an Informationen heranzukommen, ist kreativ. Ein TV-Journalist, der für einen Beitrag eine unkonventionelle Bildsprache entwickelt, ist kreativ. Und ein Radiojournalist, der einem Interviewpartner originelle und überraschende Fragen stellt, ist kreativ. Journalisten, die es schaffen, Vorgänge an der Börse analytisch zusammenzufassen und in einer verständlichen bildhaften Sprache dem Publikum zu erläutern, sind kreativ. Kreativität hat viele Seiten. Das, was gemeinhin gerade von Werbe- und Kreativagenturen als Kreativität interpretiert wird, ist nur ein Teil davon.

Wozu müssen Sie kreativ sein, wenn Sie Pressesprecher in einem großen konservativen Konzern sind? Beispielsweise um Reden Ihres Vorstandsvorsitzenden so zu formulieren, dass Zuhörer sie verstehen. Natürlich können Sie so kommunizieren, wie es der Vorstandsvorsitzende der damaligen DaimlerChrysler AG in seiner Rede auf der Jahreshauptversammlung 2007 in Berlin getan hat:

»Wir haben die Gesamtsituation unseres Unternehmens im Laufe des letzten Jahres systematisch analysiert und unsere Geschäftsfeldstrategien auf den Prüfstand gestellt. In der Verwaltung haben wir das Neue Management Modell aufgesetzt. Damit bringen wir unsere Prozesse auf Benchmarkniveau. Wir entlasten die operativen Bereiche und werden insgesamt schneller und schlanker. Das führt weltweit in den Verwaltungsfunktionen zu einer Reduzierung von 6.000 Stellen. Insgesamt verringern wir unsere Verwaltungskosten bis 2009 um 1,5 Milliarden Euro. Mit der Umsetzung des Neuen Management Modells sind wir voll im Plan.

Bei der EADS haben wir unseren Kapitaleinsatz halbiert, aber unseren Einfluss beibehalten. Auch das haben wir im letzten Jahr an dieser Stelle angekündigt und zwischenzeitlich verwirklicht. Für die Mercedes Car Group haben wir das CORE-Programm weiter umgesetzt. Es

•  schafft die Basis für Operational Excellence,

•  stellt neue Produkte mit erstklassiger Qualität in den Mittelpunkt,

•  stärkt die Marke und

•  fördert nachhaltiges Wachstum.

Smart ist inzwischen voll in die Mercedes-Organisation integriert und wird, wie angekündigt, in diesem Jahr schwarze Zahlen schreiben. Damit werden wir die Mercedes Car Group zurück an die Spitze bringen und auch hier unser im letzten Jahr vorgestelltes Ziel erreichen, 2007 eine Umsatzrendite von 7 Prozent zu erwirtschaften. Inzwischen können wir allerdings hinzufügen: ›mindestens‹ 7 Prozent.

Für die Truck Group haben wir das ›Global Excellence‹-Programm gestartet, das Produktivität und weltweite Integration vorantreibt – bei maximaler Flexibilität. Es wird uns in die Lage versetzen, die für dieses Geschäft typischen, zyklischen Marktbewegungen besser zu beherrschen und über den gesamten Zyklus eine Umsatzrendite von mindestens 7 Prozent zu erwirtschaften. Einzelne Jahre werden darüber und andere – je nach Zyklus – darunter liegen. Dabei wollen wir auch in der Abschwungphase mindestens weiterhin unsere Kapitalkosten verdienen. Die Nagelprobe kommt in diesem Jahr – und wir sind sicher, wir werden sie bestehen.«

Mit einem solchen Text machen Sie inhaltlich nichts verkehrt. Im Gegenteil: Wenn das Hauptziel darin besteht, kryptisch zu reden, haben Sie es zu 100 Prozent erreicht. Der Großteil dessen, was Dieter Zetsche in seiner Rede sagt, landet bei einem durchschnittlich gebildeten und interessierten Zuhörer direkt im Spam-Filter, den Sie in diesem Buch kennen lernen werden.

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Ein Großteil der Zuhörer wird spätestens am Ende des zweiten Absatzes Mühe haben, die Augen geöffnet zu halten. Nun kann systematisches Einschläfern der Zuhörer ja durchaus ein strategisches Ziel sein. Sollten Sie das bei der Formulierung einer Rede, eines Geschäftsberichts oder eines Textes vorhaben, können Sie sich mit dem Management-Blablator behelfen:

Management-Blablator

Was war’s?

Wer war’s?

Wozu hat es geführt?

Mit unserer neuen Strategie

… haben wir

… eine Topform erreicht.

Durch den eingeschlagenen Konsolidierungskurs

… hat das Unternehmen

… eine außergewöhnliche Performance zu verzeichnen.

Durch die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells

… haben die verschiedenen Geschäftsfelder

… die Ziele nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen.

Durch die optimale Ressourcenverteilung

… hat die Gruppe

… die Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich erhöht.

Durch die konsequente Umsetzung

… haben alle Sparten

… Benchmarkniveau erreicht.

Durch die vorgenommenen Kapazitätsanpassungen

… hat die Konzernebene

… die Basis für Operational Excellence geschaffen.

Durch die erfolgten Kostensenkungsmaßnahmen

 

… maximale Flexibilität erreicht.

Durch die Erhöhung der Profitabilität

 

… sehr erfreuliche Fortschritte gemacht.

Durch den optimierten Produkt-Mix

 

… die Finanzkraft nachhaltig gestärkt.

Durch die Effizienzsteigerungsmaßnahmen

 

… die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Ausrichtung geschaffen.

Kreativität ist das Mittel gegen Schlafpredigten: Würzen Sie Reden mit sprachlichen Bildern und Pointen, die das Management von einer sympathischen und menschlichen Seite zeigen. Mit Hilfe von Techniken wie dem Perspektivenwechsel, die Sie in diesem Buch kennenlernen werden, versetzen Sie sich in unterschiedliche Zielgruppen und sind in der Lage, Reden auf sie auszurichten.

Wozu ist Kreativität in der Kundenkommunikation erforderlich? Beispielsweise um Geschichten zu finden, die Sie im Internet oder in der Kundenzeitung veröffentlichen. Und ich meine dabei nicht Meldungen. Ich spreche von Geschichten: Emotionen, Human-Touch, Unterhaltsames. Geschichten, mit denen Sie Kunden nicht nur sachlich informieren, sondern ihnen ein Gefühl von Zugehörigkeit und Identifikation geben. Geschichten, die Kunden gerne lesen und über die sie sprechen. Vielleicht kennen Sie Weleda. Das Unternehmen stellt Kosmetik im Einklang mit Mensch und Natur her. Ähnlich aufgebaut ist das Unternehmensmagazin, das Weleda Magazin. Keine platte Produktwerbung, sondern Geschichten über große und kleine Menschen, die Kunden gerne lesen.

Guck mal, ich kann …

Jedes Kind ist einzigartig. Und jedes Kind hat seine eigenen Neigungen. Wir stellen fünf Mädchen und Jungen vor, die ganz in dem aufgehen, was sie lieben – und deshalb auch können.

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Weleda: Human Touch in der PR

Wo ist der Return on Investment, wenn Unternehmen über Kinder berichten? Die Antwort: Es gibt keinen, den Sie mit den üblichen Methoden von Ursache und Wirkung messen können. Weleda hat nicht nur Kunden, sondern Fans. Das ist der Unterschied zu vielen anderen Unternehmen aus der Kosmetikbranche. Falls Sie es mir nicht glauben und diesen Text für billige Schleichwerbung halten, verbringen Sie einmal einen Nachmittag in einem Geburtsvorbereitungskurs. Jede Wette, dass die Hebamme als Missionarin auftritt und Ihnen Weleda ans Herz legt. Das wertvollste Kapital des Unternehmens ist neben den Produkten die Philosophie des menschlichen Miteinanders. Und genau diese Philosophie wird auf kreative Art und Weise im Kundenmagazin umgesetzt.

Was hat Kreativität in einer PR-Agentur verloren, die hauptsächlich technische Informationen aus dem IT-Bereich kommuniziert? Nun, viele Pressemitteilungen aus dem IT-Bereich ähneln einer schwer entzifferbaren koreanischen Gebrauchsanleitung: Zahlen, Daten, Fakten. Sicherlich interessant für Insider. Doch wer mit einer breiteren Öffentlichkeit kommunizieren will, muss Fachgesimpel auf Deutsch übersetzen. Und mehr noch: Dieses Deutsch dann so verpacken, dass es auch noch jemand lesen will.

Es gibt Institutionen, die in ihrer Kommunikation so unkreativ sind, dass sie am Ende niemand mehr wahrnimmt. Wenn Sie die Tagesordnung einer Parlamentssitzung in Straßburg lesen, haben Sie nach wenigen Absätzen Schwierigkeiten, die Augen geöffnet zu halten: Ähnlich wie bei Dieter Zetsche schlafen Sie auch hier schlichtweg ein. Wie lange dauert es bei Ihnen, bis Sie einen inneren Widerstand spüren, diese Meldung vom April 2007 zu Ende zu lesen?

EP bedauert unambitioniertes Vorgehen der Kommission in Sachen Nachhaltigkeit natürlicher Ressourcen

Der Ausschuss für Umweltfragen fordert in seinem Bericht nachdrücklich mehr Ehrgeiz von der Kommission, um die umweltpolitischen Ziele der EU voranzubringen. Die nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen müsse so schnell wie möglich forciert werden, Europa solle eine Führungsrolle im Bereich Umwelttechnologie einnehmen. Nur so könne man die gemeinsame Zukunft in Bezug auf Wirtschaft, Umwelt und Soziales sichern.

Sofort fragt man sich: Ist das, was da in Straßburg besprochen wird, langweilig und uninteressant? Lassen sich in den Tagesordnungen einfach keine guten Geschichten finden? Das Gegenteil ist der Fall: Ich habe ein gutes Jahr aus dem Europäischen Parlament berichtet und für N24 den Europa-Parlamentsreport produziert. Das Konzept dieser Sendung war im Prinzip ganz einfach: Aus unverständlichen europapolitischen Politikphrasen Geschichten zu machen, die einen durchschnittlichen deutschen Medienkonsumenten interessieren. Wir haben in jeder Parlamentssitzung Geschichten gefunden, die ohne Probleme Einzug in Massenmedien gefunden hätten.

Von der hürdenreichen Unternehmensgründung eines privaten Postanbieters in Ludwigshafen über den spannenden Kampf eines Luxemburger Abgeordneten gegen Insidergeschäfte an der Börse bis hin zu einer Geschichte, die an den Hauptmann von Köpenick erinnerte: Ein Unternehmen aus Trier, das sich in Frankreich um öffentliche Aufträge beworben hatte und das von den französischen Behörden stets zu hören bekam: »Als Grundlage für die Bewerbung um einen öffentlichen Auftrag müssen Sie nachweisen, dass Sie schon einmal einen öffentlichen Auftrag durchgeführt haben.« Zu Recht fragte der Unternehmer: »Wie soll ich einen öffentlichen Auftrag als Beleg anbringen, wenn ich keinen bekomme?«

Der letzte Fall versteckte sich hinter europapolitischen Phrasen von »Harmonisierung« und »grenzüberschreitende Regulierungen im öffentlichen Auftragswesen«. Wundert sich da irgendjemand, dass das Europäische Parlament in den Köpfen der meisten Deutschen nicht einmal ansatzweise präsent ist? Die Kommunikation, die aus dem Glaspalast von Straßburg kommt, eine Katastrophe zu nennen, wäre noch deutlich untertrieben: Es ist ein sich monatlich wiederholender PR-Gau. Ein Großteil der Abgeordneten betreibt »Bubble Communication«. Statt zu versuchen, einer breiten Öffentlichkeit die Arbeit des Parlaments deutlich zu machen, wird von der politischen Brüssel-Seifenblase (»bubble«) über die faz mit der politischen Berlin-Seifenblase kommuniziert.

»Bubble Communication« heißt: Ich rede in meiner Sprache mit denen, die meine Sprache sprechen. Diese Form der Kommunikation ist nicht nur im Europäischen Parlament anzutreffen: Auch die Berliner Politik redet regelmäßig an der breiten Öffentlichkeit vorbei. Es gibt eine eingeschworene Talk-Show-Community, die sich alles anhört, was von den üblichen Verdächtigen in den einschlägigen Sendungen abgesondert und als wichtig erachtet wird. Der Großteil der Öffentlichkeit verabschiedet sich dabei von der Politik. Frustriert und gelangweilt von einer Kommunikation, die so kreativ ist wie ein Telefonbuch.

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»Bubble Communication« – Kommunikation in der Seifenblase

Es sind nicht nur Politiker, sondern Entscheider generell, die vielfach einen Hang zur »Bubble Communication« haben. Und häufig lässt es sich nicht einmal vermeiden: Das Gespräch mit verschiedenen Interessensgruppen wie Investoren, Politik und Gewerkschaften ist fester Bestandteil vieler Kommunikationsstrategien. Doch was ist mit der Öffentlichkeit? Den Menschen, die über das Unternehmen sprechen? Die, die aus dem Bauch heraus sagen, das Unternehmen sei gut oder schlecht, habe eine hohe oder niedrige Qualität? Die, die sich nicht die Arbeit machen, Dutzende von Messdaten miteinander zu vergleichen? Mit ihnen muss anders kommuniziert werden. Und was ist mit den verschiedenen Zielgruppen innerhalb der Öffentlichkeit? Mütter? Berufstätige? Leistungsträger? Studenten? Ältere Menschen?

Die Deutsche Telekom geht den kreativen Weg, um teilweise recht trockene Inhalte an ihre Mitarbeiter zu vermitteln. Das Mitarbeitermagazin You and me, von einer internationalen Jury unter mehr als 200 Einreichungen zur besten Mitarbeiterzeitung Europas gekürt, sieht nicht nur aus wie ein Lifestyle-Magazin, es liest sich auch so. Stellen Sie sich einen Beitrag zum Thema »Parken in der unternehmenseigenen Tiefgarage« vor. Normalerweise legen Sie das Heft schon beim Lesen der Schlagzeile aus der Hand. YOU AND ME macht im März 2010 daraus eine Schlagzeile: »Warum? 33 Fragen, die Sie sich schon immer gestellt haben und auf die Sie bisher keine Antwort bekommen haben.« Das Heft, das an etwa 200.000 Mitarbeiter verteilt wird, ist kein buntes Sammelsurium von Beiträgen, sondern konzentriert sich auf ein Thema, das dann von den Mitarbeitern auch durchaus kontrovers diskutiert wird. Nicht nur im Heft, sondern auch im Intranet, wo Mitarbeiter Meinungen austauschen.

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You and me – Inhalte phantasievoll verpackt

Dieses Buch wird Ihnen kreative Techniken vorstellen, die es Ihnen ermöglichen, Themen und Texte so zu entwickeln, dass Sie mit verschiedensten Zielgruppen individuell kommunizieren können. Und zwar so, dass Ihnen die Empfänger der Botschaft auch wirklich zuhören. Diese kreativen Fähigkeiten sind gerade deshalb heute wichtiger denn je, weil sich die PR-Branche massiv ändert. Mittels »Micro-Targeting« sind PR-Agenturen und Presseabteilungen heute in der Lage, Zielgruppen genauer zu identifizieren und anzusprechen. Das setzt allerdings voraus, dass sie mit diesen Zielgruppen auch wirklich kommunizieren können.

Noch ein zweiter Trend beherrscht die PR-Branche: Was früher sauber getrennt war, verschmilzt heute zunehmend. Was ist PR? Was ist Marketing? Was ist Werbung? Und lässt sich das überhaupt noch trennen? Wenn ein Unternehmen einen Prominenten für eine Werbekampagne engagiert, weil es sich durch die Medienpräsenz des Prominenten einen PR-Effekt erhofft, ist es Marketing oder PR? Wenn die Marketingleitung eines Unternehmens mit einem Hörfunksender eine Kooperation eingeht, bei dem redaktionelle Beiträge Bestandteil eines Werbepakets sind und diese Beiträge von einem PR-Journalisten umgesetzt werden: Ist es PR? Ist es Werbung? Und wenn diese Beiträge anschließend für Mitglieder einer Internet-Community im Rahmen eines Gewinnspiels als Podcast angeboten werden, ist es Online-PR oder Online-Marketing? Und wenn ein Event mittels viralem Marketing im Internet kommuniziert wird, dessen Hauptzweck darin besteht, Presseberichterstattung zu bekommen – worüber reden wir? Über Eventmanagement? PR? Oder virales Marketing? Und wenn die PR-Agentur am Ende feststellt, dass die virale Kampagne für mehr Gesprächswert gesorgt hat als die Presseberichterstattung, war es dann rückblickend Online-Marketing oder Guerilla-Marketing oder doch eher PR mit einer Nuance Guerilla-PR? Und in welche Kategorie fällt die Geschichte des kleinen Provinznestes Finsdorf?

Für reichlich Verwunderung sorgten die im Amateurstil gedrehten Werbespots für die kleine Gemeinde Finsdorf, die 2009 auf PRO SIEBEN zu sehen waren. Unter dem Motto »Raus aus der Stadt – Rein ins Vergnügen« wurde die vermeintliche Idylle des selbsternannten »Juwels der Heide« angepriesen. Zu sehen: Ein qualmendes Atomkraftwerk, rollerfahrende Jugendliche und biertrinkende Männer beim Feuerwehrball in der Dorfkneipe.

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Wer sich online auf die Suche begab, wurde schnell fündig: Die offizielle Internetpräsenz des Örtchens wirbt für Eselreiten auf dem spanischen Halbblut-Eselshengst Pako, bunte TV-Abende in fröhlicher Runde bei Helga und Gerda sowie für Kraut- und Rübensammeln, bei welchem es immernoch den Rekord von Karl-Heinz zu knacken gilt! Der Kartenanbieter GoYellow lieferte sogar ein Satellitenbild der sonst nirgendwo verzeichneten Kleinstadt mitsamt des Atomkraftwerks. Was steckte dahinter? In Foren, Blogs und Chats wurde wild diskutiert, was sich hinter dieser groß angelegten Medienkampagne verbergen könnte. Die Auflösung: Unter der Rubrik »Neues« wurden auf zwei neue Einwohner herzlich begrüßt: Zum einen Heinz Eberhard Plüfke (Zurück aus der Stadt! Wir freuen uns, dass du wieder da bist Plüfke! P.s. Viel Erfolg mit den Kälbern!) Und dann ein gewisser Bernd Stromberg, welcher als Filialleiter einer neuen Niederlassung der Capitol-Versicherung schon bald Sicherheitspakete für die Bewohner zu schnüren gedenkt …

Es handelte sich bei der Finsdorf-Affäre um nichts anderes als eine hocherfolgreiche virale Kampagne zur Bewerbung der neu anlaufenden vierten Staffel des Büroekels Stromberg. Infolge eines Streites mit dem Kantinenchef wird dieser nämlich gleich zu Beginn in das kleine Provinznest strafversetzt. Und muss sich fortan in seiner persönlichen Hölle bewähren. GoYellow hatte hierfür die Ortschaft Böddenstedt kurzerhand umgetauft – und das Atomkraftwerk virtuell auf einer freistehenden Fläche errichtet.

Wo genau verläuft die Schnittstelle zwischen Marketing und PR? Lässt sie sich definieren? Und muss sie sich überhaupt definieren lassen? Faktisch reden wir schon lange über PR 2.0 mit vielen Schnittstellen zu Marketing 2.0, Journalismus 2.0 und Eventmanagement 2.0. Kommunikationsstrategien zu entwickeln wird dabei nur scheinbar leichter. Genügte es früher, eine Pressemappe zu gestalten, die verschiedenen Zeitungsausschnitte zu präsentieren und die Reichweiten der Zeitungen dazu zu addieren, sind Erfolge jetzt plötzlich messbar. Natürlich kann der Vorsitzende eines großen Brauereikonzerns via Podcast jetzt direkt mit Konsumenten über die Lage der Getränkeindustrie kommunizieren und braucht dafür die Zeitung nicht mehr. Doch die Abrufzahlen sprechen schnell eine klare Sprache: Wen interessiert es? Wahrscheinlich ist die Rede zur Lage der Getränkeindustrie – abgedruckt im Wirtschaftsteil der Lokalzeitung – schon früher an der breiten Öffentlichkeit vorbeigegangen, nur hat es da niemand gemerkt. Jetzt plötzlich sind Pressesprecher und PR-Agenturen mit etwas konfrontiert, was TV-Journalisten seit langem kennen: Quotendruck. Im Web 2.0 müssen User neugierig gemacht werden, sonst strafen sie das Angebot durch Missachtung. Und vor allem um User neugierig zu machen, brauchen Unternehmen, Verbände und Institutionen eines: Kreativität.

Ideenlose Kampagnen hingegen können auch von Computern konzipiert werden. Laut Angaben der NEW YORK TIMES hat die Pariser Agentur BETC Euro RSCG eine Software entwickelt, in welcher der Benutzer lediglich einige Angaben zur Zielgruppe und dem Ziel der Kampagne eingeben muss. Daraufhin werden automatisch Vorschläge für das Verpackungsdesign, Werbeanzeigen etc. generiert. Oder war diese Meldung vielleicht doch nur ein Musterbeispiel kreativer PR?

Dieses Buch zeigt Ihnen die Möglichkeiten kreativer PR. Beachten Sie dabei jedoch unbedingt eines: Kreativität alleine macht Kommunikation nicht erfolgreich! Kreative Prozesse müssen eng mit der Kommunikationsstrategie eines Unternehmens oder einer Institution verknüpft sein. Kreative PR hat nichts mit künstlerischer oder gestalterischer Selbstverwirklichung zu tun, sondern dient einzig und alleine dazu, Kommunikationsziele zu erreichen. Dieses Buch geht deshalb über eine reine Anleitung zur Kreativität hinaus. Es zeigt, wie Sie mit neuen Ideen Ihre eigenen Strategien und die Strategien Ihrer Kunden besser umsetzen können. Es stellt Ihnen Denktechniken vor und zeigt, wie Sie sie nutzen können, um bei Ihren Kunden und in Ihrer Kommunikation erfolgreich zu sein.

Zur Orientierung im Buch: Kreativfragen, Zusammenfassungen und Übersichten sind gelb, illustrierende Beispiele sind hellblau unterlegt.

1     Lies mich! Schau mich an! Hör auf mich! – Der tägliche Kampf um Aufmerksamkeit

Bevor Sie beginnen, mit Hilfe kreativer Methoden zu versuchen, die Aufmerksamkeit von Journalisten und/oder Ihrer Zielgruppe zu bekommen, ist es wichtig, sich einige grundlegende Gedanken über das Thema Aufmerksamkeit zu machen. Wem schenken Sie Ihre Aufmerksamkeit? Was beachten Sie, was ignorieren Sie? Gehen Sie einmal in sich und überlegen Sie, warum Sie Menschen oder Dingen Aufmerksamkeit schenken und warum nicht. Sie werden feststellen, dass der Weg zu Ihrer Aufmerksamkeit durch ein Nadelöhr führt. In diesem Nadelöhr muss jede Information vier Hindernisse überwinden: Die Bereitschaft zur Aufmerksamkeit, die Offenheit gegenüber dem Absender, die subjektiv empfundene Wichtigkeit und die Überlegenheit der Information gegenüber konkurrierenden Informationen. Das heißt: Wer immer gerade Ihre Aufmerksamkeit haben möchte, muss Sie davon überzeugen, dass er oder sie das Attraktivste ist, was es gibt.

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Ich stelle Ihnen die einzelnen Punkte nacheinander vor. Damit Sie Ideen entwickeln können, wie Sie die verschiedenen Hindernisse im Nadelöhr überwinden können, stehen am Ende jedes Abschnitts Fragen, die Sie als Ausgangspunkt für den kreativen Prozess nutzen können. Denn am Anfang einer Ideenentwicklung, das werden Sie in diesem Buch noch häufiger erfahren, steht eine ganz konkrete Fragestellung.

1.1     Knacken Sie die Hirnfilter! – Vier Hindernisse auf dem Weg zur Aufmerksamkeit

Erstes Hindernis: Die Bereitschaft zur Aufmerksamkeit

Sind Sie schon einmal an einem Flughafen einem Promotionteam begegnet, das versucht hat, Ihnen einen Zettel in die Hand zu drücken, während Sie gerade gestresst zum Gate laufen? Wie groß ist die Chance, dass dieses Promotionteam Ihre Aufmerksamkeit bekommt? Wahrscheinlich so gering, dass ihnen die lächelnden Mitarbeiter eine Million Euro versprechen könnten und Sie würden sagen: »Keine Zeit!« Dann endlich haben Sie es geschafft. Sie haben eingecheckt, Sie sind durch die Sicherheitskontrolle durch und Sie warten. »Der Einstieg verzögert sich leider noch um fünf Minuten«, sagt eine freundliche Stimme und im gleichen Moment beginnen Sie, nach Dingen zu suchen, die Ihren Geist beschäftigen. Sie sind bereit, Ihre Aufmerksamkeit zu vergeben. Erst jetzt haben Informationen überhaupt eine Chance bei Ihnen: Sie sehen sich um, Ihr Blick bleibt an einem Plakat hängen, Sie nehmen sich eine Zeitung. Wenn keine Zeitung da ist, sogar einmal einen Prospekt. Und dann verzögert sich das Einsteigen wieder. Und weil nichts anderes da ist als der Prospekt, beginnen Sie, ihn intensiver zu lesen.

Warum sind AdWords bei Google so erfolgreich? Weil das System genau nach diesem Prinzip funktioniert: Jemand sucht nach bestimmten Begriffen im Internet, beispielsweise »Rheuma«. Damit demonstriert er: Ich bin bereit, dem Thema Aufmerksamkeit zu schenken. Rund um die Ergebnisliste platzieren Anbieter entsprechend ihre Ergebnisse: Vom Expertenrat über Anleitungen bis hin zum Wundermittel.

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Google AdWords – Aufmerksamkeit garantiert

Doch versuchen Sie einmal, an dieser Stelle Aufmerksamkeit für die Produktvorteile von Kinderspielzeug zu bekommen. Sie werden es nicht schaffen. Die Bereitschaft, Informationen zu diesem Thema aufzunehmen, ist einfach nicht vorhanden.

Wo es keine Bereitschaft zur Aufmerksamkeit gibt, ist jeder Versuch, eine Botschaft zu platzieren, zum Scheitern verurteilt. Wenn Sie die Bereitschaft zur Aufmerksamkeit jedoch erkennen und kreativ nutzen, können Sie große Effekte erzielen, wie das nachfolgende Beispiel zeigt:

Beobachten Sie einmal Menschen, die aus einem Flugzeug steigen und auf ihr Gepäck warten. Sobald sich das Rollband in Bewegung setzt, starren sie gebannt auf die kleine Luke, aus der die Gepäckstücke kommen. Man könnte beinahe meinen, die Luke habe eine magische Ausstrahlung, so viel Aufmerksamkeit bekommt sie. Die Firma Sixt hat sich genau das zu Nutze gemacht und das Konzept des »ersten Koffers« entwickelt: Der erste Koffer, der aus der Luke kommt, wirbt für die günstigen Autos von Sixt.

Als kreativer PR-Manager können Sie sich von diesem Konzept des »ersten Koffers« etwas abgucken: Entwickeln Sie Ideen, wie Sie es schaffen, Informationen dort zu platzieren, wo Menschen Ihre Aufmerksamkeit freiwillig hinlenken. Versetzen Sie sich dazu in die Situation Ihrer Zielgruppe.

Nehmen wir an, Sie arbeiten im Auftrag eines Kofferherstellers und haben die Aufgabe, Reisenden die Vorzüge einer neuen Koffergeneration näherzubringen. Natürlich können Sie einen Koffer-Newsletter initiieren oder an Bahnhöfen Promotionteams platzieren. Bei Newslettern, die Sie ungefragt versenden, landen Sie jedoch schnell im Spam-Filter und das Promotionteam am Bahnhof erleidet womöglich das gleiche Schicksal wie das am Flughafen. Beobachten Sie stattdessen Ihre Zielgruppe genau! Gehen Sie die gleichen Wege, beobachten Sie, an welchen Stellen Menschen warten, wohin sich ihre Blicke richten und wie sie sich verhalten. Wohin gucken sie, wenn sie auf den Zug warten? Wie viele Reisende lesen das Faltblatt »Ihr Reiseplan« in der Bahn? Wie viele lesen das Bordmagazin? Wie viele Reisende – gerade in der ersten Klasse – lesen die speziell gedruckte und kostenlos ausgeteilte Zeitung?

Nun können Sie nicht immer so einfach am Leben einer bestimmten Zielgruppe teilnehmen bzw. die Zielgruppe begleiten. Wenn Sie beispielsweise PR-Aktionen für eine Messe vorbereiten, muss die Planung abgeschlossen sein, bevor die Messe beginnt. Für solche Fälle empfehle ich Ihnen die »Gedankenreise«, eine kreative Technik, mit der Sie sich vom Schreibtisch weg in eine andere Welt begeben. Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich bildhaft den Weg vor, den Menschen aus ihrer Zielgruppe gehen. Lassen Sie sich Zeit, gehen Sie den Weg Schritt für Schritt und lassen Sie nichts aus. Wir neigen dazu, Schritte zu überspringen, aber genau das macht den Unterschied aus! Schließlich spielt sich das wahre Leben in realer Zeit und nicht im Fast-Forward-Modus ab. Überlegen Sie ganz genau, wohin Sie Ihre Aufmerksamkeit lenken, welche Sinnesreize in jeder Sekunde auf Sie einströmen, wann Sie in Ihrem Kopf auf Informationsvermeidung und wann Sie auf Informationsaufnahme schalten.

Zugegeben: Wenn Sie in einem Großraumbüro arbeiten, könnte es etwas merkwürdig aussehen, wenn Sie gemütlich angelehnt mit geschlossenen Augen auf Ihrem Bürostuhl sitzen, während um Sie herum alle anderen emsig arbeiten. Aber wer sagt, dass Kreativität nur auf die normalen Bürozeiten beschränkt ist und nur im Büro stattfinden darf? Nicht umsonst hat die Agentur Zum goldenen Hirschen in Ihrer Firmenphilosophie diesen Leitspruch verankert: »Wer 200 Tage im Jahr im Büro sitzt, verblödet.«

Kreativfragen

•  Wohin lenken Menschen ihre Aufmerksamkeit?

•  Wie können wir das nutzen?

Zweites Hindernis: Die Zielgruppe muss sich dem Absender der Botschaft öffnen

Stellen Sie sich vor, Sie schließen einen DSL-Vertrag bei einem Anbieter ab. Wenige Tage nachdem der Anschluss geschaltet wurde, bekommen Sie einen Anruf. Es meldet sich eine sympathische männliche Stimme und fragt Sie: »Hat alles gut geklappt?« Wie reagieren Sie? Wahrscheinlich sind Sie erfreut darüber, dass das Unternehmen Sie so ernst nimmt und sich so sehr für Sie interessiert. Die freundliche Stimme sagt anschließend: »Für Sie als Neukunden haben wir noch ein Willkommensgeschenk.« Wieder einmal freuen Sie sich. Mit so viel Aufmerksamkeit hätten Sie nicht gerechnet. Das »Willkommensgeschenk« entpuppt sich als Probeabo zum Sonderpreis. Ihre DSL-Firma war nicht nett zu Ihnen, sie hat sich auch nicht dafür interessiert, ob Sie ein glücklicher Kunde sind, sondern hat Ihre Daten an einen Zeitschriftenvertrieb weitergegeben, der Ihnen ein Abonnement verkaufen will. Der Trick hat funktioniert: Sie waren dem Anrufer gegenüber offen und erst einmal geneigt, ihm zuzuhören.

Wie hätten Sie reagiert, wenn der Anrufer gesagt hätte: »ABC Zeitschriftenvertrieb, guten Tag. Haben Sie Interesse an einem Abo?« Sie hätten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit über den Anruf beschwert und wütend aufgelegt. Warum? Ihrer DSL-Firma gegenüber sind Sie offen (oder zumindest waren Sie es bis zum Anruf des getarnten Zeitschriftenvertriebs), dem ABC-Zeitschriftenvertrieb gegenüber nicht.

Wie offen sind die Menschen, mit denen Sie kommunizieren wollen, Ihnen gegenüber? Journalisten stehen PR-Agenturen und Pressesprechern kritisch gegenüber. Das ist ihr Job und sie würden ihn schlecht machen, wenn sie PR-Angeboten gegenüber allzu offen sind. Und andere Zielgruppen? Bei ihnen hängt es zum großen Teil davon ab, wie viel kommunikative Erfahrung sie haben und wie kritisch sie sind. Natürlich informiert die Pressestelle eines Pharmakonzerns über die Vorzüge eines neues Medikaments. Doch so sehr sie sich in ihrer Kommunikation bemüht, sie wird nie so viel Glaubwürdigkeit besitzen wie ein anerkannter Professor. Selbst wenn der Professor wortwörtlich den Text der Pressemitteilung wiedergibt, ist die Zielgruppe ihm gegenüber offener.

Entwickeln Sie kreative Strategien, wie Sie Offenheit schaffen können! Unter Umständen macht es wenig bis überhaupt keinen Sinn, die Vorzüge eines bestimmten Produkts oder eines bestimmten Menschen direkt an die gewünschte Zielgruppe zu kommunizieren. Wenn Sie beispielsweise daran denken, Ihren Arbeitgeber zu wechseln oder einen potentiellen Kunden von den Vorzügen Ihrer Agentur zu überzeugen, können Sie natürlich anrufen und sagen, dass Sie gut sind. Doch wie würden Sie reagieren, wenn Sie von jemandem angerufen werden, von dem Sie noch nie gehört haben und der Ihnen seine Qualitäten schildert? Wahrscheinlich wären Sie skeptisch. Aber wie wäre es, wenn ein von Ihnen geschätzter Kollege am Tag zuvor von der phantastischen Arbeit des Anrufers geschwärmt hätte? Mit hoher Wahrscheinlichkeit wären Sie ihm gegenüber offener.

Die Barclays Bank in London hat eine ungewöhnliche PR-Initiative gestartet, mit der sie für Offenheit und ein positives Image sorgt. Die Bank ist der Sponsor für das Londoner Fahrradprogramm, einer Initiative gegen den immer dichter werdenden Stadtverkehr. Durch »Barclays Cycle Hire« hat das Unternehmen immer wieder einen Grund, mit Journalisten und der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten. Viel spannender als nur zu berichten, dass das Kreditvolumen der Bank 100 Milliarden britische Pfund überschritten hat.

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Offenheit schaffen mit Dingen, die bewegen

Auch wenn Sie zu einem Thema eine Umfrage oder eine Studie von einem anerkannten Institut oder einem anerkannten Lehrstuhl durchführen lassen, erhöht das die Offenheit von Journalisten gegenüber einer Information. Das Gleiche gilt, wenn Sie Informationen so gestalten, dass sie in eine positiv besetzte Schublade – beispielsweise Klimaschutz – passen. Aber Achtung! Offenheit hat viel mit Vertrauen zu tun! Sie sollten keinesfalls versuchen, Informationen zu »frisieren«! Gerade Journalisten erkennen Luftblasen schnell und setzen den Absender solcher Medien-Fakes – zu Recht – auf eine schwarze Liste.

Kreativfragen

•  Welchen Absendern von Botschaften vertraut unsere Zielgruppe?

•  Welchen Absendern von Botschaften gegenüber ist unsere Zielgruppe offen?

•  Welches »Label« muss eine Information folglich tragen, damit die Zielgruppe ihr gegenüber positiv aufgeschlossen ist?

Drittes Hindernis: Informationen müssen als wichtig empfunden werden

Wichtigkeit entsteht im Kopf des Empfängers, nicht des Absenders. Wenn Sie ein bestimmtes Thema in Ihrem Unternehmen oder im Unternehmen Ihres Kunden für wichtig halten, bedeutet das noch lange nicht, dass es ein Journalist, ein Zeitungsleser oder ein Fernsehzuschauer auch für wichtig hält.

Der Vorstand eines Unternehmens jubelt, weil nach langen zähen Verhandlungen endlich ein Einstieg in den chinesischen Markt gelungen ist und damit die Erträge langfristig gesichert sind. Dummerweise ist diese Sensation der Lokalzeitung in ihrem Wirtschaftsteil gerade mal eine kleine Meldung wert. Der Vorstand schäumt vor Wut und fordert mehr Berichterstattung. Sie führen eine Pressekonferenz durch, in der der Vorstandsvorsitzende in Begleitung seiner Assistentin den anwesenden Journalisten lange und ausführlich erklärt, wie wichtig das Geschäft für die Region ist. Einer der Journalisten fragt, ob die Assistentin des Vorstands bei den Verhandlungen in China mit dabei war. Am nächsten Tag finden Sie in der Zeitung ein Foto von ihr, darunter die Überschrift: »Die Frau, die den Chinesen den Kopf verdreht.« Der Vorstandsvorsitzende kocht vor Wut: »Sind die denn alle zu blöd?«

Nein, sind sie nicht. Sie haben nur andere Prioritäten. Journalisten haben ein anderes Wertungssystem als Manager. Sie überlegen immer, welche Art von Geschichten bei ihrem Publikum auf Interesse stößt und wie sie Informationen verpacken müssen, damit sie ankommen. Ich arbeite unter anderem mit Fernsehredaktionen zusammen und analysiere, wie sich die Aufbereitung von Informationen auf die Einschaltquote auswirkt. Es gibt nur wenige andere Bereiche im Journalismus, wo sich anhand von Zahlen so genau zeigen lässt, wie das, was eine Redaktion tut, bei den Zuschauern ankommt. Wenn im Fernsehen Themen laufen, die Redakteure für wichtig halten, die Zuschauer aber nicht, bricht die Einschaltquote sofort ein. Wenn Experten es in einem Interview nicht schaffen, sich so auszudrücken, dass Zuschauer sie verstehen, drückt ein Großteil des Publikums kollektiv auf die Umschalttaste.

Es geht so weit, dass Zuschauer Informationen regelrecht vermeiden, die für sie zwar wichtig sind, die jedoch nicht in ihre subjektive Wichtigkeitsskala passen. Wenn ein Fernsehmagazin einem Publikum, das mehrheitlich aus Bewegungsmuffeln besteht, erklärt, dass der Weg zur Gesundheit in regelmäßiger Bewegung besteht, sinkt die Quote: Zwar können diese Informationen Zuschauer vor massiven Gesundheitsproblemen schützen, doch der Bewegungsmuffel will das nicht wissen. Für ihn ist so ein Beitrag unwichtig. Themen wie »Ein Glas Wein täglich schützt das Herz« oder »Die Fitness-Pille« kommen bei diesem Publikumstyp hingegen fantastisch an. Bewegungsmuffel fühlen sich in ihrem Lebensgefühl bestätigt. Für sie ist so ein Beitrag so wichtig, dass sie Freunden und Verwandten stolz davon erzählen und somit jedem demonstrieren, wie gesund sie leben.

Egal wie fachspezifisch eine Meldung ist, egal wie speziell die Zielgruppe ist, eine Meldung, die es nicht schafft, Wichtigkeit zu vermitteln, wird niemals in das Zentrum der Aufmerksamkeit gelangen. Ein typischer Fehler beispielsweise bei Pressemeldungen über Software-Updates und neue Versionen. Die Techniker sind so sehr von ihren eigenen Entwicklungen begeistert, dass sie komplett vergessen: Die Meldung muss für den Leser wichtig sein, nicht für sie. So vermeldet ein Softwarehersteller im August 2010 stolz:

»Die Enterprise Edition 3.3 des führenden Anbieters von Open Source Enterprise Content Management (ECM)-Software ist jetzt für Ubuntu 10.04 LTS Server Edition zertifiziert. Der Stack wurde aufgrund der zunehmenden Marktnachfrage entwickelt und bietet eine leistungsfähige und gleichzeitig kostengünstige Open-Source-Option für Kunden, die eine skalierbare und zuverlässige Plattform benötigen … Nach der Einführung von Ubuntu 10.04 als langfristig unterstützte Version durch Canonical hat unser Unternehmen Qualitätssicherungstests auf Ubuntu in die neueste Enterprise Version 3.3 aufgenommen. Der zertifizierte Stack wurde im Hinblick auf Versionen von MySQL, OpenOffice und OpenJDK getestet, die aus dem Ubuntu Partner Repository und unseren Distributionen entnommen wurden.«

Alles klar? Alles verstanden?

Menschen lassen sich nicht dazu zwingen, Informationen, an denen sie kein Interesse haben, aufzunehmen. Wenn sich jemand partout nicht für Ubuntu interessiert, können Sie ihn 24 Stunden am Tag mit einer Botschaft beschallen, er wird sie ignorieren. Der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth hat das Aufmerksamkeitssystem des menschlichen Gehirns untersucht und sehr gut erklärt, warum manche Informationen partout nicht in den Köpfen der Empfänger ankommen. Roth geht davon aus, dass dem menschlichen Bewusstsein ein Filter im Unterbewusstsein vorgeschaltet ist, d.h., dass es im Kopf eine Bewertungsinstanz gibt, die darüber entscheidet, ob eine Information überhaupt bis in das Bewusstsein vordringt. Man könnte diese Bewertungsinstanz mit einem Spam-Filter vergleichen, der davor bewahren soll, in der Flut der »Natural Viagra«-Mails und der supergünstigen Kreditangebote die wichtigen Mails zu übersehen.

Die Zahl der Informationen, die einen Menschen täglich zwischen dem Erwachen und dem Zubettgehen erreichen, wird auf ca. 10.000 geschätzt. Glenn Wilson, Psychiater am King’s College in London, hat in klinischen Versuchen getestet, was passiert, wenn Menschen diese Informationsflut nicht bewältigen. Er setzte 1.100 Teilnehmer einer konstanten Flut von E-Mails aus. Das Ergebnis: Die Teilnehmer wurden schläfrig und lethargisch. Je mehr Mails sie zu bewältigen hatten, desto mehr verloren sie ihre Fähigkeit, sich auf Dinge zu konzentrieren. Wilson ging sogar noch einen Schritt weiter: Er führte bei den Teilnehmern der Studie vorher und nachher IQ-Tests durch. Das Ergebnis: Die Informationsflut verringerte den IQ der Teilnehmer um zehn Punkte. »Die Ablenkung durch konstante E-Mails, Text- und Telefonbotschaften sind eine größere Gefahr für den IQ und die Konzentration als Cannabis«, schreibt die englische Zeitung Guardian 2005. In Studien von Cannabis-Nutzern hatten Wissenschaftler einen IQ-Verlust von durchschnittlich vier Punkten festgestellt.