Die Bibel erzählt gleich zu Beginn eine wunderbare Geschichte über die Erschaffung des Menschen. Gott selbst formt den Menschen aus der Erde und bläst ihm seinen Lebenshauch ein. So wird der Mensch ein lebendiges Wesen. Gott ist für ihn da. Doch es gibt kein anderes passendes Geschöpf als Gegenüber, mit dem der Mensch in Beziehung treten kann.
Daher schafft Gott die Frau »aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm«, um sicher zu stellen, dass der Mensch ein Gegenüber erhält, das ihm entspricht und ihn ergänzt. Der Mann erkennt begeistert sein Gegenüber: Die Frau – ein Mensch, der ihn darin unterstützen kann, sein Menschsein zu leben. Jemand, in dem er sich wie in einem Spiegel entdecken kann. Mit dieser Frau möchte sich der Mann ganz verbinden.
In diesem Zusammenhang steht in der Bibel der Satz: »Sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht.«
Sich nicht zu schämen scheint für Gott so wichtig zu sein, dass er es uns in der Bibel gleich am Anfang sagt. Warum aber begegnen wir dem Gefühl der Scham so oft in unserem Leben? Was bedeutet es? Gibt es überhaupt ein Leben ohne Scham?
Wenn man die Anfangsgeschichte Gottes mit den Menschen liest, hört man von einem Lebensraum, der voller Liebe, Annahme und Schutz war, so dass sich schämen zwar möglich, aber offensichtlich nicht nötig war. Mich berührt das.
- Denk mal
In welchen Situationen schämst du dich? Was machst du dann?
- Mach mal
Beobachte in den nächsten Tagen einmal, wann du dich schämst, und wann nicht. Schreibe dir deine Gedanken und Beobachtungen dazu auf.
Gott hat uns mit Gefühlen geschaffen. Sie helfen uns zu spüren, ob unser Leben sich gut entwickelt. Alle Gefühle sind wichtig. Sie weisen uns entweder auf unbefriedigte Bedürfnisse hin – dann fühlen wir uns eher »schlecht«. Oder sie bestätigen uns, dass wir gut versorgt sind – dann fühlen wir uns eben »gut«. Alle Gefühle – positive wie negative – dienen dem Leben. Wenn man sich zum Beispiel nicht hungrig fühlen würde, würde man nichts essen. So genannte »negative« Gefühle dienen dazu, uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir etwas zum Leben brauchen.
Neben Nahrung und physischem Schutz brauchen wir von Geburt an Menschen, die sich uns liebevoll zuwenden. Alle Menschen sind auf Beziehung angewiesen. Allein können wir nicht überleben.
Die Schöpfungsgeschichte erzählt uns in bewegenden Bildern etwas über unsere tiefen menschlichen Bedürfnisse: Die ersten Menschen leben im Garten Gottes geschützt und umgeben von Liebe.
Gott hat alles vorbereitet, damit sie ein glückliches und erfülltes Leben haben können. Sie können direkt mit ihm kommunizieren, Beziehung leben und ihn sehen. Zu ihrem Schutz gibt Gott ihnen Anweisungen. Er verbietet ihnen eindringlich den Genuss der todbringenden Frucht, die am Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen hängt. Nachdem sowohl Eva als auch Adam trotzdem davon gegessen haben, fällt ihnen als erstes auf, dass sie nackt sind. Sie fürchten sich. Wovor genau haben sie Angst?
- Denk mal
Welche Gefühle kennst du aus deinem Leben? Welche Gefühle tauchen häufig/weniger häufig auf?
- Mach mal
Achte heute einmal darauf, auf welche Bedürfnisse dich deine Gefühle hinweisen und wie du dann damit umgehst.
Die Schlange hatte Eva versprochen: »Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist, wenn ihr von der verbotenen Frucht esst.« Sowohl der Mann als auch die Frau lassen sich täuschen und wollen mehr sein als nur Mensch. Denn als Menschen sind sie offensichtlich begrenzt. Sie wünschen sich, ohne Einschränkungen, Gebote und Grenzen zu leben. So wie Gott eben.
Was sehen sie aber als erstes, nachdem sie von der Frucht gegessen haben? Es fällt ihnen plötzlich unangenehm auf, dass sie nackt sind. Ihnen fehlt ein Schutz, den sie vorher noch hatten. Sie erleben sich plötzlich bloßgestellt. Das Gefühl der Scham signalisiert ihnen, dass ihr Leben und ihre Identität jetzt bedroht sind und sie etwas tun müssen, um sich zu schützen. Aber was? Was bietet Schutz?
Im Märchen »Des Kaisers neue Kleider« täuschen zwei fremde Weber den Kaiser. Ihr Trick: Sie arbeiten mit der Schamangst und dem Wunsch, mehr zu sein als ein gewöhnlicher Mensch.
Sie behaupten, dass sie besondere Stoffe weben könnten. Jeder, der sie nicht sehen könne, bewiese damit, dass er ein Dummkopf sei. Als der Kaiser seine neuen herrlichen Kleider anzieht, erschrickt er. Er sieht die Kleider nicht. Er läuft in die Schamfalle und kann nicht ehrlich sein. Stolz zeigt er sich derart »bekleidet« schließlich seinem Volk. Alle Untertanen applaudieren. Keiner möchte schließlich als Dummkopf angesehen werden. Nur ein Kind ruft aus: »Der Kaiser ist ja nackt!« Da schämt er sich.
- Denk mal
Möchtest du auch manchmal mehr oder anders sein, als du bist? Welches Bedürfnis steckt dahinter?
- Mach mal
Akzeptiere bewusst Grenzen, die du sonst eher als belastend empfindest. Danke Gott dafür.