Friederike Kempner: Gedichte (Ausgabe 1903)

Cover

[Widmung]

Meiner verewigten Mutter,

der Frau Rittergutsbesitzer

Marie Kempner geb. Aschkenasy.

 

[3] Vorworte

[Vorwort zur 1. Auflage]

Das waren Tage des Glückes, als ich diese Gedichte einzeln schrieb, und jedes derselben, noch kaum entstanden, ihr vorlas.

Ist's möglich, daß solch reine Wonne gleich einem Schatten vorüberziehen, oder gleich dem Untergange der Sonne nichts als ein in Glut getauchtes Rot – die Spur ihres leuchtenden Weges – zurücklassen kann? –

Doch auch die Sonne geht nicht wirklich unter, und auch ihr reines Bild lebt hinter dem Vorhange unserer Zeitlichkeit und lächelt am Ufer dem noch auf den Wellen Spielenden. ....

Die Verfasserin.

[4] Vorwort zur 2. Auflage

Wenn ich der zweiten Auflage meiner Gedichte einige Worte voranschicken soll, so sind es Worte des Dankes an die liebe Lesewelt, welche der ersten Auflage ein so reges Interesse entgegenbrachte, daß nach so kurzer Zeit eine zweite notwendig geworden ist.

Es freute mich unbeschreiblich, daß aus allen Gegenden Deutschlands, von nah und fern, Anfragen und das Verlangen nach diesen Gedichten an mich schriftlich ausgesprochen wurden. Ich bin stolz darauf und ganz besonders davon gerührt, daß alle Farben und Parteien dabei vertreten waren; scheint es doch, als wenn jeder im Innern fühlte, daß es Aufgabe und Ziel der Poesie ist: die Wahrheit für alle zu veranschaulichen, – und durch ihren Sieg dereinst alle zu versöhnen.

Friederikenhof, 1882.

 

Die Verfasserin.

Vorwort zur 3. Auflage

Der dritten Auflage meiner Gedichte, denen ich viele neue hinzugefügt, schicke ich einige Worte des freudigsten Dankes voraus: Dank der liebenswürdigen Lesewelt, welche die 2. Auflage – 1882 erschienen, schon im Mai 1885 vergriffen hatte!

Möge dieser dritten dieselbe Gunst zu teil werden, eine Gunst, die das Glück und den Trost der Verfasserin ausmacht.

Breslau, im April 1884.

 

Die Verfasserin.

[5] Vorwort zur 4. Auflage

Nachdem die dritte Auflage dieser Gedichte, denen ich eine Anzahl neue zur vierten Auflage beifüge, in etwa vier Monaten vergriffen, kann ich nur meinen lebhaftesten Dank wiederholen und nochmals sagen, daß dieses Wohlwollen und diese Sympathie mich rührt und wahrhaft beglückt. Ja, das Bewußtsein, meine Gedanken geteilt zu wissen, erhebt mich zu der freudigen Erwartung, daß auch meine humanen Bestrebungen sich in die Herzen der Menschen immer mehr Bahn brechen und den Sieg über Inhumanität und Unverstand davontragen werden.

Berlin, im November 1884.

 

Die Verfasserin.

Vorwort zur 5. Auflage

Ich habe bei dieser fünften Ausgabe meiner Gedichte wiederum für das überreiche Wohlwollen, welches der vierten Auflage zu teil geworden ist, nur zu danken. Es fehlte freilich auch nicht an anonymer Feindschaft, ja an Haß und Verfolgung niedrigster und widrigster Art, und wie mancher Beherrscher von Rußland, sah ich mich fast täglich von anonymen Briefen heimgesucht, eine Ehre, die ich gar nicht erwartet hätte, die ich aber zu würdigen wußte. Denn gibt es in der Tat ein einziges Streben oder eine einzige Schrift, welche etwas will und nicht angefeindet worden wäre?

Und so kam ich zu der Ueberzeugung, daß denn doch hie und da ein vorurteilsloses, harmloses Gedicht, ein humaner Gedanke, objektiv zur Anschauung gebracht, frei von aller Parteilichkeit, [6] gezündet, d.h. manchen Bösewicht aufgestachelt haben müsse, so daß er zu Dynamit und Gift greifen wollte. Aber Dynamit und Gift sind schlechte Waffen, die sich überlebt haben, und die unparteiische Wahrheit trifft beides nicht, und so hat denn das liebenswürdige Publikum diese gemeinen Angriffe kaum seiner Entrüstung gewürdigt und in seiner reichen Gunst sind die Gedichte ein bleibendes Buch geworden.

Friederikenhof, den 12. Oktober 1887.

 

Die Verfasserin.

Zur 6. Auflage

Mit regem Dankgefühl

Send' ich euch wieder mal

Euch Blätter ohne Zahl

Ins menschliche Gewühl!

Bringt meinen Gruß der Welt

Und habt ihr ihn bestellt,

Verfolget euer Ziel

Und – gleichsam wie im Spiel –

Verkündet allzumal:

Auf Bergen und im Tal,

In Hütte und Königssaal,

Der Schönheit Ideal,

Der Wahrheit Erz und Stahl,

Der Tugend Götterstrahl!

 

Friederikenhof, im Januar 1891.

 

Die Verfasserin.

[7] Vorwort zur 7. Auflage

Der Herr Verleger wünscht ein Vorwort zu dieser neuen Auflage und gern rede ich zu denen, welche mich gelesen haben, und welche mich noch oft lesen werden. Dank sei ihnen vor allen für eine Sympathie, eine Uebereinstimmung, welche mich beglücken, und mich hoffen lassen, daß auch die »neuen Gedichte«, welche ich dieser Auflage eingereiht habe, den Weg zum Herzen der Menschen finden werden. Schrieb ich sie doch in unsrer neuesten, oft so stürmischen Zeit – gleichsam als einen Erguß lyrischen Schmerzes, der sich jedoch bald in heit're Zuversicht auflöste, mit dieser optimistischen heiteren Zuversicht hoffe ich auch, daß die aufbrausenden Partei-Leidenschaften sich bald, wie oftmals die Wellen des Meeres plötzlich beruhigen und zum Wohle unseres Vaterlandes und der ganzen Menschheit der Liebe zu ihm und ihr Platz machen werden! –

Ich hätte manches zu sagen, allein – ein Telegramm verlangt das Vorwort, und so will ich mich damit begnügen, hier nur einer kleinen Episode aus dem Beginn meiner schriftstellerischen Laufbahn zu gedenken, nämlich meiner ersten Gedichte. Ich hielt sie alle versteckt in der fast fieberhaften Unruhe der Ungewißheit, ob ich in Wahrheit eine Dichterin und es wert sei, zu den Herzen der Menschen zu reden, beschloß ich, einem unsrer »größten« Gelehrten, einem Prof. der Botanik und Präsidenten der Akademie der Naturforscher meine Verse zu zeigen, ich wandelte mit hochklopfendem Herzen die langen Oderbrücken der Stadt Breslau entlang nach dem botanischen Garten und wartete lange im Studierzimmer, bis der berühmte achtzigjährige Mann durch den Garten seinem Hause zuschritt. [8] Er fragte freundlich nach meinem Wunsche, ich sagte etwas stockend: ich möchte gern wissen, ob ich wirklich Talent habe – und wurde dabei über und über rot; er sah mich erstaunt an, da ich fast noch ein Kind war, und lächelte fein, bat es sich aber aus, daß ich ihm die wenigen Gedichte dalassen möge, er würde sie gründlich prüfen. Bald darauf erhielt ich ein Schreiben von ihm, dasselbe lautet:

»Sie haben mir mehrere Gedichte zur Beurteilung vorgelegt und mir dadurch das ehrenvolle Vertrauen auf den Takt meines Kunsturteils bewiesen, zugleich aber auch sich selbst ein ehrenvolles Zeugnis ausgestellt, nämlich das, daß es Ihnen ernstlich um ein rücksichtslos ehrliches Urteil zu tun war, weil Sie sich so ziemlich einen von denen aussuchten, denen es am wenigsten einfallen kann, auf Kosten der Wahrheit galant erscheinen zu wollen.

Ich habe mehrere Ihrer Gedichte mit steigender Teilnahme mehr als einmal gelesen und lege mir hier vor Ihren Augen, was ich gern auch mündlich tun würde, Rechenschaft über den Eindruck ab, den sie auf mich gemacht haben; diese Gedichte erscheinen mir als lyrische Dichtungen im wahren Sinne des Wortes, nämlich als Ergüsse eines bewegten, sittlich starken, der Natur offenen, seiner Zeit und ihren großen Ideen gewachsenen, für das Menschliche im Menschen männlich begeisterten Herzens, das seine Empfindungen unmittelbar und mit lebensfrischen Sinnen aus seiner lebendigen Welt schöpft, diese in sich, gleichsam als die eigene Seele, wiederfindet und nun ohne zu grübeln oder beifallssüchtig zu künsteln, rasch wie einen liebenden, bewundernden, richtenden, strafenden Erguß der Leidenschaft auf seine Gefahr rücksichts- und furchtlos hinaus ruft ins Volk, als rede er auf Geheiß der Wahrheit von der Tribüne.

[9] In dieser Leidenschaftlichkeit des lyrischen Ergusses finde ich den Grundzug Ihrer Gedichte, den Grund ihrer Schönheiten wie ihrer Mängel. Lassen Sie doch ja diese Mängel stehen! Sie würden mit jedem solchen weggewischten Fleckchen den Glanz einer Schönheit verschleiern, erwarten Sie nach dieser Erklärung kein detailliertes Urteil von mir. In den Seelen schlummern Taten, die nur erst Gedichte sind und diese werden sich vielleicht schämen vor den kecken Wagnissen solcher Dichtungen, die vielmehr Opfergaben und Taten hingebender Liebe sind. Ihre Naturschilderungen sind groß durch ihre Leidenschaftlichkeit, – und die zarteste Bewunderung des Schönen in der Natur wie im Menschenleben. Am liebsten sind Sie mir freilich, wenn ich so sagen darf, in Ihren Berichten aus den Gebieten der Hölle, des Verrats, der Flucht des Menschlichen unter den Geiselhieben der entfesselten dämonischen Gewalt, und da, wo Sie zu Gericht sitzen über den Abtrünnigen, die Sie noch einmal herbeibeschwören, um ihnen den Text zu lesen.

Ich habe übrigens mehrere Ihrer Gedichte meinem Freunde G. mitgeteilt, der zwar die Feile mehr liebt, als ich, der aber doch im besten mit mir einig und wahrhaft warm wurde. Er hat uns neulich seine »Göttin der Vernunft« gelesen – ein kerniges, tragisches Epos.«

Ich grüße Sie usw.

Ich war überaus glücklich über den Empfang dieses Schreibens, dessen Schönheit mich veranlaßte, seiner hier zu gedenken.

Breslau, den 16. Oktober 1894.

 

Die Verfasserin.

[10] Vorwort zur 8. Auflage meiner Gedichte

Indem ich Dir, lieber Leser und schöne Leserin, zum achten Male meine innersten Gefühle und Gedanken vorlege, hoffe ich, daß keine so große Pause zwischen dieser und der neunten Auflage eintreten wird, wie zwischen der siebenten und der heutigen.

Freilich bestand die siebente Auflage, welche Ende des Jahres 1894 erschienen ist, aus mehreren tausenden Exemplaren und mehrere Kriege: der Spanisch-Amerikanische, der Chinesische, der Transvaalkrieg und mancherlei Bürgerkriege, gehässige, ja blutige, füllten während dieser Zeit die Welt und zogen ihre Blicke von der schönen Literatur ab, um sie auf das wilde Element des Streites und der Parteilichkeit zu lenken. Auch an anarchistischen Meuchelmorden, konfessionellen und religiösen Wirren und Verleumdungen fehlte es nicht in dieser Zeit und sie beschäftigten zur Genüge die Leser; ja die beiden Ungeheuer: Unglaube und Aberglaube, die sich leider um die Herrschaft der Welt streiten, hielten die Gemüter fern von der harmlosen reinen Freude der Poesie, um sie in Angst und Spannung zu versetzen.

Es war eine böse, widerwärtige Zeit und die Ueberzeugung der Verfasserin von der Vortrefflichkeit der menschlichen Natur an und für sich, welche sie in ihrem »Büchlein von der Menschheit« 1 ausgesprochen, hatte so manchen Stoß erlitten. Das war nicht die Welt, die sie im Rahmen ihrer Mutter gesehen und träumen lernte, das war kein Abglanz jener Menschen liebenden Größen, [11] die ihr schon in der Kindheit und in frühester Jugend begegneten, nichts von den Anschauungen Herrmann Wilhelm und Marie Boedekers, da war keine Spur von der uneingeschränktesten Toleranz der beiden opferfreudigen Priester Franz und Anton Marson, kein Schatten von den selbstlosen, ja großmütigen Ansichten Nees von Esenbeck, der die Brüderlichkeit praktisch einführen und Preußen die Leopoldinisch-Carolinische Akademie der Naturforscher trotz allem nicht entziehen wollte, und keine Aehnlichkeit von der weisen, attischen Klarheit des großen Boeckh und seiner Tochter, Frau Professor Gneist. Es war eine harte Zeit der Unliebe. Damals schrieb sie ihre Broschüre »Ein Wort in harter Zeit« 2 und mißmutig, wie s. Z. Grillparzer, zog sie sich in die Einsamkeit zurück und manchmal sagte sie zu sich selber: »Wie schwer wird es einem gemacht, das Gute zu tun.« Aber verzagt hat sie nicht, weder an der Menschlichkeit noch an der Erreichung des Guten und niemals an der Gnade Gottes, der sie das große Ziel zum Wohle aller, welches sie trotz mancher Stürme verfolgte, und das sie für ihr eigenes Wohl und Wehe fast unempfindlich macht, ganz nach ihrer Ueberzeugung erreichen lassen wird. Das walte Gott.

Nun, lieber Leser und schöne Leserin, überreiche ich Dir mit dieser neuen Ausgabe auch mehrere neue Gedichte, auch sie kommen von Herzen, wie alle meine Gedichte und werden Dir daher, wie ich hoffe, auch zu Herzen gehen.

Möge mit ihrem Erscheinen auch eine ideellere, wahrhaft humane Zeit eintreten.

Friederikenhof, den 1. März 1903.

 

Die Verfasserin.

Fußnoten

1 Verlag von Paul Grüger-Berlin.

2 Zu beziehen durch die Verlagsbuchhandlung.

 

[1] Das Vöglein

Vöglein, Vöglein mit den Schwingen,

Mit den Äuglein schwarz und klein,

Laß uns mit einander singen,

Laß uns liebe Freunde sein!

 

Vöglein hüpfte auf den Bäumen,

Endlich es mit Sang begann:

Du kannst nur von Freiheit träumen,

Dich seh' ich als Fremdling an!

 

Mensch, auch Du hast Deine Schwingen,

Äuglein klar und hell und rein,

Könntest Freiheit dir erringen,

Dann erst laß uns Freunde sein!

[2] Abdel-Kaders Traum

Wolkenloses himmlisches Gewölbe,

Unter mächt'gen Palmen Purpurzelt,

Eine Reiter-Karawane hält,

Auf dem Boden Wüstensand, der gelbe.

 

Krachend unterirdisches Gewölbe,

Fünfzehnhundert Leichen, tiefentstellt, –

Jede Leiche war ein wackrer Held, –

Speit die Flamme rasselnd aus, die gelbe.

 

Solch' ein Traumbild Abdelkader grüßte,

Trunken er der Heimat Boden küßte:

»Allah, Allah« – ruft er, – »meine Wüste!«

 

»Pellissier, Dein fürchterlicher Brand!« –

Plötzlich sich der Held im Traum ermannt,

Seine Blicke trafen Kerkerswand! –

[3] Antibrüderlichkeit

Sterne, könnt ihr freundlich glänzen,

Wenn das Unerhörteste geschehen,

Könnt ihr gleichgültig herniedersehen,

Wenn das Böse sie bekränzen?

Wenn ein Funken in euch sprühet,

Sterne lodert auf in hellen Flammen,

Nur mit Flammen könnet ihr verdammen,

Was auf Erden hier geschiehet.

 

Und Du Erde stille kalte

Birgst in Tiefen Du nicht Feuerschlünde?

Hast Du keine für die ärgste Sünde?

Rüttle Dich, Du kräft'ge Alte!

Spei sie aus mit einem Zuge:

Unterwelt und heil'ges Himmelsfeuer,

Schlagt zusammen über Ungeheuer,

Und geheuer wird's im Fluge.

[4] Motto

Sei ein Mensch, hab' ein Herz

Unter Millionen,

Wie ein Fels, wie ein Stern,

Stehe fest, leuchte fern,

Setz' die Welt in Staunen!

 

Sei ein Mensch, hab' ein Herz

Für die Millionen,

Wenn's der Tor auch Wahnsinn nennt,

Weil er keine Weisheit kennt,

Kannst Du drüber staunen?

 

Sei ein Geist, schür' die Glut

Unter Millionen,

Selber heiß, selber glüh',

Fürchte nie, raste nie,

Setz' die Kraft in Staunen.

 

Sei ein Geist, schür' die Glut

Unter Millionen,

Laß auf Erden eine Spur,

Ahne sie und lächle nur,

Es giebt sichre Kronen.

 

[5]

Sei ein Geist, schür' die Glut

Unter Millionen,

Wie am Himmel still ein Stern,

Wirke lächelnd, scheide gern,

Alles wird sich lohnen!

 

Der Invalide

Ein alter Mann mit grauen Haaren,

Tiefbraun von Hand und Angesicht,

Aus dem, so stark die Glieder waren,

Hohnfrei ein stilles Lächeln spricht.

 

Mit blauen Augen, sanft, voll Leben,

Wie mancher friedlich deutsche Strom,

Und wie die Heil'gen sie erheben

Im stolzen Vatikan zu Rom.

 

Es spielt auf off'nem Markt die Leier,

Der arme, alte Invalid',

Von trüben Zeiten, – alter, neuer,

Singt er dazu ein hübsches Lied:

 

»Oed' und verlassen

Nah' ich dem Grab,

Spielet ihr Lüfte,

Sanft mich hinab!

 

[6]

Vieles erlitten,

Kämpfend erstrebt,

Für Deutschland gestritten,

Für Deutschland gelebt.

 

Und eifrig geliebet

Menschen und Gott,

Menschen, sie blieben

Fern in der Not!

 

Oed' und verlassen

Nah' ich dem Grab,

Spielet ihr Lüfte,

Sanft mich hinab! –«

 

Viel' Leute geh'n an ihm vorüber,

Die meisten sehen gar nicht auf,

Sein sanfter Blick wird trüb' und trüber,

Doch spielt er immer wacker auf.

 

Der Abend naht, die Sonne sinket,

Der Alte packt die Leier ein,

Im Auge eine Träne blinket,

Er seufzt: man soll zufrieden sein!

 

[7]

Ich dachte heute nicht zu fasten,

Und hofft' auf frisches Lagerstroh!

Komm', alter, lieber Leierkasten,

Man hofft, doch wirds nicht immer so!

 

Es waren freilich kühne Pläne,

Doch Niemand hat mich angeschaut,

Man zahlt nun nicht mehr solche Töne:

Was fang' ich an in meiner Not?

 

»Und« – spricht er stockend und verlegen,

»Ich weiß nicht, red' ich Jemand an?

Es ist an mir nicht viel gelegen,

Doch ganz man nicht verhungern kann!«

 

»Herr« – fleht er endlich einen Reichen,

»Sie borgen wohl acht Pfenn'ge mir? –«

»Mein Freund, man borgt nicht eures Gleichen,

Und Bettlern geben selten wir.« –

 

»Als Bettler ward ich nicht geboren,

Ein Bettler wird man erst alsdann –

– Lehrt sanft der Greis den tauben Ohren,

Wenn man sich nicht mehr helfen kann!« –

 

[8]

Ein Knabe zieht die Straß' herunter,

Mit Rosenbüscheln zum Verkauf,

Der kleine Proletarier, munter,

Horcht bei des Alten Stimme auf.

 

»Herr«, spricht der Knabe sehr verlegen,

»Ich hab' den Greis zwar nie gekannt,

Doch, wenn Sie einen Argwohn hegen,

So bleib' ich Ihnen gern zum Pfand!« –

 

»Der arme Mann« – fleht er mit Beben,

»Er spielt den ganzen Tag schon hier,

Und kann die Arme kaum mehr heben,

Etwas verdient er schon dafür!«

 

»Erbarmen Sie sich seines Lebens,

Er bringt das Geld schon morgen her,« –

– So fleht der Knabe, ach vergebens,

Der harte Reiche hört nichts mehr.

 

»Hört«, spricht zum Invalid der Knabe,

»Ich bind' ein Sträußchen für Euch los,

's ist freilich eine kleine Gabe,

Doch dies allein besitz' ich bloß!«

 

[9]

Es wankt der Greis in seine Wohnung,

Wirft matt sich auf das faule Stroh,

»Ach,« – seufzt er bitter – »ohne Schonung

Behandelt man den Armen so?«

 

Die Nacht ging langsam ihm vorüber,

Es auf dem kalten Boden graut,

Da leuchtet wunderbar herüber

Ein herrlich lichtes Morgenrot.

 

Die Leier lag zu seinen Füßen,

Und dicht das Sträußchen rosenrot,

Der schöne Kopf auf grobem Kissen:

Der brave Invalid war tot. –

 

[Holdes Blümlein, Du willst nützen]

Holdes Blümlein, Du willst nützen,

Auf der weiten grünen Au?

Sieh', die Sonne scheint so golden,

Und der Himmel, er ist blau!

 

Hohe Pläne, kühne Pläne

Werden Dir das Blut erhitzen,

Holdes Blümlein, um Dich schau:

Pläne werden meistens grau.

 

[10]

Röselein sich tiefer bückte,

Was das kleine Herz entzückte.

Kalter Zweifel will's ihm rauben!

»An das Schöne will ich glauben«

– Sprach es – »ob auch Blättlein sich entlauben«

Und dem Röslein alles glückte! –

 

[Auf und nieder steigt die Welle]

Auf und nieder steigt die Welle,

Auf und nieder steigt die Nacht,

Und der Sterne Glanz und Pracht

Wechseln mit des Tages Helle.

 

Ew'ger Wechsel, Nacht und Helle,

Grüne Matten, dunkler Schacht,

Sprich, was siehst Du auf der Wacht,

Steigend auf die festen Wälle?

 

Moder, Moder aus den Grüften,

Blumendüfte in den Lüften,

Manchen Geist, ach, schwergeprüften.

 

Eine Welt, die Alles preist,

Was da Glanz und Schimmer heißt,

Und das Böse vorwärts reißt! –

[11] Gegen die Einzelhaft

Allein, allein, doch nicht auf freier Erde,

In einer Zelle engem Raum allein –

Dämonen steigen auf im düstren Schrein,

Als Ton ein Schrei, – als Bild wahnsinnige Geberde.

 

Nacht – Tag – Nichts – Nichts – die Zeit, sie stehet stille,

Das Herz steht gleichfalls still – im Innern bebt's,

Von außen – Eis und Tod – im Innern lebt's,

Im Innern kocht und bäumet sich des Menschen Wille.

 

Des Menschen Wille! Groß und Furien ähnlich,

Kleinmütig, schwach! Barmherzigkeit, ich fleh':

»Werft mich hinab in schäumend wilde See,