An die Frauen.
Die kleinen Lieder weih' ich euch, ihr Lieben!
O laßt sie gern zu euren Herzen gehn!
Das Herz, das Herz allein, kann sie verstehn,
Dieweil sie einzig nur das Herz geschrieben.
Sie schrieb gelehrtes Wissen nicht, nicht Kunst,
Nach solchen hat's den Dichter nie getrieben,
Ihn treibt es nur nach lieber Frauen Gunst,
Und nur ihr Mangel könnt' sein Herz betrüben.
Justinus Kerner.
1824.
Herz! gedenkst du noch der Stelle,
Wo einst unser Frühling war,
Lustnaus üpp'ger Blütenbäume,
Der verlassenen Kapelle,
Jenes Himmels wunderklar?
Ach! es waren kurze Träume,
Schmerz der Trennung lange Jahr'!
Herz vom Herzen weggerissen,
Wandelnd in der Fremde bang,
Ward dein Stern dein frommer Glaube,
Meiner in den Finsternissen
Meine Liebe, mein Gesang;
So der Welt ward keins zum Raube,
Bis ich gänzlich dich errang.
Jetzt, was kaum ich sah in Träumen,
Bildete sich wirklich aus!
An dem Berg der Frauentreue
Stehet unter grünen Bäumen
Freundlich unser kleines Haus,
[21]Und geliebter Kinder dreie
Hüpfen fröhlich ein und aus.
Und dahin sind Schmerz und Sehnen,
Die das Lied in mir erregt,
Auch das scherzende, – entsprungen
Ist auch dies nur stillen Tränen,
Nur dem Gram, der mich bewegt.
Herz! – und ich hab' ausgesungen,
Weil du allen Schmerz gelegt.
1847.
O süße Täuschung! ja! den Friedensbogen
Hast du wohl oft ums kampfesmüde Haupt,
Wenn ich nicht mehr gehoffet und geglaubt,
Ein Engel, mir mit milder Hand gezogen.
Und wie man Öl gießt in die stürm'schen Wogen
Des Meeres, daß sich lege ihre Wut,
So gossest du mir oft ins stürm'sche Blut
Ein Öl, das es zur Ruhe hat bewogen.
Doch sieh! der Grundton meines Lebens ist
Der Schmerz, den du mir scheinbar nur entrissen,
Im Innern fort der Born des Schmerzes fließt,
Wenn außen auch die Lippen lächeln müssen.
Mein kleines Lied, das nur des Schmerzens Kind,
Wird wie der Born des Schmerzens niemals stocken,
Wird tönen fort, verhallend in die Glocken,
Die euch Verkünd'ger meines Todes sind.
»Wohin soll den Fuß ich lenken, ich, ein fremder Wandersmann,
Daß ich eure Dichterschule, gute Schwaben, finden kann?«
Fremder Wanderer! o gerne will ich solches sagen dir:
Geh durch diese lichte Matten in das dunkle Waldrevier,
Wo die Tanne steht, die hohe, die als Mast einst schifft durchs Meer;
Wo von Zweig zu Zweig sich schwinget singend lust'ger Vögel Heer;
Wo das Reh mit klaren Augen aus dem dunkeln Dickicht sieht
Und der Hirsch, der schlanke, setzet über Felsen von Granit;
Trete dann aus Waldes Dunkel, wo im goldnen Sonnenstrahl
Grüßen Berge dich voll Reben, Neckars Blau im tiefen Tal;
Wo ein goldnes Meer von Ähren durch die Ebnen wogt und wallt,
Drüber in den blauen Lüften Jubelruf der Lerche schallt;
Wo der Winzer, wo der Schnitter singt ein Lied durch Berg und Flur:
Da ist schwäb'scher Dichter Schule, und ihr Meister heißt – Natur!
Poesie ist tiefes Schmerzen,
Und es kommt das echte Lied
Einzig aus dem Menschenherzen,
Das ein tiefes Leid durchglüht.
Doch die höchsten Poesien
Schweigen wie der höchste Schmerz,
Nur wie Geisterschatten ziehen
Stumm sie durchs gebrochne Herz.
Rühme dich auf dieser Welt,
Mensch! nicht deines eignen Lichts!
Sonnen sind ob dich gestellt,
Gegen die dein Schein ein Nichts.
Kannst hier hoffen, glauben nur,
Bitten, doch erzwingen nicht,
Nicht verändert's die Natur,
Wenn ein Menschenherz zerbricht.
Hoffe: daß durch Todesnacht
Gott dich führt in Sonnen ein –
Was er immer mit dir macht,
Du bist dein nicht, du bist sein.
Sei demütig wie das Blatt,
Das im Herbst vom Baume geht,
Niemals das geklaget hat,
Daß es jetzt der Sturm verweht.
Mich freute herzlich, herzlich, traun!
So oft ich es gesehen,
Stets springen, niemals gehen,
Ein Büblein, ganz kastanienbraun.
Es war so frisch, so munter, ach!
Kam wo ein Pferd gesprungen,
Sah man den braunen Jungen
Ihm rennen wie ein Windspiel nach.
[24]
Wo ist dein Büblein, Mutter? – weh!
Du führst mich in die Kammer,
Da liegt – o herber Jammer! –
Dein braunes Büblein weiß wie Schnee.
Der Wind weht durch sein Sarggewand,
Die Fenster stehen offen,
Die Uhr ist abgeloffen,
Tautropfen rinnen ab die Wand.
Hörest du die Glocke schallen?
Ach! kein Zephir rühret sie!
Nur der Schlag des schweren Hammers
Lockt aus ihr die Harmonie.
Einer Glocke zu vergleichen
Ist des Sängers armes Herz,
Soll's in Harmonie ertönen,
Muß es leiden Schlag und Schmerz.
So ein Schlag aufs bange Herze
Ist's auch einzig, was gemacht,
Daß in mir dies Lied erklungen
Bei dem Schlag der Mitternacht.
Jüngsthin hört' ich, wie die Rebe
Mit der Tanne sprach und schalt:
»Stolze! himmelwärts dich hebe,
Dennoch bleibst du starr und kalt!
Spend' auch ich nur kargen Schatten
Wegemüden, gleich wie du,
Führet doch mein Saft die Matten,
O wie leicht! der Heimat zu.
Und im Herbste, – welche Wonne
Bring' ich in des Menschen Haus!
Schaff' ihm eine neue Sonne,
Wann die alte löschet aus.«
So sich brüstend sprach die Rebe;
Doch die Tanne blieb nicht stumm,
[25]Säuselnd sprach sie: »Gerne gebe
Ich dir, Rebe, Preis und Ruhm.
Eines doch ist mir beschieden:
Mehr zu laben, als dein Wein,
Lebensmüde; – welchen Frieden
Schließen meine Bretter ein!«
Ob die Rebe sich gefangen
Gab der Tanne, weiß ich nicht;
Doch sie schwieg, – und Tränen hangen
Sah ich ihr am Auge licht.
Ein Saumtier träget still
Und sanft die Zentnerlast,
Wohin der Treiber will,
Begehrend keine Rast.
Ein Wagen rollt daher,
Die Schildkröt' ihm nicht weicht,
Und wär' er noch so schwer,
Trägt seine Last sie leicht.
Doch all die Last ist Scherz,
Bedenkst du das Gewicht,
Das oft ein Menschenherz
Still träget und nicht bricht.
Es kommt mein Freund, schon hör' ich laut ihn singen,
Der Sturmwind ist es, der mit mächt'gen Schwingen
Hinfähret durch die finstre Mitternacht,
Sein Lied hat mich aus trägem Schlaf gebracht.
Der Wälder Rauschen und des Wassers Wogen,
Der Wolken Tanz am finstern Himmelsbogen
Und drein des Sturmes donnergleiches Lied
Mit Macht hinaus in die Natur mich zieht.
Da möcht' ich mich mit ihm so ganz verweben,
Ein Luftgeist – singend mit dem Sturme schweben,
Mit Wäldern, Bergen und dem Meer im Bund,
Nicht mehr genannt von eines Menschen Mund.
[26]
Sturm! sing dein Donnerlied, Luftgeisterheere
Einstimmend – fahrt mit ihm durch Land und Meere!
Noch hält der Erde Band fest meinen Geist.
Doch Lust! zu wissen, daß dies Band zerreißt.
Dann heb mich auf, o Sturm! mit deinen Schwingen,
Dann, Freund! laß mich dein Donnerlied mitsingen,
Mitfliegen laß mich über Land und Flur
Wie du – ein Teil der schaffenden Natur.
Herz! – wie bist du inniglich
Mit dem Auge doch verbunden!
Schlägt die Welt dir blut'ge Wunden,
Zeigt im Aug' die Träne sich.
Aber wird dir Wonne, Herz!
Sonnig dann das Auge funkelt!
So wie's wieder sich verdunkelt,
Kehrt in dich zurück der Schmerz.
Grün das kranke Auge hellt –
Bist du, Herz, in Weh und Nöten;
Schneller als der Menschen Reden
Heilt dich 's Grün in Wald und Feld.
Das Auge und das Herze sind
Zwei Liebende, eng im Verein,
Wenn lang das Herze leidet Pein,
Wird gern das Auge trüb und blind.
Und wird das Auge blind und trüb,
Das Herze gern im Tode bricht;
»Gern brech' ich,« es zum Auge spricht,
»Dann siehst du wieder, treues Lieb!«
Wohl müßt' ich herzlich weinen,
Herz! wärst du wirklich tot,
Und könnt' mich nichts mehr einen
Mit dir in Freud' und Not.
[27]
Doch, sieh, seit du gestorben
(Weiß nicht, wie mir geschah),
Hab' ich dich erst erworben,
Herz, bist du erst mir nah.
Nicht Berg' und Tale trennen,
O Herz! mich mehr von dir,
Leis darf ich dich nur nennen,
Da bist du schon bei mir;
Dann legt sich schnell die Welle
Im Herzen stürmischtrüb,
Und in mir wird es helle
Und um mich alles lieb.
Die andern nicht begreifen,
Was Sel'ges ich ersah!
Was die nicht schauen, greifen,
Das ist für sie nicht da.
Die wissen nichts von drüben,
Die wissen nur von hier,
Nicht wie sich Geister lieben,
Doch, Herz! – das wissen wir!
Trifft ein Leid ein Herz voll Kummer,
Wird das minder aufgeschreckt,
Als wenn Leid aus seinem Schlummer
Ein Herz, das in Lust ist, weckt.
Da im Leben mich verlassen
Schmerz kaum einen Augenblick,
Kann ich mich, kommt neuer, fassen, –
So ist Unglück oft ein Glück.
Nanntest eine Leidensblume mich in deiner Liebe, Freund!
Fühle nichts von solcher Blume, doch du hast es gut gemeint.
Aber immer wird mir klarer, daß ich eine Distel bin,
Eine Distel, üppig blühend, ästevoll und saftig grün.
Was den Glauben mir gegeben, ist, ich sag' dir's traulich still,
Das, daß eine Herde Esel immerdar mich fressen will.
Die Sterne überm Tale stehn,
Das Mühlrad nur man höret,
Zum kranken Müller muß ich gehn,
Er hat den Freund begehret.
Ich steig' hinab den Felsenstein,
Es donnert dumpf die Mühle,
Und eine Glocke tönt darein:
»Die Arbeit ist am Ziele!«
In Müllers Kammer tret' ich nun:
Starr liegt des Greisen Hülle,
Es stockt sein Herz, die Pulse ruhn,
Und draußen auch wird's stille.
Die treuen Lieben weinen sehr,
Still bleibt sein Herz und kühle;
Die Wasser fließen wohl daher,
Still aber steht die Mühle.
Laßt mich im Gras und Blumen liegen
Und schaun dem blauen Himmel zu:
Wie goldne Wolken ihn durchfliegen,
In ihm ein Falke kreist in Ruh'.
Die blaue Stille stört dort oben
Kein Dampfer und kein Segelschiff,
Kein Menschentritt, kein Pferdetoben,
Nicht des Dampfwagens wilder Pfiff.
Laßt satt mich schauen in die Klarheit,
In diesen keuschen, sel'gen Raum,
Denn bald könnt' werden ja zur Wahrheit
Das Fliegen, der unsel'ge Traum.
Dann flieht der Vogel aus den Lüften
Wie aus dem Rhein der Salme schon,
Und wo einst singend Lerchen schifften,
Schifft grämlich stumm Britannias Sohn.
Blick' ich gen Himmel, zu gewahren,
Warum's so plötzlich dunkel sei,
Erschau' ich einen Zug von Waren,
Der an der Sonne schifft vorbei.
[29]
Fühl' Regen ich im Sonnenscheine,
Such' ich den Regenbogen keck,
Ist es kein Regen, wie ich meine,
Ward in der Luft ein Ölfaß leck.
Laßt schaun mich von dem Erdgetümmel
Zum Himmel, eh' es ist zu spät,
Eh' wie vom Erdball so vom Himmel
Die Poesie still trauernd geht.
Verzeiht dies Lied des Dichters Grolle,
Träumt er von solchem Himmelsgraus,
Er, den die Zeit, die dampfestolle,
Schließt von der Erde lieblos aus.
Daß es jüngst geregnet hat,
Zeigt der Tropfe auf dem Blatt,
Und wenn naß die Augen sind,
Sieht man, daß geweint ein Kind.
Blatt saugt bald die Tropfen ein,
Bald wird's Auge trocken sein.
Scheint die Sonne wieder klar,
Weiß man nicht, daß Regen war.
Ausgetrocknet zu Gerippen
Sitzen in des Wahnsinns Haus
Vier; – von ihren bleichen Lippen
Gehet keine Rede aus;
Sitzen starr sich gegenüber,
Blickend immer hohler, trüber.
Doch schlägt Mitternacht die Stunde,
Sträubet sich ihr Haar empor,
Und dann tönt aus ihrem Munde
Jedesmal in dumpfem Chor:
»Dies irae, dies illa
Solvet secla in favilla.«
Waren einst vier schlimme Brüder,
Hatten nur gezecht, gelärmt,
Beim Gesang verbuhlter Lieder
[30]Durch die heil'ge Nacht geschwärmt;
Keines freundlichen Beraters
Warnung half, kein Wort des Vaters.
Noch im Sterben sprach der Alte
Zu den schlimmen Söhnen vier:
»Warnt euch nicht der Tod, der kalte?
Alles führt er fort von hier:
Dies irae, dies illa
Solvet secla in favilla.«
Und er sprach's und war verschieden,
Jene aber rührt' es nicht;
Doch er ging zum ew'gen Frieden,
Jene, wie zum Hochgericht,
Treibt es in der Welt Getümmel,
Nah der Hölle, fern dem Himmel.
Und gebuhlet und geschwärmet
Ward es wieder lange Jahr',
Andrer Not sie nie gehärmet,
Keinem greiser ward das Haar.
»Lust'ge Brüder! habt nicht Zweifel:
Eine Mär ist Gott und Teufel.«
Einst, als Mitternacht gekommen,
Kehrten taumelnd sie vom Schmaus;
Horch! da tönt Gesang der Frommen
Aus dem nahen Gotteshaus.
»Lasset euer Bell'n, ihr Hunde!«
Schreien sie aus Satans Munde.
Stürzen die verruchten Wichte
Brüllend durch das heil'ge Tor;
Aber wie zum Weltgerichte
Tönet hier der ernste Chor:
»Dies irae, dies illa
Solvet secla in favilla.«
Und ihr Mund weit steht er offen,
Doch kein Wörtlein aus ihm geht;
Gottes Zorn hat sie getroffen,
Jeder wie ein Steinbild steht,
Grau die Haare, bleich die Wangen,
Wahnsinn hat ihr Haupt befangen.
[31]
Ausgetrocknet zu Gerippen,
Sitzen in des Wahnsinns Haus
Nun die vier, – von ihren Lippen
Gehet keine Rede aus,
Sitzen starr sich gegenüber,
Blickend immer hohler, trüber.
Doch schlägt Mitternacht die Stunde,
Sträubet sich ihr Haar empor,
Und dann tönt aus ihrem Munde
Jedesmal in dumpfem Chor:
»Dies irae, dies illa
Solvet secla in favila.«
Wohl gehest du an Liebeshand,
Ein übersel'ger Mann;
Ich geh' allein, doch mit mir geht,
Was mich beglücken kann
Es ist des Himmels heilig Blau,
Der Auen Blumenpracht,
Einsamer Nachtigallen Schlag
In alter Wälder Nacht.
Es ist der Wolke stiller Lauf,
Lebend'ger Wasser Zug,
Der grünen Saaten wogend Meer
Und leichter Vögel Flug.
Du ruhst im zarten Frauenarm,
Am Rosenmund voll Duft;
Einsam geh' ich, im Mantel spielt
Die kühle Abendluft.
Es kommt kein Wandrer mehr des Wegs,
Der Vogel ruht im Baum;
Ich schreite durch die düstre Nacht,
In mir den hellsten Traum.
(Nr. 140. Bildnis einer unbekannten Frau in schwarzer Kleidung, von Hans Grimmer.)
Mein heiliger Mauritius!
So oft in deiner Kirche Mauern
[32]Von einem Bild ich scheiden muß,
Faßt mich ein sehnsuchtsvolles Trauern.
Gib, Heil'ger! daß in dieser Stund'
Doch endlich ich zum Sprechen wecke
Dies Frauenbild mit stummem Mund,
Dort hängend in mittäg'ger Ecke.
O du mit Augen sanft und licht,
Altdeutsches, liebes Frauenwesen,
Lang lauschend, ob dein Mund nicht spricht,
Bin ich schon oft allhier gewesen.
Dein weißes Häubchen, ach wie traut!
Dein schwarz Gewand, wie fromm und sittig!
Dein Mund, als spräch' er – doch kein Laut!
O um ein einz'ges Wörtchen bitt' ich.
Bist Leben ganz, blickst an mich ja,
Als wolltest du mir etwas sagen,
Wohl ein Gebet, ein Lied etwa,
Aus alter Zeiten frommen Tagen.
Sprich nur! ich knie, ich bet' dir nach!
Mauritius! jetzt laß es sprechen!
Ich bet'! bet' mit! – Kein Wörtchen, ach!
Stumm! stumm! – Es möcht' das Herz mir brechen!
Und abermals muß ich von hier,
Erfuhr nicht, was es mir wollt' sagen.
Mauritius! das muß ich dir,
Schutzheil'gem dieser Kirche, klagen.
Was duftet von des Berges Haupt
So tief ins Tal hinab?
Die Rebe ist's, die neubelaubt
Sich blühend hebt am Stab.
Was regt sich in des Hauses Grund,
In den Gewölben tief?
Der Wein ist's, der in Fasses Rund
Schon längst gebunden schlief.
Die Blüte hat ihn aufgeregt,
Der Duft im Heimatland,
Daß er, von Sehnsucht tiefbewegt,
Will sprengen jetzt sein Band.
[33]
Zwingherren, Freunde, sind wir nicht,
Bringt die Pokale her!
Und laßt den Armen jetzt ans Licht,
Wie er es wünscht so sehr!
Und singend hebt dem Berge zu
Den schäumenden Pokal:
»Befreier, siehst die Heimat du
In Duft und Sonnenstrahl?«
Seht, wie mit tausend Augen er
Die Heimat schaut entzückt,
Aus der die Rebe blütenschwer
Ihm in die Augen blickt!
Er braust, er singt: »Willkommen du,
O Heimat voller Licht!
Und jetzt, ihr Lieben! trinkt nur zu!
Ich bin der letzte nicht!«
Du edler Saft! du dringst mit Macht
Uns in das Herz hinein!
Wohlan! stoßt an! du sollst gebracht
Der teuren Heimat sein!
Und dem, der irrt am fremden Strand,
Und dem in Kerkernot,
Daß ihm erschein' sein Heimatland
Wie dir noch vor dem Tod.
Es tönt der Bach wie klagend
Dem Wandersmanne sagend:
In mir auch wohnt ein Leid.
Es rauschen drein die Bäume,
Erzählen ihre Träume
Der grünen Einsamkeit.
Der Vogel singt in Lüften
Sein Leid aus, – aus in Düften
Strömt es die Blum' der Flur.
Und oft ertönt's in Nächten,
Als ob uns Lüfte brächten
Wehlaute der Natur.
[34]
Und schweigen sollt' alleine,
Auf daß es fröhlich scheine,
Ein volles Menschenherz?
Nicht singen sollt's, nichts sagen,
Stumm dulden, niemand klagen,
Wie es zerreißt der Schmerz?
In einem dunklen Tal
Lag jüngst ich träumend nieder,
Da sah ich einen Strahl
Von meiner Heimat wieder.
Auf morgenroter Au
War Vaters Haus gelegen;
Wie war der Himmel blau!
Die Flur wie reich an Segen!
Wie war mein Heimatland
Voll Gold und Rosenhelle!
Doch bald der Traum verschwand,
Schmerz trat an seine Stelle.
Da irrt' ich weit hinaus
Ins öde Land voll Sehnen;
Noch irr' ich, such' das Haus
Und find' es nicht vor Tränen.
Die Straßen, die ich gehe,
So oft ich um mich sehe,
Sie bleiben fremd doch mir.
Herberg', wo ich möcht' weilen,
Ich kann sie nicht ereilen,
Weit, weit ist sie von hier.
So fremd mir anzuschauen
Sind diese Städt' und Auen,
Die Burgen stumm und tot!
Doch fern Gebirge ragen,
Die meine Heimat tragen,
Ein ewig Morgenrot.
Die echte Träne bleibt im Auge stillestehn,
Sie fällt zur Erde nicht, kein andres darf sie sehn,
Kein andres spricht von ihr in Mitleid nicht noch Spott,
Daß sie geweinet ward, weiß eines nur und Gott.
Es steht in alten Schloßruinen,
Halb Trümmer, Themis' Steinbild noch,
Ich sah es, wie ein Stern geschienen
Durch der zerrißnen Wage Loch.
Da dacht' ich: ist auch hier zertrümmert
Die Wage der Gerechtigkeit,
Der Stern, der durch den Riß dort schimmert,
Der sieht und wägt, o Mensch! dein Leid.
Auf dürrer Heide geht
Ein armer Wandersmann,
Kein kühlend Lüftchen weht,
Das ihn erquicken kann.
Er schaut landein, landaus,
Horcht, keine Quelle fließt,
Blickt, sieht nicht Wald, nicht Haus,
So schattend ihn umschließt.
Er kann nicht weitergehn,
Er sinkt aufs dürre Moos: –
Doch sieh! auf Bergeshöhn
Erblickt er jetzt ein Schloß.
»O Kranker, freue dich!
Das nimmt dich gastlich auf!«
Er rafft zusammen sich,
Er eilt den Berg hinauf.
Und als er auf den Höhn –
Kein Schloß ersieht er mehr,
Sieht eine Wolke stehn,
Die bald hinstirbt wie er.
O Fruchtbaum auf der Aue frei,
Wie bist du zu beneiden!
Jedweder Lenz tut dich aufs neu'
Mit Blüten licht bekleiden!
Dem armen Menschen unter dir
Ist andres Los beschieden!
Trug er die Frucht, muß er von hier,
Und nimmer treibt er Blüten.
Andreas an Anna.
Liebes Mädchen! sahst du nicht, wie gestern
Ich auf hohem Berge lang gelegen,
Blickend auf das weiße Kreuz im Tale,
Das die Flügel deines Fensters bilden!
Glaubt' ich schon, du kämst durchs Tal gewandelt,
Sprang ich auf, da war's ein weißes Blümlein,
Das sich täuschend mir vors Auge stellte.
Lange harrt' ich, aber endlich breiten
Auseinander sich des Fensters Flügel,
Und an seinem weißen Kreuze stehst du,
Berg und Tal ein stiller Friedensengel.
Vöglein ziehen nah an dir vorüber,
Täublein sitzen auf dem nahen Dache,
Kommt der Mond, und kommen alle Sterne,
Blicken all dir keck ins blaue Auge.
Steh' ich einsam, einsam in der Ferne,
Habe keine Flügel hinzufliegen,
Habe keine Strahlen hinzusenden,
Steh' ich einsam, einsam in der Ferne!
Gehst du, sprech' ich mit verhaltnen Tränen:
»Ruhet süß, ihr lieben, lieben Augen!
Ruhet süß, ihr weißen, weißen Lilgen!
Ruhet süß, ihr lieben, lieben Hände!«
Sprachen's nach die Sterne an dem Himmel,
Sprachen's nach die Blumen in dem Tale.
Weh! o weh! du hast es nicht vernommen!
Sage mir, mein liebes Mädchen:
Was bedeutet dieser Traum?
Vor dem Fenster meiner Zelle
Steht halbwelk ein Rosmarin.
Träumte mir: es sei aus ihm heut
Schnell ein Rosenstock gesprossen,
Voll der düftereichsten Rosen,
Hätt' sich auch ein Lorbeer grünend
Um den Rosenstock gewunden.
»Rosmarin ist Wehmut, Trennung,
Rosen deuten Lieb' und Freude,
Lorbeer deutet Ruhm und Sieg.«
Darum fülle, blaues Auge!
Dich fortan nicht mehr mit Tränen,
Laß allein mein dunkles Auge
Still umwölkt in Tränen stehn.
Darum blicke, blaues Auge!
Nimmer trübe an den Himmel,
Sieh! sonst blickt er wieder trüb.
Und wohin kann ich noch schauen
Als gen Himmel, wenn ich nimmer
In dein Auge schauen kann?
Blick' aus deinem Fenster, Liebe!
Schaue über die blauen Berge:
Denn dort will ich an den Himmel
Dir ein licht' Gemälde malen.
Steigen aus der Näh' und Ferne
Hohe Berge an den Himmel,
Stürzen helle, kühle Quellen
In ein blumicht, grünes Tal.
Stützt der Wanderer im Tale
Auf den Stab sich, einzuatmen
Jugend, Freiheit, Liebe, Kraft.
Steht gelehnt an einen Felsen,
Unter Laub und Rebenblüte
Dort ein kleines Haus verborgen,
Steh' ich vor dem kleinen Haus.
[38]
Kommt vom Bache, Kräuter tragend,
Dort ein liebes, junges Wesen,
Bist du es – die Meine längst.
Ist kein Lauscher mehr zu fürchten,
Drück' ich dich, du süßes Wesen!
An ein treues Herz voll Liebe,
Offen vor des Himmels Aug'.
Aber weh! o wehe, Mädchen!
Siehst du dort nicht jenen Raben?
Ächzend fliegt er durch den Himmel
Und verlöscht mit schwarzem Fittich
Mein Gemälde, weh! o weh!
Bin ich wie ein Kind, das seine Mutter
Erst verloren, weinend in der Nacht steht:
Sieh! so bin ich, seit ich fern gezogen.
Stund im Traum' ich heut auf unserm Berge,
Blick' ich in das tiefe Tal hernieder.
Such' dein Haus ich, aber find' es nimmer.
Seh' ich eine einsame Kapelle
Auf der Stelle, wo's gestanden, stehen,
Tret' ich in die heilige Kapelle.
Hallet lange jeder meiner Tritte
Im verlassenen Gewölbe wieder;
Blicken ernst und fragend mich die heil'gen
Bilder an von den geweihten Wänden.
Tret' ich vor den Hochaltar zu beten,
Knieest du in einem weißen Kleide
Bleich auf schwarzem Teppich am Altare,
Lilien und Tulpen um dich her.
Steht der Rosenstock zu deinen Füßen,
Blütenreich vom Lorbeer schön umwunden,
Kehr' ich nie aus der Kapelle wieder.
Nicht im Tale der süßen Heimat,
Beim Gemurmel der Silberquelle –
Bleich getragen aus dem Schlachtfeld
Denk' ich dein, du süßes Leben!
[39]
All die Freunde sind gefallen,
Sollt' ich weilen hier der eine?
Nein! schon naht der bleiche Bote,
Der mich leitet zur süßen Heimat.
Flecht ins Haar den Kranz der Hochzeit,
Halt bereit die Brautgewande
Und die vollen, duft'gen Schalen:
Denn wir kehren alle wieder
In das Tal der süßen Heimat.
Anna
Komm, Bräut'gam! kommt, ihr Gäste!
Schon steht im Hochzeitkleid
Die bleiche Braut bereit,
Erwartend euch zum Feste.
Herbei! herbei! zum Tanz
Die bleiche Braut zu führen, –
Seht! ihre Haare zieren
So Ros' als Lilienkranz.
So Mond und Sterne kränzen
Lichtvoll das dunkle Tal,
Lampen im Hochzeitsaal,
Die Leichensteine glänzen.
Und weil nach Tanz und Lauf
Der Ruh' wir nötig hätten; –
Schloß ich zu Schlummerstätten
Die stillen Gräber auf.
Seht! eure Betten kränzet
Der Rosen stolze Art,
Doch eine Lilie zart
Am Bett der Braut erglänzet.
Die Hochzeit ist bereit,
Komm, Bräut'gam! kommt, ihr Gäste!
Es öffnen sich zum Feste
Die schwarzen Tore weit!
Viel Blumen blühten einst auf einem Grabe,
Hießen sich Röslein, Veilchen, Hyazinthe.
[40]Winter erschien, da gingen all die Blumen,
Kamen auch nimmer auf den stillen Hügel.
Doch eine Blume, Lilie geheißen,
Griff ein mit starker Wurzel in die Erde,
Jahre vergingen, und sie stund noch herrlich.
Kam ein Gärtner auf den Grabeshügel,
Sah die Schöne, dacht' in einen Lustwald
Vom verlaßnen Orte sie zu pflanzen,
Riß sie aus, doch wehe! aus dem Grabe
Riß ein Herz er, das sie fest umschlungen.
An Goethe.
Die Nachtigall im frischen Hain
Singt wohl gar schöne Weisen,
Doch ist der Vogel nicht allein
Ob solcher Kunst zu preisen.
Kein König ist im freien Wald,
Wo bunt ringsum Gesang erschallt.
Da singet jeder seine Weis'
Nach seinem eignen Schnabel,
Ob Nachtigall, ob Fink er heiß',
Wenn schön nicht, doch passabel.
Die Wachtel bleibt beim Wachtelschlag,
keine Schule,
Mit eignem Schnabel jeder singt,
Was halt ihm aus dem Herzen springt.