Abraham Gotthelf Kästner: Sinngedichte

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[Motto]

Pondere, non nervis, corpora nostra carent.

Ovid.

[3] 1. Auf Kepler

So hoch war noch kein Sterblicher gestiegen,

Als Kepler stieg - - und starb in Hungersnoth: 1

Er wußte nur die Geister zu vergnügen,

Drum ließen ihn die Körper ohne Brod.

Fußnoten

1 Auf einer Reise, die er thun mußte, um allergnädigste Auszahlung rückständiger Besoldung allerunterthänigst anzuhalten.

2. An Herrn Christlob Mylius

Bei der Uebersendung von Keplers Harmonice Mundi.

 

Freund, da dein zärtlich Ohr der Tonkunst Reiz empfindet,

Des Weltbau's Harmonie dein tiefer Geist ergründet,

Lies, was von beyden hier der Lehrer Newtons schreibt,

Den Deutschland hungern ließ, und seiner unwerth bleibt.

 

3. An die untergehende Sonne 1

Licht, das, indem es uns verschwindet,

Schon blendend auf Surinam fällt,

O mache, daß mein Freund empfindet,

Man nenn' ihn in der Morgenwelt.

Fußnoten

1 Ward im Vorrath auf die Zeit gemacht, da sich Herr Christlob Mylius in Amerika befinden würde.

[4] 4. Die Vortheile der Weisheit

Pracht, Reichthum, eitle Lust kann sie uns nicht gewähren:

Was giebt die Weisheit uns? Den Geist, das zu entbehren.

 

Contemtae dominus splendidior rei.

 

Horat.

5. Die veränderlichen Triebe der menschlichen Alter

Nach Puppen wird das Kind sich sehnen,

Der muntre Jüngling nach der Schönen,

Der Ruhm erhitzt des Mannes Fleiß,

Und Gold begehrt der matte Greis.

Bei so veränderlichen Trieben,

Wer wird sein wahres Glücke lieben?

Nur Der, der Schönen, Ruhm und Geld

Für Puppen der Erwachsnen hält.

 

6. Nach Martials 75. Sinnged. des V.B.

 

Auf die Begräbnisse des Pompejischen Geschlechts

Den Sohn deckt Asiens, und den Europens Sand,

Ihn selbsten Afrika, wenn er ein Grab noch fand;

Es faßt kein enger Raum des großen Stamms Ruinen,

Und die bewohnte Welt muß ihm zur Grabstatt dienen. 1

Fußnoten

1 Dr. Shaw erwähnt im 1. Th. seiner Reisen eine zu Maniana von ihm bemerkte Grabschrift Zweyer aus der Familie des Pompejus, die vielleicht durch die Zerstreuung des Pompejischen Geschlechts dieses Sinngedicht erläutert.

Martial.

Pompeios iuvenes Asia atque Europa, sed ipsum

Terra tegit Libyae, si tamen ulla tegit:

Quid mirum, toto si spargitur orbe? teneri

Uno non poterat tanta ruina loco.

[5] 7. Das Todtenopfer, an den Herrn Baron von Kroneck nach Neapolis

Mein Kroneck, Maro's Geist schwebt noch um seine Gruft;

Wenn du dort Lorbeern brichst 1 , so hör' auch, was er ruft:

Zu Ehren hat mir sonst ein Martial gelodert 2 ,

Von dir, o Deutscher, wird ein *** 3 jetzt gefodert.

Fußnoten

1 Virgils Grab ist mit Lorbeern, Epheu und Myrten bedeckt. S. Sarnelli guida de' forestieri curiosi di vedere e d'intendere le cose piu notabili della Regal Città di Napoli etc. p. 344.

2 Andreas Nauger verbrannte bey Feyerung seines Geburtsfestes einen Martial - - - addebatque, eo incendio litare se Musis Manibusque Virgilii, cuius imitatorem cultoremque praestare se melius haud posset, quam si vilia poetarum capita per undas insequutus et flammas perpetuo perdidisset. Fam. Strada in Eloqu. Lib. II. Prolus. V. p. 322. ap. Schelhorn Amoen. Litterar T. VII. art. II. §. 30.

3 Ich stelle jedem meiner reimenden und reimfreyen Landsleute, wenn er einen zweysylbigen Namen hat, in sein Belieben, ob er selbigen hieher setzen will. Mein eigner geht ja selbst hinein, und Dererjenigen, denen noch viel zu viel Ehre widerführe, wenn man ihre Werke bis nach Neapel brächte, daselbst verbrannt zu werden, ist eine solche Menge, daß man dem Virgil von ihnen Hekatomben bringen könnte.

8. Von dem Verfasser des Buches: Des livres difficiles à trouver

Vorrathsreich zu hundert Bänden, 1

Zeigt er mit bemühten Händen

Ungezählte Bücher an,

Die man schwerlich finden kann:

Käm' er nur in meine Kammer,

Wo zu meinem großen Jammer

Bücherhaufen in den Ecken

Unter Bücherhaufen stecken:

O wie manches träf' er an,

Das man schwerlich finden kann.

Fußnoten

1 Der V. Band endigt den Buchstaben B.

[6] 9. Das seltene Buch 1

An Herrn F.G. Freytag.

 

Mein Freytag, dieses Buch ist rar,

Du hast davon ein Exemplar,

Und außer dir noch sechs bis sieben;

Wo sind die andern denn geblieben?

Freund, so viel schenkt ich weg, und ließ sie meist noch binden,

Den Rest wirst du bei Hollen 2 finden.

Fußnoten

1 Cadwallader Coldens Erklärung der Ursache von Newtons allgemeiner Schwere, übersetzt von A.G. Kästner.

2 Der Verleger. Ich übersetzte das Buch, nicht weil es mir gefiel, sondern weil es der Graf Manteufel zu lesen verlangte, der kein Englisch verstand. Ich habe meine Gedanken über des Vf. Meynungen in Zusätzen der Uebersetzung geäußert.

10. Ποδας ὠκυς 'Αχιλλευς

Homer hat deines Zornes Toben,

Schnellfüßiger Achill, erhoben;

Erstaunt hört ihm die Nachwelt zu:

Den Grimm von tausend unsrer Helden

Will kein Homer der Nachwelt melden,

Sie liefen schneller doch, als du.

 

11. Das deutsche Kriegswesen

Mit Riesengleicher Kraft, doch ohne Kunst regiert,

Hat einst des Deutschen Arm das breite Schwert geführt;

An Muskeln nicht so stark, doch mit geübterm Witze

Lenkt jetzt des Franzen Hand des leichten Degens Spitze;

Wir fühlen, daß uns längst der Ahnen Kraft gebricht,

Und um der Nachbarn Kunst bemühn wir uns noch nicht.

 

[7]

Mars schrie, wie tausend Männer schreyn 1 ,

Und fochte schlechter noch, als einer sollte streiten:

Reicht Dieses zu ein Mars zu seyn,

Wie manchen Mars sehn unsre Zeiten.

Fußnoten

1 Beim Homer.

12. Auf einen Leipziger Gerichtsfrohn 1

Bemüht des Feuers Glut zu dämpfen,

Ist Bauer plötzlich hingestürzt,

So wie ein Held, dem im erhitzten Kämpfen

Ein zischend Bley den Siegerlauf verkürzt.

Das Gleichniß scheint vielleicht euch allzuviel gewagt.

Stirbt ein Gerichtsfrohn so, wie Weltbezwinger sterben?

Nein! Völker jauchzen dort, errettet vom Verderben,

Wenn Bauern Rath und Bürger klagt.

Oft stünden, wenn sie nicht nur Rang und Macht bedeckte,

Die Helden in der Zahl, die Bauers Namen schreckte.

Fußnoten

1 Seine Geschicklichkeit und Redlichkeit machten ihn ehrlichen Leuten so beliebt, so gefährlich er dadurch Verbrechern war. Er starb plötzlich, als er bey einer Feuersbrunst zu Hülfe eilte.

13. Auf eines Reisenden Urtheil vom Naumburger Weine 1

»Warum pflanzt man bey Naumburg Reben?

Der Wein ist ja abscheulich schlecht,«

Fragt Pöllnitz. Hat der Tadler Recht?

Da wag ich nicht Bescheid zu geben;

Doch bey der Frage fällt mir ein:

Warum mußt' er ein Autor seyn?

Fußnoten

1 »Es sind überall Weinberge um Naumburg. Ich weiß nicht warum, denn der Wein ist abscheulich«.

v. Pöllnitz Reisen.

[8] 14. Eben Desselben Klage über denselben Wein

Als mein Geschick mich einst nach Naumburg brachte,

So war für mich der schlechtste Wein bestellt;

Und was den Wein erst recht abscheulich machte:

So trank ich ihn gar für mein eigen Geld.

 

15. Auf Brühiers Buch von der Ungewißheit der Kennzeichen des Todes

Den, der nicht lebt, halb zweifelnd todt zu nennen,

Hat sich zum Schutz der Aerzte List erdacht.

Denn ist mein Tod nicht sicher zu erkennen,

So straft man nicht Den, der mich umgebracht.

 

16. Auf den Palmbaum, der 1749 im Garten der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften reife Früchte trug

Dein Schicksal, Brandenburg, hat dieser Baum erfahren;

Er dankt den ersten Trieb des großen Friedrichs Jahren 1 .

Die Zeit, zu welcher er, wie du, vollkommen reift,

Ist Friedrichs, dessen Lob kein einzig Wort begreift.

Fußnoten

1 Er war achtzig Jahre alt.

17. Auf den Herrn Hauptmann Steinauer

Der Krieger Furcht, der Liebling jeder Schöne,

Bey Freund und Feind macht er den Müttern Schmerz;

Den, um das Leben' ihrer Söhne,

Den andern, um der Töchter Herz.

 

[9] 18. Auf einen Bären 1

Der Todte redet.

 

Mich, dem der rauhe Nord die erste Luft gegeben,

Hieß meiner Fürstinn Wink in Leipzigs Gärten leben.

Die Kette ward mir schwer, ich brach sie voller Wuth,

Doch ich erkaufte mir die Freyheit durch mein Blut.

Noch klaget Doris mich; die fast zerstäubten Knochen

Bewegten sich, als sie das holde Wort gesprochen:

»Mich dau'rt das arme Thier! O sollt er lebend seyn,

Wie würd' er uns nicht jetzt voll Artigkeit erfreun!«

Wie selten ist mein Glück! man hört sie solche Klagen

Um keinen Schooßhund nicht, um keinen Dichter sagen.

O Dichter, die ihr stets in Sklavenfesseln sterbt,

Und doch durch euren Tod kein nasses Aug' erwerbt,

Laßt mich von dieser Welt nicht unbesungen scheiden,

Laßt einen Schäfer doch des Bären Tod beneiden.

Fußnoten

1 Er war von einer fürstlichen Person in einen Garten bey Leipzig geschenkt worden, hatte sich aber nach einiger zeitlangen Gefangenschaft losgerissen, und so viel Unordnung angerichtet, daß man ihn erschießen mußte. Er war sonst im Klettern und allen andern Dingen, die einen Bären artig machen können, sehr artig.

19. An Hrn. Prof. Gellert, als solcher mir die Uebersetzung von Chambers Buche von der Erkenntniß der Thiere zu beurtheilen schickte, mit dem Zusatze, er verstünde die Sache nicht

Dies, Freund, verstehst du nicht? Hat deine Zaubermacht

Doch manches Thier zum Reden schon gebracht;

Was größers noch ist ihr nicht schwer gewesen:

Sie brachte gar manch schönes Kind zum Lesen.

 

[10] Widerruf

Nun hab' ich erst mich recht bedacht:

Daß Schönen Gellerts Lieder lesen,

Beweist nicht ihre Zaubermacht,

Stets sind sie Dichtern hold gewesen:

Sie lasen, eh' noch Gellert schrieb,

Talanders Unsinn, Hunolds Oden;

Daß Gellert beyde nun vertrieb,

Macht blos die Lust zu neuen Moden.

Was größers hat sein Lied vollbracht:

Es zwingt die Stutzer selbst zum Lesen;

Das heiß' ich eine Zaubermacht,

So stark wär Orpheus nicht gewesen.

20. Eine Stunde

Die Stunde, die ich soll verlieren,

Die muß, mich eher zu verführen,

Ein kleiner Theil der Zeit nur seyn:

Doch welcher Zeit? Die mir verschwunden,

Zählt zwar mit tausenden die Stunden,

Wie viel sind noch in Zukunft mein?

 

21. Charaktere

Janhageln gleich an Höflichkeit,

Noch stolzer, als die reichsten Briten,

Und eitel, wie ihr Franzen seyd:

So zeigt er aller Völker Sitten.

 

Das alte Rom ist ihm bekannt,

Die heut'gen Schönen muß er kennen,

Als Doctor ist er sehr galant,

Als Stutzer sehr gelehrt zu nennen.

 

[11]

Die zweyer Völker Reiz mir wies,

Die mußte wohl mein Herz gewinnen;

Frech, wie die Damen in Paris,

Plump, wie die deutschen Schäferinnen.

 

Avertissement.

 

Wer Lust hat, sich mahlen zu lassen, beliebe sich bei dem Verfertiger vorstehender Miniaturgemählde zu melden; er soll bestermaßen bedient werden. Seinen lieben Landsleuten wartet der Verfasser umsonst auf, Andern um ein sehr Leidliches.

 

22. Freye Uebersetzung einer Stelle aus dem Éloge de M. de la Mettrie Mém. de l'Acad. Roy. des Sciences de Prusse. 1750 p. 5

Pendant la campagne de Fribourg M. de la Mettrie fut attaqué d'une fièvre chaude; une maladie est pour un philosophe une école de physique; il crût s'apercevoir que la faculté de penser n'étoit qu'une suite de l'organisation de la machine - - -

 

Kein Unglück ist, es muß dem Weisen dienen;

Den großen Satz: die Menschen sind Maschinen,

Fand la Mettrie, mit alle seinem Witze,

Doch eher nicht, als in des Fiebers Hitze.

 

23. Charakter des Hrn. de la Mettrie, vom Hrn. Maupertuis in einem Schreiben an den Hrn. von Haller entworfen

Ein gutes Herz, verwirrte Phantasie;

Das heißt auf deutsch: Ein Narr war la Mettrie.

 

24. Die letzten Worte des Hrn. de la Mettrie

Mein Leser, was ich dir erzähle,

Ist, wo nicht völlig wahr, doch glaublich g'nug erdacht;

Sieh hier das letzte Wort, das Mettrie vorgebracht:

Wie Teufel! hab' ich eine Seele?

[12] 25. Von einem schöpferischen Dichter

O Zeiten, die entzückt den Ariost gelesen,

Was für ein Geist für euch wär nicht Fantast gewesen.

 

26. An einen Freymaurer

Der Brüderschaft Geheimniß zu ergründen,

Plagt dich, Neran, mein kühner Vorwitz nicht;

Von deinem nur wünscht ich mir Unterricht:

Was ist an dir Ehrwürdiges zu finden?

 

27. An den Setzer der hamburgischen freyen Urtheile 1

Du kannst uns mit geschickter Hand

Hexameter aus Prose theilen;

Sind Reimreichs Oden dir bekannt,

So gieb sie uns in Prosazeilen.

Fußnoten

1 Man hatte eine prosaische Nachricht, in Hexameterform gesetzt, daselbst eingerückt.