Ich habe an diesen Ort die Beantwortung eines seltsamen Einwurffes wider das erhabene Gedicht Miltons versparet, der von dem Urtheil des so genannten Publici hergeholet ist. Das ist eben die moralische Person, an welche die Scribenten insgemein ihre Vorreden richten, damit sie sich die Gunst und den Beyfall derselben, als ihres Richters, erwerben, und die ich ebenfals in dieser Hoffnung mit einigen Zeilen zu unterhalten gedencke. Man hat mir eingewendet, die deutsche Nation habe in Miltons Paradiese das hohe Ergetzen nicht gefunden, welches die gerühmte Kunst des Poeten mit einer so grossen Zuversicht verheißt; dieses gebe ein starckes Vorurtheil, daß diese Kunst entweder darinnen nicht vorhanden wäre, oder die Tugenden, die man ihr zueignete, nicht an sich hätte, allermassen die Empfindungen nicht zurükebleiben könnten, wo die Ursachen und Triebräder derselben recht angebracht wären; und weil diese Kunst des Poeten das Hertz angreiffen müßte, welches bey vornehmen und gemeinen, gelehrten und unwissenden Menschen ungefehr von einer Beschaffenheit wäre, so hätte sie, wofern sie nicht betrüglich wäre, auch auf den grossen Haufen der Nation würcken und eine allgemeine Rührung der empfindlichsten Lust verursachen sollen. Dieser Einwurf hat mir Anlaß zu unterschiedlichen Betrachtungen gegeben, welche nicht nur dienen können, denselben zu beantworten, sondern mir auch die Aufmerksamkeit des Lesers für meine Schutzschrift des englischen Poeten zu erwerben. Ich mercke vor allen Dingen an, daß die deutsche Nation ihr Empfindniß und Urtheil von dem verlohrnen Paradieß noch nicht von sich gegeben hat. Dieses Gedicht ist bißdahin allzu wenigen Personen bekannt worden, als daß man diese für die Statthalter und den Mund der Nation ansehen könnte. Das Mittel ein Werk durch den Druck bekannt zu machen, ist etwas langsam, insonderheit in Deutschland, wo wir keine Hauptstadt haben, in welcher der Ausbund der Nation bey einander versammelt wäre, und in ihren Gedancken die Gedancken der gantzen Nation ausdrükete. Bey den Alten geschah dieses ungemein leichter durch ein einziges Exemplar, als iezo durch die tausendfältige Vermehrung derselben, indem gantze Gemeinden sich an einem Orte versammelten, und in einem Haufen ein Gedichte zugleich vorlesen höreten, da die Eindrücke und Würckungen desselben sich in deutlichen Kennzeichen offenbareten; statt daß solche Werke iezo in der Einsamkeit des Cabinets ohne Zeugen gelesen werden, mit leiser Stimme, und ohne Bemühung, daß ihnen durch die Aussprache die gehörige Anmuth und der rechte Nachdruck mitgetheilet werde; wenn auch gleich eine besondere Person auf eine empfindliche Weise davon gerühret worden, so fehlet es ihr an Eifer, den Eindruck, den sie in der Brust fühlet, weiterhin andern Leuten beyzubringen. Daneben muß man sich erinnern, daß sich von dem Befindniß des grossen Haufens nur auf diejenigen Stücke eines Gedichtes mit Grunde schliessen läßt, welche auf den Willen würcken und die Gemüthes-Neigungen in Bewegung setzen sollen; und nicht auch von denen, da der Verstand frey und uneingenommen bleibet, wie alle die Sachen sind, die ihren Grund in der Aehnlichkeit und dem wohleingetheilten Ebenmasse haben, also daß zu ihrer richtigen Beurtheilung ein Erkenntniß ihres Ebenmasses, nicht bloß ein menschliches Hertz, das den Affecten unterworffen ist, erfodert wird. Wie wir denn insbesondere anmercken können, daß unser Poet in seinem Gedichte die Erhabenheit viele mahle in solchen Stücken zuwegengebracht hat, in welchen keine Affecte und Leidenschaften vorkommen. Was mithin die pathetischen Stücke anbelanget, die in dem Verl. Parad. in der That den meisten Platz einnehmen, so kan ich der Kaltsinnigkeit, so man bey der deutschen Nation gegen das hohe Ergetzen derselben zu finden meinet, die Empfindlichkeit der Engelländer gegen eben dasselbe entgegensetzen; auf welche es eine durchgehende und unleugbare Würckung thut. Das Hertz, auf welches diese Würckung geschicht, ist ohne Zweifel bey den Deutschen von einer Art, wie bey den Engelländern; weil es nichtsdestoweniger jene nicht vermag einzunehmen, wenn der Aussage der Mißgünstigen Miltons Glauben zugestellet wird, so muß dieses von einer Ursache herrühren, die nicht in des Poeten Arbeit, sondern dem Zustande der deutschen Leser zu suchen ist. In Absicht auf diese könnte man nun anmerken, daß die Deutschen, die mit so vortreflichen Poeten, wie Milton ist, wenig Bekanntschaft haben, sich in so kurtzer Zeit von dem ungereimten und wunderlichen jedoch ihnen geläuftigen Ergetzen, das sie von ihren gemeinen Poeten empfangen, nicht haben entwöhnen können; sie werden in Miltons Wercke von zu vielen Schönheiten einer hohen Art, die ihnen fremd und unbekannt ist, gleichsam überfallen, und verwirret; gleichwie ein Mensch, der viele Jahre in einer finstern Höle beschlossen gelegen, wenn er einesmahls an das anmuthige Licht des Tages hervorgezogen wird, von den Schönheiten, die ihm in das Gesicht fallen, mehr geblendet als erleuchtet wird, und Zeit und Weile vonnöthen hat, dieselben von Stücke zu Stücke zu erkennen. Sie sind noch in dem Zustand, in welchem die Engelländer viele Jahre gestanden, eh ihnen geschickte Kunstrichter die Schönheiten in Miltons Gedichte nach und nach wahrzunehmen gegeben, und sie damit bekannt gemacht hatten, ungeachtet diese Nation an ihrem Saspar und andern, den Geschmack zu diesem höhern und feinern Ergetzen zu schärffen, eine Gelegenheit gehabt hatte, der unsere Nation beynahe beraubet ist. Wem diese Anmerkung für seine Hochachtung gegen dieses Volck zu nachtheilig scheinet, dem wird verhoffentlich folgende anständiger seyn, welche von der Neigung der Deutschen zu philosophischen Wissenschaften und abgezogenen Wahrheiten hergenommen ist; diese macht unsere Deutschen seit einiger Zeit so vernünftig und so schliessend, daß sie zugleich matt und troken werden; die Lustbarkeiten des Verstandes haben ihr gantzes Gemüthe eingenommen, und diese unterdrucken die Lustbarkeiten der Einbildungskraft. Damit ich dennoch das Auge auf den niedrigern und zugleich grössern Haufen richte, so gebe man, über obiges, Achtung, wie sehr es unsern Landsleuten an einem freyen Geist mangelt, der eben so nothwendig ist, wenn man ein schönes Werck empfinden, als wenn man es schreiben soll. Es fehlt ihrer Einbildungskraft an der Ruh und Stille. Sie leben in einer beständigen Reihe von ungestümen Ergetzlichkeiten oder Bemühungen, die sie beunruhigen, und ihnen keine Zeit übrig lassen. Wem dieses alles nicht anständig ist, dem will ich es nicht verargen, wenn ihm anzumercken beliebet, daß das verlohrne Paradieß nach der deutschen Uebersetzung nicht Miltons Paradieß ist. Wie von allen Uebersetzungen poetischer Wercke auf gewisse Weise wahr ist, daß sie hinter dem Originale zurüke bleiben, so kan dieses vornehmlich von Miltons Gedichte gelten, umsovielmehr, wenn wir annehmen, daß die engelländische Sprache vor den Ausdruck geschickter und geschmeidiger ist, als unsere, und daß ein grosser Theil der Schönheiten dieses Gedichtes in dem Wohlklange der Verse besteht. Alleine beydes wird widersprochen, jenes von den Deutschen und dieses von den Engelländern; und ich muß bekennen, daß mir diese leztere Anmerkung am wenigsten Gründlichkeit zu haben scheinet. Denn ich sehe in dem verlohrnen Paradiese allzu viele Schönheiten, die von dem Plan, den Erfindungen, den Charactern, den Gemüthes-Meinungen herrühren, und schon vor sich alleine, von den poetischen Farben abgesondert, ein wohlbeschaffenes Gemüthe auf das empfindlichste rühren müssen. Ich verwundere mich nicht, wenn eine Uebersetzung eines Werckes nicht gelesen wird, dessen vornehmste Schönheiten in dem Ausdrucke bestehen, wo der Wehrt der Sachen an dem Wehrt der Figuren hängt; da mag entweder der Uebersetzer seine Sprache nicht genug besitzen, oder die Sprache fehlet ihm. Aber die Erfindungen des Plans, der Materie, ihres Zusammenhanges, des historischen Characters, der Entschlüsse, müssen selbst in der ungeschicktesten Uebersetzung einigermassen hervorleuchten; diese Sachen können selbst von einem gemeinen Uebersetzer, insonderheit, wenn er in ungebundener Rede übersetzet, nicht so übel verderbet werden, daß sie einem geschickten Leser nicht in die Augen fallen, und seine Bewunderung erhalten. Es ist mir auch unverborgen, daß unsere deutschen Kunstrichter mehr an Miltons Materie u. Erfindungen auszusetzen gehabt haben, als an der Sprache der Uebersetzung. Und ich will nicht verhalten, daß dieses einem übel befestigten Geschmacke zu einem neuen Vorurtheile wider dieses Gedicht Anlaß geben könnte, wenn er daraus erkennet, daß diese kein grösseres Wohlgefallen daran finden, als der gemeine Leser, ungeachtet sie so viele mehrere Geschicklichkeiten besitzen, dessen Schönheiten einzusehen, indem ihnen nicht nur diejenigen in das Gesicht fallen, so sich den Sinnen empfindlich machen, und von der Bewegung der Affecte entspringen, sondern daneben noch alle übrigen, die ihren Grund in dem Verstande haben. Also könnte man von mir auch die Wegräumung dieses Vorurtheiles begehren, alleine ich habe keine Lust dazu, wenn ich gedencke, daß ein gleiches aus gleichmässigem Grunde von der Ilias, der Odyssea, der Eneis, dem befreyten Jerusalem, gefasset werden kan, vor welche hochgelobete Gedichte unsere Kunstrichter und Poeten selbst keine gründlichere Hochachtung an den Tag legen, als vor das verlohrne Paradieß, indem sie dieselben entweder mit einem verächtlichen Stillschweigen vorbeygehen, oder sie auf eine gantz flüchtige und seichte Weise mit halber Ueberzeugung anpreisen, zumahl da auch unsre Poeten diesen Fürsten der Poesie in ihren Nachahmungen viel geringere Modelle vorzuziehen pflegen. Derowegen kan ich dem Verdacht noch nicht Abschied geben, daß die geringe Hochachtung, in welcher Milton bey den Deutschen steht, nicht dem Mangel oder der Unzulänglichkeit der Kunst auf seiner Seiten, sondern vielmehr dem Mangel an Fähigkeit auf Seite der Leser und Kunstrichter zuzuschreiben sey; und ich bin versichert, daß die Hochachtung desselben destomehr steigen und anwachsen werde, jemehr Deutschland an geschickten Lesern und Kunstrichtern zunehmen wird. Ich hege auch die trostreiche Hoffnung bey mir selbst, daß die neue critische Dichtkunst zu diesem Ende nicht wenig beytragen werde, als in welcher der Verstand zu dieser Art Schriften eben so geschickt als gründlich zubereitet worden; also daß sie meiner Schutzschrift für das verlohrne Paradieß, mit welcher der Verfasser derselben sie auf gewisse Weise verbunden 1 hat, vor das beste Creditiv oder Beglaubungs-Schreiben dienen kan. In eben dieser Absicht habe ich des Critikverständigen Joseph Addisons Abhandlung von den Schönheiten in dem Verl. Par. hier beydrucken lassen; diese hat den Engelländern vornehmlich die Augen aufgethan, daß sie die Vortrefflichkeit derselben erkannt haben; und eben dieselbe hat nach einer gantz widerwärtigen Wurckung durch das ungemeine Lob, das sie Milton deßwegen beyleget, den Herren Magny so sehr zum Neide bewogen, daß er die verboßten Einwürffe dagegen ausgegossen hat, welche mich zu einer so ausführlichen Vertheidigung veranlasset haben.
1 Sehet den siebenden Abschnitt, der von dem Wunderbaren und Wahrscheinlichen handelt, in dem letztern Artickel desselben.
Von der Wahl der Materie aus der
unsichtbaren Welt.
Je weiter ein Werck die menschliche Fähigkeit übersteiget, je behutsamer muß man davon urtheilen. Je weiter ein Werck die Fähigkeit eines besondern Menschen übersteiget, je bescheidener muß ein solcher davon urtheilen. Unermeßliche Verschiedenheit unter den Menschen in den Gemüthes-Gaben. Ausserordentliche Erhabenheit des Geistes und des Gedichtes Johann Miltons. Ursprung vieler verwegenen Urtheile, so vornehmlich über die Materie in demselben aus der unsichtbaren Welt gefället worden. Voltairens Einwürffe, daß der Krieg im Himmel die menschliche Natur übersteige, und daß der Mensch geneigt sey, die Sachen, die nicht in die Sinne fallen, zu verwerffen. Dem Menschen ist die Wissenschaft von der Natur, den Verfassungen und den Geschichten der Engel nicht gäntzlich verschlossen. Selbst die Erzehlungen von Personen, die keine Würcklichkeit haben, bemächtigen sich des Gemühtes, noch mehr aber die Begebenheiten der Engel; als nemlich solcher Wesen, welche in der Natur vorhanden sind; und deren Geschichte die Leser, für welche Milton geschrieben hat, gantz nahe angehet. Voltairens Schluß, daß es vergebliche Arbeit sey, da Milton die Character, Handlungen und Reden der Englischen Kriegs-Häupter so sorgfältig und vollständig vorgestellet hat. Der Christliche Leser hält sie vor seine Freunde, und nimmt darum an allen ihren Sachen Antheil. Zweifel, ob Milton in diesen Vorstellungen den Homer, wie Voltaire davor hält, oder die Natur selbst nachgeahmet habe. Noch ein Einwurff Voltairens, daß Miltons erwehlete Materie den Franzosen schwerlich gefallen könnte, weil sie davon öfters Gassenständgen gemachet haben. Miltons Großmuth, womit er auf die wahre Hoheit seiner Materie gesehen hat.
Von der Vorstellung der Engel
in sichtbarer Gestalt.
Einwurf des Herren Constantin Magni, daß geistliche Wesen nicht sollten mit Cörpern bekleidet aufgeführet werden. Recht der Poesie zu einer Art Erschaffung, da die möglichen Dinge in den Stand der Würcklichkeit gesetzet werden. Meinung einiger Weltweisen, und Lehrer, daß die Engel einen organisierten Leib haben. Exempel vornehmer Poeten, welche die Engel in sichtbaren Gestalten vorgestellet haben. Vorzug der menschlichen Gestalt, in welcher sie von Milton vorgestellet werden. Die Verkleidung der Engel in cörperliche Gestalt zieht eine gleiche Verkleidung derer Dinge mit sich, mit welchen sie umgehen. Des Hrn. Magni Einwurf dagegen, welcher alle diese Vorstellungen verwirft, wenn sie nicht hieroglyphisch und allegorisch sind. Daß die Personen und Begebenheiten in dem Epischen Gedichte poetisch-historisch seyn, und als solche alle die Eindrücke thun, die der Poet haben will. Des Hrn. Magni Klage, daß Milton sich von dem Zaum der Vernunft ledig gemachet habe. Unterschied zwischen der Poesie und der Metaphysik. Richtigkeit und Vernunftmässigkeit des poetischen Wahren in Miltons Gedicht. Widerlegung der Beschuldigung, daß dieser Poet die Gräntzen der Ehrfurcht vor heilige Materien überschritten habe.
Von der Wahrscheinlichkeit des Characters
und der Handlungen der Engel.
Miltons Geschicklichkeit den hohen Character der Engel unter ihren sichtbaren Gestalten beyzubehalten. Eines Ungenannten Beschuldigungen, daß Milton den englischen Cörpern solche Zufälligkeiten zugeleget habe, welche mit den himmlischen Tugenden dieser vortrefflichen Geister streiten. Beweiß, daß ihre Verwundung den Begriff von ihrer unvergänglichen Natur nicht umstosse. Ihre Wunden treffen nur die Maßke, die der Poet ihnen lehnet. Ihre Unsterblichkeit rühret von dem Willen Gottes, welchen ihre Verwundung nicht aufhebet. Thorheit, den Höchsten, der die Unsterblichkeit in sich selbst hat, verwundet vorzustellen. Gewohnheit der christlichen Poeten, Gott in dem angenommenen Fleische unter Schmertzen und Wunden vorzustellen. Widerlegung der Bezüchtigung, daß Milton in der Verwundung der Engel Homer nachgeahmet habe. Vortrefflichkeit der miltonischen Engel, selbst in Ansehung des ihnen zugelegten Cörpers, vor Homers Göttern. Kleiner Unterschied zwischen Miltons Teufeln und Homers Göttern. Entschuldigung Homers betreffend die Aufführung seiner Götter. Beweiß, daß das Blut, das aus den Wunden der Engel fleußt, mit der Materie übereinstimme, von welcher sie nach der Vorstellung der Phantasie bestehen. Widerlegung des Vorurtheiles, daß die Verwundung der Engel durch Geschoß mit ihrer Subtilheit und Behendigkeit streite. Voltairens höhnisches Urtheil von der geringen Würckung des satanischen Geschosses, die er mit dem Kegeln vergleicht. Eines Unbekannten Einwurf, daß die Hand-Arbeit der gefallenen Engel in der Verfertigung des Pulfers allzu menschlich wäre. Voltairens Vergleichung der Engel, so Berge durch die Luft schleudern, mit den Dipsoden des Rabelais. Vertheidigung der Wortspiele, die Milton dem Satan und dem Belial in den Mund leget, wider Voltaire. Einwurf wider das Gefecht im Himmel, daß den Engeln in ihrer tiefen Ruh, Seligkeit, und Unwissenheit, was Wunden wären, der Gedancke mit einander zu schlagen, nicht habe in den Sinn kommen können. Einwurf des Hrn. Magny wider den Krieg im Himmel, daß er mit der Glückseligkeit des Ortes streite, wo er geführet worden. Desselben Einwendung, daß Milton hingegen die Hölle nicht unselig genug vorgestellet habe. Rettung des Trostes, den Satan vom Schicksal herholet. Rettung der mühsamen Botschaften, so die Teufel in dem finstern Abgrunde hin und her tragen müssen. Irriger Schluß, den Magny von dem Uebergange des gefallenen Heeres aus dem Feuer-See an das Gestade von festem Feuer-Land zieht, daß das eine neue Strafe sey, welche sie mit keinem neuen Verbrechen verdienet haben. Wie ungeschickt derselbe eine sogenannte Seligkeit der Teufel in der Hölle daraus schleußt, weil Satan die Ohnmacht derselbigen in dem feurigen Pfule mit dem ironischen Nahmen eines Schlafes beleget hat. Seine Beschuldigung, daß Milton der Freude, der Symphonie, der Ruhe, in der Hölle einen Platz eingeräumet habe. Seine Anklage, daß die göttliche Rache den Satan nur gestreifet habe. Wie ungereimt er die Gleichheit der Hölle mit dem Himmel aus dem Golde schleußt, das zu dem höllischen eben so wohl als zu dem himmlischen Palast gebraucht worden. Seine falsche Anmerkung, daß Mammon die Neigung zu Gold und Reichtum schon in seinem himmlischen Stande der Unschuld gefühlet habe. Voltairens Beschuldigung, daß das Pandämonion ohne Nutzen, allzu kunstreich, und allzu klein gebauet worden. Wahrscheinlichkeit der Erdichtung, daß die geringern Fürsten des satanischen Heeres ihre grossen Gestalten in einen kleinern Raum zusammen gezogen haben. Falschheit der Regel des Hrn. Voltaire, daß eine Erdichtung, die in einem epischen Gedicht angebracht wird, verwerflich sey, wenn sie in einem abentheurlichen schön stehen würde. Ungereimter und schädlicher Gebrauch dieser Regel in den sogenannten Parodien. Ubereilter Schluß Magny, daß schwache und träge Engel seyn, weil es starcke und schnelle giebt. In welchem Verstand eine Verrichtung der Engel, die ihnen von dem Höchsten aufgetragen wird, könne widrig und verdrüßlich für sie geheissen werden. Magny Anklage des Ertz-Engels Vriel, und der Englischen Wache des Paradieses, daß sie sich von Satan haben hintergehen lassen. Seine Beschuldigung der himmlischen Heerscharen, daß sie über die erhaltene Zeitung von dem Falle der Menschen ihre Neugierigkeit blicken lassen. Grobe Anschwärtzungen des Poeten, daß er den Engeln die Erkänntniß des Sohnes nicht von der Zeit ihrer Erschaffung an zugeschrieben; und daß er in dem göttlichen Rath von der Erlösung des Menschen die dritte Person der Gottheit mit Stillschweigen übergangen hat.
Von dem Zusammenhang in Miltons
Vorstellungen der Engel.
Verdächtige Merckmahle der critischen Urtheile Magny von dem verlohrnen Paradiese. Widersprüche, welche er in diesem Gedichte zu sehen meint; Daß Milton die Unempfindlichkeit mit der Empfindlichkeit zusammengereimet; Daß er die Flöten und Hautbois der gefallenen Engel nach einer Melodie gestimmet habe, welche noch nicht vorhanden gewesen war; Daß er in der Beschreibung des verdunckelten Glantzes Satans das wenige und das viele in einer Sache und in einem Gesichtes-Puncten vereinbaret habe; Daß er den Vater bitte, einen Willen abzulegen, den er nicht gehabt, und der unveränderlich würde gewesen seyn, wenn er ihn gehabt hätte; Daß er eine Warnungs-Stimme wünschet, welche die ersten Menschen vor Satans Fallstricken bewahrete, da er doch von dem Vater gehöret hatte, daß der Mensch fallen würde. Verstossungen, die Magny sich in dem Traume der ersten Frauen, welcher von Satan in ihrer Phantasie gewürcket worden, einbildet, indem er ihr dadurch Waffen wider ihn selbst in die Hände geliffert habe. Widersprüche in den Gedancken Satans, da er in seiner aufrührischen Rede zu verstehen gebe, daß er von der Stunde seiner Erschaffung des Hochverrathes schuldig gewesen, massen er Gott niemahls für den Monarchen des Himmels erkannt habe; Und da er in der Anrede an seine geflohenen Heerscharen schliesse, daß sie gegen das himmlische Heer ewige Tage werden Stand halten mögen, weil sie einen Tag gegen dasselbe Stand gehalten hätten. Verstoß des Hrn. Magny in der Berechnung der Anzahl beyder Heere, und in dem Vorgeben, daß der Poet die Engel einander an Stärcke gleichmässig gesetzet habe. Widerspruch den Voltaire zwischen dem Befehl Gottes an Michael das satanische Heer aus dem Himmel zu jagen, und dem Mangel in der Vollstreckung desselben, entdecket haben will. Unrichtiger Schluß den Magny darinnen findet, daß Gott durch die Erschaffung neuer Anbeter dem Satan das Rühmen abgeschnitten, daß er ihm Anbeter entführet habe. Vermeinter Widerspruch zwischen Satans Muthmassung, daß Gott nicht früher als nach seinem Abfall auf die Gedancken gefallen, die Welt zu erschaffen, und eben desselben Vorgeben von einem prophetischen Gerüchte, das in dem Himmel von der künftigen Erschaffung einer Welt gegangen wäre.
Von dem Character und den Handlungen
des Todes, der Sünde, der Geister
in dem Chaos.
Joseph Addisons Verwerffung dieser Personen, wenn sie in eine fortgesetzte Handlung verbunden werden, weil es ihnen an Glaubwürdigkeit und Möglichkeit mangle. Die Kunst, die Milton in den kleinsten Dichtungs-Arten erweiset, wo er auf das Zeugniß der Sinne und der Einbildung gebauet, hat Addison in sei nem Urtheil hiervon behutsamer machen sollen. Glaubwürdige Meinung, daß in der unsichtbaren Welt der Geister mehrere Arten seyn, als uns bekannt sind. Wie es für den Poeten genug sey, daß solche möglich seyn, wenn sie gleich nicht würcklich sind. Daß die Sünde und der Tod von dem Poeten als Geschöpfe einer Natur, wie die höllischen Geister haben, vorgestellet werden. Glaubwürdigkeit, welche sie von gewissen bekannten, und von den Heil. Scribenten erwähnten Bildern empfangen. Anmerkung, daß Belial und Beelzebub, die Addison im verlohrnen Paradiese vor höllische Personen gelten läßt, Canaanische Götzen, Schatten und gantz unwesentlich, gewesen, eh ihnen Tempel gebauet worden. Die Erhebung abgezogener Nahmen auf den Grad würcklicher Wesen kostet der Einbildung nicht mehr Müh, als die Bekleidung der geistlichen und unsichtbaren Engel mit Cörpern. Solcher Personen nur kurtz zu erwähnen, oder sie in eine ausgeführte Handlung zu verbinden, lehret den Poeten seine Haupt-Absicht, in welcher er sie aufführet. Voltairens Einwurf, daß dergleichen Personen unerträglich seyn, wenn sie nicht allegorisch sind. Anmerckung, daß sie nicht weiter allegorisch seyn müssen, als wie Nachahmungen von Charactern und Sitten. Grund der Erdichtung von Satans Zuhalten mit der Sünde. Eiteler Verdacht desselben, daß Satan darum zeugend vorgestellet worden sey, weil das Wort Sünde im englischen im weiblichen Geschlechte gebraucht werde. Bedeutung des Wortwechsels zwischen Satan und der Sünde, und der Beschlaffung der Sünde durch den Tod. Beyder Todler, Voltairens und Magny, Einwurff, daß dieses eine unnützliche Abscheulichkeit sey. Untersuchung des Verwundersamen, das Voltaire in seinem Henrich dem vierten durch die Einführung der Zweytracht, der Politick und anderer allegorischen Personen hat hervorbringen wollen. Wie weit diese an Wahrscheinlichkeit hinter Miltons allegorischen Personen zurückebleiben. Anmerckung, daß die Entfernung der Zeit und des Ortes ein grosses helfen, einer wunderbaren Geschichte die Glaubwürdigkeit zu erwerben. Vortheil den unserm Milton seine erwehlete Materie in diesem Stücke mittheilet. Daß die Kühnheit, mit welcher Milton das Nichts als Etwas vorgestellet, eben diejenige sey, nach welcher das Mögliche vor würcklich vorgebildet wird, massen das Mögliche selbst noch Nichts ist. Grade von dem Nichts zum Chaos, und von diesem zur Welt. Vorrückung, daß Milton die Erschaffung aus Nichts geleugnet habe. Wie die lebenden Wesen in dem Chaos, wo man die Natur noch nicht im Gesichte hat, wahrscheinlicher sind, als die Erdichtung der Wasser- und Lufft-Geister. Einwurf, daß die Vorstellung des Anarchen in dem Chaos mit der Herrschaft des Höchsten über alle Dinge streite. Die Erfindung des miltonischen Limbo ist eine Verspottung gewisser Träume des Ariosto, Glaubwürdigkeit, welche diese Erfindung unsers Poeten bey dem gemeinen Mann in der Römischen Kirchen in einem höhern Grade finden muß, als bey Leuten von einer andern Kirchen, derer Einbildung nicht dazu vorbereitet ist.
Von der Wahrscheinlichkeit des Characters
und der Handlungen der ersten
Menschen
Boßhafter Verdacht, in welchen Magny Miltons Adam zieht, als ob er in die Treue seiner Frauen einigen Zweifel gesetzet hätte. Desselben Beschuldigung, daß der erste Mensch den Begriff von der alleserfüllenden Gegenwart Gottes nicht gehabt habe. Ungeschickter Grund, den er zum Beweißthum dessen von der Operation hernimmt, mit welcher Michael dem Adam die Augen geöffnet hat. Erklärung der Erdichtung und der Würckungen dieser Operation. Daß sie nicht unanständig für den Ertz-Engel gewesen sey. Auf was vor eine Weise Adam die Augen auf das künftige geworffen habe. Einwurf des Herren Magny, daß Raphael dem Adam den Krieg im Himmel unter solchen Bildern vorgestellet habe, welche ihm gantz unbekannt gewesen wären. Weitläuftige Menge Bilder, welche Adam in dem Paradiese von den Dingen und ihren Eigenschaften, selbst von den Kunstwercken der folgenden Zeiten, mittelst der Figuren, die er vor sich fand, und mittelst Verbindungen in der Phantasie bekommen können. Begriffe von Werckzeuge, Kleidungen und Waffen, so er von den Engeln der Besatzung empfangen hat. Daß diese Begriffe eben so viel Leichtigkeit und Klarheit gehabt haben, als die Begriffe von dem Tod oder der Fortpflantzung. Reichthum der Sprache Adams an deutlichen Worten, weil er den Thieren Nahmen nach ihren absonderlichen Sitten und Eigenschaften gegeben. Verwerffung der romanhaften Ursache, welche Milton von Adams Fall angiebt; da dieser bey einem gefaßten Verstande wider seine bessere Erkänntniß den unseligen Schritt thut. Wie Dryden diese romanhafte Idee noch höher getrieben habe.
Von Miltons Anbringung der mythologischen Geschichte und Theologie in
seinem Gedichte.
Voltairens flüchtige Verwerfung der Erwähnung der mythologischen Geschichte. Elender und ungereimter Tand in der heidnischen Theologie. Daß es einem christlichen Poeten erlaubt sey, sie für das anzuziehen, was sie ist. Daß es ihm erlaubet sey, sie selbst für Wahrheit anzuziehen, wenn er dramatische Personen redend einführet, oder wenn er ein Gedicht unter der Person eines heidnischen Poeten schreibet. Einwurf eines deutschen Kunstrichters, daß Milton sich auf heidnische Fabeln, als auf wahrhaftige Geschichten berufe. Daß Milton die Entführung der Proserpine eben so wenig vor eine wahrhafte Geschichte gegeben, als dasjenige, was er von den Pygmeen, den Aelfen, dem Leviathan und den Lapländischen Zauberinnen meldet. Wie Milton die mythologischen Fabeln angebracht, seine wunderbaren Erzehlungen wahrscheinlicher zu machen. Wie er sie anderemahl angebracht, damit er seine Kräfte gegen den Poeten des Alterthums prüffete. Wie er sie zur Verkleinerung der heidnischen Götter angeführt. Daß die Vermählung Jupiters und der Juno, welche Voltaire tadelt, nichts mehrers als eine Metapher sey. Daß die Nahmen der heidnischen Götter ohne Sünde mögen gebraucht werden, nach einer Metonymie. Daß Miltons Anruffung der Urania ein poetisches Gebethe sey; wider Magny. Anstössiges Exempel aus Sannazars Gedichte von der Niederkunft der Jungfrauen, wo mythologische Gottheiten mit Ertzvätern und göttlichen Propheten in eine Handlung verbunden werden. Opizens mythologische Abgötterey in seiner Hercynia.