Su mille ignote sofferenze piango
Ada Negri
[7] Maikäfer –? – Kein Verständ'ger kann sie lieben,
Und hassen muß sie, wen das Grün entzückt,
Das nach des Winters letztem Flockenstieben
Mit zartem Anhauch Wald und Garten schmückt.
Dennoch mit Recht wird einmal aufgeschrieben
Die närrische Komödie, der es glückt,
Weit mehr als jedes andre Stück auf Erden –
– Trotz aller Welt Protest – gespielt zu werden.
Hierin zeigt sich ein richt'ges Hoftheater,
Daß nach dem Publikum man wenig fragt.
Aufführen läßt für sich der Landesvater
Im Schauspielhaus der Welt, was ihm behagt.
Mag pfeifen, toben rings der Menschenkrater, –
Das hilft zu nichts. »Flugjahr« ist angesagt,
Und die Akteure, die Aktricen schnurren
Aufs Podium trotz allgemeinem Murren.
Es fügt sich alle drei vier Jahre zwar
Nur immer dieses Spiels Olympiade.
Doch lang, eh' einen Aeschylos gebar
Und einen Sophokles des Himmels Gnade,
[8] Ward aufgeführt das Stück unwandelbar,
Und bleiben wird's, so lange die Estrade,
Auf der es spielt, noch fest zusammenhält.
Unsterblich ist dies Drama wie die Welt.
Was ihr nun ungezählte Male schon
Auf grüner Maienbühne sahet spielen,
Doch leicht vergaßt, sobald dem Blick entflohn
Die kleinen, dicken Mimen, die skurrilen, –
Hier nehmt es hin um mäß'gen Schreiberlohn.
Es ward gekritzt mit manchen Federkielen
Und, – weil der Lenz in Wechsellaunen strahlt, –
In Tinten jeder Farbe hingemalt.
[9]
[2][3]Auf Höhn und Tälern eine Frühlingsnacht!
Die erste nach den frosterstarrten Zeiten.
Der weiche Wind des Südens ist erwacht
Und seines Atems sanfte Wellen gleiten
Bis in der Erde dunkle Tiefen sacht
Zu dort verborgnen stillen Heimlichkeiten,
Die jener blaue Lichtstrom nicht erschließt,
Der von der Mondesinsel niederfließt.
Nicht ist die Tiefe nur des Todes Reich.
Auch Lebenskeime ruhn zu Millionen
In ihr. Aus Larven, blutlos, schwach und bleich,
Erstehen bald, gepanzert, Legionen,
Die jetzt noch, einem Volk von Schatten gleich,
In Höhlen dort, in finstern Kammern wohnen.
Schon ist Erlösungs-Ahnung zugesellt
Der unruhvoll bewegten kleinen Welt.
[4] Laßt uns belauschen, was sie tun und sagen,
Jetzt, da des Maienmundes Gruß sie trifft.
Ein Auferstehungssarg mit Flügelschlagen
Ist jede Scholle nun der stillen Trift.
Die Erdgebornen faßt ein himmlisch Wagen;
In ihnen gärt das süße Lebensgift,
Das mit dem Rausch sehnsüchtiger Gedanken
Ins Weite sie verlockt aus engen Schranken.
[5]
Dunkle Bauernstube unter der Erde. Hans Engerling mit mehreren Brüdern.
HANS ENGERLING zu den Brüdern.
Merkt ihr's? Spürt ihr's? Hört ihr's? – In allen Nachbarhäusern sind sie am Aufbruch oder schon fort.
ZWEITER BRUDER der zur Tür hinausgesehen hat.
Ja! und ganze Haufen ziehn vorbei.
HANS ENGERLING.
Auch wir müssen uns fertig machen. Schaut euch's noch einmal recht an, das alte Haus, in dem wir die Jahre her gesessen und den Tag erwartet haben, da es heißen sollte: »Das Volk, das im Dunkeln wandelt, sieht ein großes Licht.« Der Tag ist da. Das große Licht – bald, heute noch werden wir's erfahren.
[8]ZWEITER BRUDER.
Das wird herrlich sein, herrlich, herrlich!
DRITTER BRUDER.
Und dieses Haus werden wir nicht mehr sehn? nie mehr hieher zurückkehren?
HANS ENGERLING.
Wie du das sagst!
ZWEITER BRUDER.
Fast als ob es ihm leid täte!
HANS ENGERLING.
Ja! und als ob wir den Unterricht nicht alle empfangen hätten, die heiligen Sprüche, die unser Labsal waren in der Finsternis und bei so mancher Anfechtung. Wenn es da hieß: »Ich sage euch ein großes Geheimnis; wir werden nicht alle sterben, aber wir werden alle verwandelt werden«, – da konnten wir uns anfangs zwar nichts Rechtes dabei denken. Bald aber spürten wir inwendig, daß es etwas damit sein müsse; wir spürten die kommende Verwandlung in allen Gliedern, je länger es dauerte, desto deutlicher. Und eines Tages waren uns »die Fittige des neuen Lebens« – wie der Prediger neulich so schön sagte – an die Schulter geflogen, wir wußten nicht wie. Jetzt dürfen wir uns freuen, daß wir glaubten, auch als wir noch nicht begriffen.
[9]ZWEITER BRUDER enthusiastisch.
Ja! wir begriffen gar nichts, spürten aber und glaubten, und nun werden wir schauen.
DRITTER BRUDER.
Und geht's denn jetzt gleich hinauf?
HANS ENGERLING.
Nein! erst zur Landsgemeinde, die unser König einberufen hat. Das ganze Volk versammelt sich – wie's in einem alten Liede heißt.
ZWEITER BRUDER auf den vierten, jüngsten Bruder deutend.
Wird denn Dummerchen da auch mitgenommen?
HANS ENGERLING.
Du meinst, weil er doch nichts begreifen wird? Wir werden freilich unsere liebe Müh' und Not mit dem kleinen Vieh haben; aber allein zurücklassen können wir ihn nicht.
Komm' mal hervor, Dummerchen.
DUMMERCHEN.
Da.
HANS ENGERLING.
Es geht auf die Reise. Dummerchen wird die Welt sehen.
[10]DUMMERCHEN furchtsam, scheu sich umsehend.
Gibt's dort auch Hände?
HANS ENGERLING zu den andern Brüdern.
Immer die Angst jener Stunde, die seinen Geist trübte!
DRITTER BRUDER.
War auch schrecklich genug. Wir duselten an jenem Abend so hin, dachten nichts, sagten nichts, wie Übrigens gewöhnlich ...
HANS ENGERLING.
Dafür gehören wir zu den Stillen im Lande.
DRITTER BRUDER.
Da plötzlich – in der Wand – dem Dummerchen gerade gegenüber – mein Tag des Lebens vergeß ich's nicht: zwei Hände, die durch die Mauer brechen ...
ZWEITER BRUDER.
Mein Gott! ja! der ver ... hätt' ich bald was gesagt – der schwarze, pelzige Werwolf! Warum die alte Geschichte aufwärmen?
DRITTER BRUDER ohne sich stören zu lassen.
Der Rüssel den Händen gleich nach, packt unsern Bruder Gottlieb, frißt ihn vor unsern Augen an und – fort mit ihm! Haben ihn nie wieder gesehen. Das Anfressen war scheußlich. Aber am scheußlichsten doch diese Hände plötzlich durch die Mauer.
[11]DUMMERCHEN angstvoll aufschreiend.
O! die Welt hat Hände!
HANS ENGERLING.
Nein! Beruhige dich nur. Hier unten gab's Nacht und Mühsal und Angst und Traurigkeit. Aber diese jenseitige Welt, in die wir nun eingehen sollen, hat gewiß keine Hände. Wie könnte sie sonst die heilige Welt sein, die uns verheißen ward?
Versuch' mal, Dummerchen, ob du mir den Reisespruch nachbeten kannst: »Ich sage euch ein großes Geheimnis ...«
DUMMERCHEN.
Geheimnis? Darf man das?
HANS ENGERLING.
O! du Einfalt! Wie denn nicht? Sprich's nach: »Ich sage euch ein großes Geheimnis ...«
DUMMERCHEN.
Ich sage euch ein großes Geheimnis ...
HANS ENGERLING.
»Wir werden nicht alle sterben, aber alle verwandelt werden.«
DUMMERCHEN.
Wir werden ... wir werden ... Geheimnis ... wir werden gewiß alle sterben. Weint.
[12]HANS ENGERLING.
Es ist ihm zu schwer; ich muß es aufgeben. Vielleicht kommt ihm die innere Erleuchtung, wenn erst das neue Leben begonnen hat.
Wenn ihr bereit seid, so laßt uns gehn. Führt das Dummerchen. Gott segne unsern Ausgang.
DRITTER BRÜDER im Abgehen zurückblickend.
Eine Heimat war's bei alledem. Aber ... besser ist besser! Adies!
Alle ab.
Unterwegs zur Landsgemeinde. Unterirdische Straßenkreuzung Ueberall wanderndes Volk. Zwei Bürger im Vorübergehen.
ERSTER BÜRGER.
Man sollt's nicht denken, Herr Grünschneider, aber es gibt kleingläubige Gesellen, die noch jetzt zweifeln, wo die Offenbarung doch so zu sagen bereits ihren Anfang genommen hat.
ZWEITER BÜRGER.
Das sind eben Kummerkraxen, wehleidige, so lang an Verdruß und Jammer gewöhnt, daß ihnen was fehlen würd', wenn's nichts mehr zu ängstigen gäb'!
[13]ERSTER BÜRGER.
Ist auch böser Wille dabei. Hab' mir von einem erzählen lassen, der rote Sepp heißt er, der soll ganz offen gesagt haben, der G'schicht trau' er noch lange nicht.
ZWEITER BÜRGER.
Welcher G'schicht'?
ERSTER BÜRGER.
Nu eben, unserm Uebergang, unserer Auferstehung.
ZWEITER BÜRGER.
So einem sollt' man aber doch das Maul so stopfen, daß er auf ewige Zeiten vergäß', wie man's aufmacht.
ERSTER BÜRGER.
Er soll auch nicht unsres Volkes sein, sich listig ins Bürgerrecht eingeschlichen haben, als man seine schlechte Art noch nicht erkannt hatte.
ZWEITER BÜRGER.
Wo ist er denn her?
ERSTER BÜRGER.
Ach! da ... viel weiter östlich.
ZWEITER BÜRGER.
Ja! dort soll's mehr solche fatale Bursche haben, denen alles nichts ist. Aber reden wir nicht davon. Man ärgert sich unnötig und schadet sich an der Gesundheit.
Gehen vorüber.
[14] Hans Engerling und Brüder kommen und begegnen einer andern Bauernfamilie.
HANS ENGERLING.
Ihr geht auch zur Landsgemeinde?
BAUER HINTERSTOISSER.
Eben dahin. Wohin auch sonst? Aus allen Gehöften strömt das Volk. »Es ist eine Freude zu leben!« sagte heute einer, der an uns vorbeikam.
HANS ENGERLING.
Einverstanden! – Ihr seid euer viel, ein ganzer Zug. Wer ist der Große, Dicke da in eurer Mitte?
HINTERSTOISSER.
Den schaut mit Respekt an! Das ist der alte Hubeland. Der war früher schon einmal auf der Erde und ist wie durch ein Wunder zu uns zurückgekehrt.
HANS ENGERLING.
Was! was! – Habt ihr's gehört, Brüder? Einer, der schon oben war! Das ist ja – ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Also ein lebendiger, greifbarer Beweis, daß alles wahr ist, was man uns gelehrt hat. Herrgott! wie mir das ans Herz greift. Das ist mehr als zehn Betstunden.
Zu dem Alten.
Ehrwürdiger Vater, ich grüße euch.
[15]HINTERSTOISSER.
Er hört euch nicht. Er ist arg schwerhörig. Man muß sehr laut mit ihm reden. Aber er ist ein gemütlicher Mann.
HANS ENGERLING.
Doch humpelt er so. Es fehlt ihm ein Bein ...?
HINTERSTOISSER.
Ja, er muß es mit fünfen machen.
HANS ENGERLING.
Wie ist er ums sechste gekommen? Ich möchte doch gar zu gern mit ihm reden.
HINTERSTOISSER.
Das gibt sich vielleicht später. Jetzt müssen wir uns tummeln, wenn wir einen guten Platz erobern wollen.
HANS ENGERLING.
Das ist wahr. Vorwärts also! ... Aber – wie wunderbar! wie wunderbar! Ich hab' nie gezweifelt und jetzt muß ich doch staunen, daß einer schon oben gewesen ist. – Wenn ihr's erlaubt, bleiben wir beisammen.
Alle gehen weiter.