Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Mährchen

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Erster Band

[3] Freundlichen Gruß zuvor.

Da! Ihr lieben Krabauters 1 und Nußknacker, Groß und Klein, da habt Ihr ein Mährleinbuch. Ich denke, Ihr sollt es recht lieblich und lustig finden, aber auch, wie der Titel besagt, lehrhaftig dazu, wenn Ihr sonst wollt; [4] wollt Ihr es aber nicht, so könnt Ihr es auch bleiben lassen, und dann kann ich weder Euch noch mir helfen 2 .

Die meisten Mährchen hab ich nicht selbst gemacht, sondern der wahre und eigentliche Verfasser davon ist die Welt, ich aber habe ein wenig daran gebastelt und sie nach meiner Weise zugerichtet (umgebildet nennen sie's jetzt), daß sie Euch möchten ergötzen, aber dabei Euch auch lehren. Sollte mir das gelungen sein, so kommt vielleicht noch ein Bändchen nach, und soll dann dieses schon einholen, aber wenn ich todt gestorben sein werde, so wirds damit nichts. Das sag ich Euch hiermit im voraus.

Je nun! ich hoffe schon, daß Euch das Büchlein gefallen wird, wenn die Proben mich nicht trügen, die ich darüber angestellt habe; aber! aber! ob es die grundhochgelahrten und hochgewaltigen Herren genehmigen werden, die Alles beschnüffeln und beschnarchen, und rümpfen dann die krause [5] Nase bedenklich und sinnend dazu, ohne jedoch den rechten Geruch in der Nase zu haben, und sprechen dann: »der Bettel!« – – ja! ob die es genehmigen werden, das weiß ich denn nicht, und brauch's auch nicht zu wissen; – genug, daß ich ohngefähr weiß, daß das Büchlein gerade nicht anders sein durfte, als es nun so eben ist. Einen guten Rath muß ich Euch aber jedennoch geben. Kommt ein solcher Kettenhund, ders nicht lassen kann, die Leute anzubellen, versteckt's Büchlein! Ihr süßen Goldherzen, versteckt's hurtig und geschwind, und laßt Euch nichts merken, es gibt sonst nur einen Schreck. – Daß übrigens der Hund bellen und der Bär brummen muß, das seht Ihr schon ein; sie sind dazu da, und ist einmal ihre Art und Natur also.

Uebrigens, wenn Ihr mich nicht verrathen wollt, will ich es Euch wohl offenbaren, daß selbst viele dieser gestrengen und allweisen Herren nicht nur als Kinder gern Mährchen gehört und gelesen haben, sondern noch jetzt sie gern hören und lesen, ja daß man heuriger Zeit selbst für solche Kinder Mährchenbücher geschrieben hat, die so groß sind, daß sie zu ihrem Schlafrock ein Dutzend Ellen brauchen 3 . Kurz; alle Welt hat die Mährchen gern. Das macht, die ganze Welt besteht [6] aus Mährchen, und das Leben besteht auch daraus und fänge damit an und hört damit auf. Wie das nun aber zu verstehen sei und worin das wieder liege, müßt Ihr Euch einmal, wenn Ihr erst besser herauf seid, selbst ausdenken; denn wer sich Dergleichen nicht selbst ausdenkt, lernt es selten recht aus dem Grunde verstehn. Das Eine kann ich Euch hier allein nur sagen, daß in dem Menschen eine gewaltige große Welt voll Geister und Wunderdinge liegt. Mehr zu sagen könnte nichts helfen.

Was Ihr als grundkluge Nester und grundliebe Marzipan- und Zuckerherzen beim ersten Blick spitz habt, ohne daß Ihr es erst auszudenken nöthig gehabt hättet, ist das: Daß, was in dem Büchlein steht, Alles miteinander nicht wahr ist, und darin habt Ihr recht, ganz recht; ich aber sage, daß Alles was in dem Büchlein steht, Alles miteinander wahr, ganz und vollkommlich wahr ist, und darin hab Ich recht, auch recht, und Ihr könnt es mir aufs Wort glauben und nachsagen.

Nun seht; da hab ich gesprochen, als wär ich zu Hause, und als kennte ich Euch Alle. – Nun! Ihr werdet mir es doch nicht so sehr verübeln, denk ich, zumal wenn ich Euch recht sehr schön darum bitte, welches denn hiermit geschieht. Uebrigens bilde ich mir ein, Euch wirklich Alle zu kennen. – Doch das [7] ist vielleicht nur Einbildung! – Indessen, das Buch muß es ausweisen.

 

Noch hab ich ein Paar Punkte auf dem Herzen, wovon Euch der Eine ganz allein angeht, und daher auf der nächsten Blattseite auch allein gedruckt ist. Thut mir die Liebe, und überseht und vergeßt ihn nicht, wie ich ihn zwar übersehen, aber nicht vergessen hatte. – Die andern drei Punkte gehen Euch wenig oder gar nicht an. Sie sind aber folgende.

 

1) Dieses Büchlein ist nicht für solche Kinder geschrieben, wie das Wickelkind ist, das der rothe Kickelhahn, der auf Zeit und Ordnung hält, im Schnabel zur Schule hinträgt, wie es hier, ziemlich zu Ende des Büchleins, im Doktor Allwissend zu lesen steht. Sollte jedoch ein solches Kind schon ordentlich lesen können, so mag es, zumal wenn es sonst gute Gaben hat, ein Bißchen hineinschauen, aber nicht eigentlich lesen. Sollte es aber nun durchaus und durchum gar zu große Lust und Liebe zum Lesen schon mit zur Welt gebracht haben, und nach den ersten sechs Wochen in seinem Verlangen nicht können beschwichtigt werden, so soll es eins von den vielen gedruckten Büchern lesen, in welchem die Bilder der Kickelhahn [8] nebst seiner Krakelhenne gekrikelkrakelt haben, und in welchem Nichts steht. So etwas läßt sich gar leicht und anmuthig lesen, und kostet kein Kopfbrechen.

 

2) Geb ich aller Welt auf, zu bedenken, ob man nicht den Stahl erst härten und gut machen muß, ehe man ihn polirt, oder ob das Poliren dem Härten vorausgehen darf? – Ist das ordentlich ausgemacht, so ist alles darin enthalten, was ich über dieses Buch und seine Art und Weise für mich zu sagen habe.

 

3) Hab ich dieses Büchlein nicht selbst gedruckt und die Probebogen vor dem Abdruck nicht gesehen, sonst hätte Manches wohl anders mögen werden. Indessen hat die Hauptsache eben nichts dabei gelitten, und was anzuzeigen noth ist, folgt.

 

4) Was ich mit diesem Büchlein eigentlich gewollt habe, weiß ich selbst nicht recht; aber andere Leute werdens schon herausbringen.

 

5) Das letzte ist, was ich schon oben erwähnt habe, und was die nächste Blattseite besagt.

 

Gehabt Euch wohl!

Fußnoten

1 Nach der heutigen Sprache muß es heißen: »Lieben Gold-, Silber- und Edelsteinkinder; oder: Goldpapiersöhne und Silberpapiertöchter.« So muß ein rechtschaffener Verfasser seine kleinen Lesezwerge, (unter welchen sich jedoch auch tüchtige Bursche finden dürfen) so muß er sie anreden. Ich aber bin nur ein Stümper in solchen hohen Dingen.

2 Eigentlich, was die rechte und echte Lehre betrifft, müßt Ihr sie blos aus solchen Büchern herholen, die vom artigen Märten, vom niedlichen Töffelchen, vom reinlichen Peterchen, von der guten Kathrine, und dann wieder von dem häßlichen Brüllhanns und von der garstigen Schreilise handeln, und bei welchen Ihr, zur Uebung der Aufmerksamkeit, vor langer Weile bald sterben müßt. Andere Lehre ist Euch gar nicht nöthig. Genug, wenn Ihr nur lernt, wie man die Jacke ordentlich und sauber ausbürsten muß. Das reicht zu!

3 Wohl zu verstehen; nicht die Mährchenbücher brauchen so viel Gezeugs zum Schlafrock, sondern die großen Lesebursche.

[9] Nicht zu übersehen, Ihr Lieben!

Leset, wenn Ihr »den lieben Gott und den Schwaben« gelesen habt, noch zu Ende von Seite 140 Folgendes dazu.

 

Noch immer wandelt der Herr mit uns armen Schwaben und Thoren, und thut uns des Guten gar viel obwohl wir oftmals gar trotzig und hartnäckig sind. Freilich, wir sehen und merken ihn nicht, obwohl wir es recht leicht könnten. – – Und zu den Paar Kreuzerlein, die wir verdient haben, legt er uns gar großes Gut und Gabe zu, die wir nimmer hätten verdienen können.

[10]

 

Das Buch der Mährchen

Der kleine Däumling.

Verstand geht vor Körperstärke.

 

Der kleine Däumling. (Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Mæhrchen)Der kleine Däumling. (Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Mæhrchen)

Es war einmal, vor vielen, vielen Jahren, ein armer, recht sehr armer Holzhauer, der hatte sieben kleine scharmante Jungen, an welchen er und seine liebe Hausfrau ihre herzinnigliche Freude hatten, obwohl die kleinen Magen alle Tage essen wollten, und Essen zu schaffen ihnen mitunter sehr schwer ward. Aber sie waren auch mit Brod und etwas Salz darauf zufrieden, denn Fleisch kam nur an den höchsten Festtagen ins Haus; und hungrig gingen sie doch nicht zu Bette.

Der kleinste der kleinen Burschen war auch der jüngste, und wohl kaum 8 Jahr alt, aber ein kluges Kerlchen. Er paßte auf alles auf, sprach eben nicht viel, dachte aber desto mehr, und weil er so klein war, nannten und riefen sie ihn im Hause: kleiner Däumling, oder auch wohl nur Däumling geradeweg.

Es kam ein schweres, sehr schweres Jahr, denn die Ernte war ganz mißrathen, und die Aeltern, der Däumling, und die andern 6 Kinder mußten jetzt oft hungrig zu Bette gehen. Der armen Mutter brach das Herz, und der Vater sah schwermüthig sinnend drein.

Eines Abends waren die Kinder alle schlafen gegangen, aber der Mann saß noch mit seiner Frau am Feuer, denn, weil er Holzhauer war, so hatte er auch Holz genug, um Feuer haben zu können.

[4] »Frau,« sagte er, »die armen Kinder müssen wir wohl dem lieben Gott befehlen, der für sie sorgen wird, da wir es nicht mehr können! Ich will sie morgen mit in den dicksten Wald führen, und Reißholz auflesen lassen, und mich dann heimlich davon machen. Den Rückweg finden sie gewiß nicht! Und wenn sie auch im Walde umkämen, und von wilden Thieren gefressen würden, so ists doch besser, als wenn wir sie vor unsern Augen sollen so langsam verschmachten sehen!«

Die Mutter hatte viele Einwendungen, denn sie hatte ja ein Mutterherz. Aber da der Mann ihr nun so beweglich zu Gemüthe führte, ob sie denn lieber die armen Kinder wolle vor ihren Augen verschmachten und verhungern sehen? da gab sie mit vielen Thränen nach, und legte sich bekümmert zu Bette, und betete zu Gott, daß er doch helfen möge. Daß die arme Mutter die ganze Nacht über kein Auge zuthat, könnt Ihr leicht denken.

Mein Däumling schlief aber eben so wenig, als die Mutter. Er hatte wohl bemerkt, daß die Aeltern etwas Besonderes hatten; er war leise von seiner Schlafstelle aufgestanden, er war unter des Vaters großen Holzschemel heimlich und unbemerkt gekrochen, und hatte Alles, Alles genau gehört. Er ängstete sich nun die ganze Nacht, konnte nicht schlafen, und sann und sann! und am Ende hatte er doch etwas herausgesonnen.

Ohne seinen Brüdern etwas zu sagen, weil er sie nicht ängstigen wollte, und weil sie noch in so süßem, süßen Schlaf lagen, stieg er gar sehr früh vom Lager auf, ging an den Bach, und suchte kleine weiße Kiesel.

»Kommt Kinder!« sagte der Vater; »sollt mit mir in den Wald, und dürres Reißholz lesen. Somit gings fort, und die Kinder wurden in den dicksten Wald geführt.« – »Leset,« hatte der Vater gesagt, »ich will euch schon zu rechter Zeit holen, aber er holte sie nicht, sondern hatte sich ganz heimlich nach Hause geschlichen.«

[5] Da der Vater nicht kam, wurde den Kindern im dicken, dichten Walde unmenschlich bange. Sie riefen, sie schrieen, sie heulten. Aber der Däumling sagte: »seid nur stille, denn ich bring euch gewiß nach Hause.« Und der Däumling brachte sie auch nach Hause, denn er hatte die kleinen weißen Bachkiesel auf den Weg hingestreut, die er in seiner Tasche hatte.

Sie wußten nun alle, woran sie waren, weil Däumling ihnen unterwegs alles gesagt hatte, und getrauten sich deshalb nicht ins Haus hinein, sondern horchten vor der Thür, was Vater und Mutter mit einander sprächen.

Die armen Menschen hatten sich einmal recht herzlich, seit langer Zeit recht von grundaus satt gegessen, denn sie hatten eine Schuldpost bezahlt bekommen, auf welche sie schon lange nicht mehr gerechnet hatten, wohl an 20 Thaler. Da mußte die Frau gleich Fleisch holen, in gewaltiger Menge. Denn sie glaubten bei ihrem entsetzlichen Hunger, sie würden kaum daran genug haben, und hatten so lange, so sehr lange kein Fleisch, nicht einmal gesehen, geschweige denn gegessen.

Als sie nun satt waren, und noch viel übrig geblieben war, fing die Frau an zu weinen, und den Mann einen Rabenvater, einen gottlosen Mann über den andern zu schelten, der seine Kinder den Wölfen und Bären im Walde Preis gäbe. »Ach Gott! ach Gott! rief sie, da ist nun so viel übrig, daß sie alle hätten satt werden können, und mit lautem Geheul schrie sie: o meine Kinder, meine verlassenen Kinder! wo seid ihr? wo seid ihr?«

»Hier sind wir! hier sind wir!« riefen die Kinder alle auf einmal; »hier vor der Thür!«

Gleich wurde die Thür aufgemacht; die Aeltern herzten und drückten die Kinder, und dankten Gott, daß sie alle wieder ohne Schaden da waren, und die Kleinen mußten sich an den Tisch setzen und sich satt essen, denn es war noch genug da.

[6] Aber wie lange können 20 Thaler in theurer Zeit vorhalten? Die armen Leuten dachten zwar, sie könnten nicht alle werden, aber in wenigen Tagen waren sie verzehrt, und die alte Noth brach wieder ins Haus ein, und die alte Angst wieder ins Mutterherz. Die Aeltern hielten wieder heimlichen Rath, und fanden keinen andern als den, die Kinder abermal in den Wald zu führen, aber viel viel tiefer hinein, als das erstemal.

Däumling kriegte das aber weg, und dachte, er wollte sich und die Brüder mit den Kieseln schon zum zweitenmal nach Hause helfen. Aber als der arme Schelm früh aufstand, um Bachkiesel zu suchen, fand er die Thür fest verschlossen. Da mußte er in der Angst das Stück Morgenbrodt, was er lieber selbst gegessen hätte, in Bröckchen heimlich auf den Weg streuen, auf welchem sie der Vater in den allertiefsten Wald hineinführte. »Geh du nur Vater! dachte Däumling, als dieser sich nun fortschlich, wir wollen den Weg schon wieder nach Hause finden.«

Ach sie fanden ihn nicht, die unglücklichen Kleinen, denn die Vögel hatten das Brod gefressen. In der Angst kamen die Kinder immer tiefer und tiefer in den Wald, und selbst der kluge Däumling wußte nicht wo aus noch ein. Dazu wurde es Nacht; es brach ein Sturm mit gewaltigem Heulen, Brausen und großem Platzregen los, und das Geheul gieriger Wölfe glaubten sie auch noch zu hören. Da stieg ihnen vor Furcht das Haar auf dem Kopfe zu Berge.

Däumling stieg nun auf einen hohen Baum, und sah sich überall um, ob denn nirgends ein Lichtschimmer sich fände. Endlich erblickte er ein Licht, und merkte sich die Gegend genau, wo es schien. Auf diese ging es nun unter Furcht und Zittern, in Schmutz und Koth los. Bald zeigte sich das Licht, bald verschwand es wieder, je nachdem der Weg höher oder tiefer ging. Endlich denn kamen sie mit viel Mühe und Noth an das Haus, in welchem das Licht war, klopften an, und eine Frau, die aufmachte, fragte, was sie wollten? Da jammerten sie, und klagten alle Noth und Angst die sie ausgestanden hatten, und baten [7] um ein Nachtlager. Der Frau gefielen die hübschen Kinder, aber sie fing an zu jammern und zu weinen, und schluchzte: »Ach wohin seid ihr gerathen, ihr unglücklichen Kinder? Hier ist ja das Haus des Popanzes, der kleine Kinder auffrißt, weil sie sein liebster Leckerbissen sind! – Wo sollt ich euch hinstecken, ohne daß er euch auswitterte, weil er Menschenfleisch auf viele Schritte weit riecht.«

»Ach, liebe Mutter! wimmerte der kleine Däumling, der für die andern das Wort führte, was sollen wir denn nun anfangen? Denn draußen werden wir auch von hungrigen Wölfen zerrissen? Sollte denn der gnädige Herr Popanz gar nicht zu erweichen stehn? Ach lieber Gott helft uns doch; wir können ja auch nicht mehr weiter! wir sind ja ganz hin.«

Das brach der guten Frau das Herz; sie ließ die Kinder herein, und dachte sie schon eine Nacht hinzubringen, zumal da der Popanz eben jetzt nicht zu Hause war, und vielleicht auch nicht vor dem andern Tag wieder käme. Sie setzte unsere Kinderchen um ein großes Feuer herum, an welchem ein wohlgemästeter Hammel an einem Bratspieß gebraten wurde, zu einem leichten Nachtessen für den Popanz, wenn er etwa nach Hause käme. So ein paar Mundbissen mußten allezeit für ihn bereit sein, er mochte nach Hause kommen wenn er wollte. An diesem Feuer nun trockneten sich unsere Kleinen, und ich glaube die Frau gab ihnen auch ein Paar Bissen zu essen.

Kaum waren sie trocken, und hatten den schärfsten Hunger etwas gestillt, als es mit vier tüchtigen Faustschlägen an die Thürpforte donnerte. Das war der Popanz! Die Frau steckte hastig die Kinder unter ein großes Bette, und machte die Thür auf!

»Wo ist das Essen? – war das erste Wort, was der Popanz sagte; und ob der Wein abgezogen wäre?« war das zweite Wort. Er setzte sich an den Tisch, verzehrte das Hämmelchen, obgleich, was ihm sogar recht war, das Fleisch noch blutete.

[8] Er war mit so wenigem sehr bald fertig und sprach dabei, weil er diese Sache mit großer Innigkeit trieb, kein einziges Wort. Er war fertig, und weil er eben nicht mehr auf den Tisch sahe, dachte er, die Natur muß einmal mit Wenigem zufrieden sein. Indessen schnupperte er doch noch mit seiner vortreflichen Riechnase ein bischen rings umher.

»Frau! sagte er plötzlich, ich wittere Menschenfleisch!«

»Ih! Mann, das ist das Kalb, das ich eben geschlachtet und ausgenommen habe,« antwortete die Frau.

»Faule Fische, Du! rief der Popanz mit Donnerstimme, und mit gräßlichem Gesichte, ich wittere frisches, junges Menschenfleisch.« Er schnupperte und fand die armen Jungen unter dem Bette, und zog sie, einen nach dem andern, hervor!

»Ho! hoh! rief er grimmig; so willst du mich anführen, du Weib? – Warte, dich will ich zuerst fressen, und diese junge Brut dann hinterdrein. Es muß einen herrlichen Leckerbissen geben! – Hätte ich doch nicht gedacht, so etwas Köstliches zu finden!« – Der Mund wässerte ihm schon, und er nahm das wohlgeschliffene Schlachtmesser, das er immer mit sich führte, und wollte die Kleinen schon abgurgeln.

Die Kinder fielen ihm zu Füßen und wimmerten und flehten. Dazu lachte er denn. Aber die Frau stellte ihm vor, daß er ja noch zu essen genug habe, für so tiefe Nachtzeit, und daß er diese hier nicht einmal recht würde genießen können, indem sie nicht mehr recht zugerichtet werden könnten, und daß ja morgen auch noch ein Tag sei, wo das Gute gut schmecken werde.

»Frau da hast du wahrhaftig einmal recht!« erwiederte er, und ließ das schon gehobene Schlachtmesser wieder sinken. »Dazu kommt, daß ich mir zu morgen ein Paar gute Freunde gebeten habe, damit wir einmal einen vergnügten Tag zusammen haben. Na! füttre die Krabauters und bring sie ins Bett. Morgen früh denn sollen sie dran.«

Während des Allen nun hatte der Herr Popanz, damit er beim vielen Sprechen den Gaumen anfeuchtete, einen tüchtigen Becher Wein [9] nach dem andern getrunken, trank nun noch 2 oder drei Dutzend Becher zum Schlaftrunk, und legte sich in seiner Schlafkammer zu Bette.

Die Frau brachte nun die kleinen Knaben in eine andere Kammer, alle sieben in ein sehr großes geräumiges Bette. Hier schliefen auch, in einem andern geräumigen Bette, sieben kleine speckfette und runde Popänzchen; die Kinder des Popanzvaters – lauter Mädchen, die auch schon rohes Fleisch essen konnten, und schon kleine Kinder mit ihren langen scharfen spitzen Zähnen anbissen, um ihnen das Blut auszusaugen, woran denn der Herr Vater seine herzinnige Freude hatte; er hatte daher den kleinen Wehrwölfen leichte Goldkrönchen machen lassen, die sie auch im Bette nicht absetzen durften.

Mein kluger Däumling dachte: »Wer weiß, ob der Popanz nicht in der Nacht aufsteht, und uns abschlachten will? Er ist gar zu lüstern nach Menschenfleisch; und man muß sich vorsehen!« – Er sahe sich denn vor, nahm den im Todtenschlaf schnarchenden kleinen Popanzfräuleins die Krönchen ab, und setzte ihnen seine und seiner Brüder Mützen dafür auf, diesen aber und sich selbst setzte er die Goldkrönchen auf. – Die Brüder waren vor Angst und Müdigkeit in Sicherheit eingeschlafen, aber der Däumling schlief nicht.

Richtig! der Popanz Riese kam in der Nacht in die Kammer, wo die Popänzchen schliefen, und unsere Kinder auch. Er ging an das rechte Bette, wo die Knaben lagen, tappt zur völligen Sicherheit aber, weil es noch dunkel war, auf die Köpfe der Kleinen, und fühlt die goldnen Kronen! »Nun! murmelt er vor sich hin, das wäre eine schöne Geschichte geworden! Ich dachte ich hätte so wenig getrunken, und habe denn doch wohl ein oder zwei Becherchen zuviel genommen!«

Er geht ans andere Bette, wo seine Popanzdämchen schliefen, er fühlt die Mützen, und spricht: »Nun! ihr Bürschchen sollt mir nicht davon kommen. Die Frau hülfe euch sonst wohl noch durch!« – nimmt sein Schlachtmesser, gurgelt ihnen die Kehlen ab, saugt das Blut ein, und legt sich wieder ins Bette.

[10] Däumling weckt nun die Brüder, die sich schnell anziehen müssen, und entflieht mit ihnen durch den Garten. Sie liefen den übrigen Theil der Nacht in großer Angst, auf gutes Ohngefähr, durch den Wald nach Hause zu. Das Ohngefähr war wirklich gut, und am frühen Morgen sahen sie, daß sie auf wohlbekanntem und richtigem Wege waren.

Aber am frühen Morgen sagte der Popanz: »Frau, mache die Jungens zu Mittag zurecht! Ich habe sie alle diese Nacht abgekehlt, damit du nicht winseln und wimmern solltest.«

Da ergab sich denn die gräßliche That! die Frau fiel in Ohnmacht; der Popanz goß ihr ein paar Eimer Wasser über das Gesicht, so daß sie wieder zu sich kam.

»Nun Frau, hole die Meilenstiefeln, sagte der Popanz. Ich will den Hallunken nach, und will sie grimmig martern und tödten. Richte indessen nur unsere Kinderchen, unsere armen Kinderchen an, auf den Mittag! Es ist nun mit ihnen doch nichts anders zu machen, und Menschenfleisch schmeckt gar zu gut.«

Die Frau holte die Meilenstiefeln, womit bei jedem Schritt eine Meile zurückgelegt wurde, und womit man denn in einem Tage hätte um die Erde herum marschiren können. Er zog sie an, ging links und rechts; kreuz und queer, rückwärts und vorwärts, um Alles recht zu durchstöbern. Er war dem Däumling und seinen Brüdern endlich schon sehr nahe, und sie waren nur ein Paar tausend Schritt vom Aeltern-Hause. – Da war zum Glück eine Felsenhöhle, wo Däumling die Brüder hineintrieb. Der Riesenpopanz, vom Hin und Herkreuzen müde, legte sich oben auf den Felsen, und schnarchte bald so, daß die Bäume bebten. – Däumling ließ die Brüder nach Hause gehen, er aber blieb zurück, und zog dem schnarchenden Schläfer die Stiefeln aus, und sich an, und weil sie verzaubert waren, paßten sie sogleich auch auf seine kleinen Beine.

[11] Es war gerade Krieg. Da konnte er seine Stiefeln herrlich brauchen. Denn er brachte die Nachrichten vom feindlichen Heere in einigen Minuten; er bekam von den Briefen, die die Frauen an ihre Männer schrieben, und die Mädchen an ihre künftige Ehegatten, und von den Briefen, die er wieder mit zurücknahm, ein gar großes Geld. Der König zahlte ihm auch nicht schlecht! seine Aeltern und Brüder wurden gar reiche Leute, und der kleine Däumling wurde am Hofe ein großer Mann, obwohl er immer klein blieb. –

Das machte der Verstand, und die Meilenstiefeln.

Ali Baba der Blinde.

Ali Baba der Blinde. (Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Mæhrchen)Ali Baba der Blinde. (Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Mæhrchen)

Unter den muselmännischen Herrschern war ein sogenannter Khalif, was denn etwas Anderes auch eben nicht bedeutet, als was man jetzt Großsultan nennt, der war Harun Alraschid geheißen, und lebte mit dem berühmten Kaiser Karl dem Großen zu gleicher Zeit. Wenn man vor seinem Thron war, mußte man sich auf gut morgenländisch vor ihm platt auf den Boden mit dem Gesichte und Bauche niederlegen – so etwa, wie ein guter Pudel der kusch macht, wenn ihm der Prügel oder die Peitsche gewiesen wird, und mußte ihn kriechend in allerdemüthigster Demuth »Beherrscher der Gläubigen,« d.h. der Musulmanen (Mahommedaner) nennen, weil diese den rechten Glauben allein hätten. – Nun! bei uns ist, wie Ihr wohl noch künftig lernen werdet, das ganz anders. Da darf man, wenn man Gott und das Gesetz ehrt, gar frei und dreist seine Worte anbringen, nicht nur vor dem Fürsten, wenn man anders vor ihn kommt, denn sonst gehts nicht gut an, sondern auch sogar vor den Ministern und Räthen, wenigstens [12] doch zuweilen. Da bekommt man denn alle Gerechtigkeit, oder vielmehr Gnade, welches ein Wort ist, das Ihr Euch wohl merken müßt, indem es die Gerechtigkeit weit weit aufwiegt, und eigentlich Alles ausnützt! und zwar ganz allein! – Nun? ihr merkt doch wohl, daß ich nur Mährchen erzähle, weil ich so weit und breit es mache – aber, das schickt sich denn einmal nicht anders.

 

Seine Doppelmajestät, nämlich der Khalif Alraschid, wie wir ihn nun wohl kurz weg nennen dürfen, da er so lange schon todt ist, war ein bischen neugierig, oder auch zuweilen aus langer Weile schwermüthig und ordentlich melancholisch, und wollte Kurzweile haben, oder aber er war, wie man sagt, sehr für die Gerechtigkeit passionirt oder eingenommen, welches denn auch gar nicht zu tadeln ist.

Da nahm er denn gegen Abend oftmals eine Kaufmannskleidung, um zu sehen, wie Recht und Gerechtigkeit gehandhabt würde. Sein erster Minister oder Großvezier, der Glassar hieß, und ein recht tüchtiger Mann scheint gewesen zu sein, und der Oberkammerherr, der Mesrone genannt ward; mußten ebenfalls mit, weil er es haben wollte, und zwar ebenfalls verkleidet. Sie wären wohl manchesmal gern zu Hause geblieben, weil sie des Tags über zu sprechen, schreiben rennen und laufen genug hatten; aber der Khalif wollt' es einmal so haben. So geschah es denn auch, weil er ein Khalif war.

Da kamen denn dem Khalifen in seiner Hof- und Lagerstadt, Bagdad, zuweilen gar seltsamliche Dinge vor.

 

Einmal kam der Herr Khalif über eine große lange Brücke, an deren Ende ein armer und schon alter blinder Mann saß, der um eine Gabe bat. Der Khalif, der von seinen Unterthanen Geld genug bekommen konnte, gibt ihm, ohne weiter zu untersuchen, ein [13] Goldstück in die Hand. Aber der Blinde faßt nun den Khalifen bei der Hand, und faßt ihn fest.

»Großmüthiger Wohlthäter« sagt er – denn daß er ein Goldstück empfangen hatte, hatte er herausgerochen, oder doch heraus gefühlt – »Großmüthiger Wohlthäter! gebt mir doch ein oder zwei Maulschellen, aber tüchtige, sonst nehm' und mag ich euer Goldstück nicht!«

Der Kalif war, wie Ihr leicht denken könnt, ein gar barmherziger und gnädiger Mann! Ein bischen Aufhängen, Spießen und Kopfabschneiden lassen, das kam freilich alle Tage vor, aber einem Manne ohne Noth eine Ohrfeige geben, und sich damit noch bemühen, das ziemte sich nicht für einen Khalifen. – Er gab ihm einen leichten, ganz leichten Backenstreich! – Aber er wollte doch den närrischen Kauz, der Goldstücke nicht ohne Ohrfeigen haben wollte, näher kennen lernen, und befahl dem Wessir Staffar, dem Blinden zu sagen, wer er sei – – denn das konnte er ja beileibe nicht selbst – – und ihm befehlen, morgen um die und die Stunde vor des Khalifen Thron zu erscheinen. Da kommt denn der blinde alte Mann zu gesetzter Zeit und Stunde, und streckte sich auf Bauch und Gesicht hin, obwohl er eigentlich kaum ein Gesicht mehr hatte, und mußte nun beichten und ansagen, warum er Almosen und zugleich Ohrfeigen von den Leuten erbettle; denn so etwas mußte der Khalif wissen. Da erzählte der Blinde denn also.

 

»Herr und Beherrscher der Gläubigen!«

Vater und Mutter waren beide gestorben, da ich noch ziemlich jung war, und hinterließen mir ein bischen Vermögen, das ich aber, wie andere junge Leute wohl gethan hätten, keineswegs durchbrachte, sondern, wie ich wußte und konnte, bestens zu vermehren suchte. Ich brachte es auch wirklich dahin, daß ich am Ende, ich selbst ganz allein, 80 Kameele besaß, die ich den Kaufleuten vermiethete, welche [14] in Karawanen 1 dahin und dorthin zogen, und womit ich ein gutes Stück Geld gewann.

Ich war nun wohlhabend genug geworden, aber ich wollte nun auch grundreich, grundreich werden, weil ich wohl schon geitzig geworden war. Ich hatte vielleicht schon zu viel, aber dennoch hatte ich noch nicht genug.

So komme ich denn einmal von Balsora mit den Kameelen, auf welchen ich Waaren für Indien (Hindostan) hingebracht hatte, ledig zurück. Da begegnete mir ein Derwisch (ein muhammedanischer Mönch, der sich vom Beten, und hauptsächlich vom Fasten ernährt) und wir sprechen denn mit einander, nehmen darauf unsern Mundvorrath, und essen im Schatten von ein Paar Dattelpalmen, die günstigerweise da standen, wobei wir denn dieß und das sprachen.

Im Gespräch sagt der Derwisch zu mir, er wisse hier, hier ganz in der Nähe einen Schatz, einen so großen Schatz, daß man, hätte man auch meine 80 Kameele von demselben beladen, nicht einmal einen Abgang bemerken würde. Der Schatz enthielte das reinste Gold und die kostbarsten Steine, und eine Menge der allerseltsamsten Seltenheiten. Ach! da wurde mir mein Herz weich, und ich fiel dem herzguten Derwisch um den Hals, und bat ihn mit lieben Worten, die Herrlichkeiten mir, nur zu zeigen. Und, wenn er nun recht hochgütig sein wolle, so könnten wir ja die 80 Kameele mit Gold und köstlichem Gestein beladen und theilen! Er solle 40 Kameele mit ihren Ladungen haben, und ich die andern 40 auch beladen. [15] So hätte er ja dann doch viel, viel mehr, als er allein für seine Person, in Sack und Tasche fortbringen könne! Und alsdann könne er den Armen viel Gutes thun, und den Armen große, große Freude machen, und sich eine Stufe, eine recht hohe Stufe im Himmel bauen, und ich wollt es ihm ewig danken.

Der Derwisch hörte mir recht nachdenklich und bedächtig zu.

»Mein Bruder! sagte der Derwisch zu mir, Euer Wille möge geschehen! Ich selbst, wie Ihr wißt, bedarf des Gutes und Geldes nur wenig; aber ich will mir bei Euch einen Dank verdienen. Kommt, und führt Eure Kameele mit; sie sollen alle beladen werden! – Folgt mir!«

Ich folgte dem Derwisch mit den Kameelen, und wir kamen nach kurzer Zeit an ein geräumiges Thal, ringsum von hohen Felsen umgeben. Nur durch eine recht enge Schlucht konnte man in das Thal kommen, und meine Kameele mußten allesammt einzeln durch die Schlucht geführt werden.

Das Thal war wunderherrlich und wunderschön! Und als die Kameele alle hinein, und an einen gewissen Ort gekommen waren, sagte der Derwisch, »nun haltet an! Laßt sich, damit wir Zeit ersparen, die Thiere auf die Knie legen! (Im Morgenlande muß ja Alles auf Bauch und Knie liegen, um recht sklavisch und demüthig zu sein – selbst die armen Kameele). Wir können sie dann sogleich beladen. Gebt Acht! und thut dann das Eurige!«

Ei! ich gab schon Acht, denn nach den Schätzen war ich begierig! Er las etwas trocknes Holz zusammen, und machte mit Stahl und Stein Feuer an! Dann nahm er Räucherwerk, und legte es auf die hervorbrechenden Flammen, indem er murmelnd Worte dazu sprach, von welchen ich jedoch kein Wort verstand. Darin mochte wohl seine Kunst bestehen! – Er zertheilte jetzt den Rauch der Flamme, mit murmelnden Worten, und in demselben Augenblick zertheilte und zerspaltete sich auch ein himmelhoher, senkrechter Felsen, und es erschien eine [16] große breite Pforte, obwohl ich vorher den kleinsten Ritz, oder die kleinste Klinze nicht gesehen hatte. Die Pforte war ganz aus demselben Felsen gemacht!

Wir gingen durch die Pforte in eine große, sehr, sehr geräumige Höhle ein, in welcher ein herrlicher unterirdischer Pallast war, den wohl die Erdgeister mochten gebauet haben, denn Menschenhände hätten so etwas gewiß nicht bauen können. O! ich wollte, ich hätte mir alles recht sehr angesehen, aber ich konnte ja nicht, denn ich sahe nur nach den großen, großen Goldhaufen, und nach der unzähligen Menge von Kleinodien, und meine Augen wurden verblendet, weil es mein Herz schon war. Ich weiß nur noch, daß die Schätze in ihren Säcken so geordnet und auf einander gelegt waren, als hätte aller Raum, und selbst der kleinste erspart werden sollen.

Wir nahmen die Säcke und beladeten die Kameele damit, und ich hätte gern dreimal so viel auf meinen Theil Kameele geladen, hätten sie es nur zu tragen vermocht. O Beherrscher der Gläubigen, ich gestehe es, daß ich den ganzen unterirdischen Schatz gern, ach wie gern, gehabt hätte. – Aber dazu wären vielleicht statt meiner 80 Kameele, 80,000 erforderlich gewesen.

Der Derwisch griff mehr nach dem edeln Gestein, und sagte mir weswegen und warum? – Und da that ich es ihm freilich nach! Denn ich begriff bald, daß ein einziger Stein wohl mehr werth seyn könne, als zehntausend Goldstücke!

Endlich denn waren wir mit Aussuchen und Aufladen auf die Kameele fertig, und es war denn wohl Zeit, wieder von hinnen zu ziehen. Aber mein Derwisch suchte und suchte unter den Kostbarkeiten, mit großer Sorgfalt, und nahm zuletzt eine wunderherrlich gedrehte Büchse, die er mit großer Bedachtsamkeit und Vorsicht in die Busenfalten seines Gewandes verbarg, nachdem er mir vorher gezeigt hatte, es sei nichts drinnen, als ein bischen Pommade, oder Salbe.

[17] Nachdem Alles geschehen und herausgeholt war, schloß der Derwisch, unter eben so wunderlichem Murmeln und Zeremonien, die große Pforte wieder. Sie klaffte zu, und der Fels war gerade so Fels, wie zuvor! Niemand konnte eine Oeffnung sehen!

Nun theilten wir! Vierzig Kameele nahm der Derwisch, und vierzig nahm ich, und ich war wohl reicher als mancher Fürst des Morgenlandes, Euch ausgenommen, Beherrscher der Gläubigen. Die Büchse, die der Derwisch nahm, war von einem mir ganz unbekannten Holze, und enthielt eine dickliche Salbe, die keinen Geruch zu haben schien.

Unsere Kameele trieben wir nun, eins nach dem andern, zur Thalschlucht hinaus, und ich führte meine vierzig fort, nach Bagdad zu, der Derwisch aber trieb seine vierzig nach Balsora zu. – Wir sagten uns Lebewohl!

Kaum daß er einige hundert Schritt weit fort war, da kamen die bösen Geister des Geitzes, der Habgier, der Undankbarkeit und des Neides und überfielen mich gewaltig. Vierzig Kameele, und mit solchen Schätzen beladen, sollte ich hergeben? Und was will denn ein Derwisch mit solchen Schätzen? Und dieser zumal? Er ist ja Herr und Meister von allen den unterirdischen Kostbarkeiten, die in dem Felsenpalaste verschlossen sind, und kann sich davon nehmen, so viel ihm beliebt. Nein er muß hergeben, im Guten oder Bösen!

»Heda! Halloh! Haltet! mein Bruder,« schrie ich ihm nach, indem ich zugleich ihm nachrannte. Er hörte mich und hielt.

»Mein Bruder, sagte ich, ich habe nicht bedacht, daß die Kameele sehr widerspenstige, störrige Thiere sind, wenn sie einmal ihren Kopf aufsetzen, und Ihr seid des Handwerks ganz ungewohnt, solche Bestien zu regieren. Ich fürchte, Ihr sollt mit dreißigen derselben noch Noth über Noth haben, und gäbt mir noch zehen ab. Ich verstehe, wie man ihren Eigensinn behandeln muß. Glaubt mirs doch mein Bruder, ich thue den Vorschlag fürwahr nur zu Eurem Besten!«

[18] »Ich glaube selbst, erwiederte er ruhig, daß Ihr Recht habt, mein Bruder. Nehmt Euch in Gottes Namen noch zehn Kameele, und thut den Armen und Nothleidenden nur Gutes davon, denn dazu habe ich das Gut bestimmt gehabt!«

Ich wählte mir zehn Kameele aus, und da ich sahe, daß der Derwisch so gar keine Schwierigkeiten machte, wurde ich gieriger – nein gieriger nicht, denn ich war schon so gierig, daß ich es mehr nicht werden konnte – aber dreister, frecher.

Anstatt dem gutmüthigen Mann für sein reiches Geschenk zu danken, sagte ich: »Mein lieber Bruder, da ich es so gut mit Euch meine, so geb ich Euch zu bedenken, wie viel Noth Ihr auch wohl noch mit dreißig Kameelen haben möchtet; ich glaube es ist gut für Euch, wenn ich Euch noch zehen abnehme!«

»Ihr könnt Recht haben, erwiederte er. Nehmt, und thut Gutes davon!« Ach Beherrscher der Gläubigen, verzeiht! Ich war wie ein Wassersüchtiger; je mehr er trinkt, desto mehr Durst hat er. Mit tausend Vorstellungen, mit Bitten und Flehen, mit Ungestüm, forderte ich von den 20 Kameelen des Derwisches noch zehen, und erhielt sie ebenfalls, mit der Mahnung, daß ich nur einen guten Gebrauch davon machen möchte, und bedenken, daß uns Gott alle Reichthümer recht leicht wieder nehmen könne, wenn wir sie nicht menschenfreundlich anwenden, sondern habgierig behalten wollten.

O! da gelobte ich ihm mit heiligen Betheuerungen den besten Gebrauch zu machen, umarmte und küßte ihn, und bettelte ihm die letzten zehn Kameele mit vielen Worten und Schmeicheleien noch ab.

»Ihr fodert doch vielleicht ein wenig zu viel, mein Bruder, sagte er, indessen ich mache aus Reichthum mir nicht viel, denn Gott bescheert jeden Tag, was der Tag bedarf. Nehmt meinethalben denn auch die letzten zehen Kameele immer noch hin. Gedenkt meiner Ermahnungen, und Gott bewahre euer Herz vor Habgier und Geitz!«

[19] »Sprich nur, dacht ich, du hast gewiß gut sprechen, und giebst nur darum so leicht her, weil du in der Büchse die Mittel hast, zehntausendmal mehr in jedem Augenblick zu bekommen, als die achtzig Kameelladungen betragen. Denn warum hättest du sonst die Büchse so sorgfältig gesucht, und so behutsam im Busen aufbewahrt? – Halt! die Büchse muß auch mein sein, mit Güte oder Gewalt,« so flüsterte der böse Geist mir es ein, und gewiß hätte ich Gewalt gebraucht, da ich viel stärker war als er. Aber ich kannte den Gebrauch der Büchse nicht.

Ich dankte dem Derwisch, den ich küssend zärtlich umarmte. »Gott wolle Euch, sagte ich, Eure Güte und Großmuth hunderttausendfältig vergelten. Aber, mein Bruder, ich bin wißbegierig. Sagt mir doch, was hat es für Bewandtniß mit dem seltsamen Holzbüchschen, und mit der Salbe darin? – Und ich möchte Euch wohl gar inständigst bitten, mir das Büchschen auch noch zu schenken, denn weil ihr doch einmal allen Eitelkeiten und Tand der Welt als Derwisch entsagt habt, was wollt Ihr mit der Salbe im Büchschen?«

Der Derwisch machte gar keine Umstände. Er zog das Büchschen hervor, und gab es mir. »Da habt Ihr es, sagte er mit herzlichster Gutmüthigkeit, ich kann es schon auch entbehren, und ich möchte gern, daß Ihr ganz zufrieden von mir ginget! Da habt Ihr es, mit gutem Willen, und hätte ich noch mehr, so wollt ich es gern Euch auch noch geben. Aber Ihr wißt, ich habe nun nichts mehr, als was ich zuvor hatte, ehe wir in die Felshöhle gingen.«

»Mein Derwisch! mein Bruder! mein Schutzengel! sagte ich, nun mache das Maaß Deiner Wohlthaten voll, und lehre mich, wie man die Salbe, die gewiß, wie ich wohl merke, sehr geheimnißvoller Art sein wird, anwenden muß?«

»Streich ein wenig, war seine Antwort, von dieser Salbe auf das Lied des linken Auges, und du wirst alle Schätze und Herrlichkeiten unter der Erde sehen, wie sie in ihren Höhlen und Klüften [20] flimmernd und funkelnd da liegen. Aber streiche nie, ich bitte dich, etwas davon auf das rechte Augenlied!«

»Warum nicht?« fragte ich!

»Weil du dann blind wirst!« antwortete er.

»Ohoh! du verheelst dein bestes Geheimniß, wie ich wohl merke, dachte ich; und weil er doch die Sache am besten verstehen mußte, so ersuchte ich ihn, indem ich das linke obere Augenlied zumachte, mir etwas Salbe darauf zu streichen. Das that er gern. Und als ich das Auge aufmachte, da sah ich alle Schätze unter der Erde, in ihren weiten und großen Höhlen, in ihren Schluchten und Klüften, Gold und Kleinodien, flimmernd, funkelnd, strahlend, glinzernd. Alles wunderherrlich und unbeschreiblich durch einander. Ich vergaß auch Alles darüber, aber ich kam denn doch wieder zu mir selbst.«

»Hoh! hoh! mein Derwisch, sagte ich zu mir selbst, mich führst du nicht an! Ich merke alles! Gewiß, o! ganz gewiß! bestreiche ich das rechte Augenlied mit der Salbe, so ist es das Mittel, alle diese Schätze zu überkommen. Mit dem einen Auge sieht man wo sie liegen, und mit dem andern erlangt man sie, wenn die Salbe recht darauf gestrichen ist.«

»Mein Bruder! bat ich, bestreicht mir immer das rechte Augenlied ein bischen mit der Salbe; ich denke, mir soll es nicht schaden!«

»Nicht schaden? Ach Gott! Ihr wißt ja, was ich Euch habe gesagt!« Es half nichts, daß der brave Mann mir so herzlich zuredete. Es half nichts! Und da er mir so viele Vorstellungen und Ermahnungen, im Hin- und Herreden gab, ergriff ich ihn beim Kragen, heftig und wild, und sagte:

»Ich will dich abwürgen, du Racker, wenn du meinen Willen nicht thust!«

[21] »O! du mein Gott! sagte er seufzend; ich will ihn thun, weil du es mit aller Gewalt haben willst; aber der Geiz hat dich verblendet, und darum wirst du blind werden.« – »Schwatze nur, dacht ich – es wird eben die Salbe blind machen, mit welcher man so viel sehen kann – so dacht ich,« und ließ mir von ihm das rechte Augenlied bestreichen, was er mit Thränen und Jammern that!

Ach! Beherrscher der Gläubigen, als ich meine Augen nun aufschlug, sahe ich Finsterniß, dichte, dunkle Finsterniß, und also sah ich gar nichts, und war blind! blind!

»O Derwisch! mein herz, herzlieber Bruder, sagt' ich, macht mich wieder sehend! Ihr kennt ja die Geheimnisse der Natur, und wißt so viel!«

»Gott allein kann das nur, den Ihr darum anrufen müßt; ich kann es nicht!« war seine Antwort. Ach, auf all mein Bitten erwiederte er: »ich kann es nicht, ich habs Euch vorausgesagt! – Ihr habt mich ja mit Gewalt gezwungen, obwohl ich Euch brüderlich abmahnte. Nun kann ich nichts mehr ändern!«

So bat ich ihn denn, herzlichst, inständigst, mich mitzunehmen, bis ich durch eine Karawane nach Bagdad kommen könnte; denn wo man her ist, da will man ja immer wieder hin!

Barmherziger Gott! Er überließ mich meinem Schicksale, nahm seine Büchse, und trieb die Kameele mit ihren reichen Ladungen fort. Ich wandelte in der Irre, und wußte nicht, wo Kraut, Staude oder Baum stand! Ach ich konnte nicht sehen!

Aber Gott fügt Alles, und macht auch die harten Menschenherzen weich, und mitleidig, und barmherzig. Es kam eine Karawane, die nach Bagdad zog, und mich mitnahm. Ich nahm mir nun vor, weil mir nichts übrig blieb, auf der Brücke des Tigris zu betteln, [22] aber jeden Geber um eine Ohrfeige anzusprechen, um meine Schuld zu sühnen!

O Beherrscher der Gläubigen, weil ich verblendet war, bin ich blind geworden. – Dieß ist meine Geschichte.

 

»Du hast groß, groß Unrecht gethan, Alibaba, sagte der Khalif, und bist allerdings blind geworden, weil du so verblendet warst. Bitte doch Gott immerdar um Verzeihung! Indessen sollst du nicht betteln, denn betteln ziemt sich für keinen Muselmann. – Du sollst von meinem Schatzmeister täglich vier Silberdrachmen empfangen, welche für deine Erhaltung hinreichend sein werden. Melde dich bei ihm! Du bist entlassen!«

Fußnoten

1 Eine Menge Kaufleute im Morgenlande, wo es nicht Landstraßen noch Frachtfuhren gibt, sammeln sich an bestimmten Orten, laden ihre Waaren auf Kameele, ziehen durch große Sandwüsten, und können sich nun, da ihrer oft tausend sind, einander unterstützen und gegen Räuber schützen.