edizione ondina
In der literarischen Reihe von asu poleng erscheinen Romane und Erzählungen im Stile des phantastischen Realismus. Die faszinierenden Geschichten sind süffig zu lesen. Ihr besonderer Reiz liegt darin, dass sie im Zwischenbereich zwischen Magie, Psychologie und Phantasie angesiedelt sind. Die realen und hyperrealen Ebenen sind unauflöslich ineinander verzahnt.
Jeder Titel ein Lesevergnügen - zum Nachdenken, zum Schmunzeln und zum wehmütigen Mitfühlen!
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„Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie am Kragen hätte!“
Johann Wolfgang von Goethe in Faust I
In diesem verteufelten Buch steckt natürlich auch der Druckfehlerteufel.
Er ist munter zwischen den Zeilen herumgesprungen. Auch die vereinigten Kultusminister konnten das nicht verhindern.
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asu poleng
Der Teufel mit dem Rinderfuß
Was ist der Unterschied zwischen einem Menschen und dem Teufel? Eigentlich keiner - oder nur einer: Der Teufel hat mehr Sinn für Ironie.
Das behauptet jedenfalls der Satan, der sich in diesem Roman an Sie, an meine oder – wie man will auch seine – Leser wendet. Lassen wir seine Hochwürdigkeit selbst zu Worte kommen:
“Ganz im Gegensatz zu Euch Menschenbrut ist schließlich der Sinn für Ironie bei uns Satansleuten ausgesprochen gut ausgeprägt. Und das ist sogar einer der ganz wenigen wirklich signifikanten Unterschiede zwischen Euch und uns.“
Ich kann nur hoffen, dass Sie selbst wenigstens ein bisschen was Teuflisches an sich haben, damit sie die Ironie, die hin und wieder aus dem Text dieses Romans herauszwinkert, auch genießen können.
Die Frage ist: wer spielt eigentlich die Hauptrolle in und zwischen diesen Zeilen. Ist es wirklich der Leibhaftig? So könnte man das sehen. Oder ist es Commissario Belcanto? Der ist in Fragen der esoterioiden Psycho-Kriminalistik eben doch the King. Vielleicht käme da auch noch der – nein, lassen wir das jetzt! Wer da noch in Betracht käme, das finden Sie sicher selbst heraus.
Und noch etwas müssen Sie schon selbst herausfinden: Wenn ich Ihnen jetzt „recht viel Vergnügen beim Lesen„ wünsche – ist das wirklich so ganz ernst gemeint ist, oder eben doch nur ironisch!
Herzlichst
Ihr Günter Spitzing
Günter Spitzing
Der T€Uf€L mit dem
Rinderfuß
Wenn der $atan aus dem Nähkästchen
plaudert
Ökologisch angehauchte Kriminalsatire
mit Commissario Belcanto
edizione ondina
Asu poleng
Günter Spitzing
Der Teufel mit dem Rinderfuß
Wenn der Satan aus dem Nähkästchen plaudert...
Satyrisch-ökologischer Krimi
mit Commissario Belcanto
Verlag asu poleng e.K. Hamburg
edizione ondina
Kurztitel: Der Teufel mit dem Rinderfuß
2. verbesserte Auflage als eBook 02.2011
ISBN 3-935553-19-6
1. Auflage als Buch 11.2008 ISBN 3-935553-16-1
Text, Umschlag und Gestaltung: Günter Spitzing
© Alle Rechte liegen beim Autor
Nachdruck, elektronische Wiedergabe/Speicherung von Bild- und/oder Textauszügen, oder anderweitige Verwertungen sind nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages zulässig.
Die Bücher aus der Reihe edizione ondina sind über den Buchhandel zu bestellen. Bitte bei Bestellung die ISBN Nummer angeben
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Meine verteufelte Datei
„>Wo viel ist, da scheißt der Teufel einen Haufen d´rauf ´nauf.< Das ist für mich das absolute Glanzstück in meiner Sammlung - meiner Spezialsammlung von Redensarten. >Wer mit dem Teufel isst, muss einen langen Löffel haben.< gehört dazu, ebenso wie: >Mit 17 war selbst Teufels Großmutter schön.<,
Und dann der Spruch, den alle, sogar auch Sie, beherzigen sollten: >Der Teufel steckt im Detail<. Ich sammle wirklich alles, aber auch alles, sogar jedes Detail, worin der Teufel drin steckt.
Geben Sie doch nur mal in Ihre Internet Suchmaschine das Stichwort >Teufel< ein und schon finden Sie - je nachdem - zwischen 12.500.000 und 18.000.000 Eintragungen. Das Stichwort >Satan< bringt es sogar auf 35.213.047 Eintragungen - und der >Lucifer<, der Satan fürs gehobene Bildungsbürgertum, kommt immerhin noch auf reichlich 9.900.000 Websites - wer hätte denn das gedacht angesichts des derzeitigen Bildungsnotstandes!
Was mich immer ein bisschen ärgert, das ist der bayerische Lokalsatan Deifi. Der macht aus dem Teufel einen folkloristischen Butzemann. Aber auch die wirklich läppische Bezeichnung ist in einer wichtigen Suchmaschine mit 22.500 Eintragungen vertreten. Und dann der Go..., ach der – wie kann ich denn das nur sagen – >Derundjenerseibeiuns< hat immerhin noch knapp 11.400 Websites zu verzeichnen. Spitzenreiter ist jedoch das englische >devil< mit knapp 150 Millionen Nennungen – kein Wunder angesichts der bodenständigen >Christen< in den Staaten, die mich ständig im Munde führen! I couldn´t imagine any better public relations! Wo wäre ich denn heute ohne die Kreationisten!
Ich bin richtig höllisch heiß darauf, diese Stichworte immer und immer wieder aufzurufen! Angesichts dieser Unmenge der Websites, die sich mit mir befassen, kann ich mich schon selbst mit der linken Hand auf die rechte Schulter klopfen und mir sagen: >Respekt! Respekt! Ich fühle mich schon einigermaßen beachtet.<
Doch wenn ich die in meiner Datei von mir gesammelten internationalen Sprichwörter über mich im Computer über die Spezialfunktion
=> Extras => Wörter zählen => Absätze
durchchecke, dann komme ich auf weit über 999 Millionen Redensarten.
Ich nenne meine Sprichwörtersammlung die >verteufelte Datei<. Dies aber nur deswegen, weil das Wort Teufel sich einer derart großen Verbreitung erfreut. Ich muss nämlich schon zugeben, dass mir persönlich das Wort Satan wesentlich lieber ist. Das zieht so richtig fetzig durch, wie ein Peitschenknaller auf den nackten A.... -
ich meine natürlich Rücken. Spüren Sie´s auch? Ja? Nein? Nein? Wirklich nicht? Na - >den Teufel spürt ......<.
Teufel - ach Du mein lieber Herr Jerusalem, das klingt mir doch viel zu harmlos. Und eine Teufelei - das ist doch eher so was, wie ein Dummen-Jungen-Streich. >Armer Teufel<, >Teufelchen<, >Teuferl<, >Teufelinchen<
- da kann ich mich doch wirklich nicht ernst genommen fühlen. Und dann auch noch >Du dummer Teufel<! Einen dummen Satan – den gibt´s nun wirklich nicht. Sehens Sie, genau das – das macht den Unterschied!
Aufgebracht haben den Teufel natürlich die, die letztlich gut für alles sind, was irgendwie mit Kultur zu tun hat - ja, ja, natürlich die Griechen: Diavolos, haben die mich genannt Mein Töchterchen Satanella, mein bildungsbewusstes, wirft bei solchen Gelegenheiten gerne ein: >Diavolos – das ist griechisch und bedeutet >Durcheinanderwerfer<.
Durcheinanderwerfer! Ach du liebe Hölle - der Teufel ist doch kein Jongleur! Also - wenn Sie es mit mir nicht verderben wollen, so reden Sie mich bitte mit Herr Satan an, oder besser mit Mr. Satan, und sprechen sie das wirklich so richtig scharf aus, Sssatttannn. Ja, exakt - das ist es.
Nun glauben Sie nur ja nicht, dass jedes meiner Sprichworte in meiner Sammlung auch wirklich stichhaltig wäre. Schauen sich nur einmal die Redensart über meine Großmutter an. Die war keine 17, sondern die ist 17 - und das wird sie auch immer bleiben. Eins stimmt natürlich – die Frau ist tatsächlich eine satanisch attraktive und teuflisch rassige Erscheinung. Andererseits - eigentlich ist sie gar nicht meine Großmutter, sondern meine Gefährtin, zur Zeit jedenfalls. In Wirklichkeit heißt sie Mrs. Lelipi. Wir nennen sie nur so in Anführungszeichen >Lady Grandmother<, weil alle Welt immer nur von des Teufels Großmutters spricht. Das ist eben die political Correctness unter uns Satansleuten!
Wie Sie sehen, verwenden wir auch recht gerne englische Anreden. Das hat damit zu tun dass der Satan ja der Vater aller Lügen ist. Wer sollte es sonst sein? Nun steht aber bei Altmeister Goethe geschrieben: >Und wenn sie lügen, dann lispeln sie englisch!<
Bitte, bitte nur jetzt eines nicht! Keine Leserbriefe. Ich weiß ja - bin mir ganz sicher - dass unter Ihnen viele sind, – vielleicht sogar sind Sie´s! - die der Satan ganz schrecklich lieb hat! Da sind diese Beckmesser - sagen Sie es bitte nicht weiter, aber wenn wir unter uns sind, nennen wir sie Korinthenkacker. Dies sind dann die Leute die in dem Falle des langen und breiten ausführen würden, dass das ja gar nichts mit den Engländern zu tun habe, sondern allenfalls etwas mit Engelszungen. Ach du mein lieber Sankt Nimmerleinstag! Der dumme Teufel, der das nicht wüsste, der müsste wirklich erst noch erfunden werden. Ganz im Gegensatz zu Euch Menschenbrut ist schließlich der Sinn für Ironie bei uns Satansleuten ausgesprochen gut ausgeprägt. Und das ist sogar einer der ganz wenigen wirklich signifikanten Unterschiede zwischen Euch und uns.
Meine beiden Kinder sind die 17-jährige frühreife und – ich geb´s ja ungern zu – gelegentlich, glücklicherweise sehr gelegentlich nur, etwas unsatanisch romantische Sssatttannnellla mit ihrem Bildungstick und der 16-jährige Sssatttannnelllo. Sie fährt – allerdings ebenfalls nur sehr gelegentlich - ihre feministisch geschliffenen Krallen aus. Er ist im besten Flegelalter und entsprechend vorlaut: >Ach Alter<, nörgelt er ständig an mir herum, >da warst Du aber mal wieder echt nicht teuflisch genug drauf! Da wär´ doch eine echt geile Teufelei drin gewesen!< Er sagt das mit dem >teuflisch< natürlich immer nur um mich zu ärgern. Doch, wenn es mich auch persönlich in meiner Ehre verletzt, wenn ihr, ihr Menschlinge, mein hoffentlich recht furchterregendes Satansgesicht mit der Maske des blöde grinsenden tollpatschigen und für Euch dann irgendwie doch irgendwie ganz liebenswerten Teufelchens verschleiert, so hat das doch auch sein Gutes - also eigentlich sein Schlechtes, denn in der Wirklichkeit des Satans ist das rabenschwarze Schlechte das eigentlich schneeweiße Gute - und vice versa: Ihr Menschenbrut merkt es einfach nicht, wenn hinter etwas der Satan steckt, und ihr kriegt nicht einmal mit, wenn irgendwas Heftiges passiert, dass dann nichts weiter los ist - außer natürlich der Teufel.
Schade dass Sie mich jetzt nicht sehen können - oder macht eigentlich auch gar nichts! Schließlich können Sie ja beim Lesen ihre Imagination entfalten und sich einfach vorstellen, was ich Ihnen so beschreibe. Oder gehören, Sie zu denen, deren Blick ständig an der Glotze hängt und deren Gehirn schon zu einer mehligen Dörrpflaume zusammengeschrumpelt und deren Phantasie so mausetot ist, wie nur etwas tot sein kann. Hoffentlich nicht! Oder hoffentlich doch! Denn wenn das so ist, dann habe ich Sie ja längst schon am Schlafittchen –
Sie Sie Reality-Show-Glotzer, Sie verblödeter!
Sie Sie Commedy-Krampf-Belacher, Sie hirnamputierter!
Sie Sie Werbespot-Sklave, Sie vertrottelter!
Ich sag es Ihnen jetzt einmal etwas durch die Blume eines Gedichtes – nicht direkt, aber dafür umso deutlicher. Schließlich erlaubt es mir die Poesie auch mal etwas deftiger zu werden, als das ansonsten meine exzellente Kinderstube zuließe. Schließlich bin ich ja im Himmel aufgewachsen. Das glauben Sie mir nicht?! Ich sehe schon ich muss darauf noch zurückkommen – später einmal. Also:
Wenn Dir der Zeitgeist
so voll ins Hirn – scheint,
dann fällst Du rein
auf jeden Werbespot.
Du dummes Schwein
Kaufst jeden Markenschrott,
musst all´ das haben, was hat jeder,
und kaufst Klamotten, wie ein Blöder.
Um Deine Haut jung zu erhalten
schmierst teuere Creme Dir drauf doch
- Ha, Ha, Ha! -
die macht Dir erst die schlappsten Falten.
Quatschst ohne lang herumzufragen
nur das nach, was die Leute sagen.
Die finden Dich dann ganz enorm,
bist Du mit ihrem Quark konform.
Wenn nie Du ´nen Gedanken fasst
und nie ´ne eigne Meinung hast,
dann kannst Du Dir die Haare raufen,
das Leben ist für Dich gelaufen.
Ein heißer Ofen ist Dein Traum.
Du rast dahin verwegen.
Doch auf Dich wartet schon ein Baum.
Du bretterst voll dagegen.
Und Deine Seel´ ganz ohne Zweifel,
war lang zuvor bereits beim Teufel.
Wenn Sie so eine oder einer sind, dann sind Sie mir bereits tot- und teufelssicher verfallen. Und dann zahlt es sich für mich gar nicht weiter aus mich mit Ihnen zu unterhalten, um Sie für mich zu gewinnen.
Doch wie ich sehen muss, schlagen Sie – Pfui Teufel noch mal - sogar noch gelegentlich ein Buch auf! Und damit gehören Sie ja doch zu den Leuten, um die ich mich noch bemühen muss. Dazu aber habe ich schon einiges an Phantasie zu investieren.
Also - stellen Sie sich vor, ich, der Mr. Satan, ich sitze jetzt ganz entspannt und lässig an einem Schreibtisch - nein, nein, kein altes ausgeleiertes und sperrmüllreifes Möbel, sondern eine ganz moderne Konstruktion aus Plastik, Metall und Glas. Rechts neben mir - von Ihnen aus gesehen natürlich links, steht mein Computer mit Klaviatur und einem Riesenbildschirm von 113 Zoll Durchmesser. Hinter mir an der Wand hing früher eine Landkarte. Da musste der Diavoletto, der engagierteste meiner Büroteufel, immer Fähnchen genau dorthin stecken, wo wir gerade aktiv waren. Nun der Satan ist zwar nicht der Zeit unterworfen, doch er geht natürlich mit ihr. Was gibt es denn sonst noch, was so modern wäre wie unsereins?
So haben wir natürlich inzwischen unser Info-Problem im Office ganz timespirituell gelöst. Die Wand hinter mir, die so unscheinbar grau aussieht, ist ein riesiger Bildschirm auf Flüssigkeitskristall-Basis. Im Augenblick sehen Sie da gar nichts. Wenn ich aber nur denke world - schauen Sie - da ist es auch schon passiert: Die ganze Rückwand wird zu einer leuchtenden Weltkarte. Denke ich aber Satanic actions, sehen Sie, dann blicken überall dort rote Punkte auf, wo wir ganz besonders intensiv tätig sind. Was ich jetzt berichte, sagt Ihnen natürlich im Augenblick nicht so sehr viel. Sie müssen sich nämlich zuvor mit aller Ihrer Phantasie vorstellen, dass die Weltkarte über und über übersprenkelt ist von roten Pünktchen. Meine Lelipi sagt immer, wenn sie das sieht:
>Schau mal an, der ganzen Welt haben wir die Masern an den Hals gehetzt - aber wie! Und das geht immer so weiter. Na ja - man muss schon zugeben, wir leisten eine ganz ordentliche Arbeit. Das muss uns der Neid lassen. Dagegen kommen diese seltsamen Flügelwesen, die so aussehen, als hätten sie Gänsefedern auf dem Rücken, einfach nicht mit. Ich kann ja nur von Glück sagen, dass ich eine Satanine bin - sonst würden die mir auch noch echt leid tun. Als Teufelin hat man doch ganz andere Erfolgserlebnisse, als diese armen Flederwische, diese faden!<
Wie gesagt - jetzt haben Sie da an der Wand ein total verwirrendes Bild vor sich. Bei so viel Aktivitäten der verschiedensten Art fällt es selbst mir manchmal schwer die Übersicht zu behalten. Erst vor drei Wochen habe ich einen Fall an die Gänsegefiederten verloren, nur weil mir da was irgendwie aus dem Blickfeld geraten ist.
Da übrigens rechts unten in der Ecke ist ein roter Flecken grün unterstrichen. Damit wird darauf hingewiesen, dass es sich um eine langfristige Maßnahme – >nachhaltig<, wie man heute sagt - handelt. Es geht dabei um einen Autokonzern. Der hat vor einiger Zeit auf meine ganz persönliche Veranlassung hin, den Jonny Bear als Manager eingestellt – woraufhin, genau wie von mir geplant – o.k., das ist dann halt auch passiert. Ein anderer grün unterstrichener Fleck in Hamburg kennzeichnet die orthopädische Praxis von Dr. Renhasba. Aber über die beiden Fälle erzähle ich Ihnen später mehr.
Jetzt passen sie erst einmal auf, was sich tut, wenn ich nur so ganz leise denke: Biggest Satanic success!
Ja - sehen Sie - die roten Pusteln sind verschwunden. Statt dessen werden knallrot umrissene Flächen ausgeleuchtet - aber gar nicht so viele. Nur hundertunddreizehn Stellen auf der Weltkarte strahlen in rötlichem Licht - und nur dreizehn davon so richtig intensiv. Dazu gehören eine Kleinstadt in Niedersachsen. Ein Dorf in der Nähe leuchtet rosa. Das heißt wir werden dort auch noch von anderen Kräften unterstützt – und dies im Wortsinne kräftig! Sogar so kräftig, dass ich selbst manchmal überrascht bin und ich mir so meine Gedanken mache, ob da nicht der eine oder der andere ernsthaft die Absicht hat an meinem Stuhl zu sägen. O.k. - was soll´s!
In allen diesen Fällen – da ist vielleicht was geboten! Dort haben wir wirklich was geschafft. Können uns wohl was darauf einbilden! Und dann - das blinkende Rechteck mitten in der Hauptstadt. Das zeigt die Lage des Polizei-Präsidiums an, das das Vergnügen hat, sich mit einer unserer heftigsten Aktionen herumzuschlagen.
Was da jetzt vor sich geht, das sollten Sie sich wirklich nicht entgehen lassen. Na los - werfen Sie einmal einen rein ins Präsidium - einen forschen Blick!“
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Ein Fall für Commissario Belcanto
„Commissario Belcanto muss her. Nur der kann uns noch helfen!“
Inspektor Müller-Gürtelneurose lies diesen Ruf mit beträchtlichem Stimmaufwand durchs Büro schallen. Und dass er dies von sich gab, zeigte, dass er schwer in der Bredouille saß. Es musste schon etwas außergewöhnliches passiert sein, wenn Müller-Gürtelneurose um die Unterstützung des Commissario nachsuchte. Und tatsächlich hatte der Inspektor ein Problem am Hals, dass er absolut nicht zu lösen vermochte. Es ist etwas passiert - eine schreckliche, aber auch eine rätselhafte und reichlich unheimliche Geschichte. Er selbst war - allerdings erst nach reiflichem Abwägen - zu dem Ergebnis gekommen, dass dabei irgend etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Andernfalls hätte er niemals zugegeben, dass er mit seiner Weisheit am Ende war. Und nach Belcanto gerufen – das hätte er schon gar nicht.
Es fiel ihm schwer sich einzugestehen, dass ein bundesrepublikanischer Inspektor, der pingelig zu recherchieren weiß, die Hilfe ausgerechnet eines Italiano benötigte. Das muss doch eigentlich immer umgekehrt laufen. So gehörte sich das wenigstens, wenn es nach ihm (und nach so manchem anderen in diesem unserem Lande) ginge.
Ging es aber nicht! Und Belcanto war - da war überhaupt nicht daran zu rütteln - auf dem Gebiet der esoterioiden Psycho-Kriminalistik eben doch absolut der King: Es gab niemanden besseren als il re - wenigstens nicht in Europa.
Aber da gab es noch einen ganz anderen Grund, weswegen der bloße Gedanke an den Commissario aus bella Roma den Inspektor ziemlich kribbelig machte:
Während Müller-Gürtelneurose selbst einen holzgeschnitten kantigen Kopf hatte, etwa so einen, wie sich ein Südländer, der noch nie dazu gekommen ist, die Grenzen des Mezzogiorno in Richtung Norden zu überschreiten, in seiner Phantasie den typischen Tedesco ausmalt, ist dem Commissario Belcanto ein echter markiger Römerkopf eigen. Seine flinken Augen sind dunkelbraun, sein Teint ist von zartem Oliv und sein volles rabenschwarz glänzendes Haar ist leicht gelockt, und so gleicht er ebenso im Großen wie auch im Ganzen dem Bildnis des Antonio Doni, geschaffen von Maestro Raffaelo Santi höchst selbst. Belcantos Gesicht - eigentlich käme es ihm zu als Antlitz bezeichnet zu werden – besticht durch jene zarte feminine Weichheit und eine geradezu winkelmann´sche edle Anmut und stille Größe, die fast ausschließlich im mediterranen Bereich zu finden ist, und die dort - und eben nur dort - auch Männern gut ansteht, die durchaus nicht ungern den Beweis dafür antreten, dass ihre Männlichkeit nun wirklich über jeden Zweifel erhaben ist. Sein Aussehen kontrastiert durchaus reizvoll mit seinem trockenen, gerne etwas ins Ironische spielenden Humor. Va bene - Commissario Belcanto ist eben schon ein rechter donnaiolo - Grund genug für Inspektor Müller-Gürtelneurose eifersüchtig auf ihn ist zu sein, wie ein soeben bei seinem ersten Schwarm abgeblitzter Pennäler auf einen real existierenden oder auch nur imaginären Rivalen.
Müller-Gürtelneurose ist ein Hahn, oder er wäre dies zumindest gerne, hat aber dennoch bei seinen beiden nordischen Vorzimmernixen, deren blonde Mähnen ihn bis in seine Träume hinein verfolgen, keinen sonderlichen Erfolg. Dass Judith mit dem Engelsgesicht und der Figur eins Models so ohne weiteres auf ihn fliegt - das kann er ja wirklich auch nicht erwarten. Und so bemüht er nicht ganz ohne jede Anstrengung sich jeden Gedanken an die „saueren Trauben“ von sich zu weisen. Da richtet er seine Wünsche doch lieber gleich auf die rustikal propere Yasmina. Sie, die stets lustig ist und lacht - selbst die schwarze Brille auf Ihrer Nase vermag nur mühsam Strenge in ihr munteres Gesicht zu zaubern - , die hätte er schon gerne für sich gewonnen. Sie hat schlanke Hüften, ist aber hinsichtlich ihrer Oberweite recht luxuriös ausgestattet. Dasselbe lässt sich auch von dem Bereich der unten an ihre Taille schwungvoll angesetzt ist, konstatieren. Der Inspektor weiß so etwas durchaus zu schätzen. Er ist - wenn man dies ihm auf den ersten Blick auch nicht so ohne weiteres ansieht - kein Kostverächter, hat auch durchaus keine Aversionen gegen eine etwas schwerere Variante von Schönheit. Er selbst war ja nun einmal ein Mann von zwiebackener Tüchtigkeit – und ganz im tiefsten Inneren fühlte er und gestand sich sogar manchmal ein, dass es ihm an einer gewissen Saftigkeit fehlte. Und gerade das war es, was Yasmina hätte als Ausgleich in eine Verbindung zwischen ihnen einbringen können. Aber seine leicht hingetupften, fast zarten Avancen - als ihr Vorgesetzter durfte er ja auch nicht zu deutlich werden - blieben ohne den geringsten Hauch von Widerhall.
Naturalmente hatte Commissario Belcanto bei den beiden mehr als nur einen Stein im Brett. Sobald er auftauchte, legten die ansonsten eher mit mehr oder minder großem Erfolg um nordische Sachlichkeit bemühten Damen eine temperamentvolle Aufgeschlossenheit an den Tag, die Müller-Gürtelneurose faszinierte und die er so sehr liebte, die ihm aber auch ganz tief im Herzen einen süßen, aber auch bohrenden Schmerz bescherte, weil sie eben nicht ihm galt. Und das schlimmste war, dass er das nicht einmal jemanden zeigen, geschweige denn es sich selbst eingestehen durfte.
Jetzt war er sich ganz sicher, dass der Commissario, wenn er dringend erforderlicher Untersuchungen wegen, längere Zeit in Hannover hängen bliebe, der dann auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine - wie er sich in seinen Gedanken ausdrückte, denn in seinen Gedanken war er gerne eine Spur unflätiger als in seinen Worten – der beiden Tanten abschleppen, oder - was noch wahrscheinlicher war - eine nach der anderen aufs Kreuz legen würde. Er hatte - realistischerweise - schon mehrfach alpgeträumt, dass ausgerechnet die doch etwas lebhaftere Yasmina sich lachend und schäkernd dem Commissario an den Hals warf. Den Gedanken konnte er nicht ertragen und deshalb verdrängte er ihn - wenigstens tagsüber.
Aber nun hilft das alles nichts: „Commissario Belcanto muss her.“
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Das Geschlappere
Die Tragödie ging von einem niedersächsischen Bauernhof aus - und sie war erst vor ein paar Tage über die Bühne gegangen:
Das Gehöft hatte 113 Kühe beherbergt, hübsche schwarzweiß gefleckte Holsteinerinnen. Die sind eines schönen Morgens noch vor Tagesanbruch alle miteinander ausgebrochen. Man sollte niemals so recht klären können, auf welche Weise sie es geschafft haben, die Mauern ihrer Stallungen zu durchstoßen. Wie vom Leibhaftigen höchst persönlich geritten, waren sie dann mit gesenkten Hörnern zur nächstgelegenen Kleinstadt gestürmt und hatten dabei alles niedergerammt, was ihnen in den Weg kam. Sie preschten – es sah geradezu nach einer Strategie aus - aufgeteilt in mehrere Blöcke von verschiedenen Seiten her durch drei verwinkelte Gassen hindurch zum Rathausplatz hin. Dort fand zu der Zeit gerade ein Markt statt. Es wimmelte nur so vor Menschen. Die hatten zunächst keinen Schimmer von dem, was da auf sie zukam. Als die Angriffsspitzen der Tiere von allen Seiten her bis zum Platz vorgedrungen, war es für die meisten der Marktbummler auch schon zu spät. Die völlig außer Rand und Band geratenen Rindviecher überrannten die Leute, stießen sie nieder, bissen ihnen den Hals oder, wenn sie es zu fassen bekamen, das Genick durch.
Sie zernagten die Körper, fraßen das Fleisch, zogen sich das Blut rein und mümmelten die Knochen.
Wie viele Leute dabei umkamen? Bis heute weiß es niemand genau. Die wenigen zerfisselten Reste von Oberschenkel- und Schädelknochen, die später bei den Aufräumungsarbeiten eingesammelt wurden, bieten kaum mehr Anhaltspunkte für die Identifizierung. Vermisst wurden nach offiziellen Angaben 587 Menschen. Es kann aber durchaus nicht ausgeschlossen werden, dass sich auch noch weitere auswärtige Besucher unter den Verzehrten befanden. In Köln, Düsseldorf, Krefeld, Lüttich, Amsterdam, Maastricht und in einigen kleineren Orten Mitteleuropas, werden immer noch Leute vermisst. Fanden auch sie im Magen der Kühe ihre letzte Ruhestätte? Oder haben einige die Situation genutzt und sich klamm-heimlich davon gemacht? Es ist fraglich, ob diese Fälle jemals aufgeklärt werden können.
Die paar Leute, die dem Festgelage der wütenden Rinder entkommen, sich in ihre Häuser zurückziehen und deren Türen mit Tischen und Schränken von Innen verrammeln konnten, berichteten einhellig, dass die Tiere selbst zunächst keinen Laut - auch nicht das leiseste Muhen - von sich gegeben hätten. Daher seien sie selbst, wie alle die anderen Leute, eben auch völlig überrascht worden, als die Tiere auftauchten und sanfte Kuhblicke um sich warfen. Aber dann hätte dieses schreckliche entnervende Geräusch von Schmatzen und Schlürfen und von knackenden und knirschenden Knochen in der Luft gelegen. Sie hätten bei ihrer Flucht Pfützen, ja ganze Bäche von Blut durchwaten müssen.
Doch hernach hat man hat man keinen einzigen Tropfen des roten Saftes mehr vorgefunden. Alles war von den Kühen ratzeputz aufgeschlappert worden.
Glühende Drähte
Wie nicht anders zu erwarten hat es dann eine geraume Weile gedauert bis die Behörden den Ernst der Situation erfasst hatten. Dafür muss man jedoch gerade in diesem Falle allerdings schon ein gewisses Verständnis aufbringen. Der Vorfall war schließlich einigermaßen ungewöhnlich.
Die Entkommenen saßen, von den Bestien belagert, in den Häusern fest. Die meisten versuchten vergebens die Polizei zu informieren. Doch ein Wehrdienstleistender wählte mit seinem Mobilphon die Nummer seines Vorgesetzten an, bekam ihn auch tatsächlich an den Apparat und teilte ihm mit, dass ihn die herumstreifenden Tiere daran hinderten rechtzeitig in seine Kaserne zurückzukehren. Auf Rückfrage gab er einen knappen Lagebericht durch.
Und wer hätte das schon gedacht? Einige seiner Vorgesetzten machten sich tatsächlich Gedanken darüber, wie denn dem gefährlichen Viehzeug Einhalt zu gebieten sei. Hauptmann Schiernagel setzte durch, dass der VM, der Verteidigungsminister, über die Situation verständigt wurde und ließ ihm mitteilen, dass er seine Truppe in Bereitschaft versetzte, für den Fall, dass man an allerhöchster Stelle befände, dass das Militär einzusetzen sei. Mit erstaunlicher, für eine Dienststelle sogar bewundernswerter Eile, war dann ein Plan ausgearbeitet worden, die Herde mit allen gerade verfügbaren Panzern und anderen Kettenfahrzeugen einzukesseln, aus der Stadt hinaus auf freies von schwerem Gerät umstelltes Gelände zu drängen und dann durch – dies erschien angesichts der Situation am sichersten - Maschinengewehrgarben aus Hubschraubern niederzumachen.
Der VM wollte sich jedoch zuvor noch Rückendeckung beim BK, dem Bundeskanzler, holen. Und dann begannen die Drähte der überforderten Amtsleitungen zwischen den verschiedenen Ministerien in Weißglut zu geraten.
Dabei tat der IM, der Innenminister, der wie gewöhnlich, auch bei dieser Gelegenheit seine Kompetenz gefährdet wähnte, mit aller Nachdrücklichkeit kund, dass er die Bewältigung einer derartigen Aufgabe als eine rein polizeiliche Angelegenheit betrachte. Er sei der Auffassung, dass Überreaktionen unter allen Umständen zu vermeiden und alle Maßnahmen von Berlin aus zentral zu steuern oder ebenso zentral zu unterlassen seien. Und diese Haltung setzte er auch durch.
Das kostete ihn zwar nicht seinen Stuhl (denn das Innenministerium war zu der Zeit bei der Regierungsbildung dem kleineren Partner der Regierungskoalition, auf den diese angewiesen war, zugesprochen worden), dafür aber 37 blutjungen Polizisten das Leben. Sie waren zu Absperrmaßnahmen abkommandiert worden, die man alles andere als professionell organisiert hatte. Die zu Anthropophagen enthemmten Rindviecher haben das Hindernis mühelos durchbrochen und die Beamten so ganz beiläufig tot gebissen. Das war reine Lust am Morden, denn hungrig konnten die Tiere ja nun wirklich nicht mehr sein. Überdies mussten noch weitere 212 Einwohner eines nahegelegenen Dorfes die Fehlentscheidung aus der Zentrale mit dem Leben bezahlen.
Dies wurde natürlich ruchbar. Daher hat der BK den mit beachtlicher Standhaftigkeit in seiner Einstellung schwankenden VM angewiesen endlich die militärische Option in Gang zu setzen. Und wenn man es auch kaum glauben will, - es ist denen von der Bundeswehr tatsächlich gelungen die Aktion so durchzuführen, dass keine weiteren Menschenleben mehr zu beklagen waren.
Für die Kritik am IM, die vor allem beanstandete, dass die Polizisten lediglich mit Pistolen, anstatt mit MP7 Nahbereichswaffen oder zumindest mit AK-47 Schnellfeuergewehren aus alten Volksarmee-Beständen ausgestattet waren, wurde rasch ein schöner großer Teppich gefunden, unter den man das alles kehren konnte. (Seit dieser Zeit nennt man derartige Bodenbeläge Peselteppiche, den der zuständige IM hieß Hans Jürgen Pesel - und da er nicht gestorben ist, heißt er heute noch so.) Und tatsächlich - Sie werden es glauben, da Sie ja wissen, wie so was zu laufen pflegt – weil man ihn aus irgendeinem Grunde nicht gut dotiert ins europäische Parlament hat entsorgen können, amtiert er immer noch in deutschen Landen.
Zwischenlagerung
Hauptmann Joseph Schiernagel, der die Operation geleitet hatte, sah sich jedoch unversehens heftigen, ja sogar rüden Angriffen ausgesetzt. Dahinter steckten die agilen Vertreter des Dachverbandes der Unternehmen für die Beseitigung und Verwertung zoobiologischer Abfällen. Er hatte sich den Unmut der Herren zugezogen, weil er mit äußerster Konsequenz verhindert hatte, dass sie die Kadaver abtransportierten – nach Irgendwohin. Das war auch seine Pflicht gewesen, denn auf Grund eines vehement von Inspektor Müller-Gürtelneurose eingebrachten Antrages sah sich sogar der gerade zu der Zeit amtierende stellvertretende Staatsanwalt - ansonsten berühmt–berüchtigt wegen seiner zögerlichen Haltung – tatsächlich genötigt sowohl die Beschlagnahme, wie auch eine penibel genaue Untersuchung der toten Tiere anzuordnen.
Die Abfallverwertungsagenten von der AVA hatten daraufhin ganze Kolonnen von Arbeitern mit Lastwagen, Gabelstaplern und Kranen vorgeschickt und sie dahingehend instruiert, dass die Soldaten ohnehin nichts gegen sie unternehmen dürften, weil sie nicht berechtigt seien polizeiliche Aufgaben zu übernehmen. „Das ist“ nuschelte der AVA Vorsitzender Fritz Meyer, „verfassungsmäßig so nicht drin. Lasst Euch nur nicht von den Buweh-Kaspern ins Boxhorn jagen!“
Hauptmann Schiernagel hatte sich jedoch vorgenommen den illegalen Abtransport der Kadaver solange zu verhindern, bis die Polizei ihre Mannschaften zur Abschirmung des Geländes zusammengetrommelt hatte. Das ist ihm auch gelungen. Denn noch bevor noch Polizei und zusätzliche Einheiten des Heeres auf der Bühne erschienen, hat er eine unerwartete Verstärkung erhalten: Einige Tausende aufgebrachter Landleute, darunter erfahrene Anti-Gorleben-Aktivisten, tauchten auf, stürmten kurzerhand das schwere Gerät der AVA und sorgten dafür, dass die Tierkörper dem veterinärärztlichen Institut zur näheren Untersuchung überstellt wurden. Das ging überraschenderweise alles ganz schnell. Ruckzuck waren die 113 Kadaver der bunten Holsteiner zwischengelagert.
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„Die AVA Leute hätten von Fritz Meyer die Order erhalten die Kadaver möglichst schnell der Verbrennung zuzuführen, um alle Hinweise auf die Ursachen der Katastrophe zu beseitigen.“
So lautete das Gerücht, das unter den empörten Landleuten von Mund zu Mund ging. Die Vermutungen gingen alle in eine Richtung: Den Kühen seien verbotene Drogen beigebracht worden. Die einen wisperten verhalten etwas von einem veterinären Viagra, das das Sexualleben und damit die Fortpflanzung der Tiere angeregt hätte, und das als unvorhergesehene Nebenwirkung deren Aggressivität angefacht hätte. Anderen dachten eher an ein Tonikum, das dem Fleisch einen besonders leckeren Geschmack verleihen sollte.
Einige verstiegen sich sogar zu der Behauptung, die Rindviecher seien hypnotisiert worden, und zwar von Leuten, die Konkurrenz durch die Landwirtschaft der Bundesrepublik ausschalten wollten. Für die mehr rechts gestrickten steckten ganz unzweifelhaft ehemalige sowjetische KGB-, beziehungsweise Stasi-Leute oder sogar Fidel Castro dahinten. An Stammtischen wurde gelegentlich geflüstert; „Ich sage nur eines: China!“ Die eher links gewirkten tippten auf die CIA. Und selbstverständlich machte als ein echter Bestseller unter den Gerüchten auch das Gerede über durch die Al Quaida mit muslimischer Magie verhexte Terror-Rinder die Runde.
Die Empörung der Landwirte wuchs noch, als eine Presseagentur die Meldung verbreitete, dass die AVA tatsächlich Klage auf Herausgabe der Kadaver eingereicht hatte und dabei formale Gründe angeführt habe: Die Behinderung des Abtransportes sei ungesetzlich gewesen. Es wäre unzulässig dazu Militär einzusetzen. Wegen dieses Regelverstoßes sei die Beschlagnahme der Kadaver zu annullieren und müssten die sterblichen Überreste der Tiere an ihre ursprünglichen Besitzer, rechtlich vertreten durch die AVA, herausgerückt werden.
Damit hatte die AVA selbst jeden Zweifel daran beseitigt dass sie eine Untersuchung des Vorfalles unter allen Umständen be-, wenn nicht sogar verhindern wollte. Es war also irgendwas dran an den Gerüchten, dass die Funktionäre von der AVA einiges zu vertuschen hatten. Bis dahin war die Stimmung unter den Landleuten schon bis zum Siedpunkt aufgeheizt gewesen. Doch nun – nun drohte sie überzukochen.
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Bundschuh
Der Funktionär war noch kreidiger im Gesicht als üblich. Er kauerte, die Beinen zusammengepresst, vor einem Stapel von Zeitungen, damit beauftragt alles anzustreichen, was mit seiner Organisation zu tun hatte - Positives grün, Neutrales blau und Kritisches rot. Im Dienste der AVA zwar noch nicht völlig ergraut, aber immerhin in die Jahre gekommen, seufzte er tief auf. Es gab mehr als genug an Meldungen über die Organisation. Aber es war nichts, nicht einmal eine einzige Dreizeilenmeldung darunter, die er mit dem blauen oder gar dem grünen Marker behandeln durfte. Erst erfasste ihn ein Anflug von Wehmut, dann wurde er wütend und schließlich kratzte er mit wahrem Ingrimm und einem harten Rotstift über die Meldungen. Alles sah nach einem rot in rot gemalten Tag aus.
In seine trüben Gedanken rummst ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem hellen in die ihm folgende Stille hinein zerrieselndem Klirren.
Es mussten 8, 9, 10, 11 Minuten oder einige mehr sein, die er ebenso regungs- wie fassungslos auf die Zeitungen auf seinem Tische starrt. Sie sind jetzt begraben unter einer dicken Schicht spitzer Scherben, die von der zerborstenen Scheibe zu seiner Linken stammen. Und aus der Mitte des Splitterteppiches grinst ihn hämisch ein zerknautschter linker Schuh an. Nicht zu übersehen ist ein langes daran angeheftetes Band. Einen Stein hatte man in die Fußbekleidung gesteckt, um sie schwungvoller werfen zu können, und total verdreckt, ist sie. Der würzige Duft von Jauche, der von ihr ausströmt, ist unüberriechbar.
Konrad Konrad - so der Name des Funktionärs (seine Eltern hatten sich des Witzes nicht verkneifen können ihm als Vornamen seinen Nachnahmen zuzuteilen) – war kein besonderer Freund von Stallgeruch (obwohl auch ihn im Laufe der Jahre ein gewisses AVA Odeur zu umdünsten drohte!), und er verspürte im Augenblick wenig Lust sich gerade diesen verjauchten Schuh anzuziehen. Er fühlte sich nicht sonderlich wohl in seiner Haut, verwarf aber dennoch – zumindest vorerst - die Möglichkeit aus ihr herauszufahren.
Es drängte ihn die Toilette aufzusuchen. Dort wunderte sich etwas in ihm, dass er niemand vorfand. Schließlich hatte die Situation ganz offensichtlich eine Hauch von Kriminellem an sich. Zu einem Krimi – besonders im Fernsehen - , der etwas auf sich hält, gehört aber nun mal ein Pissoir. Das ist dann der Ort, an dem zwei Protagonisten gemeinsam mit den Schultern schlenkern, ganz so, als ob sie gerade beim Tropfen-Abschütteln wären. Wo den sonst, als an solch einer filmogenen „Location“ sollte man wichtig Informationen über dies oder jenes Kriminelle austauschen? Dann kann einer, der natürlich davon absolut nichts mitkriegen soll, sorgsam zwecks einschlägiger Verrichtung in einer Kabine geborgen, alles mithören. Regisseure lieben es nun mal originell!
Doch er war mutterseelenalleine mit seinem seitenverkehrten Bild im Spiegel über einem der Waschbecken. Einer der Scherben hatte ihm eine schmale eher geringfügig blutende Linie über die Stirn gezogen. Winzige aber spitze Splitter krallten sich in dem schütteren Kranze fest, der von seiner einstigen Haarpracht übriggeblieben. „Oh ja“ dachte er und wunderte sich, wie dies gerade jetzt in seine Erinnerung schlüpfen konnte, „ich habe einmal gut ausgesehen mit meinen langen wallenden Locken.“ Und nun geriet ihm auch in den Sinn, wie er darauf gekommen ist: In der letzten Klasse seiner Realschule hatten sie ein Stück aufgeführt: „Bundschuh – Bauern im Aufstand“. „Ach je - „ dachte er , „die Schönheit welket all - der Klassenkampf, der uns damals so fasziniert hatte, genauso wie meine Haarpracht.“
Das Melodram war durchaus klassenkämpferisch gewesen, denn gerade zu der Zeit hatten alle Jugendlichen, die etwas auf sich hielten, die rechte linke Gesinnung. wie eine Standarte vor sich her getragen. Und er selbst hatte als Georg, Anführer der Bauern, eine spitzzulaufenden orangefarbenen Wimpel zu schwenken und dabei aus einer alten Chronik in einem fast liturgisch anmutendem Singsang zu rezitieren:
Sie beschlossen, ein Banner aufzuwerfen und ein charakteristisches Bild in dasselbe zu malen, damit “ihnen der gemeine Mann zuliefe”. Der Ritter trug als besondere Auszeichnung Stiefel, der Bauer als Zeichen seiner Untertänigkeit und Unfreiheit, Schuhe, gitterartig vom Knöchel an mit Riemen aufwärtsgebunden. Dieser allgemein getragene Bauernschuh hieß von dieser Art des Bindens “Bundschuh”. Einen solchen Bundschuh ward beschlossen, in das Banner zu malen.
Er musste sich dazu nahe dem linken Prospekt der Bühne positionieren, denn dahinter war ein starker Ventilator angebracht. Dessen Windstrom sorgte dafür, dass sie ordentlich flatterten – einerseits des Bundschuhs Banner und andererseits seine Haare. Er hatte es nämlich bei seinen Eltern mit ihrer reichlich plüschigen Gesinnung durchsetzen können, dass sie ihm, wenn auch unter Kaskaden von Nörgeleien, zugestanden, sich speziell zur Aufführung eine wildverwegene Frisur mit nach allen Seiten wallenden schwarzen Locken - tiefschwarz waren sie damals mit einem Stich ins Bläuliche - wachsen zu lassen. Das hatte die Mädchen in der Klasse, aber auch den schüchternen Götz, der bei jeder Gelegenheit rot wurde, in Aufregung versetzt. Mit glattpolierten Billardkugeln konnte man damals keinen Eindruck schinden. Jeanette hatte ihm Schuhe in Rot und Grün und Blau und Gelb geschenkt – einen „Buntschuh“. In seinem heimatlichen Dialekt weiß man nämlich nicht so recht zwischen d und t zu unterscheiden. Die Gabe des koketten Klassenschwarmes hatte ihn zutiefst gerührt. Auch Götz hatte sich aufgerafft, ihm ein paar Sandalen zu überreichen. Die Hände des Jungen zeigten noch die Spuren der Pfriemen mit deren Hilfe er sie selbst umgearbeitete und mit steifen Bändern aus dickem Rinderleder ausgestattet hatte.
Wegen der ausführlichen, oft ermüdenden Diskussionen von anno dazumal, wusste er gut über die Bauernaufstände zu Beginn der Neuzeit Bescheid: Joss Fritz, Götz von Berlichingen, Ulrich von Hutten und Thomas Münzer - sie waren und sind ihm heute noch alle bestens vertraut – und natürlich auch die Orte und Jahreszahlen der frühen Verschwörungen: Schlettstadt 1493, Untergrombach 1502, Lehen, Breisgau 1513, Oberrheingebiet 1517.
Die Bauern hatten sich zusammengerottete und gegen Ritter, Pfaffen und Fürsten, die Ihnen bedrückende Lasten auferlegt, erhoben. Mit sichtlichem Stolz hatten sie sich zu ihren Status als einfache Leute - als arme Teufel - bekannt. „Armer Konrad“ – den Spottnamen des Adels für die Bauern hatten sie für ihre Bewegung gewählt. Für Konrad Konrads Klassenkameraden lag es nahe die Bezeichnung auf ihn zu übertragen. Für sie war er von da an der „arme Konrad“ oder der „arme Kunz“.
Und jetzt wird längst vergessen Geglaubtes in seine Erinnerung und zugleich eine warme Woge in seinem Herzen hochgespült. Er hatte sich damals mit dem Namen und der Sache identifiziert und schwer begeistert die Wiederbelebung des Bundschuh von Boxberg 1979 begrüßt. Die dortigen Bauern hatten sich gegen den Bau einer umweltbedrohlichen Teststrecke eines Autokonzerns und die damit verbundene Enteignung von Höfen gewehrt und das Unheil tatsächlich nach sich zehn Jahre lang hinziehenden juristischen Auseinandersetzungen mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichtes abwenden können. Diese Bewegung selbst besteht heute noch und beschäftigt sich vor allem mit der Anpassung von kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben an den ökologischen Landbau. Heute existiert darüber hinaus eine ganze Reihe umweltfördernde Vereinigungen, die alle als Namen und Logo auf den Bundschuh zurückgegriffen haben.
Der „arme Kunz“ ist sich von daher durchaus dessen bewusst, dass, wenn Bauern das Thema Bundschuh erneut aufgreifen – nun ja - , dies als eine durchaus ernstzunehmende Botschaft zu werten ist. Wie ernst - das sollte er eine knappe Stunde später erfahren.
In der Tat umschlichen die Bauern, vor allem die etwas jüngeren, ihre Kuhställe und beäugten misstrauisch ihr Viehzeug. Einige von denen, die schon die Kadaverbeseitigung blockierten, hatten es sogar geschafft, sich aus dem Sonderangebot der von der Albanermafia wegen technischer Mängel ausgemusterten Kalaschnis, die ganz unten in der untersten Unterwelt von Hannover verhökert wurden, einzudecken. (Die AK-47 Gewehre – Sie erinnern sich! - waren ursprünglich von Armeeangehörigen anlässlich der Auflösung der Sowjetunion an Interessenten verscheuert worden.) Das richtete sich zunächst gar nicht gegen die AVA. Nein – das nicht. Doch man wollte gerüstet sein, falls der Terrorbazillus auf weitere Rindviecher in Landwirtschaft, Wirtschaft und Politik überspringen sollte.
Aber als die jungen Kerle dann die AK-47 Waffen wirklich in der Hand hielten und begannen sich mit deren Gebrauch vertraut zu machen, nisteten sich zugleich so nach und nach auch ganz andere Gedanken in ihren vom Testosteron befeuerten Hitzköpfen ein.
Und das war die Ursache des Ereignisses, weswegen Fritz Meyer, Konrad Konrads Chef, Frau Guste anrief. Die junge Frau verfasste Pressemeldungen für die AVA, half aber auch in Meyers Vorzimmer aus. Meyer bat sie, ihn mit seinem Mitarbeiter zu verbinden. Mit etwas getrübter Stimme teilte er Konrad Konrad mit, dass er heute leider nicht kommen könne. Er müsse ganz dringende bei einer polizeilichen Untersuchung zugegen sein. Man habe ihm soeben - am ebenso hellen wie lichten Tag - mit so einem Schnell-feuer-Dingsda die Eingangstür seines Hauses durchsiebt.
Es war nun allerdings durchaus nicht so, dass alle Bauern es mit den neuen spontan entstandenen Bundschuhler-Gruppen hielten. Einige - die engagierten Empörten und zugleich sich Empörenden nannten sie BSWler, die „Besitzstandswahrer“ - wollten die Brisanz der Fälle so gut es ging herunterspielen, sprachen von Ausnahmeerscheinungen, die sich wohl kaum wiederholen dürften. Sie traten dafür ein, den Vorfall auf ganz kleiner Flamme oder besser überhaupt nicht zu kochen, und meinten, dass man doch bitte die bewährte Arbeit der AVA nicht in Frage stellen solle. Der Riss in der Meinungsbildung zog sich mitten durch die Schützengilden. Die mittleren Jahrgänge hielten es durchwegs und die etwas älteren Jahrgänge fast ausschließlich mit der AVA. Einige wenige der Ältesten und fast durchwegs alle Jüngeren fanden es dagegen ganz spannend von der Schützenflinte auf eine zwar altbewährte, aber immer noch recht aktuelle Waffe umzusteigen.
Konrad Konrads Nackenhaare hatten spürbar Lust sich heftig zu sträuben, wohingegen er selbst nicht die geringste verspürte sich für die AVA durchsieben zu lassen. Zudem schien ihm der Schuh auf seinem Schreibtisch, nachdem der sich der würzige Duft etwas entschärft hatte, nicht mehr ganz so penetrant anzugrinsen. Der schaute ihn jetzt eher spitzbübisch verschwörerisch an und blinkerte ihm zu als wollte er eine alte Freundschaft wieder aufleben lassen. „Ach was“, so sinnierte er vor sich hin, „ich habe sie gestrichen voll - meine Schnauze. Ich mache Schluss – für heute mache ich Schluss.“ Er teilte dies Frau Guste mit, nicht ohne die Gelegenheit wahrzunehmen noch ein bisschen mit ihr zu plaudern. Sie war eine anziehende, hübsche Person, wirkte zwar wegen ihrer Größe etwas schlaksig, hatte aber bewundernswert wohlgeformte und vor allem lange Beine, weswegen sie allgemein „die lange Guste“ genannt wurde. Das schliff sich dann später zu „Languste“ ab. Sie hat sich über den Necknamen so amüsierte, dass sie ihn schließlich als Familiennamen eintragen ließ. (Da ihr ursprünglicher Name ein „F-Wort“ war, hatten die Behörden ihr weniger Schwierigkeiten gemacht, als das ansonsten bei Umbenennungen üblich ist.)
Schon unten an der Eingangstür angelangt, kehrte er nochmals um. Eine solche Gelegenheit würde sich so schnell wohl nicht mehr ergeben: Der Chef war weg, die Mitarbeiter in den Büros damit beschäftigt die Vorfälle breit zu treten. So nutzte Konrad Konrad die Chance sich an den PC seines Brötchengebers heran zu machen.
Hochgefahren forderte der Computer ihn als erstes zur Eingabe des Passwortes auf.
„Nun – ein Versuch konnte ja nichts schaden. Probieren wir´s mal ganz einfach mit
reyem.
Nein – das wird nichts. Ich verlängere auf
reyemztirf.
Teufel auch - ich bin drin, drin, drinnen. Das hat Meyer nun davon , dass der so leichtfertig in der er Wahl seines Passwortes war – der dumme Teufel.“
Nun lagen alle Geheimdokumente der AVA fein säuberlich in Ordner und Dateien gegliedert vor ihm. Konrad bedauerte, dass er keine DVD zur Hand hatte. Darauf hätte der den gesamten Inhalt der Festplatte speichern können. „Was tun? Wo finde ich die interessanteste Datei?“
Eine war „Tagebuch“ benannt. Es waren nur 120 Seiten, aber er hatte so ein Gefühl als könnte sie Interessantes enthalten. Oder vielleicht sogar Brisantes?! Die Datei ließ sich auf einer Diskette speichern, die er mit nach Hause nehmen konnte. Er ging sehr behutsam zu Werke, denn wenn er morgen wieder hier antanzte, sollte ja keiner merken, dass er auf der Festplatte seines Chefs gewildert hatte.
Doch als er die Treppe herab und durch die Straßen nach Hause ging, schien sie in Flammen zu stehen – seine linke Gesäßtasche. In der hatte er die Diskette untergebracht.
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