Sich die Ernte teilen...
Einführung in die Solidarische Landwirtschaft
Stephanie Wild
Autoren:
Stephanie Wild (Hrsg.)
Benny Haerlin (Vorwort)
Katharina Kraiß
Mathias von Mirbach
Rolf Künnemann
Wolfgang Stränz
Thorsten Liebold
Fabian Kern
Fotonachweise (Cover):
Kuh: Stephanie Wild
Käse: Buschberghof
Kinder: Buschberghof
Gemüsekiste: Buschberghof
Tomaten: Stefan Mothes
Gärtner: Buschberghof
Mähdrescher: Stephanie Wild
Coverhintergrund: Stephanie Wild
Für die Inhalte des Buches ist allein die Herausgeberin verantwortlich, für die genannten Links übernimmt sie keine Gewähr.
Covergestaltung, Layout und Satz:
Grit Scholz, www.scholz-grafik.de
Als Printmedium erschienen
im Printsystem Medienverlag, D-71296 Heimsheim
info@printsystem-medienverlag.de
E-Book-Verlag:
Joy Edition, E-BOOKS and more
Gottlob-Armbrust-Straße 7, D-71296 Heimsheim
info@joyedition.de
Copyright:
E-Book © 2013 by Joy Edition, E-BOOKS and more, Heimsheim
Kein Teil des Buches darf in irgendeiner Form vervielfältigt, übersetzt, abgelichtet oder mit elektronischen Systemen verbreitet werden.
ISBN: 978-3-938295-61-8 (Print)
ISBN: 978-3-944815-37-4 (E-Book)
für Janus
DANKSAGUNG
Dieses Buch entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Netzwerk für Solidarische Landwirtschaft. Im Besonderen danke ich Benny Haerlin, Katharina Kraiß, Rolf Künnemann, Wolfgang Stränz, Mathias von Mirbach, Thorsten Liebhold und Fabian Kern für die Gespräche, die inhaltliche Durchsicht des Manuskripts und ihre Beiträge zu diesem Buch. Bei der Stiftungsgemeinschaft Anstiftung & Ertomis möchte ich mich sehr herzlich für ihr Vertrauen und die finanzielle Unterstützung bedanken. Herrn Stienkemeier und Herrn Rüter danke ich für ihre juristische Beratung zu Rechtsformen in der Landwirtschaft und Grit Scholz für ihr engagiertes Lektorat. Nicht zuletzt gilt mein Dank Elisabeth Henderson und Robyn van En (=) für ihr Buch „sharing the harvest“, dass mich ermutigte den Schritt in die Landwirtschaft zu wagen.
Wenn wir die weltweit genutzten 1,4 Milliarden Hektar Ackerland durch sieben Milliarden Erdbewohner teilen würden, ergäbe sich pro Mensch eine Ackerfläche von 2000 Quadratmeter. Ein Fünftel Hektar, ein sehr großer Garten, davon lässt es sich in den meisten Regionen dieser Welt gut leben. Der rebellischen Generation der siebziger und achtziger Jahre ist das, seit John Seymours Anleitung zum selbst versorgten „Leben auf dem Lande“, bekannt. Vor vierzig Jahren, waren es übrigens rechnerisch noch fast 3000 Quadratmeter pro Nase. In vierzig Jahren, wenn wir neun Milliarden Menschen sein werden, stehen pro Kopf noch 1500 Quadratmeter zur Verfügung. Auch dies wäre noch genug für alle, aber nur, wenn wir unseren Garten umsichtig nutzen und pflegen, den Boden fruchtbar, feucht und widerstandsfähig halten. Wir müssen unsere Böden schützen, auch in Bezug auf den Klimawandel, vor Versiegelung und Monokulturen, sowie vor Spekulation und vor dem Missbrauch als Energielieferant, oder als Soja-Mastfutterlieferant für unseren übermäßigen Fleischkonsum.
Um uns und unsere Kinder tatsächlich von der Fläche zu ernähren, die jedem Erdenbürger zusteht, müssen wir uns nicht einschränken. Zu dem eingangs erwähnten Fünftel Hektar Ackerland, kommen pro Erdbewohner zusätzlich noch einmal ein halber Hektar Grün- und Weideland. Wir müssen uns allerdings auf das Wesentliche konzentrieren: Lebensmittel, in denen so viel Natur steckt wie möglich und nicht mehr Verarbeitung, Transport und Zusatzstoffe als nötig. Lebensmittel, von denen wir nicht die Hälfte wegwerfen, bevor sie auf unserem Teller landen. Lebensmittel, deren Fleischanteil nicht höher ist als die Grün- und Ackerflächen unserer Region hergeben.
Unter diesen Gesichtspunkten auf gesunde Lebensmittel und Ernährung zu achten, ist vielleicht der wichtigste Schritt. Über die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung wird heute durch falsche Ernährung krank, bleibt unter ihren geistigen und körperlichen Möglichkeiten und stirbt früher als nötig. Wir sprechen von Menschenrechten, nicht von schlechten Angewohnheiten.
Heute ist, vor allen in den Medien, viel und gerne die Rede davon, dass Bürger sich direkt an der Politik beteiligen sollten. Direkte und reale Beteiligung an Herstellung, Verarbeitung und Ökonomie unserer Lebensmittel und Ernährung, könnte ein ganz entscheidender, nächster Schritt auf dem Weg zu mehr Demokratie und Ernährungs-Souveränität werden.
Für viele von uns, beginnt es mit Fragen im Supermarkt: Wer hat die plastikverpackten, bunt bedruckten Portionen von Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Ballaststoffen eigentlich hergestellt, die wir da in den Drahtkorb werfen? Wo standen die Tomaten, wo hingen die Gurken, wer hat die Bananen gepflückt und wie ging es der Wurst als sie noch zwei Augen und vier Beine hatte? Wenig ist darüber zu erfahren, noch weniger zu überprüfen. Der Gesetzgeber schützt die Konzerne, nicht die Konsumenten.
Der nächste Satz von Fragen drängt sich vielleicht bei einer Fahrt im Auto oder Zug auf: Wem gehört das Land? Wozu wird es genutzt? Von wem? Wie gesund wird es erhalten? Wer verdient daran? Was bedeutet es, wenn heute die Preise für Land höher liegen, als mit ehrlicher Lebensmittelproduktion darauf verdient werden kann? Was passiert, wenn diese Spekulations-Blase platzt? Wie kommt es, dass Energieproduktion statt Lebensmittelherstellung für immer mehr Landwirte die profitabelste Form der Bewirtschaftung von Ackerböden ist? Wieso subventionieren wir das mit unseren Steuergeldern und Energiepreisen?
Die Entwicklung vom Konsumenten zum Co-Produzenten, wie ihn mein Freund Carlo Petrini von Slow Food seit Jahren fordert, kennt viele Etappen und hat viele Gesichter. Einige davon sind, Gärten auf Freiflächen, Bienenhaltung in den Städten und Abo-Kisten aus dem Umland. Dies sind kleine Rebellionen von Entschlossenen, die mit ihren Aktionen nach und nach eine andere Essens- und Beschaffungskultur entwickeln und dabei eine kleine Gemeinde schaffen. Auch Debatten, auf dem nächsten, nicht unbedingt nur biologischen Bauernhof, über die europäische Landwirtschaftspolitik, die wir brauchen und tatsächlich auch gemeinsam finanzieren wollen, gehören zu den notwendigen Schritten.
„Solidarische Landwirtschaft“ ist zweifellos eine Krönung auf dem Weg zur Ernährungs-Souveränität. Die Menschen zu kennen, die „unsere“ 2000 Quadratmeter bewirtschaften und uns ernähren, erscheint heute in Deutschland als eine romantische, fast utopische Idee. Anderen vielleicht auch zu einfach, zu normal? Produktion, Nutzen und Genuss wieder in direkte Beziehung zu bringen, zu erleben wie und wo unsere Lebensmittel wachsen, zu wissen wie die Tiere leben, bevor sie ein Teil von uns werden oder gar den Frühnebel eines Sommermorgens und seine Tautropfen beim Essen vor Augen zu haben. Wäre das nicht eine völlig neue Idee von Wohlstand und Luxus? Klingt allerdings so, als wäre dies nicht mit Geld zu bezahlen!
Der Begriff „Solidarische Landwirtschaft“ mag manchem von uns ein wenig sperrig vorkommen. Doch es tut gut, wenn auch wieder mal von „Solidarität“ die Rede ist. Denn sie ist ein wichtiger Teil der Geschichte urbaner Landwirtschaft und genossenschaftlicher Selbstversorgung in Deutschland. Hungersnot, die Brecht und Eisler noch selbstverständlich war, wird uns auch hier in Europa möglicherweise sehr viel schneller wieder einholen, als wir Nachgeborenen, die Hunger einfach nicht kennen, uns vorstellen können. Ein Blick, in den von Finanzkrisen heimgesuchten Süden zeigt: Ein Stückchen Land, das uns ernährt, kann buchstäblich über Nacht wieder zur letzten Rettung werden. Darin schwingt internationale Solidarität, gegen alten und neuen Kolonialismus, für eine Gerechtigkeit, die über fairen Handel und Partnerschaften zwischen Süd und Nord ein Stückchen hinausgeht.
Wenn „small“ wirklich „beautiful“ ist - und wer will das heute noch ernsthaft bezweifeln? - dann müssen wir wohl gerade da, wo nur noch Großes zu funktionieren scheint, wieder ganz klein anfangen. Lächerlich? Der gewisse Mut zur Peinlichkeit, der dafür erst einmal nötig erscheint, verwandelt sich derzeit ungeheuer schnell in eine rhizomartige, wuchernde Bewegung. Interneterfahrungen, Filme, Artikel und Blogs und neue Stätten der Begegnung, verleihen der Randerscheinung unversehens Bedeutung und politische Wirkung. Hier wächst soziale Innovationskraft und eine Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln, von der wir eher beklommen fragen, ob sie denn noch in einem vernünftigen Verhältnis steht, zur Zahl der real existierenden landwirtschaftlichen Betriebe.
Auf dem Acker bleibt die Frage nach der Alltagstauglichkeit unabweisbar. Wer jätet das Unkraut, versorgt die Beete und das Vieh? Zu welchem Preis? Die Ökonomie ist nicht alles, aber wenn sich Solidarität nicht rechnet für die Beteiligten, wird sie nicht florieren. Solidarische Landwirtschaft muss nicht konkurrenzfähig sein, wohl aber Wohlstand schaffen und zwar am besten genau den, den sich die Beteiligten tatsächlich wünschen. Das unterscheidet ihren Wert vom Angebot bei Aldi und im Baumarkt. Hier werden wir gewiss noch Vieles lernen und entwickeln.
Um noch mal auf John Seymor zurückzukommen: Sein Buch begleitet mich, seit ich selbst einen Garten habe. Es beschreibt eine anheimelnde, von mir wohl nie erreichte Fantasiewelt, aus der sich doch manch guter Tipp in meinen Alltag eingeschlichen hat. Ich habe große Hochachtung vor allen, die es tatsächlich bis zur Selbstversorgung schaffen. Aber ich plädiere doch für Nachsicht mit allen, die auf diesem Wege nur ein Stück zu gehen bereit sind. „SoLawi“ sollte die Fehlerfreundlichkeit ihrer Konzepte und Beteiligten zum Markenzeichen erklären. Es ist die Abweichung, nicht die Perfektion, die wahrhaft Neues erschafft, in der Natur wie auch in menschlichen Kulturen. Waren es nicht immer gerade die Innovationen von Dilettanten, die ganze Produktionsprozesse aus den Angeln hoben?
Nährstoffreiche, humushaltige, gut durchwurzelbare, lebendige Erde, ist der Traum jedes Bauern und im übertragenen Sinne jeder Aktivistin: Fettes Land, reiche Ernte, das volle Leben!
Benny Haerlin leitet das Berliner Büro der Zukunftsstiftung Landwirtschaft (www.zs-l.de) und betreibt dort Kampagnen wie „Save Our Seeds“, „Aktion Bantam-Mais“, „Meine Landwirtschaft“ und Webseiten über den Weltagrarbericht und Agro-Gentechnik.
„Landwirtschaft ist in erster Linie dazu da,
um Menschen zu ernähren,
nicht um Geld zu verdienen.“
Mathias von Mirbach
Das Ideal einer Solidarischen Landwirtschaft, ist ein vielseitiger bäuerlicher Betrieb, der einen Kreis von Menschen mit gesunden Lebensmitteln versorgt. Diese Gruppe von Menschen finanziert die landwirtschaftliche Tätigkeit, teilt sich die Ernte und trägt die Risiken gemeinsam mit den Bauern. Sie werden so zu Mit-Bauern in „ihrem“ Betrieb und tragen dadurch Verantwortung für ein Stück Erde, für die Art und Weise, wie diese bewirtschaftet wird und dafür, dass sie auch in Zukunft fruchtbar bleibt.
Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte, waren die Menschen eng mit dem Land verbunden, dass sie ernährte. Heute arbeiten nur noch weniger als zwei Prozent der Bevölkerung, in Deutschland, in der Land- und Forstwirtschaft. Der Kontext des Lebensnotwendigen verschwindet immer mehr aus dem Sichtfeld von Erzeugern und Verbrauchern. Aus der Lebensmittelherstellung ist eine Industrie geworden, die sich an marktwirtschaftlichen Gegebenheiten orientiert. Landwirtschaft arbeitet jedoch mit dem Lebendigen, das seinen eigenen Zeiten, Rhythmen und ökologischen Gesetzmäßigkeiten folgt. Sie ist nicht Produkt, sondern Vorraussetzung für kulturelles und wirtschaftliches Handeln. Böden, Pflanzen und Tiere sind nicht beliebig manipulier- und rationalisierbar, ohne sie letztendlich zu zerstören.
Betriebe, die sich an der Qualität ihrer Erzeugnisse und am schonenden Umgang mit der Natur orientieren, haben heute nur schlechte Überlebenschancen. Ihre Existenz ist abhängig von Weltmarktpreisen und Witterungsverhältnissen. Beides Faktoren, auf die sie keinen Einfluss haben, aber deren Risiken sie weitgehend alleine tragen müssen. Die Erlöse aus den Erträgen decken oft nicht mehr die Produktionskosten und immer mehr landwirtschaftliche Betriebe geben auf. Eine regionale Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wird dadurch immer schwieriger und die Abhängigkeit von Importen und Supermärkten immer größer.
Um in Zukunft regional, der Natur und den Menschen gemäß, gesunde Lebensmittel erzeugen zu können, braucht es eine andere ökonomische Grundlage, die auf einer Partnerschaft zwischen Erzeugern und Verbrauchern beruht und die im Konzept der Solidarischen Landwirtschaft einen zeitgemäßen Ausdruck findet:
• Zusammenschluss von Erzeugern und Verbrauchern (Solidarhof)
• Finanzierung der landwirtschaftlichen Tätigkeit, nicht der Produkte
• Teilung der Produktionsrisiken, z.B. bei Ernteausfällen
• umwelt- und ressourcenschonende Anbauweise
• der Solidarhof als Begegnungs- und Lern-Ort
Die Kultivierung der Erde war schon immer Ausgangspunkt von kulturellen, sozialen und spirituellen Erlebnissen, wobei sich die Menschen miteinander und mit der Natur verbanden. Diese Qualitäten sind das große Potential einer Solidarischen Landwirtschaft und das Gegenbild der gesellschaftlichen Entwicklung, wie wir sie gerade erleben. Jeder Solidarhof wird eine individuelle Umsetzung dieser Idee für sich finden, da die Vorraussetzungen eines jeden Hofes und die Bedürfnisse der Mitglieder von Ort zu Ort verschieden sind. Einen Aufbau von Solidarischer Landwirtschaft nach Rezept, kann es deshalb nicht geben. Dieses Buch gibt einen ersten Überblick über die relevanten Aspekte, vermittelt Erfahrungswissen und gibt Hinweise zu weiterführenden Informationen. Darüber hinaus braucht es aber den Mut und das Vertrauen bei allen Beteiligten sich auf Neues einzulassen.
Was heißt Solidarische Landwirtschaft?
1. für die Menschen
• aktive Beteiligung an einer gesunden Form der Lebensmittelerzeugung
• frische Lebensmittel direkt von einem Erzeuger aus der Region
• Wissen um die Herkunft und die Anbaubedingungen der Lebensmittel
• das Erleben der Jahreszeiten
• Unterstützung einer sinnvollen Art der Landnutzung und Kulturlandschaftspflege
• Spielraum für Kinder und den Kontakt mit Tieren
• Verbunden sein mit einem Stück Land
• Lebensprozesse erfahren
2. für den Hof und das Land
• Schutz der biologischen Vielfalt und der natürlichen Lebensgrundlagen wie Wasser und Boden
• Erhaltung von Ackerland in der Region
• Sicherung kleinbäuerlicher, vielfältiger Betriebsstrukturen
• Möglichkeit des Landkaufs und des Freikaufs aus Privateigentum (Umwandlung in Gemeingut)
• Aufbau einer lokalen Versorgungsökonomie
• Entstehung lebendiger, dörflicher Gemeinschaften und sozialer Netzwerke
3. für die Produzenten und den Betrieb
• Bedarfsgerechte Erzeugung und das Wissen, für wen produziert wird
• Teilung von Verantwortung und Risiko
• Existenzsicherung durch ein planbares und gesichertes Einkommen
• keine anonyme Vermarktung, frei von üblichen Marktzwängen
• Einbindung in eine Gemeinschaft, nachdem die Gemeinschaft aus Bauern in der Nähe immer kleiner geworden ist
• Kostendeckung während der Herstellung und nicht erst nach Verkauf der Waren
• Zeit, sich ganz der eigentlichen Tätigkeit, dem verantwortungsvollen Umgang mit dem Land und den Tieren zu widmen und andere daran teilhaben zu lassen
• Möglichkeiten der Unterstützung, bei der Arbeit und der Finanzbeschaffung
• Vielfältige Nutzung des landwirtschaftlichen Anwesens z.B. für Pädagogik, Bildung, Ferienaufenthalte, Erhaltung alter Nutztierrassen und Gemüsesorten