Georges Perec

Was für ein kleines Moped
mit verchromter Lenkstange
steht dort im Hof

 

 

Aus dem Französischen von
Eugen Helmlé

 

 

 

diaphanes

Inhalt

 

Was für ein kleines Moped mit verchromter Lenkstange steht dort im Hof

 

Verzeichnis






Epische

Erzählung in Prosa ausgeschmückt

mit Versornamenten

entnommen

den Werken

der besten Autoren

und vorgestellt

vom Autor

des Buches

WIE MAN

SEINEN FREUNDEN

GEFÄLLIGKEITEN

ERWEIST

 

 

(Ein von verschiedenen Militärakademien
preisgekröntes Werk)

 






Diese Erzählung ist L. G.

zur Erinnerung an seine schönste Heldentat gewidmet

(aber doch, aber doch).






Da war ein Kerl, Karamanlis hieß er oder so was in der Art: Karawutz? Karakuh? Karabrut? Kurzum, Karadings. Auf jeden Fall kein alltäglicher Name, ein Name, der einem etwas sagte, den man so leicht nicht vergaß.

Das hätte ein armenischer Abstrakter der École de Paris sein können, ein bulgarischer Catcher, ein Großkopferter aus Mazedonien, kurz, ein Bursche aus dieser Gegend, ein Balkanese, ein Joghurtfresser, ein Slawophiler, ein Türke.

Aber zur Stunde war er doch tatsächlich ein Soldat, Schütze Arsch in einem Nachschubregiment in Vincennes, und das seit vierzehn Monaten.

Und unter seinen Kumpels war ein alter Spezi von uns, Henri Pollak höchstpersönlich, Unteroffizier seines Zeichens, freigestellt von Algerien und den anderen überseeischen Besitzungen (eine traurige Geschichte: Waise seit seiner frühesten Kindheit, ein unschuldiges Opfer, ein armes, kleines Menschenwesen, im Alter von vierzehn Wochen auf das Pflaster der Großstadt geworfen), der ein Doppelleben führte: Solange die Sonne schien, ging er seiner Unteroffizierstätigkeit nach, raunzte die Männer vom Strafdienst an, ritzte pfeildurchbohrte Herzen und Scheißhausparolen in die Latrinentüren. Aber beim Bumshalbsechsschlag bestieg er sein knatterndes kleines Moped (mit verchromter Lenkstange) und strebte pfeilgeschwind seinem heimatlichen Montparnasse entgegen (denn er war auf dem Montparnasse geboren), woselbst er seine Holde hatte, seine Bude, uns, seine Spezis, und seine geliebten Bücher, verwandelte sich in einen munteren Jungmann, einfach, aber sauber gekleidet mit einem rotgestreiften, grünen Pullover, einer Ziehharmonikahose, einem ausgelatschten Paar Latschen und suchte uns, seine Spezis, in Kneipen auf, woselbst wir über Fressalien, Kintopp und Philo quatschten.

Und morgens zog der Pollak Henri wieder seine Militäruniform an, das Khakihemd, die Khakihose, das Khakikäppi, die Khakikrawatte, den Khakirock, den sandfarbenen Regenmantel und die kastanienbraunen Schuhe, stieg auf sein knatterndes Moped (mit verchromter Lenkstange), trat schweren Herzens die gleiche Reise in umgekehrter Richtung an, verließ seine geliebten Bücher, uns, seine Spezis, seine Bude und seine Holde und selbst seinen heimatlichen Montparnasse (denn er war dort geboren) und kehrte ins Fort Neuf in Vincennes zurück, wo ihn ein harter Tag erwartete, der allen anderen glich, die der Herrgott-hol-den-Saumilitärdienst ihm seit vierhunderteinundsiebzig Tagen bescherte und ihm (aber greifen wir nicht vor) noch dreihundertneunundsiebzig Tage lang bescheren würde.

Er kniff die Lippen zusammen, der Pollak Henri, er nahm Haltung an, er fuhr mit vorgestrecktem Kinn an der Großen Fahne in den drei Farben vorüber, fuhr am Wachtposten vorüber, am Hauptmann, den er grüßte, am Oberleutnant, den er grüßte, am Unteroffizier-mit-der-Funktion-eines-interimistischen-Feldwebels, den er nicht mehr grüßte und lieber den Bürgersteig wechselte, seitdem sie einen Wortwechsel gehabt hatten, fuhr an der Mannschaft vorüber, dem braven Karaschoff, dem braven Falempain, Van Ostrack (ein fieser Rassist) und dem kleinen Laverrière, liebevoll Eisbrecher genannt, die ihn alle mit diversen Vogelschreien begrüßten, denn er war ziemlich beliebt, der Pollak Henri.

Darauf begann der harte Tag der mühseligen Militärarbeit mit den Appellen, den Rapporten, den Aborten, der Erbsensuppe, dem lauwarmen Bier, dem Viertel billigen Rotwein, den Arbeitskommandos, den Leerstunden, den Stilübungen, den rostigen Konservendosen, die sachkundige Holzpantinen über kahle Rasen scheppern ließen, den Zigaretten, den Kippen, den Stummeln.

Und majestätisch stieg Apoll unaufhörlich dem Zenit entgegen. Die Stunden rannen dahin wie durch eine sandsteingefüllte Sanduhr (der Leser wird sicherlich die Plattheit dieses Bildes bedauern: möge er jedoch seine geologische Stichhaltigkeit bewundern).

Und beim sehnsüchtig erwarteten Bimmelhalbschlag von siebzehn Uhr dreißig drückte Henri Pollak, unser Spezi, falls er nicht auf Wache war oder Feuermelder spielte, kein Ausgehverbot hatte und nicht im Knast saß, die schlaffen Hände von Karabinowicz, Falempain, Van Ostrack, dem fiesen Rassisten, und dem kleinen Laverrière, den wir liebevoll Eisbrecher nannten, stopfte seinen ordnungsgemäß gestempelten Nachturlaubsschein in die linke Tasche seiner khakifarbenen Wind­jacke, stieg auf sein knatterndes kleines Moped (mit verchromter Lenkstange), grüßte vorschriftsmäßig den Oberleutnant vom Dienst, den Küchenbullen, den Schreibstubenfeldwebel, den Kapo, den Unteroffizier vom Dienst, den Gefreiten vom Dienst und die Wachmannschaft, die ihm mit diversen Tierstimmen zujauchzte, denn er war recht gut gelitten, der Pollak Henri (nicht eingebildet, Klasse, eine große Sanftmut unter einer vielleicht etwas rauen Schale) und flog davon gleich dem Vogel der Minerva zur Stunde, da die Löwen zur Tränke gehen, kam mit der Geschwindigkeit des Sperbers mit den verträumten Augen auf seinem Montparnasse an, der ihm das Leben geschenkt hatte und wo ihn seine Holde, seine Bude, wir, seine Spezis, und seine geliebten Bücher erwarteten, pellte sich aus der so verhöhnten Uniform, verwandelte sich im Handumdrehen in einen offenkundigen Zivilisten, den Oberkörper behaglich in einer Unterjacke aus Cashmere, das Bein von einem Paar Dchihns geformt, die Füße in patinierten Mokassins, und suchte uns, seine Spezis, in der Kneipe gegenüber auf, wo wir über Lukasch, Helicop, Hegell und andere Sonderlinge sprachen, bis die Zeit so fortgeschritten war wie unsere Gedanken, denn wir hatten alle einen kleinen Sparren, damals.

Ach! Trotz allem, Mensch, es war ein schönes Leben für die Soldaten!