LANDSCRIPT IS A PUBLICATION ON LANDSCAPE AESTHETICS INVITING AUTHORS FROM DIFFERENT DISCIPLINES TO INVEST THOUGHT ON ESTABLISHED MODES OF PERCEIVING, REPRESENTING AND CONCEIVING NATURE. STEERED BY AN EDITORIAL BOARD COMPRISED OF INTERNATIONAL EXPERTS FROM VARIOUS FIELDS WHICH WILL ENCOURAGE A CRITICAL AND CONTROVERSIAL DIALOGUE, ITS GOAL IS TO ACT AS A REVELATOR OF CONVENTIONAL PERCEPTIONS OF LANDSCAPE AND TO CULTIVATE THE DEBATE ON AESTHETICS AT A SCHOLARLY LEVEL. THIS DISCUSSION PLATFORM AIMS AT REKINDLING A THEORETICAL DEBATE, IN THE HOPE OF FOSTERING A BETTER UNDERSTANDING OF THE IMMANENCE OF LANDSCAPE ARCHITECTURE IN OUR CULTURE, FOCUSING CRITICALLY ON THE WAY WE THINK, LOOK, AND ACT UPON SITES.
Professor Christophe Girot, Albert Kirchengast (Chief Editors)
Institute of Landscape Architecture ILA, D–Arch, ETH Zürich
EDITORIAL BOARD
Annemarie Bucher, ZHdK Zürich
Elena Cogato Lanza, EPF Lausanne
Stanislaus Fung, UNSW Sydney
Dorothée Imbert, Washington University in St. Louis
Hansjörg Küster, Leibniz Universität Hannover
Sébastien Marot, Ecole d’Architecture Marne-la-Vallee, Paris
Volker Pantenburg, Bauhaus-Universität Weimar
Alessandra Ponte, Université de Montréal
Christian Schmid, ETH Zürich
Ralph Ubl, eikones NFS Bildkritik Basel
Charles Waldheim, Harvard GSD
Kongjian Yu, Peking University
SUBMISSION GUIDELINES
Manuscript proposals are welcome in fields appropriate for Landscript. Scholarly submissions should be formatted in accordance with The Chicago Manual of Style and the spelling should follow American convention. The full manuscript must be submitted as a Microsoft Word document, on a CD or disk, accompanied by a hard copy of the text. Accompanying images should be sent as TIFF files with a resolution of at least 300 dpi at 8 × 9-inch print size. Figures should be numbered clearly in the text. Image captions and credits must be included with submissions. It is the responsibility of the author to secure permissions for image use and pay any reproduction fees. A brief letter of inquiry and author biography must also accompany the text.
Acceptance or rejection of submissions is at the discretion of the editors. Please do not send original materials, as submissions will not be returned.
Please direct submissions to this address:
Landscript
Chair of Professor Christophe Girot
Institute of Landscape Architecture ILA, ETH Zürich
Wolfgang-Pauli-Strasse 15, HIL H 54.2
8093 Zurich, Switzerland
Questions about submissions can be emailed to:
kirchengast@arch.ethz.ch
Visit our website for further information:
www.girot.arch.ethz.ch
TOPOLOGIE
POSITIONEN ZUR
GESTALTUNG DER
ZEITGENÖSSISCHEN
LANDSCHAFT
LANDSCRIPT 3
TOPOLOGIE
CHRISTOPHE GIROT
ANETTE FREYTAG
ALBERT KIRCHENGAST
DUNJA RICHTER (HG.)
Inhalt
Vorwort
Wilhelm Krull
How (not) to read this book
Albert Kirchengast
Landschaftstheorien im Umbruch
Annemarie Bucher
Der Glaube an die Gemeinschaft
Gion A. Caminada
Die Eleganz der Topologie
Christophe Girot
Landschaft und Modernität
Stefan Körner
Das Verhältnis von Pflanze und landschaftsarchitektonischem Entwurf – Versuch einer Neupositionierung
Norbert Kühn
Landscapology
Die Verknüpfung von Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und Ästhetik
Hansjörg Küster
Die Stadt ist nicht die Landschaft
Vittorio Magnago Lampugnani
Über Freiräume der Gestaltung von Natur und Schranken der Willkür
Lothar Schäfer
Die Sinnlichkeit des Ingenieurs
Joseph Schwartz
Landschaften der Natur und der Kunst
Martin Seel
„Die Wirkung und Macht des Beispiels“ im Ganzen und im Detail. Einige ausgewählte Betrachtungen zum Werk des Gartenkünstlers, Landschaftsgestalters und Städteplaners Peter Joseph Lenné
Michael Seiler
Zur Gestaltung von Infrastruktursystemen als Landschaft
Antje Stokman
Function, fiction, form and feeling. Zur „Ästhetik des Angenehmen“ in der Landschaftsarchitektur
Wulf Tessin
Anhang
Die Beiträge in diesem Buch sind in alphabetischer Reihenfolge der Autorennamen geordnet.
Vorwort
„Unzählige Male gehen wir durch die freie Natur und nehmen, mit den verschiedensten Graden der Aufmerksamkeit, Bäume und Gewässer wahr, Wiesen und Getreidefelder, Hügel und Häuser und allen tausendfältigen Wechsel des Lichtes und Gewölkes – aber darum, daß wir auf dies einzelne achten oder auch dies und jenes zusammenschauen, sind wir uns noch nicht bewußt, eine ‚Landschaft‘ zu sehen. Vielmehr gerade solch einzelner Inhalt des Blickfelds darf unsern Sinn nicht mehr fesseln. Unser Bewußtsein muß ein neues Ganzes, Einheitliches haben, über die Elemente hinweg, an ihre Sonderbedeutungen nicht gebunden und aus ihnen nicht mechanisch zusammengesetzt – das erst ist die Landschaft.“–1
Die Abkehr von einer Betrachtung von Einzelelementen zugunsten einer ganzheitlichen Perspektive, die Georg Simmel hier in seiner „Philosophie der Landschaft“ betont hat, ist auch ein Charakteristikum der theoretischen Position, die Christophe Girot und seine Mitarbeiter am Institut für Landschaftsarchitektur der ETH Zürich verfolgen. Viele landschaftsarchitektonische Projekte der Gegenwart, so die Diagnose, seien durch ökonomische Erwägungen bestimmt oder folgten ökologischen Moden. Wie in den Beiträgen zu diesem Band betont wird, sollten sich Landschaftsarchitekten weder mit der Rolle des Verschönerers zufriedengeben, der im Umfeld von Infrastruktursystemen übrig gebliebene Resträume bepflanzt, noch mit der des Naturschützers, der sich gegen „Eingriffe“ in die Landschaft zur Wehr setzt oder diese zu heilen versucht. Stattdessen soll von Anfang an ein gestalterischer Zugang gewählt werden, der Landschaft in all ihren Dimensionen begreift. Zur Charakterisierung dieses Ansatzes dient der Begriff der Topologie, der die Lehre vom Ort, Topos, bezeichnet. Topologisch arbeiten heißt, den Ort, an dem man eingreift, genau zu untersuchen und im Zusammenhang zu sehen – die Landschaft, die Infrastruktur, die Bebauung, die Menschen mitzudenken, den Raum landschaftsarchitektonisch zu ordnen. Raum wird hier nicht als bloßer physisch-geografischer Behälter verstanden, sondern als multidimensionales Beziehungsgefüge, das kulturell konstituiert und historisch wandelbar ist.–2 Essenziell für diesen Zugang ist eine Wiedereinsetzung der Ästhetik, die zumindest gleichberechtigt neben ökonomische und ökologische Faktoren tritt. Landschaft soll nicht nur funktional verstanden werden, sondern auch ihre poetische und symbolische Bedeutung ist in den Blick zu nehmen, um zu einer ganzheitlichen Betrachtung zu gelangen.
Die Landschaftsarchitektur erfährt durch diesen Ansatz einen enormen Bedeutungsgewinn. Sie reagiert nicht mehr bloß auf planerische Entscheidungen anderer, sondern hat eine grundlegende integrative – topologische – Funktion, indem sie die verschiedenen Dimensionen von Landschaft verbindet. Es versteht sich von selbst, dass sie diese integrative Leistung nur durch eine Einbindung aller beteiligten Disziplinen erbringen kann, als „partnerschaftliche Orchestrierung der den Raum direkt oder indirekt gestaltenden Institutionen und Professionen unter dem Primat des Ästhetischen.“–3
Die VolkswagenStiftung will mit ihren Förderinitiativen Anreize für Forschung setzen, die sich neuen, durchaus risikoreichen Feldern zuwendet und Grenzen überschreitet – sei es zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen den Fachkulturen oder zwischen verschiedenen Ländern. Das Vorhaben, durch den Begriff der Topologie an der Professur Christophe Girot eine theoretische Position in der Landschaftsarchitektur zu entwickeln, die disziplinäre und methodologische Grenzen überschreitet, fördern wir daher sehr gerne. Dies gilt umso mehr, als es erklärtes Ziel des Projektes ist, nicht nur die Disziplin durch theoretisch-kritische Debatten zu befruchten und in ihrem Selbstverständnis zu hinterfragen, sondern auch in die gestalterische Praxis hineinzuwirken und eine neue, grundlegend „landschaftliche Haltung“ in der Stadtplanung zu etablieren, die hoffentlich nachhaltige Auswirkungen auf die Qualität urbanen Lebens haben wird. Leitbild sollte ein Begriff von Gestaltung sein, der ganzheitlich und lebensweltlich ausgerichtet ist sowie wissenschaftliche und kulturelle Aspekte miteinander verbindet.
Ein erster Baustein dieses Vorhabens war die Konferenz „Topologie – Zur Gestaltung der gegenwärtigen Landschaft“, die vom 11. bis 13. Oktober 2012 in der Semper Aula der ETH Zürich stattfand. Die zur Definition des Vorhabens zentralen Vorträge wurden für diesen Band überarbeitet und liegen nun gesammelt vor. Um die integrative Wirkung der Landschaftsarchitektur zu beleuchten, fanden sich Expertinnen und Experten vieler Fachrichtungen zusammen, die aus unterschiedlichen Perspektiven – von der Philosophie bis zur Geschichte der Gartenkunst, von der Soziologie bis hin zur Architektur – erörterten, wie man zu einer ganzheitlichen Raumgestaltung gelangen könnte, die Nützlichkeit und Schönheit der Landschaft gleichermaßen einbezieht. Dabei wurde auch deutlich, dass es der aktuellen Landschaftsarchitektur an einer theoretischen Fundierung mangelt, was u.a. darauf zurückzuführen ist, dass die Ausbildung seit den 1970er Jahren defizitär ist. Theorielehrstühle wurden nicht neu besetzt, grundsätzliche Fragestellungen sowie eine Auseinandersetzung mit neuen Theorieansätzen und mit künstlerisch-gestalterischen Prozessen bleiben an der Oberfläche oder fehlen. Die Folge sind Gestaltungsentwürfe, die oft nur wenig theoretisch reflektiert und kritisch hinterfragt wurden. Christophe Girot und sein Team, bestehend aus Albert Kirchengast, Suzanne Krizenecky und Dunja Richter, haben sich unter der Projektleitung von Anette Freytag daher das ehrgeizige Ziel gesetzt, Fragen der Ästhetik und der Gestaltung nicht nur ins Zentrum der theoretischen Debatte zu rücken, sondern sie auch wieder in der curricularen Ausrichtung zu verankern und die universitäre Ausbildung im Fach Landschaftsarchitektur zu verbessern. Hierzu gilt es, eine Theorie der Landschaftsarchitektur, der Architektur, des Ingenieurwesens und des Städtebaus zu fördern, die den Zusammenhang der Disziplinen berücksichtigt und ökonomische, ökologische und ästhetische Werte zusammenführt.
Die vorliegende Publikation Topology war der Grundstein für eine internationale Tagung, die – ebenfalls von der Stiftung gefördert – im Juni 2013 in Schloss Herrenhausen in Hannover stattfand, inmitten des einmaligen Landschaftsensembles der Herrenhäuser Gärten. Unter dem Titel „Thinking the Contemporary Landscape. Positions and Oppositions“ traten Wissenschaftler und Praktiker aus der Landschaftsarchitektur und benachbarten Disziplinen gemeinsam in einen inter- und transdisziplinären Dialog ein und tauschten sich über grundlegende Fragen aus, die weit über die Gestaltung von Landschaft hinausgehen.
Mein Dank gilt den Referentinnen und Referenten der Zürcher Veranstaltung, die sich die Mühe gemacht haben, ihre Vorträge für diese Publikation aufzubereiten, sowie allen Herausgeberinnen und Herausgebern des Buches, darunter Albert Kirchengast, der für die Redaktion der Beiträge verantwortlich war. „Nichts gedeiht ohne Pflege; und die vortrefflichsten Dinge verlieren durch unzweckmäßige Behandlung ihren Wert“, schrieb der preußische Landschaftsarchitekt Peter Joseph Lenné. Diese Aussage ist ohne Zweifel auch auf die Landschaftsarchitektur selbst anzuwenden, und ich bin mir sicher, dass deren Pflege bei den Autoren von Topology in den allerbesten Händen ist.
Hannover, im September 2013
1 Georg Simmel: „Philosophie der Landschaft“, in: Die Güldenkammer, III/1913, S. 635–644.
2 Vgl. Hille von Seggern, Julia Werner: „Entwerfen als integrierender Erkenntnisprozess“, in: Hille von Seggern, Julia Werner, Lucia Grosse-Bächle (Hrsg.): Creating Knowledge, Berlin 2008.
3 Vgl. den Förderantrag an die VolkswagenStiftung und die Publikation: Christophe Girot, Anette Freytag, Albert Kirchengast, Suzanne Krizenecky, Dunja Richter: Topologie/Topology, Heft Nr. 15 der Schriftenreihe „Pamphlet“, Zürich 2012 (2. Auflage 2013).
How (not) to read this book
Zweifellos verdiente die Rekonstruktion jener Versuche gewisses Interesse, die den ideal-linearen Lesefluss, wie er sich im abendländischen Buch vom Vorwort bis zum Dank darstellt, zu unterminieren trachten. Ob auf Ebene der Narration (jüngst etwa Jon Fosses Meisterwerke dialogischer Aussparung und Jonathan Franzens Erzählstrategie in seinem großen Gegenwartsroman Freiheit), als grafische Intervention (unter avancierten Grafikern längst passé) oder eben als „Theoriekonstrukt“ (das allerdings wieder zu gedruckter Form finden muss). Doch das hierorts übliche Buch behauptet in Bezug auf seinen Inhalt und seine materielle Ausstattung weiterhin hartnäckig eine klar sich entfaltende Prozessualität – garniert mit Überschriften, Absätzen und sonstigen Zutaten, die den Leser bei Laune halten wollen.
Auf Ebene des Verstehens, so sollte man sofort kritisch einwenden, trifft man keinesfalls auf solch einfache Direktivität. Wir verstehen wohl eher in Sprüngen. Wir machen Salti und vollziehen nicht wenige Schleifen; manch einer glaubt sogar an so etwas wie den „entscheidenden Moment“. Mehr noch: Was einmal halb ernst, gut bildungsbürgerlich als Methode des „Verdauens“ und Abstandnehmens von Erlerntem praktiziert wurde, kann in wissenschaftstheoretisch potenzierter Form zum folgenreichen Bruch mit dem zugrundeliegenden Denkmuster selbst führen. Dieses „Verstehen“ tritt dann als Paradigmenwechsel, als Einnehmen der absoluten Distanz zum einmal Gewussten auf, indem es sogar zur Neuerfindung seines Ausgangspunktes tendiert (vgl. Kuhn 1967).
Das Potenzial solcher Konzepte kommt am Beginn der nunmehr bereits Tradition gewordenen Demontage des alt-modernen, abendländischen Wissenschaftsverständnisses etwa folgendermaßen zum Ausdruck: „Grundlegende wissenschaftliche und künstlerische Entscheidungen sind ihrer Natur nach Entscheidungen, die auf demokratische Weise getroffen werden müssen.“ (Feyerabend 1984, 10) Die dabei vollzogene demokratische Annäherung von Kreativität und Denken bildet bei Paul Feyerabend nur die eine Seite; bleibende Verunsicherung, wenn sich folglich die Konturen von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft verwischen, bekanntlich die andere (vgl. z.B.: Nowotny 1999, Giddens 1990, Crouch 2008). Karl Popper ging daher einen eigenen Weg. Auch bei ihm ist nichts mehr sakrosankt. Und doch erkennt sein Kritischer Rationalismus gewissermaßen die Notwendigkeit des richtig Gewussten: „Erkenntnis ist Wahrheitssuche – die Suche nach objektiv wahren, erklärenden Theorien.“ (Popper 1994, 12) Um folglich gegenüber dieser „Wahrheit“ einen Verdacht zu hegen, wissend, Wissenschaft bliebe die unerbittliche Suche nach dem Falsifikans der bis zum Umbruch dennoch gültigen Theorie. Skepsis als Forschertugend ist dabei eine Sache. Dem solcherart letztlich doch als piecemeal engineer (Stückwerk-Techniker) Auftretenden ist jedenfalls das Zugeständnis gemacht, er dürfe so fühlen „als ob“; als hätte er etwas Greifbares zur Hand. Ob da eine grundmenschliche Sehnsucht nach Sicherheit, also etwas Lebensweltliches, in den Forscherhaushalt hineinspielt? Auch dies würde die neuere Wissenschaftssoziologie wohl jederzeit unterschreiben. Was uns hier allerdings eher interessiert, ist das Motiv des kreativ-forschenden Gesprächs, changierend zwischen Relativismus dämpfendem Zutrauen in „brauchbare Resultate“ und gleichzeitiger Offenheit für „Verhandlungen“ des eigenen Ausgangspunkts. Die Frage, die sich stellt: Wie könnte man in einem nicht besonders theoriefreudigen Fach wie der Landschaftsarchitektur heute Theorie treiben? Heute, da so mancher das Ende des systemischen Denkens nicht erst seit gestern eingetreten sieht, wo das Theoretische episodisch und mit belletristischer Kraft auftreten muss, um überhaupt noch von sich Reden zu machen.
Dabei spielt die Form gewiss eine nicht unwichtige Rolle, so sehr der Leser jetzt, in diesem konkreten Moment, auch meinen mag, wieder einmal einfach ein weiteres (gewöhnliches) Buch in Händen zu halten (vgl. Girot et al. 2012). Form und Verstehen sind nicht mehr voneinander zu trennen. Schließlich traut man der postmodernen Kommunikationsform als banalem Vermittler, schierem Repräsentanten von Inhalten, nicht mehr. Man mutet ihr mehr zu. Die Rhetorik hat gegenwärtig immens an Bedeutung gewonnen – trotz des schon seit dem Auftreten der antiken Sophisten gehegten Verdachts unlauterer Absichten. Mit dem Prinzip der Performativität steht eine an den rhetorischen Formenschatz angelehnte postmoderne Taktik parat, die das Ende der Großen Erzählung (Lyotard 1999) als neue Große Erzählung überlebt hat. Diesen Zustand sollte man nicht leugnen. Wie also heute Theorie betreiben in einer marktsensiblen Gestaltungsdisziplin, wenn man das Unteleologisch-Politische, das bei aller Performativität durchscheint, nicht dazu nutzen will, sich den besseren Standpunkt einfach zu erschwindeln, gar zu erkaufen? Immerhin könnte die Anerkennung des Status quo vorerst dazu verhelfen, „alle Bereiche der Kultur nicht als Autoritäten, sondern als Werkzeuge zu sehen: als Hilfsmittel zur Neubeschreibung und Neugestaltung unseres Ichs und unserer Umwelt“ (Rorty 1993, 11). Was aber wäre dann eine Anthologie, als die man das vorliegende Buch auf den ersten Blick der Form nach einschätzen könnte, für ein Werkzeug? Welche Bedeutung hat eine solche Textsammlung heute, diese lockere Reihung von Stimmen, die sich im Leserkopf verselbstständigen dürfen?
Zunächst ist eine Anthologie wörtlich eine „Blütenlese“. Und so sehr es sich beim ersten Exemplar dieser Art um das Werk eines hier nicht weiter bedeutsamen griechischen Astronomen gehandelt haben mag, ist Topologie selbstredend weit davon entfernt, ihre Referenzen noch im Kosmischen zu suchen. Interessanter ist tatsächlich die Etymologie der Blütenlese. Sie impliziert ja bildlich, man habe sich zuvor auf einer Blumenwiese befunden. Vom Blumenstrauß in der Vase geht dann der Rückschluss auf jenes, das die Schönheit des Buketts hervorzurufen verhilft – jene Wiese, auf der wir irgendwann waren (gelegen sind). Es entsteht also ein Ort aus dem Fragment, satt von Erinnerung und Gefühl und doch ganz real. Eine solche Korrelation von Teil und Ganzem wäre uns nicht ganz unrecht. Was aber wären für dieses Vorhaben, diesen Theoriebildungsversuch gegenwärtiger Landschaftsarchitektur, Gesichtspunkte der Ordnung, nach denen man ein solches Genre gerne zusammenstellt – die Metapher der Blumenwiese einmal beiseite gelassen? Ohne Anmaßung und bei Gefallen an der Tatsache, dass wiederum die ersten ihrer Art Sammlungen von Fragmenten waren, würde man von dem vorliegenden Buch vielleicht präziser von einer Chrestomathie denn einer Anthologie sprechen müssen: chrestós, das heißt nützlich. Dieses Buch verfolgt einen didaktischen Zweck. Seine „maieutische Dimension“ entwickelte es wie das sokratische Gespräch – hier: über Landschaft – aus der manchmal quälenden Frage nach dem Noch-nicht, dem Nichtwissen und Nichtvermögen. Was in einer zweck- und resultatorientierten Zeit selbst bereits auf ein utopisches Moment verweist. Dann aber war Sokrates einer, den man jenseits seines Schülerkreises gar nicht so sympathisch fand. Nicht nur aufgrund seines Aussehens, sondern weil er das tangierte, was man heute als common sense bezeichnen würde. Indem er seine Mitmenschen einfach beobachtete – was sie, weil es ihnen als selbstverständlich erschienen war, als Methode nicht verstanden und damit auch nicht schätzen konnten –, traf er offenbar einen Nerv. Das nahm für ihn freilich einen letalen Ausgang. So weit treiben wir die Sache nicht, doch ernst ist sie uns schon.
In ähnlicher Weise, wie Sokrates beim allgemein Vorliegenden ansetzte, geht Topologie nicht von der Landschaftsarchitektur aus, sondern von der Landschaft. Die in der Moderne selbstverständliche Einheit der Landschaftserfahrung war eine allgemeine, ästhetische – solange, bis sie verloren ging (Simmel 1913, Ritter 1974). Bis heute stellt sich daher die Frage, was sie ästhetisch eigentlich zu integrieren vermag. Ob man überhaupt vom „alten“ Landschaftsverständnis dort abrücken müsste, wo man nicht mehr nur keine Naturlandschaft (ein paradoxer Begriff), sondern auch keine herkömmliche Kulturlandschaft mehr vorfindet; wo man gleichsam dazu übergehen müsste, jene Produkte, Prozesse und Projekte zu berücksichtigen, die im Bild eines historischen, weil auf vergangenen (agrarischen) Tätigkeiten beruhend, Lebensvollzug nicht mehr aufgehen können. Ob dies sich nicht anders ausdrücken müsste als durch unzählige Prä- und Suffixe, die man dem Wort Landschaft aufbürdet. Doch stellt Topologie diese Frage eben nicht vom fertigen „Bild“ der vielleicht noch möglichen Syntheseleistung Landschaft aus, sondern beachtet den Vorgang der Reflexionsleistung selbst. Anders gesagt: „Die Einheit ist damit ein Produkt aktiver Mitwirkung der Reflexion, die zwischen den Details und dem Ganzen hin und her spielt, um den Zusammenhang beider zu erfassen.“ (Bubner 1989, 63) Bei diesem selbstreflexiven Schritt zurück, der natürlich Teil der Ästhetik ist, muss die Frage eher lauten: Welches sind die möglichen Details, die einer solchen Syntheseleistung zugrunde liegen? Nochmals anders gesagt: Was gilt es zu berücksichtigen, um zunächst Theoriebildung als Gespräch zu verstehen und dieses dann mit dem Ziel der Raumgestaltung nach dem „Modell Landschaft“ zu vollziehen? Und hier ist man dann doch wieder bei den (eingestandenen) Voraussetzungen jeglichen Theoriekonstrukts: dass wir gewisse Topoi der Rede als unumstößlich voraussetzen müssen. Es sind Bausteine, Teile eines Diskurses, der sich hier in Buchform manifestiert; eines Gesprächs über Gestaltung, bei dem Vertreter verschiedener Disziplinen sagen, worauf es ihrer Meinung nach zuallererst ankommt. Ein quasi Dogmatisches bleibt also. Oder nennen wir es lieber – einen lenkenden Umstand: die Auswahl der zum Gespräch Zugelassenen. Um auf eingangs Gesagtes zurückzukommen, hilft hier aber die (demokratische) Divergenz von Verstehen und Lektüre: Es gibt wohl mit jedem ausgelieferten Buch eine neue, selbstverantwortet-synthetisierende Lesart.
Anything goes? Aufgrund des zentralen ästhetischen Interesses von Topologie an Landschaft ist nicht alles möglich. In Anlehnung an Immanuel Kant geht es beim Ästhetischen um einen Zugang der ein „Ganzes“ insofern in seinen gegenwärtigen Blick nimmt, als dieser sich nicht vorderhand von abgezweckten Interessen lenken lässt (vgl. Kant 1974, §29, 193) „Unsere Reaktion auf eine Landschaft setzt an älteren Schichten an, die jenseits des menschlichen Gestaltungswillens liegen […]. Bei diesem Dialog geht es um die Frage, ob und wie die Dinge zusammenpassen. Er ist getragen von der Hoffnung auf ein harmonisches Ganzes bei der Lösung eines rein physischen Problems.“ (Scruton 2012, 103, 113) Um Missverständnisse vorzubeugen: Ein topologisches Verständnis, das die ästhetisch gewordene Natur als zentrale Ingredienz begreift, wird vom homo faber betrieben. Dieser setzt Natur und Kultur in keinen Gegensatz (Blumenberg 1981, 12). Dass in der Landschaft jene menschlichen Bedürfnisse, die sie immer schon geformt haben, „verschwinden“ können, darin liegt noch heute die große Herausforderung anspruchsvoller Gestaltung. Das Ästhetische – und zwar das Naturästhetische – bleibt dabei zentral: Vielleicht war es schon immer jene moderne Kategorie, die in einer an sich kontingenten Zeit Strukturen schuf. Es zehrte dabei eben von jenem Schein, den es in einer trockenen Welt aufbauen musste, um zu wirken. Ein ästhetischer Schein, der jenem Rätsel gerecht werden muss, das von der Differenz des Faktischen und Möglichen kündet. In der verklausulierten Sprache Theodor Adornos: „Das Naturschöne ist die Spur des Nichtidentischen an den Dingen im Bann universaler Identität.“ (Adorno 1973, 114) Dass sich nicht alles in Fakten auflösen lässt, davon zeugen eben jene erlebten Momente schöner Natur, die wir im Alltag so sehr schätzen – sie sind die Energie, der Treibstoff des vorliegenden Vorhabens, und treten dennoch nicht direkter auf, als durch die Behauptung, dass wir letztlich als „ganze Menschen“ auf sie angewiesen wären (vgl. Schiller 2006). Unser Beweis ist das tägliche Erleben des Lesers, dem wir empfehlen, einige jener Begebnisse zu Beginn der Lektüre zu memorieren. Vor diesem Hintergrund erst fangen die Texte zu „sprechen“ an und werden zu ausgewählten Elementen jenes Fachgesprächs über eine topologische Landschaft, das noch nicht existiert – zu dem aber aufgerufen wird mit diesem Versuch einer „literarischen Tafelrunde“. So wenig, wie die Beiträge ohne diesen Akt des Lesens und Reflektierens zum Gemeinsamen führen – es sind einfach Texte –, so wenig sollte dieses Gespräch nach der Lektüre des Buches verstummen. Und doch: Sind die Akteure erst aufgetreten, haben sie sich zu Wort gemeldet, hat man die Frage des Gestaltens gemeinsam bedacht, so sollten sie möglichst hinter der Antwort verschwinden. Auch der Landschaftsarchitekt. Es geht um keinen Redewettbewerb.
Dem Akt ästhetischen Reflektierens auffallend ähnlich wird der Begriff Topologie innerhalb der in den Kulturwissenschaften umtriebigen Raumdebatte aufgefasst. Nämlich nicht als Debatte um Raum, sondern um die Räumlichkeit, als Beschreibung „räumlicher Verhältnisse hinsichtlich kultureller und medialer Aspekte“ (Günzel, S. 13). Auch dort geht es um Voraussetzungen. Unsere Diskussion unter demselben Schlüsselbegriff, ausgehend vom Fach Landschaftsarchitektur, unternimmt daher nicht nur einen Schritt hin zur Aktualisierung ihres Diskurswertes, sondern einen entscheidenderen, der die Debatte um raumkonstituierende Momente vonseiten der Gestaltung einzulösen versucht. Dass ihm das Reflexivwerden der eigenen Räumlichkeit vorausliegt, ist selbstverständlich (vgl. Giddens 1995). Hierin spiegelt sich nur der Begriff der Landschaft als Ergebnis ästhetischer Reflexion wider, dem nichts anderes zugrunde liegt als die eigene Distanzierung vom Objekt. Ihre Relokation will die topologisch gewordene Landschaftsarchitektur darum in nichts Geringerem finden als im gesellschaftspolitischen Interesse an der gestalteten Ordnung unseres Lebensraums.
Es ist indessen keineswegs kokett, wenn das Buch Topologie und nicht lapidar Landschaft heißt – man sollte darunter eher so etwas wie Selbstschutz erkennen; etwas umgehend, auf das man es doch abgesehen hat. Zugleich ist das Wort Topologie seinem mathematischen Ursprung nach – der stetigen Bezogenheit von Flächen zueinander – eine weitere wunderbare Metapher. Freilich handelt man sich dabei andere begriffliche Schwierigkeiten ein. Weit davon entfernt, den Genius Loci noch zu suchen, wäre Topologie doch ein Gespräch, das sich jeweils am Ort verankern muss. Diese „Ortslese“ ist nun aber, wie unser Beitrag im Buch zeigt, das analysierende Rekurrieren auf Werkzeuge eines detaillierten topografischen Verständnisses von Landschaft vor Ort – auf das erst ein Gespräch folgen kann. Eben ein solches, wie es dieses Buch paradigmatisch vorschlägt, ohne als Theoriekonstrukt schon angewandt im eigentlichen Sinn sein zu können. Topologie als Diskussion um die Gestaltung unseres Lebensraumes legitimiert zudem die Disziplin Landschaftsarchitektur an leitender Stelle, da sie längst nicht mehr nur davor Halt macht, das Architektonische zu integrieren, sondern sprichwörtlich größere Ausdehnung im Maßstab ihrer aktuellen Entwurfsaufgaben vollzogen hat – was einem Fach, das vor rund 100 Jahren viel noch im Garten angesiedelt war, verblüffende Virulenz verschafft.
Nicht Sokrates, sondern Aristoteles hat die Möglichkeit des Gesprächs auf Topoi gegründet. Es sind Grundlagen der Verständigung, mit deren Hilfe man einander folglich erst inhaltlich austauschen kann. „Zunächst ist zu untersuchen, mit welchen Gegenständen die vorliegende Abhandlung sich zu beschäftigen hat. Wenn ich die Anzahl und die Beschaffenheit der Gegenstände, worauf die Erörterungen sich beziehen und die Gründe, auf welche sie sich stützen, dargelegt haben werde, und ebenso die Weise, wie man dieselben leicht zur Hand hat, so werde ich meine Aufgabe genügend erledigt haben.“ (Aristoteles 1882, 4) Man darf jedoch nicht vergessen, dass Aristoteles’ Topik nur ein Element seines philosophischen Korpusses ist, was eben die Bedingungen weiteren Nachdenkens klärt. Es setzt also ganz basal an: Topoi sind Übereinkünfte, die weitere Übereinkünfte eines zu führenden Disputs möglich machen. Die Aufforderung bleibt aufrecht erhalten, einer Disziplin, deren Gestaltungswissen an die Ursprünge der Kultur reicht, die Aufgabe zuzusprechen, Topoi jener anderen Disziplinen zu moderieren, ohne die Landschaftsarchitektur heute selbst nicht mehr agieren kann. Und schließlich stellt sich die Frage, was wäre, wenn wir bald konkrete Entwurfsergebnisse präsentieren könnten, die jenseits des Modischen, jenseits der Persönlichkeit des Gestalters, jenseits des Formalismus lägen. Gestaltung in dem Sinne wäre ein Zähmen von Komplexität, den (gelungenen) Alltag vor Augen.
Übrigens ist es hinfällig, hier in üblicher Weise Autoren und Inhalte einzuleiten. Da der dem Leser zugemutete Aneignungsprozess vorliegender Texte – die er wirklich alle lesen sollte – Teil jener Taktik ist, die ihn, den Leser, eben miteinschließt. Der topological turn versucht – als letzte Bewegung im kulturwissenschaftlichen Ideenkarussell – hoffnungsvoll darzulegen, dass der Landschaftsraum nichts Absolutes ist, sondern überhaupt erst als dialogisches Relationsgefüge entsteht.
Literatur
Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1973.
Aristoteles: Die Topik, Heidelberg 1882.
Blumenberg, Hans: Wirklichkeiten in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede, Stuttgart 1981.
Bubner, Rüdiger: Ästhetische Erfahrung, Frankfurt am Main 1989.
Crouch, Colin: Postdemokratie, Frankfurt am Main 2008. – Original: Post-Democracy, Oxford 2004.
Feyerabend, Paul: Wissenschaft als Kunst, Frankfurt am Main 1984.
Giddens, Anthony: Konsequenzen der Moderne, Frankfurt am Main 1995. – Original: The Consequences of Modernity, Oxford 1990.
Girot, Christophe; Freytag, Anette; Kirchengast, Albert; Krizenecky, Suzanne; Richter, Dunja: Topologie/Topology, Zürich 2012.
Günzel, Stephan: Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kultur- und Medienwissenschaften, Bielefeld 2007.
Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, Frankfurt am Main 1974 (1790).
Kuhn, Thomas S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt am Main 1967. – Original: The Structure of Scientific Revolutions, Chicago 1962.
Lyotard, Jean-Francois: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Wien 1999. – Original: La condition postmoderne, Paris 1979.
Nowotny, Helga: Es ist so – es könnte auch anders sein. Über das veränderte Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1999.
Popper, Karl R.: Auf der Suche nach einer besseren Welt. Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren, München 1994.
Ritter, Joachim: Subjektivität. Sechs Aufsätze, Frankfurt am Main 1974.
Rorty, Richard: Eine Kultur ohne Zentrum. Vier philosophische Essays, Stuttgart 1993.
Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, Stuttgart 2006 (1795).
Scruton, Roger: Schönheit. Eine Ästhetik, München 2012. – Original: Beauty, Oxford 2009.
Simmel, Georg: „Philosophie der Landschaft“, in: Die Güldenkammer, III/1913, S. 635–644.
Landschaftstheorien im Umbruch
Landschaft gilt als ein Gemeinplatz schlechthin – ein Freiraum für Denken und Handeln, der jedoch bestimmten Gesetzlichkeiten unterliegt. Dass sich in diesem Begriff zahlreiche Phänomene, Vorstellungen, Werte, Ansprüche und auch Probleme ansammeln, stört im alltäglichen lebensweltlichen Kontext kaum. Doch im professionellen und wissenschaftlichen Kontext haben sich um das Verständnis von Landschaft verschiedene disziplinäre Begriffe ausgebildet, die – weil auf unterschiedlichen Bezugssystemen beruhend – eine unterschiedliche Reichweite haben und sich spätestens dann in die Quere kommen, wenn sie über ihre disziplinären Grenzen hinaus Geltungsanspruch anmelden. In der Praxis erweist sich dies als zunehmend hinderlich. Denn für Planung, Gestaltung und Entwicklung ist ein möglichst breit verankertes, daher vielen gerecht werdendes Landschaftsverständnis grundlegend. Zu verstehen, was Landschaft ist, ist deshalb nicht nur für alle Akteure und Nutzer grundlegend, sondern Resultat eines Verhandlungsprozesses zwischen unterschiedlichen Positionen. Dabei spielen Landschaftstheorien–1 eine nicht unwesentliche Rolle. Sie bieten nicht nur Einsichten, liefern Begründungen, Beschreibungen und Erklärungen für das „Phänomen Landschaft“, sondern sie schaffen für die Verhandlung eine Umgebung, verorten sie in einem größeren Denk- und Handlungskontext.
Landschaft war lange Zeit in einem Entweder-oder zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften gefangen. So wurden entweder ihre naturhaften Phänomene erklärt oder ihre kulturell konstruierte Idee interpretiert. Nach dem topological turn–2 ist Landschaft jedoch verstärkt in den Fokus des kulturwissenschaftlichen Interesses gerückt, wo insbesondere Transdisziplinarität, Grounded Theory und methodische Triangulation unterschiedliche Erklär- und Verstehensleistungen vernetzt haben. Der gegenwärtige Raum der Landschaft ist deshalb nicht mehr nur der physisch-geografische, sondern gleichzeitig auch der kulturelle und soziale. Seine Konzeptualisierung verknüpft selbstverständlich Denkfiguren und Interessen über disziplinäre und methodologische Grenzen hinaus, stellt weniger Tatsachen als vielmehr Beziehungen und Verflechtungen in den Vordergrund. Über die Planung und Gestaltung der Landschaft wird seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert viel diskutiert. Die Diskussion betrifft sowohl Wildnisparks als auch Stadtplätze und in zweiter Instanz die Frage nach einem gemeinsamen Nenner. Unterschiedlichste naturnahe, suburbane und urbane, traditionelle, postindustrielle Landschaften liegen im Wettstreit um Qualität und Nachhaltigkeit. Vor diesem Hintergrund ist eine verbindliche Definition von Landschaft in weite Ferne gerückt. Unbestritten ist jedoch, dass ein rascher Wandel – hauptsächlich provoziert durch ökonomischen Druck – in Bezug auf Nutzung und Gestalt die bisher gültigen Begriffe, Terminologien und bildhaften Vorstellungen maßgeblich unterspült hat.
Angesichts dieses Veränderungsdrucks wird versucht, einerseits die Ursachen und Triebfedern des Wandels zu ergründen sowie andererseits mittels neuer Visionen und Modelle zukünftige Bedürfnisse und Entwicklungstendenzen zu antizipieren. Doch die grundlegende Frage bleibt: Auf welchem Verständnis von Landschaft – auf welchen Theoriegrundlagen – beruhen diese? Und welche Landschaft produzieren sie in der Folge?
Dass die Idee der Landschaft ihre Wahrnehmung und damit auch ihre Gestaltung konstituiert, ist eine neuzeitliche Setzung, die wesentlich durch die Malerei und ihre bildlichen Qualitäten geprägt worden ist: Das gerahmte Bild repräsentiert die betrachtete Landschaft, macht daraus einen aus „ästhetischer Distanz“ erlebten Gegenstand. Das Bild wiederum begründet einen Wahrnehmungsmodus („bildhaftes Sehen“), mit dem die landschaftliche Realität gemessen wird. Der im Bild fixierte „schöne Augenschein“ jedoch wird durch die unaufhaltsame Transformation des physischen Raumes und die Verschiebung der Wahrnehmungsbedingungen in der postindustriellen, globalisierten Gesellschaft doppelt hinterfragt. Vielmehr zählt nun, dass Landschaft nicht auf die vorbestimmte ästhetische Aussicht beschränkt ist, sondern beiläufig in der Bewegung erfahren wird. Ein dichtes Netz von Wegen, Straßen, Schienen überzieht und strukturiert sie. Dieses Netz rhythmisiert die Blicke, bildet Knotenpunkte und vielfältige Beziehungen. Die zeitgenössische Landschaft allein durch tradiertes bildhaftes Sehen zu ergründen, muss somit zwangsläufig scheitern. Zum einen wird die tradierte bildhafte Wahrnehmung durch den Einbezug nicht visueller Sinneserfahrungen relativiert, zum anderen wird das statische Bild durch Veränderungsprozesse und Mehrfachperspektiven dynamisiert. Gegenwärtige Landschaft ist ein multidimensionales Phänomen, das danach verlangt, auch das Unsichtbare sowie den Wandel zu integrieren, und das unterschiedliche Reflexionsebenen erfordert.
Unterscheiden und kontextualisieren anstatt definieren
In den Wissenschaften, die sich mit Landschaft befassen, hat sich inzwischen durchgesetzt, dass es weder einen für alle Disziplinen verbindlichen Landschaftsbegriff noch ebensolche Repräsentationen und Darstellungsweisen gibt. Stattdessen behaupten sich unterschiedliche Vorstellungen und Auffassungen über Landschaft – mit unterschiedlichen Reichweiten und Verfallsdaten.
In dieser schier unüberblickbaren Vielfalt von Landschaftsvorstellungen und -bestimmungen machen sich denn auch weniger Konsens und Kontingenz als vielmehr Brüche und Widersprüche bemerkbar. Vor dem Hintergrund eines universalisierenden Landschaftsverständnisses, das nach wie vor die landschaftsarchitektonische Praxis prägt, erschwert dies die Kommunikation über Landschaft und behindert anstehende Verhandlungsprozesse. Die ideale Landschaft rückt in weite Ferne, sie schrumpft zum bildhaften Label und zum oberflächlichen Verkaufsargument.
Ein topologisches Verständnis hingegen setzt auf die unterschiedlichen Orte und ihre Beziehungen und lässt sich widersprechende Bedeutungen und Perspektiven zu. Anstelle von ausschließenden Generalplänen treten immer mehr kontextspezifische, temporäre, prozesshafte, partizipative, gestalterische und planerische Eingriffe – deren Landschaftsverständnis sich am konkreten Ort orientiert. Dieses kann deshalb (gemessen am Ideal) jeweils nicht richtig oder falsch sein, sondern lediglich plausibel und sinnvoll angesichts der konkreten Situation. Diese Umorientierung bei der Bestimmung und Bewertung von Landschaft hat sich in der Theoriebildung angekündigt: Zum einen in einer allgemeinen Differenzierung des Begriffs der Landschaft und in der Frage ihrer Sichtbarkeit, zum anderen in konkreten Landschaftstheorien für die Praxis.
Dass Landschaft nicht entweder ein Bild, eine Idee oder einen physisch-geografischen Raum meint, ist längst Gegenstand der Kulturwissenschaften (green cultural studies). Dass diese Differenzierung auch tief greifende Konsequenzen für die Praxis hat, ist überfälliger Gegenstand gegenwärtiger Debatten. Der Landschaftsbegriff bietet mannigfaltige Lesarten und Verwendungskontexte. Die Arbeit am Landschaftsbegriff–3 hat folgende Dimensionen sichtbar und unterscheidbar gemacht:
I | Landschaft als physischer, objekthafter Raum, der außerhalb des Menschen existiert und objekthaft wahrgenommen wird (Naturperspektive). |
II | Landschaft als Handlungsraum, Lebensraum, soziales Gefüge (Gesellschaftsperspektive). |
III | Landschaft als abstrakte Idee und kulturelles Konstrukt, welche die Wahrnehmungsbedingungen bilden (ideelle Perspektive). |
IV | Landschaft als Medium (Bild, Film, Text, Code etc.), das die physische Realität und/oder die Idee kommuniziert (mediale Perspektive). |
Diese vier Dimensionen von Landschaft – deren Plausibilität auf gegenwärtigen wissenschaftstheoretischen Unterscheidungen und Denkordnungen basiert – sind nicht nur aufgrund ihrer theoretischen Ausrichtung und Konzeption unterscheidbar, sondern auch im Hinblick auf die Komplexität des Phänomens Landschaft vernetzt. Bild, Raum und Vorstellung sind untrennbar, wie René Magrittes Werk gezeigt hat.
So offensichtlich und häufig diese Perspektiven im konkreten Umgang mit Landschaft Schnittstellen bilden, so wenig werden ihre Beziehungen reflektiert und diskutiert. Der inflationäre Gebrauch von schönen Landschaftsbildern für alle möglichen Botschaften zeigt dies exemplarisch an. Die tradierten landschaftlichen Bildkonventionen sprechen nicht nur ein großes Publikum an, sie entfernen sich auch immer mehr von der räumlichen Realität, auf die sie scheinbar Bezug nehmen. Tote Winkel beim Blick auf diese unterschiedlichen Realitäten – blinde Flecken der Theorie – sind darin vorprogrammiert. Sie behindern nicht nur eine adäquate Sichtung des Phänomens, sondern auch entsprechende Theoriebildungen.
Das Problem der Ausblendung – der Beschränkung der ästhetischen Wahrnehmung – hat der Philosoph Wolfgang Welsch bereits in den 1990er Jahren beschrieben.–4 Eine seiner Kernthesen lautet, dass jeder Ästhetik eine ihr entgegenstehende Anästhetik – ein „blinder Fleck“ – immanent sei. „Wir sehen nicht, weil wir nicht blind sind, sondern wir sehen, weil wir für das meiste blind sind.“–5 Sehen bedeutet sichtbar – für die Sinne greifbar – machen, und ist deshalb exklusiv. Sichtbarmachen bedingt gleichzeitiges Unsichtbarmachen, ein Verschieben dieser Dinge in andere Dimensionen der Wahrnehmung, die nicht im Bewusstsein verankert sind. Da sinnliches Wahrnehmen auf tradierten Wahrnehmungsmustern beruht, schließt es Dinge, die nicht darin verzeichnet sind, aus. Es erklärt sie im Rahmen der gegebenen Sinneskonzeption für nicht existent. Im Rahmen von Welschs Konzeption der Anästhetik jedoch sind sie denkbar und denkwürdig. Im Bezug auf die Landschaft sind dies jene Bereiche, die nicht im Bereich der tradierten Wahrnehmung enthalten, aber dennoch im Rahmen des Gesamtphänomens wesentlich sind.–6 Es gilt also, Landschaft nicht nur ästhetisch wahrzunehmen, sondern zusätzlich auch auf anderen Ebenen zu denken – kritisch zu hinterfragen.
Diese Mehrperspektivität wurde bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannt und mit entsprechenden Denkansätzen beantwortet. Eine Reihe von Theorien versuchte schon damals die Landschaft über die disziplinären Grenzen hinweg in ihrer Vielschichtigkeit zu erfassen und zu bestimmen. Sie nehmen sowohl Bezug auf den rasanten Gestaltwandel, der die Gegenwart auszeichnet, als auch auf eine Dynamisierung der Wahrnehmung und die Problematisierung idealer Leitbilder. Ein skizzenhafter Rückblick auf exemplarische Perspektiven und Denkfiguren zur Landschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts soll dies aufzeigen.
J. B. Jackson: Perspektivwechsel auf die Alltagslandschaft
Ein erster Anstoß, die festgefahrenen Wahrnehmungsbedingungen und Landschaftsrealitäten zu überdenken, kam aus den USA. John Brinckerhoff Jackson (1909–1996)–7 gründete 1951 die Zeitschrift Landscape, die rasch zu einem wichtigen Impulsgeber einer kritischen, zugleich möglichst unvoreingenommenen Erforschung der alltäglichen Kulturlandschaften wurde. Jackson setzte damit nicht nur eine interdisziplinäre Debatte über Landschaft in Gang, sondern legte auch den Grundstein für die Cultural Landscape Studies.
Bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts reklamierte Jackson, dass die zeitgenössischen amerikanischen Landschaftsrealitäten nicht „richtig“ wahrgenommen würden. Dies führte er sowohl auf die Landschaft selbst als auch auf ihre Wahrnehmung zurück. In den USA habe sich eine alltägliche, vernakuläre Landschaft entwickelt, die sich in ihren Bildern, aber auch Strukturen deutlich von den europäischen Kulturlandschaften unterscheide und auch entsprechende Wahrnehmungsmodi erfordere. Deshalb stellte er die Kulturgeschichte der Landschaft als eine Geschichte des idealisierten Blicks auf die Landschaft infrage und verlangte, die landschaftliche Realität aus der Alltagsperspektive zu überprüfen und systematisch zu erfassen. Er entwickelte ein Instrumentarium, das die sinnliche und sinnhafte Landschaftswahrnehmung – die Wahrnehmung und Bedeutungsproduktion von Landschaft – lokal beschreibt und verankert, indem es sie in den Kontext der amerikanischen Alltagsrealität stellt.–8 Dieser shift ist kein singuläres Phänomen, sondern im Verbund mit der Pop Art ein Vorbote der postmodernen Architektur und Robert Venturis, Denise Scott Browns und Steven Izenours Learning from Las Vegas.–9
Jackson schließt sich als wahrnehmendes Subjekt in diesen Erkenntnisprozess ein. Indem er seinen Standpunkt reflektiert und relativiert, verweist er auf andere mögliche Wahrnehmungsperspektiven. Die Folge dieser fundamentalen Wahrnehmungskritik ist einerseits die Nobilitierung der vernakulären Landschaft, die als Gegenpol zum „arkadischen Ideal“ die gewöhnliche Alltagslandschaft in den Fokus rückt; andererseits die Relativierung der Wahrnehmungsperspektive, die immer im Kontext zu lesen ist und die keine universelle Gültigkeit beanspruchen kann. Damit richtet sich die Frage der Landschaft auf ihre kulturelle Konstruktion mit beschränkter Reichweite .