Komplexe Probleme lösen

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Vorwort

Problems First?

Noch ein Handbuch? Relevanz, Inhalt, Allgemeinverständlichkeit

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Missstand

Problems First!

Keine Lösung? Kein Problem!

Was ist mit Komplexität gemeint?

Die Bestandteile eines Problems

Der Missstand A[-]

Der Sollzustand B[+]

Die unbekannten Maßnahmen M?

Die Problemverschiebung

Fazit

Arbeitshilfe

2

Wirkungsmechanismen und Zusammenhangsaussagen

Landkarte der Lösungen

Der Zusammenhang zwischen Ursachen und Maßnahmen zur Lösung eines Problems

Anmerkung zum Thema Kausalität

Ursache – Maßnahme – Folgen – Bewerten

Hilfreiches Arbeitswerkzeug: die Landkarte der Lösungen

Arbeitshinweise für die Landkarte der Lösungen

Umsetzung

Maßnahmenbündel

Arbeitshilfen / mögliche Fehlerquellen

Fazit

3

Suchraumerweiterer

Große und kleine Werkzeuge

Begriffe

Merkmale von Begriffen und ihre Relevanz

Arbeitshilfen

Ansatz

4

Feinwerkzeuge – Garantoren, Restriktionen, Arena und Agenda, Prognosen

Garantoren

Restriktionen

Arena und Agenda

Prognosen

5

Denkfallen

Ich denke, also irr‘ ich …

Wiederkehrende Fallen

Denkfallen beim Arbeiten in der Gruppe

Fazit

6

Schlussbetrachtung

Arbeitshilfen

Zu Kapitel 1

Zu Kapitel 2

Zu Kapitel 3

Zu Kapitel 4

Zu Kapitel 5

„… und wer mehr lesen will …“

Literaturverzeichnis

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VORWORT

 

Problems First?

Das „Kerngeschäft“ von Planern ist es, komplexe Probleme zu lösen. Dieses Buch enthält die Essenz dessen, was im Kontext der Ausbildung professioneller Planer an einer Fakultät für Architektur und Stadtplanung als vielseitige Problemlösungsstrategie entwickelt wurde und erschließt dieses Wissen für andere Berufsgruppen: Politiker, Manager, Fachleute anderer Disziplinen – also all jene, die es in ihrem Arbeitsfeld mit komplexen Problemen zu tun haben.

Die Wirksamkeit der Problemlösungsstrategie konnte, nach zahlreichen erfolgreichen Anwendungen in Praxis und Lehre, in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten Forschungsprojekt zusammen mit Arbeitswissenschaftlern der Dresdner Hochschule für Technik und Wirtschaft messbar nachgewiesen werden. Ablauf und Ergebnisse dieses Projektes sind in folgendem Aufsatz zusammengefasst: Walter L. Schönwandt et al.: „Die Kunst des Problemlösens. Entwicklung und Evaluation eines Trainings im Lösen komplexer Planungsprobleme“ (in: disP 185, 2/2011; Seite 14-26).

Das theoretische Fundament dieser Herangehensweise an komplexe Problemstellungen wurde vor einigen Jahren bei Kohlhammer veröffentlicht (Walter L. Schönwandt: Planung in der Krise? Stuttgart 2002). In einem weiteren Schritt wurden diese theoretischen Grundlagen nun in praktische Handlungsanweisungen übertragen und in Form eines leicht verständlichen Handbuchs auch für andere Disziplinen und Leserkreise nutzbar gemacht.

Um (im Gegensatz zu einer fachspezifischen oder sogar wissenschaftlichen Publikation) den Anspruch eines schnell, auch ausschnitthaft und bei sehr unterschiedlichen Arten und Dimensionen von Fragestellungen „brauchbaren“ Handbuchs zu erfüllen, wurden mehrere Maßnahmen ergriffen:

•    Der vorhandene philosophische und (planungs-)theoretische Hintergrund sowie der aktuelle Forschungsstand werden nicht vollständig aufgerollt, sondern nur bei Bedarf punktuell erläutert.

•    Zum Teil werden komplizierte Sachverhalte um der Verständlichkeit willen sehr stark vereinfacht – das heißt, wo der Wissenschaftsbetrieb eine Fußnote mit zusätzlichen Informationen setzen oder erwarten würde, soll hier stattdessen durch Weglassen Berührungsängsten vorgebeugt und größere Klarheit erzeugt werden. Veranschaulichende grafische Elemente im Text machen das Buch zudem leichter „benutzbar“.

•    Auf Architektur oder räumliche Planung bezogene Beispiele werden für eine alltägliche, fachübergreifende Anwendung „übersetzt“ und ergänzt, um zu universellen Arbeitshilfen zu kommen.

Noch ein Handbuch?

Relevanz, Inhalt, Allgemeinverständlichkeit

Wie wird ein „Handbuch zum Lösen komplexer Probleme“ vom vollmundigen Versprechen zum praktisch einsetzbaren Werkzeugkasten?

Indem es keine „Slogans“, keine angeblichen Patentrezepte oder nicht übertragbare „Universalmethoden“ gegen alles Unerbauliche bietet, sondern stattdessen mehrere praktische und pragmatische, ohne Zweitstudium über Fachgrenzen hinweg anwendbare Techniken zur Erweiterung von Denk-, Lösungs- und Handlungsspielräumen. Indem es nicht wachsweiche Strategien zur Erlangung kurzfristiger (-sichtiger) Lösungen versammelt, sondern konkrete Arbeitshilfen, die sich auf unterschiedliche Fragestellungen anwenden lassen, auch ohne weitere Eingrenzung auf ein bestimmtes Thema oder eine besondere Art von „Problem“.

Dieses Handbuch präsentiert sich seinen Lesern als eine Art Werkzeugkasten, ausgestattet mit einem ganzen Set von „Tools“ und Techniken, die bei der Annäherung und Bearbeitung einer schwer zu überblickenden Problemstellung zu besseren Lösungen verhelfen. Genauso wie sie in einer verfahrenen Situation innerhalb eines Problemlösungsprozesses hilfreich sind. Die Werkzeuge sind vielfältig und ergänzen sich in ihrer Wirkung. Sie setzen keine festgelegte Reihenfolge voraus, in der sie angewendet werden. Kommt ein Problemlösungsprozess ins Stocken oder stellen sich – ohnehin fast unvermeidlich – im Verlauf der Arbeit neue unvorhersehbare Entwicklungen ein, bieten die Werkzeuge Unterstützung beim „Umdenken“ und geben Orientierung nach dem Abweichen von einem ursprünglichen Plan.

Die Werkzeuge sind dazu gemacht, um auf neue Erkenntnisse im Verlauf eines Problemlösungsprozesses reagieren zu können. Sie sind multifunktionale Hilfsmittel, die in unterschiedlicher Kombination und Reihenfolge an bestimmten neuralgischen Punkten ansetzen, die es über Kultur-, Mentalitäts-, Erfahrungs-, Sprach- und Fachgrenzen hinweg in allen Denk- und Kommunikationsprozessen gibt. Dieser Werkzeugkasten wurde, wie erwähnt, zunächst für den Einsatz an einer Fakultät für Architektur und Stadtplanung entwickelt, für professionelle Planer also. Da aber buchstäblich jedem Handeln ein Prozess des Planens und der gedanklichen Vorwegnahme von Arbeitsschritten vorausgeht, ist die Übertragung der „Tools“ auf andere Fachbereiche sehr leicht.

Jeder plant.

Planen ist die gedankliche Vorwegnahme von Handlungen und dient damit letztlich nichts anderem, als dem Lösen von Problemen unterschiedlicher Komplexität. Somit ist dieses Buch auch kein Fachbuch für einen kleinen eingeweihten Kreis von Spezialisten einer bestimmten Fachrichtung. Denn jeder von uns plant – nicht nur derjenige, der Schulen baut oder neue Wohngebiete ausweist. Geschäftsführer planen: sei es ihr Jahresbudget, die Entwicklung und Markteinführung neuer Produkte oder die Übernahme eines Konkurrenten. Politiker planen die Umstellung des Rentensystems oder, gemeinsam mit Firmenkonsortien und Beratungsfirmen, die Einführung einer LKW- oder PKW-Maut. Softwareentwickler planen Datenstrukturen, mit deren Hilfe sich komplexe Fragestellungen ihrer Kunden lösen lassen.

Das auslösende Moment für einen Planungsprozess ist immer der Wunsch nach Veränderung. Am Ende eines Planungsprozesses soll etwas anders sein als jetzt – und natürlich nach Möglichkeit auch besser. Oder etwas soll so bleiben wie es ist, und deswegen muss eine sich abzeichnende Veränderung hin zu einem unerwünschten Zustand abgewendet werden. Soll eine solche Problemstellung bearbeitet werden, gilt es in beiden Fällen, die entsprechenden Schritte zur Lösung zu bestimmen.

In dieser einfachen Beschreibung ist eine Unterteilung enthalten, auf der zentrale Arbeitshilfen dieses Buches aufbauen und die sich auf jedes noch so komplexe Problem als Systematik anwenden lässt: Das Problem wird unterteilt und als „Dreiklang“ betrachtet, bestehend aus einem misslichen (oder erhaltenswerten) Ausgangszustand, einem als besser bewerteten (oder erwünschten) Zielzustand und den zur Erreichung des jeweiligen Ziels zu ergreifenden Maßnahmen (diese zentrale Unterscheidung wird im 1. Kapitel zum Thema Missstand ausführlich erläutert).

Die gängige Lesart, „ein Problem zu haben“, besteht darin, dass man nur die Maßnahmen nicht kennt, die zur Erreichung des jeweils zugeordneten Ziels notwendig sind. Man ist sich jedoch im Allgemeinen recht sicher, dass man den zu beseitigenden Missstand kennt und auch das Ziel, das man erreichen will.

Ziele sind dabei oftmals einfach nur eine Umformulierung eines misslichen Ausgangszustands (zum Beispiel: „Auf der xy-Einfallstraße ist jeden Tag Stau“ – Ziel: „Der Stau muss weg.“ Oder: „Die Umsätze des Unternehmens gehen zurück“ – Ziel: „Die Umsätze müssen wieder steigen.“).

Aber hier stellt sich eine entscheidende Frage, deren Relevanz später sicher noch deutlicher und nachvollziehbarer wird: Können wir aus einer solchen, nicht besonders präzisen Problemformulierung und eines durch einfache „Umkehrung“ gewonnenen Ziels eigentlich überhaupt Rückschlüsse auf die Betroffenen des Problems ziehen oder auf mögliche zu ergreifende Maßnahmen? Stört im ersten Beispiel der Stau die Autofahrer oder die vom Feinstaub belasteten Anwohner? Soll die Straße zusätzliche Fahrspuren bekommen oder gänzlich gesperrt werden? Dann wäre der Stau schließlich auch weg. Soll an der Einfallstraße ein benutzerfreundliches Park & Ride-System installiert werden oder müssten vielleicht alle, die in der Nähe der betroffenen Einfallstraße arbeiten, zeitgleich zur Einführung einer City-Maut mit einem kostenlosen ÖPNV-Ticket ausgestattet werden? Oder mit erdgasbetriebenen Fahrzeugen? Oder soll man die Pendler zu Fahrgemeinschaften zwingen?

Gefährdet im oben genannten zweiten Fall der Umsatzrückgang den Fortbestand des Unternehmens, die Quartalsziele und entsprechenden Prämien des Geschäftsführers oder die Laune der Aktionäre? Sollte mit niedrigeren Preisen gegen den Umsatzrückgang angekämpft werden? Mit neuen Produkten, einer Werbekampagne oder lässt sich durch Personalabbau an anderer Stelle etwas ausgleichen?

In beiden Fällen wird deutlich, dass noch vor unklaren Zielen oder unklaren Maßnahmen im Problemlösungsprozess etwas ganz anderes steht: nämlich die sehr häufig anzutreffende Unklarheit darüber, worin denn das Problem überhaupt besteht. Positiver formuliert: Wer sich die Mühe macht, ein Problem möglichst präzise zu benennen, hat bereits einen der wichtigsten Arbeitsschritte getan. Er hat mehrere potenzielle Fehlerquellen ausgeschlossen, er hat „blinde Flecken“ innerhalb seines Überblicks über die Sachlage ins Blickfeld geholt und schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt mögliche Lücken in seiner Argumentationskette geschlossen.

Was ist das Problem?

Was ist eigentlich das Problem? Das, wonach es auf den ersten Blick aussieht? Oder etwas ganz anderes? Ist es im genannten Staubeispiel die Tatsache, dass sich in der betreffenden Straße zu bestimmten Zeiten regelmäßig der Verkehr staut? Oder ist es die fehlende Fahrspur, zu der man die vorhandenen Grünstreifen noch umfunktionieren könnte? Oder ist es einfach ganz grundsätzlich ein Problem, dass jeder einzelne Arbeitnehmer meint, selbst zum Arbeitsplatz mitten in der Stadt nur auf den eigenen vier Rädern vorfahren zu müssen? Oder können die armen Arbeitnehmer gar nicht anders, weil sie im überholten Park & Ride-System nicht nur endlos viel Zeit, sondern auch zu viel Geld lassen? Oder wäre der Anreiz, das Auto stehen zu lassen, nicht ohnehin viel größer, wenn die Bus- und Bahntickets nicht so überteuert wären? Dann gäbe es nämlich auch viel weniger Staus im Berufsverkehr. Oder wäre der Stau egal, wenn er nicht zur Luftverschmutzung beitragen würde?

Solche Fragen sind keine Haarspalterei – sie werfen vielmehr ein Licht auf die immense Bedeutung der Problemformulierung für eine erfolgreiche Problembeseitigung. Nicht von ungefähr lehrt die Analyse fehlgeschlagener Planungen vor allem eines: dass vor jedem Lösungsversuch die Untersuchung einer Ausgangssituation viel gründlicher hätte betrieben werden müssen.

Ist ein Problem unklar formuliert, kommt der Versuch seiner Behebung reinem Aktionismus gleich. In diesen Fällen ist das Risiko groß, dass man ineffektive Maßnahmen vorschlägt, die zu keiner Lösung führen, wodurch wertvolle Ressourcen wie Geld und Zeit verschwendet werden. Oder dass das Ergebnis der Planung ist, dass zwar etwas anders ist als vorher, aber – wie oben als Grundimpuls für alles Planungshandeln beschrieben – keineswegs besser als vorher (bzw. leider doch schlechter …).

Wie man ein Problem präzise definiert, warum man das überhaupt so „eigenmächtig“ kann und welche Arbeitshilfen sich hierfür anbieten, ist Gegenstand des 1. Kapitels.

Jonglieren lernen

Das hier vorgestellte Modell zum Lösen komplexer Probleme lässt sich am ehesten mit den Vorgängen beim Jonglieren vergleichen, bei dem immer mehr Bälle hinzukommen, die dann gleichzeitig in der Luft gehalten werden müssen. Man wirft nicht einen einzelnen Ball durch die Luft, fängt ihn auf, legt ihn beiseite und nimmt den nächsten. Sondern man steht vor der Aufgabe, alle gleichzeitig in der Luft zu halten – jeder einzelne Ball kommt mehrmals in jede Hand und durchläuft dort den Prozess des Aufgefangen- und wieder Hochgeworfenwerdens.

Ähnlich verhält es sich mit den Bestandteilen dieser Problemlösungsstrategie. Denn es ist zu keinem Zeitpunkt eines Prozesses zwingend so, dass ein Arbeitsschritt so vollzogen wäre, dass er als erledigt „abgehakt“ werden könnte und automatisch der nächste Teilschritt folgen oder darauf aufbauen würde. Keine einzelne Operation ist nach einmaligem Absolvieren abgeschlossen, nicht selten bringt sie einen – unter veränderten Vorzeichen und mit mehr Klarheit – zu einem vorherigen Schritt zurück und es ergibt sich ein neuer Durchlauf.

Es wäre zu einfach, als neue Problemlösungsstrategie einzig etwas mehr Augenmerk für exakte Problemformulierungen einzufordern und dann zu behaupten, bereits so würden sich schwierige Angelegenheiten generell leichter lösen lassen. Die Bestimmung des Problems ist nur ein „Ball“ von mehreren, wenngleich ein sehr wichtiger.

Ist der Einstieg über die gründliche Problembestimmung genommen, ist der erste Gedanke ausgesprochen und hingeschrieben, dann kommt ein neuer „Ball“ ins Spiel. Danach folgen noch weitere, während derjenige Ball, der das Thema Missstandsformulierung repräsentiert, im Umlauf bleibt und eine Beeinflussung erfährt durch das, was in der Folge an Erkenntnissen hinzugewonnen wird oder durch neu aufgekommene Fragen.

Kaum ist das Problem einmal beschrieben, muss geklärt werden, ob man wirklich zum Kern der Sache vorgedrungen ist. Oder ob doch wieder nur Symptome erreicht werden, die auf einen ganz anderes Problem verweisen. Jede Antwort verweist auf neue Fragen: Wissen wir wirklich, was die Ursache „unseres“ Problems ist – also das, wo wir eigentlich ansetzen sollten?

Nehmen wir uns ausreichend Zeit, um zu überblicken, welche große Anzahl von Faktoren auf die missliche Situation einwirken, die wir ja ändern wollen – also nicht nur jene, die es auf den ersten Blick oder „erfahrungsgemäß“ sind oder „gegen“ welche wir ohnehin schon eine Methode kennen und die uns deswegen stärker ins Auge fallen? Gibt es eventuell eine mögliche Ursache in einem ganz anderen Feld, an die wir vorher nie gedacht hätten?

Kommen wir beim Jonglieren mit diesem „Ball“ auf neue Ideen, sind wir aufgefordert, die Einstiegsfrage, die wir doch längst beantwortet haben wollten, um endlich mit dem Lösen anzufangen, noch einmal neu zu stellen: Was bitte ist denn nun eigentlich das Problem? Welche Ursachen liegen diesem nun präzisierten oder auch aufgeweiteten Problem wohl zugrunde, welche Maßnahmen lassen sich aus diesen Ursachen ableiten?

Im weiteren Verlauf des Prozesses, also beim fortschreitenden Jonglieren, wird man sich neuer Schwierigkeiten bewusst, vor allem natürlich dann, wenn – wie bei Planungsprozessen üblich – andere Akteure beteiligt sind.

Problemwahrnehmung ist etwas zutiefst Subjektives. Die Verwendung und das Verständnis von dem, was ein Begriff bedeutet, ebenso. Erneut folgt eine Frage auf die nächste – der nächste „Ball“ zum Thema „Begriffsdefinitionen“ ist im Umlauf: Welche Schlüsselbegriffe tauchen in der Problemformulierung auf? Wie kann ich davon ausgehen, dass alle Beteiligten dasselbe meinen, wenn wir zum Beispiel von „Unternehmenserfolg“ sprechen? Ist erfolgreich, wer besser ist als die gesamte Konkurrenz oder ist es schon ein Erfolg, nicht pleitezugehen? Dasselbe gilt, wenn von „Verkehrsberuhigung“ die Rede ist. Um welche Verkehrsteilnehmer geht es? Wie viele weniger beziehungsweise wie viel langsamer ist eigentlich gemeint? Oder wenn es um „angemessene“ Preise für ÖPNV-Tickets geht: Was ist das wohl aus wessen Sicht? Wurden mögliche Unterschiede je diskutiert? Warum wirkt es oft so, als würden alle aneinander vorbeireden? Oder schlimmer noch: Warum reden sie tatsächlich aneinander vorbei? Dazu mehr in Kapitel 3.

Ein weiterer „Ball“, ohne den das Jonglieren nach Lesart dieses Handbuchs nicht denkbar ist, trägt den Namen „Ansätze“. Warum wehrt sich ein Gesprächspartner ohne erkennbaren logischen Grund gegen eine Maßnahme, die allen anderen Beteiligten so überaus sinnvoll erscheint? Kann überhaupt jemand „Profi“ genug sein und „objektiv“ beurteilen, was die beste Lösung für ein Problem ist und diese dann auch unterstützen – auch wenn sie seinen professionellen Überzeugungen entgegensteht? Gegen das, was innerhalb seiner „professional community“ üblicherweise als richtig oder falsch angesehen wird? In Kapitel 3 beim Thema „Ansätze“ zeigt sich, wie sehr Problemlösungsprozesse durch diese professionelle „Denke“, durch die in einer Berufsgruppe vorherrschenden Denkmuster geprägt sind. Es wird deutlich, wie fatal es sein kann, beim Problemlösen in jeglicher Konstellation und auf noch so „hoher Ebene“ die individuelle Sicht durch den professionellen Erfahrungshintergrund von Gesprächspartnern zu unterschätzen.

Die in diesem Buch versammelten Arbeitshilfen lassen sich, wie bereits erwähnt, nicht nach einem feststehenden „Schema F“ anwenden – so wenig, wie man beim Jonglieren immer ordentlich einen Ball nach dem anderen hochwerfen und wieder zur Seite legen kann. Alle Bälle müssen immer wieder und mehrfach sicher geworfen und aufgefangen werden – und obwohl gerade dies verwirrend klingen mag, ist es tatsächlich das beste Mittel gegen Verwirrung, gegen Vernebelung, Ersatzhandlungen, Aktionismus, unterschwellige Widerstände, Zeit- und Geldverschwendung.

Format und Benutzbarkeit

Dieses Buch ist ausdrücklich keine wissenschaftliche Publikation, sondern ein Handbuch. Man soll es schnell zur Hand nehmen können und es auch ausschnitthaft (und nicht zwingend sequenziell) lesen können. Es hat den Charakter eines praktischen „Nachschlagewerks“, in dem man schnelle Antworten und keine Fußnoten findet.

Dieses Handbuch versammelt Gedanken, Ideen und Hilfestellungen aus zahlreichen Arbeitsfeldern, aus philosophischen und planungstheoretischen Denkschulen, dazu Praxisbeispiele aus der Lehre, dem Arbeitsalltag und dem tagespolitischen Geschehen.

Es ist so aufgebaut und geschrieben, dass es benutzt werden kann, ohne zuerst die Hintergründe für all das verinnerlichen zu müssen, was man liest und anwendet. Ein Beispiel zur Erläuterung: Bereits seit mehreren tausend Jahren diskutieren und erforschen Philosophen und Gelehrte Themen, die auch hier angeschnitten werden – etwa die Frage nach Begriffen, deren Bedeutung, nach dem Sinn, den sie tragen. Ob sie diesen Sinn „von sich aus“ haben oder ob er erst durch uns als Betrachter entsteht. Oder die Frage nach Werten, wo deren Ursprung liegt und ob sie veränderbar sind.

Um ein (Planungs-)Problem praktisch zu lösen, das zweifelsohne von diesen Fragen tangiert ist, ist nicht das gesamte Vorwissen über einzelne konträre Standpunkte solcher Debatten notwendig. Sondern oftmals „nur“ eine zweckmäßig und sinnvoll verkürzte Quintessenz – und solche sind hier in großer Anzahl in den Text eingewoben.

Es ist der Luxus des Formats „Handbuch“, kritische, zweifelnde, an einigen Stellen auf mehr Substanz oder Hintergrund neugierig gewordene Leser nicht mitten im Text über ausführlichere Zitate, Ideen, Theorien, Beispiele aus populären und wissenschaftlichen Quellen und „geistige Väter“ aus vielerlei Disziplinen aufklären zu müssen. All dieses ist der Benutzbarkeit des Buches zuliebe in einem Annex mit Literaturverzeichnis versammelt.

Zum fachlichen Hintergrund dieses Buchs

Wer in der Praxis Probleme lösen muss, kann sich philosophische Betrachtungen und theoretische Diskurse oft allein schon aus Zeitgründen nicht leisten. Dass deswegen aber ohne jegliche „Theorie“ geplant oder Probleme gelöst werden könnten – das ist ein Trugschluss. Wer zur Lösung eines Problems Überlegungen anstellt, wer konkrete Handlungen gedanklich vorwegnimmt, wer also in irgendeiner Weise plant – der wendet dazu Theorien an. Ob er sich dessen bewusst ist oder nicht.

Auch dieses bewusst praxisorientierte Handbuch und seine Handlungsempfehlungen fußen auf einer Theorie, die wiederum ihrerseits auf Wissen und Erkenntnissen aus anderen Theorien aufbaut. Ziel dieses Handbuchs ist es, den Leser einerseits nicht durch überflüssiges Wissen zu verwirren, ihn andererseits in Zeiten eines inflationär anschwellenden, vor Halbwissen strotzenden Ratgebermarktes bei der Anwendung der genannten Arbeitshilfen dennoch durch Hinweise auf deren fundierten, theoretischen Hintergrund abzusichern. Die diesem Handbuch zum Lösen komplexer Probleme zugrundeliegende Planungstheorie der „Dritten Generation“ bedient sich unter anderem eines Modells zur Beschreibung der Zusammenhänge zwischen einem System und seiner Umwelt des Biologen Jacob von Uexküll aus den 1920er Jahren. Warum diese Planungstheorie dennoch alles andere als antiquiert ist und aufgrund welcher Details das Uexküll-Modell sich so gut auf heutige Bedingungen übertragen und anwenden lässt, muss der praktischen Rat suchende Leser tatsächlich nicht wissen. Nur so viel: Die genannte Theorie wurde, wie erwähnt, im Rahmen der Lehr- und Forschungstätigkeit an einer Fakultät für Architektur und Stadtplanung entwickelt. Den Namen „Planungstheorie der Dritten Generation“ erhielt sie naheliegenderweise aufgrund ihrer Nachfolge auf eine „Erste“ und eine „Zweite Generation“ von Planungstheorien.

Die „Erste Generation“ von Planungstheorie, die das vorherrschende Modell bis etwa Ende der 1950er Jahre war, berief sich auf einen mehr oder weniger gleichförmigen und sequenziellen Ablauf einzelner, „rational“ durchführbarer Planungsschritte: „Verstehe das Problem, sammele Information, analysiere die Information, entwickele Lösungen, bewerte die Lösungen, führe aus, teste, modifiziere die Lösung, falls nötig“.

Diese (im Kern ansonsten durchaus richtige) Idee vom Ablauf eines Planungsprozesses setzte beispielsweise stillschweigend voraus, dass die mit der Lösung eines Problems befasste Person ein Problem wirklich gesamthaft in all seinen Aspekten erfassen und ebenso die möglichen Konsequenzen vorgeschlagener Maßnahmen „objektiv“ überblicken kann.

Vor allem auf diese nicht haltbare Annahme (und weitere kritische Aspekte) der „Ersten Generation“ reagierte die ab den 1960er Jahren an Bedeutung gewinnende „Zweite Generation“ von Planungstheorie. Viele Aspekte der Vorläufertheorie blieben unangetastet, aber dem planenden Subjekt wurde zugestanden, diesen „objektiven“ Überblick niemals gewinnen zu können – vielleicht allenfalls bei Denksportaufgaben oder im Schach – aber eben niemals bei der Art von Problemen, um die es bei komplexen Fragestellungen geht. Diese seien (anders als etwa mathematische Gleichungen) „bösartig“ und immer einzigartig. Man könne sie gar nicht gesamthaft erfassen, auch könne man nie sagen, ob man sie „richtig“ gelöst habe oder nicht.

Rückblickend kann man heute allerdings zu dem Schluss kommen, dass die „Zweite Generation“ von Planung mit der „Ersten“ nicht eindeutig gebrochen beziehungsweise diese korrigiert hat. Sie hat der Ursprungsidee vom durch und durch rationalen und objektivierbaren Problemlösungsprozess gewissermaßen nur einen Spiegel vorgehalten, manches negiert und unter einigen neu formulierten Rahmenbedingungen an alten Ideen festgehalten. Ein Beleg hierfür sind zahlreiche Negativdefinitionen, die festlegen, wie es künftig nicht mehr zu sein hat. Solche Aussagen sind in der „Zweiten Generation“ dort zu finden, wo man eigentlich stattdessen konkrete Aussagen darüber erwarten würde, wie Planung funktioniert.

Zwar war der Problemlöser im Zuge dieses Paradigmenwechsels vom unerfüllbaren „Absolutheitsanspruch“ im Verstehen und Handeln befreit worden – aber eher aus der Natur der Sache heraus begründet (zu viele Aspekte, keine Wiederholbarkeit) als deswegen, weil er als denkendes Subjekt ohnehin nur das sehen und bewerten kann, was in seinen Kopf passt – und was sich im Kopf des Nächsten zu einem völlig anderen Bild zusammensetzt.

Dieser Aspekt, der jeweilige professionelle Standpunkt – sprich: Planungsansatz – des Planenden, der jegliches Problemlösungsverhalten entscheidend bestimmt, findet mit der „Dritten Generation“ von Planungstheorie erstmals bewusste Aufmerksamkeit. Deshalb zieht er sich auch wie ein roter Faden durch dieses Handbuch und ist ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg beim Lösen komplexer Probleme.

Wer hat an dem Buch mitgearbeitet?

Projektleiter und Hauptautor ist Univ. Prof. Dr.-Ing. Walter L. Schönwandt, und zwar im Verbund mit den Wissenschaftlichen Mitarbeitern am Institut für Grundlagen der Planung der Universität Stuttgart: Dipl.-Ing. Katrin Voermanek, Dipl.-Ing. Jürgen Utz, Dr.-Ing. Jens Grunau und Dr.-Ing. Christoph Hemberger. Ganz wesentlich zur Fertigstellung des Buches hat außerdem Frau Andrea Neuhaus beigetragen, indem sie den zuvor Genannten in organisatorischen und praktischen Fragen stets den Rücken freigehalten hat. Dank gilt zudem Prof. Dr. habil. Erwin Herzberger für seine Zeichnung und Dipl.-Ing. Ines Schröder für ihre praktische Unterstützung bei der technischen Umsetzung. Und natürlich spielt der jovis Verlag Berlin bei der Entstehung dieses Buches eine zentrale Rolle mit Jochen Visscher, Philipp Sperrle und Susanne Rösler. Allen ein ganz herzliches Dankeschön.

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MISSSTAND

 

Problems First!

Dieses erste Kapitel beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Missstand. Das mag manchen Leser verwundern und manchem sogar unangenehm sein. Denn schließlich werden professionelle Problemlöser wie Planer, Manager oder Berater an den Lösungen gemessen, die sie finden, an der Menge der Maßnahmen, die sie ergreifen, an ihrer Tatkraft. Oder zumindest an klar formulierten Zielen. Jedenfalls nicht daran, wie lange sie ein Problem wälzen. Problemlöser sind doch – vermeintlich – nur dann gut, wenn sie schnell in Aktion treten, wenn sie sofort wissen, was zu tun ist, anstatt lange zu grübeln. Sie gelten als erfolgreich, wenn sie „lösungsorientiert“ agieren, und nicht, wenn sie „problemfixiert“ sind. Ein wesentlicher Grund für dieses Buch ist der Umstand, dass viele Versuche, ein Problem zu beheben, nicht an der „falschen“ Lösung scheitern, sondern weil die Problemstellung nicht hinreichend analysiert wurde und man sich deswegen von vornherein mit dem „falschen“ Problem beschäftigt hat.

„We fail more often because we solve the wrong problem than because we get the wrong solution to the right problem.“

Russel Ackoff

Deswegen ist dieses erste Kapitel vor allem ein Plädoyer für mehr „Problemorientierung“ und weniger „Lösungsfixiertheit“. Es soll das Bewusstsein dafür wecken, wie stark die Sichtweise eines Problems über den Erfolg oder Misserfolg eines jeglichen Lösungsversuchs entscheidet.

Wie gut oder schlecht, präzise oder unpräzise, zu weit oder zu eng eine Problemstellung formuliert ist, beeinflusst maßgeblich, welche Lösungen gefunden werden können.

Dementsprechend kann auf den Missstand, also auf die Frage, worin das Problem genau besteht und wie man es beschreibt, kaum zu viel Aufmerksamkeit verwendet werden.

Obwohl dieses Buch letztlich lösungsorientiert angelegt ist, nimmt das Kapitel über die missliche Ausgangslage gegenüber den anderen viel Raum ein – weil nur über diesen Weg zuverlässig, für andere nachvollziehbar und damit auch wiederholbar gute Lösungen gefunden werden können. „Problems First!“ heißt die wichtigste Arbeitshilfe und deswegen auch die Überschrift, die über dem ersten Kapitel steht.

Thema dieses ersten Kapitels ist außerdem, dass sich – vergleichbar zum Lichtkegel eines Scheinwerfers – der eigene Blick auf einen Missstand und seine unmittelbare „Umgebung“ aufweiten und verschieben lässt. Durch Überlegungen, woher ein Missstand kommt und was seine direkten Auswirkungen sind, kommen automatisch neue, womöglich präzisere, umfassendere und besser lösbare Problembeschreibungen ins Blickfeld.

Eine sogenannte Problemverschiebung hilft dabei, einen möglicherweise zu eng gestellten Fokus aufzuweiten und ihn auf andere, bisher nicht in Betracht gezogene Bereiche zu legen. In der Folge ergibt sich eine neue Sicht auf Zusammenhänge, auf andere, zuvor übersehene auslösende Momente und damit den Weg zu neuen Lösungen.

Was im ersten Moment nach einem Akt der Willkür klingen mag – „Kann man ein Problem wirklich einfach so lange umbenennen, bis es einem ins Konzept passt …?“ –, wird im ersten Kapitel dieses Buches als ein nicht nur legitimer, sondern auch ausgesprochen effektiver Arbeitsschritt beim Problemlösen erläutert. Denn keine einzige Problemstellung ist unumstößlich, von irgendeiner höheren Instanz gegeben und damit „objektiv“.

Probleme sind niemals objektiv.

Probleme sind niemals objektiv, also vom Betrachter unabhängig in der „Welt da draußen“. Sie existieren ausschließlich in den Köpfen der Menschen, die sich mit ihnen beschäftigen. Damit sind Probleme immer subjektiv.

Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen für die Bewertung und Lösung von Problemen: Es gibt keinen Missstand, der nicht in einem seiner zahlreichen Aspekte für einen oder mehrere Beteiligte eben gerade nicht misslich, sondern bedeutungslos oder sogar von Vorteil ist.

Wieso Kategorien wie „objektiv wahr“, „objektiv richtig“, „objektiv falsch“ oder „objektiv nicht machbar“ generell aus dem Wortschatz eines jeden professionellen Problemlösers gestrichen werden sollten, wird in diesem und weiteren nachfolgenden Kapiteln noch ausführlich erläutert. Für den Moment sei vor allem festgehalten, dass jede Formulierung eines Missstands eine subjektive Setzung ist, vorgenommen von einem Auftraggeber, einem Vorgesetzen, einem Kollegen, einem Journalisten – irgendeiner Person, die ihre Sicht der Dinge in Worte gefasst hat.

Deswegen tut jeder professionelle Problemlöser gut daran, solche Fragestellungen nicht kritik- oder gedankenlos hinzunehmen und sofort Lösungsvorschläge zu produzieren, sondern eine gegebene Problemstellung zu hinterfragen, den „Lichtkegel“ – ebenfalls völlig und wissentlich subjektiv – auf Aspekte zu richten, die bei dieser Formulierung im Dunkeln geblieben sind und eventuell zu einer neuen oder viel besseren Lösung führen.

Am Ende dieses Kapitels wird klar sein, dass es sich lohnt, jeglichen antrainierten „Lösungsreflex“ zunächst zu unterdrücken und eine gegebene Frage erst einmal selbst gründlich infrage zu stellen, bevor man sich an das Beantworten macht. Außerdem wird sich der Arbeitsschritt der Problemverschiebung als wertvolle Technik im Gefüge von Problemlösungsprozessen herausgestellt haben, die Horizonte erweitert, Sichtweisen verändert und Handlungsspielräume schafft.

Keine Lösung? Kein Problem!

Wer lernen will, Probleme besser, kreativer und effektiver zu lösen, muss zuallererst seine Fähigkeiten darin schulen, ein „Problem“ überhaupt in seiner Vernetztheit (kausalen Eingebundenheit/Wechselwirkungen) zu erkennen und zu benennen. Dieser Satz ist weit weniger selbstverständlich, als er scheint. Deswegen nochmals in etwas anderen Worten: Wer ein Problem wirklich lösen, das Übel quasi an den Wurzeln packen will, dem fehlt es selten einfach nur an einer Lösung. Sondern er muss zuerst einmal wissen, worum es überhaupt geht. Und die Erfahrung zeigt: Es geht sehr oft um etwas ganz anderes, als man zunächst glaubt.

Beim Lösen von Problemen gehen wir üblicherweise davon aus, dass uns die eigentliche Problemstellung hinreichend bekannt ist – lediglich ihre Lösung noch nicht. Tatsächlich ist dem oft nicht so, und deswegen ist dieses Kapitel auch kein Einstieg in „schnelles Lösenlernen“. Stattdessen ist es eher auf die „Verlangsamung“ eines oft viel zu hastig und ungenau vorgenommenen Einstiegs in den Problemlösungsprozess ausgerichtet. Es bietet eine Anleitung und Ermutigung dazu, sich ausreichend intensiv mit der Problemstellung selbst zu befassen, sie präzise zu beschreiben, kritisch zu untersuchen und gegebenenfalls neu zu formulieren.

Die Problembestimmung hat einen erheblichen Einfluss auf den gesamten späteren Arbeits- und Lösungsprozess. Die Analyse fehlgeschlagener Problemlösungsversuche lehrt, dass oftmals gerade die Untersuchung der Ausgangssituation viel gründlicher hätte betrieben werden müssen. Nur wer bei diesem ersten Schritt wirklich sorgfältig vorgeht, kann sicher sein, möglichst viele zur Lösung des Problems relevante Aspekte zu überblicken und zu einer umfassenden Lösung zu finden, anstatt sich nur an einem kleinen Teilausschnitt „abzuarbeiten“.

Ganz gleich, ob man aus eigenem Antrieb oder „auftragsmäßig“ Probleme bearbeitet – man sollte sich der Gefahr bewusst sein, schon durch die Art der Fragestellung und damit durch den Ausgangspunkt aller Überlegungen auf dem Weg zu einer Lösung eingeengt oder in eine aussichtslose Richtung geschickt zu werden.

Bedingt durch unsere menschliche Natur neigen wir dazu, lieber über Lösungen als über Probleme nachzudenken, nach dem Motto: „Ich kann mich nicht um das Loch im Bootsrumpf kümmern – ich muss schöpfen …“. Und durch übliche Ausbildungs- und Arbeitsformen werden wir zusätzlich darauf trainiert, so vorzugehen. Wir nehmen ein Problem als gegeben hin und wollen uns – insbesondere als berufsmäßige „Troubleshooter“ – umgehend in es „verbeißen“, es schnell aus der Welt schaffen.

Wir glauben, dass von uns vor allem eins erwartet wird: schnelle Lösungen.

Wir sind es nicht gewohnt, auf die genaue Untersuchung einer Ausgangslage viel Zeit zu verwenden, weil wir glauben, dass vor allem eins von uns erwartet wird: schnelle Lösungen. Aber ohne eine gründliche Bearbeitung der Problemstellung kann es – außer vielleicht durch einen glücklichen Zufall – keine zufriedenstellende Lösung geben.

Solange aber der zu behebende Missstand unklar ist, gleicht jeder Lösungsversuch purem Aktionismus. In diesen Fällen ist das Risiko groß, dass man ineffektive Maßnahmen vorschlägt, die zu keiner Lösung führen, dass wertvolle Ressourcen wie Geld und Zeit verschwendet werden. Oder dass das Ergebnis der Planung ist, dass zwar etwas anders ist als vorher, aber keineswegs besser.

Ein Grund für eine unzureichende oder fehlende Problembestimmung ist die Komplexität vieler Planungsprobleme: Neben der erwähnten „Lösungsfixiertheit“ ist auch zu beobachten, dass wir Menschen generell dazu neigen, angesichts eines Problems vertraute Methoden anzuwenden, ohne zu hinterfragen, ob sie mit Blick auf das Problem überhaupt zweckmäßig sind. Oder wir geben uns mit der erstbesten sich bietenden Lösung zufrieden, ohne weitere Potenziale an möglicherweise besseren, einfacher umzusetzenden, länger anhaltenden oder ergänzenden Lösungsmöglichkeiten überhaupt noch in Betracht zu ziehen.

Es ist beileibe nicht so, als habe vor dem Erscheinen dieses Handbuchs noch niemand zuvor den allgemein üblichen, nachlässigen Umgang mit der Problembestimmung bemerkt und bemängelt. In verschiedenen thematischen Kontexten tauchen immer wieder Beobachtungen zu diesem Thema auf – allerdings oftmals eher als Randbemerkung. In diesem Handbuch wird das Thema nun zum entscheidenden neuen Ausgangspunkt einer Problemlösungsstrategie.

Fredmund Malik rät, man solle sich von der Prämisse leiten lassen, dass das Problem nie vornweg klar genug ist, sondern dass man es erst herausfinden muss.

Aus einer ganzen Reihe von Autoren ließe sich zum Beispiel der Technikphilosoph Christoph Hubig nennen, der diesen Punkt in seinem zweibändigen Werk Die Kunst des Möglichen deutlich hervorhebt. Ein weiterer kompetenter „Pate“ für dieses Thema ist der Schweizer Managementberater Fredmund Malik. Er hat in seinem Bestseller Führen, Leisten, Leben (Taschenbuch in der 12. Auflage) seine umfassende Managementtheorie vorgestellt und erläutert. Auch er kommt an unterschiedlicher Stelle immer wieder auf den Punkt zu sprechen, dass viele Entscheider zu wenig über das Problem nachdenken, das sie zu lösen haben.

Unter anderem heißt es bei ihm zur „Illusion, die Aufgabe sei klar“, die meisten Manager würden viel zu schnell zur Entscheidung im engeren Sinne übergehen. Sie glaubten, es sei klar, worüber zu entscheiden ist und worin das Entscheidungsproblem bestehe. Malik macht den Vorschlag, sich von der Prämisse leiten zu lassen, dass das Problem nie klar ist, sondern dass man es erst herausfinden muss. Das sei die erste und wichtigste Aufgabe im Zusammenhang mit Entscheidungsprozessen. Weiter führt er aus: „Ich spreche hier natürlich nicht von kleinen, belanglosen Entscheidungen, die keine Folgen haben. Hier sind die großen, wirklich wesentlichen und folgenreichen Entscheidungen gemeint, bei denen das Problem am Anfang nie wirklich klar ist. Es muss herauspräpariert oder herausdestilliert werden aus einem Gestrüpp von Daten, Vermutungen, Behauptungen und vagen Vorstellungen.“

Später heißt es: „Ist das Problem falsch begriffen, kann es niemals eine richtige Entscheidung geben. Auch noch so raffiniertes Bearbeiten, Analysieren und Berechnen der einzelnen Entscheidungselemente kann nicht zu einer richtigen Lösung führen, wenn das Problem nicht richtig verstanden wurde. Worum geht es hier wirklich?, das muss die erste und wichtigste Frage sein, und man sollte sich, wenn immer möglich, Zeit damit lassen und die Dinge gründlich durchdenken.“

„Worum geht es hier eigentlich?“

Der erste Schritt jedes Entscheidungsprozesses müsse die gründliche und vollständige Bestimmung des wirklichen Problems sein. Man dürfe sich weder mit Symptomen noch mit Meinungen zufriedengeben, man müsse, so Malik, „zu den Tatsachen und Ursachen hinter den Symptomen und Meinungen vorstoßen“. Es gäbe durchaus Leute, „die es schick finden, mit sorgenzerfurchter Stirn oder erhobenem Zeigefinger der scheinbaren Wirtschaftlichkeit zu behaupten, man könne keine Tatsachen und Ursachen finden, weil alles so komplex oder so vernetzt sei oder weil philosophische Fragen im Weg stünden“. Er rät allerdings dringend davon ab, sich von solchen modischen Behauptungen beeinflussen zu lassen.

Denn die größte Schwierigkeit sei nicht die Komplexität und auch nicht die falsche Bestimmung des Problems. Falsches – also ein völlig am Thema vorbeigehendes – Problemverständnis würden die meisten Führungskräfte ziemlich rasch erkennen. Der Teufel stecke im Detail, in der möglichst genauen Betrachtung möglichst vieler Aspekte einer Problemstellung. „Die größte Falle ist die zwar plausible, aber nur unvollständige oder nur teilweise richtige Definition des Problems sowie das häufig zu beobachtende Verhalten, sich damit, oft aus Zeitmangel, vorschnell zufriedenzugeben.“

Nachfolgend wird es vor allem um einen „Dreiklang“ gehen, in den sich ein Problem aufspalten lässt: den als misslich empfundenen Ausgangszustand mit den darunter Leidenden (den wir künftig A[-] nennen), die unbekannten Maßnahmen (M?) und den angestrebten Zielzustand (B[+]). Bevor diese Unterteilung weiter präzisiert wird, ist schon jetzt klar, dass sich hinter dem Motto „Problems First!“ genauer betrachtet also die Aufforderung „Missstand First!“ verbirgt – anders gesagt: Es geht hier vor allem darum, warum es so wichtig ist, auf den misslichen Ausgangszustand A[-] so viel Aufmerksamkeit zu verwenden wie möglich. Dazu in diesem Kapitel an späterer Stelle mehr.

In einem kleinen Exkurs muss nun aber zuerst angesprochen werden, welche Annahmen über die „Beschaffenheit“ eines Problems diesem Buch überhaupt zugrunde liegen. Es ist nicht darauf ausgerichtet, als Hilfestellung bei individuellen Fragestellungen, etwa nach dem richtigen Job oder der richtigen Kaufentscheidung bei einem Gebrauchtwagen, herangezogen zu werden. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass sich selbst für Probleme dieser Art und Größenordnung Anregungen finden lassen. Aber – um es ganz klar zu sagen – dafür ist es nicht gemacht.

Was ist mit Komplexität gemeint?

Auch wenn die Systematik, ein Problem in den „Dreiklang“ aus Missstand, Sollzustand und unbekannten Maßnahmen aufzuspalten, einfach klingt – sie lässt sich auch auf hochkomplexe, sozial relevante Fragestellungen anwenden. Soziale Probleme, also solche mit gesellschaftlicher Relevanz, gaben den Anstoß für dieses Buch. Deswegen spielen Themen wie Wirtschaft, Gesundheit, Energieversorgung, Rentenpolitik etc. in der Beispielwelt dieses Buches eine wichtige Rolle – ergänzt durch Beispiele aus dem Bereich der räumlichen Planung. Vor allem bei komplexen sozialen Problemen ist die Anwendung der Problemlösungsstrategie sinnvoll und lohnenswert.

Komplex ist eine Fragestellung dann, wenn:

•  es eine Vielzahl von Faktoren gibt, welche die Komponenten eines Problems beeinflussen;

•  diese Faktoren intransparent sind (zum Beispiel aufgrund mangelnden Wissens);

•  eine Vielzahl an Beziehungen zwischen diesen Faktoren besteht (Vernetztheit), sie sich also wechselseitig beeinflussen und über ihre Wirkungszusammenhänge zunächst nur wenig bekannt ist;

•  es eine Vielfalt an Zielen und möglichen Maßnahmen gibt, bei denen zudem eventuell unerwünschte Fern- und/oder Nebenwirkungen zu erwarten sind.

Eine klare Absage an die Objektivität

Um sich die Freiheit erarbeiten zu können, eine gegebene Problemstellung zu hinterfragen, um das zu bearbeitende Problemfeld aufzuweiten und an zunächst unsichtbaren Stellen nach Lösungen zu suchen, müssen einige gewohnte Annahmen und gedankliche Unbeweglichkeiten überwunden werden. Vorrangig jene, dass Probleme nicht modifizierbar, anders zu formulieren oder zu interpretieren wären – dass sie von einer höheren Instanz gegeben und damit „objektiv“ wären, dass sie vom Himmel fallen würden und für alle sichtbar da wären. Denn sie sind es nicht. Probleme existieren ausschließlich in den Köpfen der Menschen, die sich mit ihnen beschäftigen. Die Sicht auf ein Problem ist immer subjektiv.

Probleme existieren ausschließlich in den Köpfen der Menschen, die sich mit ihnen beschäftigen.

Eine Problembeschreibung kann niemals „objektiv“ im Sinne von „betrachterunabhängig“ sein. Denn um die Beschreibung eines Problems überhaupt vornehmen zu können, muss man mehrfach eine Auswahl treffen aus möglichen Zuständen und Aspekten einer Situation, die dann als negativ bewertet und damit zum Problem deklariert werden können. Dabei sind diese Auswahlprozesse nicht „von außen vorgegeben“, sondern beruhen auf zutiefst subjektiven Kriterien, denn die getroffene Auswahl ist vom persönlichen Hintergrundwissen, von den eigenen Sichtweisen und Absichten bestimmt. Schließlich hätte man immer auch zu einer anderen Entscheidung kommen können, indem man einzelne Aspekte einer Situation anders gewichtet – mit der Folge, dass etwas anderes (ein anderer Zustand) zum Problem erklärt worden wäre.

Die Subjektivität hat weitreichende Konsequenzen für die Bewertung und Lösung von Problemen. Sie bleibt im gesamten Problemlösungsprozess erhalten – dies darf nicht außer Acht gelassen werden. Es findet sich beispielsweise kein Missstand, der nicht in einem seiner zahlreichen Aspekte für einen oder mehrere Beteiligte eben nicht misslich, sondern bedeutungslos oder sogar von Vorteil ist. Für manche ist die Arbeitslosigkeit ein dringend zu lösendes Problem, für andere nur eine bedauerliche, aber notwendige und deswegen unvermeidliche Begleiterscheinung unseres Wirtschaftssystems. Für manche ist die neue Autobahn wichtiger als das Biotop, durch das sie gebaut werden soll. Und überhaupt: Auf der Welt verhungern und verdursten Millionen von Menschen! Dieses Problem wäre doch zum Beispiel „objektiv“ viel dringender zu lösen als jenes, das einem der Vorgesetzte gerade auf den Tisch gelegt hat – wenn es denn Objektivität gäbe. Da es sie aber nicht gibt, beschäftigen wir uns mit dem, was uns subjektiv am dringendsten erscheint.

Kein „Problemlöser“ hat also beim Blick auf ein Problem jemals die Chance, sein professionelles Vorwissen, seine Mutmaßungen über bestehende Zusammenhänge, seine Gewohnheiten, seine Glaubenssätze über die Lösbarkeit oder Unlösbarkeit bestimmter Fragestellungen und nicht einmal seine aktuelle Tagesform auszublenden und sich „objektiv“ und „unvoreingenommen“ an die Arbeit zu machen.

Es dürften sich auch keine zwei Köpfe finden lassen, die unter den zur Beschreibung eines Problems verwendeten Begriffen absolut das Gleiche und ohne weitere Spezifizierung zumindest etwas Ähnliches oder Vergleichbares verstehen (dieser „Spezialfall“ subjektiver Wahrnehmung wird im Kapitel 3 weiter vertieft).

Jede Problemsituation lässt sich auch anders beschreiben – und dieser Umstand wird noch verstärkt durch berufsspezifische „Beschreibungsvorlieben“: Soziologen bevorzugen bei ihren Beschreibungen soziale Aspekte und Psychologen psychologische, Wirtschaftsfachleute ökonomische und so weiter. Niemand ist in der Lage, eine wirklich vollständige Beschreibung eines Problems abzugeben, weil man immer irgendwelche Aspekte weglässt. Dieses Weglassen geht unweigerlich mit subjektiven Entscheidungen einher – unabhängig davon, ob man sich dessen bewusst ist oder nicht. Hierzu mehr in Kapitel 3 beim Thema „Ansätze“.

Probleme, Problembeschreibungen, Zielformulierungen und die Auswahl von Maßnahmen sind nie objektiv, sondern immer subjektiv, weil kein Problem außerhalb des menschlichen Bewusstseins besteht. Zustände können ausschließlich durch negative Bewertung (beziehungsweise: durch das Vorhandensein von Werten) zu Problemen erklärt werden. Die Bewertungen hängen von Menschen ab und was diesen wichtig ist: eben ihren Werten. Deswegen gibt es in einer Welt ohne Menschen auch keine Werte und folglich auch keine Probleme. Kein Problem existiert unabhängig von einem Betrachter, dessen Wissen und Standpunkt.

Probleme und Problembeschreibungen sind nie objektiv, sondern immer subjektiv.

Kein Problem besteht außerhalb des menschlichen Bewusstseins – das heißt ohne dass ein Mensch eine Bewertung vornimmt und einen Zustand überhaupt als misslich empfindet.

Deswegen – und das ist nun die gute Nachricht und der wichtigste Aspekt dieses ersten Kapitels – ist keine Problembeschreibung „unantastbar“. Wir können sie verändern und beeinflussen. Nun aber zur angekündigten Systematik der Dreiteilung eines Problems:

Die Bestandteile eines Problems

Ein Problem P – und diese praktische, vereinfachende Formal gilt tatsächlich für jeden noch so komplizierten Sachverhalt – lässt sich in drei Bestandteile aufspalten und entsprechend durch folgende Zeichenfolge symbolisieren:

P = A[-] → M? → B[+]

Ein Problem P besteht also aus einem Ausgangszustand A, der als misslich [-] eingestuft wird, einem Zustand B, der sich von dem Missstand A[-] unterscheidet und positiv [+] bewertet wird; dabei sind die erforderlichen Maßnahmen M, um den Missstand in den Sollzustand B[+] zu überführen, unbekannt „?“. Wären die Maßnahmen bekannt, käme die Lösung des Problems einer Routine gleich.

Beispiel

In vielen deutschen Ballungsräumen benötigen Berufstätige, die im Straßenverkehr unterwegs sind, immer mehr Zeit, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen (Missstand A[-]).

Wie kann erreicht werden (unbekannte Maßnahmen M?), dass die Berufstätigen mit dem Pkw schneller an ihren Arbeitsplatz gelangen (Sollzustand B[+])?

Wie bereits erwähnt, kann auch eine umgekehrte Problemlage Ausgangspunkt für einen Planungsprozess sein. Das ist der Fall, wenn ein positiver Ausgangszustand ohne Eingriffe nicht zu erhalten wäre und sich in der Zukunft in einen Missstand verwandeln würde. Übertragen auf die Systematik der Dreiteilung ergibt sich für diesen Fall folgendes Bild:

P = A[+] → M? → B[-]

Beispiel

Beim derzeitigen Stand des Energieverbrauchs der Industrienationen reichen die Reserven an fossilen Brennstoffen Schätzungen zufolge noch bis ins Jahr 2100 (Ausgangszustand A[+]).

Was muss getan werden (unbekannte Maßnahmen M?), um ein weiteres Ansteigen des Energieverbrauchs zu verhindern, damit die Ressourcen nicht schon deutlich früher verbraucht sind (unerwünschter zukünftiger Missstand B[-])?