Edeltrud Habib
BEM – Wiedereingliederung in kleinen und mittleren Betrieben
Praxisleitfaden und Beispielsfälle
zum betrieblichen Eingliederungsmanagement
aktiv im Betriebsrat
Edeltrud Habib
BEM – Wiedereingliederung in kleinen und mittleren Betrieben
Praxisleitfaden und Beispielsfälle zum betrieblichen Eingliederungsmanagement

Buch:
© 2014 by Bund-Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Herstellung: Julia Walch, Bad Soden
Umschlag: eigensein, Frankfurt am Main
Umschlagabbildung: panthermedia.net/Edwin Verin
Satz: Satzbetrieb Schäper GmbH, Bonn
E-Book:
© 2014 by Bund-Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Produktion: Satzweiss.com, Saarbrücken
ISBN 978-3-7663-8347-1
Alle Rechte vorbehalten,
insbesondere die des öffentlichen Vortrags,
der Rundfunksendung
und der Fernsehausstrahlung,
der fotomechanischen Wiedergabe,
auch einzelner Teile.
www.bund-verlag.de
Ich danke allen Betriebsräten, Personalräten, Mitarbeitervertretungen, den Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen und allen Fallgebern für die Aufforderung und die Motivation diesen Leitfaden zum BEM zu schreiben. Mein Wunsch ist, dass die Praxisfälle dieses Buches all denen Hilfestellungen geben, die nicht die Möglichkeit haben eine betriebliche Beratung anzufordern. Ich danke besonders meiner Freundin Margit Höfle für Ihre Unterstützung und Mitarbeit an diesem Leitfaden.
Edeltrud Habib, Disability Managerin CDMP
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (kurz BEM) macht nicht gesund, hilft aber die betrieblichen Rahmenbedingungen zu verbessern.
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil BEM als die Etablierung eines unverstellten, verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozesses definiert (BAG 10. 12. 2009, NZA 2010, 639).[1]
BEM – das neue Allheilmittel für erkrankte Beschäftigte?
Nein, sicherlich nicht! Der Gedanke der Fürsorge, des Kümmerns um erkrankte Beschäftigte, ist nicht neu. Lange bevor das Wort Eingliederungsmanagement den Einzug ins Gesetz und die betriebliche Praxis fand, haben sich Interessenvertretungen und auch Arbeitgeber um erkrankte Beschäftigte gekümmert. Mit viel Verständnis, Kreativität und angemessenen Hilfen hat man versucht für die Betroffenen einen geeigneten Arbeitsplatz im Betrieb zu finden oder herzurichten. Das aber nur, wenn die Betroffenen sich hilfesuchend an die Interessenvertretung oder an den Arbeitgeber wandten und um Unterstützung baten.
Um die erkrankten Arbeitnehmer, die in ihrer Erkrankung gefangen waren, sich nicht trauten oder um ihren Arbeitsplatz fürchteten, kümmerte sich keiner. Sie fielen hinten runter oder dämmerten als Karteileichen vor sich hin. Man stößt immer wieder auf Betriebe, in denen niemand etwas über erkrankte Beschäftigte weiß. Sind sie noch krank, sind sie bereits von der Krankenkasse ausgesteuert? Haben sie inzwischen gekündigt? Bekommen sie Grundsicherung, Arbeitslosengeld? Ist ihr Arbeitsplatz bereits mit einem Leiharbeiter nachbesetzt worden, der sehr gut ins Team passt und gute Arbeit leistet? Für den Arbeitgeber entstanden keine zusätzlichen Kosten. Für den Beschäftigten ist es ein Leidensweg, für den sich niemand interessiert.
Seit 2004 sind Arbeitgeber verpflichtet, erkrankten Beschäftigten (länger als sechs Wochen) ein BEM anzubieten. Mit dem BEM-Verfahren wird das Ziel verfolgt, die Beschäftigungsfähigkeit erkrankter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wiederherzustellen, dauerhaft zu sichern und dadurch den Verlust des Arbeitsplatzes zu vermeiden.
Das wichtigste Ziel im BEM ist, dass der Arbeitgeber sich ausnahmslos um alle erkrankten Beschäftigten kümmern muss. Kein Beschäftigter wird bei längerer Krankheit mehr im Regen stehen gelassen.
BEM ist ein neuer Begriff, den der Gesetzgeber erst mit der Novellierung des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX) im Mai 2004 eingeführt hat. Bis zur Aufnahme des BEM in das Sozialgesetzbuch in 2001, war im Schwerbehindertenrecht verpflichtend nur für schwerbehinderte Menschen geregelt, dass sich der Arbeitgeber kümmern muss, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsleben aufgetreten sind, nicht aber, wenn sie länger krank waren.
Zunächst war das Schwerbehindertengesetz von 1974, das »Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft« ein Meilenstein in der Entwicklung des Schwerbehindertenrechts. Es gründete jedoch immer noch auf den gesetzlichen Grundlagen von 1919. Es entsprach zwar bereits dem modernen Gedanken einer umfassenden Rehabilitation aller behinderten Menschen, unabhängig von der Ursache ihrer Behinderung und nicht mehr nur der der Kriegsversehrten, aber erst im Juli 2001, mit der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes und der Integrierung in das neu geschaffene Sozialgesetzbuch, gelang ein Paradigmenwechsel. Ziel des SGB IX ist die Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten Teilhabe behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen. Das Gesetz stärkt die Rechte der Behinderten, fördert ihre Selbstbestimmung und stellt die Teilhabe in den Mittelpunkt. Mit der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes wurde das Betriebliche Eingliederungsmanagement im § 84 Abs. 2 SGB IX gesetzlich geregelt.
Im Gegensatz zum Absatz 1 des Präventionsparagrafen (§ 84 SGB IX), der nur für schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen gilt, erfasst der Absatz 2 alle Beschäftigte. Das ist das qualitativ Neue. Mit der Einführung des BEM reagierte der Gesetzgeber auf den weiter steigenden Altersdurchschnitt der berufstätigen Bevölkerung. Die gesundheitlichen Probleme nehmen zu und der Einsatz von gesundheitlich eingeschränkten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf einen für sie geeigneten Arbeitsplatz wird immer wichtiger, um die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten, die Teilhabe am Arbeitsleben, aber auch die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Das Sozialgesetzbuch IX war zwar den Schwerbehindertenvertretungen bekannt, nicht aber den Interessenvertretungen. Welcher Betriebs- oder Personalrat schaut schon im Sozialgesetzbuch nach, ob es Regelungen für alle Beschäftigten enthält? Lange hielt sich auch die Aussage, das BEM sei nur für Schwerbehinderte anzuwenden, eben, weil es im Schwerbehindertenrecht verortet ist. Die Interessenvertretungen arbeiten mehrheitlich mit dem Betriebsverfassungsgesetz bzw. dem Personalvertretungsgesetz oder bei kirchlichen Einrichtungen mit dem Mitarbeitervertretungsgesetz. So wundert es nicht, dass lange Zeit der Präventionsparagraf einen Dornröschenschlaf hielt.
Heute sind viele Institutionen bemüht das BEM bekannt zu machen. So heißt es z. B. auf der Webseite des BAD, einem der größten Dienstleistungsanbieter zum Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin:
»Von Arbeitsunfähigkeit betroffen sein kann jeder, egal ob jung oder alt, behindert oder nicht: ein Unfall, eine Erkrankung oder eine Krise kann zu längerem Ausfall führen. Mit dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) hat der Gesetzgeber den Unternehmen ein Instrument an die Hand gegeben, um wirtschaftlich und gleichzeitig fürsorglich im Interesse der Arbeitnehmer zu handeln. Doch dieses Instrument wird bei Weitem noch nicht ausgeschöpft, nicht zuletzt auch aus Unkenntnis, wie denn ein erfolgreiches Betriebliches Eingliederungsmanagement nachhaltig eingeführt werden kann.«[2]
Die Ziele des BEM sind:
• die Arbeitsfähigkeit erhalten,
• Arbeitsunfähigkeit überwinden,
• erneute Arbeitsunfähigkeit vorbeugen,
• den Arbeitsplatz erhalten.
Die gesetzliche Regelung zum BEM wurde zuerst in Großbetrieben angewandt, weil sie frühzeitig von Juristen des Arbeitgeberverbandes mit dem Ziel, Krankenstände zu reduzieren, über das BEM informiert wurden. Gleichzeit erhielten sie die Information, dass eine krankheitsbedingte Kündigung nicht mehr so leicht durchzusetzen ist, wenn dem Berechtigten[3] vor der Kündigung kein Betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten wurde.
Vorher war es nicht schwierig eine krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen, oft schon nach mehreren Wochen Krankenzeit. Dazu brauchte es nur eine schlechte Gesundheitsprognose. Besonders von krankheitsbedingten Kündigungen betroffen waren Beschäftigte, die noch nicht so lange im Betrieb waren. Krankheitsbedingte Kündigungen werden durch das BEM erschwert, denn der Arbeitgeber hat sich um lang erkrankte Beschäftigte zu kümmern. Bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung muss der Arbeitgeber darlegen, was er alles getan hat, um die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und den Arbeitsplatz zu erhalten.
Im § 84 Abs. 2 SGB IX haben die Interessenvertretungen ein Mitsprache- und Überwachungsrecht und sind somit in der Verpflichtung darüber zu wachen, dass das Gesetz zu Gunsten der Beschäftigten Anwendung findet. Sie haben das Recht die Zustimmung zur Kündigung zu verweigern, wenn der Arbeitgeber keine ausreichenden Maßnahmen zum Erhalt des Arbeitsplatzes getroffen hat. Sie stimmen einer Kündigung nicht zu, wenn nicht zuvor ein BEM durchgeführt worden ist.
(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.
(3) Die Rehabilitationsträger und Integrationsämter können Arbeitgeber, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern.