Monika Strübing
Ich bin Karl
ENGELSDORFER VERLAG
LEIPZIG
2014
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Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig
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Habt ihr es schon einmal erlebt, dass keiner aus eurer Klasse (auch eure „angeblichen Freunde” nicht), dass auch nicht einer mehr mit euch spielen wollte? Und ihr nicht wusstet:
Warum? – Schrecklich! – Stimmt’s?
Das muss sich anfühlen wie …
Worte gibt es dafür wahrscheinlich keine. So furchtbar ist das!
Karl, der in dem Buch, das ihr in den Händen haltet, aus seinem Alltag erzählt, kennt dieses schreckliche Gefühl. Er muss unbedingt eine Antwort darauf finden; warum er plötzlich so allein ist; weshalb seine Freunde ihn meiden. Karl ist doch Karl geblieben und nicht Hartzer oder Hieferle, oder etwa nicht? Ob er eine Antwort finden wird, und warum Karl gewaltig viel Mut braucht, und …, lest es selbst. Nachdem ihr Karl kennen gelernt habt, werdet ihr sicher am Ende des Buches auch über den einen oder anderen Schulkameraden aus eurer Klasse oder über ein Nachbarkind anders denken. Vielleicht ladet ihr denjenigen oder diejenige sogar zum Spielen, Schwimmen, Radfahren … oder auch zum Geburtstag ein. Das kann so viel Spaß machen und wunderschön werden wie ein Tag voller Sonnenschein, denn jeder hat eine wertvolle Perle in sich. Und es ist völlig egal, auf welcher Sprosse der Gesellschaftsleiter er sich befindet. Wer ganz unten steht, fühlt sich oft klein und hässlich, weil er immer nach oben schauen muss, wenn er vorwärts kommen will. Ob er das mag oder nicht, fragt ihn keiner. Er weiß auch vielmals nicht, wie er die Sprossen zu dir erklimmen kann. Es fehlen ihm viele Dinge und Möglichkeiten dafür, um mit dir mithalten zu können. Mag sein, dass seinen Eltern das Geld für schicke Klamotten fehlt oder für den Unterricht an der Musikschule, und für weite Reisen, welche du mit deinen Eltern in den Ferien unternimmst. Vielleicht gehst du auch oft ins Theater und ins Konzert, oder gar zum Reiten und nimmst schon an Turnieren teil …
All das kostet euren Eltern sicher viel Geld, welches die Eltern deines Banknachbarn möglicherweise nicht haben und zwar meist ohne, dass sie etwas dafür können. Diesem Schulkameraden oder der Schulfreundin tut es verdammt bitter weh, wenn du sie deshalb von oben herab verhöhnst oder mit Spott überhäufst. Oft haben auch sie (meist im Verborgenen) so viele wertvolle Perlen in sich, und einige haben sogar weitaus mehr, als du es erahnen kannst.
Es gibt Kinder, deren Eltern auf den untersten Sprossen der Gesellschaftsleiter stehen, aus denen leuchten mehr Perlen und kostbare Juwelen als aus manchen Kindern deren Eltern auf oberen Sprossen sind. Jene Kinder strahlen Freundlichkeit aus, sind höflich, helfen älteren Leuten gern über die Straße, drängeln und schubsen nicht an Haltestellen, lassen keine Türen auf Nasen knallen, ja, diese Kinder halten Türen auf und sagen dazu obendrein noch nette Worte … Nur zeigen sie vermutlich nicht alle Perlen, sie sind oft kratzbürstig, wenn du ihnen zu nahe rückst. Sicher wollen sie einige Perlen beschützen, wie du ja auch.
Hast du jedoch ihr Vertrauen erworben, wagen sie mit dir die wildesten Spiele. Laufen mit dir so schnell um die Wette, dass du Mühe hast, ihnen zu folgen. Oder ihr forscht und macht zusammen eine überaus geniale Entdeckung, die der ganzen Menschheit nützt …
Ja, selbst wenn es dir einmal nicht gut gehen sollte, können sie treue Freunde oder echte Freundinnen sein …
Allen Kindern, die beim Lesen des Buches denken, mir geht es ja genauso oder ähnlich wie Karl, werden sehr bald merken, dass es nicht darauf ankommt viel oder wenig zu besitzen. Viel wichtiger ist Menschen, egal von welchem Erdteil sie kommen, zu helfen wenn sie krank oder in Not sind. Auch mit den Tieren, den Bäumen, Pflanzen … ja, mit allem was hier auf unserem blauen Planeten wächst, blüht, krabbelt, fliegt, schwimmt … wollen fast alle Menschen in Frieden, man sagt auch in Harmonie zusammen leben, denn wir brauchen die Natur viel mehr als unser Handy zum Beispiel.
Ob die Natur uns Menschen allerdings auch so sehr braucht, darüber denkt einmal nach.
Träume sind ebenfalls sehr wichtig, aber nicht nur die in der Nacht, sondern auch die für die Zukunft wie: Ich möchte Astronaut oder auf einem großen Schiff als Kapitän Ozeane und Weltmeere befahren … Möglicherweise träumt ihr auch davon, allen Menschen auf der Erde Brot und ein Zuhause zu geben ...
Darüber hinaus werdet ihr unendlich viele Fragen haben. Auf der Suche nach Antworten entstehen meist weitere Fragen wie diese vielleicht:
Was für ein Mensch ist das, wenn er andere Menschen absichtlich in Lebensgefahr bringt oder in Angst versetzt?
Was für einen Charakter hat jener, der mit Schulfreunden oder Nachbarkindern nicht mehr spielt, nur weil deren Eltern arbeitslos sind?
Kann man nicht hin und wieder doch einmal Hausaufgaben abschreiben?
Sollte der Neid auf geniale Ideen anderer so unerträglich sein, kann man diese nicht einfach als eigene Ideen ausgeben? Jeder will Erfolg haben und im Scheinwerferlicht glänzen.
Das ist doch rechtens, oder?
Aber nun ist genug! – Es wird nicht alles verraten, worum es in diesem Buch geht. – Wirklich gelungen und schön wäre, wenn das Buch euch zum Nachdenken anregen würde und Fragen, die ihr habt, beantwortet. Doch falls ihr keine Antworten auf diesen oder jenen Punkt findet, wendet euch bitte an eure Eltern, Großeltern, Lehrer … Sicher gibt es Menschen die ihr ansprechen könnt. Ärzte, Bibliothekare und auch Polizisten antworten und helfen euch bestimmt sehr gern.
Trotz allem Ernst ist es auch ein humorvolles Buch.
Das Schreiben hat sehr viel Spaß gemacht, den ihr beim Lesen des Buches sicher auch haben werdet. Vielleicht sogar noch weitaus mehr.
Cover
Titel
Impressum
Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
Ich bin Karl und wohne in Seemannsgarnhausen. Ich habe meinen Wohnort deshalb so getauft, weil meine Verwandten, die hier leben, nur Lügenbarone sind. Mein Vater sagte das einmal zu mir. Ob alle Menschen in Seemannsgarnhausen so viel lügen, weiß ich nicht. Unser Haus steht hinter einer Sanddüne und da bekommt man nicht alles mit. Wenn ich das Fenster öffne, höre ich die Möwen schreien und sehe bei heftigen Stürmen die Wellenkämme der Ostsee schäumen. Aber bei Windstille ist das Wasser spiegelglatt und schillert wie die Haare einer Seejungfrau. Bei uns riecht es immer ein bisschen nach Seegras und Fisch. Aber einen Fischer haben wir nicht mehr in Seemannsgarnhausen. Nur ein morsches Fischerboot, das in den Dünen liegt. Wir müssen Fisch im Supermarkt kaufen. Doch dort ist er Mutter zu teuer. Vater bringt Heringe und Flundern von einem Fischer aus dem Nachbarort mit. Der verkauft ihn billiger, sagt mein Vater.
Weil ich so mager bin, nennt meine Mutter, die in Sachsen geboren wurde, mich sehr oft Hieferle. Hier im Norden ruft man solch ein Hieferle, wie ich einer bin, gern auch: He, du Spacki. Ihr versteht, wen ich da meine?
Meine Eltern sind Hartzer und das schon zum vierten Mal. Ich weiß eigentlich gar nicht genau, was ein Hartzer, also Hartz IV ist. Ich weiß nur, dass meine Eltern arbeitslos sind. Mein Vater war ein geachteter Bauzeichner. Seine Zeichnungen, die er auf dem Reißbrett gepinnt hatte, sahen super aus, so genau und ordentlich, kein Fleck war auf dem Papier zu sehen. Könnt ihr euch das vorstellen, nicht ein piepsig lütter Fleck? Ich hatte jedes Krümelchen, jede noch so mickrig kleine Faser des Papiers mit der Lupe untersucht und fand wirklich nichts.
Neulich beschloss ich, auch meine Mutter zu untersuchen, die jeden Nachmittag lang ausgestreckt auf dem Sofa liegt und schläft. Ich holte meine Lupe, beugte mich über sie und betrachtete meine Mutter von allen Seiten. Ich wollte nun endlich wissen, was es mit dem Harz so auf sich hat. Ein Förster, den wir auf einem Spaziergang durch den Wald vor ewig langer Zeit einmal trafen, erzählte uns, dass Bäume harzen. Ich weiß, meine Mutter ist kein Baum, sondern ein Mensch, und die harzen bekanntlich nicht. Oder harzen wir vielleicht doch? Ich suchte jedenfalls Zentimeter für Zentimeter meiner Mutter nach Harz ab. Pore für Pore nahm ich sie unter die Lupe und sah nur große Schweißperlen auf ihrer Stirn und auf der Nase. Meine Mutter harzt nicht, stellte ich am Schluss meiner Untersuchung fest.
Auch dachte ich, dass ich vielleicht stinke. Kennt ihr den Harzer Käse? Die kleinen aneinander gepappten dicken Taler, die meist in schnüffelsicherer Folie eingepackt sind? Mein Vater isst den Käse fast jeden Abend und anschließend lüftet meine Mutter immer. Ich beroch mich also, beschnupperte meine Sachen, und mir wurde klar: Ich stinke nicht nach dem Käse!
Aber warum rufen sie in der Schule immer, wenn ich komme: „Achtung, der Hartzer kommt”, und schubsen mich weg, wenn ich mich neben sie stelle?
Ich dusche doch jeden Morgen bevor ich in die Schule gehe und wasche mich mit der Seife meines Vaters, denn die juckt nicht so wie Mutters Duschgel. Meine Mutter würde außerdem zum Brüllaffen, wenn ich nicht duschen würde. Und aus dem Harz, einem Gebirge im Süden Deutschlands, wo die Brockenhexen auf ihren Besen um den Brocken fliegen, komme ich auch nicht. Das ist ein Pommernjung, sagte mein Vater deutlich zu einem ehemaligen Arbeitskollegen. Ich stand dabei.
Mein Vater hatte glänzende Augen und beklopfte mir die Schultern, sodass ich fast vornüber fiel. Das tut er immer, wenn er stolz auf mich ist. Wie ihr merkt, auch dieser Harzer bin ich nicht.
Ich bin mit meinem Namen Karl doch vollkommen zufrieden. Karl hieß schon mein Urgroßvater, der mutig im vergangenen Jahrhundert gegen die Nazis kämpfte, im Untergrund versteht sich. Und so ist es mir eine Ehre, diesen Namen tragen zu dürfen. Den Namen Hieferle, wie meine Eltern mich manchmal rufen, verstehe ich ja noch.
Seit meine Eltern keine Arbeit mehr haben, gehen wir auch nicht mehr in den Wald oder in die Sonne an den Strand und zum Baden. Ich glaube, meine Eltern schämen sich, weil sie schon lange arbeitslos sind. Viele Leute im Ort scheinen das zu wissen, denn sie grüßen nicht. Tja, so bin ich blass und dünn, also hiefrig, denn bei uns gibt es sehr oft nur Suppe, und die macht ja bekanntlich nicht dick.
„Mehr können wir uns nicht leisten”, sagte meine Mutter neulich, als ich mich beschwerte und winkte sogar verächtlich mit der Hand. Sie zeigte auf meine beiden kleineren Schwestern, die man nicht einmal mit der Lupe auseinanderhalten kann, so ähnlich sehen sie sich.
„Anne und Marie brauchen neue Anoraks und Schuhe für den Winter. Wir müssen haushalten”, schluchzte meine Mutter nach ihrer verächtlichen Handbewegung. Mir wurde übel, und ich hatte nur noch eine Frage: „Aber den Wald können wir uns doch leisten, oder muss man dort jetzt auch bezahlen?!”
Ich bin schon lange nicht mehr im Wald gewesen, weil meine Eltern es mir verboten haben, allein hinzugehen. Im oder am Rande des Waldes, wo genau wusste meine Mutter nicht, hätten Rumtreiber mit Glatze sich ein Grundstück mit Haus gekauft, einen hohen Zaun darum errichtet und würden nun dort hausen. Auf die Frage, wer diese Rumtreiber sind, bekam ich keine Antwort. Meine Eltern wollen mich schützen, das weiß ich, mehr weiß ich aber nicht.
„Der Wald kostet nichts”, sagte meine Mutter, „den haben wir umsonst, wenn nicht diese Nazis …” Meine Mutter stockte. „Wie lange der Wald aber kostenfrei bleibt, steht in den Sternen”, beendete meine Mutter das Gespräch mit mir.
Ich schaue aus dem Fenster zum Himmel. Da leuchtet die Sonne so schön im Zenit, und ich würde allzu gern mit meinen Freunden spielen gehen … Vielleicht sind es doch keine echten Freunde? Denn seit ich Hartzer bin, will keiner mehr mit mir um die Wette laufen und so. Dauernd haben sie irgendetwas vor oder müssen dringend lernen.
Meine Nase kitzelt von der Frühjahrssonne; ich muss niesen.
Da kommt ja Ole den Dünenweg entlang geschlendert.
Er grient zu mir hoch: „Na, was ist, willst mit mir eine Runde am Computer spielen? Kämpfen mit den Aliens”, und er macht einen gewaltig großen Ausfallschritt mit einem unsichtbarem Schwert, fuchtelt und stochert damit in der Luft herum und schreit: „Ich bin ein Champion. Ich …!“
Lust habe ich schon, aber mit Ole? Ich will ihn nicht zum Freund. Ole brachte Frösche zum Platzen und machte noch andere widerliche Dinge. Außerdem riecht er immer ein bisschen nach Schwein. Oles Eltern haben am Rande des Ortes einen Bauernhof.
„Ole liebt vor allem Schweine, und was liebt ihr?”, fragte Frau Bullerjahn, unsere Klassenlehrerin.
Ich weiß nicht, was ich liebe, ich weiß nur, was ich hasse. Nämlich den Hartzer in oder an mir, der mich verfolgt bis in den Schlaf. So antwortete ich Frau Bullerjahn auf die blödeste aller blöden Fragen damals einfach nicht. Nicht eine Silbe schob ich zwischen die Lippen hindurch. Ich grinste sie nur an und lachte über ihr ausgeleiertes braunes Kostüm, das den Lumpen einer Vogelscheuche glich. Wütend schmiss ich ihr meinen Radiergummi hinterher, aber Frau Bullerjahn reagierte nicht darauf; was mich natürlich ärgerte. Ach ja, und ich hasse auch Oles Schweinegeruch. Kürzlich quoll mir die Nase davon so sehr auf, dass sie mir beim Niesen fast explodierte. – Wie kann man nur Schweine lieben? – Igitt!
Also lehne ich mich lässig aus dem Fenster und sage zu Ole: „Habe keinen Computer, ein anderes Mal vielleicht …”, und erschrak plötzlich, denn die letzten Worte hätte ich mir verkneifen müssen. Ich halte die Luft an, um mich nicht um Kopf und Kragen zu reden.
„Geh doch, Karlchen, mein Hieferle!”, ruft meine Mutter begeistert hinter mir, sodass Ole es hören kann und mit seinen großen fleischigen Händen freudig wedelt.
Mutti will mich loswerden. Sie will sich hinlegen, überschlafen, weil ihr ständig schummrig ist vom vielen Grübeln, schoss es mir mit einer gewaltigen Portion Wut im Bauch durch den Kopf. Ich fühle mich hundeelend und würde mich am liebsten in einem Mauseloch verkriechen.
„Wenn `s sein muss!”, quetsche ich gerade noch so hervor, reiße meine Jacke vom Garderobenhaken und trample die knarrende Holztreppe unseres alten Mietshauses hinunter. An der Haustür scharrt Ole schon wie ein Huhn mit seinen schwarzen, kreuzweise gebundenen Springerstiefeln.
Ole stampft wie ein Krieger auf den mit grauen Brettern befestigten Weg neben den Dünen entlang voran in die Richtung, aus der er gekommen war. Ich folge ihm, ohne auch nur ein Wort sagen zu können. Ebenso Ole, er schweigt. Hin und wieder dreht Ole sich um und grinst mir zu. Er schwenkt energisch seinen großen Kopf, auf dem eine graue handgestrickte Wollmütze mit dicker Bommel sitzt und hebt seinen zu kurz geratenen Arm. Ole befiehlt mir, ihm zu folgen.
Warum folge ich ihm, frage ich mich unentwegt. Er, der verwöhnte Schweinehirt, der immer leckere Blut- und Leberwurstbrote in der Frühstückspause schmatzend isst, und ich, der beim bloßen Zugucken seiner Kaubewegungen Bauchkrämpfe bekomme. Manchmal reichte er mir ja ein kleines Stück seines Brotes, aber ich nahm es nicht.
Sagte nur: „Ich hab schon gefrühstückt. Wir erledigen so etwas zu Hause, Ole, vor der Schule, versteht sich.” Was natürlich glatt gelogen war, und ich hatte jedes Mal das Gefühl, er glaubt mir nicht. Er grinste mich immer so mies an, wenn ich log. Ich ließ diesen Fiesling dann einfach sitzen inmitten seiner Blut- und Leberwurstdünste und rannte aufs Klo, um am Waschbecken Wasser zu trinken. Damit mein knurrender Magen ein wenig ruhiger wurde.
Heute nun folge ich ihm bis an sein Gehöft oder besser gesagt, das seiner Eltern. Hinterm Hoftor, das fast doppelt so hoch ist wie ich, bellt ein Hund.
Ole sagt fest und bestimmt mit tiefer dunkler Stimme, die ich noch nie zuvor an ihm wahrgenommen habe: „Aus! Rex! Aus! – Aus! – Ich bin ‘s. Gleich wirst du Karl kennen lernen, meinen Freund!” Rex hört schlagartig auf zu kläffen.
Was sagt Ole da? Ich sei sein Freund? Was bildet Ole sich ein? Ich drehe mich um, ich will nach Hause … Doch Ole hat bereits das schrecklich quietschende Holztor weit geöffnet und ein alter Schäferhund mit schläfrigen Augen steht schwanzwedelnd vor mir. Er blickt mich respektvoll an. Ich kann nicht anders; ich muss Rex streicheln, ihn knuddeln wie Anne und Marie. Rex lässt sich alles gefallen, so als wäre ich sein wirklicher Freund und nicht Ole. Plötzlich kommt um die Ecke des Wohnhauses ein kleiner Terrier geprescht. Er springt wild an mir hoch und kläfft, als sei ich ein Schwerverbrecher.
„Blacky!”, mahnt Ole ihn zur Ruhe.
Der Winzling gehorcht, beschnuppert noch einmal aufgeregt meine Turnschuhe und schiebt seine kalte nasse Schnauze unter mein Hosenbein. Ich quietsche erschrocken auf, denn ich habe weder Socken noch eine Unterhose an. Der fast schwarze Unhold ist ebenfalls erschrocken. Er sieht mich noch einmal prüfend an; ich streichle ihm über sein strubbliges Fell, und er rennt, so schnell, wie er gekommen war, wieder davon.
„Karl, ich zeige dir alle unsere Tiere. Wir haben nicht nur Schweine”, sagt Ole, so als wolle er sie mir allesamt schenken, und ich hatte das Gefühl, dass Ole vor Freude innerlich ebenso wedelt wie Rex mit dem Schwanz.
Habe ich da richtig gehört? Karl hat Ole zu mir gesagt und mich nicht Hartzer genannt?
Und plötzlich spüre ich mich wachsen. Ich blicke auf den kleinen Ole herab, wie mein Vater, wenn ich eine Eins in Mathe mit nach Hause gebracht habe. Mein Herz hämmert so wild in der Brust wie der Specht auf der Suche nach einem Wurm, so sehr freue ich mich. Wir stapfen wie allerbeste Freunde im gleichen Schritt zuerst zum Schweinestall.