Im Dezember 2000 zieht Rana Dasgupta nach Delhi – und landet in einem Moloch, der direkt der Phantasie von Zola oder Scorsese entsprungen sein könnte. Die wirtschaftliche Öffnung Indiens im Jahr 1991 hat Kräfte entfesselt, die wie eine Naturkatastrophe über die Stadt hinwegfegen: Kapitalistische Räuberbarone stecken aggressiv ihre Claims ab, Bargeld wird lastwagenweise durch die Straßen gekarrt, Premierminister Manmohan Singh, der einst die Liberalisierung des Landes angestoßen hat, lässt beim lokalen Lamborghini-Händler anrufen. Er kann nicht mehr schlafen, seit die Nouveaux Riches vor seiner Residenz ihre Luxuskarossen ausfahren.
Mit dem Einfühlungsvermögen und der Sprachgewalt eines großen Erzählers schildert Dasgupta die Welt hinter den Fassaden der scheinbar endlos nach oben weisenden Wachstumsraten. Er trifft Milliardäre und Slumbewohner, Drogendealer und Gurus und stellt fest, dass in der Heimat seiner Vorfahren heute vor allem eines regiert: das Geld. Ein eindrucksvolles Portrait einer Metropole im Rausch, das zugleich einen Vorgeschmack darauf gibt, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte.
Rana Dasgupta, 1971 im englischen Canterbury geboren, veröffentlichte bislang die Romane Solo und Die geschenkte Nacht. Solo wurde 2010 mit dem Commonwealth Writers' Prize für den besten Debütroman ausgezeichnet. Er lebt in Delhi.
Rana Dasgupta
Delhi
Im Rausch des Geldes
Aus dem Englischen von
Barbara Heller und Rudolf Hermstein
Suhrkamp Verlag
Textgrundlage dieses eBooks ist die 1. Auflage der gedruckten Version gleichnamigen Titels.
Titel der Originalausgabe:
Capital. A Portrait of Twenty-first Century Delhi
Erstmals erschienen 2014 bei Canongate.
© Rana Dasgupta 2014
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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2014
© Rana Dasgupta 2014
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2014
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Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn
Umschlaggestaltung: HERBURG WEILAND
Covercollage: Rosa Kammermeier
Umschlagfotos: iStockfoto; Unlisted Images/Fotosearch.com
Autorenfoto: Nina Subin
eISBN 978-3-518-73890-0
www.suhrkamp.de
An die Ungeborenen
»Oh, moon of AlabamaWe now must say good-bye
We've lost our good old mamma
And must have dollars
Oh, you know why.«
Bertolt Brecht,
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
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Dieses Buch würde nicht existieren ohne die Großzügigkeit einer ganzen Reihe von Menschen aus Delhi, die bereit waren, mit mir über ihr Leben, ihre Gedanken und Erfahrungen zu sprechen. Viele dieser Diskussionen berührten sehr persönliche oder gar intime Themen, weshalb ich alle Namen (so es sich nicht um Personen des öffentlichen Lebens handelt) geändert habe. Ich möchte die Leserinnen und Leser bitten, die Offenheit dieser Menschen – die teilweise Risiken auf sich nahmen, um mit mir zu sprechen – zu respektieren, nicht zu versuchen, diese Personen zu identifizieren, und ihre Identität nicht preiszugeben, falls sie der einen oder dem anderen im Einzelfall bekannt sein sollte.
Da ich mich an einem Ort befinde – und wir in einer Welt leben –, wo die intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen so sehr danach beurteilt werden, wie gut sie oder er mit der englischen Sprache zurechtkommt, habe ich mich entschieden, alle Personen in diesem Buch dasselbe Standardenglisch sprechen zu lassen. Ich wollte nicht, dass ihre sehr unterschiedlichen Sprachkenntnisse selbst zu einem Thema werden. In Wirklichkeit war Englisch für viele dieser Menschen nur die zweite oder dritte Sprache, und sie haben sie nicht in dieser standardisierten Weise gebraucht. Andere waren des Englischen überhaupt nicht mächtig, weshalb die entsprechenden Interviews (mithilfe eines Dolmetschers) auf Hindi geführt wurden.
Im indischen Sprachgebrauch ist es üblich, große Geldbeträge in »Lakhs« und »Crores« anzugeben. Ein Lakh entspricht 100 000 Rupien oder etwa zweitausend US-Dollar; hundert Lakhs sind ein Crore, also zehn Millionen Rupien (etwa 200 000 Dollar). Da sie so viel von der spezifischen Haltung und dem Tonfall transportieren, in dem in Indien über ökonomische Fragen diskutiert wird, habe ich diese Ausdrücke beibehalten.
In einigen Teilen der Welt versteht man unter einem »Bungalow« ein bescheidenes, vielleicht sogar mickriges eingeschossiges Gebäu12de. Die Engländer bezeichneten mit diesem Wort jedoch die frei stehenden, häufig großzügigen und luxuriösen Häuser, die sie in den Kolonien für die Angehörigen der Verwaltungselite errichteten. So wird das Wort bis heute in Delhi – in dessen von der Kolonialmacht errichtetem Zentrum viele solcher Gebäude stehen – und daher auch in diesem Buch verwendet.
In seinem Mittelpunkt stehen die Angehörigen des aufstrebenden, wohlhabenden Teils der urbanen indischen Bevölkerung; Menschen, die sich selbst als wichtigste Akteure – und Profiteure – der Globalisierung verstehen. Es hat sich eingebürgert, diese Gruppe als »neue indische Mittelklasse« zu bezeichnen, eine Formel, die auch ich im Folgenden gebrauche. Doch selbst wenn ihr Lebensstil mittlerweile dem der amerikanischen oder europäischen Mittelklasse in gewisser Weise ähneln mag, passt der Begriff nicht so wirklich gut zur Situation in Indien. Während ich diese Zeilen schreibe, macht der Anteil der Haushalte mit einem Jahreseinkommen von über 500 000 Rupien (etwa 10 000 Dollar) nicht einmal zehn Prozent der indischen Bevölkerung aus. Wenn also im Kontext Indiens von den Ideen, der Kleidung oder sonstigen Besitztümern der Mittelklasse die Rede ist, geht es eigentlich um die Elite des Landes. Da die Wirtschaft des Subkontinents entlang der Kaufkraft dieser entstehenden Klasse neu organisiert wird – und da dies zu Konflikten um Land und Ressourcen geführt hat, unter denen der weit größere Bevölkerungsanteil zu leiden hat, der in Armut in den ländlichen Regionen lebt (viele dieser Menschen verdienen im Jahr gerade einmal fünfhundert Dollar) –, ist es wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass die indische Mittelschicht keine bescheidenen oder unschuldigen Interessen verfolgt. Der Begriff »Bourgeoisie«, den ich ebenfalls gelegentlich verwende, trifft ihre Situation besser. Gleichzeitig zählten sich jedoch gerade deshalb viele Menschen zur Mittelklasse, weil sie sich mit den Werten des Hartarbeitens und des Etwasbeitragenwollens identifizierten, die man mit diesem Wort assoziiert. Und weil sie sich von einer anderen, kleineren Elite abgrenzen wollten, deren Angehörige noch wesentlicher reicher und mächtiger waren als sie selbst, nämlich von jenen Moguln aus Politik und Wirtschaft, die sie für egoistisch und rücksichtslos hielten und denen sie eine zutiefst zerstörerische Wirkung 13auf die Gesellschaft als ganze zuschrieben. Diese Unterscheidung ist ebenfalls bedeutsam, weshalb ich die gängige Terminologie von »Mittelklasse« und »Elite« weitgehend beibehalte, auch wenn die Mittelklasse mit der Mitte nicht das Geringste zu tun hat. 15