Isabella Ackerl
Harald Jahn
Unbekanntes Wien
Verborgene Schönheit
Schimmernde Pracht
ISBN: 978-3-99040-206-1
© 2010 und 2013 by Pichler Verlag
in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG
Wien · Graz · Klagenfurt
Alle Rechte vorbehalten.
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Umschlag- und Buchgestaltung: Katrin Rose, Lithotronic media GmbH
Lektorat: Reinhard Deutsch
Reproduktion: Lithotronic media GmbH
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
Cover
Titel
Impressum
I. Von den Römern in die Neuzeit
1. Die Römer im Keller:
Römische Ausgrabungen am Hohen Markt und am Michaelerplatz
2. Der Drache im Hausbrunnen: Das Basiliskenhaus
3. Wiens griechisches Viertel: Griechengasse und Hafnersteig
4. Antisemitismus im mittelalterlichen Wien: „Zum großen Jordan“ am Judenplatz
5. Heimstätte des Wiener Biedermeier: Die Mölkerbastei
6. Nobelabsteige für den Ungarnkönig Matthias Corvinus: Der Regensburger Hof
7. Einst hochragende Mauern: Reste der Stadtbefestigung
8. Die „Fenstergucker“ von St. Stephan: Kanzel und Orgelfuß
9. Satire auf den Protestantismus:
„Wo die Kuh am Brett spielt“ und andere Wiener Hauszeichen
10. Oasen der Stille: Heiligenkreuzerhof, Blutgassenviertel und Deutschordenshof
11. Ein Relikt aus gotischer Zeit: Wiens älteste Mühle
12. Ein Lustschloss mit Tiergarten: Das Neugebäude in Simmering
13. Wo die Republik gegründet wurde: Der niederösterreichische Landtagssaal
II. Kirchen und Sakralbauten
14. Kunstpfarre am Michaelerplatz: Pfarrkirche zum Hl. Erzengel Michael
15. Strenge Steuergrenze: Die Hundsturmer Linienkapelle
16. Streit um eine Kirche: Die alte Matzleinsdorfer Pfarrkirche
17. „Zur Erinnerung an die Vermählung“: Die Elisabethkapelle
18. Dem „Hansl am Weg“ gewidmet: Die Johann Nepomuk-Kapelle
19. Minarette an der Donau: Die Wiener Moschee
20. Der Bildhauer als Architekt: Die Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit (Wotruba-Kirche)
III. Barocker Glanz und Lebensfreude
21. „Si vuol ballare Signor Contino …“ – „Wollt Ihr nun tanzen, mein lieber Herr Graf…“: Das Figarohaus
22. Wie der Nestroy in die Hofburg kam: Die Redoutensäle
23. Kaunitzpalais und Ratzenstadl: Das Viertel um den Esterházypark
24. Das „Rosenkavalier“-Palais als Widerstandszentrum: Das Palais Auersperg
25. Klassizistisches Palais mit skandalträchtigen Portalfiguren:
Palais Fries-Pallavicini
26. Fürstliches Mäzenatentum: Eroicasaal des Palais Lobkowitz
27. Die Türkenbelagerungen als Trauma der Stadtgeschichte:
Erinnerungen an den Feind
IV. Im Dunstkreis von Schönbrunn
28. Massenverkehrsmittel für den Kaiser: Der Hofpavillon in Hietzing
29. Barockes Schlösschen für die Post: Kaiserstöckl in Hietzing
V. Bauboom der Gründerzeit
30. Leider keine geschmuggelten Zigarren: Der Austriabrunnen auf der Freyung
31. Ein Selbstmord mit Folgen: Hotel Klomser in der Herrengasse
32. Fluchtturm eines Architekten: Der Kornhäuselturm
33. „Schatten spendend und Staub mildernd“: Die Allee um die Wiener Ringstraße
34. Die Falschmeldung „Alles gerettet“: Ringtheater, Sühnhaus, Polizeidirektion
35. Ringstraßenbau auf der Mazzesinsel: Börse für landwirtschaftliche Produkte
36. Stiere ja, aber keine Schaukämpfe: Die Arena im Schlachthof St. Marx
37. Zur Niederhaltung der aufrührerischen Massen: Das Arsenal
38. Eine Kathedrale für Kulissen: Das „Semperdepot“
39. Ein orientalisches Gebäude im Cottageviertel: Die Zacherlfabrik
VI. Prachtbauten der Wiener Ringstraße
40. Die „Spargelburg“ als Nobelhotel: Das Palais Coburg
41. Bank, Behörde, sowjetische Kommandantur, Parlament:
Die vielen Gesichter des Palais Epstein
42. Wohnstätte eines Enfant terrible: Das Palais Ludwig Viktor
43. Standesgemäße Residenz für einen Eisenbahnmagnaten: Das Palais Ofenheim
44. Die Zweite Gesellschaft – Förderer der schönen Künste: Das Palais Todesco
45. Industriellenpalast am Ring: Das Palais Wertheim
VII. Juwelen des Jugendstils
46. Ein Reigen österreichischer Geschichte: Die Ankeruhr
47. Eine „Tramwaywartehäuserl“ für die Kunst: Das Artariahaus
48. Vollendeter Jugendstil: Die Hohe Brücke
49. Jugendstilensemble am Rennweg: Otto Wagners Wohnhäuser
50. Die Legende von den vertauschten Bauplänen: Die Französische Botschaft
51. Heimstätte sozialdemokratischer Publizistik: Das Vorwärtshaus
52. Europas viertschönste Treppe: Die Fillgraderstiege
53. Vergessene und wieder entdeckte Bühnen: Wiens Jugendstiltheater
54. Baukunst vom Feinsten: Jugendstil in Wien
VIII. Das Jahrhundert der Stadterneuerung
55. Architektur eines Philosophen:
Das Wohnhaus für Margarete Stonborough-Wittgenstein
56. Einkaufstempel neben dem Dom: Das Haas-Haus
57. Die Ringstraße des Proletariats: Gemeindebauten am Margaretengürtel
58. Flaggschiff des Austromarxismus: Der Karl Marx-Hof
59. Neues Leben am Gürtel: Sanfte Stadterneuerung in einer schwierigen Gegend
IX. Relikte des Dritten Reichs
60. Geschichte lässt sich nicht verdrängen: Relikte aus der NS-Zeit
61. Außen hui – innen pfui:
Die Gründerzeitfassaden nach dem Zweiten Weltkrieg
62. Für die Ewigkeit gebaut: Die Flaktürme
X. Kaffeehäuser mit Tradition
63. Treffpunkt der Genies und Revolutionäre: Das Café Central
64. Legendäre Szenelokale in Hietzing:
Café Dommayer und Casino Dommayer
65. Zu Grabe getragen und wieder auferstanden: Café Griensteidl
66. „Das Milieu der fließenden Übergänge“: Die Herrenhof-Saga
XI. Freizeitparadiese und Vergnügungsstätten
67. „Pferderennen, wie es in England und Frankreich sehr berühmt“:
Die Freudenau
68. Einst ein Ort der Wellness – heute traurige Brandruine: Die Sofiensäle
69. Der kleine Bruder des Volkspraters: Der Böhmische Prater
70. Hollywood am Laaer Berg: Das Filmteichgelände
71. Kronprinz Rudolfs Lieblingsheuriger: „Zur güldenen Waldschnepfe“
72. Badestrand der Wiener: Das Gänsehäufel
73. Von Fratschlerinnen und Bradelbratern: Der Naschmarkt
74. Schmetterlinge und Restaurantbetrieb: Das Palmenhaus
75. Denkmal der Forschungsfreude: Der Botanische Garten
XII. Verkehrsmittel einer Großstadt
76. Mit 18 km/h durch den Prater: Die Liliputbahn
77. Mit dem Schiff zum Stubentor: Der Wiener Neustädter Kanal
78. Mit der „Ruckerlbahn“ ins Gebirge: Die Kahlenbergbahn
79. Vom Stellwagen zur hypermodernen U-Bahn: Das Wiener Verkehrsnetz
80. Wege und Irrwege: Die Wiener U-Bahn
81. Um die Hektik des Alltags zu bannen:
Archäologie und Kunst in der U-Bahn
XIII. Außergewöhnliche Friedhöfe
82. Romantik des Todes: Der Friedhof St. Marx
83. Ein begrabener Friedhof: Der jüdische Friedhof Seegasse
84. „Vom Vergessen überwachsen…“: Der Währinger jüdische Friedhof
85. Von der Natur überwucherte Morbidität: Der Friedhof der Namenlosen
XIV. Museen, die es nicht in jeder Stadt gibt
86. Wo einem die Haare zu Berg stehen: Das Wiener Kriminalmuseum
87. Der letzte Weg: „… a scheene Leich …“: Das Bestattungsmuseum
XV. Denkmäler mit Geschichte und Geschichten
88. Jahrelanger Streit um ein Denkmal:
Mahnmal gegen Krieg und Faschismus
89. Ein russischer Soldat vor einem Barockpalais:
Das Denkmal der Roten Armee
90. Erinnerungen an einen Diktator: Die Stalingedenktafel
91. Denkmäler auf Wanderschaft: Ein Platz für die Ewigkeit?
XVI. Hell und dunkel
92. Einst ein mächtiges Gewässer: Der Wienfluss
93. Die Unterwelt des Harry Lime: Das Wiener Kanalsystem
94. Es werde Licht: Kommunale Beleuchtung
95. Gegenwelt zur imperialen Pracht:
Geheimgänge unter Wiens Prachtboulevard
Register
Sie hatten Kanalanlagen, wie sie in Wien erst wieder im 19. Jahrhundert erbaut wurden, öffentliche Badeanlagen und selbstverständlich Fußbodenheizungen, denn das Klima in der Garnison an der Donau war im Winter doch rau. Ja, römische Offiziere lebten auch in den fernen Provinzen nach einem hohen Lebensstandard.
Bei Bauarbeiten in den Jahren 1948/1949, aber auch in späteren Jahren wurden unter dem Hohen Markt Häuser von Tribunen, ranghohen Offizieren des römischen Lagers Vindobona, gefunden. Die reich ausgestatteten Häuser standen an der Lagerhauptstraße, ihre Besitzer waren die neben dem Kommandanten höchstgestellten Personen der Lagerhierarchie. Unter ihrem Kommando standen etwa 7.000 Mann einer Legion.
Diese hoch stehende Zivilisation, die sich aus den Funden – Keramikscherben, Münzen, Metallgegenstände, Mauerreste, Wandbemalungen, Steindenkmäler – rekonstruieren lässt, wurde durch die Wirren der Völkerwanderung unterbrochen. In der Vita Severini des Eugippius († nach 533), der Lebensbeschreibung des hl. Severin, der im 5. Jahrhundert an der Donau missionierte, wird recht anschaulich beschrieben, wie sich die römischen Besatzer, die wahrscheinlich schon mehrere Generationen in Vindobona ansässig waren, nach dem Süden zurückzogen. Von der keltischen Bevölkerung und allen jenen, die nicht mit den Römern mitzogen, blieben nur wenige in der Stadt zurück. Sie flohen vor den hereinbrechenden Völkermassen in abgelegene Täler.
Die Stadt selbst wurde in den kommenden Jahrhunderten als riesiger Steinbruch genutzt, die Steine der Häuser fanden in neu errichteten Bauten Verwendung. So wurden für die Vorläuferkirche des Stephansdomes einzelne Steinplatten wieder verwendet, etwa die Grabinschrift eines Soldaten der 10. Legion, wie jüngste Ausgrabungen unter dem Dom bewiesen.
Anlässlich von Bauarbeiten auf dem Michaelerplatz wurden 1990/91 neben den Fundamenten des alten Burgtheaters und barocken Kellern Reste der canabae legionis (= Vorstadt des Legionslagers) entdeckt. Man fand Werkstätten, aber auch mit Wandmalereien ausgestattete Wohnhäuser. Um Wienbesuchern einen Begriff von der römischen Vorzeit der Stadt zu geben, wurde am Michaelerplatz ein Schlitz offen gelassen (Gestaltung Hans Hollein). In diesem „Schnitt durch die Zeit“ kann man auch römische Reste sehen. In römischer Zeit war der heutige Michaelerplatz der Schnittpunkt zweier wichtiger Fernstraßen: Die eine führte von Klosterneuburg entlang des Limes (= Grenzbefestigung entlang der Donau, wörtlich Schwelle) über die römische Zivilstadt am Rennweg nach Carnuntum, die zweite aus dem Südtor des Lagers nach Süden Richtung Aquae (= Baden), das schon damals wegen seiner Schwefelquellen ein beliebter Wellnessort war.
In einer Nische am Haus Schönlaterngasse 7, dessen Grundmauern bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, ist eine seltsame Plastik zu sehen, darunter befindet sich eine Wandmalerei mit einer Inschrift, die in längst vergangene Zeiten zurückführt:
Im Hausbrunnen des habgierigen Bäckermeisters Martin Garhiebl sei eine Art Drache heimisch gewesen, der jeden, der in seine Nähe kam, mit seinem Gifthauch getötet habe. Wer ihn aber erblickte, der musste das Zeitliche segnen. Nur der in die Tochter des Bäckermeisters verliebte Geselle habe Rat gewusst. Er habe dem Ungeheuer einen Spiegel vorgehalten, sodass dieses vor Schreck über seine eigene Hässlichkeit zersprungen sei. Diese alte Überlieferung wurde schriftlich erstmals von Wolfgang Lazius, Humanist und Professor der medizinischen Fakultät der Wiener Universität, Mitte des 16. Jahrhunderts festgehalten.
Ein – der Legende nach – beim Graben des Hausbrunnens im Jahr 1212 aufgefundener bizarrer Gesteinsbrocken wurde als ein Teil des sagenhaften Basilisken, eine Kreuzung zwischen Hahn und Kröte, gedeutet und erhielt noch zusätzlich eine Bemalung, um das Scheusal deutlicher erkennen zu lassen.
Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts wie der Geologe Eduard Suess haben den Gesteinsbrocken als Sandsteinkonglomerat und die giftigen Gase in einem Brunnen als austretendes Erdgas erklärt. Die Bezeichnung Basilisk soll auf einen Herrn Heinrich Pollitzer zurückgehen, der sich ganz bescheiden „Doktor der Weltweisheit“ nannte. Der ursprüngliche „Basilisk“ blieb nicht erhalten. Heute erinnert neben der merkwürdigen Figur, die aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammt, auch noch an der Rückseite des Hauses die Drachengasse, eine Sackgasse, die vom Fleischmarkt her führt, an diese Geschichte.
Die Menschen des Mittelalters ließen sich gerne von Versteinerungen oder eigentümlich geformten Gesteinen zu unheimlichen Geschichten inspirieren. So gab es mit Fossilien oder mit seltsam geformten Fischskeletten besonders in Frankreich und Flandern einen florierenden Handel: Man verkaufte diese Relikte als „Ungeheuer“ aus dunkler Vorzeit – die ewige Faszination des Wunderbaren oder Grausigen …
Die Gegend um die Griechengasse zählt zu den ältesten Vierteln der Stadt. Vor allem Höhenunterschiede und Straßenverlauf lassen die Enge der mittelalterlichen Stadt deutlich erahnen. Schwibbögen und kaum mehr als eineinhalb Meter breite Gassen ließen seinerzeit höchstens ein Pferd passieren. Der geradezu hügelige Hafnersteig und der merkliche Niveau-Unterschied hinunter zum Donaukanal machen deutlich, dass der Hauptstrom der Donau einst meist träge dahin floss.
Der Name Griechengasse geht auf die griechischen Kaufleute zurück, die vor allem nach dem Frieden von Passarowitz (1718) mit den Türken in diesem Viertel sesshaft wurden. Zuvor hatte das Viertel „Unter den Hafnern“ geheißen, was sicher auf eine Gewerbebezeichnung zurückgeht. Das heute als „Griechenbeisel“ bezeichnete Gasthaus hieß früher „Zum roten Dachel“. Der Sage nach hat in diesem Lokal 1679, im Jahr der großen Pest, der Volkssänger Augustin sein berühmtes Lied „Oh, du lieber Augustin, alles ist hin …“ kreiert.
Das Haus Griechengassse 4 – 6, der so genannte Steyerhof, geht in seiner Bausubstanz auf gotische Zeit zurück. Seine Fassade ist heute ein wesentliches Dokument der Stadtentwicklung, denn was von den alten Bauteilen noch übrig war, wurde freigelegt und restauriert. So kann man an diesem Haus einen Querschnitt durch die Geschichte betrachten, von schmalen Rundbogenfenstern bis zu fast quadratischen Renaissancefenstern, umrahmt von Fassadenschmuck. Gotische Säulchen und altes Steinmauerwerk, Aufstockungen und Bauerweiterungen, Veränderungen am Verlauf der Fassade – alles ist an diesem „Sprechenden Haus“ abzulesen. Bemerkenswert ist auch das schräg zur Baulinie verlaufende Tor.
In der Griechengasse 5 erbaute 1803 der Architekt Franz Wipplinger ein Gotteshaus für die griechisch-nichtuniierte Glaubensgemeinschaft, welches von einem klassischen Giebel mit einem Relief, das den hl. Georg darstellt, überragt wird.
Das Haus in der Griechengasse 7 stammt aus dem 17. Jahrhundert und wird von einer Marienstatue mit einer schmiedeeisernen Rokokolaterne geschmückt. Im Hof des Hauses hat sich noch ein gotischer Wohnturm erhalten.
Das gotische Bürgerhaus „Zum großen Jordan“ aus dem 14. Jahrhundert gehörte bis 1421 dem Wiener Juden Hocz. Im Zuge der Wiener Geserah, der ersten großen Judenverfolgung in der Geschichte Wiens, wurde das Haus durch Herzog Albrecht V. konfisziert und wechselte darauf mehrmals den Besitzer. Seit Ende des 15. Jahrhunderts befand es sich im Eigentum von Georg Jordan, der das noch erhaltene Relief von der Taufe Christi im Jordan – eine Anspielung auf seinen Namen – anbringen ließ, aber auch die antisemitische Inschrift in lateinischer Sprache, die sich auf die Wiener Geserah bezieht. Das Wort Geserah ist ein hebräischer Begriff (wörtlich: eine böse Verordnung), der die Verfolgung von Juden durch nichtjüdische Machthaber bezeichnet.
Am 23. Mai 1420 wurden alle Wiener Juden verhaftet und vor die Entscheidung gestellt, sich entweder zwangstaufen zu lassen oder der Folter unterzogen zu werden. Auslösendes Moment für diese grausame Verfolgung war die Vermutung, dass die Juden Kontakte zu den Hussiten hätten, mit denen Herzog Albrecht V. sich im Streit befand. Außerdem wurde berichtet, dass sie angeblich ein luxuriöses Leben führten, d. h. über viel Geld verfügten. Das war Wasser auf die Mühlen des Herzogs, der stets Geld brauchte – in erster Linie zur Bekämpfung der Hussiten. Doch das von den Juden abgepresste Geld brachte dem Herzog keinen Sieg, sondern nur einen Waffenstillstand.
Manche der jüdischen Familien ließen sich taufen, kehrten aber später wieder zur Religion ihrer Väter zurück. Um der Taufe zu entgehen, entschieden sich viele Juden zu einem Massenselbstmord in der Synagoge. Schließlich blieben 210 standfeste Juden über, die weder die Geldverstecke preisgaben noch sich taufen ließen. Sie wurden der Hostienschändung beschuldigt – eine in dieser Zeit häufig erhobene fälschliche Anschuldigung – und schließlich zum Tode verurteilt. Am 12. März 1421 wurden sie in Erdberg auf der Gänseweide verbrannt, ihr Vermögen wurde vom Herzog eingezogen. Die Synagoge ließ Albrecht abbrechen und die Steine für den Bau der Universität verwenden. Der wirtschaftliche Schaden für die Stadt durch die Vertreibung der Juden war verheerend.
Zu Ende des 20. Jahrhunderts, sensibilisiert durch die grauenvollen Geschehnisse des Holocaust, fiel die Entscheidung, die antisemitische Gedenktafel des Jordanhauses nicht zu entfernen, sondern durch eine zweite, kommentierende Tafel zu ergänzen. Die am 29. Oktober 1998 angebrachte Inschrift, deren Text von Christoph Kardinal Schönborn, dem Wiener Erzbischof stammt, nimmt ausdrücklich von der Untat der Wiener Geserah ausgehend Stellung zum Holocaust und betont die Mitschuld der Christenheit an der Verfolgung der Juden.
Die Fundamente der Synagoge wurden erst im 20. Jahrhundert unter dem Judenplatz wieder entdeckt und in einer beeindruckenden musealen Gestaltung zugänglich gemacht.
Die britische Künstlerin Rachel Whiteread errichtete 2000 auf dem Judenplatz ein Mahnmal an den Holocaust in Form einer nach außen gekehrten Bibliothek. Dieses Denkmal kann als Assoziation auf das Judentum als eine Religion des Buches verstanden werden, weist aber auch auf die kulturelle Ausdünnung durch die Vertreibung und Ermordung tausender Wiener Juden hin.
„Kiddusch HaSchem“ heißt „Heiligung Gottes“. Mit diesem Bewusstsein wählten Juden Wiens in der Synagoge hier am Judenplatz – dem Zentrum einer bedeutenden jüdischen Gemeinde – zur Zeit der Verfolgung 1420/21 den beschriebenen Freitod, um einer von ihnen befürchteten Zwangstaufe zu entgehen. Christliche Prediger dieser Zeit verbreiteten abergläubische judenfeindliche Vorstellungen und hetzten gegen die Juden und ihren Glauben. So beeinflusst nahmen die Christen in Wien dies widerstandslos hin, billigten es und wurden zu Tätern. Somit war die Auflösung der Wiener Judenstadt 1421 schon ein drohendes Vorzeichen für das, was europaweit in unserem Jahrhundert während der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft geschah. Mittelalterliche Päpste wandten sich erfolglos gegen den judenfeindlichen Aberglauben, und einzelne Gläubige kämpften erfolglos gegen den Rassenhass der Nationalsozialisten. Aber es waren deren viel zu wenige. Heute bereut die Christenheit ihre Mitschuld an den Judenverfolgungen und erkennt ihr Versagen. „Heiligung Gottes“ kann heute für die Christen nur heißen: Bitte um Vergebung und Hoffnung auf Gottes Heil.
Die Häusergruppe auf der Mölkerbastei – die Bezeichnung Mölker leitet sich vom nahe gelegenen Melkerhof ab – bildet eines der wenigen erhaltenen Biedermeierensembles der Wiener Innenstadt. Es sind typische Bürgerhäuser, erbaut nach der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, die beispielhaft für das bescheidene Wohnbedürfnis dieser Epoche stehen. Die Häuser schmiegen sich auf der Bastei eng aneinander, unauffällig und zurückhaltend.
Doch hat in diesem Viertel stets viel Prominenz gewohnt: Im Haus Mölkerbastei Nr. 5 lebte zwischen 1881 und 1906 Generaloberst Friedrich Graf Beck-Rzikowsky, Chef des k. u. k. Generalstabes. Von 1903 bis 1936 hatte Anton von Eiselsberg, der berühmte Chirurg und Schüler von Theodor Billroth, hier seine Wohnung.
Das Haus Mölkerbastei Nr. 8, von Peter Mollner für Johann Baron von Pasqualati als Zinshaus erbaut, diente dem unsteten Ludwig van Beethoven in den Jahren 1804 bis 1815 mehrfach als Heimstatt. Der Hausherr war mit dem Komponisten eng befreundet – noch heute erinnert ein Gedenkraum an das Musikgenie. Seit 1947 ist auch das Adalbert Stifter-Museum im Pasqualati-Haus untergebracht.
Im Haus Nr. 10 wohnte Ottilie von Goethe, die Gattin von August von Goethe, dem Sohn des großen Dichters. Deren Tochter Alma, also eine Enkelin des Dichterfürsten, starb hier im Alter von 17 Jahren. Die Grabrede auf Alma hielt der Dichter Franz Grillparzer. Dass sie das Modell für die krönende Frauenstatue des Austriabrunnens auf der Freyung gewesen wäre, gehört allerdings ins Reich der Legende.
Im Vorgängerbau des Hauses Nr. 12 schließlich logierte Feldmarschall Charles Joseph Fürst de Ligne, der „rosarote Prinz“, von dem das Bonmot über den „tanzenden“ Wiener Kongress stammt. Das Haus Mölkerbastei Nr. 1 bzw. Schreyvogelgasse Nr. 10, ein Bürgerhaus des josephinischen Klassizismus, wird zwar Dreimäderlhaus genannt, eine Beziehung zu Franz Schubert und der gleichnamigen Operette von Heinrich Berté ist allerdings nicht belegt.
Die Bastei selbst, der größte kompakt erhaltene Teil der nach 1857 geschleiften Stadtmauer, auf der die Häuser errichtet wurden, bedarf dringend einer Restaurierung. Doch derzeit besteht ein Zuständigkeitskonflikt zwischen der Stadt Wien, die für das Ziegelmauerwerk und dessen Erhaltung verantwortlich ist, und dem Bundesministerium für Inneres, zu dem der seinerzeitige Stadterweiterungsfonds ressortiert und der seit damals die Rampen verwaltet. Die Stadt Wien, die den gesamten Komplex erwerben möchte, steht in Verkaufsverhandlungen.
Der Vorgängerbau des Hauses Am Lugeck – Regensburger Hof genannt, weil er als Lagerplatz der Regensburger Kaufleute diente – gehörte im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts dem Wiener Bürger und Bankier Niklas Tischler. Als für den Februar 1470 ein Zusammentreffen des ungarischen Königs Matthias Corvinus mit dem Habsburger Kaiser Friedrich III. zur Verhandlung der komplizierten Erbfrage in Ungarn und Böhmen und überhaupt zur Streitbeilegung vereinbart wurde, stellte Tischler dem Ungarnkönig sein Haus zur Verfügung. Dieser traf am 11. Februar dieses Jahres mit 1.500 Berittenen in Wien ein, eine machtvolle Demonstration von Stärke und Reichtum, die den immer an Geldmangel leidenden Friedrich, der wegen seiner bedächtigen Art den nicht sehr schmeichelhaften Beinamen „des Reiches Erzschlafmütze“ trug, sicherlich nicht erfreute. Trotzdem fanden zahlreiche gesellschaftliche Ereignisse statt, wie ein Turnier am Neuen Markt, an dem der König persönlich teilnahm, oder Bälle im Hause Tischler.
Die Verhandlungen selbst gingen äußerst zäh voran, kaum wurden Übereinstimmungen erzielt. Die drohende Türkengefahr hätte die beiden auf eine Einigung einschwören sollen, doch verletzte Eitelkeiten wurden wie so oft in der Geschichte Ursache des Verhandlungsabbruchs. König Matthias, der verwitwet war und sich auf Brautschau begab, da er keinen legitimen Nachfolger hatte, warb bei Kaiser Friedrich III. um dessen Tochter Kunigunde. Doch er erhielt eine brüske Abfuhr, weil er vom Habsburger als nicht ebenbürtig angesehen wurde. Daraufhin verließ Matthias wütend und verletzt am 13. März Wien. In der Folge gab es zwischen den beiden einen jahrelangen Kleinkrieg und größere Feldzüge, die in der Eroberung Wiens durch den ungarischen König im Jahre 1485 gipfelten. Fünf Jahre regierte der Corvine in Wien und vermochte die Wiener Bürger auf seine Seite zu ziehen. Der Bankier Tischler spielte bei den Kapitulationsverhandlungen 1485 und in den nächsten fünf Jahren als Parteigänger des Corvinen eine wichtige Rolle in der Stadt. Wäre Matthias nicht tragischerweise und völlig überraschend 1490 in Wien ohne legitimen Nachfolger gestorben, so wäre Wien heute möglicherweise eine ungarische Stadt. Ein abgewiesener Bräutigam und sein verletzter Stolz können Geschichte schreiben!
Seit 1990 befindet sich am Regensburger Hof eine Gedenktafel für Matthias Corvinus. Damit findet der ungarische Herrscher, der 1485 Wien nicht nur militärisch bezwungen hatte, sondern auch während seiner fünfjährigen Residenz viele positive, vor allem kulturelle Akzente für die Stadt setzte, eine späte Würdigung.
An drei Plätzen der Stadt haben sich Teile der Stadtmauern erhalten, die die einstige Wucht dieser Befestigungsanlagen erahnen lassen. Die Reste der Coburgbastei, der Dominikanerbastei und der Mölkerbastei sind die letzten Zeugen dafür, dass sich seit dem Hochmittelalter eine Mauer rund um die Stadt zog.
Die erste durchgehende Stadtmauer wurde um das Jahr 1200 errichtet, nachdem man für die Freilassung des in Wien gefangen genommenen Königs Richard Löwenherz eine stattliche Summe Geldes von England erpresst hatte. In den folgenden Jahrhunderten wurde an den Mauern nicht viel geändert. Und als Wien 1485 von den Ungarn erobert wurde, hatten nicht die Mauern versagt, sondern die Stadt wurde vor allem wegen des herrschenden Nahrungsmangels übergeben.
Die nächste große Bedrohung entstand für Wien durch das offensive Osmanische Reich, das seine Eroberungszüge bis unter die Mauern des „Goldenen Apfels“, wie Wien in der osmanischen Geschichtsschreibung bezeichnet wird, ausdehnte. 1529 standen die Türken erstmals vor den Toren der Stadt. Eilig waren damals die bestehenden Befestigungen verstärkt und ausgebaut worden. Nachdem das Heer von Süleyman dem Prächtigen, nach einer vergeblichen Belagerung und von Seuchen geschwächt, wieder abgezogen war, erfolgten bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts noch weitere Neubauten an den Mauern. So wurde etwa die Dominikanerbastei erst 1544 errichtet.
Grundsätzlich wurden die Stadtmauern, soweit man das rekonstruieren kann, zuerst aus Erde angehäuft und dann mit Mauerwerk ummantelt. Im Bereich des Mauerzugs gab es immer wieder vorspringende Basteien, von denen aus der Feind von zwei Seiten unter Feuer genommen werden konnte. Zwischen den Basteien wurden – den Mauern vorgelagert – so genannte Ravelins errichtet, einzeln stehende Befestigungswerke, deren Kanonen das Vorfeld nach vielen Seiten bestreichen konnten. Die Höhe der Mauern lässt sich in etwa mit acht bis zehn Metern schätzen, zum Teil mögen sie höher gewesen sein, je nachdem, wie tief der Graben jeweils freigelegt wurde. Denn in Friedenszeiten war der rund 20 Meter breite Stadtgraben nichts anderes als eine große Mülldeponie. Bei den Restaurierungsarbeiten für das Palais Coburg wurden Reste der Dominikanerbastei gefunden, die bis zwölf Meter unter das heutige Straßenniveau reichen.
Den nächsten großen Schrecken erlebten die Wiener mit der Zweiten Türkenbelagerung 1683, als die Stadt tatsächlich beinahe erobert worden wäre. Denn den osmanischen Minen und Sprengsätzen waren die Stadtmauern nicht gewachsen. Lediglich das herannahende Entsatzheer konnte die Katastrophe im letzten Moment verhindern. Als Wien 1805 und 1809 von den Franzosen eingenommen wurde, spielten die Festungsmauern schon längst keine Rolle mehr, denn sie hätten den Kanonen ohnehin nicht standhalten können. 1809 ließ Napoleon eher zur Demonstration seiner Macht, denn zur Beseitigung einer gefürchteten Verteidigungsanlage die Burgbastei sprengen – die Befestigungen hatten endgültig ausgedient. Nun war es nur mehr eine Frage der Zeit bis zu ihrer totalen Schleifung, die mit kaiserlicher Order von 1857 eingeleitet wurde. Anstelle der Stadtmauern entstand der Prachtboulevard der Wiener Ringstraße.
Bis vor wenigen Jahren ging man in den kunsthistorischen Beschreibungen des Domes von St. Stephan davon aus, dass die beiden „Fenstergucker“, jene männlichen, sich aus dem Fenster lehnenden Figuren an der Kanzel und am Orgelfuß, von der Hand eines einzigen Meisters stammen, nämlich vom Dombaumeister Anton Pilgram, der sich beim Porträt am Orgelfuß mit seinem Monogramm MAP und der Jahreszahl 1513 verewigte.
Die stilistischen Unterschiede zum Fenstergucker an der Kanzel erklärte man mit unterschiedlichen Schaffensperioden des Meisters: Der Kanzelfuß und damit die ganze Kanzel seien ein Frühwerk Pilgrams, da das Porträt noch sehr formalistisch erscheint, während jenes am Orgelfuß deutlich realistischer ausgefallen sei.
Über lange Zeiträume wurde Ähnlichkeit mit Identität gleichgesetzt, und damit wurde die Kanzel in ihrer unglaublich filigranen räumlichen Konstruktion auch Meister Pilgram zugeschrieben.