Aber kann man denn nicht blau sein UND schlau, frage ich. Manche ja, sagt sie, und manche nicht. (Else Buschheuer, Die eingebildete Trinkerin)
Es beginnt im besten Fall am Tresen. Selbstverständlich kann man auch woanders trinken, aber wenn ein Tresen verfügbar ist, findet man mich da. In möglichst wenig rückenschonender Haltung, vornübergelehnt, die Hände gefaltet wie zum Gebet.
Der Tresen ist der Altar, den die Menschen dem Alkohol gebaut haben. Er ist zu nichts weiter gut, als um dort zu trinken. Man sitzt häufig unbequem und weiß auch nicht, wohin mit seinen Füßen, der Blick geht auf die Flaschenregale, die man selten interessiert mustert; ich jedenfalls weiß meistens schon vorher, was ich trinken will. Der Barkeeper huscht vorbei, um hier ein Glas zu spülen oder dort eine Schale mit Nüsschen aufzufüllen; zwischendurch macht er mir mein Bier voll, oder was immer ich auch trinke, und nickt mir zu oder nicht.
Neben mir sitzen Menschen, die mich beäugen oder ignorieren. Ich werde oft beäugt, denn ich bin meistens der Jüngste am Tresen, Leute meines Alters scheinen es nicht zu mögen, hier zu sitzen. Bis heute habe ich nicht herausfinden können, warum das so ist; manchmal denke ich, sie sind zu gerne unter sich.
Dieser Verdacht hat mich in Neukölln befallen. Ich habe dort lange gewohnt, damals schon, als es noch als Blinddarm Kreuzbergs galt, als schmuckloses Anhängsel, von dem niemand wusste, wozu es eigentlich gut ist. Hier habe ich den Tresen lieben gelernt, weil es eine recht diversifizierte Eckkneipenlandschaft gab, die vor allem von Leuten besucht wurde, über die kein Nachwuchsjournalist Artikel in Szenezeitungen schreibt. Es war neonfreies Land. Die meisten Besucher kannten sich schon eine ganze Weile, mindestens vom Sehen, und wenn sie sich nichts erzählten, saßen sie herum und starrten ihr Bierglas leer, im Hintergrund lief Fußball oder Schlager. Wenn ich hereinkam, beäugten sie mich, denn ich sah aus, wie später ganz Neukölln aussehen sollte, und war auch so: Hut auf dem Kopf, irgendwas mit Medien, wie einem Hund aus dem Friedrichshain entlaufen. Später wollte man in mir einen Reiter der Gentrifizierung gesehen haben, einen Boten der Verdrängung. Es würden dann Leute wie ich sein, mit deren Kommen die Mieten stiegen und der Wohnraum knapp wurde. Zu jener Zeit aber war ich noch ein kurioses, possierliches Tierchen; denn ähnlich dem Meer, das sich vor einem Tsunami weit zurückzieht, hatten die meisten Künstler und Tagträumer Neukölln während der 90er verlassen, um Friedrichshain und Prenzlauer Berg zu bevölkern. Erst als es dort zu voll wurde, strömten sie mit Naturgewalt zurück in die überlebensgroßen Wohnungen Neuköllns.
Ich wollte mich einfügen, also suchte ich mir einen Platz zum Trinken.
Es gibt drei Orte, an denen man Fremden in einer Bar begegnen kann: einmal auf der Toilette, wobei man die dortigen Gespräche nicht ohne weiteres im Schankraum fortsetzen kann. Dann an den Spielen, vor allem am Kicker; dort allerdings sagt man nicht viel, und wenn doch, sind es Schimpfworte, deutscher Smalltalk, wenn Wetter als Thema ausfällt.