© by Author
Ein CassiopeiaPress E-Book
Alle Rechte vorbehalten.
Ausgabe dieser Edition: 2010
www.alfredbekker.de
postmaster@alfredbekker.de
1. digitale Auflage 2015 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956173332
Alfred Bekker & W.A.Hary
Das Festival von Tasner
Science Fiction-Roman
Durchgesehene Neuausgabe
Die Originalausgabe erschien unter gleichem Titel 2003 im Mohlberg-Verlag.
Alfred Bekker & W.A. Hary
*
Israt N'Gaba blickte über die Skyline von Athen auf Alpha Centauri 2. Vom 156. Stockwerk des SYG-Towers aus hatte man einen prächtigen Blick über die Stadt, eine der bedeutendsten Mega-Metropolen im Bereich der Inneren Planeten.
Athen, dachte Israt. Es hat doch mal eine namensgleiche Stadt auf der Erde gegeben … Oder ist das nur eine Legende?
Die Stadt reichte bis zum Horizont, hinter dem jetzt das Licht von Alpha Centauri langsam versank.
Nein, antwortete Israt mit einem Gedankenimpuls der Pseudostimme, bei der es sich in Wahrheit um eine Impulsfolge handelte, mit der der interne Rechner des CyberSensors seine Hörnerven auf eine bestimmte Weise stimulierte.
„Ich weiß, daß das kein leichter Auftrag ist", meldete sich eine reale Stimme zu Wort.
Israt drehte sich herum, blickte dann in das Gesicht eines großen, kahlköpfigen Mannes in den mittleren Jahren, der hinter seinem Schreibtisch saß und auf Israts Antwort wartete.
"Warum ausgerechnet ich?" fragte Israt.
"Weil Sie einer unserer besten Leute sind. Das hat sich übrigens bis in die obersten Etagen von SYG herumgesprochen."
SYG …
Die Abkürzung für Saretto-Yilmaz-Gerland.
Sein halbes Leben hatte Israt im Dienst dieses Konzerns verbracht. In den letzten Jahren hatte er immer wieder mit einem Wechsel geliebäugelt, weil er den Eindruck gehabt hatte, daß es für ihn einfach keinen Weg nach oben gab. Jedenfalls nicht bei SYG.
Und jetzt …
Warum glaube ich ihm nicht?
"Ich war noch nie im Bereich der Rand-Föderation", gab Israt zu bedenken."
"Das gilt für viele. Bedenken Sie die lange Zeit der Isolation zwischen dem Rand und Iplan …"
"Aber es gibt inzwischen Leute, die dort waren. Auch bei SYG."
Der Kahlkopf machte eine wegwerfende Geste.
"Ihre anderen Qualitäten wiegen das auf", behauptete er.
Israt musterte den Kahlkopf zweifelnd.
Lester Benjo.
Wie lange kennst du ihn schon? Eine Ewigkeit …
Und wie lange versucht er schon, dich klein zu halten? Warum nur diese Wandlung?
Der CyberSensor zeigte Israt in diesem Moment im Gesichtsfeld des linken Auges die Börsenkurse von Iplan City, Mars, Sol-System. Mit einem mentalen Impuls verkaufte Israt gerade noch rechtzeitig seine Anteile an der Natama-Gruppe. Schlechte Prognosen zum weiteren Ausbau des Transmitternetzes in den Äußeren Kolonien hatten den Kurs dieses in der Rohstoffgewinnung tätigen Unternehmens in die Tiefe gerissen.
Lester Benjo beobachtete Israt grinsend.
Natürlich konnte er nur ahnen, was Israts CyberSensor seinem Benutzer auf die Netzhaut projizierte, aber er kannte seinen Untergebenen gut genug, um sich vorstellen zu können, welches Programm dort jetzt ablief.
"Die Spekulationsgeschäfte, die Sie nebenbei betreiben …"
"Ich habe eine Erlaubnis der Konzernleitung dafür!" verteidigte sich Israt.
Lester Benjo lachte. Er entblößte dabei zwei Reihen makelloser Zähne.
"Klar, ich weiß. Ich will auf etwas anders hinaus."
"Und das wäre?"
"Sie werden dort nicht die Kurse verfolgen können … Das GalaxyNet läßt sich im Bereich der Rand-Föderation nicht empfangen."
Israt zuckte die Achseln.
"Ich habe davon gehört."
Lester Benjo erhob sich aus seinem Schalensitz.
Sein Kopf zuckte.
Er blickte plötzlich ziemlich angestrengt.
Israt vermutete, daß die Pseudostimme seines CyberSensors ihm irgend etwas ins Ohr flötete.
Vielleicht erinnerte ihn sein System an den nächsten Termin? Sekunden später war Benjo wieder vollkommen konzentriert. Er ging auf Israt zu, sah ihm direkt in die Augen.
"Die Regierung der Rand-Föderation gibt uns die Chance, unser Können im Terraforming-Bereich unter Beweis zu stellen. Daran könnten sich weitere Aufträge anschließen. Sie wissen, daß zur Zeit der Kalten Konfrontation viele Terraforming-Projekte im Bereich der Randföderation nicht fertiggestellt werden konnten …"
"Jede Menge halbfertige Planeten. Ich weiß. Allerdings frage ich mich, ob der Rand jetzt die Mittel hat, sie zu beenden."
"Man munkelt von Bürgschaften der Iplan-Bundesregierung."
Israt hob die Augenbrauen.
"Ein sicheres Geschäft also."
"Fragt sich nur, ob für uns oder die Konkurrenz."
Israt begriff, daß er den Auftrag, in die Randföderation zu gehen, nicht ablehnen konnte. Ganz gleich, was für Hintergedanken Benjo dabei auch hatte und wie hoch die Wertschätzung der Konzernleitung für Israt tatsächlich war.
Benjo stieß mit der Faust gegen Israts Oberarm.
"Hören Sie, ich weiß, daß Sie sich mit dem Gedanken getragen haben, uns zu verlassen …"
"Aber …"
"Und wenn Sie das richtige Angebot gekriegt hätten, würden wir uns jetzt gar nicht unterhalten."
Israt atmete tief durch.
"Wollen Sie mir daraus einen Vorwurf machen?"
"Nein, aber ich bin für offene Karten."
Ach, jetzt auf einmal? Nach all den Jahren? Ich lerne doch immer noch neue Seiten an dir kennen, Lester Benjo …
Israt schwieg.
Er biß die Lippen zusammen, die jetzt wie ein dünner Strich wirkten.
"Es ist vielleicht Ihre letzte Chance, N'Gaba."
Warum hat das Wort Chance, mit deinem Mund ausgesprochen, immer so einen merkwürdigen Beiklang, Benjo?
"Was ist das für eine Welt?" fragte Israt.
"Tasner."
"Nie davon gehört."
"Kein Wunder. Ein Haufen Gestein am Rande der Galaxis, aus dem irgendwann mal jemand einen richtigen Planeten machen wollte und dann auf halben Wege damit aufgehört hat …"
"Deprimierend."
"Ich sagte ja gerade, ich bin für offene Karten."
Israt horchte auf.
Jetzt kommt noch irgend etwas Unangenehmes.
Er kratzte sich am Kinn.
Mit einem Mentalbefehl blendete er die Börsenkurse aus der Netzhautanzeige und ließ sich statt dessen ein paar Informationen über Tasner suchen.
Aber selbst im GalaxyNet konnte man nicht allzuviel darüber finden. Die wenigen Files lud er sich in den internen Speicher seines CyberSensors. Er würde sich später damit beschäftigen.
"Sie sind nicht der erste, den wir nach Tasner schicken", erklärte Lester Benjo.
Israt lächelte dünn.
Aha, zweite Wahl bin ich also auch noch!
"Kenne ich den Betreffenden?"
"Sie hieß Tembora Gregory."
"Ich bin ihr mal bei einem Meeting begegnet. Allerdings nur virtuell."
"Real sieht sie noch besser aus", grinste Benjo.
"Was ist mit ihr geschehen?"
"Wir wissen es nicht."
"Wie bitte?"
Benjo zuckte die Achseln.
"Es ist so, wie ich gesagt habe. Tembora Gregory ist einfach verschwunden …"
*
Wie lange ist es eigentlich schon her, daß du das Innere eines Raumschiffs betreten hast? ging es Israt N'Gaba durch den Kopf, kurz nachdem die SARATERA gestartet war.
Das Transmitternetz reichte bis Padras, einer Welt, die zu den sogenannten Äußeren Kolonien gehörte. Wer von dort aus weiter in Richtung des galaktischen Randes reisen wollte, der mußte wohl oder übel ein Raumschiff nehmen.
In der Rand-Föderation waren Transmitter unüblich.
Israt blickte aus einem der Sichtfenster und nippte dabei an seinem pechschwarzen Kaffee.
Er hielt sich abseits der übrigen Passagiere und hing seinen Gedanken nach. Eine ziemlich bunt zusammengewürfelte Gruppe hatte sich an Bord der SARATERA eingefunden. Zumeist handelte es sich um Geschäftsleute, die genau wie Israt im Auftrag ihrer Firmen in den Rand unterwegs waren. Noch war der Rand kein Markt. Aber man mußte an die Zukunft denken. Und der Zukunftsmarkt des galaktischen Randes wurde jetzt verteilt. Jeder Konzern, der ein Galactic Player bleiben wollte, mußte seinen Fuß in die Tür stellen. Das galt für SYG genauso wie für andere.
*
Juan Conqueiro, seines Zeichens Präsident der Rand-Föderation, war ein rundlicher Mann von beachtlicher Statur, so daß seine Kleidung notwendigerweise aus Sonderanfertigungen bestand.
Sein aufgeschwemmtes, von einem dünnen Bart umrahmtes Gesicht wirkte fast kindlich und ließ kaum etwas von dem unbarmherzigen Zorn erkennen, zu dem dieser Mann mitunter fähig war.
Gedankenverloren saß er in seinem pompös ausgestatteten Arbeitszimmer im Regierungs-Tower von Centropoli auf Centrum. Er spielte mit den Orden an seiner Uniformjacke herum.
Seine Stirn war feucht.
Er schwitzte.
Conqueiro litt an einer Krankheit, die kein gewöhnlicher Arzt zu heilen vermochte: an chronischer Unentschlossenheit. Für einen Mann in seiner Position ein mitunter tödliches Leiden.
Was tun?
Wie sich entscheiden?
Es war alles so ungeheuer kompliziert und verworren. Und zu alledem hatte er nach außen hin Entschlußkraft und Festigkeit zu demonstrieren.
In seinem Inneren fand sich davon jedoch so gut wie nichts.
Er wurde innerlich stets hin- und hergerissen zwischen sich gegenseitig widersprechenden Argumenten und Interessen, wobei es ihm unmöglich erschien, Prioritäten zu setzen.
Seine Unentschlossenheit, die ihre Wurzel – ebenso wie sein von Zeit zu Zeit aufflammender Jähzorn – in einem tief empfundenen Gefühl von Unsicherheit, Schwäche und Unterlegenheit wurzelte, machte ihn zu einem willfährigen Opfer von Beeinflussungen aller Art.
Da Conqueiro dieser Zusammenhang zur Hälfte bewußt war, fühlte er sich elend; da er ihm aber zur anderen Hälfte nicht bewußt war, tat er nichts dagegen.
"Darf ich Sie höflich darauf hinweisen, daß Sie sich jetzt zu Ihrer Verabredung mit Lakefield begeben müssen?" flüsterte ihm der kleine, elektronische Terminkalender ins Ohr.
Ein hochtechnologisches Produkt der Rand-Föderation, aber gemessen am Standard der Inneren Planeten ein Stück fürs Museum, ging es Conqueiro mit einer deutlichen Spur Sarkasmus durch den Kopf.
Die Hand, die gerade noch mit den Orden gespielt hatte, bedeckte jetzt kurz sein Gesicht. Eine fahrige Geste. Conqueiro erhob sich dann schwerfällig. Es machte ihm sichtlich Mühe, seinen Körper zu bewegen, obwohl er am Rücken ein Antigravaggregat trug, das ihm das Gehen erleichtern sollte.
Gedanken rasten durch sein Bewußtsein.
Alles wird sich ändern – jetzt, da die Zeit der kalten Konfrontation zwischen den Inneren Planeten und dem Rand vorbei ist. Nichts wird bleiben, wie es ist.
War das ein Grund, sich zu fürchten?
Für die Terroristen der Vereinigten Anti-Vernetzungsfront ist es sogar ein Grund zu töten!
Schwerfällig humpelte er in Richtung Tür.
Noch bevor er sie erreicht hatte, teilte sie sich selbsttätig. Drei Männer traten ihm entgegen. Zwei von ihnen waren bewaffnet, der dritte nicht.
"Kransom!" entfuhr es Conqueiro. "Wie kommen Sie hier herein?"
Dem Präsidenten war die Angst deutlich ins Gesicht geschrieben.
Wie sind Kransom und seine Leute mit den Strahlern im Anschlag durch die Sicherheitsbarrieren gekommen?
"Fragen Sie nicht soviel, Conqueiro", knurrte Kransom düster. "Kommen Sie lieber mit!"
"Was wird hier gespielt, verdammt noch mal?"
Der Präsident faßte sich krampfhaft an die Brust.
Diesmal nicht der Orden wegen, sondern auf Grund der Schmerzen in der Herzgegend, die ihn plötzlich befallen hatten.
"Eine Bombe befindet sich irgendwo im Regierungs-Tower", berichtete Kransom. "Unsere Leute tun alles, um sie rechtzeitig zu finden."
"Wahrscheinlich nur ein Spinner, der sich wichtig machen wollte."
"Nein, wir nehmen das diesmal sehr ernst."
"Wieso?"
"Wir haben entsprechende Erkenntnisse durch unsere V-Leute, die wir bei der Anti-Vernetzungsfront eingeschleust haben. Auf Centrum soll eine entsprechende Menge XCB-Sprengstoff eingeschmuggelt worden sein."
"XCB?" Der Präsident zuckte die Achseln. "Nie davon gehört."
"Kommt von den Inneren Planeten. Er hat den Nachteil, daß er durch unsere Sensoren nicht aufgefunden werden kann."
"Schöner Mist."
Ein Muskel zuckte in Conqueiros Gesicht.
Ein sarkastischer Gedanke kam ihm.
Die Anti-Vernetzungsfront scheint die Vorteile der Kontakte zu den Inneren Planeten bereits eifrig zu nutzen. Würde mich nicht wundern, wenn sich die Terroristen das Zeug über das GalaxyNet besorgt haben … Durch genau jenes Netz, das sie doch so vehement ablehnen!
Aber so etwas wie ideologische Zielkonflikte scheinen sie nicht zu kennen …
Conqueiros Hände zitterten leicht.
Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Eine Mischung aus Furcht und Ratlosigkeit breitete sich in dem mächtigsten Mann der Rand-Föderation aus.
Panik läßt sich nicht auf Dauer mittels Sarkasmus bekämpfen! meldete sich ein zynischer Kommentator in seinem Hinterkopf. Aber wodurch dann? Er wünschte sich einen Rundumschlag, mit der er alle Probleme mit einem Schlag zu lösen vermochte. Aber die Gegner, mit denen er es zu tun hatte, boten keinerlei Ziele.
Sie verfolgten die Taktik der tausend Nadelstiche, zogen sich sofort wieder zurück, wenn sie zugeschlagen hatten und waren einfach nicht zu fassen. Es war wie verhext. Und der Sicherheitsapparat von mehreren untereinander konkurrierenden Geheimdiensten war einfach nicht in der Lage, das Problem der Anti-Vernetzungsfront zu lösen.
Er musterte Kransom, seinen Sicherheitsminister, der unter anderem auch für die Geheimdienste zuständig war.
Ein ehrgeiziger Mann, skrupellos und ziemlich jung für die Position, die er erreicht hatte.
Du solltest niemandem trauen! dachte Conqueiro. Männern wie Kransom schon gar nicht.
"Nun kommen Sie schon!" forderte Kransom Conqueiro auf.
*
Später saßen sie sich an einem sicheren Ort gegenüber, irgendwo in den geheimen unterirdischen Anlagen des Geheimdienstes der Rand-Föderation.
Nur ein paar Minuten, nachdem Conqueiro den Regierungs-Tower verlassen hatte, war dort tatsächlich eine Bombe hochgegangen und hatte eine ganze Etage ausbrennen lassen.
Wenn Kransom nur ein wenig später aufgetaucht wäre! überlegte Conqueiro schaudernd.
Kein Zweifel, der Geheimdienstchef hatte ihm das Leben gerettet.
"Das war der fünfte Anschlag auf mein Leben innerhalb eines Monats!" stellte Conqueiro fest.
Kransom nickte gelassen.
Conqueiro schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
"Verdammt noch mal, wie kann so etwas geschehen?"
"Wir tun alles, was wir können."
"Dann ist es nicht genug!"