Thomas Kunst

Sonntage ohne Unterschrift

Roman


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Cover unter Verwendung der Fotografie

Matthias Hoch: New York, 2006

© 2015 VG Bild-Kunst Bonn

Sie zerstören einander in der unvermeidlichen Richtigkeit ihrer Umarmung.

Robert Kelly

INHALTSVERZEICHNIS

Cover

Titel

Verlagsinformation

Impressum

Zitat

I DIE BERGE VON CHOCORUA

PIER 40 GETRÄNKE UND JAHRESZEITEN

III LONG ISLAND SAISON OHNE HAFENSCHILDER

IV SCHIFFE IN ASIEN SAG NIE WIEDER VISCONTI

V CHESTERDALE, QUEENS

VI FABRIKEN IM WINTER DAS EDWARD HOPPER ALBUM

VII SCHOKOLADE UND BRAUSE, MEIN SCHWÄNLEIN ARMER PAZIFIK

VIII DER KATALOG DER MÜDEN HANDTÜCHER KINDER IN CHELSEA, CHELSEA DEINE HAARE GEBEN WOHL NIE AUF

IX THE OLD SOUTH

X DEINE UND MEINE SEKUNDEN, ZUSAMMEN

ANMERKUNGEN

I

DIE BERGE VON CHOCORUA

RAMADA MILFORD PLAZA, 27. JUNI, MEINE ÜBER ALLES JEAUJEAU. Ich bin von der Nützlichkeit des Heimwehs nicht mehr richtig überzeugt. Ich habe hier zwar genügend reinrassige Flieger gesehen, und wie leger sie von oben versuchen, mit ihren Unterseiten den Zentralen Park und die Island Abschwemmungen der beiden Flüsse in ihr Straßengitter mit aufzunehmen. Whiskey wäre jetzt noch besser. Ich habe hier oben zwar genügend reinrassige Flieger gesehen, aber keine Drachen, keine Schwäne auf Rädern in Chinatown. Die kleinste mögliche Metallkante hier, im fünfzehnten Flur, zum Öffnen meiner Corona Flaschen, ist der mechanische Einschnappmuskel im Schloß der Badezimmertür. Der Waschbeckenrand wäre zu rund. Die Gardine zu engmaschig. Und ein kurzer Fingernagel viel zu halbrosa dafür. Ich hatte mir alles gründlich überlegt. Von der fünfundvierzigsten Straße die siebte Avenue runter; Garment District, Chelsea, mit seinem Übergang zum West Village, der wohlhabendsten Ecke von Chelsea, Chelsea, das auch mit seinen wenigen puertoricanischen Erdgeschossen und Stoffgerüsten wohl nie wieder seinen ehemals proletarischen Akzent zurückbekommen würde, vorbei am Sonia Rosa in der Lexington, vorbei an Barney’s Herrenausstatter, Barney’s, das unlängst um einen beachtlichen Damen Flügel erweitert wurde, über die verlängerte Varick Street endlich auf den West Broadway, an SoHo und TriBeCa vorbei, noch immer keine Möwen und Wale, vielleicht erst in der South End Avenue, westlicher geht es fast nicht mehr, der Hudson schon nicht mehr mit Etagenverbot, die Sonne schon nicht mehr nur als blaue, silberne Klimafrucht, die Jogger, die Adressenhunde, die jungen, getönten Akademiker und die stillgelegten Yellow Cabs in Battery Park City. Ich hatte mir das alles gründlich überlegt,
ich wollte, von weitem,
der Spieler der beiden Flüsse sein.

Ich wollte mich einfach nur an die amerikanische Küste stellen und Sehnsucht nach Europa haben, Jeaujeau. Aber Flüsse haben nur eine sehr wahrscheinliche Küste. Und, das auch nur dann, wenn die letzten Stadtteile wirklich vor ihnen haltgemacht haben. Dabei liegt der East River viel dichter an Europa dran, vor allem nachts, das ganze einsame Gefunkel auf der Bowery, zwei Blocks südlich der Delancey, die bestimmt billigsten, jüdischen Kronleuchter der eigentlichen Staaten, die Allen Street mit ihren Juweliergeschäften und Antiquitätenlofts, alte Fabriken in ihrem leeren Konservierungstrauma, wie die gefangenen Gewitter endlich älter werden können, auf ihren luftigen Schienen aus Messing und Kupfer. Die Blitze tun dir schon nichts, wenn diese Gummi Dragees immer weiter friedlich zwischen deinen Zähnen bleiben. Ich wollte einfach nur ein wenig Sehnsucht nach Europa haben, Jeaujeau, mit geschlossenen Augen versuchen, mich an die Bildaufteilung, mich an die drei Motive einer Ansichtskarte von Lausanne-Ouchy zu erinnern, die bei mir zu Hause, auf dem Schreibtisch, an den Büchern lehnt. Mehr Wolken als Bäume. Die Alpen, wuchtig und mit religiösen Flecken, von hinten aus dem See gedrückt. Und Schiffe, Schiffe, die gerade von Montreux rübergekommen sind. Es kann aber auch nur ein Schiff gewesen sein, Jeaujeau. Du weißt doch selbst, wie eng erst Leiber und Gedanken aneinander liegen müssen, damit endlich ihr Plural sichtbar werden kann, ihre Chancen, ihre Gier und ihr gemäßigter Haß.

Ich wollte einfach nur ein wenig Sehnsucht nach Europa haben.
Dvorak konnte das doch auch.

Die Städte sind hier. Die Nächte sind hier. Deine drei Handtücher sind hier. Eins für den Mund. Eins für den Körper und eins für Augen, Zähne und all die anderen abgestrichenen Monate des Glücks. Für all diese Tage. Es war doch ein Glück, Jeaujeau. Dein Rock gehört dem Stuhl, noch immer, als wohntest du nur selten zart woanders. Das wollte ich so lassen. Sie trägt jetzt das Haar so wie du.
Unhochgebunden.

Auch sie nimmt eben mal deinen Rock vom Stuhl. Für nur mal eben über Treppe und Flur. Wie beiläufig sie von jetzt an schon die Türen öffnet. Sie kann mir treulos ansehen, was ich gerade sage. Sie macht mit ihren Augen meine Sätze kaputt. Es sind immer die gleichen. Immer nur die. Valesca, so etwas habe ich vorher noch nie.

Experten haben errechnet, daß die Augen bei einer bestimmten Form der Erinnerung schwerer werden und nicht mehr so wild mit sich umspringen lassen. Aber die Vergleiche nehmen zu und bestimmen immer wieder von vorn die Qualität unserer Wahrnehmungen. Wir lassen die Täuschungen zu, die Illusion vorn Weichbild einer angefangenen Liebe. Man sieht sich. Wir hören voneinander. Du sagst ja gar nichts mehr. Es bleibt doch dabei. Streng dich bloß an, daß dein Herz nicht so trödelt. Und deine endlosen Augen mit ihren Gedichten.

Wäre nicht dieser enge Gürtel hier auf dem Bild, wüßte ich sofort, ob du nicht doch für mich ein zu kurzes, geriffeltes Unterhemd trägst. Ich glaube, ich würde es einem Bauchnabel anmerken, ob er von einem Unterhemd bedeckt oder nur in einem Body gefangen war. Und wäre die Hose schon zentimeterweit weg. Die Wollreste, die Balkantönung, das anders geregelte Haar.

Und die Städte wieder als Kopfkissen. Und die Nächte wieder als Kopfkissen. Und deine drei Handtücher wieder als Kopfkissen. Und dein Rock über dem Stuhl, wie immer weiter, als Rock ohne Ende, und nur noch ohne Ende, immer weiter ohne Flur, über Treppe und Stuhl.

Ich weiß jetzt, wie sie hier hereingekommen ist, Jeaujeau. Sie sagte dem Portier, sie wollte mich nach all den Jahren einfach überraschen, noch von früher, von früher. Die Backsteinschule. Frau Tuschenko. Die Sportstunden am Wasser. Deine viel zu ungleichmäßig heruntergerutschten Wollsocken. Da kommt doch keine Sehnsucht auf. Der Portier arbeitet inzwischen als Platzwart auf einem Trainingsgelände für behinderte Möwen. Fliegen ist nicht mehr. Nur noch Ausdauerlauf und Heimweh. Noch auf den ersten Metern hüpfen einige der Möwen, versuchen zu springen, denn dieser eine, winzige Augenblick, zwei, drei Schrittchen länger in der Luft zu sein, erinnert sie an alte Zeiten, erinnert sie daran, daß sie früher mal, wohl ohne Füße, nur noch das Gras, das nicht gebogen war, in seiner Stützfunktion, gelassen an den Bäuchen spürten.

Don’t disturb. Dieser Türklinkenanhänger, Valesca, ist doch nur dann wirklich sinnvoll, wenn zwei nach dem Frühstück unbedingt bumsen müssen, nach dem Frühstück ungehindert bumsen.

Mach dir um mich bitte keine Sorgen, Jeaujeau. Ich kann schon gut auf mich allein aufpassen. Sie benutzt mein Badezimmer. Nach so einer langen Reise. Ich glaube, eine Strumpfhose fängt erst dann an zu glitzern, wenn die Beine müde werden. Ich lege ihr einen olivbrüchigen Mantel durch die Tür. Frottee mit Kapuze. Silberschrift auf dem Rücken, Paillettengürtel.

Ich weiß, das ist keine Farbe für mich. Aber ich trage den doch höchstens nur ganz selten. Das Entscheidende an dem Mantel ist für mich die schwere Hängekapuze. Alle Gardinen wären zugezogen. Das Auto eben konnte gar nicht für mich sein. Du hältst nie so weit hinten. Ich würde aus dem Keller mit den Müllsäcken und zusammengefalteten Kartons kommen, die Stufen hoch zu meinem Wintergarten gehen, um von hier aus, über Küche und Flur, endlich in mein Wohnzimmer zurückzukehren. Ich weiß nicht, wer mich beim zweiten Klavierkonzert von Schostakowitsch noch groß aufhalten sollte. Zwischen den Türbalken würden zwei geflochtene Paketbänder hängen. Eins in Kniehöhe und eins in Hüfthöhe. Die Enden nur geklebt. Den Mantel darf man aber erst im Ring ablegen. Es gibt einfach zu wenig Direktübertragungen im Winter aus Las Vegas. Es wäre mein erster wichtiger Kampf im Stall von Ricky Bathmaroona gewesen.

Und wenn das Auto da draußen eben doch für mich gewesen wäre, Jeaujeau.

Mühle, Memory und Domino. Die Lieblingskarten wurden immer getauscht. In alle Hundemotive hatte ich von hinten mit dem Zirkel kleine, unauffällige Punkte gestochen. Es kam mir früher so vor, als würde sich die Hälfte der Zirkelspitze, noch beim Markieren, schon außerhalb des Bildrands befinden.

Ich wollte mal einen Schäferhund züchten. Ich züchtete ihn mit gefährlichem Fleisch, das noch tropfte, und einem Hundeführerbuch. Er wurde größer, richtig mit schwarzen und gelben Flecken, die auch größer wurden. Zum Schluß, auf der Veranda, mit einem Apfel unter einer Metallkiste und mit einer Glasscherbe, versuchte ich ihm beizubringen, indem ich die Scherbe richtigrum hielt, daß es so gut wie nichts auf der Welt für umsonst gibt. Ich weiß nicht, wie alt man erst werden muß, um endlich ein durchgehendes Gespür für Glas zu entwickeln.

Ich wollte mal einen Schäferhund züchten. Aber ich würde ihn wohl nie wieder soweit kriegen, nichts als einen etwas umfangreicheren Apfel mit Pfoten und Zähnen unter einer Metallkiste hervorzukratzen.

No more Affairs, Jeaujeau. Sie benutzt mein Bad. Sie ist noch bekleidet einzig mit einer Schildpatt Spange im Schopf. Bis auf die Liqueur Anfälle ihres Haares hat Frau Lupani alle ihre Sachen in den Mantel gewickelt und mit in die Wanne genommen. Mit trockener Kleidung ist es wirklich schwieriger, dem anderen zu zeigen, daß man noch länger bleiben will. Sie setzt sich aufrecht. Sie sei so verspannt. Ich soll ihr mein Knie in den Rücken drücken. Das mit dem Knie habe sie doch nur so gesagt. Ich glaube ja wirklich alles.
Mein Knie schämt sich,
ist älter geworden.

War es in München am Mittwoch auch so
schwülwarm.

Kannst du dich noch an Maximilian Tessner aus dem Geigenlager erinnern, ja, meine liebe Valesca, genau der Max Tessner. Er hat sich zu seinem zweiunddreißigsten Geburtstag von seinen Eltern eine komplette Ski Ausrüstung gewünscht. Bestimmt, weil es gut aussieht in der Sonne. Ich hätte gar nicht gedacht, daß der mit verkrusteten Hängen etwas anfangen kann.

Willst du nicht endlich rauskommen. Der ganze Schaum ist ja schon weg. Das mit dem Schaum habe ich doch bloß so gesagt. Du glaubst ja wirklich alles. Noch nicht mal an den Lippen frierst du. Hier hast du deinen Schaum, paß auf ihn auf, beweg dich nicht, belüge nie wieder mein Knie, sag, daß es dir leid tut, sag, daß ich dir nie wieder in den Mantel helfen muß, sage nichts mehr, nach so einer langen Fahrt, die Adria, dein München, die Staaten, sage mir nicht, daß du zehn Dollar Taxigeld gespart hast, weil du gottseidank auf dem LaGuardia gelandet bist, erzähle mir nichts mehr von deiner Credit Karte, die in Midtown verschollen ist, wahrscheinlich bei Smith & Wollensky, ich glaube, seit ein paar Jahren, ich weiß das alles schon.

Willst du nicht endlich rauskommen. Der ganze Schaum ist ja schon weg. Kommt es mir nur so vor, Frau Lupani, oder war dein Hals, wenn du dich so nach hinten beugst, vorhin leichter, noch ohne Spange im Nacken und ohne die Gedanken an Tessner.

Was hast du von den Wörtern gehört, die ich gesprochen habe, wenn du vor Schlaf schon gelegen hast, kurz vor dem Zucken, von oben die Treppe, was hast du gehört, etwa deinen Namen, aber den kanntest du doch schon. Immer muß erst ein Ende nah sein, bevor ich begreife, daß weniger Namen besser sind für das, was ich an dir bevorzuge. Ist dir denn gar nichts aufgefallen. Es geht schon über Jahre. Darüber bin ich heilfroh. Ich habe was mit deinem Wangenknochen. Er reagiert schon richtig auf mich. Wenn ich ihm mit den Augen zeige, bleibe bloß in deinem Versteck, hält er sich, ohne Kante, hinter jedem Lächeln auf, verzichtet mir zuliebe auf sein eingeklemmtes Glück, er kann nicht wissen, daß ich ganz oft schwanke, ob ich ihn eher, von vorn bis hinten, mit dem Finger zeichne oder lieber mit viel Müdigkeiten runterdrück.

20 Mott Street, Chinatown, Jeaujeau, sie hat mich ohne Credit Karte zu Bier und Dim Sum eingeladen, leckere Appetithappen, die auf kleinen Wagen durch das Lokal gekarrt werden, nichts Außergewöhnliches, untere Preisklasse, sie nervt mich langsam, ich will mir zwar noch nichts anmerken lassen, aber sie ist mir ethnokulinarisch natürlich völlig überlegen, die kleinen, verstreuten Filmfestivals, die ganzen Empfänge, natürlich war ich noch nie im Kin Khao, irgendwo zwischen West Broadway und Thompson Street auf der 171 Spring Street, ich glaube, ich mag die Thompson, denn ich habe dort im Vorbeigehen einen Plattenladen gesehen, natürlich habe ich noch nie Gai tom kah probiert, verschon mich, Lupani, ich möchte zurück.

Ich möchte mich einfach an die amerikanische Küste stellen und Sehnsucht nach Europa haben.

Dvorak konnte das doch auch.

Ramada Milford Plaza, 28. Juni, liebe Jeaujeau, ich könnte mir zum Beispiel niemals vorstellen, wo man den Stoff für zwei unterschiedliche Winterfilme an der Adriaküste herkriegen soll. Der Niederschlag im Winter ist doch überall gleich.

Meine liebe Jeaujeau, ich bin so glücklich, daß du noch immer, ohne jede Hemmung, auf mich warten kannst.

Fruchtfliegen, Hotelfäule, drei Türen im Fenster, du hättest die Nacht über auch hierbleiben können, ich muß schon die ganze Zeit an die Berge von Chocorua denken, wenn ich mich richtig an sie erinnere, Chocorua, Nebel, alte Sofas und Moskitogerüste, ich hätte mitten im Schlaf auf deine Stirn und deine Titten aufgepaßt, New England, die Schwemmfront der Wolken und Bäume, ich wollte sie doch nur beruhigen, Jeaujeau, das Beruhigen ist eine Bewegung, die, durch leichten Druck, im Stillstand noch, von oben nach unten geht, von oben nach oben, das Streicheln aber geht immer zur Seite weg, die Adern, die Zähne; die Lippenverlängerung im Winkel der Haare, aber ohne daß der Punkt, von dem das Streicheln ausgeht, besonders betont wird, ich würde nie wieder versuchen, eine Frau zu beruhigen, die danach nicht auch gestreichelt werden will, Ende Juli und in der Adventszeit, die Kerzen in den Gardinengärten längst auf ihr Limit runtergewachsen, die Nelken im Tee noch ohne Erfahrung, behutsame Ruinenbäume, trotz Wurzelgewicht nur streng auf der Seite, wir machen lieber ohne weiter, denn ich will, daß du meinen Schmelz, die paar Gramm an Gewebeglasur, direkt von den Wänden nimmst, ich möchte mit dir in einem alten Roman wohnen, der unten geschlossen ist, die Abendglocke würde läuten, und der Tisch zwischen uns, mit seinem Eßgeschirr und seinen endlosen Weinkaraffen, wäre so ewig lang, daß wir selbst, wenn wir uns küssen wollten, den alten Arthur mit beschriebener Serviette auf die Reise schicken müßten, die Berge von Chocorua, der Nebel, die Kronleuchter, die roten Sterne im Kamin, die braunen, die gelben, die weißen, nachschenken, nachschenken, Arthur, weißt du, was ich am bedeutendsten auf der Welt finde, du stehst besoffen an einer Haltestelle, und hinten, an einem beliebigen Horizont, biegt sich so eine helle Art Metall zurecht, knickt ein und war noch nie zuvor ein Bus.

PIER 40

GETRÄNKE UND JAHRESZEITEN

DER LETZTE GREYHOUND DIESER WELT, JEAUJEAU, ich hätte nicht nach Amerika gehen dürfen, aber nicht so lange, dein Salat ist doch sonst auch immer ohne Nüsse ausgekommen, wer hat dir bloß diese polnischen Raffinessen beigebracht, trinkst du noch genau so wenig wie früher, genau einen dreiviertel Becher voll Schnaps, ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich muß nachts immer an meine Tankstelle denken, die nassen Blumen, in schwarzen Bottichen vor der Elektro Tür, die Fisherman’s, die Toblerone Stangen an der Kasse, please check the oil level, denn das Schlimmste wäre, ohne Walnüsse wiederzukommen, the tire pressure and the windshield wiper blades, please, was machst du denn hier, Valesca, was machst du
denn hier, Jeaujeau, ich dachte,
es war ausgemacht, daß das hier
meine Hälfte von der Welt ist.

Mein zweitschönstes Ferienerlebnis war, als meine Mutter mich mal irgendwohin mitnahm.

Der letzte Greyhound dieser Welt, Jeaujeau, hätte aber nicht das Zeug dazu, soweit von hinten, in diese unbegreiflich breiten Straßenflächen einzuknicken.

Mein schönstes Ferienerlebnis wäre, der letzte Greyhound dieser Welt, Jeaujeau, würde zwar in meine Straße einbiegen, aber
meine Straße, meine Straße
wäre schon ganz weit fort.

Ich weiß nicht, wie es dir geht, Valesca, aber ich muß nachts immer an meine Tankstelle denken.

Die eingetrübten, nächtlichen Tankstellen, die letzten vier Kalenderblätter des Jahres, trink ich was, trink ich nichts, trink ich was, trink ich was, die Filme im Winter, deine und meine Adria, Jeaujeau, Sveta Marija Snjezna, die Pfarrkirche St. Maria Schnee, dreischiffig, auf den Kvarner Inseln, Quarner, vielleicht das vierteilige Meer, die Stadtmauern von Cres, im fruchtbarsten, westlichen Teil der Insel, nur sechsundzwanzig Kilometer vom Fährhafen Porozina entfernt, unterhalb des Berges Sveti Bartolomej, die Überreste von Nekropolen und einer römischen Villa rustica, die Nähe zum italienischen Fesdand, Venedig, in seiner grazilen Unentschlossenheit, sich zum offenen Meer zu bekennen, mit all seinen Ristorante Marquisen und Treppen Medaillons, endlich zum offenen Meer, beim nächsten Mal möchte ich wieder auf der Seite liegen, Jeaujeau.

Fahr vorsichtig, gib auf dich acht, Dienstag, immernoch Anfang August, denn ich habe eben bei Strindberg eine Stelle gefunden, bei der eine Brief Schwedin in einem Spital Bett in der Sandberg Straße liegt und Quecksilber essen muß.

Nachts, an den Schatten meiner Pflanzen, an der Decke, habe ich gesehen, daß ich meine betrunkenen Pflanzen beschützen muß, regelmäßig beschützen.

Die Algen, der Dreck, das ganze Küchengewürm, there is a cockroach under the ocean, ich merke es an meinen Pflanzen, sie ekeln sich, sie schlingern, denn sie hatten noch nie im Leben ein eigenes Hotel Zimmer, noch nie ein Fensterbrett, das selbst besoffen ohne große Pausen immer weiter fahren würde.

Immer weiter, Jeaujeau, immer nur weiter so, ohne Rücksicht auf die elementare Standhitze der Sonne, ohne Rücksicht auf die Bastkörbe voller Walnüsse, bei Dean & Deluca, Ecke Prince, die hellbraunen Nervenreliefs, das Gemüse, die Früchte, die imponierten Spezialitäten, aufgetaute Militäraprikosen und brökkelndes Adventsmarzipan aus Stockholm, ich war richtig verunsichert, als mir die Verkäuferin erklärte, daß die Nüsse mit weniger Nerven draußen noch viel anschmiegsamer das Gehäuse ausfüllen würden.

Ich habe eine fremde Frau im Saal gesehen. Ihr Haar war gar nicht aufgeladen, am nächsten Morgen, als kämmte sie sich, ohne Nummer, nur mit dem Hörer ihres Telephons.

Darf ich deinen Vornamen wissen. Ja, aber der nützt dir nichts.
Darf ich deine Augenfarbe wissen. Ja, aber die nützt dir nichts.
Darf ich deine andauernde Straßenbezeichnung wissen. Ja, aber die nützt dir nichts.

Sag das nicht,
Maria Graubraun Stetenhofer.

Ich habe mir gerade vorgestellt, mit dir am vierundzwanzigsten Dezember allein zu sein. Der Strom müßte schon kurz nach sechzehn Uhr den ganzen Abend lang ausfallen, und es müßte, schon vom Geräusch her, eher regnen. Wir könnten in eine Wohngebietskirche gehen und uns für den Rest der Nacht glasige Augen holen. Ich glaube nicht an Wohngebietskirchen. Aber ich glaube an meine Augen, obwohl sie sich nicht vorstellen können, daß die Türen deines Autos, auch ohne Strom, vom Fenster aus, die gleichen bleiben.

Getränke und Jahreszeiten. Geographie und Rausch. Würdest du in der Antarktis auch nur einen einzigen Gin Tonic runterkriegen, Jeaujeau, dann lieber no more affairs, ich schwöre, denn ich glaube, ich habe mir die fremde Frau im Saal nur vorgestellt, nur mit allen ihren Beinen und den braungemeinten Riemchen ihrer Wechselschuhe. Nie wieder Rotwein und auch Strindberg im