Arik der Schwertkämpfer
Götter, Helden und Dämonen
Band 14
Festung im Nirgendwo
von Kerstin Dirks & Alfred Wallon
© dieser Digitalausgabe by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.alfredbekker.de
postmaster@alfredbekker.de
EDITION BÄRENKLAU, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius
Festung im Nirgendwo – Die große Fantasy-Saga von Alfred Wallon und Marten Munsonius
© by Alfred Wallon und Edition Bärenklau, 2015
Nach einem Exposé von Kerstin Dirks
Cover © by Steve Mayer mit Hubert Schweizer, 2015
Der Umfang dieses Ebooks entspricht 223 Taschenbuchseiten.
1. digitale Auflage 2015 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956174209
Der Wind kam von Süden und wehte dem Reiter Hunderte von feinen Sandkörnern entgegen. Deshalb hielt er unwillkürlich seinen Kopf gesenkt und versuchte, den immer stärker einsetzenden Staubstürmen so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Was ihm aber mehr schlecht als recht gelang, denn der Wind drehte immer wieder, und die Sicht verschlechterte sich zusehends.
Aro war verzweifelt. Stunden waren vergangen, seit er die Handelsstraße verlassen und den sandigen Dünen gefolgt war, an deren Ende dann Eran lag - die alte Stadt, die sein Ziel war. Auf diese Weise hatte er gehofft, noch vor Einbruch der Nacht Eran zu erreichen.
Aber dieser zunächst so hoffnungsvoll wirkende Plan war fehlgeschlagen, denn erst jetzt wurde ihm klar, auf was für ein Wagnis er sich überhaupt eingelassen hatte. Ein erfahrener Söldner wie er konnte zwar kämpfen und seinen Mann stehen, aber gegen die Launen einer unberechenbaren und so unvertrauten Natur hatte er nur wenig entgegenzusetzen.
Aros Heimat waren die Waldhügel des fernen Urd - die Steppenländer und öden Wüsten kannte er so gut wie gar nicht. Jetzt wusste er, dass es besser gewesen wäre, der Handelsstraße zu folgen und dabei notfalls auch noch einen weiteren Tag bis zum Ziel in Kauf zu nehmen.
Aber das nützt jetzt nichts mehr, meldeten sich seine Gedanken. Ich habe in diesem elenden Sandsturm schon längst die Orientierung verloren. Was ist, wenn ich die letzte Stunde nur im Kreis geritten bin?
Ein Verdacht, der sich zusehends verstärkte, als er eine Gruppe von Dünen passierte, von denen der pfeifende Wind immer mehr Sand abtrug und in seine Richtung schleuderte. Aro blinzelte und senkte sein Haupt, während er das Pferd weiter antrieb. Er hoffte, irgendwo dort zwischen den Dünen Schutz vor dem Sturm zu finden, denn das Pferd war erschöpft. Es würde unter ihm zusammenbrechen, wenn er dem Tier nicht bald etwas Ruhe gönnte.
Er war so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, dass er den halb vom Sand zugewehten Körper erst entdeckte, als er ihn unmittelbar passierte. Sofort zügelte er das Pferd, stieg rasch aus dem Sattel und beugte sich über die leblos wirkende Gestalt eines sehr alten Mannes, der alte und recht verschlissen aussehende Gewänder trug.
Aro glaubte zuerst, er habe einen Toten vor sich, aber dann bewegten sich die faltigen Lippen des Mannes, und ein leises Stöhnen kam aus seiner Kehle.
„Ganz ruhig!“, sagte Aro rasch und versuchte, den Mann aufzuheben. Mit einiger Mühe wuchtete er ihn quer über den Sattel und führte sein Pferd dann an den Zügeln weiter, bis er sich inmitten der Dünen befand. Hier am Fuße zwischen den großen Sandhügeln ließ der Wind wenigstens etwas nach, und die Sandschleier wurden nicht mehr so stark empor gewirbelt.
Aro hob den Alten vom Pferd und bettete ihn vorsichtig auf den Boden. Das war der Moment, wo dieser die Augen aufschlug und Aro mit einer Mischung aus Furcht und Misstrauen anblickte. Seine Lippen formten vergeblich einige Worte, aber aus seiner Kehle kamen nur krächzende Laute.
„Warte …“, murmelte Aro rasch und holte dann den Lederbeutel mit Wasser vom Sattelhorn. Rasch öffnete er ihn und benetzte die Lippen des Alten mit einigen Tropfen. Erst dann ließ er ihn vorsichtig einige Schlucke trinken. „Danke …“, erklang dann die dunkle Stimme des Alten, und seine Worte waren klar und deutlich zu vernehmen. „Ich schulde dir mein Leben …“
„Du musst verrückt sein, Alter!“, erwiderte Aro kopfschüttelnd. „Wo ist deine Familie? Hast du sie in diesem verfluchten Sturm verloren?“ Er vermutete das, weil ihm auf der alten Handelsstraße schon mehrmals Siedler und Auswanderer aus den südlichen Ländern begegnet waren, die hier am Rand der Steppe eine neue Existenz gründen wollen.
„Meine Familie … ist diese Welt, Söldner“, erwiderte der alte Mann, und seine hellen Augen richteten sich dabei so intensiv auf Aro, dass dieser dem prüfenden Blick nicht länger standhalten konnte. „Sie ist es, die mich … verstoßen hat. Mit jedem Tag ein Stück mehr …“
„Ich verstehe nicht, was du sagst“, meinte Aro, der diese Äußerungen dem Erschöpfungszustand des alten Mannes zuschrieb. „Aber wenn du willst, dann bringe ich dich nach Eran. Dort wird es Menschen geben, die sich um dich kümmern werden und …“
„Das musst du nicht“, erwiderte der alte Mann mit einer ablehnenden Geste. „Mein Weg ist vorgezeichnet, und er führt weiter in die Wüste hinein.“
„Wenn du sterben willst, ist es deine Entscheidung“, sagte Aro. „Der Sandsturm und der Durst müssen deinen Geist bereits verwirrt haben, und …“
„Der Körper ist schwach geworden“, nickte der alte Mann. „Aber meine Seele ist immer noch klar, wie schon vor so vielen Jahren. Ich danke dir dafür, was du getan hast. Sag mir deinen Namen, Söldner. Du bist doch ein Mann des Schwertes?“
Aro nickte. Auch wenn er das niemals zugegeben hätte, so klang doch irgendetwas in der Stimme des alten Mannes an, was ihn in ihren Bann zog. Er konnte sich gar nicht dagegen wehren. Deshalb schilderte er dem Alten in kurzen Sätzen, wer er war und wohin ihn sein Weg führte.
„Also stimmt es doch“, sinnierte der Alte nach einigen Sekunden. „Die Fürsten von Eran rüsten zum Krieg gegen die Nachbarländer. Die ganze Region wird sich bekämpfen, und es wird Tausende von Toten geben. Wie viel Leid muss eigentlich noch geschehen, bis die Menschheit begreift, dass dieser Weg nur in den Abgrund führt?“
Er bemerkte den verständnislosen Blick des Söldners und fuhr deshalb rasch fort.
„Männer wie du tragen den Krieg immer weiter, Aro. Für Geld und Ruhm tust du alles. Aber niemand bemerkt die dunklen Schatten am fernen Horizont. Noch sind sie weit entfernt, aber sie werden eines Tages hier sein. Ich habe die Zeichen des siebzigjährigen Krieges gesehen. Noch ist es Zeit, all dem Einhalt zu gebieten. Einer muss den Anfang machen, denn die Stimme des MAHNERS wird eines Tages ungehört verhallen …“
Der Alte hielt inne und erhob sich ächzend. Zwar stand er noch auf unsicheren Beinen, wehrte aber jede Hilfe Aros ab.
„Ich muss meinen Weg fortsetzen“, sagte er mit einer Stimme, die so leise klang, dass sie selbst von dem Heulen des Windes übertönt wurde, der jenseits der Dünen tobte. „Hab Dank, Aro, und denke über das nach, was ich dir gesagt habe …“
Mit diesen Worten wandte er sich einfach ab und ging mit schweren Schritten hinaus in die Wüste. Der Söldner aus Urd rief dem alten Mann noch etwas nach, aber dieser drehte sich nicht mehr um. Nur wenige Minuten später war seine Gestalt in den wirbelnden Staubschleiern verschwunden.
Aro schüttelte fassungslos den Kopf. Diese kurze Begegnung erschien ihm seltsam unheimlich - so sehr, dass er sich fragte, ob er das alles nicht nur geträumt hatte. Aber da waren die Fußstapfen des Alten, die vom Staub allmählich zugeweht wurden.
Seine Unruhe war jetzt so stark, dass er an diesem Ort nicht länger verweilen konnte. Rasch stieg er in den Sattel des Pferdes und lenkte es hinaus in die Wüste. Genau zu diesem Zeitpunkt ebbte der Sandsturm ab, und die dichten Wolken verzogen sich. Auf diese Weise kam Aro schneller voran und entdeckte schließlich am fernen Horizont die markante Silhouette der alten Stadt Eran, deren Tore er zwei Stunden später passieren konnte.
An den alten Mann verschwendete er keinen einzigen Gedanken mehr. Erst einen Monat später, als er in einer blutigen Schlacht von einer gegnerischen Lanze in den Rücken getroffen wurde und zu Boden fiel, glaubte er, in den Weiten des trüben Himmels die faltigen Züge eines alten Mannes zu erkennen, der einen traurigen und verzweifelten Blick auf ihn richtete. Da begriff Aro in den letzten Sekunden seines Lebens, was der Alte ihm hatte sagen wollen …
ENDE
Prinz Nygal, der einstige Herrscher über die Stadt der Opale, wird von dämonischen Kräften wieder zum Leben erweckt. Die geheimnisvolle Kyara verspricht ihm unbegrenzte Macht über diese Welt. Zum Zeichen seiner neuen Herrschaft besteigt Nygal den Thron von Bass Chrón, der Festung im Nirgendwo. Von diesem Ort soll seine zukünftige Schreckensherrschaft ausgehen.
Nygal weiß jedoch nicht, dass sein Halbbruder Jorgas in der Zwischenzeit die Wüstenvölker vereint hat. Denn nur dann können sie das Ausbreiten der dunklen Mächte für immer verhindern. Das ahnt auch Arik, den der FÄHRMANN auf dieser Welt aussetzte und seinem Schicksal überließ. Zusammen mit den Nomaden zieht Arik in den letzten und entscheidenden Kampf.
Er tauchte ein in einen tiefen Schacht und wurde von einem unbeschreiblichen Sog mehrmals umher gewirbelt. Im Nu verlor er die Orientierung und sah nur noch eine Flut von bunten Bildern, die sich in solch rascher Reihenfolge abwechselten, dass er nur noch Farben ausmachen konnte - und selbst die waren mittlerweile zu einem gigantischen Konglomerat verschmolzen.
Er hörte jemanden schreien und begriff erst später, dass er das selbst war. Ein lauter Schrei, der all den Schmerz und die Wut angesichts seiner verheerenden Niederlage in Goor, der Stadt der Opale, beinhaltete. Denn er war besiegt worden - von einem schwachen Jungen und dessen eisernen Willen, das einstige Reich des Schattenprinzen in eine neue Zukunft zu führen. Eine Zukunft ohne jegliche Gewalt, Willkür und Tyrannei!
Er spürte erneut, wie der Schwarm der Wulpoks von einem Augenblick zum anderen über ihn herfiel und ihn förmlich erstickte. Er fühlte wiederum den beißenden Schmerz, den die eigenartigen Kräfte dieser käferähnlichen Wesen verursacht hatte - und das, obwohl er eigentlich gar keinen Schmerz mehr hatte spüren dürfen. Und doch war es so - er verbrannte innerlich, und der Schatten begann allmählich zu verblassen. Wahrscheinlich wäre er endgültig vernichtet worden und seine dunkle Seele längst im Schlund des ewigen Vergessens verschwunden - aber da war noch eine Macht, die buchstäblich in letzter Sekunde eingriff und seine bereits stark geschwundenen Kräfte wieder mobilisierte und auch bündelte. So stark, dass es ihm noch gelang, sich vor den Wulpoks in Sicherheit zu bringen.
Nach außen hin hatte es ausgesehen, als wenn sich der unheimliche Schatten buchstäblich in Luft auflöse - als hätte er niemals existiert. Aber die geheimnisvollen Mächte, die für Nygal eine besondere Rolle ausgedacht hatten, waren lediglich damit zugange gewesen, einen winzigen Spalt im Korridor der Zeit zu öffnen. So haarfein, dass die Seele des Schattenprinzen der finsteren ewigen Verdammnis entkommen konnte - und dann schloss sich dieser Riss auch schon wieder, als hätte er niemals existiert.
Statt dessen war da dieser gewaltige Tunnel, in dem ein Sturm herrschte, der sich jenseits des menschlichen Erfassungsvermögens befand – und selbst Nygals Sinne konnten kaum noch begreifen, was um ihn herum geschah. Er wusste schon längst nicht mehr, wo er sich befand, und seine Gedanken überschlugen sich förmlich, weil er immer noch nicht wusste, was mit ihm geschah.
Der Wind, der ihm jetzt immer heftiger entgegen blies, ließ ihn frösteln (zumindest war es eine Empfindung, die mit einem menschlichen Sinn verglichen werden konnte). Dann entdeckte er auf einmal einen rötlichen Punkt am Ende des Tunnels, der schwach zu glimmen begann. Wie ein kleines Feuer, das sich erst später zu einer lodernden Flamme entwickeln würde und erst einmal gierig nach Nahrung suchte.
Genau auf diesen roten Punkt stürzte er jetzt zu. Immer schneller, wie es ihm schien - und die bunten Lichter um ihn herum hatten sich längst in ein einziges Farbenmeer verwandelt. Gleichzeitig hörte er ein leises Wispern, das weiter aus der Tiefe des Tunnels zu kommen schien. Ein Wispern, das er zunächst nicht verstand, aber dann wurde es immer deutlicher.
KOMM ZURÜCK, NYGAL, flüsterte die eindringliche Stimme. DU SIEHST DEN WEG DIREKT VOR DIR - ABER DU MUSST IHN AUS EIGENEM WILLEN BESCHREITEN. KOMM, DU BIST GLEICH AM ZIEL!
Die Seele versuchte gegen die unzähligen Empfindungen und Bilder anzukämpfen, die sie jetzt streiften. Und einige Bilder waren so intensiv, dass die Gedanken sich für Bruchteile von Sekunden nicht mehr auf den rötlichen Punkt am unteren Ende des Schachtes richteten. Und schon veränderten sich die Dinge erneut - weitere Lichter manifestierten in unmittelbarer Umgebung, aber sie besaßen eine andere und sehr beunruhigende Aura.
DU BIST GLEICH AM ZIEL – GIB NICHT AUF, ermahnte ihn die hypnotisierende Stimme. KÄMPFE FÜR DEINE NEUE MACHT. DU WIRST ES NICHT BEREUEN …
Die Seele des Schattenprinzen spürte auf einmal den Beginn eines starken Sogs. Er schien seinen Ursprung in dem rötlichen Punkt zu haben. und er wurde immer stärker, je weiter Nygal auf diese Stelle zu driftete. Er hörte ein lautes Brausen, als wenn ein Orkan direkt über ihm tobte und gerade mit seinem Werk der Zerstörung begann.
Erneut hörte sich Nygal schreien - und er wusste nicht, ob es aus Angst oder aus Erleichterung war, weil er sich für das rötliche Licht entschieden hatte. Jetzt war der Sog so stark, dass er ihm nicht mehr entkommen konnte - selbst wenn er das gewollt hätte. Er tauchte ein in eine Aura von rötlichem Licht, das seine Seele erfüllte und alle anderen Empfindungen überlagerte. Ein ätherischer Gesang war das letzte, was er noch hörte, bevor seine Sinne schwanden. Und dann herrschte Stille - ein unbeschreibliches Schweigen. Eigentlich war das nur ein Bruchteil einer Sekunde, aber für die gepeinigte Seele erschien es wie eine Ewigkeit …
*
Als er aufwachte, glaubte er zunächst, dass ein neuer Albtraum den alten abgelöst hatte. Wie sonst hätte er das unangenehm klebrige Gefühl erklären können, das seinen Körper erfasst hatte? Es war, als wenn Arme und Beine in einem zähen Sumpf gefangen waren, der sein Opfer nur widerwillig wieder freigab.
Erst dann wurde Nygal bewusst, dass er überhaupt keinen Körper mehr besitzen durfte - und in dieser Sekunde schlug er die Augen auf. Zunächst registrierten seine Sinne eine furchterregende Schwärze, die aber dann einem trüben Zwielicht Platz machte.
Er versuchte sich zu bewegen und musste zu seiner Besorgnis erkennen, dass ihm das nicht so recht gelingen wollte. Auch wenn er mittlerweile begriffen hatte, dass er wieder einen Körper besaß, so war ihm immer noch nicht klar, was das alles zu bedeuten hatte.
BERUHIGE DICH, vernahm er auf einmal wieder diese hypnotische Stimme in seinem Hirn, die ihn schon während seines nicht enden wollenden Albtraums begleitet hatte und die ihm schon so etwas wie ein vertrauter Freund geworden war. DU WIRST GLEICH VERSTEHEN, WAS GESCHEHEN IST. STEH JETZT AUF UND VERLASS DIESE KAMMER. ES WIRD ZEIT, DASS DU DEINE NEUE EXISTENZ BEGREIFEN LERNST!
Es war keine Aufforderung, sondern ein Befehl, dem er unverzüglich Folge zu leisten hatte. Auch das war ihm jetzt klar. Mühsam erhob er seinen Körper aus dem feuchten und irgendwie zähen Untergrund und versuchte sich hoch zu stemmen. Seine Existenz als Schattenwesen war nur von kurzfristiger Dauer gewesen - deshalb reagierten seine Sinne noch ganz normal und befahlen dem Körper, das zu tun, was nötig war.
Er konnte seine nähere Umgebung zwar immer noch nur schemenhaft wahrnehmen, aber nun meldete sich sein Überlebenswille und ignorierte all die weiteren Gedanken, die ihm jetzt durch den Kopf gingen und nach dem Warum und Wieso fragten. Er stemmte sich hoch und wankte noch leicht, aber mit jeder weiteren Sekunde gewann er an Sicherheit und stand schließlich fest auf beiden Beinen.
Er spürte den heftigen Herzschlag in seiner Brust und begriff, dass ihn dies sehr angestrengt hatte. Er war schwach - noch hilfloser als ein kleines Kind, das erst einmal laufen lernen und allmählich seine Welt begreifen musste. Eine Welt, die völlig anders war als die, welche ihm einst vertraut gewesen war …
Aber dann erinnerte er sich wieder an die letzten Worte der geheimnisvollen Stimme, die ihn aufgefordert hatte, diesen Ort zu verlassen. Jenseits dieser dunklen Kammer erwarteten ihn andere (und hoffentlich auch angenehmere) Dinge.
Langsam setzte Nygal einen Fuß vor den anderen, und mit jedem weiteren Schritt gewann er an Stärke. Er spürte noch die klebrige Nässe an seinen Füßen und empfand sie in diesen Sekunden als besonders unangenehm. Als wenn er sich im Netz einer gewaltigen Spinne befunden und sich buchstäblich im letzten Augenblick ihrem gefräßigen Zugriff entzogen hatte.
Als er einige Schritte zurückgelegt hatte, musste er erst einmal tief Luft holen. Das war der Moment, wo er den rötlichen Schimmer wenige Schritte von sich entfernt bemerkte. Dieser Schimmer erhellte einen grob gehauenen Durchgang im Felsgestein. Es schien eine Höhle zu sein, in der er gerade aufgewacht war - oder eine Kammer in den Tiefen einer wie auch immer beschaffenen Behausung. Nygal wusste es nicht. Für ihn zählte nur die Tatsache, dass er aus für ihn noch unerklärlichen Gründen wieder zum Leben erwacht war und dass dies einen Grund haben musste.
Er spürte eine leichte Kälte, als er sich dem schwach erleuchteten Durchgang näherte, aber er schreckte nicht davor zurück. Auch wenn er nicht wusste, wo genau er aufgewacht war, so wusste er dennoch, dass er an diesen Ort nicht mehr zurückkehren wollte. Und deshalb schritt er jetzt schneller voran und passierte den Durchgang.
DIES IST BASS CH`RON - DIE FESTUNG IM NIRGENDWO, meldete sich die Stimme in seinem Hirn in dieser Sekunde wieder. EIN GANZ BESONDERER ORT, VON DESSEN EXISTENZ NUR WENIGE WISSEN. SEI DIR BEWUSST, DASS DU VON NUN AN ZU DEN AUSERWÄHLTEN ZÄHLST, NYGAL. DENN DICH ERWARTET EINE BESONDERE AUFGABE. EINE AUFGABE, DIE MIT EINER FÜLLE VON MACHT AUSGESTATTET IST, WIE DU SIE DIR BISHER NOCH NICHT EINMAL ERTRÄUMT HAST.
Er fror plötzlich stärker und begriff, dass er nackt war. Im rötlichen Licht blickte er auf seine Hände und den Rest des Körpers, der sehr muskulös und massig wirkte – wie der gestählte Körper eines Söldners, der in vielen Jahren das Überleben in ausweglosen Situationen hatte lernen müssen. Es war ein eigenartiges Gefühl für Nygal, dessen ursprünglicher Körper eher schlank und nicht mit übermäßiger Kraft ausgestattet gewesen war – und auch die Farbe seiner Haut war jetzt viel dunkler. Als wenn dieser Körper (ein Rest seiner Sinne weigerte sich immer noch, diesen Körper als den seinen zu bezeichnen) einmal jemand anderem gehört hatte und nur Nygals Bewusstsein diesen Seelenwechsel vollzogen hatte. Ein merkwürdiges Gefühl, auf diese Art und Weise das Leben wieder neu zu entdecken!
Bass-Ch’ron, schoss ihm plötzlich der Name des Ortes durch den Kopf, den die hypnotisierende Stimme gerade genannt hatte. Was hat das alles zu bedeuten? Wo ist dieser Ort, und welche Rolle spiele ich hier? …
DEINE FRAGEN WERDEN BEANTWORTET WERDEN, NYGAL, meldete sich dann die Stimme wieder. Ein Zeichen dafür, dass sie allgegenwärtig war und sogar seine Gedanken lesen konnte. ABER ZUERST MUSST DU DICH SELBST ERKENNEN. TRITT DURCH DIESEN GANG, UND DANN WIRST DU ALLES WEITERE ERFAHREN.
Auch wenn Nygal nicht genau wusste, was ihn auf der anderen Seite dieses Durchgangs erwartete, so schritt er dennoch weiter voran. Denn ihm brannte förmlich eine unbezähmbare Neugier, jetzt mehr über sich und sein neues Leben zu erfahren.
Als er den Durchgang passierte, war es so, als wenn er von einem Augenblick zum anderen das geschützte wärmende Dunkel des Mutterleibs verließ und nun auf einmal die Welt erblickte, die von nun an sein neues Zuhause darstellte - mit allen Licht- und Schattenseiten. Nygal befand sich in einem großen Raum, dessen Wände viel zu ebenmäßig erschienen, als dass sie natürlichen Ursprungs hätten sein können. Er war weitaus größer als jeder Raum in seinem einstigen Palast, und er strahlte etwas aus, das Nygal sofort wahrnahm. Es war eine düstere Aura, die er selbst aber als sehr angenehm empfand. Als wenn ein einsamer Wanderer nach jahrelanger Pilgerschaft endlich wieder nach Hause zurückgekehrt war - an den Ort, wo seine Wiege stand. Und das wurde Nygal umso deutlicher bewusst, je länger er diese ersten Eindrücke auf sich wirken ließ.
Das rötliche Licht, das auch diesen Raum erhellte, schien aus verborgenen Schächten und Öffnungen zu kommen, die von kundigen und sehr geschickten Baumeistern hier angelegt worden waren. Und in der Mitte dieses Raums befand sich ein Podest, worauf eine große weitrandige Schale aus schimmerndem Kupfer stand.
TRITT NÄHER, forderte ihn die mittlerweile sehr vertraute Stimme auf. FÜRCHTE DICH NICHT VOR DIESEM MOMENT. DU WIRST NUR DIE WAHRHEIT ERKENNEN, ABER ES IST EINE WAHRHEIT, DIE DICH STÄRKEN WIRD.
Nygal begriff nicht, was ihm die Stimme damit hatte sagen wollen. Aber er tat, was man von ihm verlangte und schritt hinüber zu dem Podest. Ganz langsam, wie bei einer heiligen und sehr bedeutsamen Zeremonie, erreichte er nun die oberste Stufe und sah, dass die Schale mit Wasser gefüllt war, und in dieser Sekunde erblickte er sein Spiegelbild im Wasser.
Was er sah, ließ ihn zusammenzucken. Der neue Körper, den er besaß, war zwar groß und muskulös und sehr durchtrainiert, aber sein Gesicht war eine einzige Ruine aus Narben. Quer über sein Antlitz zog sich eine feuerrote dicke, fast wulstige Wunde, deren Anblick Nygal nicht ertragen konnte. Er musste sein Gesicht abwenden und atmete keuchend, während ihm Dutzende von Gedanken in diesem Moment durch den Kopf gingen.
DENK NICHT AN UNBEDEUTENDE DINGE, NYGAL, hörte er dann die Stimme. ES IST VÖLLIG UNBEDEUTEND, DASS DU DICH JETZT EINER MENSCHLICHEN VERZWEIFLUNG HINGIBST. AUF DICH WARTEN GANZ ANDERE AUFGABEN, UND DU WIRST SCHON SEHR BALD VERGESSEN HABEN, WAS DICH JETZT SO SEHR ERSCHRECKEN LIESS.
„Aber … warum …?“, kam es mit stockender Stimme über Nygals Lippen. Er dachte so sehr an das schreckliche Bild, was er eben gesehen hatte, dass er gar nicht bemerkte, dass dies die ersten Worte waren, die er gesprochen hatte – mit einer Stimme, die sehr dunkel und volltönend war.
ES WAR NUR WENIG ZEIT, UM DAS ERWACHEN ZU VOLLZIEHEN, klärte ihn die Stimme auf. ODER WÄRE ES DIR LIEBER GEWESEN, WENN DEINE SEELE AUF IMMER IN DEN TIEFEN DES VERGESSENS VERSCHWUNDEN GEBLIEBEN WÄRE?
„Nein …“, murmelte Nygal.
WIR MUSSTEN SCHNELL HANDELN, UM DICH ZU RETTEN, fuhr die Stimme dann fort. DENN WIR WISSEN UM DIE BEDEUTUNG DEINER EXISTENZ. DU HAST SCHON EINEN WINZIGEN HAUCH VON DEM GESPÜRT, WAS DICH ERWARTET. UND SCHON BALD WIRST DU VERGESSEN HABEN, WAS DICH JETZT NOCH VERZWEIFELN LÄSST. TRITT JETZT ZURÜCK UND FOLGE DEM LICHT. ES WIRD DICH IN EINEN RAUM FÜHREN, WO DIE INSIGNIEN DEINER NEUEN MACHT SCHON AUF DICH WARTEN, NYGAL.
Er nickte demütig und schaute sich dann um. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sich das Licht in diesem Raum zwischenzeitlich irgendwie …verändert hatte. Es beleuchtete eine bestimmte Stelle, die Nygal vorher noch gar nicht gesehen hatte. Genau dort befand sich eine Öffnung, und Nygal wusste, dass er diesem Weg folgen musste. Auch wenn sich noch Dutzende von Fragen in seinem Kopf zu einem gigantischen Berg aufgetürmt hatten und das Verlangen nach Antworten förmlich in ihm brannte, so wurde ihm immer klarer, dass er schon bald mehr wissen würde. Er musste Geduld haben - die Stimme würde ihn behutsam an alles heranführen. Und am Ende dieses Weges wartete die MACHT auf ihn. Das hatte die Stimme klar und deutlich gesagt, und mehr brauchte Nygal nicht zu wissen.
Er folgte dem Licht und erreichte nun einen anderen Raum, der etwas kleiner war. Am anderen Ende führte eine geschwungene Treppe weiter hinauf – und dort war das Licht ebenfalls am intensivsten. Aber Nygals Interesse galt jetzt den dunklen Gewändern, die wenige Schritte von ihm entfernt auf dem Boden lagen - und dem wuchtig geformtem Helm, auf dessen glatter Oberfläche sich das rötliche Licht widerspiegelte.
NIMM DIESE GEWÄNDER, NYGAL, erklang die Stimme in seinem Kopf. UND SETZ DIESEN HELM AUF. DANN WIRST DU ALLES VERSTEHEN …
Nygal fror angesichts des kalten Steinbodens. Deshalb schlüpfte er hastig in die bereit gelegten Gewänder. Der Stoff war dunkel und fühlte sich angenehm auf der Haut an. Es war, als wenn diese Gewänder eigens für ihn geschneidert worden waren.
Dann griff er mit beiden Händen nach dem Helm und hob ihn hoch. Er fühlte sich schwer an, und Nygal zögerte noch ein wenig, als er bemerkte, dass der Helm kein Visier besaß, sondern eine Maske, die nur kleine Öffnungen für Augen, Mund und Nase freiließ.
WAS ZÖGERST DU? WILLST DU SO KURZ VOR DEM GIPFEL DER MACHT NOCH ZWEIFELN?
Nygal schluckte, weil die Stimme seine innersten Gedanken genau erkannt hatte. Er schüttelte stumm den Kopf. Egal, was jetzt passierte - er konnte und wollte nicht mehr zurück. Diese Macht, die ihm jetzt ein neues Leben geschenkt hatte, würde auch weiterhin ihre schützende Hand über ihn halten. Und nur das zählte.
Nygal nahm den Helm und setzte ihn auf. Im ersten Moment geschah überhaupt nichts, außer, dass er unwillkürlich tief Luft holen musste, weil Mund und Nase sich noch nicht daran gewöhnt hatten, durch diese vergleichsweise winzigen Öffnungen der Gesichtsmaske zu atmen. Aber dann entwickelte sich auf einmal eine Hitze im Helm, die Nygal stöhnen ließ.
Sofort griff er mit beiden Händen nach dem Helm und wollte ihn hastig abnehmen, aber dann musste er zu seinem Entsetzen erkennen, dass dies nicht möglich war. Die Maske schien mit seinem Gesicht buchstäblich zu verschmelzen. Nygal schrie vor Angst und begann für Sekunden zu wanken, während er fast zu ersticken drohte. Aber dieser Zustand hielt nur wenige Sekunden an, dann war auch dieser Prozess abgeschlossen.
Auf einmal konnte Nygal die Zusammenhänge erkennen. Es war, als wenn sich ein unsichtbarer Schleier vor seinen Augen ganz plötzlich gelüftet hatte, der ihm nun einen Einblick in Dinge gab, von deren Existenz er bisher nichts geahnt hatte. Und er hörte gleichzeitig die wispernde Stimme in seinem Kopf, die ihm die Geschichte von Bass-Ch’ron erzählte …
*
…es war eine Zeit, als die Welt der zwei Sonnen noch jung und die Zivilisation der Stämme erst allmählich neue Reiche formten und festigten. In jener Zeit herrschte das Recht des Stärkeren, und die Menschen lebten weitestgehend in ihren Ländern und Fürstentümern, ohne sich um andere Völker zu kümmern. Die Welt war kaum erforscht, und man wusste nicht, was sich jenseits des Horizontes erstreckte und welche Menschen dort lebten. Erst als die Erde ihr Antlitz zu verändern begann und die Zeit der Großen Sandstürme einsetzte, nahmen die ersten Völkerwanderungen ihren Lauf.
Ganze Stämme verließen ihre angestammte Heimat und zogen weiter gen Norden, immer auf der Flucht vor der großen Dürre, die bereits weite Teile des Landes versteppt hatte und einst blühende Landschaften in tödliche Wüstenzonen verwandelt hatte.
Es war auch die Ära, in denen die Menschen Glauben und Zuversicht bei Geschöpfen suchten, die man unter vorgehaltener Hand als die ÄLTEREN GÖTTER bezeichnete, und zu denen man schon zu Urzeiten gebetet hatte. Nur war dies im Lauf der Generationen allmählich in Vergessenheit geraten. Erst als die beiden Sonnen mit ihrem gleißenden, wabernden Licht große Teile der Oberfläche dieser Welt für immer zu verändern begannen und nichts mehr so blieb, wie es den Menschen einst vertraut gewesen war, entzündete sich wieder der Funke der Hoffnung – und der Wunsch nach den alten Zeiten, in denen es noch keinen Massenexodus gegeben hatte.
Die ÄLTEREN GÖTTER waren schon seit Anbeginn der Zeit auf dieser Welt gewesen – sie hatten ihr nur für kurze Zeit den Rücken gekehrt (eine Zeitspanne, die für diese Wesenheiten nur ein kurzer Hauch war - für die Menschen jedoch viele Jahrhunderte). Sie hatten sich zurückgezogen in ihre eigenen Sphären und beobachteten nur hin und wieder, was auf der Welt geschah, der die Bewohner den Namen Tulian gegeben hatten. Sie wussten, dass sich die beiden Sonnen zu verändern begonnen hatten, und auch Geschöpfe wie sie verstanden nicht, warum das geschah. Aber sie begriffen, dass sich ihnen dadurch die Möglichkeit bot, erneut Einfluss auf dieser Welt zu bekommen, und genau das taten sie dann auch.
In den Jahrhunderten der Großen Völkerwanderung gab es grausame und blutige Kriege. Ganze Reiche wurden vom Erdboden getilgt, und andere entstanden neu auf diesen Trümmern, aber nur, um wenige Jahrzehnte später im Strudel des Vergessens zu verschwinden. Seuchen und Epidemien plagten die Menschen und entvölkerten ganze Landstriche. Erst einige Generationen später sollte hier wieder neues Leben entstehen, und wenn dies geschah, so war es eine völlig andere Zivilisation als die, die auf so dramatische Art und Weise untergegangen war.
Altäre wurden errichtet, wo man den ÄLTEREN GÖTTER huldigte und ihnen Blutopfer in grausamen Ritualen darbrachte. Die Schreie der Sterbenden verhallten ungehört, und die Saat der Gewalt breitete sich immer weiter aus. Die ÄLTEREN GÖTTER erkannten ihre Macht und festigten sie bis zu jenem Zeitpunkt, wo auch sie entschieden, dass es besser war, dem Inneren Ruf zu folgen. Denn mittlerweile hatten sich Dinge außerhalb Tulians ereignet, die für sie von höherem Stellenwert waren. Dies konnte man aber nur verstehen, wenn man es aus dem Blickwinkel von Geschöpfen sah, die ewig lebten.
Sie verschwanden allmählich aus Tulian, und zurück blieben einzelne Relikte und Orte, wo sie einst geherrscht hatten. Die Stämme und Völker hatten mittlerweile eine neue Heimat gefunden, nachdem die Große Wüste sich nicht mehr weiter ausbreitete. Die Kriege und Unruhen näherten sich ihrem Ende, und schließlich setzte eine Epoche des Friedens ein (zumindest glaubten das die Menschen).
Bass-Ch’ron war ein solcher Ort, der einstmals die ÄLTEREN GÖTTER beherbergt und ihnen als Zentrum ihrer dunklen Macht gedient hatte. Er befand sich inmitten einer öden Steinwüste, weit abseits aller Zivilisationen. Schwer zugänglich und vergessen von den Menschen. Selbst in den alten Schriften gab es nur noch wenige Andeutungen über diesen Ort, und schließlich gerieten auch diese in Vergessenheit.
Was aber nicht bedeutete, dass Bass-Ch’ron tot war. Im Lauf der Jahrhunderte hatte sich dort Leben entwickelt, von dessen Existenz niemand etwas wusste. Nur die ÄLTEREN GÖTTER - und diese kümmerten sich nicht darum. Erst als höhere Mächte von außen eingriffen und die weiteren Geschicke dieser Welt bewusst zu verändern begannen, erwachten auch die dunklen Wesenheiten aus ihren Sphärenträumen und erkannten, was in der Zwischenzeit hier geschehen war. Und sie beschlossen, dass es an der Zeit war, eine zweite Blütezeit der dunklen Herrschaft ins Leben zu rufen …
*
Nygals Gedanken waren verwirrt, als die Flut der Bilder vor seinem geistigen Auge plötzlich nachließ. Was er in diesen wenigen Augenblicken erfahren hatte, ließ ihn endlich einen Teil der Zusammenhänge erkennen, die er bereits früher schon geahnt hatte - sowohl in seinen Träumen als auch in den düsteren Visionen, die ihn von Zeit zu Zeit in seinem Palast heimgesucht hatten.
WIR HABEN DICH NICHT VERGESSEN. KEINEN EINZIGEN AUGENBLICK, meldete sich nun die Stimme in Nygals Kopf erneut. AUCH WENN DU FÜR EINEN AUGENBLICK BEFÜRCHTEN MUSSTEST, DASS DU STIRBST. DU WIRST DER NEUE HERR VON BASS-CH’RON SEIN, UND ALLE GESCHÖPFE WERDEN DIR ZU WILLEN SEIN. FOLGE DIESEM WEG DORT. ER WIRD DICH HINAUS ZU DEN ZINNEN DER FESTUNG FÜHREN. DANN WIRST DU VERSTEHEN, WELCHE MACHT HIER IHREN URSPRUNG HAT.
Auch wenn der schwere Helm immer noch ein wenig drückte und die Maske sich so fest auf sein Gesicht gepresst hatte, dass es sich bald wie eine zweite Haut anfühlte, so verspürte Nygal mit jeder weiteren Sekunde, dass es richtig war, was jetzt und hier geschah. Er fühlte, dass diese Helmmaske nun ein Teil von ihm selbst geworden war, und je länger er sie trug, umso sicherer fühlte er sich.
Er ging hinüber zu der Treppe, die in zahlreichen Stufen hinauf führte. Das rötliche Schimmern, das die gesamte Festung durchzog, zeigte ihm den Weg. Stufe um Stufe stieg er nach oben, und die dunkle Kammer, wo er erneut zum Leben erwacht war, verblasste immer rascher in seinen Erinnerungen. Weil es nicht mehr wichtig war, auf welche Weise er diese zweite Chance erhalten hatte - es zählte nur noch, dass er sie überhaupt bekommen hatte. Und diesmal würde er sie nützen.
Während er der gewundenen Treppe weiter nach oben folgte, schweiften seine Gedanken zurück zu dem Moment, wo er in seiner eigenen Stadt diese furchtbare Niederlage hatte hinnehmen müssen. Jahrelang war es ihm und seinen Getreuen gelungen, gegen jeden Aufständischen und Rebellen mit unerbittlicher Härte vorzugehen. Nur auf diese Weise hatte er es schaffen können, sein Reich mit eiserner Faust zu regieren. Aber dann war doch noch alles anders gekommen – und Nygal wusste, dass es mit diesem fremden Krieger zusammenhing, der so plötzlich erschienen war und Jorgas geholfen hatte.
Auch wenn der neue Herrscher von Goor noch fast ein Kind war - und Nygals Halbbruder dazu