Roman
Herausgegeben und übersetzt von
Eugen Helmlé
Nachbemerkung zur Neuauflage von
Ralph Schock
diaphanes
broschur
LA DISPARITION
Un corps noir tranchant un flamant au vol bas
un bruit fuit au sol (qu’avant son parcours lourd
dorait un son crissant au grain d’air) il court
portant son sang plus loin son charbon qui bat
Si nul n’allait brillant sur lui pas à pas
dur cil aujourd’hui plomb au fil du bras gourd
Si tombait nu grillon dans l’hors vu au sourd
mouvant baîllon du gris hasard sans compas
l’alpha signal inconstant du vrai diffus
qui saurait (saissisant (un doux soir confus
ainsi on croit voir un pont à son galop)
un non qu’à ton stylo tu donnas brûlant)
qu’ici on dit (par un trait manquant plus clos)
l’art toujours su du chant-combat (noir pour blanc)
J. ROUBAUD
Kardinal, Rabbi und Admiral, als Führungstrio null und nichtig und darum völlig abhängig vom Ami-Trust, tat durch Rundfunk und Plakatanschlag kund, daß Nahrungsnot und damit Tod aufs Volk zukommt. Zunächst tat man das als Falschinformation ab. Das ist Propagandagift, sagt man. Doch bald schon ward spürbar, was man ursprünglich nicht glaubt. Das Volk griff zu Stock und zu Dolch. »Gib uns das täglich Brot«, hallts durchs Land, und »pfui auf das Patronat, auf Ordnung, Macht und Staat«. Konspiration ward ganz normal, Komplott üblich. Nachts sah man kaum noch Uniform. Angst hält Soldat und Polizist im Haus. In Mâcon griff man das Administrationslokal an. In Rocamadour gabs Mundraub sogar am Tag: man fand dort Thunfisch, Milch und Schokobonbons im Kilopack, Waggons voll Mais, obwohl schon richtig faulig. Im Rathaus von Nancy sahs schlimm aus, fünfundzwanzig Mann schob man dort aufs Schafott, vom Amtsrat bis zum Stadtvorstand, und, ruckzuck, ab war ihr Kopf. Dann kam das Mittagsblatt dran, da allzu autoritätshörig. Antipropaganda warf man ihm vor und Opposition zum Volk, darum brannt das Ding bald licht und loh. Ringsum griff man Docks an, Bootshaus und Munitionsmagazin.
Bald danach, so ausfällig ward das Volk, griff man sogar Muslims aus Nordafrika an und natürlich Buchsbaums und Abrahams und was sonst noch jüdisch war. So kams zum Pogrom in Drancy, in Livry-Gargan, in Saint-Paul, in Villacoublay, in Clignancourt. Dann folgt Abschlachtung von Nachbarn, nur so zum Spaß. Tollwütig spuckt man ins Antlitz vom Kaplan, wo vorm Trottoir ’m C. R. S.-Major Absolution gibt. ’n Hans Lustig macht ihm durch Jataganschlag ’n Garaus.
Kaltblütig bringt man fürn Stück Wurst Oma und Opa um, fürn Stück Brot ’n Cousin, ’n Nachbarn für Obst, ’n Quidam gar für Kaviar.
Anfang April, nachts, von Sonntag auf Montag, folgt Dynamitanschlag auf Dynamitanschlag, fünfundzwanzig an Zahl. Dann flog man Luftangriff um Luftangriff auf ’n Turm von Orly. Kurz darauf stand das Alhambra in Brand, das Institut Français raucht, das Hospital Saint-Louis flammt auf. Vom Parc Montsouris bis zur Nation schauts wüst aus, Wand um Wand fällt um und wird zu Staub.
Im Palais Bourbon hat Opposition, giftig und scharfzüngig, nur noch Hohn und Spott übrig fürn Machtapparat, wo daran zwar Anstoß nimmt, doch sonst nichts tun kann, auch nichts tun will und fahl und fickrig Situation und so hinnimmt. Am Quai d’Orsay bringt man Ordonnanz um Ordonnanz um, sag und tipp achtundzwanzig Mann. In Latour-Maubourg schlägt man Hollands Konsul tot. Anchovis nämlich stahl das Aas, drum war man auf ihn spitz. In Wagram schlug man Graf Koks bis aufs Blut, war Graf Koks doch so unvorsichtig und töricht, Armut und Not als unaristokratisch abzutun. Am Raspail nahm sich Jung-Wiking mit Blondhaar Armbrust zur Brust und schoß grundlos auf Mann und Frau, so ihm nicht paßt.
Korporal Brun ward plötzlich hungrig und durstig und stahl Most und Pudding. Dann knallt Korporal Brun das Bataillon ab, vom Major bis zum Soldat Arsch, und da Burns so großartig killt, Barrasausbildung bringt das halt mit sich, macht ihn Vox Populi zum Großadmiral, doch tat ihm das nicht gut, da das Schicksal bald schon zu- und ihn totschlug. Hauptmann X gönnt ihm nämlich das Hochhinaus nicht und killt ihn kurz darauf tückisch und bösartig.
’n Witzbold, doch man fand das gar nicht so witzig, goß am Tor Saint-Martin Napalm aus, worauf Panik ausbrach. Auch in Lyon wars schlimm, Tod kam dort Tag und Nacht durch Skorbut, Typhus und Durchfall.
Aus Blödsinn, da’s sonst nicht Grund noch Motiv dazu gab, schloß Amtmann Vavin, im Kopf nicht ganz dicht, Bars, Bistros, Kinos und Dancings. Darauf griff Durst um sich. Frühling wars nämlich, Anfang Mai, doch wahnsinnig warm schon; plötzlich ging ’n Autobus in Brand, so hitzig wars, und fünf von acht Mann traf das, wozu man manchmal Solarstich sagt.
Bald darauf hob man das Sportas, das das Volk kurzfristig in Bann schlug, aufs Schild. Man macht ihn zum König und nannt ihn hinfort nicht Attila III., was das Sportas sich wünscht, man zwang ihm Fantomas XVIII. auf. Das paßt ihm ganz und gar nicht. Man schlägt ihn darum von Hand tot und macht nun so ’n Hansdampf zum Fantomas XXIII. Man gibt ihm Strick, Thron, Gold und Platin und trägt ihn im Triumph zum Palais-Royal. Doch dort kam Fantomas nicht an. Mord harrt auf ihn. ’n Schlagtot ruft: »Stirb, du Tyrann! Zu mir, Ravillac!«, und schon ists zu spät. Dolchdurchbohrt fällt Fantomas um. Man wirft ihn sofort ins Grabloch. Acht Tag darauf kommts zur Grabschändung, doch das Warum kam nicht raus.
Dann taucht noch ’n König auf, fränkisch natürlich, ’n Hospodar, ’n Maharadscha, zwo Romuli, acht Alarichs, fünf Atatürks, acht Mata Haris, ’n Gajus Gracchus, ’n Fabius Maximus Rullianus, ’n Danton, ’n Saint-Just, ’n Pompidou, ’n Johnson (Lyndon B.), Adolfs zuhauf, zwo Mussolinis, fünf Caroli Magni, ’n Washington, ’n Otto, wo sofort Habsburgs Haß auf sich zog, Dschingis-Khan alias Timur Ling, wo, Mordlust im Blick, kollaborationslos zwölf Pasionarias killt, zwanzig Maos, achtundzwanzig Marx’ (’n Chico, zwo Karls, fünf Grouchos, zwanzig Harpos).
Zum Volkswohl schafft Marat kurz darauf das Bad ab, doch Charlot Corday traf ihn auch so und murkst ihn im Waschtopf ab.
Macht war somit durch Abschaffung und Auslöschung unmöglich: zwo Tag darauf schoß man mit Tanks vom Quai d’Anjou aus aufs Dach vom Turm Sull-Morland, wo Magistrat und Administration Zuflucht fand. ’n Amtsrat ging bis hinauf aufs Dach, winkt mit’m Tuch, das grau und farblos war, und tat durchs Mikrophon kund, daß man schlicht und schmucklos abdankt, und bot dann, für sich, sofort Kollaboration an. Doch das nützt ihm nichts, man tat, was schon in Planung war, man griff mit Sturmtanks an, rücksichtlos, und da gabs nicht Mahnung noch Ultimatum. Was nun das Giftgas anging, das Garnisonskommandant Tolpatsch, wo Vollmacht hat, ranschafft, so war das völlig nutzlos und so töricht als nichts zuvor, zumal dadurch Situation und Umstand katastrophal ward.
Kurzum, schlimm sahs nun aus. Man schlug dich kurz und winzig für nichts und nochmals nichts. Man sagt Grüß Gott zu dir, und schon hängst du am Baum. Man tritt zum Angriff an auf Autobus und Taxis, auf Postauto und Schlafwaggon, auf Trambahn und Fahrrad. Man stürmt das Hospital, schlägt k.o., was schon todkrank, und schoß ’m Armab vorn Latz. Gut fünfmal schlug man Christus ans Kruzifix. Natürlich war Christus falsch, doch was tuts. ’n Saufbold warf man in Alkohol, ’n Drogist in Formol, ’n Motorradfan in Gasöl, wozu man auch Disl sagt, falls man orthographisch nicht ganz auf Draht ist.
Dann schnappt man sich ’n Bambino und kochts im Dampfpott, ’n Ungar, wo auf Hindu-Art dran glaubt, ’n Advokat, wo man Bär und Wolf zum Fraß vorwirft, ’n Mönch, wo man so rannimmt, daß das Mannsbild Blut schwitzt, Daktylos, wo man ins Gas schickt, Clowns, Strichmädis, Mussipontins, Mylords, ’n Koksmann, ’n Syndikalist, ’n Maat, ’n Landwirt, ’n Typograph und so fort und so fort.
Man raubt, brandschatzt, notzüchtigt. Doch damit hat sichs noch nicht: Mord und Totschlag, Lug und Trug sind normal. Nachbarn mißtraut man, Haß wird zur Lust.
Anton Voyl hat Schlaf nötig, doch Anton kommt nicht an und macht Licht. Auf Antons Uhr ists null Uhr zwanzig. Anton ächzt laut, wälzt sich mal so rum, mal so rum – Antons Schlafcouch ist hart –, stützt sich dann auf, griff sich ’n Roman, schlug ihn auf und las; doch lang ging das nicht gut, da Anton vom Inhalt absolut nichts schnallt und ständig auf ’n Wort stößt, wovon ihm Sinn und Signifikation total unklar ist.
Also klappt Anton das Buch zu und ging ins Bad; dort macht Anton das Handtuch naß und fährt sich damit gründlich durchs Antlitz, und auch Antons Hals kommt dran.
Antons Puls schlug zu stark. Ihm war warm. Anton macht das Wandloch mit Glas davor auf und schaut durch Nacht und Wind zum Mond hinauf. Warm wars, doch nicht zu warm. Vom Vorort drang kaum hörbar Lärm zu ihm rauf. Vom Kirchturm schlugs – dumpf und matt – zwomal und dann noch mal. Auf’m Kanal Saint-Martin fuhr sanft das Sandschiff dahin und pfiff schrill.
Aufm Glas vom Wandloch gings animalisch zu: Thorax indigo, Dorn safran, so sah das Monstrum aus. Was war das? Nicht Ohrwurm noch Holzlaus, das ist schon mal klar. Das Ding kam langsam ganz nah ran, womöglich wars ’n Floh? Anton ist sich unschlüssig, tritt dann vors Bullaug, sagt sich, ich mach das Ding kaputt, holt aus zum Schlag, und schwupp, fort ist das, was womöglich ’n Floh war, und schwand dahin im Nachtraum.
Anton schlug nun fünffingrig, wohl aus Wut, aufm quadratisch Wandloch mit Glas ’n Takt zur Musik, wo in ihm war.
Dann ging Anton zum Kühlschrank, macht ihn auf, nahm Milch raus, schön kalt, trank langsam, Schluck um Schluck. Danach war Anton ruhig. Bald darauf saß Anton aufm Sofa und las flüchtig das Mittagsblatt vom Tag zuvor, raucht dann ’n Zigarillo bis zum Mundstück, das gar nicht dran war, obwohl ihm das Parfüm vom Zigarillo nicht paßt. Darauf kotzt sich Anton aus.
Anton knipst das Radio an, hört zunächst Afro-Kuba-Musik, dann ’n Boston, dann ’n Bossanova, dann ’n Tango, dann ’n Foxtrott, dann ’n Kotillon, wo man auf modisch aufmotzt. Dutronc sang Lanzmann, Barbara ’n Madrigal von Aragon, Stich-Randall was aus Aida.
Danach döst Anton kurz vor sich hin und wird plötzlich wach. Das Radio tut kund: »Und nun das Politmagazin mit Nachricht aus Stadt und Land.« Nichts gabs da, was wichtig war: in Valparaiso fünfundzwanzig Mann tot zur Inauguration von Flußkonstruktion; in Zürich macht Prinz Norodom Sihanouk publik, daß mit Washington und ihm nichts läuft und daß ihn nichts dorthin bringt; im Matignon drängt Pompidou ’n Syndikatsbund zur Bildung vom Sozial-Status-quo, womit Pompidou natürlich nicht durchkommt. In Biafra Konflikt auf Konflikt; in Conakry sprach man von Putsch. In Nagasaki tobt ’n Taifun, und auf Tristan da Cunha ist ’n Orkan, Amanda tauft man ihn sofort, im Anmarsch, worauf man das Volk im Transportflugapparat fortschafft.
Zum Abschluß dann Sport: in Roland Garros schlug Santana im Match, das fürn Daviscup zählt, Darmon mit fünf-zwo, achtzwo, zwo-fünf, zwölf-acht, acht-fünf.
Anton knipst das Radio aus, sinkt hin, will noch was tun, doch ist zu müd dazu. Dann sah Anton das Bild vor sich, das ständig auftaucht und dahinschwand, ganz nach Blickrichtung:
Manchmal ists rund, doch nicht ganz zu und läuft mit Horizontalstrich aus: sah fast aus, als wärs ’n G, das man im Mirror-Glas schaut.
Dann grau auf grau, farblos fast, taucht aus Kristalldunst das Porträt vom König auf, wo ’n Sarraß schwingt und hochmütig guckt.
Dann, ganz kurz nur, als Strich-Trio, so man will, taucht noch ’n Bild auf, approximativ und flou: Konturlos fast und schwach im Profil führt dir Imagination plötzlich trifingrig Hand vom Sardmann, wo höhnisch lacht, vors Aug.
Dann drängt sich plötzlich Figuration auf vom Drohn im Flug, wo auf schwarzfarbig Thorax fast schlohblank ’n trifach Strich trägt.
Antons Imagination ist zunächst trüb und blüht dann langsam auf. Darauf ging Anton in sich, durchforscht Wand und Vorhang vor sich, und allmählich taucht nun Kombination auf Kombination auf, fünf, acht, zwanzig, fünfundzwanzig, voll Faszination zwar, doch unwichtig, haltlos, da irrtümlich, Porträts, zwar obskur, doch worin Anton unaufhörlich Ordnung bringt und darin ’m Signal nachjagt, das klar ist, ’m Globalsignal, wovon man sofort Sinn und Signifikation schnallt; ’n Signal, das ganz und gar nach Antons Gusto ist. Doch nichts; was Anton da vor sich sah, war unvollständig, war nicht das, worauf man sich ’n Bild macht, war nur Punkt, Strich, Ansatz, fähig durchaus zur Konfiguration vom Ursprungsbild, wovons Nachahmung war, das ’s zwar in sich birgt, doch nicht zur Schau trägt, nämlich das:
’n Mann, wo tot, ’n Strolch, ’n Auto-Porträt;
’n Kalb, ’n Habicht, ’n Kuckuck im Nistloch;
’n Gichtfuß;
’n Wunsch;
das tückisch Aug vom Kolossal-Pottwal, wo Jonas Stirn bot, Kain durchdolcht, Ahab mit Faszination schlägt: Wandlung vom Vitalpunkt, wovon Publikmachung tabu war und darins um Macht und Wißtum ging und wovon Anton hofft, daß das nicht noch mal von vorn anfängt.
Anton kam in Zorn. Anblick von Wand und Vorhang macht ihn ganz krank. Anfänglich glaubt Anton, daß ausm Bildchaos ’n Punkt rausragt, woran man sich aufhängt, ’n Punkt, woran man zwofingrig rührt. Manchmal glaubt Anton: ich bin ganz nah dran, das löst sich auf, und dann war doch nichts.
Anton fuhr hartnäckig fort. Faszination packt ihn. Das war, als gäbs da in Wand und Vorhang, worauf Anton starrt, ’n Anhaltspunkt, ’n Alphapunkt, darin man Allmacht und das Infinitum vom Kosmos fänd, ’n Ursprungspunkt, so man will, woraus plötzlich ’n Totalpanorama auftaucht, ’n abgründig Loch im Nullstrahl, ’n Platz, worum Anton ’n Strich zog. Und so saß Anton da, starrt auf Vorhang und Wand, sucht ’n Durchgang und kam doch nicht hindurch …
Acht Tag lang kämpft Anton wild und hartnäckig um Lösung, hängt nur noch rum, ist schon halb blöd, starrt stur auf Vorhang und Wand, spornt unablässig ’n Imaginationsfluß an, wo auch ganz schön in ihm floß und ins Kraut schoß, schaut unaufhörlich vor sich hin, faßt Vision ins Wort, baut drum rum ’n Roman auf, und hofft, daß sich bald wohlfällig auflöst, was bis dahin unklar und obskur.
Anton rast. Ihm schnitts Luft und Atmung ab. Nicht Anhaltspunkt noch Fanal, nur Kombination auf Kombination, gut zwanzig an Zahl, doch Anton kommt da partout nicht raus, obwohl ihm natürlich schwant, daß Lösung ganz nah ist: manchmal rückts zwar fort, doch dann kommts plötzlich ran, drängt sich fast auf: bald wüßt Anton, woraufs hinausläuft (da’s im Grund ganz banal und ganz normal war …), doch kurz darauf wurds obskur, schwand dahin: da raunts nur noch flüchtig, ’n sibyllinisch Charabia, ’n Galimathias, das konfus. ’n Tag, so völlig falsch. Wirrwarr fürwahr.
Anton schläft nicht, obwohl ganz müd.
Und doch, zur Nacht haut sich Anton aufs Sofa, wozu man auch Schlafcouch sagt, nimmt zuvor Baldrian und Schlaftrunk zu sich, mal auf Opium-, mal auf Mohnbasis, säuft dann und wann auch Opiumtinktur pur, zog sich was aufs Haupt und zählt dann Schaf um Schaf.
Bald darauf schläft Anton, döst vor sich hin. Dann fährt Anton plötzlich hoch. Ihm ist kalt. Und nun taucht vor ihm das Bild auf, das ihm Tag und Nacht folgt: für kurz nur, allzu kurz, wußt Anton, was los war, sah und schnallt.
Anton sprang zur Wand, zu spät natürlich, ständig zu spät: was Anton dort sah, war nun fort, und da war nur noch Irritation und Antons Wunsch, wo fast ins Schwarz traf, da war nur noch Frustration, daß das nicht klappt.
Darauf stand Anton, so wach als ’n Individuum, das von früh bis spät schläft, vom Sofa auf, ging auf und ab, trank, sah hinaus in Nacht und Dunst, las, macht das Radio an. Manchmal zog sich Anton an, ging hinaus, läuft rum, bringt Nacht um Nacht in Bars zu, manchmal auch im Club. Dann und wann zwängt sich Anton ins Auto (doch Anton fuhr nicht gut), fuhr drauflos, dahin und dorthin, ganz nach Lust und Inspiration: nach Chantilly, nach Aulnai-sous-Bois, nach Limour und nach Raincy, nach Dourdan, nach Orly. Anton fuhr sogar mal bis nach Saint-Malo: dort bringt Anton fast fünf Tag zu, doch Schlaf kam ihn auch dort nicht an.
Anton tat, was ihm möglich war, und fand doch nicht Rast noch Schlaf. Anton schläft mal mit Schlafanzug und mal ganz nackt, mal mit Trikot und mal mit Strumpf am Fuß, mal mit Schal und mal mit Gandurah vom Spahi-Cousin. Nichts half. Anton macht das Sofa auf zwanzigfach Art. Schafft sich dann, und zahlt ’n Kapital dafür, ’n Schlafsaal an, jawohl, ’n Schlafsaal nur für sich, doch auch das nützt nichts. Dann kommt ’n Klappsofa dran, Schlafsack, Diwan, Couch, doch auch das war umsonst.
Lag Anton bloß, war ihm kalt, hat Anton ’n Plaid auf sich, war ihm warm. Manchmal schläft Anton rittlings, und manchmal sitzt Anton und schläft. Anton fragt ’n Fakir, wo ihm Dornstatt anbot, dann ’n Guru, wo ihm von Yoga-Position spricht: Anton faßt sich mitm Arm ans Haupt und packt dann linkshändig ’n Fuß.
Doch sowohl das als auch das war nutzlos. Anton kam nicht an. Zunächst glaubt Anton, daß nun Schlaf kommt, doch dann stürzt sichs auf ihn, in ihn, summt und brummt rings um ihn rum. Das drückt ihn. Das schlaucht ihn.
’n Nachbar, human und schonungsvoll, ging mit ihm zur Konsultation ins Hospital Cochin. Dort fragt man ihn zunächst mal ganz abrupt und brutal: »Hast du Moos? Zahlst du bar? Sonst hilft man dir nicht.« Anton rückt sofort das Moos raus, da Anton will, daß man ihm hilft. Darauf horcht man ihn mitm Horchapparat ab, klopft an ihm rum, röntgt ihn. Anton läßts mit sich tun. Man fragt, ob Anton litt. Das schon, sagt Anton. Und woran? Und Anton sagt, ich schlaf nicht, ich hab Schlafstörung. Nahm Anton was zu sich? Stärkungssirup? Baldrian? Ja, das tat Anton, doch das war wirkungslos. Litt Anton manchmal an Aug und Iris? Nicht daß ich wüßt, sagt Anton. Am Kinn? Möglich. Stirn? Ja. Im Hörgang? Nicht richtig, doch nachts brummts dadrin. Man fragt ihn: brummts richtig, brummts falsch? Das wußt Anton nicht.
Man schickt Anton zur Otorhinolaryngologin, als Frau ganz in Ordnung, rothaarig, wirklich toll, und das Haar ging ihr bis zum Arsch, am Aug Kontaktglas und so, nur ihr Rock war zu kurz. Frau Doktor, wo ’n Zigarillo raucht und nach Alkohol stinkt, nahm Antons Puls, horcht ihn ab, schaut ihm ins Maul, bohrt ihm im Ohr rum, stößt bis zum Tympanon vor, drückt ihm auf Larynx, Naso-Pharynx und Stirnhöhl. Frau Doktor macht das zwar ganz gut, doch daß das Aas pfiff, als ’s Anton abhorcht, das macht ihn wild.
»Oh oh oh«, sagt Anton. »Das tut mir …«
»Pst«, macht Frau Doktor, »nur ruhig Blut, ich tu dir ja nichts.«
Dann knallt Frau Doktor mitm Minirock Voyl aufn Billardtisch, wo glatt, glanzvoll und kalt war, macht da was an’m Knopf, dort was an’m Knopf, zog ’n Vorhang zu, macht Nacht und sobalds Nacht war ’n Foto von Anton Voyls Dadrin, knipst danach das Licht an. Anton duckt sich aufm Billardtisch.
»Stopp!« kündigt Frau Doktor an, »noch ist nicht Schluß. Zunächst prüf ich mal nach, obs da ’n Hauch von Auto-Intoxikation gibt.«
Darauf schloß Frau Doktor ’n Apparat an’n Strom an, drückt Anton ’n Iridiumpunz, wo aussah, als wärs ’n Stylo, aufs Haupt, und las dann aufm Skalablatt, wo ’n Dorn mit Farbstift durch Rotorvibration auf und ab rückt, Antons Blutbild.
»Schaut ganz so aus, als wär das Schriftbild aufm Maximum«, sagt Frau Doktor, klopft am Apparat rum und kaut dazu am Zigarillo, »ich tipp auf Stirnhöhlkonstriktion, ich mach das bald auf und guck nach.«
»Auf!« fährt Voyl hoch.
»Ja, ganz richtig: ich machs auf«, sagt Frau Doktor, »sonst gibts noch ’n Krupp, womöglich gar ’n Krupp, wo falsch ist.« Frau Doktor sagt das launig, humorig fast. Voyl fragt sich, ob Frau Doktor Spaß macht: doch Frau Docs Schwarzhumor macht ihm angst. Anton holt das Sacktuch raus, spuckt Blut und ruft dann rot vor Wut:
»Du Scharlatan! Warum ging ich nicht zur Ophthalmologin?«
»Schön ruhig«, sagt Frau Doktor konziliant, »zunächst gibts Immuno-Transfusion, so fünf- bis achtmal, und dann schaut man klar.«
Frau Doktor drückt aufn Knopf, wo Laut gibt, kurz darauf taucht ihr Stift auf, wo ’n Purpurwams trägt.
»Rastignac«, sagt Frau Doktor zu ihm, »lauf sofort nach Foch, nach Saint-Louis, nach Broca, wohin du willst, ich brauch noch vor Mittag Impfstoff, und zwar anti-konglutinativ.«
Dann ruft Frau Doktor ihr Daktylo zum Diktat und spricht also zu ihr:
»Anton Voyl. Konsultation vom 8. April: Koryza banalis, Auto-Intoxikation vom Naso-Pharynx, was womöglich zur Schädigung vom Olfaktionstubus führt, Stirnhöhlkonstriktion links mit Inflammation vom Mukus, wo bis zum Kinnlapp sublingualis ausstrahlt; Larynximpfung führt womöglich zum Krupp. Darum schlag ich Stirnhöhlablation vor, sonst büßts das Stimmorgan.«
Dann spricht Frau Doktor Voyl Mut zu: zwar ist Stirnhöhlablation was, wo fast ’n Tag in Anspruch nimmt, doch sonst ist das völlig harmlos und banal. Das gabs schon am Hof von Louis XVIII. Voyl hat zur Angst nicht Grund noch Motiv: zwölf Tag, und Voyl ist zu Haus.
Voyl ging also ins Hospital. Man schafft ihn in’n Saal mit achtundzwanzig Schlafcouchs, fünfundzwanzig davon mit Inhalt, wo krank ist und sogar halbtot. Man gab ihm Tranquillantia mit Mordswirkung (Largactyl, Procalmadiol, Atarax). Früh am Tag sah Anton Voyl ’n Big Boss, wo ’n Gang macht von Saal zu Saal; mit ihm Hofstaat und Troß vom Hilfsarzt bis zum Arztstift; Big Boss trinkt Milch und spricht dazu, grinst und lacht manchmal ordinär. Dann und wann ging Big Boss bis zur Schlafstatt von’m Mann, wo todkrank war und aufm ultimo Loch pfiff, drückt ihm ’n Arm, klopft ihm aufn Brustkorb und lockt so, falls das Individuum kitzlig ist, ’n Lachanfall aus ihm raus. Doch Big Boss hat auch ständig ’n Witz parat, ’n Trostwort, falls Trost da noch was hilft, und im Sack ständig ’n Bonbon für das Kind, das klagt und stöhnt. Und mit Mamas, ganz klar, lacht Big Boss auch mal. War ’n Fall mal ganz schlimm und hoffnunglos, und das kam dann und wann durchaus vor, klärt Big Boss ’n Arztstiftstroß auf und sagt, was ihm diagnostisch dazu auffällt: Parkinson, Gicht, Charbon, Guillain-Thaon, Coma postnatal, Syphilis, Konvulsion, Palpitation, Torticolis.
Zwo Tag darauf schob man Anton Voyl in ’n Raum, wo ganz blank war, und bald darauf lag Anton aufm Billardtisch. Chloroformisation. Dann drückt ihm Frau Doktor ’n Trokar ins Nasloch: durch ’n Schnitt vom Olfaktiv-Traktus kommts zur Naso-Dilatation, und das nutzt Frau Doktor natürlich sofort aus und kratzt mit Obradowitsch-Schabstahl an Stirnwand rum. Dann folgt Ausschabung mit Hornschaft, was man damals noch nicht oft tat, danach macht sich Frau Doktor rasch und burschikos an Okklusion und braucht dazu ’n Schnurlochpunz mit Öhr, das ’n Ungar zwo Monat zuvor in Schottland zur Hochform bracht. Doch damit war noch nicht Schluß: nun kams zur Stirnhöhlpunktion, und was da rauskam, war schon traurig: Frau Doktor holt da doch glatt ’n Fungus malignus raus, und frag nicht, was für ’n Format. Dann kams zum Schlußakt, zur Naht von Hautschrundung.
»Gut«, sagt Frau Doktor dann zum Schluß zum Hilfsarzt, wo schwitzt, »mir kommts so vor, als wär Oxydation und so nun völlig in Ordnung. Kurzum, mir fällt nicht auf, daß da noch Inflammation ist.«
Frau Doktor tupft Voyl vorsichtig mitm Bausch ab, näht dann noch mal mit Catgut, das ist Schnur aus Darm, macht dann Hansaplast drauf. Zur Nacht ist man zwar noch unruhig, da man ’n Trauma, auch’n Schock für möglich hält. Doch komplikationslos narbt zu, was zuvor auf war.
Acht Tag danach kann Voyl raus ausm Hospital: Voyl ging also nach Haus. Ich füg nur noch hinzu, daß Anton Voyl auch nach Tortur und Qual nicht schläft; doch dafür, und das ist durchaus positiv, litt Anton kaum noch.
Zwar litt Voyl nur noch mäßig, doch fühlt sich Voyl dafür furchtbar schwach, lag und hing von früh bis spät auf Sofas, Diwans und in Rocking-chairs rum, malt mit Buntstift unaufhörlich das Motiv vom Aubusson-Wandtuch aufn Stück Karton, ’n Motiv, das zwar sichtbar, doch unklar und schwammig ist, spricht manchmal wirr, sobald Halluzination ihn anfällt.
Anton ging durch ’n Korridor, wo wahnsinnig hoch war. Dort hing wandwärts das Buchbord aus Mahagoniholz. Und darauf Foliant an Foliant, achtundzwanzig Stück. D.h. Sollzahl war achtundzwanzig, doch wars schon Norm, daß ’n Band fort war, und zwar akkurat das Buch, wo als Inschrift »FÜNF« drauf stand. Und das fällt nicht mal auf, da nichts kundtut, daß ’n Foliant fort ist (daß z. B. auf Karton das Wort »a ghost« stand, was in Londons National Library üblich ist); sichtbarlich gabs da nicht Loch noch Lück. Hinzu kam, und das macht stutzig: anordnungsmäßig sah man gar nicht, daß das Buch nicht da war, was daran lag, daß man absichtlich vorn mit Nr. fünfundzwanzig anfing und folglich Nr. fünf fast ganz am Schluß stand, wo kaum noch ’n Aas hinkam. Nur falls du am Schwanz anfängst – nach ’m Motto, wonach man manchmal das Roß aufzäumt – und dich rückwärts von Buch zu Buch durchzählst und auch nichts davon ausläßt, dann fällt dir auf, daß Band fünf gar nicht da ist.
Gut. Anton griff sich so’n Foliant, schlug ihn auf (dacht, daß dort Lösung auf ihn harrt, hofft, daß ihm da zufällig in’n Schoß fällt, wonach man manchmal lang, lang sucht), d.h. Anton wills tun, doch kanns nicht, da Antons Arm nicht so lang und das Buchbord zu hoch ist; so kams, daß das Buch samt Inhalt für Anton tabu war. Das läßt ihm natürlich nicht Ruh noch Rast, und bald sah Anton im Buch ’n Kolossal-ABC, was so falsch auch nicht war, mal Koran, Talmud, Thora, kurzum das Groß-Opus, Angstmachbilanz quasi von Allmacht und Durchblick …
Doch da war ’n Manko. Da war ’n Ausfall, ’n Spalt, ’n Loch, wovon man nichts wußt, das man nicht sah, das dich blind macht. Da war plötzlich was fort, war aus Blick und Sinn. Manchmal kams auch vor, daß Anton im Tagblatt Ansammlung von Horrorinformation sah:
KP-AUSLÖSCHUNG DURCH JUSTIZ
PARIS IM AUGUST:
TROSTLOS MIT TOURISTIKBANDWURM!
–
Für Frachtstück, Postsack und Stückgut:
Nicht Strick noch Schnur, nur Band.
SAG JA ZUM T-SABAND!
BANKROTT MIT SCHIMPF FÜR
SNOB, PROTZ UND CO.
Manchmal sprang ihn auch das Bild von Didi an, vom Dorfidiot, dumm und blöd, wo zwar Unsinn quatscht, doch sonst wirklich harmlos ist: man lacht, sobald man ihn sah, man warf nach ihm, macht ihm Angst, ’n Bub pappt ihm ’n winzig Huhn ans Wams und ruft dann: »Das Huhn ist tot, das Huhn ist tot!« »Blöd«, brummt Anton dann. Doch blöd und irr und gaga war auch das Bild, das kurz darauf vor ihm auftaucht, das Bild vom Individuum, das sich lässig ins »Braustübl« schlich. Nun, Anton hat nicht nur das Bild vor sich, ihm dringt auch Stimmwirrwarr ins Ohr, und so hört Anton Wort für Wort und ganz klar, was man sagt, obwohls doch nur Halluzination ist (sagt man, doch auch das ist nicht förmlich, schlagt mich also nicht dafür tot):
Stimmlaut vom Typ, wo nun am Tisch sitzt (und mürrisch bzw. martialisch vor sich hin guckt): Hallo, Flunki!
Stimmlaut vom Barman (wo hört, daß Nachtigall tapst): Tag, Major!
Stimmlaut vom Major (glücklich, daß man auf ihn hört, obwohl provisorisch in Zivil): Tag, Flunki, Tag!
Stimmlaut vom Barman (wo vormals das Ami-Idiom als Autodidakt und im Volkshochschulkurs paukt): What can I do for you?
Stimmlaut vom Major (schon rinnts ihm wäßrig ausm Mund): Mach mir ’n Porto-Flip.
Stimmlaut vom Barman (plötzlich ganz traurig): Was? ’n Porto-Flip?
Stimmlaut vom Major (nickt): Ja doch, ’n Porto-Flip!
Stimmlaut vom Barman (wo trüb und schmählich guckt): So was … gibts … in … Bars … nicht …
Stimmlaut vom Major (springt auf): Was! Nicht mal ’n Jahr ist um, da trank ich da, vor dir, zwo Porto-Flips!
Stimmlaut vom Barman (ganz schwach): Ja, damals gabs das noch, doch nun …
Stimmlaut vom Major (braust zornig auf): Du hast doch Porto, nicht wahr?
Stimmlaut vom Barman (schon halb tot): Ja, schon … doch …
Stimmlaut vom Major (platzt los): Also was? Na? Du hast doch auch …
Stimmlaut vom Barman (stirbt nun ganz und gar): Aaaaaaah!! Pst!! Pst!!
Tod vom Barman.
Stimmlaut vom Major (amtlich): Rigor mortis.
Tritt ab und flucht ganz bös auf Barmans Tod.
Voyl war nicht ständig so humorvoll (man sah anfangs nur ’n Anflug von Humor). Manchmal kam ihn Angst an, dann schrak Voyl auf, Furcht im Blick und mit Klopfpuls. Ihm war so, als ob ihn was anspringt, Gnom? Sphinx? Unauslotbar.
Tag für Tag, Monat um Monat braut Halluzination und Irrsinn das Gift, das Opium, das ihm Nahrung ist und ihn bald völlig im Griff hat.
Nachts lag Voyl mal im Kabuff, als jäh das Bild vom Kornwurm bzw. vom Holzbock vor ihm stand, wo sich am Bullaug abmüht und doch nicht hochkommt (ja, das gibts), und das macht ihm mächtig Angst, da Voyl im Animal, ob Wurm, ob Bock, das Symbol von Unglück und Not sah.
Bald darauf sah sich Voyl, kafkaähnlich (man las das nämlich oft in Kafkas Storys), stumm und lahm im Sarg (tatsächlich wars das Sofa, doch Täuschung ist für ihn normal), trug als Kluft ’n Brustharnisch aus Zinn und Stahl und kam sich völlig hilflos vor. Und war an Kopf und Stirn natürlich naß vor Angst. Brüllt laut, doch nichts rührt sich, und hilflos starrt Voyl nachtwärts. Ihm war zu warm. Mit trifingrig Hand macht sich Voyl Luft, doch kühlt ihn das nicht ab. Im Haus ists still, nur dann und wann das Klopfklopf vom Lavabo, das rinnt. Was wird nun aus ihm? Ists nur Zukunftsmusik, daß man mal auf ihn achtsam wird, ihn sucht, nach ihm schaut? Gabs da ’n Wort, das ihm Trost wär? Voyl schnappt nach Luft. Bald ists aus mit mir, gings ihm durchs Hirn. Im Hals wird ihm ganz komisch. Voyl glaubt, man sägt ihm das Stimmband durch, und brüllt wild SOS. Doch was aus ihm rauskommt, ist kläglich und tonlos. Kränklich und stumm grinst Voyls Mund. Hals und Stirn sind blau von Spannung und Druck. Voyl stöhnt. Als wär Voyl ’n Kalb, das man absticht, läuft das Naß an ihm ab. Brust und Bauch drückt Last und Qual. Voyl fühlt sich unwohl, sagt sich, nun ist bald Schluß mit mir, sah sich als Moribundus schon und sonst noch was. Schwarz war das Blut, das faulig ausm Ohr ihm troff. Schwach und waidwund schnappt Voyl nach Luft. Links am Arm ’n Mordsding, dick und prall von Blut. Dann und wann spritzt Rotz und Butz raus.
Voyl schmolz dahin, ward dünn und nahm täglich gut zwo Kilo ab. Statt Hand hat Voyl ’n Stumpf am Arm. Das Antlitz, rund zuvor, schrumpft stündlich fast, am Hals hängt Haut, schlaff und dürr. Aufm Bauch, bis hinauf zur Brust, suhlt sich tückisch und falsch so ’n Lindwurm, Boa constrictor bzw. Python, schlingt sich um ihn rum, schnürt ihn zu, drückt ihm aufn Brustkorb. Und manchmal hört man da so’n Ton, wo dir durch und durch fährt, als malmt man Voyls Rumpf zu Mark und Mus. Voyl ruft laut, doch stimmlich kommt nichts aus ihm raus.
Da wird ihm klar: mit dir ists aus, Tod ist dir nah. Doch um ihn rum ahnt man nichts davon, gibt man sich sorglos. Abwärts gings mit ihm, bald war Schluß und nicht Pastor noch Kaplan in Sicht für Absolution und Trost.
Hoch am Azur schaut Voyl schon Polarfalk, Blaufuß, Raro, Smirill, Habicht, Bussard, Aar, mit Blick auf ihn. Das Aasvolk sah in ihm nur Fraß und Nahrung, bald schon tilgbar, so hoffts. Rings um ihn, um das Sofa rum, das ihm nun zum Sarg wird (als Bild natürlich völlig schräg, man wirft das Sofa nicht ins Loch): Mungo, Maus, Fuchs, Wolf, Bär, Mops, Frosch, Molch, wild auf ihn, sobald mal tot und starr, halbfaul, stinkig, kurzum, wild auf ihn als Aas. ’n Bussard stürzt sich auf ihn, und ’n Saharaschakal läuft auf ihn zu.
Ich bin zu imaginativ, sinnt Voyl mal in Angst, mal voll Spaß. Ist doch toll, was aus dir noch wird: Schakalslunch, Spitzmausration, Polarfraß. Das ist nun mal so, da machst du nichts dran. Das sah schon Arthur so und Buddha längst vor ihm. Willst du davon fort, gibts nur Absolutsstopp für sofort und künftig, kurzum, das Nirwana. Doch sobald du tot bist, sagt sich Voyl dann, machts dir nichts aus, ob du Aas bist und Fraß (vormals las Voyl oft Malcolm Lowry), Gott wills so, und was Gott will, so hört man, ist gut. Und damit gab Voyl Amphitryons Wunsch nach.
Voyl sah sich nicht als Simulant und fand doch schlimm, was ihn da so krankhaft anzog. Für ihn war das Signal und Notruf, war was, das ängstlich macht und hoffnungsfroh. »Bin ich mal dort (und Voyl schaut hoch), dann hab ich Ruh!« Woraufs ihm ankam, war das:
Nicht Tod (obwohl doch ständig mit dir ist) noch Dammnis (obwohl auch Dammnis ständig in dir ist) macht ihm angst, doch dafür Auslassung: das Nichts, das Nirwana, das Loch.
All das ist sichtlich normal, all das ist sichtlich wohlauf, all das ist sichtlich signifikant, doch schaut man ganz nah hin, kratzt am Wort, machts sichtbar für dich und mich, formts zum Satz, auf daß das Wort nicht nur Talisman ist und Schutzschild, voll Naivität, dann kommt das Chaos ganz und gar ans Licht: ja, all das ist sichtlich völlig normal, das ist wahr, das stimmt, doch bald schon, am Tag darauf, acht Tag darauf, ’n Monat darauf, ’n Jahr darauf ist plötzlich Schluß: dann ist ’n Loch da, wächst und wird mordsgroß, Schritt für Schritt, Stück um Stück, und darauf folgt Hirnschwund und Fall ins Nichts. Nach und nach löscht man uns aus, und wir sind still für und für, sind zukunftslos.
Dann sah sich Voyl plötzlich im Roman und fand das assoziationsmäßig fragwürdig, und zwar im Roman, wo Voyl zwölf Jahr zuvor mal las, am Südpol, ’n Roman von Isidro Parodi, nicht doch, von Honorio Bustos Domaicq – so’n Quatsch, brummt Voyl plötzlich, ich war doch gar nicht am Südpol, auch nicht am Nordpol, dann kommt ihm, daß das Haus, wo das Buch rauskam, sich Südpolpublikationsanstalt schimpft. Vom Romaninhalt nur das: ’n Paria – das Schicksal war grausam zu ihm – ist ständig auf Flucht vor Diktator, und das läuft so:
Voyl nannt sich nun Ismail, so stands im Paß, links vom Paßfoto. Nach Flucht und Bootsfahrt fand Landung am Strand von Tahili statt, was höchst mühsam war. Ismail gings danach saumäßig und ward bald darauf todkrank. Acht Tag lang lag Ismail im Loch, das Schutz ihm bot, und träumt vom Tod. Ismails Puls stand fast still. Dann schnappt sich Ismail Malaria auf. Das sah bös aus. Ismail schwitzt wahnsinnig, und doch springt ihn Frost an, krallt ihn, schwächt ihn.
Doch zum Glück war Ismails Konstitution großartig: nur acht Tag danach stand Ismail auf, schwach zwar und schmal, kroch ausm Loch, das fast zum Grab für ihn ward. Durst quält ihn. Ismail pflückt was vom Baum, ’n Stück Obst, schluckts und spuckts sofort aus, da ihm dünkt, daß das Ding giftig ist. Allmählich fand Ismail dann raus, was giftig war und was nicht und aß nur noch, was ihm guttat. Zum Obst, das nicht giftig ist – doch oft täuscht man sich da –, zählt Ismail auch Champignons, wo Ismail schon von Kind an mag. ’n Stück Obst, das nach Pfirsich aussah, war Grund und Anlaß fürn Ausschlag an Hals, Brust und Bauch, doch schon am Tag darauf fand Ismail Ananas, Mangofrucht und Kokosnuß.
Kaum ist dann Nacht, bringt Ismail am Stock ’n Strich an, das Datum, das von nun an für ihn zählt und für ihn wichtig ist. Damit fängt das an, was ihm in Zukunft als Tahili-Ära gilt. Zwanzig Tag darauf zog Ismail ins Haus, daran Ismail Tag für Tag baut. ’n Stall aus Ton. Das Haus war natürlich nicht wandlos, fürs Dach brauchts halt Wand und Sims. Das Dach war aus Stroh bzw. Gras. Kamin gabs nicht und folglich auch nicht Brand, also aß Ismail das Frühstück, das Mittagsmahl und das Nachtmahl ganz roh. Oft kam ihn Furcht vor Pythons und Uhus an, doch zum Glück, glaubt Ismail, gibts Luchs, Puma, Jaguar und Aurochs nicht in Tahili. Manchmal sah Ismail am Horizont ’n Orang-Utan, auch mal ’n Gorilla. Doch aufs Haus fand nicht Angriff noch sonst was statt. Zusätzlich zog Ismail ’n Hanfstrick – Autofabrikation – ums Haus, zum Schutz vor Raub.
Bald darauf macht Ismail, ganz und gar zufällig, ’n Gang durch Tahili und fühlt sich als Robinson auf Tristan da Cunha. Von früh bis spät stapft Ismail nun mutig – ’n Stock macht ihm Mut – vor sich hin. Kurz vor Mondaufgang kam Ismail zum Hochmassiv, von wo aus man ganz Tahili sah. Doch da’s schon Nacht war, war damit nichts. Am Tag darauf schaut Ismail dann früh schon ins Rund, blickt hinauf zum Horizont. Doch was sich ihm als Anblick darbot, davon stockt ihm fast das Blut, fast, da’s so schlimm nun auch nicht war. In Nordrichtung sah Ismail ’n Rinnsal, das zum Flußarm hinläuft, dann, am Strand fast, und Ismail sträubt sich das Haar, fünf Tumuli. Ismail ging unauffällig hin und sah, daß das Drum und Dran, das Ringsum, so’n Ausrüstungskram war, wo dir nicht klar wird, wozu das gut ist; Ismail glaubt zunächst an ’n Glühstrumpf. Tatsächlich, Ismail lag nicht falsch, doch das Ding trat nur in Funktion, sobald das Flußnaß anschwoll.
Ismail fragt sich noch, was das Ding soll, da stößt Ismail plötzlich auf Wohnhaus, Aquarium und Rundfunkinstallation.
Doch im Haus nicht Mann noch Frau noch Kind. Ismail fands komisch. Im Hof sahs auch trostlos aus, wo vormals Naß rauskam, war nun nichts, nicht mal ’n Rinnsal. Dafür kroch ’n Krokodil durchs Aquarium, das voll war mit Humus.
Das Haus, so schätzt Ismail, stand schon lang, gut zwanzig Jahr, und konstruktionsmäßig natürlich im Baustil von damals. Das sah nach Rokokokasino aus, nach Kolonialpalast, nach Bungalow für Urwaldland und, warum auch nicht, nach Puff mit Ultraschick.
’n Tor, hoch und mächtig, mit Durchbruch und Moucharab davor, führt zum Korridor, gut zwanzig Schritt lang, und von dort zum Rundsalon, wo arg groß war: ausstattungsmäßig gabs da Marmor, Sofas, Diwans, Rollsitz, Stuhl, Tisch usf. Zur Loggia führt stufig ’n Gang. Vom Plafond aus Urwaldholz, hart und farblich ganz blaß (Gayac bzw. Santal), kam ’n Aluminium-tau, daran hing ’n Stahlring, blank und silbrig, und am Stahlring nun hing ’n Lampion aus Japan, das Opalinlicht warf, doch schwach nur. Durch zwo Bow-Windows mit Goldinkrustationsglas kommt man zum Balkon, wo man das Kolossal-Panorama vor sich sah.
Schritt für Schritt und höchst vorsichtig knöpft sich Ismail nun das Haus vor, klopft an Wand und Tür rum, schaut zum Dach hinauf, schaut sich das Marmorbad an, sogar das Klo, schnaust im Nachttisch rum, im Pult, im Stahlfach gar. Nichts läßt Ismail aus. Das Schaltbild im Kabuff macht ihn sprachlos; zwar ist ihm klar, daß das mit Strom zu tun hat, doch Sinn macht das für ihn nicht; da gabs Oszillator, Schallöffnung, Hi-fi-Radio, Chassis, Tonband mit Zwölftonmusik drauf, Achtkanal-Rack, StroboZykloidal-Schwungrad und Pipapo, doch organisationsmäßig sah Ismail da ständig nur Bahnhof.
Schlaf fand Ismail im Haus nicht, das hat natürlich auch mit Angst zu tun, Ismail traut sich halt nicht. Ismail zog sich also zurück und stapft los in Richtung Obdach von ihm, ’n Schutzraum praktisch, woran Ismail Tag für Tag baut, und so nahm Ismail gar manch Ding ausm Haus mit: ’n Kochapparat, ’n Fischtopf, ’n Salatglas, ’n Faß mit Alkohol. Und dann gings ab ins Dickicht, wo Ismail das Raubgut – und Raub wars, so und so – hinbringt. Ismail fängt nun von vorn an am Schutzraum, und bald ist Ismails Obdach – das Wort Haus stimmt da nicht ganz – auf Hochglanz. Dann ging Ismail auf Jagd, killt ’n Hirsch, wo natürlich zu groß und zu mächtig für ihn ist, doch im Grund macht das nichts, da Ismail Schmalz draus macht, Ragout, Gulasch und was da sonst noch möglich ist. Ismail schätzt, daß ihm das fürn Monat, zwo gut langt. Dann fängt Ismail ’n Aguti und macht Boudin draus.
Monat um Monat ging ins Land. Im Wald wuchs Parasol und Champignon und Hallimasch. Dann kam Monsunsaison. Das Azur, zuvor so klar, war trüb, und am Horizont sah man Strato, Nimbo, dann Kumulus (bzw. -li). Zunächst nur windig, zog plötzlich Sturm auf, und dann schiffts und schifft, so stark, daß mans kaum für möglich hält.
Zwo Tag darauf, früh um fünf, Ismail war schon auf Tour, sah Ismail ’n Schiff und fragt sich bang, kommts, kommts nicht? Das Schiff kam, schon lags am Strand bzw. kurz davor. Bald darauf sah Ismail ’n Individuum, das zum Kasino ging. Und sah dann fünf, zum Schluß gar acht Mann aufm Marsch zum Bungalow bzw. Prunkpuff. Kaum im Haus, gings auch schon los mit Krach und Radau. Jazz-Musik dröhnt laut bis zu Ismail hin, und im Salon, Ismail sahs ganz klar, da Tür und Tor aufstand, tanzt ’n Paar Foxtrott, und zwar ganz schmissig und fast profihaft. Das Musikstück war mal – long long ago, gut zwanzig Jahr – ’n Hit und Publikumsfavorit. Und dann kams dick.
Ismail sah zwar, was auf ihn zukam, und wollt darum ab nach Haus ins Primitivobdach, das ihm Schutz bot. Doch Vorwitz plagt ihn. Also kroch Ismail aufs Kasino zu. Was Ismail nun sah, war für ihn ’n Schock: nicht nur, daß man im und vorm Kasino tanzt, man suhlt sich auch – und suhlt ist das Wort, das da wirklich zutrifft – im Aquarium, obwohl das nun tatsächlich ’n Stinktopf war. Fünf Jungs und fünf Ladys sah Ismail, dazu ’n Groom, wo glaubt, daß ihn das Mafiapack für voll nimmt. Das Milchantlitz bot Sandwichs, Schnaps und Havannas an – so’n Party-Fraß, worauf man damals stand – und hält sich darum für wichtig, ’n Individuum – so um zwanzig rum, groß, sportlich und ständig grins grins – trug ’n Smoking von Cardin, doch im Mao-Look, knopflos nämlich, was schon längst unmodisch war. ’n Typ mit Bart, zwomal so alt, Stil GD, trug ’n Frack und kippt ’n Whisky. Goß sich noch ’n Whisky aus, warf was dazu, das hart war und kalt – na, was ist das wohl? –, und bots ’m Vamp an, wo aufm Sofa vor sich hindöst.
»Das ist für dich, Faustina«, sagt das Individuum und küßt ihr zärtlich Stirn und Mund.
»Hab Dank, thank you«, sagt Faustina, halb froh, halb zornig.
»Ach, Faustina, warum schläfst du nicht mit mir, warum bist du nicht mit mir im Kahn?«
»Nun hör mal gut zu, ich sagt dirs schon zigmal und sag dirs noch mal: mit mir läuft da nichts; doch als Kumpan mag ich dich«, sagt Faustina, nun kurz Hand in Hand mit ihm.
Für Ismail ging Faszination aus von Faustina. Ismail folgt ihr, wohin Faustina ging, obschon das für ihn mulmig und kitzlig ist, da Ismail ausm Knast los war. Wars nicht möglich, daß da ’n Polizist war, wo ihn aufm Amt anschiß? Für ihn gabs nämlich Gold, falls man ihn anschiß und dann auch fand. Contumax zu Haus, zwang ihn damals ’n Tyrann vom Schlag Caligulas und Borgias ausm Land, und da man Ismails Tod will, ist durchaus möglich, daß das Schiff, so winzig ’s auch ist, im Auftrag vom Tyrann nach ihm sucht und Ismails Raub und Kidnapping plant. Doch Ismail ist nun im Stadium, da man nichts schaut und nichts hört. Für ihn zählt nur noch Faustina, und Ismail hofft, daß sich Faustina vorm Tod noch ihm hingibt.
Manchmal schritt Faustina solo und anhanglos fürbaß, ging durch Tal und Wald. Dann kam ’n Tag, wo Ismail das ausnützt und mit ihr spricht. Faustina saß da auf Moos und las ’n Roman, Orlando, von Virginia Woolf.
»Miss«, sagt Ismail zu ihr, »Pardon, Pardon, ich muß, ich muß dir nah … oh, sag nichts, laß mich dich schaun … Und falls man mich sah, was macht das schon, wichtig ist mir nur, daß ich dich sah und mit dir sprach …«
Doch Faustina gab nicht auf ihn acht, sah durch ihn hindurch, als wärs Glas.
Danach kam dann raus, daß das nichts als Halluzination war: Ismail glaubt an Intoxikation durch Champignons, mutmaßlich Bovists, glaubt dann, ’s war Schnaps und Alkohol, wo ihm Sinn und Klarsicht raubt. Daß Ismail Vision auf Vision hat, lag wohl auch daran – und Ismail schloß das gar nicht aus –, daß Ismail kaum noch aß und folglich ganz dünn war. Man schloß auch nicht aus, daß Ismail schon gaga war, blöd, kurzum wahnsinnig. Und nur im Irrsinn, im Wahn, sah Ismail womöglich das Kasino, das Schiff, das Individuum mit Bart, Faustina, doch wirklich, tatsächlich und wahrhaftig tappt Ismail am stinkig Flußarm rum.
Ja, doch dann kam ’n Tag, da sah Ismail Baobabbaums Spaltung, sah das Duplikat vom Baobabbaum.
Ja, doch acht Tag darauf sah Ismail Wort für Wort, Zug um Zug das, was damals vor ihm abrollt: ’n Ball am Aquarium, und Louis Armstrong bläst dazu ’n Foxtrott.
Ja, doch das wars noch nicht ganz, da kam noch was hinzu (Ismails Fiktion fand Nahrung in Ismails Halluzination; da nämlich fing Kausalität von Ismails Situation zum Roman an, so subtil und haltlos das wohl auch war); manchmal ging Ismail durch ’n Korridor, das Tor (Tür? ja, Tür) ging auf: ’n Groom kam raus, trug ’n Napf und ging auf ihn zu, als gäbs ihn gar nicht; instinktiv macht Ismail ’n Satz. Dann war das Faktotum fort, doch dort, wo’s zuvor stand bzw. ging, lag nun ’n Album: Ismails Hand grapscht danach, stößt auf ’n Korpus, wo hart ist und glatt: nicht Titan noch Goliath drückt’ das Album vom Platz und Ismail schon gar nicht.
Wars Troll, wars Kobold, was da im Kasino haust, ihn narrt und ständig nach ihm Ausschau hält? Wo ums Kasino rum all Ding hart macht, flüchtig Gas drauf goß, ’n Fixativ, das durchdringt, wo’s hinkommt, Korpus und Kampus?
All das kam ihm normal vor, Ismail sah, so glaubt Ismail, was vor ihm war, hört Lärm, wo Lärm war, roch Parfüm, wo Parfüm war. Ismail sah Faustina schmachtvoll aufm Sofa und sah auch am Druck auf Stoff und so, daß Faustina ganz schön mollig war, doch das stört ihn nicht. Dann ging Faustina hinaus und läßt – absichtlich? – ’n Mordsschmuckstück aus Gold zurück. Ismail stürzt sich drauf, sah darin das Signal: Faustina mag ihn, doch sagt ihm das nicht aus Angst vor ihrm Mann, vorm Idol, vorm Kumpan (man sah ihn vorhin schon), (zumal Ismail als Paria galt und somit tabu war für Faustina, an so was rührt man nicht, Ismail gabs nicht, wo Ismail ging und stand, sah man durch ihn hindurch).
Doch kurz nur rührt Ismails Hand an Faustinas Goldschmuck und gibts dann sofort auf, traurig, wild, ängstlich auch: was Ismail anrührt, ist nicht Goldschmuck, das ist Granit, hart und kompakt, ’n Block, als wärs ’n Diamant. Ismail spürt das Magma um ihn rum, spürt auch, daß man ihn ausstößt, ihn nicht will. Was ihn umgibt, ist inhuman, das ist ihm nun klar, ist Macht als Absolutum, kalt und unumstößlich, blockhaft, positiv womöglich, doch nicht für ihn. So kams, daß vor Ismails Blick das Tor (Tür, gut) aufging, daß Faustina aufm Sofa lag, daß ihr Kumpan bzw. ihr Galan ihr ’n Whisky anbot, daß man ’n Foxtrott hört, plötzlich ’n Schiff sah, daß Goldschmuck hinfällt und ’n Lakai hinausging. Man tut, als gäbs ihn nicht. Ist Ismail wirklich dadrin, fand tatsächlich statt, wovon Ismail glaubt, daß das so abläuft? Wars nicht nur Phantasma und Halluzination, Zirkus und Kino im Kopf, wo doch von früh bis spät Film um Film abspult? Da fügt sich nun Stück nahtlos an Stück, da glaubt man schon, das ist ganz klar, das ist nur so und nicht so, und durchschaut dann doch, daß Lösung nicht möglich ist, daß das Diskontinuum zu mächtig ist.
Ismail war machtlos, das wars. Das Sofa trotzt ihm, ist für ihn hart, Schritt für Schritt rückt man vor ihm aus, und Ismails Hand macht nicht Knopf noch sonst was auf.
Danach, lang danach und zu spät wird Ismail klar, daß da ’n Film vor ihm abläuft: M., das Individuum mit Bart, das so scharf war auf Faustina, nahm sich Faustina schon zwanzig Jahr’ zuvor, als M. ’n Trip durch Tahili macht’, doch Faustinas Klan schnallt nichts davon.