Bildnachweis:
Peter Krassa 6, 8 (Walter Hain); Luc Bürgin 16, 17;
Erich von Däniken 21, 25, 28–33; Alex Knörr 22;
Robert M. Schoch 34, 35, 37.
Alle anderen Bilder: Hartwig Hausdorf.
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© für die Originalausgabe und das eBook: 2015 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Umschlagmotiv: whatapicture, plainpictures
Satz und eBook-Produktion: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN 978-3-7766-8224-3
»Am Anfang stand eine uralte, unbekannte Kultur mit dem fixfertigen Wissen über phänomenale Steinbearbeitungen und ihren Transport. (…) Und alle nachfolgenden Kulturen bedienen sich der fixfertigen Blöcke von jenem unbekannten Rätselvolk … «
Erich von Däniken
Inhalt
Einleitung
Geklotzt, nicht gekleckert!
1 Ganz andere Leichen im Keller
Die mysteriösen »Ganggräber« von Jersey und Gavrinis
Die »Rundpyramide« von La Hougue Bie · Gavrinis steckt voller Rätsel · Sag mir, wo die Leichen sind · »Äxte«, »Fingerkuppen« und Spiralen · Addieren, Multiplizieren, Pi · Zufall, Willkür oder Geniestreich? · Steinkreise unter Wasser
2 Spannender als Stonehenge
Die »sprechenden Menhire« von Rollright
Ein phänomenaler Ort · Fledermäuse führten auf die Spur · »Gespräche« im Morgengrauen · Sie wussten, was sie tun! · Alte Sagen · Jedes Jahr ein anderer Messwert
3 Freizeitparks für spielende Riesen?
Die unerträgliche Leichtigkeit des Steins
Auf die Zehen getreten · Lange vor Pythagoras · Feen hatten damit nichts zu tun · Für die Ewigkeit · Der Größte seiner Art · Teile eines Ganzen · Die klingenden Steine von Le Tréal · Nur »abgefahren« oder des Rätsels Lösung?
4 »Kulturimport« aus der Altsteinzeit?
Die steinernen Tische von Menorca
Die »hermetischen Türme« · Wie runde Pyramiden? · T-förmige Konstruktionen · Weitläufige Anlagen · Drei Talayots und ein Rätsel aus Ägypten · Ein Kilometer Richtung Süden · »Kultstätte« oder steinzeitliches Observatorium?
5 Jetset-Paradies mit Steinzeitflair
Feenhäuser, heilige Brunnen und sogar eine Pyramide
Riesengräber ohne Riesen · Die »heiligen Brunnen« · Türme in der Landschaft · Prano Muttedu: Für jeden etwas dabei · Weithin sichtbar · Die verschwundene Schautafel · »Feenhäuser« und phantastische Cart Ruts
6 Immer wieder Neues zu entdecken
Die Insel der tausend Fragezeichen
Wasserwerk aus der Steinzeit · Die »grüne Hölle« von Malta · Ein zerborstener Tank? · Die »Angströhre« · In den Höllenschlund abgeseilt · Vergleiche mit Yucatán · Tsunami oder Meteoritenimpakt?
7 Vor der Antike
Unbekanntes megalithisches Griechenland
Steinzeitolympiade · Gegossene Steinquader? · Das Haar in der Betonsuppe · »Schatzhaus« mal drei · Griechenlands vergessene Monumente · Älter als die ägyptischen Pyramiden?
8 Städte, die es nicht geben dürfte
Begann die Zivilisation in Anatolien?
Monolithen mit filigranen Reliefs · Vorbild für Menorca? · Schriftliche Mitteilungen · Die Mär von den Steinfäustlingen · Alt, älter … · Der Drang, Götter zu verehren · Asikli Hüyük: Abstecher zum »Knochenhügel« · Exakte Chirurgen am Werk
9 Flucht in den Untergrund
Welche Gefahr kam von oben?
Die seltsamen »Dingli-Tanks« · Ein Sinn hinter der Übung? · Raum für 20000 Menschen · Air Condition und abgeschottete Segmente · Panik unter Tage · Zuflucht für Millionen · Perfekte Tarnung · Im Angesicht tödlicher Gefahren · Der polygonale Schacht
10 Megalithrätsel unter Wasser
Ein Weltwunder vor Japans Küste
Steinalleen und Zyklopenmauern · Der Sensationsfund · » … von Menschenhand nachgebessert« · Landbrücke nach Taiwan · Die »Azoren-Pyramide« · Das Mysterium vom Rock Lake
11 Ein australisches Stonehenge?
Unverhoffte Funde auf dem fünften Kontinent
Birramee, der »Vogelmensch« · Monumentalbauten der Kulturbringer? · Vierseitige Struktur · Sag mir, wo die Steine sind · Auf den Spuren des »australischen Stonehenge« · Fundstätte eingegrenzt · »Kleiner runder Hügel« · Böse Überraschung an der heiligen Stätte · Das verschwundene Alphabet · Neues von den »Busch-Hieroglyphen«
12 Südseezauber und Steingiganten
Megalithbauten nicht nur auf Rapanui
Der »Torbogen« von Tongatapu · Betonsäulen auf der île des Pins · Nan Madol: »Orgie in Stein« · Noch mehr Ruinen unter Wasser? · Die üblichen Widersprüche · Was sagen die Mythen? · »Wasserkult« in Uka A Toroke Hau · Hämmern für die Wissenschaft · Spuren der Verwitterung · Ein Moai wird gerettet · Die »Inka-Mauer« von Vinapu
13 Ein zweites Sonnentor
Neue Rätsel im Hochland der Anden
Hochgeschwindigkeitsbohrer am Werk? · Gravierende Bausünden · Netz aus Tunneln und Gängen · Fotografierverbot · Wie bewegt man 1000 Tonnen? · Schilfboot ahoi! · Im Westen was Neues · Nachtrag: Ein interessanter Leserbrief
14 Steine vom Acker oder Vermächtnis der Guanchen?
Die vergessenen Pyramiden der Kanarischen Inseln
Von »no sé« zum »Parque Etnográfico« · Wandernde Steine · Auf privatem Grund · Fünf Ecken und sieben Stufen · Atemberaubende Ausblicke · Und dann kam El Paso · Im Gemüsegarten gelandet
15 Jenseits des Vorstellbaren
Die Gigantenmauern von Gornaya Schoria
Der »Stein des Südens« · Ein zweiter Koloss · Natur pur: Die »Brücke von Bhimpul« · »Auffallend ungünstig« · »Gigantisch« ist noch untertrieben · »Sehr alt und sehr rätselhaft«
Danksagung
Register
Bildteil
Einleitung:
Geklotzt, nicht gekleckert!
Wann ich zum ersten Mal auf den Gedanken gekommen bin, kann ich heute beim besten Willen nicht mehr sagen. Es war aber auf einer meiner zahllosen Reisen, die mich zu den rätselhaftesten Stätten auf der ganzen Welt führten – und noch immer führen –, so viel steht fest. Da stand ich irgendwann irgendeiner megalithischen Struktur, deren imposante Einzelteile selbst unsere Technologien des 21. Jahrhunderts vor größte Herausforderungen stellen würden, sprachlos gegenüber. Und plötzlich konnte ich mich der Vorstellung nicht entziehen, die unbekannten Baumeister aus den Tiefen der Vorgeschichte hätten geradezu damit gespielt, die viele Tonnen schweren Monolithen über oft beträchtliche Strecken zu transportieren. Um sie schließlich an ihrem Bestimmungsort zu einem Bauwerk zusammenzufügen, welches uns heute ungläubiges Staunen abringt.
Hatten Riesen, die längst ausgestorben sind, ihre mächtigen Pratzen im Spiel? Verfügten unsere Altvorderen über Techniken, die der Science-Fiction entliehen scheinen? Oder waren es doch Außerirdische, Besucher von anderen Sternen, die so monumentale Anlagen in die Landschaft pflanzten? Sei es, um über Zweckbauten zum eigenen Gebrauch zu verfügen, oder um eine von sich eingenommene Nachwelt davon zu überzeugen, dass ohnehin alles ganz anders war, als diese es in einer Selbstüberschätzung ohnegleichen behauptet.
Welche Gründe es auch immer waren, jene unbekannten Bauleute dazu zu bewegen, megalithische Wunderleistungen aus dem Boden zu stampfen: Man kann die geheimnisumwitterten Monumentalbauten nicht zählen, die uns die »Megalithiker« auf allen Kontinenten hinterlassen haben. Hier sei kurz eine Begriffserklärung angebracht. »Monolith« besagt »aus einem Stein gemacht«; wird eine Struktur als »monolithisch« charakterisiert, ist sie aus großen Einzelblöcken errichtet. »Megalith« bedeutet so viel wie »großer Stein« – der Begriff sagt im Grunde zwar das Gleiche aus, stellt aber noch eine Steigerung dar. Wobei das »mega« in manchen Fällen Hunderte, wenn nicht gar 1000, 2000 oder gar 3000 Tonnen betragen kann, wie ich im Folgenden noch belegen werde.
Es ist ein verblüffendes Phänomen, allen Annahmen einer stetigen Entwicklung zuwiderlaufend, das sich im Zusammenhang mit den Megalithbauten in aller Welt offenbart. Man sollte ja meinen, die ersten Architekten hätten damit begonnen, bescheidene Anlagen zu errichten – also kleine Steine aufeinanderzusetzen. Erst später wären sie dann in der Lage gewesen, mit immer größeren und schwereren Gewichten zu hantieren. Somit einer technischen Evolution zu folgen, die von klein und primitiv geradlinig in Richtung groß und gewaltig verläuft. Doch das absolute Gegenteil ist der Fall.
Je älter die Anlagen sind – und dies ist ausnahmslos in der ganzen Welt der Fall –, desto imposanter ist ihr Erscheinungsbild. Da wurde in Urzeiten mächtig geklotzt und nicht nur gekleckert. Da wurde mit Steinquadern von teilweise erschreckenden Ausmaßen und schier unvorstellbaren Gewichten hantiert. In späteren Epochen erst ist man dazu übergegangen, viel kleinere Steine aufeinanderzustapeln. Ein Paradebeispiel hierfür sprang mir vor ein paar Jahren geradezu ins Auge, als ich die bei uns fast unbekannte Ruinenstätte von Huanuco Pampa im Andenhochland von Peru besuchte.
Nur etwa 50 Kilometer Luftlinie von der weitaus bekannteren Ausgrabungsstätte Chavin de Huantar entfernt liegen in südöstlicher Richtung diese nicht minder geheimnisumwitterten Ruinen. Hoch über der kleinen Andenstadt La Unión, auf einem von noch weitaus höheren Bergketten eingerahmten und wie künstlich planierten Hochplateau, liegt dieses Huanuco Pampa, ein neues Rätsel aus dem fernen Südamerika.
Die Anfahrt ist zeitraubend, mühselig und lebensgefährlich. Von Huaraz, nördlich der Hauptstadt Lima gelegen, biegt man am Conococha-See von der Hauptroute ab und folgt der leidlich geteerten Straße bis zum Bergwerksort Chiquian. Ab dort ist dann endgültig Schluss mit der Teerstraße. Eine nicht enden wollende, wellblechartige Rüttelpiste führt durch das Tal des Flüsschens Rio Parivilca zum erwähnten Städtchen La Unión, das 3200 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Im Ortszentrum zweigt ein noch ungleich holperigerer Weg ab, der sich – rechts gähnt ein tödlich tiefer Abgrund – in halsbrecherischen Serpentinen den Berg hinaufschraubt. Nach quälend endlos erscheinender Fahrt, in deren Verlauf man mehrmals mit dem Leben abgeschlossen hat, gelangt man schließlich auf das Hochplateau, auf dem ein eisiger Wind unablässig über die aus kurzem, drahtigem Gras bestehende Vegetation bläst. Das zehrt an den Kräften; viele Touristen werden den Weg dorthin aber nicht finden.
Um die weitläufige Anlage, die auf den ersten Blick ausgesprochen unscheinbar wirkt, wurde ein Zaun gezogen. Eine Übersichtstafel verrät, dass zumindest ein paar Vertreter aus der Scherben sammelnden Zunft den beschwerlichen Weg auf sich nahmen. Nach einem kurzen Marsch von wenigen hundert Metern tauchen endlich die ersten Mauern jener von den Archäologen als »Inka-Festung« betitelten Anlage auf.
Wie bitte? Inka-Festung? Als Huanuco Pampa entstand, war von den Beherrschern Südamerikas vor der spanischen Eroberung noch weit und breit nichts zu sehen. Denn diese fügten vor ein paar hundert Jahren allenfalls ein wenig grobschlächtiges Stückwerk an das schon lange vorhandene Mauerwerk an. Noch krasser kann ein Unterschied wohl kaum sein: Hier kann man zwei Bauweisen – Klotz und Klecker – an einem einzigen Objekt erkennen. Der wesentlich ältere Teil von Huanuco Pampa besteht aus großen, beinahe nahtlos aneinandergesetzten Blöcken aus Granit, zwischen die in aller Regel keine Messerklinge passt. Im wahrsten Sinne desolat dagegen ist der Zustand der viel später erfolgten »Anbauten«. Übergangslos schließen kleine, zumeist unbearbeitete Steine unterschiedlicher Größe an, die ein paar der Mauern an den Seiten fortsetzen. Ein elendes Stückwerk, das in jüngerer Zeit so unprofessionell zusammengepfuscht wurde, dass es schon in den Augen schmerzt!
Und so geschah es mit schöner Regelmäßigkeit auf allen Kontinenten. Stets sind die größten, schwersten und am exaktesten bearbeiteten Monolithen gleichzeitig auch die ältesten. Es hat fast den Anschein, als hätte eine Rückentwicklung eingesetzt – was allerdings so gar nicht ins Konzept der klassischen Archäologie passen will, deren ehernes Credo nach wie vor die Evolutionstheorie ist. Von dem britischen Biologen Charles Robert Darwin (1809–1882) für die Entwicklung der Lebewesen im Laufe der viele Jahrmillionen zählenden Erdgeschichte ersonnen, wird sie auch auf die kulturelle und technische Entwicklung unserer ganzen Menschheit übertragen. Demnach hat am Anfang primitives Know-how zu stehen, mit einfachsten Werkzeugen, woraus nur bescheidene Bauten resultieren können. Und unsere heutige, hochtechnisierte Zeit soll den vorläufigen Höhepunkt dieser Evolution darstellen. Das Dumme an der Sache ist nur, dass sich die buchstäblich steinharte Realität partout nicht an diese Vorgaben halten will.
Für die konventionelle Altertumsforschung ist dies teilweise der Super-GAU, da bei vielen ihrer Vertreter noch immer die engstirnige Maxime »warum nicht sein kann, was nicht sein darf« vorherrscht. Hiervon abzuweichen würde ja bedeuten einzugestehen, dass wir Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts eben nicht die einsame Spitze der Evolution sind und folglich unsere Zivilisation nicht das Nonplusultra an wissenschaftlicher Erkenntnis und technischen Mitteln repräsentiert. So steckt man lieber in bester Vogel-Strauß-Manier den Kopf in den Sand, ignoriert weiterhin, was für alle Augen offensichtlich ist, und hofft dabei auch noch inständig, dass es niemand merkt.
Diese Salamitaktik kann nur in die Hose gehen. Aus der völlig zu Unrecht als primitiv verunglimpften Steinzeit sind nämlich jede Menge imposanter megalithischer Anlagen erhalten geblieben. Sie nachzubauen, würde uns heute nicht selten vor unlösbare Aufgaben stellen – uns fehlt hier schlicht und einfach die notwendige Technik.
Die findigen Ingenieure jener längst vergangenen Tage haben so gut wie keinen Winkel dieser Welt ausgelassen. Es hat geradezu den Anschein, als wollten sie eine steinerne Spur in die Zukunft legen. Gefertigt aus dem einzigen Material auf Erden, dem selbst die Zeit kaum etwas anzuhaben vermag. Steckt dahinter eine Botschaft, die zu erkennen die Adressaten – dies sind wir! – noch nicht in der Lage sind?
1 Ganz andere Leichen im Keller
Die mysteriösen »Ganggräber« von Jersey und Gavrinis
Der Erste Weltkrieg war seit fast drei Jahren vorbei, darum konnte man sich auch wieder anderen Dingen zuwenden. Ende Juni des Jahres 1921 hatte sich der englische Geschäftsmann und Fotograf Alfred Watkins (1855–1935) ein paar Landkarten der Grafschaft Herefordshire vorgenommen. Watkins wollte den kürzesten Weg zu ein paar megalithischen Bauwerken finden, die er zu fotografieren beabsichtigte. Jedes Mal, wenn er einen der Plätze auf seiner Karte gefunden hatte, markierte er diesen mit einem Kreis. Nachdem er mehrere Stätten auf diese Weise gekennzeichnet hatte, sprang ihm ein sonderbarer Umstand ins Auge. Die Megalithanlagen reihten sich allsamt wie Perlen auf einer Schnur auf. Und zwar ungeachtet der Tatsache, dass diese nicht selten durch Hügel, Bergrücken und Flüsse voneinander getrennt waren. Es war überhaupt kein Blickkontakt möglich, um von einem Ort zum nächsten peilen zu können. Trotzdem lagen jene prähistorischen Stätten wie Glieder einer schnurgerade verlaufenden Kette, die vor vielen Jahrtausenden durch die Landschaft gezogen worden war.[1]
Dem neugierig gewordenen Watkins fiel noch eine weitere Besonderheit auf. Jene geraden Linien, die er durch viele vorgeschichtliche Steinsetzungen ziehen konnte – sie sind heute unter der Bezeichnung »Ley-Lines« wohlbekannt –, verliefen ebenfalls durch christliche Kirchen und Kapellen aus viel jüngerer Zeit. Nun war der Engländer vollends verwirrt. Was sollte dies alles nur bedeuten?
Es gab nur eine plausible Erklärung. Die Sakralbauten standen auf ehemals prähistorischen Stätten, für die Vertreter des Klerus auf vormalig »heidnischem Boden«. Führt man diesen Gedanken weiter, kann man daraus schließen, dass eine Art »feindlicher Übernahme« stattgefunden hatte. Weil den Menschen die Orte ihrer Vorfahren heilig gewesen waren, pflanzte man dort das Kreuz auf, erklärte die Stätte kurzerhand als heilig. Und spekulierte auf die Macht der Gewohnheit.
Wenn dadurch auch oft das früher dort errichtete, ursprüngliche prähistorische Bauwerk zerstört wurde, trug die katholische Kirche doch ungewollt dazu bei, eine phantastische Tatsache für die Nachwelt zu erhalten.
Die »Rundpyramide« von La Hougue Bie
Vor undenklichen Zeiten, als nach landläufiger Expertenmeinung noch primitive Steinzeitjäger und Sammler unterwegs waren, hat »irgendjemand« unsere vorgeschichtliche Welt vermessen und vermutlich auch kartografiert. Mit dem selbst in unseren Tagen des 21. Jahrhunderts leicht nachzuweisenden Ergebnis, dass uralte Stätten nicht rein zufällig in der Landschaft herumstehen. Sie wurden vielmehr nach einem exakt vorbestimmten Muster dorthin gepflanzt.[2]
Wer aber waren diese technisch hochentwickelten Intelligenzen, deren unübersehbare Spuren aus grauer Vorzeit uns eigentlich wachrütteln und zum kritischen Hinterfragen der Geschichte der Menschheit animieren sollten?
Auf ein ausgesprochenes Paradestück für die »Besetzung« einer vormals prähistorischen Stätte stieß ich im September 2012 auf der kleinen Kanalinsel Jersey. Die untersteht zwar formell der britischen Krone, wird jedoch weitgehend autonom regiert und gehört auch nicht zur EU. Richtig geraten: Jersey zählt zu den Steueroasen, die für Menschen einer bestimmten Einkommens- und Vermögenssituation von Interesse sind. Die nachfolgend beschriebene Stätte ziert sogar die Rückseite der Ein-Pfund-Note von Jersey, so unverwechselbar ist sie.
Im Osten der Insel, zwischen den Ortschaften St. Saviour und Grouville, befindet sich das megalithische »Ganggrab« La Hougue Bie. Erbaut aus tonnenschweren Monolithen, führt ein über zehn Meter langer Gang ins Innere. Darüber erhebt sich ähnlich einer runden Pyramide ein zwölf Meter hoher, künstlich aus unzähligen Steinbrocken errichteter Hügel. Auf dessen Spitze wiederum thront – auffälliger wäre es nun wirklich nicht mehr gegangen! – ein im Mittelalter erbautes Kirchlein. Ungeniert bediente sich auch hier die katholische Kirche einer steinalten, als heilig verehrten Stätte, um die Menschen zu christianisieren, »heidnische« Kulte zu zerschlagen. Auf ihrer »Habenseite« kann sie aber verbuchen, dass die ursprüngliche Anlage so wunderbar erhalten geblieben ist.
Unter den ein gutes Dutzend zählenden steinzeitlichen Anlagen auf der Insel Jersey ist La Hougue Bie die am besten erhaltene. Erste Ausgrabungen begannen im Jahre 1924, und in späteren Jahren wurde in dem gartenähnlichen Areal mit altem Baumbestand auch ein Museum errichtet.[3]
Natürlich ließ ich es mir nicht nehmen, das Innere der prähistorischen Stätte zu inspizieren. Schon am Eingang, der mit einem viele Tonnen schweren Monolithen überdeckt ist, heißt es sich bücken; noch besser ist es, gleich in die Hocke zu gehen. Der schnurgerade Gang ins Innere ist wie bei anderen, auch als »Ganggrab« bezeichneten Konstruktionen: Stets sind es aufrecht stehende Orthostaten, über welche jeweils ein dritter Monolith quer darübergelegt wurde. Die Archäologen bezeichnen derartige, mit groben Steinen bedeckte Dolmen beziehungsweise Dolmengänge auch als »Cairns«. Und ordnen solche typischen Beispiele jungsteinzeitlicher Architektur in Trockenbauweise einem ominösen »Totenkult« zu, der nach offizieller Lesart zwischen 4500 und 3000 v. Chr. in ganz Westeuropa verbreitet gewesen sein soll.[4]
Gavrinis steckt voller Rätsel
Kulte sind unglaublich beliebt unter den Vertretern der Archäologie konservativer Denkart und müssen dann als Erklärung für alles Mögliche herhalten. Doch sobald man an der Oberfläche dieser »Lösungen« ein wenig zu kratzen beginnt, erscheinen unerwartete Widersprüche. Fand man doch in jenen »Ganggräbern« keine bestatteten Leichen. »Contradictio in re« würden die Juristen sagen – Fakt ist, dass dies die Bezeichnung als sinnlos entlarvt. Stattdessen liegen ganz andere »Leichen« im Keller, die auf jede Menge unerklärliches mathematisches und astronomisches Wissen hindeuten. Dies gilt besonders für die Anlage von Gavrinis unweit der Stadt Vannes an der bretonischen Atlantikküste, mit der ich mich gleich in aller Ausführlichkeit befassen werde.
Ganz nebenbei bemerkt: Die zahllosen offenen Fragen rund um die Fertigung, den Transport und das Einpassen monolithischer Kolosse spare ich mir für eines der nachfolgenden Kapitel auf. Denn dort geht es um Massen und Gewichte, die selbst den Hightech-verwöhnten Zeitgenossen unserer Tage den Angstschweiß auf der Stirn ausbrechen lässt.
Wer die Bretagne mit ihren wahrlich unzählbaren Dolmen und Menhiren kennt, für den dürften die kilometerlangen Steinalleen (»Alignements«) rings um Carnac eine der prominentesten Adressen darstellen. Wer aber weiß, dass im vorgelagerten Golfe du Morbihan, auf zwei kleinen Inseln, noch weit sensationellere Stätten ihrer Enträtselung harren? Dies ist in erster Linie die Insel Gavrinis. Um dorthin zu gelangen, muss man im Küstenstädtchen L’Armor-Baden ein Schiff nehmen, welches das Eiland mehr oder weniger regelmäßig ansteuert.
Gerade einmal 750 Meter lang und 400 Meter breit ist Gavrinis. Sie ist von Bäumen umstanden, und der speziell an den zum Meer hin abfallenden Hängen wachsende Stechginster sorgt zuverlässig dafür, dass man die Insel einzig über die Anlegestelle betreten kann. Dort angekommen, führt ein kurzer Anstieg zu einem Häuschen, welches gleichzeitig als Aufenthalt für dort tätige Archäologen wie zum Verkauf von Eintrittskarten dient. Da die Stätte zudem rundherum eingezäunt ist, führt kein anderer Weg zum avisierten Ziel.
Die an der südlichen Spitze der Insel Gavrinis gelegene Megalithanlage wird, wie das bereits erwähnte La Hougue Bie auf Jersey, als Cairn, als ein mit Feldsteinen bedeckter Dolmen bezeichnet. Die zu beiden Seiten schuppenartig angeordneten flachen Steine sind mit Mauerwerk verkleidet und ergeben so eine langsam ansteigende, stufenförmige Konstruktion. Bemerkenswert sind auch die Ausmaße mit einem Durchmesser von mehr als 50 Metern sowie einer Höhe von etwa sechs Metern. Die Einheimischen wussten eigentlich schon immer, dass der auffällige Hügel – er ist gleichzeitig der höchste Punkt der Insel – künstlichen Ursprungs ist und dass sich hierunter eine megalithische Anlage aus der Steinzeit befindet. Der Eingang ins Innere wurde erst im Jahre 1832 entdeckt, und obwohl der lange, von tonnenschweren Monolithen flankierte und abgedeckte Gang völlig leer war, deklarierte man das Bauwerk als »Ganggrab«. Zwischen 1979 und 1984 wurde die zyklopische Anlage restauriert, und seitdem ist ein unkontrollierter Zugang sowie das Fotografieren nicht mehr möglich. Das Auge des archäologischen Establishments wacht unerbittlich darüber, dass sich die weniger leichtgläubigen Besucher keine eigenen, möglicherweise gar »ketzerischen« Gedanken machen.
Sag mir, wo die Leichen sind
Apropos Ganggrab: Bei meinem Aufenthalt auf der Insel wurde ich mit einer »Erklärung« konfrontiert, die ihrerseits beinahe filmreif war. Der dort tätige Archäologe ließ, bevor der Gang ins Innere angetreten werden durfte, verlauten, dass man darin niemals irgendwelche Leichen gefunden hat. Also in der eigentlich logischen Konsequenz die Bezeichnung Makulatur sei. Nachdem ich aber in den finsteren Gang gekrochen war, präsentierte der wackere Mann eine wahrlich verblüffende Erkenntnis. Er verwies auf eine große Granitplatte am Boden, auf der man angeblich die Toten zur letzten Ruhe gebettet habe. Auf den Einwurf hin, dass er doch wenige Minuten zuvor darauf hingewiesen hatte, man hätte dort keine sterblichen Überreste gefunden, wusste er nur zu entgegnen: »Der Granit war derart sauer, dass die Leichen komplett zersetzt worden sind.«
Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder einigermaßen von diesem Statement erholt hatte. Im Nachhinein betrachtet tut es mir nicht einmal leid, sagen zu müssen, dass ich in meiner ganzen Laufbahn als Forscher des Unerklärlichen noch keinen größeren Blödsinn vorgesetzt bekam.
Wie gesagt, ist das Fotografieren im Inneren dieses Pseudo-Grabes nicht erlaubt. Doch mittlerweile wurden im Außenbereich zahlreiche Schautafeln aufgerichtet, auf denen Details aus dem Inneren abgebildet sind. Der bereits erwähnte Gang misst in der Länge 13,10 Meter und führt zu einer fast quadratischen Kammer im Zentrum des Cairns, dem »Heiligtum«. Diese Grabkammer, die nie eine war, ist weitere 2,60 Meter lang, 2,50 Meter breit sowie 1,80 Meter hoch. Froh war ich, mit meinen 1,76 Metern endlich die gebückte Haltung aufgeben und bequem aufrecht stehen zu können. Gebildet wird die Kammer von sechs mächtigen Orthostaten, also aufrecht stehenden Platten, darüber liegt ein gewaltiger Deckenstein mit den Maßen 3,70 mal 2,50 Meter. Am Boden die berüchtigte, »leichenfressende« Granitplatte. Doch bin ich mir sicher, dass dies nichts als eine Verlegenheitsantwort des Archäologen war. Für »Normaltouristen« mag selbiges zuweilen ganz plausibel klingen. Ansonsten gilt das Bonmot, welches dem 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Abraham Lincoln (1809–1865), zugeschrieben wird: »Man kann manche Leute immer und einige manchmal, aber man kann nicht alle Menschen immer zum Narren halten.«
»Äxte«, »Fingerkuppen« und Spiralen
Für den gedeckten Gang zur inneren Kammer wurden insgesamt 52 sorgfältig nebeneinandergereihte Steinplatten verbaut. Die Hälfte davon ist mit auffälligen Zeichen graviert. Man erkennt Spiralen und Kreise, die ineinander übergehen, sowie eigenartige Furchen, die in einen riesigen Maßstab vergrößerten Fingerabdrücken gleichen. Auch gibt es dort Schlangenlinien, die zuweilen von einem Orthostaten zum nächsten weiterlaufen. Die 26 gravierten Steine beinhalten auch ein Exemplar mit Abbildungen, die an Steinäxte oder Steinfäustlinge erinnern.
Wie die Monolithen dermaleinst bearbeitet wurden, ist nicht sonderlich spektakulär. Die Ornamente wurden wahrscheinlich mit kleinen Quarzsteinen, die man gleichfalls bei Ausgrabungen auf dem Gelände fand, in die Steinplatten eingeritzt. Neben den erwähnten »Äxten«, »Fingerabdrücken« und Spiralen fanden die Archäologen auch stilisierte menschliche Gestalten, Zickzacklinien, Schlangen, U-förmige Zeichen und andere Symbole. Oft greifen diese Figuren ineinander über, und ihre fließenden Umrisse und Formen lassen ein Gesamtkunstwerk entstehen, das einzigartig selbst für eine Region wie die Bretagne ist.[5]
Es ist dies ein verwirrendes und geheimnisvolles Sammelsurium, auf dem das einfallende Licht, je nach dem Stand der Sonne, bizarre Schatten an den Wänden erzeugt. Doch ist all das »nur« jungsteinzeitliche Kunst, Ausdruck eines Übergangs von bildlichem Naturalismus zur abstrakten Darstellung? Mitnichten. Denn wie ein bretonischer Tüftler herausgefunden hat, beinhalten jene »Äxte«, »Fingerkuppen« und Spiralen eine ausgeklügelte, mathematische Botschaft. Und dies aus einer Epoche, als die Menschen mit der Unterstützung ihrer Finger allenfalls das kleine Einmaleins beherrschten. Zumindest will es die klassische Lehrmeinung so und nicht anders sehen.
Addieren, Multiplizieren, Pi
Der Bretone Gwenc’hlan Le Scouezec ist ganz offenbar ein mathematisches Genie, denn nach eigenem Bekunden sprangen diesem die in exakter Mathematik abgefassten Botschaften buchstäblich ins Auge. Und dies ist seine Erkenntnis: Von der rechten Eingangsseite aus gezählt, fiel ihm auf, dass die ersten zwei Orthostaten bar jeglicher Gravur waren, diese folglich erst beim Monolithen Nr. 3 begannen. Der sechste Stein in dieser Reihe – danach folgt wieder ein ungraviertes Exemplar – fiel ihm besonders auf. Er ist nicht nur deutlich schmäler als alle anderen, sondern steht zudem etwas erhöht und trägt nur die Gravur eines einzigen »Fingerabdrucks«. Offenbar sollte mit dieser ersten, mit Bearbeitungen verzierten Reihe – bestehend aus Stein Nr. 3, 4, 5 und 6 – der Schlüssel zu verschiedenen Berechnungen gelegt werden.
Der aufrecht stehende Monolith Nr. 21, der seinen Platz auf der linken Seite, wenige Meter vor der annähernd quadratischen Kammer hat, zeigt wie Stein Nr. 6 gleichfalls nur einen »Fingerabdruck«. Zusätzlich trägt er jedoch in drei Reihen übereinander drei mal sechs, also insgesamt 18 axtähnliche, senkrecht stehende Objekte. Nun rechnete der pfiffige Bretone weiter und multiplizierte 3 mal 4 mal 5 mal 6. Das Ergebnis ist nach Adam Riese 360 – was dem in 360 Winkelgrade unterteilten Vollkreis entspricht.
In einem weiteren Rechenschritt schrieb Le Scouezec die Nummern der ersten Monolithen mit Gravuren hintereinander, was im Ergebnis 3456 ergibt. Diese Zahl teilte er dann durch die 21 des Monolithen Nr. 21 und erhielt die Zahl 164,57. Was soll dieser auf den ersten Blick völlig belanglos scheinende Wert bedeuten? Laut Le Scouezec entspricht er dem Umfang eines Kreises mit 52,38 Metern Durchmesser. Lustigerweise liegt der südliche Azimuth – in der Astronomie ist dies der Winkel zwischen dem Höhenkreis eines Gestirns und dem Ortsmeridian – von Gavrinis am Tag der Sommersonnenwende auf exakt 52 Grad und 38 Minuten. Zufall?
Beinahe unbedeutend erscheint dagegen die Tatsache, dass jener 13,10 Meter messende Gang zur inneren Kammer, der auch als »Galerie« bezeichnet wird, exakt nach dem Sonnwendpunkt ausgerichtet ist. Und was geradezu logisch aus den errechneten Zahlenwerten folgt: Bei der Division der beiden entstandenen Werte 164,57 und 52,38 muss das Resultat 3,14 lauten. Bekanntermaßen wird das Verhältnis des Kreisdurchmessers zum Umfang des Kreises durch die heute jedem Schüler geläufige »Ludolph’sche Zahl« Pi (= 3,141592653 …) definiert.[6]
Zufall, Willkür oder Geniestreich?
Sind dies alles nur willkürlich an den Haaren herbeigezogene Zahlenspielereien? Dreht sich hier eine ganze Argumentationskette nur im Kreis? Oder gab es bereits in der Steinzeit so geniale Mathematiker, dass ihre heutigen »Berufskollegen« Probleme haben, ihnen das Wasser zu reichen?
Einiges scheint für die letztere Annahme zu sprechen, so unglaublich dies auch klingen mag. Nachfolgend noch ein weiteres Beispiel aus dem – ja, wie soll man es eigentlich nennen, denn ein Grab war es definitiv nicht – geheimnisumwitterten Dolmengang im Cairn von Gavrinis.
Zur Erinnerung: Wie bereits ausgeführt, wurden für den Gang zur inneren Kammer insgesamt 52 mächtige Steinplatten verbaut. Auf dem Stein Nr. 21 und nur dort sind die axtähnlichen Gravuren zu finden; es sind deren 18 an der Zahl. Der mathematisch versierte Bretone addierte nun (die gesamte Anzahl der Monolithen) 52 mit (der Zählnummer des herausragendsten von diesen) 21, was die Summe 73 ergibt. Die immer wieder auftauchende Basiszahl, gebildet aus der ersten Reihe gravierter Orthostaten, beträgt 3456. Dividiert man schlussendlich diese Zahl durch die soeben errechnete Summe von 73, erhält man als Ergebnis 47,34. »Das ist ja alles schön und gut, aber was soll’s?« Dies dürfte die naheliegendste Reaktion sein. Aber gemach! Die exakte geographische Länge der Insel Gavrinis beträgt – es ist verblüffend – 47 Grad und 34 Minuten![7]
Scouezec fand noch einige weitere, zugegeben recht frappierende mathematische Übereinstimmungen heraus, welche aufzuzählen den Rahmen dieser Betrachtung sprengen würde. Aber ist das alles nicht ein wenig zu viel, um einmal mehr dem ohnehin viel zu sehr strapazierten »Zufall« in die Schuhe geschoben zu werden? Wer hatte ein Interesse daran, uns aus grauer Vorzeit eine subtile Botschaft zukommen zu lassen? Sozusagen eine mathematische »Nuss«, die nur zu knacken ist, wenn man sich endlich bequemen würde, die allfälligen Scheuklappen abzulegen.
Steinkreise unter Wasser
Nur einen Steinwurf von Gavrinis mit seiner mathematischen, in Stein verewigten Botschaft befindet sich eine weitere, aber viel kleinere Insel: Er Lannic, was im Bretonischen so viel wie »kleine Heide« bedeutet. Sie besitzt zwei ineinander verflochtene Steinkreise, die je nach Ansicht des Betrachters zwei Hufeisen oder eine unvollständige »8« bilden. Nur knapp die Hälfte der Megalithen steht auf der Insel, die, weil Vogelschutzgebiet, in der Regel nicht betreten werden darf. All die anderen Steine liegen unter dem Meeresspiegel und sind nur bei Ebbe einigermaßen zu erkennen.
Die Stromrinne zwischen Er Lannic und dem viel größeren Gavrinis – beide sollen zur Zeit der Entstehung der Megalithbauten noch Teil des Festlandes gewesen sein – besitzt eine Tiefe von 25 bis 28 Metern. Im Südosten von Er Lannic fällt der Meeresspiegel beim tiefsten Stand der Ebbe bis auf fünf Meter ab. Die Flut kommt indes unglaublich rasch und mit vehementer Urgewalt: Bei meinem Besuch vor Ort, an Bord eines kleinen Schiffes, das rund um die Insel kreuzte, konnte ich das beängstigende Szenario live miterleben.
Bereits im Jahre 1866 entdeckte der bretonische Forscher G. de Closmadeuc die megalithischen Kreise von Er Lannic. Wie auf Gavrinis gehört auch hier ein Cairn, ein gedeckter Dolmengang dazu. Monsieur Closmadeuc verfasste damals die erste Beschreibung des aus 60 Monolithen bestehenden nördlichen Steinkreises, der zum überwiegenden Teil auf der Insel steht. Sechs Jahre danach, 1872, entdeckte er den zweiten Kreis, der meistens unter dem Meeresspiegel liegt. Von diesem standen seinerzeit nur mehr vier oder fünf Monolithen aufrecht unter Wasser, alle anderen waren umgestürzt und wurden erst im 20. Jahrhundert wieder aufgerichtet.
Eine erste Vermessung der Megalithanlage fand im Jahre 1919 statt. Restaurationsarbeiten folgten von 1923 bis 1926, einhergehend mit Ausgrabungen. Dabei wurden Monolithen im nördlichen Bereich, die bis dahin verschüttet waren, wieder ausgegraben. Auch fand man Werkzeuge aus Feuerstein, polierte Äxte und eine Unmenge Scherben von Töpferwaren – Letztere müssen nicht zwingend aus jener Zeit stammen, in welcher die Steinkreise errichtet worden waren. In den Jahren 1991 und 1992 machte sich dann eine Interessengemeinschaft für Unterwasser-Archäologie an die Aufgabe, eine komplette topografische Erfassung aller auf der Insel und im Meer befindlichen Blöcke vorzunehmen. Dabei stellte sich heraus, dass offenbar zahlreiche Steine auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren.
Auch Luftaufnahmen wurden gemacht. Aus der Vogelperspektive konnten Form und Größe beider Steinkreise ganz genau bestimmt werden. Der nördliche, sich vorwiegend auf der Insel befindliche ist eher ein wenig oval und im südlichen Bereich über eine Breite von 50 Metern geöffnet. An seiner Verbindungsstelle zum südlichen, im Meer liegenden Steinkreis befindet sich eine geradezu konfuse Häufung von Menhiren. Der südliche Steinkreis hingegen besitzt eine rundere und regelmäßigere Form, und sein Durchmesser beträgt etwa 65 Meter. Er bildet einen in östlicher Richtung hin geöffneten Zweidrittelkreis, wobei beide Enden von zwei imposanten Menhiren markiert werden. Einer davon misst stolze 8,20 Meter. Ein paar weitere Details fallen im Vergleich zum nördlichen Steinkreis auf. Die Blöcke des Kreises im Meer sind deutlich größer und breiter, und zwischen den Steinen liegen freie Flächen in regelmäßiger Anordnung. Im nördlichen Kreis hingegen sind die Steine so eng aneinandergereiht, als wären sie miteinander verbunden.[8]
Über das Alter des doppelten Steinkreises von Er Lannic besteht Uneinigkeit unter den Archäologen. Doch spricht viel dafür, dass die Monolithen noch vor Beginn des Abschmelzens der Eismassen am Ende der letzten Eiszeit aufgerichtet wurden. Das muss um 9000 bis 8000 v. Chr. gewesen sein, womit die Artefakte auf der kleinen Insel in die ausgehende Altsteinzeit zurückdatieren würden. Es wäre spannend zu erfahren, ob ihnen – so wie bei der Megalithanlage auf dem wenige hundert Meter entfernten Eiland Gavrinis – gleichfalls eine ausgeklügelte mathematische Botschaft innewohnt.
Dies herauszufinden, wäre mit Sicherheit eine lohnende Aufgabe für eine zukünftige, vorurteilsfreie Altertumsforschung.
Anmerkungen
[1] Watkins, Alfred: »The old straight Track.« London 1970
[2] Däniken, Erich von: »Die Steinzeit war ganz anders.« München 1991
[3] o.V.: »Where to find the Dolmens of Jersey.« Jersey Heritage Trust, o.J.
[4] McMann, Jean: »Rätsel der Steinzeit. Zauberzeichen und Symbole.« Augsburg 1990
[5] o.V.: »Die Insel Gavrinis. Kunst und Architektur der Jungsteinzeit.« Conseil Géneral du Morbihan, o.J.
[6] Le Scouézec, Gwenc’hlan: »Bretagne Mégalithique.« Paris 1987
[7] Le Scouézec, Gwenc’hlan: »Bretagne Mégalithique.« Paris 1987
[8] o.V.: »Er Lannic.« Domaine départemental du Morbihan, o.J.