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Roxanne St. Claire

Nur weil ich dein Chef bin?

IMPRESSUM

BACCARA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2007 by Harlequin Books S.A.
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1523 (18/2) - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Eleni Nikolina

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 03/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86349-920-4

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

Parker Garrison betrat den Konferenzraum der „Garrison Incorporated“. Im ersten Moment wurde er von dem gleißenden Sonnenlicht geblendet, das sich auf der Wasseroberfläche der Biscayne Bay brach und durch die riesigen Fenster hindurch ins Zimmer schien. Die Silhouetten seiner Geschwister, seiner Mutter und einiger teurer Anwälte waren nur schwer zu erkennen. Trotzdem fielen Parker sofort drei Dinge auf. Zum Ersten: Es wurde kein Wort gesprochen. Kein einziges. Nicht, dass er bei der Testamentseröffnung seines Vaters eine Partystimmung erwartet hätte. Trotzdem war es einfach unnatürlich, dass eine Zusammenkunft der Garrisons so friedlich verlief. Immerhin waren sie eine, um es behutsam auszudrücken, recht eigenwillige Familie.

Zweitens: Seine Mutter schien relativ nüchtern zu sein. Es war zwar erst acht Uhr dreißig am Morgen, und selbst Bonita Garrison griff selten schon vormittags zur Flasche – wenn man die Bloody Marys nicht mitzählte, die sie in Vorbereitung auf sonntägliche Familiendinner verbrauchte. Doch seit dem Tod ihres Mannes vor zwei Wochen suchte sie immer früher am Tag ihren Trost im Alkohol.

Drittens und ganz besonders bedeutsam: John Garrisons Sessel am Kopf des langen Kirschholztisches war leer. Ein Zustand, den Parker in Ordnung zu bringen gedachte.

Seine Schwester Brittany gab einen erstickten Laut von sich, als er sich lässig auf das butterweiche Leder des Sessels fallen ließ, der seinem Vater gehört hatte, und den elektronischen Organizer vor sich legte.

„Du setzt dich in … in seinen Sessel?“, fragte Brittany empört.

„Er ist schließlich leer.“ Parker ignorierte den Vorwurf, dass er sich in das Revier seines Vaters drängte. Er hatte alles Recht dazu. Er war der Älteste, und er hatte die Dachgesellschaft der Familie in den letzten fünf Jahren geleitet, seit ihm sein Vater zum einunddreißigsten Geburtstag den Vorstandsposten angeboten hatte.

Auch alle übrigen Geschwister waren im Familienkonzern beschäftigt. Jeder von ihnen besaß eine der Immobilien, ob es nun das Grand Hotel war, ein Klub, ein Restaurant oder ein Wohnhauskomplex. Parker hatte sich diesen Sessel verdient, und nicht nur, weil er der Erstgeborene war, sondern vor allem durch harte Arbeit, Mut und ein paar brillante Entscheidungen zum Wohl der Firma.

„Es ist respektlos“, fuhr Brittany ihn an. Ihre braunen Augen funkelten böse. „Unserem Vater gegenüber.“

Brooke tätschelte beschwichtigend die Hand ihrer Schwester. „Beruhige dich, Britt. Irgendwo muss er doch sitzen.“

Parker warf Brooke einen dankbaren Blick zu und wunderte sich nicht zum ersten Mal, wie unähnlich sich die Zwillingsschwestern doch waren. Brooke schenkte ihm ein Lächeln, das ihr hübsches Gesicht noch freundlicher wirken ließ und den Kontrast zu Brittanys harten Zügen umso mehr betonte.

Den Zwillingen gegenüber saß Stephen, der Parker vom Alter her am nächsten war. Stephen verschränkte die Hände hinter dem Kopf und streckte seinen hochgewachsenen muskulösen Körper, der, genau wie die charakteristische Kerbe am Kinn, allen männlichen Garrisons eigen war. Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. Stephen war noch immer sonnengebräunt von einer Reise, die er erst kürzlich mit seiner Zwanzig-Meter-Jacht unternommen hatte.

„Sitz ruhig, wo du willst, großer Bruder“, sagte er gedehnt. „Er benutzt zwar den Sessel nicht mehr, aber ich denke, wir werden gleich die Hand unseres lieben Vaters in jedem Winkel des Raumes spüren.“

Parker runzelte die Stirn und folgte dem Blick seines Bruders hinüber zu der eindrucksvollen Gestalt von Brandon Washington, dem jungen brillanten Anwalt, der die Angelegenheiten der Familie regelte. Brandon hatte die Lippen fest zusammengepresst, während er konzentriert einige Dokumente ordnete und vor sich auf den Tisch legte. In diesem Moment sah er auf und begegnete Parkers Blick.

Was auch immer Brandon in John Garrisons Testament gelesen haben mochte, der warnende Ausdruck in seinen Augen war eine eindeutige Botschaft: Das wird dir nicht gefallen.

Parker bewegte sich unruhig auf seinem Sessel hin und her und zwang sich, das merkwürdige Gefühl zu ignorieren. Was konnte schon im Testament stehen, das ihm nicht gefallen würde? Nichts außer der Firma war ihm wichtig. Die Immobilien, das Vermögen – all das kam erst an zweiter Stelle nach der Dachgesellschaft, deren Profite in die restlichen Projekte investiert wurden.

Und er, Parker Garrison, hielt den größten Teil dieses Kuchens in den Händen. Sicher hatte Dad seine damalige Entscheidung, ihn zum Vorsitzenden zu machen, nicht bereut. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.

Aber dennoch gefiel ihm die Stimmung nicht, die von dem jungen Anwalt ausging. Offenbar genauso wenig wie seiner Mutter, ihrem sorgenvollen Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Bonita Garrison strich sich nervös eine rabenschwarze Haarsträhne aus der Stirn, die sie zwar nicht wirklich störte, ihr aber Gelegenheit gab, etwas mit ihren zittrigen Händen anzufangen.

Vielleicht hätte sie doch besser einen Schluck trinken sollen. Wahrscheinlich hätten sie das alle tun sollen, wenn auch nur, um den tiefen Schmerz über den Verlust des geliebten Vaters zu betäuben. Eine Liebe, dachte Parker missmutig, die leider nicht auch automatisch für unsere Mutter gilt. Bonita war schon immer eine eher kühle und abweisende Frau gewesen.

Adam kam als Letzter. Er betrat den Raum auf seine gewohnt ruhige und distanzierte Art, das lange dunkle Haar mit einer Hand lässig nach hinten streichend. Ein Besuch beim Friseur wäre dringend nötig gewesen, um ernster genommen und nicht nur als Besitzer eines Nachtklubs angesehen zu werden – selbst wenn das „Estate“ einer der beliebtesten Klubs von Miami Beach war. Adam war der jüngste der Garrison-Männer, nur die Zwillinge kamen in der Geburtenfolge nach ihm.

Der Anwalt stand auf, was Parker aus seinen Gedanken riss. Die Geschwister und er würden mit jedem Problem fertig werden, da war er sicher. Und gerade er, der Älteste, war mehr als irgendjemand sonst in der Lage, die Probleme der Firma zu meistern, die zur Zeit weder Investoren noch Geschäftspartner glücklich machten.

Er würde schon eine Lösung finden, wenn er nur weiterhin die meisten Firmenanteile besaß! Parker wandte sich Brandon zu und hatte die Selbstsicherheit eines Mannes wiedergewonnen, der das Wesentliche im Auge behielt. Dieses Talent hatte ihn an die Spitze der Geschäftswelt gebracht, und es würde ihm auch weiterhin helfen.

Der Anwalt begann mit monotoner Stimme das Testament vorzulesen. Stephen warf Parker einen ungeduldigen Blick zu, und der antwortete mit einem schiefen Lächeln. Brittany krakelte auf ihrem Notizblock herum und brachte Parker in Versuchung, ihr unter dem Tisch einen Tritt gegen das Schienbein zu geben. Brooke und Adam beobachteten den Anwalt gespannt, und Bonita seufzte leise, während die Besitztümer genauso verteilt wurden, wie sie es alle erwartet hatten.

Plötzlich hielt Brandon inne. Er holte tief Luft und sah Bonita mitleidig an, bevor er den Blick direkt auf Parker lenkte.

„Der nächste Abschnitt handelt von den Aktien der Muttergesellschaft, der ‚Garrison Incorporated‘. Mr. Garrison hat entschieden, dass sie unter seinen sechs Kindern aufzuteilen sind.“

Parker zuckte zusammen. Brittany blinzelte. Stephen beugte sich vor und brachte ein leises „Was?“ hervor.

Hatte er „sechs“ gesagt? Der Mann arbeitete zu viel.

„Wir sind fünf, Brandon“, verbesserte Parker ihn mit einem leichten Lächeln. „Wie Sie sicher sehen können.“

Brandon antwortete nur mit einem langen, ernsten Blick. Einem seiner jungen Mitarbeiter entfuhr ein nervöses Lachen, das er hastig in ein Husten zu verwandeln suchte.

„Fünf sind es in diesem Raum“, sagte Brandon langsam. „Sechs insgesamt.“

Für den Bruchteil einer Sekunde sagte niemand etwas, zu groß war der Schock. Parker starrte den Anwalt finster an, während er versuchte, die Worte zu verarbeiten.

Dann herrschte Chaos. Stephen brüllte: „Das ist lächerlich!“, Brittany stieß einen empörten Schrei aus, und Brooke erhob sich halb, um eine Erklärung zu verlangen. Ihre Mutter atmete so schwer, dass es wie ein Stöhnen klang. Nur Adam blieb ruhig, auch wenn seine Miene völlige Ungläubigkeit ausdrückte.

Der Anwalt hob eine Hand, wurde aber ignoriert. Der Lärmpegel stieg gefährlich an, Fassungslosigkeit und Wut machten sich breit.

„Aufhören!“, rief Parker schließlich und schlug mit einer Hand auf den Tisch. „Lasst ihn zu Ende reden.“

Wie meistens, brachte auch jetzt ein einziger Befehl des Ältesten die Geschwister zur Räson. Als wieder Stille herrschte, sagte er ruhig: „Wie Sie sich denken können, verlangen wir eine Erklärung, Brandon.“

Der Anwalt nickte und las weiter aus dem Dokument vor. „Die Aktien der ‚Garrison Incorporated‘ werden unter meinen sechs Kindern aufgeteilt, und zwar wie folgt: Fünfzehn Prozent zu gleichen Teilen an Stephen, Adam, Brooke und Brittany.“

Parker hielt gespannt den Atem an, während er darauf wartete, dass Brandon fortfuhr.

„Die verbleibenden vierzig Prozent gehen zu gleichen Teilen an meinen Sohn Parker und meine Tochter Cassie Sinclair, die auch das volle Eigentumsrecht am Hotel ‚Grand-Bahamas‘ erhält.“

Das Blut rauschte so laut in Parkers Ohren, dass es fast den Lärm übertönte, der jetzt wieder ausbrach.

„Cassie Sinclair ist seine Tochter?“

„Die Leiterin des Bahamas-Hotels ist jetzt die Besitzerin?“

„… und bekommt auch noch zwanzig Prozent der Muttergesellschaft?“

„Sie kann nicht seine …“

Bonita Garrison stand langsam auf. Ihr Gesicht war leichenblass, die Hände zitterten. Plötzlich wurden die Geschwister ganz still und sahen ihre Mutter beunruhigt an.

„Dieser Mistkerl“, zischte sie, ohne jemanden anzusehen. „Dieser hinterhältige Mistkerl. Ich bin froh, dass er tot ist.“

Damit drehte sie sich um und verließ den Raum. Ihre Schultern bebten bei dem Versuch, Haltung zu wahren. Kaum war sie gegangen, stürmten neue Fragen und Vorwürfe auf den Anwalt ein.

Jetzt sieht es schon eher nach einer typischen Familienzusammenkunft aus, dachte Parker bitter. Sein Herz schlug laut und heftig, und er musste alle Kraft zusammennehmen, um die für ihn ganz uncharakteristische Wut in den Griff zu bekommen.

Kein Wunder, dass Brandon ihn vorhin so mitleidig angesehen hatte. Kein Wunder, verdammt noch mal, dass sein Vater sich so sehr für das Hotel auf den Bahamas eingesetzt hatte!

„Kann man es fassen?“, raunte Stephen so leise, dass nur Parker es hören konnte. „Der alte Herr hatte doch tatsächlich eine kleine Freundin.“

Parker schloss die Augen vor Abscheu. Nicht etwa, weil sein Vater eine Affäre hatte, und auch nicht, weil daraus ein sechstes Kind entstanden war. Sondern weil John Garrison aus irgendeinem Grund, den Parker niemals begreifen würde, eine ganze Welt zum Einsturz gebracht hatte. Ein beträchtlicher Firmenanteil war an irgendeine Hotelleiterin verschenkt worden – eine Hotelleiterin, die jetzt die Besitzerin dieses Hauses und noch dazu seine Halbschwester war!

Er schob den Sessel zurück, entschlossen, sich nicht von seiner Wut beherrschen zu lassen. Ohne das Chaos um sich herum zu beachten, wandte er sich kühl an den Anwalt. „Wir unterhalten uns noch, Brandon. Aber ich muss in der Zwischenzeit eine Firma leiten.“

Brittany schnaubte spöttisch. „Du musst den Teil einer Firma leiten.“

Er weigerte sich, auf ihre Bemerkung einzugehen, griff nach seinem Organizer und nickte knapp. „Noch viel Spaß, Leute.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ er den Raum. Er war froh, dass er im Gegensatz zu seinen Geschwistern, die alle weiter weg in den diversen Garrison-Immobilien lebten, nur bis zu seinem Büro am Ende des Flurs zu gehen brauchte. Hier, im zweiundzwanzigsten Stock des imposanten Geschäftshauses in der Brickell Avenue, waren alle Räumlichkeiten der „Garrison Incorporated“ untergebracht.

In seinem Büro würde er Zuflucht finden und vielleicht die nötige Ruhe, um die überbordende Wut an irgendeinem unschuldigen Objekt auszulassen. Linda durfte keinen Anruf zu ihm durchstellen, am besten sagte sie alle Termine für heute ab. Erst einmal musste er die Neuigkeiten verarbeiten und … eine Lösung finden. Das war schließlich das, was er immer tat. Er war einer der gerissensten und gleichzeitig cleversten Geschäftsmänner von New York. Er kontrollierte ein Millionenimperium, also würde er es ja wohl schaffen, diese Situation unter Kontrolle zu bringen!

Er übersah das herausfordernde Lächeln von Sheila McKay, der stark geschminkten Empfangsdame an der Rezeption, und eilte zielstrebig den Flur hinunter. Nur mit größter Disziplin gelang es ihm, sich nicht fluchend die Krawatte herunterzureißen, und doch stieg sein Zorn mit jedem seiner Schritte.

Als er um die Ecke bog, erwartete er eigentlich, seine Assistentin an ihrem Schreibtisch vorzufinden. Seit einigen Monaten organisierte Linda von hier aus seine Termine und schirmte ihn erfolgreich von allen unerwünschten Belästigungen ab. Doch ihr Platz war leer.

Und das um neun Uhr morgens?

War denn heute nichts so, wie es sein sollte? Parker atmete tief durch, stieß die Tür zu seinem Büro auf und schloss sie hinter sich, ohne der Versuchung nachzugeben, sie mit aller Kraft zuzuknallen.

In diesem Moment hörte er ein Geräusch, das irgendwie nicht hierher passte. Jemand … sang!

Parker blieb unschlüssig stehen und sah sich nach der Quelle um. Die Stimme kam eindeutig aus der Richtung seines Badezimmers, das sich am anderen Ende des Raumes befand. Wer bitte schön sang da?

Wenn man das überhaupt Singen nennen konnte. Er hörte einen sündhaft schrägen Sopran, der ohne nennenswertes Melodiegefühl etwas aus der „West Side Story“ schmetterte. Oh, so pretty … Ach, die Sängerin fühlte sich also hübsch?

Vor Wut immer noch kochend, ging er weiter, und je näher er der halb geöffneten Badezimmertür kam, desto intensiver duftete es nach Blumen und Badepuder.

Zögernd blieb Parker stehen. Vorsichtig steckte er den Kopf durch den Türspalt, um sicherzugehen, dass er sich das alles nicht nur einbildete, und starrte dann fassungslos auf …

Beine.

Nein, dieser Ausdruck war nicht korrekt. Das waren keine Beine, sondern wahre Kunstwerke – endlos, nackt, fest, zart und jeder Strip-Bar würdig. Der dazugehörige Oberkörper wurde von einem knappen Seidenhemdchen nur dürftig bedeckt.

Parker blieb regelrecht die Luft weg. Er war verzaubert – und ein wenig taub von dem schiefen Gesang und dem Lärm des Föhns, den die junge Frau auf ihr langes dunkles Haar richtete. Sie hatte sich leicht nach vorn gebeugt und die Haare über den Kopf geworfen, sodass sie Parker nicht bemerkte.

Sie sang wirklich so schlecht, dass einem die Ohren wehtaten, doch wenn Parker hier noch länger stand und sie mit den Blicken verschlang, würde das bei Weitem sein kleinstes Problem sein …

Plötzlich richtete sich die Frau auf, warf das noch feuchte Haar über die Schultern und sah in den Spiegel. Wie gebannt starrte Parker auf die vollen Brüste, die sich unter dem dünnen Seidenstoff verführerisch abzeichneten.

„Oh mein Gott!“, rief sie erschrocken, wirbelte herum und hielt die Hände vor sich, ohne auch nur das Geringste verstecken zu können. Parker ließ den Blick langsam über die schmale Taille und den winzigen Slip gleiten, der gerade eben die verführerische Stelle zwischen ihren herrlichen Schenkeln bedeckte.

Lieber Himmel, seine Sekretärin versteckte die ganze Zeit so viel Schönheit unter marineblauen Hosenanzügen und gestärkten weißen Blusen?

„Linda?“ Seine Stimme klang plötzlich heiser, und er musste schlucken.

„Was machen Sie hier?“, fragte sie mit zittriger Stimme.

Bei der Frage zwang er sich, den Blick von ihrem Körper abzuwenden und ihr ins Gesicht zu sehen. Ihre Wangen hatten die zartrosa Farbe ihrer Unterwäsche angenommen, und die grünen Augen blitzten empört.

„Was ich hier mache?“ Er hatte nicht so amüsiert lächeln und sie schon gar nicht so anstarren wollen, aber … er war auch nur ein Mann. Und sie war … einfach unglaublich. „Wenn ich mich nicht irre, ist das noch immer mein Büro.“

Linda verdrehte ungeduldig die Augen. „Ich meine, so früh schon. Was machen Sie so früh schon hier? Sind Sie nicht in einem Meeting? Mit Ihrer Familie? Wegen der Testamentseröffnung?“

Die Testamentseröffnung. Die Erinnerung daran traf ihn wie ein Schlag in den Magen. „Ich bin früher gegangen.“

Sie warf einen flehenden Blick auf das Regal mit den Badetüchern gleich hinter ihm. Er aber wollte Antworten – und noch ein paar kostbare Minuten, in denen er sich jeden köstlichen Zentimeter ihres Körpers einprägen konnte.

„Ich habe noch nicht mit Ihnen gerechnet“, sagte sie und bemühte sich, kühl und gelassen zu klingen – ganz die professionelle Mitarbeiterin.

„Was Sie nicht sagen.“ Er konnte sich nicht zurückhalten, er musste grinsen. Endlich mal ein Lichtstreifen an diesem sonst so düsteren Morgen.

„Ich war joggen“, erklärte sie und sah ein weiteres Mal verzweifelt zum Regal hinüber. „Und ich wollte kurz duschen, weil ich dachte, Sie kommen eine ganze Weile noch nicht zurück.“

Sein Blick wanderte wieder zu ihren Brüsten. Wie hatte seine seriöse und allzeit tüchtige Assistentin es nur geschafft, diesen göttlichen Körper vor ihm zu verbergen? Und warum hatte sie es getan? Die meisten Frauen, die so gebaut waren, würden es der Welt zeigen wollen.

„Das Meeting war schnell zu Ende“, sagte er ruhig und ließ den Blick weiter hinabgleiten. Für einen Moment verweilte er bei ihren wunderschönen Beinen. Unendlich lang, mit schlanken Fesseln und festen Waden. Dann zog ihn das Dreieck zwischen ihren Schenkeln wieder in seinen Bann. Er konnte sich von diesem Anblick kaum losreißen. Linda schnappte empört nach Luft.

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, hätte ich jetzt gern ein Handtuch“, sagte sie knapp.

War sie etwa wütend? Vielleicht sollte er ihr eine Lektion in Sachen Professionalität erteilen und ihr sagen, dass sie sich in seinem Büro nicht wie zu Hause zu fühlen habe. Er könnte sie wie die Angestellte behandeln, die sie schließlich war, und sie dafür tadeln, dass sie nicht an ihrem Schreibtisch saß, sondern stattdessen sein Büro für private Zwecke nutzte.

Parker lächelte nur und reichte ihr ein Handtuch. „Tolle Dusche, was?“

Sie sah ihn erstaunt an und wickelte sich hastig in den weichen Stoff. „Ja.“ Dann zog sie die Schultern zurück und hob energisch das Kinn. Offenbar tat sie ihr Bestes, wieder in die Rolle der kompetenten Assistentin zu schlüpfen, die ihn schon beim ersten Gespräch mit ihrer Professionalität beeindruckt hatte. Und sie hätte es auch fast geschafft, wäre da nicht ihr offenes langes Haar gewesen, das ihr weich über die Schultern fiel, und die Tatsache, dass das Handtuch immer noch zu wenig bedeckte, um seine Fantasie in Schach zu halten.

Parker räusperte sich und gab sich Mühe, eine ernste Miene aufzusetzen. „Linda“, sagte er streng.

„Ja?“

Er hatte noch immer stechende Kopfschmerzen von dem morgendlichen Schock und dem überraschenden Angriff auf seine Libido. Aber das war beides kein Grund, seine Wut an einer jungen Frau auszulassen, deren einziger Fehler es war, sich in der Zeit vertan zu haben. Schlechtes Timing. Oder auch gutes Timing, kam ganz darauf an.

„Geben Sie Ihren Job bitte nie auf, um Sängerin zu werden.“

Ihr Lächeln erhellte augenblicklich ihr ganzes Gesicht, und was ihm bis heute bestenfalls niedlich vorgekommen war, wurde plötzlich atemberaubend schön. „Keine Sorge, Mr. Garrison.“

Doch, er machte sich sehr wohl Sorgen. Er hatte bis jetzt nicht nur ihren herrlichen Körper ignoriert, sondern auch ihre samtweiche Haut, ihre zart geschwungenen Lippen, die hübschen Zähne, die Art, wie ihre grünen Augen blitzten, wenn sie lächelte. Er hatte nicht bemerkt, was für eine reizende Frau die ganze Zeit direkt vor seiner Nase saß. War er denn blind geworden? Konzentrierte er sich so sehr auf das Geschäft, dass ihm selbst eine Frau wie Linda nicht weiter auffiel?

Er wandte sich ab und verließ das Bad, damit sie sich in Ruhe anziehen konnte, und gratulierte sich zur Rückkehr seiner Vernunft und Selbstbeherrschung.

Sie war also hübsch und besaß einen Körper, der jeden Mann in die Knie zwingen konnte. Na und? Das war völlig egal. Was gerade vorgefallen war, war eine etwas peinliche Begegnung, die Linda bedauern und er sehr bald vergessen würde. Sie war eine ausgezeichnete Mitarbeiterin, und er musste ein Unternehmen leiten, ein Testament anfechten und ein Imperium schützen. Er brauchte mehr denn je all seine Kraft und seine ganze Konzentration.

Allerdings würde es ihm schwerfallen, diese Beine zu vergessen …

Linda überquerte den orientalischen Teppich, der die Besucher ins Vorstandszimmer führte, stellte die Klimaanlage auf frostige achtzehn Grad, und setzte sich hinter ihren Schreibtisch. Sie brauchte dringend eine Abkühlung, aber selbst die frische Luft würde ihren vor Verlegenheit brennenden Wangen vermutlich keine Linderung verschaffen. Wenn es überhaupt Verlegenheit war, die ihren Körper so erhitzte. Linda dachte verwirrt an Garrisons Blick, mit dem er sie von oben bis unten gemustert hatte.

Ein vertrautes, ganz und gar ungehöriges Gefühl erwachte tief in ihr. Sehr tief, sehr vertraut, sehr ungehörig. Und völlig dumm. Wie konnte sie sich so von ihrem Chef aus der Fassung bringen lassen?

„Dummkopf“, schimpfte sie mit sich, während sie ihren Computer einschaltete und den Hörer aufnahm, um die eingegangenen Gespräche abzuhören. Wie hatte sie so unvorsichtig sein können? Und das für nur fünf weitere Minuten unter dem herrlichen Massageduschkopf. Wenn er wüsste, wie oft sie sich diesen Luxus schon erlaubt hatte, wäre sie jetzt wahrscheinlich dabei, sich einen neuen Job zu suchen. Und es war gar nicht so sicher, dass sie auch einen finden würde. Wie viele Leute stellten schon eine Sekretärin ein, ohne sie vorher genau unter die Lupe zu nehmen? Linda wusste nur allzu gut, was geschah, wenn man im Internet den Namen Linda Cross eingab.

Der Wirtschaftsspionage beschuldigt

Nein, sie durfte auf keinen Fall etwas tun, das ihren Job gefährdete. Und sie konnte nur hoffen, dass Mr. Garrison das Benutzen seiner Dusche nicht für einen Kündigungsgrund hielt.

Sie schluckte, als die Stimme auf dem Anrufbeantworter ankündigte, dass ihr Chef siebzehn Nachrichten erhalten hatte. Siebzehn? Was zum Kuckuck war denn los?

Spätestens als sie die fünfte Nachricht notierte, wusste sie es. Zumindest wusste sie, dass beim morgendlichen Meeting etwas wirklich schiefgelaufen sein musste. Die Garrison-Geschwister und ein, zwei Anwälte gaben keine Einzelheiten preis, aber ihr Tonfall versprach nichts Gutes.

Die Tür zu Parkers Büro war verschlossen, seit Linda das Zimmer mit so viel Würde wie möglich verlassen hatte. Sie spürte seine Blicke noch immer auf sich. Verdammt! Seit sie vor vier Jahren hier angefangen hatte, war sie immer bemüht gewesen, unauffällig zu bleiben und höchstens durch hervorragende Arbeit zu glänzen. Und jetzt das. Sie hatte sich ihrem Chef fast nackt gezeigt!

Tatsächlich war sie in ihrem ersten Job in der Personalabteilung von „Garrison Incorporated“ so gut gewesen, dass sie vor drei Monaten zu Parker Garrisons persönlicher Assistentin befördert worden war. Jetzt fragte sie sich, ob es in Anbetracht ihrer Vorgeschichte nicht besser gewesen wäre, wenn sie einfach abgelehnt hätte.

Auf der anderen Seite – sie hatte sich nicht umsonst vier lange Jahre auf einem der unteren Stockwerke versteckt. Nach all dieser Zeit konnte man wohl davon ausgehen, dass endlich Gras über die Sache gewachsen war.

Trotzdem hatte sie sich angewöhnt, nicht auf sich aufmerksam zu machen. Bis vor zehn Minuten hatte sie sich wirklich sehr bedeckt gehalten … bedeckt! Linda stieß ein frustriertes Lachen aus.

Sie notierte die restlichen Nachrichten auf einem Papier, das sie Parker stündlich vorlegte, und tröstete sich ein wenig mit dem Gedanken, dass ihr Chef genug eigene Problemen hatte und bestimmt nicht länger an die peinliche Situation von vorhin dachte.

Die Gegensprechanlage summte.

„Ja, Mr. Garrison?“

„Ich brauche Sie, Linda.“

Ihr Magen zog sich nervös zusammen. „Ich komme sofort, Mr. Garrison.“

„Ich finde …“ Seine Stimme klang so leise, dass Linda sich anstrengen musste, ihn zu verstehen. „Sie können mich ab jetzt Parker nennen.“

Jetzt, da ich Sie in Ihrer Unterwäsche gesehen habe. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. „Aber natürlich, Mr. … äh, Parker.“

Er lachte amüsiert, und sie legte auf.

„Komm schon, Linda!“, sagte sie sich energisch und griff nach Organizer und Kugelschreiber. Parker machte nicht den Eindruck eines Mannes, der irgendwelchen Frauen nachstellte oder glaubte, er könne mit einer seiner Angestellten schäkern …

Sie blieb abrupt stehen, und die Knie wurden ihr weich. Mit ihnen schäkern. Was für ein dummer, altmodischer Ausdruck, der ihr trotzdem einen Schauer über den Rücken jagte. Na schön, es hatte also einen etwas peinlichen Moment gegeben, bei dem sie die sexuelle Seite eines Mannes entdeckt hatte, den sie attraktiv fand. Zugegeben, nicht nur attraktiv, sondern umwerfend.

Trotzdem war sie immer noch eine erstklassige Assistentin, die sehr gut wusste, dass Büroaffären nur etwas für Dummköpfe waren, denen es nichts ausmachte, den Job zu verlieren. Und Parker Garrison war ein sehr wichtiger, viel beschäftigter Geschäftsmann, in dessen kleinem elektronischen Adressbuch die Telefonnummern der schönsten Frauen der Stadt standen.

Sie war die Angestellte, er der Boss. Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

Sie klopfte leicht und öffnete fast im selben Moment die Tür, so wie sie es immer tat. An diesem Morgen hatte sie allerdings das beklemmende Gefühl, unerlaubt in Parkers Privatsphäre einzudringen. Er stand am Fenster, das Handy am Ohr, den Blick auf die Postkartenidylle von Biscayne Bay gerichtet. Das Sonnenlicht schimmerte auf dem blauvioletten Wasser, auf dem um diese Uhrzeit etliche Vergnügungskreuzer ihre Runden drehten. Das Ufer war von Palmen gesäumt, und am Horizont konnte man die pastellfarbenen Hochhäuser von Miami Beach erkennen.

Aber die wahre Attraktion befand sich nicht dort draußen, sondern hier, mitten im Raum, und wie immer gönnte sich Linda einen verstohlenen Blick. Parker hatte das Jackett ausgezogen. Darunter trug er ein schneeweißes Designerhemd allerfeinster Qualität, das gerade schmal genug geschnitten war, um eine Ahnung von seinem muskulösen Oberkörper zu bekommen. Das Hemd war ordentlich in eine schwarze Hose gesteckt, die Parkers festen Po betonte.

Dieser Mann war ein zum Leben erwachter griechischer Gott …

In diesem Moment drehte er sich um, und Linda wandte hastig den Blick ab.

„Erspar mir den ganzen Juristenquatsch, Brandon“, sagte er in den Hörer und fuhr sich mit der Hand durch das kurze, aber dichte schwarze Haar. „Es ist mir völlig egal, was der DNA-Test ergeben wird. Können wir das Testament anfechten oder nicht?“

Linda runzelte die Stirn, aber Parker gab ihr durch ein knappes Nicken das Zeichen, sich in einen der Gästesessel vor seinem Schreibtisch zu setzen. Wie immer war er vollkommen gelassen, und die Autorität, die er auch sonst ausstrahlte, schien unangetastet zu sein. Trotzdem lag etwas Ungewohntes in seiner Stimme und in der Art, wie er seine Gesichtszüge anspannte. Offenbar kostete es ihn heute enorme Anstrengung, sich zu beherrschen.

„Gut, mach das“, sagte er und begann, sich mit einer Hand den Nacken zu massieren. „Inzwischen laufen die Geschäfte wie gewohnt weiter. Meine Geschäfte.“ Er sah hinüber zu Linda, die hastig ihren Notizblock umblätterte, um Parker nicht anstarren zu müssen.

„Ach, verdammt noch mal, das habe ich ganz vergessen.“ Sein Ton wurde gereizt, und Linda setzte sich automatisch auf, bereit, ihn an alles zu erinnern, was er vergessen haben mochte. Schließlich war das ihr Job – und nicht das Anstarren seines vollkommenen Körpers. Die „Parkerbeschau“ war sozusagen nur eine zusätzliche Annehmlichkeit ihres Jobs.

„Ich kann nicht hingehen“, erklärte er Brandon, setzte sich in seinen ledernen Schreibtischsessel, griff nach dem kleinen schwarzen Handy und drückte auf einige Tasten. „Aber nach der Bombe, die du heute Morgen hast platzen lassen, glaube ich, dass ich mich mehr denn je der Öffentlichkeit zeigen sollte.“

Er überlegte, und Linda versuchte, sich darüber klar zu werden, wovon er sprach.

„Ich stecke bis zum Hals in Arbeit. So weit zu reisen, lässt meine Zeit eigentlich nicht zu“, sagte er dann. „Es sei denn, ich chartere einen Jet.“

Natürlich. London. Parker hatte eine Einladung zum alljährlichen Ball der „International Hotel and Restaurant Association“ erhalten. Sie hatte nur noch sein Okay einholen wollen, um die Einladung in seinem Namen anzunehmen.

„Ich habe wirklich viel zu tun“, fuhr er fort, „und auf einem normalen Linienflug bekommt man nichts erledigt.“ Er lachte leise und klemmte das Handy zwischen sein Ohr und eine der bemerkenswerten Schultern, um etwas in den elektronischen Organizer einzugeben. „Ich nehme an, eine Begleiterin brauche ich auch noch.“ Er zwinkerte Linda kurz zu, und sie erschauerte unwillkürlich.

Welche Glückliche würde dieses Mal das große Los ziehen?

Maxine, deren Daddy halb Palm Beach gehörte? Oder das beeindruckende Model, das schon zwei Mal auf dem Vogue-Cover war und fast so groß wie Parker selbst? Mit ihr war er in letzter Zeit oft zusammen gesehen worden. Vielleicht entschied er sich aber auch für den feurigen Rotschopf, die Leiterin der PR-Agentur, die im letzten Monat einen Auftrag für die „Garrison Incorporated“ erledigt hatte. Jedenfalls hatte es ganz schön zwischen den beiden gefunkt, als sie sich vor zwei Wochen im Konferenzraum trafen.

„Tatsächlich fällt mir da gerade jemand ein. Sie ist genau die Richtige.“ Sein Blick ruhte auf Linda, intensiv, ruhig und selbstverständlich – fast so wie vorhin im Badezimmer.

Eine seltsame Hitze stieg in ihr auf, und sie nahm schnell Zuflucht zu den simplen fünf Worten, die sie meistens aus ihrer Trance weckten: Er ist dein Boss, Dummkopf.

Plötzlich stand Parker wieder auf und ging zum Fenster hinüber. „Halt mich auf dem Laufenden, Brandon. Ich lasse dich dann wissen, wie ich mich entschieden habe“, meinte er kurz angebunden und in geschäftsmäßigem Tonfall.

Einen Moment lang rührte er sich nicht, sondern schaute zum wolkenlosen blauen Himmel hinaus. Dann wandte er sich wieder zu Linda um. „Wie Sie sich wohl schon denken können, gab es heute Morgen keine guten Neuigkeiten.“

Sie legte das Papier mit seinen Anrufen auf den Schreibtisch. „Das erklärt sicher die siebzehn Nachrichten für Sie.“

Er ließ den Blick über die Liste gleiten und fluchte so leise, dass sie ihn nicht verstand. „Brandon hat recht“, sagte er dann.

„Womit?“

„Ich muss zum Ball nach London fliegen. Es ist wichtiger denn je, dass ich um die Führung kämpfe.“

„Ihre Führung steht doch außer Frage.“

Plötzlich setzte er sich auf den Rand des Schreibtisches und beugte sich vor, so wie er es immer tat, wenn er zu einem Entschluss gekommen war, von dem er sich auf keinen Fall abbringen lassen wollte. Nicht, dass er sich jemals von etwas abbringen ließ …

„Bitte sorgen Sie dafür, dass die Chartergesellschaft morgen früh einen Businessjet auf dem Flugplatz bereitstellt. Wenn ich London Freitagabend erreiche, habe ich noch jede Menge Zeit für die Arbeit, kann den Ball am Samstag besuchen und Sonntagmorgen zurückzufliegen. Am Montag bin ich wieder im Büro. Ich brauche die Berkeley Suite im Ritz-Carlton in London. Lassen Sie sich nicht von denen erzählen, sie stehe nicht zur Verfügung …“

„Ich werde Ihren Namen erwähnen.“

„Ja. Und ich werde eine Limousine brauchen, die mich zum Ball fährt und wieder abholt. Die Veranstaltung findet in …“

„In der Guildhall in der City statt.“

„Stimmt. Außerdem gibt es da einen Fahrer, den ich bevorzuge, wenn ich in London bin.“

„Mr. Sanderson von der ‚London Car Company‘.“

Er lachte leise. „Genau.“

Sie machte sich schnell ein paar Notizen. „Sie werden einige Akten für den Flug haben wollen.“

„Natürlich.“

„Nächste Woche ist die Bestandsaufnahme für die Finanzaufstellung des ‚Grand Hotel‘ fällig“, erinnerte sie ihn, während sie schrieb. „Und Sie werden die jüngsten Investmentergebnisse brauchen und das Programm des Komiteemeetings nächste Woche …“

„Finden Sie alles, was wir über das ‚Garrison Grand-Bahamas‘ haben“, unterbrach er sie.

Sie sah verblüfft auf. „Das Hotel in Nassau?“

„Alles“, wiederholte er.

„Selbstverständlich.“ Sie machte sich noch eine Notiz und schluckte die Frage, die ihr auf den Lippen brannte, hinunter. Eine gute Assistentin stellte keine Fragen. „Und Sie möchten wahrscheinlich noch einmal Ihre Rede für den Wirtschaftsrat durchgehen, also lege ich die Unterlagen bei. Sie haben außerdem ein Meeting mit einer Marketingagentur Ende nächster Woche und möchten sicherlich einen kompletten …“ Ein seltsames Kribbeln erfasste sie, und sie hielt inne. Langsam hob sie den Kopf und bemerkte, dass Parker sie anstarrte. „Sie möchten doch dieses Meeting wahrnehmen, oder?“

Er starrte sie nicht nur an, der Blick aus seinen aufregend braunen Augen schien sie förmlich zu durchdringen.

„Was ist los?“, fragte sie so ruhig sie konnte, obwohl ihr das Herz bis zum Hals klopfte.

„Machen Sie es mir einfach, Linda, und kommen Sie mit nach London.“

Oh. Wie bitte? „W…was soll ich Ihnen einfach machen?“

„Meine Arbeit. Sie wissen so viel darüber, und Sie sind so unglaublich gut organisiert. Ich kann nur dann so lange vom Büro fernbleiben, wenn ich währenddessen produktiv bin. Und wenn Sie bei mir sind, bin ich das.“

Für seine Arbeit. Natürlich. Weswegen sollte er sie sonst mit nach London nehmen? Und wie kam sie überhaupt dazu, etwas anderes in Betracht zu ziehen?

„Sie können das verlorene Wochenende mit einem kleinen Urlaub ausgleichen“, fügte er hinzu. Als ob das ihr größtes Problem wäre! Wie sollte er auch wissen, dass sie keine Angst hatte, ein Wochenende zu verlieren, sondern ihren Verstand. Ein ganzes Wochenende in nächster Nähe zum Objekt ihrer geheimsten Träume? Sie würde wahnsinnig werden.

„Kein Problem“, sagte sie langsam. „Es macht mir nichts aus, am Wochenende zu arbeiten.“

„Dann kommen Sie also mit?“ Er lächelte auf seine warme, einnehmende Art, so wie er es immer tat, wenn er einen Sieg errungen hatte – was ungefähr eine Million Mal am Tag geschah. „Perfekt. Sie brauchen etwas zum Anziehen, der Ball in der Guildhall ist ein wenig … nun, förmlich.“

„Der Ball?“ Das konnte er nicht ernst meinen. „Sie wollen mit mir zum Ball gehen?“

Er lachte. „Genau das, Aschenputtel. Warum soll ich groß nach einem anderen Date suchen, wenn Sie bei mir sind?“

Als ob er besonders lange hätte suchen müssen. „Weil …“ Ihr fiel kein Grund ein. Außer dem einen. Er ist dein Boss, Dummkopf.

Ob die Einladung etwas mit der Tatsache zu tun hatte, dass er sie nackt in seinem Bad vorgefunden hatte?

„Mr. Garrison … äh … Parker.“ Sie stand auf, um wenigstens den kleinen Vorteil zu haben, auf ihn herabsehen zu können. „Es tut mir leid wegen heute Morgen. Ich …“

Er wies auf die Badezimmertür. „Das?“ Dann winkte er mit einer lässigen Handbewegung ab. „Das habe ich schon völlig vergessen, glauben Sie mir. Kümmern Sie sich um den Flug und die nötigen Papiere, und ich kümmere mich um meine siebzehn Anrufe.“

Es war also entschieden. Parker wollte keine Einwände mehr hören. Und Linda sagte ihm nicht, dass sie unmöglich mit nach London fliegen könne, weil sie wusste, dass sie es eben doch tun würde.

Als sie sein Büro verließ, war Sheila gerade dabei, weitere Nachrichten auf ihren Schreibtisch zu legen. „Die sind alle bei mir eingegangen, während du bei Mr. Garrison warst“, sagte sie. „Das Telefon hat einfach nicht aufgehört zu klingeln seit diesem Meeting heute Morgen.“

„Ich habe ihm gerade siebzehn andere gegeben“, sagte Linda seufzend. „Sieht mir nach einem harten Tag aus.“

Sheila rümpfte ihre vollkommene Nase, die perfekt zu ihrem vollkommenen Gesicht und dem vollkommenen Körper passte. Linda war nicht überrascht gewesen, als sie erfuhr, dass diese wunderschöne Frau früher ein Playmate gewesen war.

„Und?“ Sheila setzte sich auf den Schreibtischrand. „Was ist los bei den Garrisons? Hat der alte Herr aus dem Grab heraus eine Bombe hochgehen lassen?“

Linda dachte an Parkers Telefonat mit Brandon. Es ging um einen DNA-Test und die Anfechtung eines Testaments. „Woher soll ich das wissen?“, sagte sie ruhig. Und selbst wenn sie es gewusst hätte, würde sie es nicht ausgerechnet der Empfangsdame verraten.

„Man munkelt so einiges, weißt du“, flüsterte Sheila unbeeindruckt. „Mario von der Postabteilung hat mir erzählt, dass La Grande Madame fluchend den Konferenzraum verlassen hat und wahrscheinlich schon die erste Flasche köpfte, bevor die Limousinentür sich hinter ihr schloss.“

Linda sah sich die Nachrichten an und tat, als höre sie Sheila kaum zu. „Du, ich habe wirklich alle Hände voll zu tun, um Mr. Garrisons Reise nach London vorzubereiten.“

Sheila erhob sich mit einem tiefen Seufzer. „London, was? Wie gut es die Reichen doch haben. Muss nett sein, mal eben kurz nach London zu düsen.“ Mit einem Winken verschwand sie um die Ecke und überließ Linda dem Berg von Telefonmitteilungen.

Ob es nett war? Sie würde es bald herausfinden. Linda wusste, dass sie sich geehrt fühlen und froh über die Gelegenheit zu einer solchen Reise sein sollte. Aber sie hatte so viel zu verbergen – zum Beispiel, dass sie in ihren Chef verliebt war. Wobei das noch lange nicht ihr schlimmstes Geheimnis war. Und wenn sie nicht aufpasste, würde Parker Garrison auch das dunkelste Kapitel ihres Lebens aufdecken.

2. KAPITEL

„Wir haben unsere Reiseflughöhe erreicht, Mr. Garrison. Hätten Sie gern das Übliche?“ Die einzige Stewardess auf der „Gulfstream“, dem Jet, den die Garrisons meistens für ihre Geschäftsreisen mieteten, lächelte freundlich. Ihr vorzeitig ergrautes Haar hatte sie wie immer zu einem eleganten Knoten gebunden. Auf ihrem schlichten dunklen Kostüm gab es nicht einmal die Spur eines Fussels.

„Vielen Dank, Christine, sehr gern. Linda?“

Linda hatte Parker gegenüber auf einem der bequemen hellen Ledersitze Platz genommen und bereits einen Berg Akten auf dem Tisch vor sich ausgebreitet. Der Laptop war offen und sie bereit zur Arbeit.

„Kommt darauf an“, sagte sie. „Was ist denn das Übliche?“

„Tomatensaft mit Tabasco.“

Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Kaffee, bitte.“

„Ach, kommen Sie schon, Linda. Gehen Sie doch mal ein Risiko ein“, neckte Parker sie und hoffte, dass sie ihm ein Lächeln schenken würde, aber sie schüttelte nur den Kopf.

„Nur Kaffee, vielen Dank.“ Nachdem die Stewardess genickt und sich zurückgezogen hatte, hielt Linda ihrem Chef ein Blatt Papier unter die Nase. „Ich habe eine Liste all der Dinge zusammengestellt, die Ihrer Aufmerksamkeit bedürfen, Mr. Garrison.“

Er erinnerte sie nicht daran, ihn Parker zu nennen. Linda Cross wollte offenbar deutlich machen, dass sie nichts weiter als seine Assistentin war. Genauso gut hätte sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Außer Arbeit kein Vergnügen“ tragen können, als sie vorhin am Flughafen in einem ultrakonservativen Hosenanzug aus ihrem Kleinwagen gestiegen war – marineblaues Jackett, seriöse Stoffhose und flache Schuhe.

Wo war das Mädchen geblieben, dass in pinkfarbener Unterwäsche schief, aber aus voller Kehle „I feel pretty“ sang?

Parker nahm die Liste entgegen und sagte sich, dass er es schließlich selbst gewesen war, der Linda hatte glauben lassen, sie nur der Arbeit wegen mitzunehmen. Zumindest hatte er ihr das gesagt.

Gut, er wusste, warum er sie wirklich mitnahm. Aber wusste sie das auch?

Natürlich war sie eine erstklassige, unentbehrliche Assistentin, eine der besten, die er je gehabt hatte. Sie war attraktiv, elegant und intelligent genug, um in jeder auch noch so vornehmen Gesellschaft Small Talk zu betreiben. Das Wichtigste war jedoch, dass er ihr vertrauen konnte. Noch nie hatte sie auch nur das geringste Interesse an seinem Geld gezeigt, und sie schien sich ihm auch jetzt nicht an den Hals werfen zu wollen. Dabei wusste er aus Erfahrung, dass die meisten Frauen versucht hätten, dieses Wochenende in ein ganzes restliches Leben im Luxus zu verwandeln.

Trotzdem war keiner dieser Punkte der tatsächliche Grund, weswegen er Linda mitgenommen hatte. Der tatsächliche Grund war ganz simpel – was er im Badezimmer gesehen hatte, hatte ihm gefallen, und er wollte mehr davon sehen. Und er ahnte schon jetzt, dass es ihm nicht reichen würde, es nur zu sehen.

Unter allen anderen Umständen hätte er schon längst den ersten Schritt getan, spätestens fünf Minuten, nachdem der Jet in der Luft war. Champagner und heiße Küsse über den Wolken wären ein idealer Auftakt für ein romantisches Wochenende voller Leidenschaft gewesen. Eine Frau zu verführen war eine Kunst und ein Vergnügen, das er ernst nahm – und das so oft wie möglich.

Und doch hielt ihn etwas zurück, das er selbst nicht erklären konnte. Ein seltsam ungewohntes Gefühl zwang ihn, erst auf ein Zeichen von Linda zu warten.

Vielleicht würde sie ihre Jacke ausziehen, verspielt von seinem Tomatensaft probieren, die Spange herausnehmen und das lange Haar auf sinnliche Weise schütteln. Das würden jedenfalls die Frauen tun, die er kannte, und die würden sogar noch weitergehen: sich ein kokettes Kichern erlauben, die nackten, pedikürten Füße auf seinen Schoß legen und das Spiel seinen Lauf nehmen lassen.

Aber Linda natürlich nicht.

Linda holte stattdessen eine bemerkenswert hässliche Brille aus ihrer Handtasche und setzte sie sich auf die gerade Nase. Dann zog sie die Spange noch fester, die ihr Haar streng aus dem Gesicht hielt. Sie war kaum geschminkt, trug nur ein wenig Lipgloss und einen Hauch Mascara. Schon hatte sie ihr eigenes Exemplar von Parkers To-do-Liste in der Hand, wies auf den ersten Punkt und räusperte sich. „Sie haben das Hotel in Nassau erwähnt. Ich habe die Unterlagen hier.“

Sie weigerte sich also nicht nur, irgendein Interesse an ihm als Mann zu zeigen. Jetzt löschte sie auch noch seine gerade aufgeflackerte Erregung, indem sie ihn an sein derzeit größtes Problem erinnerte!

Ohne ein Wort nahm er die „Grand-Bahamas“-Akte entgegen und öffnete sie.

„Suchen Sie etwas Bestimmtes?“, fragte Linda.

Das konnte man wohl sagen. Er wollte etwas finden – egal was –, das ihm ermöglichte, seine Halbschwester loszuwerden. „Ich will nur sehen, wie die Geschäfte laufen.“

„Die Finanzaufstellung des letzten Quartals steht auf der linken Seite, einschließlich der Belegungsrate und der Banketteinnahmen“, erklärte sie. „Auf der rechten Seite finden Sie alle Informationen über die neuen Urlaubsprogramme und über die wichtigsten Angestellten. Die Leiterin des Hotels, Cassie Sinclair, scheint alles sehr gut im Griff zu haben.“

Als er den verhassten Namen hörte, musste er einen Fluch unterdrücken. Er blätterte die Akte durch und runzelte die Stirn über die hervorragenden Ergebnisse des letzten Geschäftsjahres und die noch besseren Aussichten auf das kommende. Bereits jetzt lagen erstaunlich viele Reservierungen vor.

„Stimmt etwas nicht?“

Ob etwas nicht stimmte? Parker wollte keine positiven Berichte über das Hotel lesen! Er wollte etwas finden, das er gegen Cassie Sinclair verwenden konnte, etwas, das bewies, dass sie unmöglich eine Garrison sein konnte!

„Nein“, murmelte er stattdessen.

„Oh, ich dachte schon, ich hätte etwas falsch abgeheftet.“

„Haben Sie je etwas falsch abgeheftet, Linda?“, fragte er mit einem leichten Lächeln.

Sie errötete. „Falls Sie meinen, ob ich je Fehler mache, dann müssten gerade Sie wissen, dass ich sehr wohl welche mache.“

Wahrscheinlich meinte sie den Fehler, etwas zu lange unter seiner Dusche gestanden zu haben. Parker sah sie prüfend an in der Hoffnung, doch noch zu ihr durchzudringen, aber Linda wandte den Blick ab. So wie sie es eigentlich immer tat. In diesem Moment brachte Christine die Drinks, etwas Obst und frisch gebackene Muffins.

Parker lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Akte. „Das Hotel erzielt ziemlich hohe Gewinne“, bemerkte er.

„Das klingt bei Ihnen so, als wäre es ein Problem.“

Parker überlegte, ob er sich seiner Assistentin anvertrauen sollte. Wenn er ein Problem mit ihr teilte, würde sie vielleicht ein wenig lockerer werden oder wenigstens diese … diese Zwangsjacke ausziehen, die sie da trug. Außerdem brauchte er dringend jemanden zum Reden.

Er nahm einen langen Schluck von seinem Tomatensaft, bevor er sich einen Ruck gab. „Cassie Sinclair ist, wie es den Anschein hat, mehr als nur die Leiterin des Bahamas-Hotels.“

„Wie meinen Sie das?“

„Sie ist meine Halbschwester.“

Linda sah ihn sekundenlang fassungslos an. „Das kann nicht sein.“

Er lächelte schief. „Offenbar doch. Und zwar durch eine Affäre, die mein Vater eine lange Zeit unterhielt. Sie hatte die Geburt einer Frau zur Folge, die jetzt, laut seinem Testament, gleichberechtigte Partnerin bei ‚Garrison Incorporated‘ ist und …“ Er hielt demonstrativ die Akte in die Höhe. „… Besitzerin dieses Hotels.“

„Ich kann es nicht glauben“, sagte Linda und sank in ihrem Sitz zurück.

„Ich auch nicht. Aber das ist ja der Grund, weswegen der liebe Gott Anwälte erfunden hat“, meinte Parker mit einem Achselzucken. „Und weswegen ich mich dieses Wochenende in London zeigen muss.“

„Wird sie auch da sein?“