Für Laura und Sophie Campbell, treue Leserinnen und gute Freundinnen der ganzen Whybrow-Meute
Und mit Dank an Dr. Stuart Sharp von der Zoologischen Abteilung der University of Cambridge sowie an Matt Gribble, dessen Wissen und Erfahrung aus erster Hand mit dem Leben der Erdmännchen unbezahlbar für mich waren. Sie haben mich überzeugt, dass es tatsächlich etwas wie Weihnachten in der Kalahari gibt.
Vorwort
Die Charaktere in diesem Buch, ihre Abenteuer, Sitten und Bräuche beruhen auf Begegnungen mit echten, lebenden Erdmännchen in der Kalahari-Wüste. Da diese Geschöpfe jedoch Wert auf ihre Privatsphäre legen und daher anonym zu bleiben wünschen, wurden ihre Namen und ihre Sprache geändert. Jede Ähnlichkeit mit Erdmännchen-Stars in Film, Fernsehen oder auf der Bühne ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Ähnlichkeiten zwischen den „Guckmals“ und „Wowartihrs“ in den Blah-Blah-Hügeln und irgendwelchen realen Klick-Klicks oder Sir David Attenborough sind ebenfalls reine Spekulation und liegen allein im Auge des Betrachters.
Ian Whybrow
Kapitel 1
Alles fing mit Zora, Grummel-Pummel, Flitzpfote und Frechdachs an, diesen vier kleinen Schlingeln, die so unwiderstehlich betteln können.
Es war Mittsommer in der Kalahari, die Zeit des Schlemmens und des Überflusses, in der es vor neugeborenen Babys und tapsigen Jungtieren aller Art nur so wimmelte.
„Hiiiieeh! Hiiieh!“, bettelten die Kleinen, und das bedeutete: Gib uns auch einen Bissen ab! Gib uns einen Käfer! Lass uns mal ablecken! Bittebittebittebiiiiittte!
Mit jeder neuen glühenden Sonnenzeit tauchten erschreckend große Jungtiere auf, die schnaubend und wiehernd herumgaloppierten und wild durch die Dornbüsche krachten. Manche begnügten sich damit, an den zarten Schösslingen, Früchten und leuchtend gelben Blüten zu knabbern. Andere wollten nur rennen, springen und hüpfen. Aber unter den Tierkindern mit den schärfsten Zähnen gab es auch solche, die bereits zu jagen anfingen und … naja, fast alles und jeden fressen wollten …
„Dass ihr nur ja in der Nähe eines Fluchtlochs bleibt, ihr kleinen Racker, was-was!“, befahl Onkel Erwin seinen Babys, wenn sie quiekend um ihn herumtollten. „Und denkt an unser Motto: Bleibt zusammen, dann bleibt ihr am Leben! Und hört auf die Alarmrufe der Wache.“
Die Jungen hatten schnell gelernt, den Gefahren, die überall auf sie lauerten, aus dem Weg zu gehen. Und allmählich wurden sie selber geschickte Jäger.
Unermüdlich flitzten sie zwischen den Sand-dünen umher, auf der Suche nach Neugeborenen, die noch viel kleiner waren als sie selbst – zappeliges Krabbelzeug, das immer so schön zischte und glitschte. Geschickt erschnüffelten sie die winzigen Kreaturen, die mit ihren Beinchen und Fühlern wedelten und versuchten, sich vor der Sonne in einem kühlen, feuchten Sandfleck zu verstecken.
Feuchte Sandstellen um die Weihnachtszeit sind für Erdmännchen wie prall gefüllte Speisekammern. Man muss nur die Pfote reinstecken und an sich reißen, was das Herz begehrt: Eidechsen, Skinks, Tausendfüßler, Käfer, Ameiseneier. Und vor allem – der größte Leckerbissen – köstliche, knusprige, saftige Skorpione. Jamjam, lecker!
„Oh Mann, was sind die doof!“, beklagte sich Mia nach dem Aufwärmen am Weihnachtsmorgen bei ihren beiden Brüdern. „Kein bisschen Grips im Kopf – nicht so wie ich, Mia! Die sollten sich mal ein Beispiel an mir nehmen.“ Mia redete oft so, was vielleicht daran lag, dass sie eine echte Prinzessin war.
„Wer? Die Käfer oder die Babys?“, fragte Tüftler. Er hatte gerade eine Pfote voll zappelnder Larven ausgegraben, die er jetzt genüsslich verspeisen wollte. Aber da kam Flitzpfote angerannt, maunzte flehentlich und wälzte sich auf den Rücken. Die Kleine schaute ihn dabei so süß und treuherzig an, dass Träumer ihr natürlich nichts abschlagen konnte. Also gab er ihr seine Larven.
„Beide!“, stöhnte Mia. „Die Käfer suchen sich immer die einfachsten Verstecke, und die Babys kapieren nicht, wie man sie fängt.“
„Das glaubst du ja selber nicht!“, lachte Tüftler. „Die Babys sind viel schlauer als wir, sonst würden sie uns nicht immer unsere Beute abjagen. Und wir sind so dumm und arbeiten für sie! Pass auf, Träumer. Der kleine Frechdachs ist im Anmarsch …“
Träumer war noch ganz erhitzt, weil er gerade einen fetten, wütenden Skorpion niedergekämpft hatte. Es war ein anstrengender Tanz gewesen: Vorwärts-rückwärts, vorwärts-rückwärts, hopp-zwei-drei, vorwärts-rückwärts. Jetzt war der Skorpion am Ende, und Träumer biss ihm keuchend den Stachel ab. Dann, hoppla!, flog der zappelnde Gliederfüßer hoch in die Luft hinauf. Träumer, der dieses Spiel meisterhaft beherrschte, freute sich darauf, sein Frühstück geschickt mit dem Maul aufzufangen und hinunterzuschlingen. Aber gerade als er den Kiefer aufreißen wollte, stieß Frechdachs einen gellenden Schrei aus, der jedem Steppenbussard Ehre gemacht hätte. Träumer erstarrte vor Schreck und kniff die Augen zusammen. Der Skorpion prallte an seinem Kopf ab – Boing! -, und ehe er auch nur „Wo ist mein Frühstück?“ rufen konnte, war der köstliche Bissen schon halb im Bauch des kleinen Frechdachs verschwunden.
„Pech gehabt, Träumie!“, lachte Tüftler. „Jetzt musst du dir was Neues suchen.“
Im selben Moment kam Sonnenstrahl herüber, fröhlich und warmherzig wie immer. „Ach, ihr armen Kinderchen“, rief sie lachend. „Vor diesen Babys hat man aber auch nie seine Ruhe, was? Komm her, Frechdachs! Du bleibst jetzt bei deiner Mama!“, sagte sie mit gespielter Strenge. „Du musst die Großen auch mal alleine nach Futter graben lassen, mein gieriges kleines Warzenschwein!“ Damit packte sie den kleinen Quieker im Nackenfell und trug ihn zu seinen Geschwistern in den Schatten.
„Also, haltet euch ran, Leute, jetzt könnt ihr ungestört reinhauen!“, rief Tüftler Mia und Träumer zu. „Ich hab mir gerade eine Eidechse gefangen – jamjam – köstlich!“ Er leckte sich den letzten Rest Saft von den Lippen, dann flitzte er auf einen Dornbusch hinauf. „Von hier oben hab ich alles im Blick! Los, nehmt die Köpfe runter und fangt an zu graben!“
Und wusch!, schon flog eine Ladung Sand unter ihm hoch, als Träumer und Mia wild drauflosbuddelten. In null Komma nichts schafften sie doppelt so viel Sand weg, wie sie selbst wogen. Und die Mühe lohnte sich: Zwei Skorpione, eine Kragenechse, mehrere Spinnen und eine Mordwanze wurden gleichzeitig aus ihrem Nest herausgeschleudert.
„He, Wahnsinn! Das habt ihr gut gemacht!“, schrie Tüftler. „Die Luft ist immer noch rein. Schlagt euch die Bäuche voll, Leute, und …“
Weiter kam er nicht, denn plötzlich gab Onkel Erwin Großalarm. „WUPP-WUPP! ALARMSTUFE EINS! PUFFOTTER IM ANMARSCH! ALLE MANN IN DECKUNG! ZACK-ZACK!“
Kapitel 2
Wie der Blitz schossen die Jungen tief in ein Fluchtloch hinunter. Dort warteten sie, spitzten die Ohren und reckten ihre Nasen hoch. Sobald sie das Gefühl hatten, dass die Luft wieder rein war, spähten sie hinaus. Von einer Puffotter war weder etwas zu sehen noch zu riechen. Stattdessen hüpfte ein schmächtiger junger Trauerdrongo auf ihrem Frühstück herum und pickte eifrig drauflos. Gerade verschlang er die letzte der Spinnen, die Träumer und Mia ausgegraben hatten. Der kleine Vogel äugte zu den enttäuschten Erdmännchenjungen hinüber und zwinkerte ihnen zu.
„Vielen, vielen Dank!“, rief er frech. „War echt lecker!“
„W-wo ist denn jetzt die Schlange?“, fragte Träumer ängstlich.
Der Drongo riss seinen Schnabel auf und stieß ein lautes Zischen aus – es klang täuschend echt nach einer angreifenden Puffotter. Schwupp!, gingen die Erdmännchen wieder in Deckung, aber es dauerte nicht lange, bis sie vorsichtig aus dem Eingang ihres Fluchtlochs herausspähten.
„Das war ich“, prahlte der freche kleine Vogel. „Ich war das! Ich kann jeden nachmachen, egal wen. Hier, hört mal …“ Zum Beweis warf er seinen Kopf zurück und tschilpte schnell hintereinander wie ein aufgescheuchter Star. Dann lachte er wie eine Hyäne, kreischte „Huu-iii-oooh!“ wie ein Kampfadler, und schließlich machte er „WUPP-WUPP-WUPP!“, und seine Stimme klang genau wie die von Onkel Erwin.
„Na warte, du Dieb!“, brüllte Mia. „Du gemeiner Räuber!“ Wütend zeigte sie ihm die Zähne und stürzte auf ihn zu.
„Hey“, tschilpte der Drongo und hüpfte aus dem Weg. „Was ist los mit dir? Gefällt dir das nicht? Ich mache doch nur, was meine Mama und mein Papa mir beigebracht haben!“
Tüftler schaute den kleinen Vogel voller Bewunderung an. War das ein toller Trick! Schade, dass er so was nicht auch konnte. Das war manchmal sicher sehr nützlich!
„Der Drongo hat recht. Lass ihn in Ruhe“, sagte er deshalb zu Mia. „Das ist einfach seine Natur. Wie heißt du übrigens?“, fragte er den Vogel.
„Ich heiße Flügge, und Stimmen imitieren ist mein Ding“, zwitscherte der Vogel. „Besonders Alarmrufe – die sind meine Spezialität. Wenn du mir mal wieder ein paar saftige Krabbler vor den Schnabel wirfst, gebe ich dir Nachhilfe darin, Kumpel. Au weia, meine Mama ruft mich. Tut mir leid, Leute, ich muss flitzen. Bis dann!“ Damit flog er davon.
„Brillant!“, schwärmte Tüftler.
„Du hast leicht reden“, jammerte Mia. „Was ist mit mir? Ich bin am Verhungern und Verdursten, und daran ist nur dieser blöde Drongo schuld. Und die verfressenen Babys. Ich brauch jetzt jedenfalls was zu trinken! Also tschüs!“ Schnaubend huschte sie davon.
„He, warte mal!“, rief Träumer ihr nach. „Du sollst doch nicht allein weglaufen, Mia. Wir kommen mit dir!“ Mit erhobenen Schwänzen galoppierten Träumer und Tüftler hinter ihrer Schwester her. Sie wussten genau, wo Mia hinwollte: zu der Farm, auf der die Tick-tacks lebten. Dass es eine Farm war, wussten die Erdmännchen natürlich nicht. Aber da sie von Natur aus neugierig waren, hatten sie den Hof gleich entdeckt, als sie mit Onkel Erwin und der restlichen Wahnsinnsmeute in den neuen Bau umgezogen waren.