Anne Schultz
…und plötzlich saß ich im Rollstuhl
Ein positives Leben trotz Behinderung
Haag + Herchen
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Schultz, Anne:
und plötzlich saß ich im Rollstuhl: ein positives Leben trotz Behinderung / Anne Schultz: Haag und Herchen, 1999
ISBN 978-3-86137-802-0 (Druckausgabe)
ISBN 978-3-89846-690-5 (ePUB)
© 2013 by Verlag HAAG + HERCHEN GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Verlagsnummer 2802
Mit diesen Aufzeichnungen möchte ich vor allen Dingen den »Neulingen« im Rollstuhl meine Erfahrungen mitteilen – so, wie ich mit der Situation fertig wurde. Sicherlich habe auch ich nicht die Weisheit gepachtet, aber ich habe einfach das Bedürfnis, die auf meine Weise gesammelten Erfahrungen und was ich daraus gemacht habe, weiterzugeben; und zwar mit einfachen Worten.
Darüber hinaus habe ich auch ein paar Ideen bzw. Wünsche eingebracht; vielleicht gelingt es mir damit, Interesse zum Ergreifen von Initiativen zu wecken.
Dem Ärzte- und Pflegerteam der Schmieder-Klinik in Konstanz gilt mein besonderer Dank.
Der Anlaß war simpel, die Auswirkungen groß. Also, ich stürzte und fiel knallhart auf den Hinterkopf. Das war zunächst ja nichts Besonderes. Unfallbeobachter sahen das anders und ließen mich sofort in ein Krankenhaus bringen. Mit Blaulicht und so echt richtig aufregend!
Der Aufwand im Krankenhaus war auch nicht ohne. So viele Weißkittel für mich alleine? Nachdenkliche Mienen und sogar nette Pfleger, die mir eine Schnabeltasse reichten. Jede Menge technische Geräte, schon schwierig und noch mehr medizinisches Fachchinesisch – noch schwieriger. Was soll’s? Erst mal rüber mit einem leichten Abendbrot – besser gesagt – Nachtbrot; denn einer sprach von 23.20 Uhr und dann nichts wie in das vorbereitete Bett. Endlich Ruhe! Das einzige, was etwas störte, war die Nadel im Arm und die Schlauchverbindung zu einer Riesenflasche im Gestell über mir. Die Flüssigkeit sah aus wie Wasser und war somit nicht interessant.
Die Restnacht verlief so recht und schlecht. Das Frühstück war nicht üppig. Tee aus der Schnabeltasse und eine Scheibe Weißbrot waren auch noch zu verkraften.
Doch das dicke Ende kam mit dem Chefarzt und seinem Gefolge. Mit monotoner Stimme berichtete er mir: »Sie hatten einen Unfall. Nach unseren ersten Erkenntnissen sind Störungen vorhanden, die Sie zunächst an den Rollstuhl binden werden, da Ihre rechte Körperhälfte Lähmungserscheinungen aufweist und Sie nicht in die Lage versetzt, alleine zu gehen bzw. mit der rechten Hand oder dem rechten Arm etwas zu bewerkstelligen. Unsere Untersuchungen werden noch ausgeweitet, und wir sehen uns dann morgen wieder.«
Ich hatte nichts verstanden, und für mich brach eine Welt zusammen. Mit den Tränen floß auch jeder Mut von mir. Das war vor 18 Monaten. Heute sitze ich zwar immer noch im Rollstuhl, aber ich habe es geschafft, meinen Mut und meine Willenskraft wiederzufinden. Mein Leben, mein Umfeld mußte ich neu ordnen. Dabei haben mir andere Menschen im Rollstuhl ohne Absicht viel gezeigt, indirekt haben sie mich vieles gelehrt, und ich habe viel von ihnen gelernt.
Wichtig ist, vieles mit den Augen wahrzunehmen, alles Erdenkliche auszuprobieren und vor allen Dingen nie aufzugeben. Ich habe es geschafft und wünsche mir, daß andere es auch schaffen. Der Weg ist aber steinig und mühsam. Kopf hoch, und auf geht’s!
Eingefleischte Rechtshänder sagen: »Das geht nicht.« Falsch! Ich war auch totaler Rechtshänder, bin schon weit über die Lebensmitte hinaus und habe meine Meinung inzwischen aus Überzeugung geändert. Übrigens, das auch ohne viel technischen Schnickschnack für sogenannte Linkshänder.
Das einfachste war die Schnabeltasse. Dann später die große Tasse – der sogenannte »Pott«, und zwar für alle Getränke ohne Beachtung einer Etikette. Somit ist das Trinken gesichert, denn die Kaffeekanne macht ja wohl keine Probleme – und das Essen? Den Löffel in die linke Hand, nach vorne bringen, wie im hohen Alter über den Teller hinein in den Mund. Auch schon einmal mit Schlürfen – ist für »Lehrlinge« erlaubt.
Später erst umsteigen auf die Gabel. Ich kann es nur empfehlen. So können unliebsame Einstiche um die Mundpartie vermieden werden. Und sagt bloß nicht, daß zum kultivierten Essen die Gabelhaltung sowieso immer links sei. Das habe ich auch gedacht. Denkste! Die Motorik der rechten Hand fehlt trotzdem.
Nun das Schreiben. Es war für mich als Autorin die reinste Katastrophe. Zwingt euch dazu, den Kugelschreiber in die linke Hand zu nehmen und in Druckbuchstaben zu üben. Erst einmal Name und komplette Anschrift – und danach auch Sätze. Es wird immer flüssiger. Denn wer schreibt, der bleibt! Schreibt zuerst vielleicht an Freunde und gute Bekannte und auch erst einfache Zeilen.
Die haben bestimmt Verständnis für die Handschrift und freuen sich über einen außergewöhnlichen Gruß. In der heutigen Zeit steht ja in vielen Haushalten schon der PC. Aber handschriftliche Grüße bleiben einfach persönlicher.
Wie sagte schon ein großer deutscher Schauspieler: »Üben, Üben, Üben!«
Als Rollstuhlfahrer fühlt man sich zunächst als außerhalb der Gesellschaft stehend. Falsch gedacht! Du bringst doch deine Sitzgelegenheit immer mit! Na ja, war etwas humoristisch gedacht, aber mir hat es geholfen. Auch wenn du jetzt durch die neue Sitzposition meinst, ständig nach oben zu schauen, ist das zwar richtig, aber lasse dabei nie den Gedanken aufkommen, dir einen hilfesuchenden Blick nach oben anzugewöhnen. Du bist eine Persönlichkeit. Darum schaue forsch und mit Selbstvertrauen deine Gesprächspartner bzw. alle dir begegnenden Menschen an.
Meine anfänglichen Erlebnisse im Bus oder in Kaufhäusern waren niederschmetternd. Die meisten Vorbeigehenden schauen mitleidig zu dir. Viele verbinden den Rollstuhlfahrer auch gleichzeitig mit einer Behinderung im Kopf. Das ist leider so. Hier können nur ein fester Blick und eine deutliche, klare Stimme Abhilfe schaffen.
Du bist gefordert, den Anschluß zu halten. Igele dich nicht ein. Es könnte so manch wertvolle Verbindung sonst abbrechen.