172,3
Roman von Vincent Voss
Copyright Gesamtausgabe
© 2012 LUZIFER-Verlag Steffen Janssen, Bochum
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Copyright Cover © 2012 Timo Kümmel
ISBN: 978-3-943408-91-1
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
171,4 kg
Das letzte Wochenende bevor er wieder arbeiten musste. Und es war auch das letzte Wochenende, an dem sie grillen wollten. Der Tisch auf der Terrasse war gedeckt, Larissa bereitete in der Küche einen grünen Salat (statt Nudelsalat) vor, und er fächerte der weiß werdenden Grillkohle mit einem Automobilmagazin Luft zu.
Abends wurde es frisch im September. Larissa und er hatten nachmittags noch in kurzer Hose und T-Shirt hier gesessen, doch dafür war es jetzt zu kühl. Er mochte diese Jahreszeit und die ganzen Tätigkeiten, die damit einhergingen. Er hatte Heizöl für den Winter bestellt und im Baumarkt als einer der ersten Streusalz und Granulat gekauft und im Schuppen verstaut. Ihren Komposthaufen hatte er gewendet und das kleine Hügelbeet, das Larissa unten am Wäldchen angelegt hatte, war mit frisch kompostierter Erde gemulcht worden. Alles wurde vor dem unberechenbaren Herbst in Sicherheit gebracht.
»Und? Wie sieht es aus?« Larissa stellte die Schüssel mit Salat auf den Tisch.
»Wir können wohl gleich anfangen.« Sie setzte sich und er wendete einige Brikettstücke mit der Grillzange.
»Ich finde es toll, wie du das gerade machst. Du scheinst auch richtig Spaß zu haben, oder?«
Er lächelte und nickte. »Ja. So wie die das machen, merke ich bisher gar nicht, dass ich abnehme. Also, ist ja auch nicht viel bisher, aber es wird eh nur ein Kilo pro Woche empfohlen. Und bis jetzt vermisse ich nichts.«
»Aber du isst andere Sachen, oder?«
»Ja. Da war mir vieles vorher nicht bewusst.« Er deutete mit dem Kopf auf den Teller mit den Fleischstücken und den Würstchen. »Lamm, Geflügel und alles was mager ist, kann ich essen. Einiges sogar, so viel, bis ich satt bin, ohne die Punkte ausrechnen zu müssen, weil sie Sattmacherpunkte haben. Kannst essen, was du willst, zahlst einmal Punkte.«
Sie sah ihn skeptisch an und nippte an ihrem Weinglas.
»Und das klappt?«
»Ja!«, erwiderte er bestimmt.
»Und die Würstchen?«
»Sind für dich, Daniela und ihren Freund Deeeyyvid …«
Er rollte mit den Augen und Larissa lachte. Er hatte ihn David genannt und Deyvid hatte ihm vorgesprochen, wie man seinen Namen richtig aussprach, nämlich ›Deeeyyvid‹. Am besten mit 200gr Kaugummi im Mund, einer Hose, die in den Kniekehlen hing und einem bescheuerten Cappy seitwärts auf dem Kopf sitzend. David war Danielas zweiter Freund (sie war 14) und offenbar war es etwas Ernstes, denn sie gingen schon 7 Monate miteinander. Er mochte David nicht, aber er vermutete, dass er nie irgendeinen Freund seiner Tochter mögen würde. Eifersucht? Vielleicht. Aber er dachte immer, seine Tochter hätte etwas Besseres verdient, als einen ›Deyvid‹.
»Du magst ihn immer noch nicht, oder?«, fragte Larissa.
»Du etwa?«
»Ich finde ihn mittlerweile ganz nett, ja. Und ich glaube, so sind Jungs nun mal in dem Alter.«
»Sooo?«
Er konnte nicht glauben, dass er so verpeilt und planlos mit 14 gewesen war. David hatte sich erst beim letzten Mal mit der Schlaufe seiner Tasche am Türgriff verfangen und war bei seinem Befreiungsversuch die dreistufige Treppe hinab gestürzt. Viktor war es sehr schwer gefallen, nicht zu lachen. David hatte starke Schmerzen gehabt, sich aber die Tränen verkniffen. Larissa lachte, als sie sein erstauntes Gesicht sah.
»Na ja, fangen wir mal an.« Er legte das Fleisch auf den Grill und hakte den Rost auf mittlerer Stufe über die Glut. Larissa stand auf und ging ins Haus, um ihrer Tochter und David Bescheid zu sagen.
*
Bis halb Zehn saßen sie draußen. Larissa hatte Decken verteilt, Viktor hatte den Grill an den Tisch heran geschoben und von David erfahren, dass er später Physiotherapeut werden wollte. Das hatte Viktor nicht erwartet und David stieg in seinem Ansehen. Als David einen Witz zu erzählen begann (Treffen sich drei Vampire sagte der eine, Digga, da hinter der Laterne, Digga. Ne, halt, da war noch was. Also drei Vampire, Digga …), sich seine Tochter deswegen gehörig fremd schämte und Larissa ihn ob seiner Reaktion beobachtete, gab sich Viktor gelassen und hörte dem schlecht erzählten Witz bis zum Ende zu. David spürte, dass er den Witz gerade verhaute, stammelte sich von Satz zu Satz, brachte die Pointe an falscher Stelle und errötete.
»Der war ganz schön beschissen erzählt, David, da kann ich noch nicht mal aus Höflichkeit lachen«, schloss Viktor nach der Vorstellung und klopfte David auf die Schulter. »Macht aber nichts. Ich glaube, du bist ganz nett und schade, dass wir heute das letzte Mal grillen. Wenn ihr bis zum nächsten Jahr durchhaltet, bist du herzlich eingeladen.«
Seine Tochter starrte ihn mit offenem Mund an, Larissa glaubte sich verhört zu haben. David nahm die Mütze vom Kopf und kratzte sich.
»Echt jetzt, Herr Vogel?«
Viktor nickte und lächelte ihn an.
»Ja, natürlich.« Er stand auf. »So. Ich räume jetzt alles ab, weil meine Frau und ich noch eine Verabredung auf der Terrasse haben.«
»Danke schön, Herr Vogel. Sie sind auch ganz schön cool«, antwortete David und reichte ihm die Hand. Viktor schlug ein und Daniela schüttelte fassungslos den Kopf. Er sah die Freude in den Augen seiner Tochter und ließ sich davon anstecken. Beschwingt räumte er den Tisch mit Larissa ab, spülte das Grillrost und leerte die Glut in einen Tontopf, um später das Hügelbeet damit zu düngen.
Anschließend saßen sie in Decken eingewickelt nebeneinander und tranken Wein. Er liebte das geräuschvolle Nachtleben in seinem Garten und dem angrenzenden Wald, den dezenten Geruch der salzigen Ostsee, den Geruch von frisch gemähtem Rasen, Larissas Hand in seiner und die wohlige Wirkung eines süßen Rieslings. Über ihm schien der Mond und die ersten Sterne gingen auf. Aus Danielas Fenster schien ein warmer Lichtschein. Er war geborgen. Viktor drückte Larissas Hand, sie erwiderte seine Liebesbekundung, und im Dunkeln sahen sie sich an.
»Ich liebe dich und mir wird kalt«, sagte sie.
»Du warst schon immer der Elefant im Porzellanladen von uns beiden«, antwortete er (wachsam, denn der Elefant war auch eine gute Vorlage für eine Anspielung).
»Eben. Und das liebst du auch an mir, du Weichei.«
Er lachte.
Sie stand auf, faltete die Decke zusammen, nahm das Weinglas und ging ins Haus.
»Ich komme auch gleich«, murmelte er, kuschelte sich tiefer in die Decke und schloss die Augen.
*
Er erschrak und stemmte sich aus dem Stuhl. Die Decke rutschte von seinen Beinen auf den Boden. Mit Angst in der Brust sah er sich um. Er befand sich immer noch auf der Terrasse. Wahrscheinlich war er eingeschlafen.
Aus dem Wohnzimmerfenster flackerte bläuliches Licht, Larissa sah vermutlich fern. Das Licht bei Daniela war erloschen. Warum hatte er sich so erschrocken? Er analysierte sein Inneres, seine Instinkte, die während des Schlafes wachten. Aufgestellte Härchen auf den Unterarmen, Beklemmung; von irgendwo schien eine Gefahr zu drohen. Er versuchte, sie zu orten und schnell schloss er aus, dass sie von seinem Haus ausging. Er schlich zum Wohnzimmerfenster und spähte hinein. Larissa lag schlafend auf der Couch, ein Moderator lächelte aus dem Fernseher. Alles in Ordnung.
Er drehte sich um und konzentrierte sich. Es war Nacht, aber der klare Himmel ließ den Mondschein seinen Garten in fahles Licht tauchen. Bis zum Schuppen und zum Waldrand konnte er gut sehen, doch dahinter lagen dunkle Schatten. Und von dort spürte er etwas. Er war kein schreckhafter Mensch und vor der Dunkelheit hatte er keine Angst. Es bedeutete nur das Fehlen von Licht und pragmatisch konnten sich Kriminelle in der Dunkelheit besser verbergen. Aber was gab es hier zu holen?
»Hallo?«, rief er zum Waldrand gewandt; rhetorisch, denn eine Antwort erwartete er nicht. Eher hoffte er, dass der- oder diejenige nun wusste, dass jemand zugegen war.
Er lauschte und registrierte etwas, dass seine gerade abnehmende Furcht befeuerte: Es war still. Absolut still. Nicht ein Laut drang aus dem Wald am Ende seines Gartens.
Er schluckte trocken und wusste diese Erkenntnis nicht einzuordnen. Was bedeutete das? Verhielten sich Tiere ruhig in der Anwesenheit von Menschen? Nein. Wenn er im Wald war (sie hatten dort eine Hängematte, in der er früher gelegentlich lag, aber seit ein paar Jahren hatte er Probleme beim Herauskommen), auch um diese Tageszeit, gab es immer irgendetwas zu hören. Ein Taubenpaar hatte sich seit letztem Jahr bei ihnen niedergelassen, Grillen, Kühe, die von den angrenzenden Feldern muhten … aber jetzt war es komplett still. Tiere verhielten sich still, wenn Gefahr drohte.
»Hallo?«, fragte er ein weiteres Mal und rang mit einer Entscheidung. Ins Haus gehen war eine Möglichkeit. Er würde dann wahrscheinlich schlecht schlafen, weil er nicht wusste, was ihm Angst machte. Im Wald nachsehen und feststellen, dass seine Angst unbegründet war, wäre eine weitere Option. Mit dem Elan der letzten Tage, seiner schrumpfenden Kilozahl und dem familiären Ausklang beim Grillen mit dem Freund seiner Tochter, setzte er sich in Richtung Wald in Bewegung – und verharrte. Tatsächlich war da etwas. Etwas, dass ihn beobachtete. Er korrigierte sich: Jemand. Warum antwortete dieser Jemand nicht?
»Hallo! Wenn sie nicht aufhören uns zu belästigen, rufe ich die Polizei“, rief er in den Wald. So laut, dass zumindest seine Nachbarn zur linken Seite es hätten hören müssen. Tatsächlich hörte er das schmatzende Öffnen der Terrassentür seines Nachbarn und dessen Außenbeleuchtung flutete ihren und seinen Garten mit Licht. Bis zum Waldrand. Mit dieser Unterstützung wagte er sich einige Schritte auf den Rasen und spähte in den Wald. Etwas war dort, dessen war er sich sicher. Und es beobachtete ihn, das spürte er.
»Ist alles in Ordnung, Viktor?«, hörte er seinen Nachbarn fragen.
Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Zum einen wollte sich Viktor zu seinem Nachbarn umdrehen, doch verharrte, da ihm mit einer ungekannten Wucht schwindelig wurde, er die Augen schloss, taumelte und sich den Kopf hielt. Und er sah sich, wie er taumelte und sich den Kopf hielt. Er sah sich aus dem Wald heraus, Zweige und Sträucher verdeckten ihm etwas die Sicht, aber er sah eindeutig sich selbst und aus sich heraus. Zwei völlig unterschiedliche Perspektiven, die seinen Schwindel so verstärkten, dass er Panik bekam (Schlaganfall! Herzinfarkt!) und sich seine Atmung beschleunigte. Er knickte mit dem linken Bein ein und fiel seitwärts auf den Rasen.
»Viktor?«, hörte er verzerrt, öffnete die Augen, sah den dunklen Wald und sich aus dem Wald auf dem Rasen liegend. Er wurde beinahe wahnsinnig. Es war unerträglich. Der Rest seines rationalen Denkens berechnete aus der zweiten Perspektive die Entfernung zu sich. Wie weit war er von sich entfernt? Das Ergebnis sorgte für eine weitere Welle Unbehagen, denn er war näher gekommen, befand sich nun direkt hinter dem Vogelbeerenstrauch und den Bodendeckern. Viktor fixierte die Stelle und seine Atmung setzte aus. Etwas glänzendes (ROHES FLEISCH), ein Gesicht (OHNE HAUT), klein von Wuchs (GEFÄHRLICH) lauerte dort, und als Viktor es entdeckte, verschwand es im Dunkeln. Doch das wirklich beunruhigende an dieser Gestalt war die Vertrautheit.
Viktor hatte sich selbst gesehen.
Er wurde ohnmächtig.
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Nach dem ganzen Theater am Wochenende war er mit gemischten Gefühlen zu seinem ersten Unterrichtstag aufgebrochen. Schnell war er vom Notarzt stabilisiert worden und ihm wurde geraten, nicht zu ruppig abzunehmen. Sein Körper stellte sich um und in einer Stresssituation konnte so eine Reaktion die Folge davon sein. Selbst Halluzinationen konnten auftreten. Viktor hatte wage angedeutet, doppelt und eine Gestalt im Wald gesehen zu haben. Seither hatte er streng nach seinen Propoints gegessen und weitere 400 Gramm Gewicht verloren (insgesamt also 1,3 Kilogramm – mehr als eine Packung Milch).
Er war sehr früh aufgestanden, hatte einen Kaffee getrunken und Obst gefrühstückt und war dann aufgebrochen, denn am ersten Arbeitstag mit einer neuen Klasse würde er gerne alles vorbereitet haben.
Es dämmerte und leichter Nebel kroch durch den Wald an dem er entlang fuhr. Er bog in die Sackgasseneinfahrt zur Berufsschule ein und bremste. Auf der Straße standen drei Jugendliche oder junge Männer. Wahrscheinlich hatten sie durchgefeiert und wohnten im Internat. Keine Seltenheit, denn die herangehenden Bäcker, Glaser, Mechatroniker, Hörgeräteakkustiker, Metallbauer und andere blieben häufig während des Blockunterrichts im Internat. Schließzeit war um 22:00 Uhr, und wer dann noch nicht zurück war, musste eben durchmachen. Die Halbinsel Priwall hatte nicht viel zu bieten, aber in Travemünde war das ›Nightlife‹ nicht selten bis Montagmorgen geöffnet.
Die drei sahen ihn lachend an, blieben aber auf der Straße stehen und blockierten ihm den Weg. Er lachte höflich zurück und schaukelte aus Verlegenheit mit dem Kopf. Der eine trat mit einer Verbeugung zur Seite, seine Kumpanen torkelten ihm aus dem Weg. Langsam rollte Viktor an ihnen vorbei und sah im Rückspiegel, dass sein Wagen von einem der Männer (oder Jugendlichen) angespuckt wurde. Bestimmt waren es Glaser, dachte er. Glaser genossen keinen guten Ruf an der Schule, ebenso wenig wie Bäckerinnen. Er fuhr im Schritttempo durch den Torbogen auf seinen Parkplatz, nahm die Tasche vom Beifahrersitz und stemmte sich aus dem Wagen. Er hörte Stimmen. Durch den Torbogen folgten ihm die drei Fremden. Er atmete tief ein, straffte sich und ging auf den Personaleingang zu. Wieso ließ der Pförtner die drei einfach passieren? Er beeilte sich, in der Hoffnung, die Tür vor einer Konfrontation mit den sich lautstark unterhaltenden Männern zu erreichen.
»Hey!«, rief ihm einer zu.
Cappy, Lederjacke und grobe goldene Metallkette, die bis auf den Brustkorb reichte, waren drei hervorstechende Merkmale, die Viktor ausreichten, den jungen Mann einzuordnen. In diesem Fall öffnete er nicht die Schublade für Menschen, die er schätzte, also reagierte er nicht, sondern hielt zielstrebig auf die Tür zu.
»Hey, Herr Doktor Schwabbel!«
Viktor zuckte innerlich zusammen. Unangenehme Gefühle, analytische Gedanken und taktische Planungen verschmolzen zu einer Melange, die ihn unvorteilhaft reagieren ließ. Er zögerte einen Augenblick zu lange, was man als Feigheit auslegen konnte. Dann drehte er sich um und reagierte, was sich im Nachhinein als Fehler erwies.
»Ich bin Viktor Vogel und Lehrer an dieser Schule.« Eine Antwort, die wenig schlagfertig war, aber zu seinem entrüsteten Gesichtsausdruck passte.
»Heftig, Digga«, lachte ein anderer und sah ihn einschüchternd an. Viktor spürte, dass dieser Blick in anderen Kontexten geschult worden war und die Körperhaltung signalisierte eine lässige Angriffsbereitschaft.
»Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«, versuchte er eine friedliche Konversation voranzutreiben, um Informationen für später einzuholen.
»Darfst du nicht«, bekam er zur Antwort und der Junge, der sich vor seinem Wagen verbeugt hatte, schälte sich aus dem Trio hervor.
»Verzeihung, Herr Schwabbel.« Seine Freunde grinsten breit. »Ich bin Sean Voll, das ist mein Kollege Konstant Breit, und das ist …«
Sie prusteten los, der eine fiel wie ein Klappmesser vornüber und schlug sich auf die Schenkel. »Digga, bist du geil«, honorierten sie seine Kreativität.
Viktor drehte sich um und ging zur Tür. Er würde Meldung machen, er würde herausbekommen, ob die drei hier an der Schule waren, und wenn ja, würde er in Absprache mit dem Schul- und dem Internatsleiter einen Verweis durchsetzen. Er würde in den Betrieben der Jungs anrufen und den Vorfall schildern, so dass ihr Leumund auch an dieser Stelle leiden würde. Dennoch fühlte er sich durch seine Reaktion nicht befriedigt. Was hätte er machen können? Gegen ›Schwabbel‹ war nicht viel einzuwenden. Mit dieser Direktheit wurde er ausgepuncht. Sein ganzes Leben als ›Schwabbel‹ war dies seine Achillesverse – und sie war zu offensichtlich. Er schritt die Stufen zum Eingang hoch, mit seinen Antennen nahm er weitere Schmähungen hinter seinem Rücken wahr, registrierte und speicherte sie ab, und dennoch … dennoch hätte er martialisch reagieren, seine Gegner direkt demütigen und vernichten wollen. Er öffnete die Tür, trat ein, ließ sie hinter sich einschnappen und lehnte sich keuchend dagegen. Er zitterte; vor Wut, Trauer, Demütigung. Er kam sich wie ein geprügelter Hund vor, und er hatte die Gewissheit, dass ein so beginnender Tag kein gutes Ende finden würde.
Er ging am Sekretariat vorbei und schloss die Tür zum Lehrerzimmer auf. Böger von den Schuhorthopäden war schon hier, seine Tasche lag auf dem Konferenztisch. Viktor ging zu seinem Postfach, griff unbesehen nach dem Stapel und verließ das Lehrerzimmer. Mühsam arbeitete er (Schwabbel) sich in den ersten Stock zu den Mechatronikern, öffnete die Tür zum Technikraum der Fahrzeugkommunikation. Eigentlich war es schon lange kein Technik- raum mehr, sondern das Büro von Kellermann und ihm. Hier standen ihre Unterrichtsmaterialien, ein Rechner mit Netzzugang, aber auch Privates.
Kellermann hatte nur noch zwei Jahre vor sich und überließ ihm die administrative Arbeit, die Gestaltung und Pflege der Homepage, den aktuellen Stand der Lernempfehlungen durch das Kultusministerium und der Handwerkskammer zu halten, die Netzwerkpflege zu den regionalen Betrieben und Kooperationspartnern, und vieles mehr. Aber gerade diese Arbeit bereitete ihm Freude. Der aktuelle – von ihm in seiner Freizeit gestaltete – Internetauftritt der KFZ-Mechatroniker war preisverdächtig, und sein Engagement wurde auf höherer Verwaltungsebene gelobt. Sein sehr strukturierter und ambitionierter Unterricht hingegen erhielt selten ein angemessenes, positives Feedback von Schülerseite. Weil er fett war. Weil seine Performance (diesen Begriff nutzte er seit der letzten Supervision vor zwei Jahren ausgiebig) von Unsicherheit geprägt war.
Er warf die Post auf den Schreibtisch, hängte seine Jacke an den Haken und ließ sich in seinen Bürostuhl fallen. Ein Bürostuhl extra für sehr Übergewichtige. Der Betriebsrat hatte eine Untersuchung durchgeführt und das Ergebnis, die Übergewichtigen (Er!) würden Rückenleiden bekommen, wenn sie keine angemessene Bestuhlung anschafften, lautstark in der Schule verkündet. Stark übergewichtig hieß: >150kg. Er hatte alle weiteren Nachfragen abgeblockt und sich gefragt, ob der Betriebsrat sich auch über die psychischen Folgeleiden der Mitarbeiter im Klaren war, wenn sie solche Untersuchungen derart unsensibel angingen.
Eigentlich wollte er sich auf den Unterricht vorbereiten, aber er zog es vor, ein Ereignisprotokoll über den Vorfall auf dem Parkplatz zu schreiben. Noch waren seine Erinnerungen frisch und voller Zorn. Eine halbe Stunde später kam Kellermann und sie frühstückten traditionell gemeinsam vor dem ersten Schultag.
»Was’n los?«, fragte Kellermann und nickte zu dem gedeckten Tisch.
»Wie?«, antwortete Viktor mit einer Gegenfrage.
»Wo ist das Rührei und der Speck?«
»Mir war heut´ nicht danach.« Viktor wollte diesen weiteren Versuch abzunehmen als Geheimnis bewahren.
»Du hast doch nichts Schlimmes, oder?«, fragte Kellermann hartnäckig und besorgt nach, sah über seinen Brillenrand und bestrich sich eine Brötchenhälfte dick mit Butter.
»Quatsch. Nur mit Obst starte ich gerade einfach besser in den Tag.« Er reichte Kellermann eine Plastikbox mit Weintrauben. Gegenangriff.
»Nee … lass ma´«, schüttelte sein Kollege den Kopf und bestrich sich das Brötchen mit Mett – oder Feuerwehrmarmelade, wie sie es beide nannten. Von dem Vorfall auf dem Parkplatz berichtete Viktor nicht, sie tauschten sich über die vergangenen Ferien aus und lauschten gelegentlich dem stetig wachsenden Lärmpegel im Gang.
»So, wird wohl langsam Zeit.«
9 Uhr.
Kellermann stand auf, wischte sich die Krümel vom Blaumann und stellte das Geschirr in Viktors Wanne. Diese Woche hatte er Abwaschdienst.
Viktor blieb noch eine Weile sitzen und versuchte, sich zu beruhigen. Wie jedes Mal war er aufgeregt, wenn er vor eine völlig neue Klasse trat. Vor allem, wenn er eine Klasse von Kirschstein bekam, dem Schulleiter, der ihn per Mail gewarnt hatte. Er überflog die Namen und das Alter auf der Auszubildendenliste. Vier ältere Semester waren dabei, über 20 Jahre alt. Kirschstein hatte in seiner Mail nur allgemeine Hinweise gegeben, Viktor konnte die Aktenverstöße nicht den Namen zuordnen. Mit einem mulmigen Gefühl stand er auf und ging hinaus. Es war leise auf dem Gang.
Er betrat den Klassenraum um kurz nach 9. Am ersten Tag immer um kurz nach, die Schüler saßen dann meistens schon auf ihren Plätzen, hatten sich untereinander kurz kennengelernt und waren bereit für die erste Stunde. Kaum, dass er den Raum betreten hatte, blieb er erschrocken stehen. Die Tische waren hufeisenförmig angeordnet. Die hintere Reihe bot normalerweise 12 Schülern Platz, die beiden abgehenden Schenkel jeweils 6 Schülern. In der hinteren Reihe saßen 3 Schüler, die anderen quetschten sich an die übrigen Tische. Mit diesen drei hatte Viktor sich schon auf dem Parkplatz bekannt gemacht: ›Sean Voll‹, ›Konstant Breit‹ und der Unbekannte in der Gleichung. Breitbeinig zurückgelehnt, ›Sean‹ Kaugummi kauend, kippelten sie auf den Stühlen und grinsten ihn an. Es war still im Klassenraum. Außer den Dreien sahen alle anderen an die Tafel, aus dem Fenster, irgendwo hin … nur nicht zu ihm oder in die hintere Reihe. Ein Auszubildender stand in der Ecke, wie Viktor erst jetzt erkannte. So eine Situation hatte er noch nie erlebt, und er glaubte, die Ursache für die Stimmung zu kennen.
»Ich bitte Sie, sich erst einmal zu verteilen. Hinten ist noch genügend Platz in der letzten Reihe für alle. Sie brauchen sich nicht zu dritt einen Zweiertisch teilen. Und Sie dort in der Ecke, bitte suchen Sie sich auch einen Platz.«
Der langhaarige junge Mann in der Ecke schüttelte mit abgewandtem Blick den Kopf, der Rest ignorierte seine Ansprache. Viktor trat zu dem nächststehenden Tisch, an dem sie zu dritt saßen, und suchte sich willkürlich einen Schüler aus, den er direkt ansprach.
»Bitte nehmen sie jetzt in der letzten Reihe Platz. Hier ist es zu eng«, forderte er ihn auf. Der Junge sah zu Viktor hoch und verneinte kopfschüttelnd.
»Hören Sie, ich werde gleich ungemütlich, wenn sie sich meiner Anweisung widersetzen.«
Ganz bewusst mied Viktor die direkte Konfrontation mit den dreien. Er vermutete, sie hatten den Rest der Klasse eingeschüchtert. Das Verhalten der Klasse ängstigte Viktor, sie waren nahe dran, traumatisiert zu wirken.
»Die wollen nicht, Herr Schwabbel. Wir wollen alle so sitzen bleiben wie jetzt. Und der Kollege dort muss stehen, weil sich sein Beinleiden sonst verschlimmert«, sagte ›Sean Voll‹ und deutete mit dem Daumen seitwärts in die Ecke.
»Mein Name ist Vogel und für die Fortführung ihres unappetitlichen (Autsch, das war eine Vorlage) Verhaltens, werde ich Sie bei der Schulleitung melden.«
Die drei rührten sich nicht, starrten ihn weiter an. Gelangweilt sah ›Sean‹ aus dem Fenster, dann wieder zu ihm.
»Ehrlich, das sollten Sie nicht tun. Es wird bald kalt«, sagte ›Sean‹.
Viktor verstand den Hinweis nicht und entschied sich, nachzufragen. »Was hat das damit zu tun?«
»Der Luftdruck in den Reifen ändert sich und sie könnten platzen, wenn das Material porös ist. Bumm!« ›Sean‹ klatschte blitzschnell die Hände zusammen, die Klasse zuckte kollektiv. »Während der Fahrt, einfach so«, grinste er. Deutlicher hätte eine Drohung nicht sein können.
Viktor schluckte und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Während der Fahrt? Einfach so?«, wiederholte er, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Das verstehe ich als Drohung.«
›Sean‹ blähte die Backen auf und zog die Augenbrauen hoch. Viktor wusste nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte, spürte aber, dass er sich schnell entscheiden musste.
»Eine Drohung«, sagte er mehr zu sich selbst und kaute auf seiner Unterlippe. »Ich möchte jetzt, dass Sie den Unterricht verlassen«, entschied er und ging zwei Schritte auf die hintere Sitzreihe zu.
»Sicher?«, fragte ›Sean‹.
Viktor nickte.
Der Junge stand geschmeidig auf, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Seine beiden Kumpane erhoben sich ebenfalls.
»Sie können hierbleiben«, sagte Viktor zu den beiden.
»Fick dich, Herr Schwabbel«, sagte der bisher Unbekannte, glitt mit dem Hosenboden über den Tisch und ging, Viktor aggressiv anstarrend, bedrohlich nahe an ihm vorbei. ›Konstant Breit‹ folgte ihm, ›Sean‹ blieb vor Viktor stehen und kam ihm ganz nahe.
»Sicher?«, flüsterte er Viktor ins Ohr.
»Ja«, antwortete Viktor in gewöhnlicher Lautstärke.
»Dann pass auf dich auf«, zischte ›Sean‹. »Pass auf dich auf!«
Er ging zur Tür, zeigte im Rausgehen beide Mittelfinger und knallte die Tür zu. Viktor blieb einen Augenblick stehen, schloss die Augen und atmete tief durch.
»Gut … gehen wir erst einmal die Namen durch«, begann er seine erste Stunde.
*
Der Unterrichtstag war beendet. Kellermann blieb noch im Büro. Viktor packte seine Sachen und ging zur Unterredung mit Kirschstein. Auf dem Weg nach unten sah er ›Sean‹ allein im Treppenhaus stehen. Dessen Körpersprache verriet eine völlig andere Haltung als zuvor. Statt aufgeblähtem Selbstbewusstsein zeigte er eine linkische Verlegenheit. ›Sean‹ fuhr sich mit der linken Hand durch das Haar und stieß sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte.
»Herr Vogel«, sagte er und stellte sich Viktor unsicher in den Weg.
Viktor war von der Wesensänderung überrascht, aber nicht vereinnahmt. Er vermutete, dass Sean sich für sein Verhalten entschuldigen wollte, weil er sich der Konsequenzen bewusst geworden war.
»Herr Vogel, ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen.« ›Sean‹ hielt ihm die Hand entgegen.
Viktor nickte, nahm das Angebot aber nicht an. »Das finde ich sehr gut, dass du dich bei mir entschuldigen willst, dennoch muss ich das Vergehen melden.«
»Bitte«, flehte der junge Mann und seine Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. Damit hatte Viktor nicht gerechnet.
»Bitte! Sie ahnen nicht, was ich für einen Ärger bekomme. Das steht jetzt schon alles auf der Kippe bei mir. Bitte lassen Sie das unter uns klären.«
Einen Augenblick wankte Viktor in seiner Entscheidung und überlegte, wie ein solcher Weg zu gehen wäre. Aber seine pädagogische Überzeugung forderte von ihm diese Konsequenz. Viktor schüttelte den Kopf.
»Das kann ich nicht machen«, antwortete er ruhig, und weil ihm die Situation unangenehm war, schob er sich an ›Sean‹ vorbei.
»Fuck!«, kreischte der. Seine Stimme überschlug sich. »Fuck!« Er schlug gegen das Treppengeländer, der Hall breitete sich im Treppenhaus aus. Viktor beschlich der Verdacht, dass ›Seans‹ Reaktion in gewisser Form durchaus krank zu nennen war und beeilte sich, die letzten Stufen runter zu kommen. Er öffnete die Tür, schob sich in den Verwaltungstrakt und mit der zufallenden Tür erstarb auch das hysterische Geschrei.
»Pff …«, stöhnte Viktor auf und steuerte auf Kirschsteins Büro zu.
*
»Mit Milch und viel Zucker, oder?«
»Ähm … nee … keinen Zucker mehr. Danke.«
Viktor und Schulleiter Kirschstein saßen im sogenannten Präsentations- und Besuchszimmer der Schule. Viktor saß hier zum ersten Mal mit Kirschstein allein und wusste nicht, was er davon halten sollte. Kirschstein kam mit zwei Tassen Kaffee (und einem Keks auf dem Tellerrand) zum Tisch und servierte Viktor, bevor er sich ihm gegenüber setzte.
»Also«, sagte der Schulleiter, schlug eine Akte auf, las darin und fuhr mit dem Zeigefinger die Zeilen eines Dokuments entlang. Der Vorfall. ›Sean Voll‹ hieß Dennis Neumann, 25 Jahre alt, gewalttätig, Drogendelikte. ›Konstant Breit‹ war Alexander Sewastianov, 24 Jahre alt, Vergewaltigungsvorwurf, Bedrohung, Körperverletzung. Und der Name des Unbekannten lautete Sascha Krüger, 19 Jahre alt, keine Akteneintragungen, was Viktor verwunderte, wenn er sich an den hasserfüllten Blick und das gesamte Gebaren des Mannes im Klassenraum erinnerte.
Kirschstein klappte die Mappe zusammen, stöhnte auf und rieb sich die Stirn. »Hör zu, Viktor. Ich weiß, normalerweise zieht ein derartiges Verhalten einen sofortigen Verweis nach sich. Für alle drei«, Kirschstein sah aus dem Fenster, suchte nach den richtigen Worten. Viktor nippte an dem Kaffee. Kirschstein sah ihn an.
»In diesem Fall möchte ich das aber nicht«, sagte er entschlossen, setzte die Tasse an und nahm einen Schluck, ohne Viktor aus den Augen zu lassen. Viktor nickte bedächtig und fragte sich weiterhin, was hier gespielt wurde. Entweder sagte ihm sein Vorgesetzter gleich warum oder er ließ es bleiben, aber das ganze Theater gefiel ihm nicht. Da Kirschstein nichts sagte, fand Viktor zu einem Ende.
»In Ordnung«, sagte er, stellte die Tasse samt Untertasse (und Keks) auf den Tisch und stemmte sich aus dem Stuhl. Kirschstein war überrascht, hatte mit Fragen gerechnet, aber Viktor ließ sich nicht darauf ein.
»Danke für das Gespräch«, sagte er und sah Kirschstein an. »Und für den Kaffee.« Er nickte ihm zu und ging.
Selbstverständlich wusste Viktor, wer Dennis Neumann war. Der Sohn von ›Autohaus Neumann‹, einer großen Kette in Lübeck und Umgebung mit vielen Filialen in ganz Schleswig-Holstein. Neben dem Verkauf hatten sie auch einen großen Service-Bereich. Nicht nur, dass ›Autohaus Neumann‹ jährlich mehrere Azubis zu ihnen schickte (und die Zahl der Anmeldungen war seit zwei Jahren deutlich rückläufig, d.h. sie brauchten für ihre Existenz jeden Azubi), so stellten sie auch der Handelskammer, die als Träger die Schule führte, hohe Investitionsgelder zur Verfügung. Von den Sachspenden wie Motoren, ganzen Fahrzeugen, Werkzeug, sowie der neuen Hebebühne in der Halle ganz abgesehen. Und Alexander Sewastianov und Sascha Krüger wurden wo ausgebildet? Bei ›Autohaus Neumann‹ natürlich. Viktor vermutete, dass sie zudem noch mit Dennis befreundet waren oder ihm zumindest hinterherliefen. Er nahm seine Sachen aus dem Lehrerzimmer und verließ das Gebäude Richtung Parkplatz. Ein wenig freute er sich über seine Reaktion. Kirschstein hatte ihm sicherlich noch mitteilen wollen, welche Gangart man einschlagen sollte. Jovial hätte er vorgeschlagen, dass er sich ›die Drei mal richtig vorknöpft‹ und dann ›wäre auch erst mal Ruhe im Laden‹. Wahrscheinlich hätte er zur Unterstützung seiner Worte mit dem Handrücken der rechten Hand in seine linke geschlagen und insgesamt das Bild eines Machers und harten Hundes abgeben wollen. Nur verpufften seine Ankündigungen bisher im Nichts. Viktor konnte sich nicht erinnern, dass Kirschstein einmal seine Schüler zu sich geholt hätte, um sie sich ›vorzuknöpfen‹.
An seinem Auto blieb er stehen und wusste, diese Sache würde ihm noch länger Ärger bereiten. Beide Vorderreifen waren platt.
164,7 kg
Weiterer Ärger blieb aus.
Dennis, Alexander und Sascha nahmen zwar nicht wirklich am Unterricht teil, aber sie störten ihn auch nicht und verkniffen sich Beleidigungen ihm gegenüber.
Es wurde kalt, etwas das Viktor überhaupt nicht mochte. Zu viel musste man gegen die Kälte anziehen, zu viel, was durch Verschleiß an Kleidung ersetzt werden musste. Handschuhe, Mützen und Schals, die waren nicht das Problem, aber Jacken, Pullover, Hosen und sogar Schuhe mochte er weder tragen, weil es sein Gefühl verstärkte, fett zu sein, noch einkaufen, weil er in normalen Geschäften selten etwas fand. Larissa hatte aber seine aussortierten Sachen von vor zwei Jahren durchgesehen und einige davon passten ihm wieder. Dieses Ereignis war sein bisher größtes Erfolgserlebnis beim Abnehmen und es beflügelte ihn. Es gab Tage, da war er nah dran, sich leiden zu können. Er war etwas beweglicher, schnaufte weniger und kam seltener außer Atem. Und er fühlte sich irgendwie stärker. Das konnte er nicht genau erklären, aber Dinge, die er vorher hingenommen hatte, ließ er sich nicht mehr gefallen. Larissa störte es gelegentlich, sie meinte, er sei ›motzig‹ geworden. Ihm gefiel diese Härte an sich, aber er sah auch ein, dass er die richtige Balance finden musste. Sich über alles und jeden aufzuregen, war keine gute Charaktereigenschaft.