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Jochen Malmsheimer

Gedrängte
Wochenübersicht

Ein Vademecum der guten Laune

Schurren und Possen

© 2015 WortArtisten GmbH, Köln
1. Auflage 2015

Lektorat: Renate Kampmann
Layout und Satz: Friedemann Weise, inbeige
Umschlaggestaltung: Friedemann Weise, inbeige
Umschlagabbildung: Porträt des Dogen Gioacchino Mangiacasa, den Corno tragend, um 1501, Tate Britain, London
E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-942454-25-4

Dieses Bändchen widme ich, wie alles, was ich tue und lasse, in tiefer Liebe meiner Frau Heide und meinen Söhnen Jakob und Aaron, die mir das Wichtigste sind im Leben, Kraftquell, Inspiration, Ansporn und Sinn gleichermaßen, ohne die ich nichts kann und nichts bin.

Und ich widme es meiner Großmutter Nellie Winter, die das, was sie am Samstag als Nahrungsmittelüberbleibsel der vergangenen Woche im Kühlschrank fand, in eine Pfanne lud, reichlich Zwiebeln dazugab, ein paar Eier drüberschlug, kräftig würzte und mit etwas Sahne löschte und das Ganze dann als »Gedrängte Wochenübersicht« der vielköpfigen Enkelschar servierte, die es, glanzaugig, rotwangig und laut mundwässernd, kaum abwarten konnte. Dieses Rezept habe ich dann in meiner Studentenzeit zur »Grunzpfanne« weiterverfeinert, ein Begriff, der wiederum auf einen linguistischen Kriminalroman zurückgeht, das zu erläutern jetzt aber zu weit führte und sicherlich nicht auf einen zukünftigen zweiten Band hinwiese. Hinweiste. Hinwos.

Damit auch das klar ist.

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Impressum

Widmung

Vorwort

Wenn Worte reden könnten, oder: Vierzehn Tage im Leben einer Stunde

Der Handwerk

Der mit dem Hund tanzt

Früher

Wenn Worte reden könnten

Ich bin kein Tag für eine Nacht, ein Abend in Holz

Zum Lobe des Dachdeckers

Kochen mit Jochen

Ich bin kein Tag für eine Nacht

Jugend trainiert für Olympia

Flieg Fisch, lies und gesunde! Oder: Glück, wo ist dein Stachel?!

Mensch und Tier

Hör’ zu, red’ mit!

Der silbern’ Gast

Reisetagebuch

Bücherhaltung

Glück, wo ist dein Stachel?!

Ermpftschnuggn trødå, oder: Hinter’m Staunen kauert die Frappanz!

Psalmen der Sorge

Wunderwerk Mensch

Psalmen der Sorge

Ermpftschnuggn trodå

Deutsch

Ermpftschnuggn trodå

Nachreichungen und Dreingaben

Das Quarkbrot

King! The Fuckers!

Er rückt die Maak nich’ raus!«

Die Schweiz

Wider den Sport

Wider die Moden

Stil- und Fingerübungen, sonderbar und abwegig

Das Dombrowski-Duell

Geisteswissenschaften

Die Wijnpråbe

Urlaub in und mit der Familie

Anschwellende Bocklosigkeit

Deutschlandland - Land der Ideen

Deutschlandland - Land der Ideen

Deutschlandland - Land der Ideen

Deutschlandland - Land der Ideen

Deutschlandland - Land der Ideen

Deutschlandland - Land der Ideen

Der Tag des Baumes

Über den Autor

Vorwort

Dieses Buch hätte eigentlich nie geschrieben werden sollen.

Ich bin Buchhändler, nicht mehr in der Ausübung, das ist richtig, aber sagen wir: im Wartestand, daher immer noch mit Leib und Seele und als solcher weiß ich, daß nur das vermiedene Buch ein wirklich gutes sein kann, weil es schon viel zu viele Bücher gibt und von denen, die es gibt, nur wenige die Lektüre wirklich lohnen, die meisten stellen doch einen ungeheuerlichen Raubbau an natürlichen Ressourcen wie Wasser, Holz und Nervenkraft dar und ihr Fehlen würde niemand bemerken und wenn’s denn jemand täte, würde dieses von nur wenigen betrauert werden.

Nein, bei diesem kleinen Band handelt es sich um ein »book on demand«, um in das Fachidiom jener zu verfallen, die niemals »Buch auf Verlangen« sagen würden, weil ihnen der Begriff »Verlangen« nichts sagt.

Dabei stimmt es wirklich.

Dieses Buch ist verlangt worden, und zwar ein um’s andere Mal, und das inzwischen so häufig, daß ich diesem Verlangen nun entsprechen will.

Ich wurde von vielen Menschen, die meinem Tun positiv gegenüberstehen, gebeten, Ihnen meine Texte doch auch schriftlich zugänglich zu machen. Vieles ließ sich über das den Programm-CDs jeweils beigelegte Büchlein bewerkstelligen, doch um alles getreu wiederzugeben, reichte der Platz dort nicht hin. Meinen durchaus berechtigten Einwand, es fände sich kein Verlag, der solches Spezialinteresse zu befriedigen sich bereit erklärte, fegte das Haus WortArt mit einer einzigen Bewegung vom Tisch und dank dieser Wischbewegung, unimanu ausgeführt von den herrlichen Frauen Rose und Kampmann, deren Lied zu singen ich fortan nimmer müde werde, halten Sie dieses kleine Büchlein nun in Händen.

Und ich freue mich auch dran. Es soll begleiten, es soll der Nach- wie Vorbereitung dienen, es soll stützen, nicht zuletzt durch Unterschieben, einen vielleicht wackelnden Tisch und es sollte neben dem Lokus liegen, jenem besonderen Ort kontemplativer Sammlung wie kathartischer Erleichterung, die dortigen, so heilenden Prozesse heiter zu verbrämen, kurz: Ein Freund soll es werden, denen, die eines Freundes noch bedürfen.

Ich kauf’ mir auch eines.

Ach, und hier noch ein Hinweis in ureigenster Sache an alle Partiturmitleser und Neigungskorrektoren:

Die Rechtschreibung in diesem Buch ist nicht »Die Neue«, sondern ganz die meine und gehorcht damit ausschließlich meinem Sinn für das Gute, Schöne und Rare. Ich danke meiner verständnisvollen Korrektorin Astrid Roth für ihre diesbezügliche freundliche Nachsicht.

Alles steht hier so, wie ich will, daß es hier steht.

Wenn Ihnen also irgendetwas aufstößt, schicken Sie mir bitte keine Korrekturangebote, sondern vertrauen Sie darauf, daß hier alles so seine Richtigkeit hat.

Und dann schlucken Sie einmal.

Ich grüße Sie herzlich.

Wenn Worte reden
könnten, oder:
Vierzehn Tage im
Leben einer Stunde

Der Handwerk

Schweißmariniert und am ganzen Leibe zitternd schrecke ich aus unruhigem Schlaf, sitze zitternd im Bett, die Augen starren schreckgeweitet in die mosaische Finsternis, die mich hautnah umgibt, körperhaft, fast kitzelnd, wie eine schwarze Federboa. Kein Laut, nur mein Atem, rasselnd, flach, gehetzt.

Wieder dieser Traum. Der Regen peitscht in nicht nachlassender prasselnder Intensität ans Fenster, während der böige Wind an den Läden rüttelt. Oder umgekehrt. Ich kann das nicht genau ausmachen, ich sitze ja immer noch im Bett, bewegungslos im unbarmherzigen Schraubstock der Urangst, die mir den Atem zu nehmen gewillt ist. Ich lausche angespannt in’s Dunkle. War da nicht was? Oder foppt mich das Rasen des eigenen Herzens, welches in fiebrigen Wirbeln von innen gegen den Käfig meiner Rippen trommelt, als begehre es, herausgelassen zu werden, nach langer, dunkler, qualvoller Haft? Nachtmahre, Succubi und andere lepröse Ausgeburten einer überreizten Phantasie scheinen einen phosphoriszierenden, obszön-bacchantischen Reigen um mein zerwühltes Lager zu tanzen. Sie lachen mir Hohn! Kein Zweifel, der Irrsinn streckt seine fiebrig-klammen Finger nach mir aus, der elektrische Austausch zwischen meinen Neuronen wandelt sich immer mehr zum Kurzschluß, meine Geistesgegenwart versagt zunehmend unter dem zermalmenden Alpdruck dieses miasmatischen Schreckens, der mich Nacht um Nacht, nun schon seit Wochen, heimsucht.

Dabei begann alles ganz harmlos. Wir hatten einige Schönheitsreparaturen an unserem alten Haus zu machen. Das meiste konnte ich selbst erledigen, aber das eine oder andere gehörte in die Hände eines Fachmannes. So habe ich Kontakt zu einem Installationsbetrieb aufgenommen, der zusagte, noch im Laufe der Woche jemanden vorbeizuschicken. Ich war erleichtert und erzählte das auch einem Freund. Der wurde schlagartig totenblass, als ich ihm mitteilte, ich hätte einfach einen Sanitärbetrieb angerufen ...

»Du hast ... was? Du hast einen Fachbetrieb für Gas- und Wasserinstallation angerufen, du läßt sie in dein Haus? Weißt du, was du da getan hast? Himmel hilf!«

»Ja aber ...«, stammelte ich, nicht ahnend, womit ich meinem Freund einen solchen Schrecken eingejagt hatte.

»Du hast ihn geweckt, ihn, der so lange in Fesseln lag, in Acht und Bann genommen von besseren Männern, als wir es je sein werden, vor langer Zeit. Doch nun ist er frei und du hast ihn geweckt!!« Seine Stimme war laut geworden und splitterte in irrem Diskant.

»Wen denn, um Gottes Willen, wen habe ich geweckt, es war doch weit nach elf, als ich anrief!?« In meiner Torheit hatte ich immer noch nicht begriffen.

»Den Handwerk!!«, schrie er quellenden Auges und Speichelnebel näßte mir monsunisch das Antlitz, bevor dessen Züge mir endgültig entglitten.

Der Handwerk. Entfesselt. Von mir. Gott sei uns allen gnädig.

Ich begriff nichts. »Entschuldige ...«, hub ich an, »ich begreife nichts ...«

Mein Freund, der in einem tiefen Zug aus einer Flasche inselig-schottischer Destillierkunst nicht wenig Trost gefunden zu haben schien, setzte sich, nahm erneut einen guten Schluck, der ihm wieder ein wenig Röte in’s wächserne Gesicht schob, und erzählte mir, zu meinem immer größer werdenden Schrecken, das Folgende:

»Der Handwerk! Schon die Heilige Schrift besingt dieses ghulische Wesen irgendwo in der Schöpfungsgeschichte. Erst kommt eine Menge über Kerle, Rippchen, FKK, Reptilien und Obst, was nicht weiter interessiert, wichtiger ist, daß in fast allen Übersetzungen der folgende Passus fehlt: Und als ER sah, daß den Menschen wohl Hände eigneten, es denen aber an allen Fähigkeiten mangelte, die jenseits des Apfelpflückens warteten, und sie sich trefflich dämlich anstellten, als es galt, die Pforten des Paradieses zu schmieren, um das gottserbärmliche Quietschen zu vertreiben, da ließ ER abermals einen großen Schlaf auf die Menschen fallen, entnahm vom Steiße des Weibes ein Stück und formte den Handwerk ...«

»Den Handwerk!«, flüsterte ich.

»DEN HANDWERK! Ja. Er hauchte ihm Leben ein, sandte ihn aus, das Tor zu richten, und ärgerte sich erstmalig schwarz, als ER die Rechnung in Händen hielt. Was später aus diesem ersten Handwerk wurde, weiß heute jedes Kind: Er bekam den Namen Luzifer, was übersetzt ›der das Licht trägt oder bringt‹ bedeutet, und war demnach Elektriker, deren Schutzheiliger er noch heute ist. Auch ›Satan‹ ist nichts als ein Akronym für ›Sanitäranlagenbau‹.«

Diese Gottesgeißel ist selbst für das ungeübte Auge leicht an seinem Gesicht zu erkennen, das immer so aussieht, als habe ein dicker Mensch dringesessen, und das genauso ausgebeult ist wie die dunkelblaue Arbeitslatzhose mit Phasenprüfer in der Brusttasche. Auch hat der Handwerk goldene Hoden. Zudem führt er ständig kleine Kastenwagen mit sich, welche bis an das Dach mit merkwürdigen alchemistischen Zutaten und hermetischen Werkzeugen, die nicht werken noch zeugen, gefüllt sind. Darauf stehen meist rätselhafte Aufschriften, wie zum Beispiel: ›Fugentechnik Erckenschwick Naßausbau Dengelei Lötmann: alles aus einer Hand, rufen sie: 788 344.‹ Als ob einen das Rufen einer Zahl jemals weitergebracht hätte.«

Ich warf ein: »Ja, ich erinnere mich, ich fragte einmal einen Gas- und Wasserinstallateur, der das Nachbarhaus verwüstete, was er da im Einzelnen mitführe, und bekam darauf unlustig merkwürdige Gebilde aus Gummi und abstrusen Bimetallen gezeigt, die so seltsame Namen trugen wie ›rapperte Bördelmuffe‹, ›kollernder Simmering‹, ›speiberter Straml‹, ›krepelnde Sackfalte‹ und ›knarrende Nuß‹.«

»Da hast du’s!«, rief er triumphierend. »Es kommt aber noch schlimmer: Um den täglichen Kleinkrieg mit der lästigen Kundschaft bestehen zu können, ist der gemeine Handwerk mit einem widerwärtigen Vorrat nebulöser, unpräziser und verschleiernder Ausdrücke ausgerüstet: ›Das kann man so nicht machen‹, ›Das macht Ihnen keiner‹, ›Dafür kommt keiner raus‹, ›Kann ich nicht machen, und wenn, dann nich’ für ’ne kleine Marie‹, ›Bis Samstach können Se abschminken!‹. Und, natürlich, die Variation der Variation: ›Da krich’ ich keine Teile für.‹«

Ich erinnerte mich plötzlich: »Ich erinnere mich plötzlich ... ich wollte mal ein Loch in der Wand haben. Ich erklärte diesen Sachverhalt dem anwesenden Handwerk so: ›Ich möchte ein Loch in der Wand haben ... da!‹ Daraufhin schaute der Mann mich an, als hätte ich ihm mein Geschlechtsteil präsentiert, aufwendig beleuchtet und mit Musik. Es folgte dann natürlich ein schrumpeliges ›Das macht Ihnen keiner‹. Doch ich bröselte nicht und ließ Hartnäckigkeit in der Verfolgung meines Lochzieles erkennen. Nun zeigte mir der Mann, unheilig erzürnt, in lockerer Folge mehrere Handwerkszeuge, die er dabei hatte und mit denen sich alles machen ließ, nur kein Loch in die Wand. Er hielt eine Oberfräse gegen die Wand. ›Geht nicht.‹ Er rollte eine Parkettabschleifmaschine von der Größe des Emslandes herein. ›Geht auch nicht.‹ Einen Flaschenzug, samt Lok. ›Geht schon mal gar nicht.‹ Ich zeigte zaghaft auf den am Boden ruhenden Bohrhammer, auf den Thor stolz gewesen wäre, hätte er ihn sich auch nur einmal leihen dürfen.

Das Gesicht des Spezialisten verdüsterte sich. ›Ach, Heimwerker, was?‹, kam es schneidend. ›Sie kennen sich wohl aus, was?‹

Ich errötete und murmelte schnell und in entschuldigendem Tonfall: ›Nein, nein, aber ich dachte, ein Loch ... warum nicht mit einer Bohrmaschine ...!‹

Das gab dem Fachmann den Rest. ›Wenn Sie alles besser wissen, warum machen Sie es dann nicht selber, anstatt mir hier eine Hobelbank an die Backe zu lallen? Hä? Ein Loch, in die Wand ... mit einer Bohrmaschine, haha!, wo gibt es denn so was? ... Hier so einfach rumbohren, wissen Sie vielleicht, was unter dieser Tapete ist, hä ...?‹

›Äh, Mauerwerk?‹

›Mauerwerk!‹, dröhnte die Koryphäe. ›Mauerwerk!! Natürlich ist da vielleicht auch Mauerwerk drunter, wenn Sie Glück haben, aber vor allem Leitungen, Strom, Gas, Wasser, Scheiße, Muniereisen, Hohlräume, vielleicht Grabkammern mit Beigaben und dem Fluch der Pharaonen, Sondermüll, Landminen, Stadtminen, Blindgänger, Taubsitzer, ein Faß Amontillado, oder vielleicht auch ein mumifizierter Vormieter, der hier zur Strafe für Dummschwätzerei gegenüber einem Kollegen eingemauert werden mußte, wissen Sie das? Wissen Sie genau, daß sich nichts von alledem unter dieser widerwärtigen Tapete verbirgt, außer Mauerwerk, natürlich?‹

›Nein, ich ...‹

›Sie wissen es nicht!! Und dann wollen Sie trotzdem, daß ich so einfach, mir nichts, dir nichts, mit einer Bohrmaschine, mit einer Bohrmaschine, in diese Wand hineinbohre und womöglich den ganzen Stadtteil pulverisiere? Wollen Sie das wirklich? Wollen Sie das!!?‹

›N... Nein, nein, ich ...‹

›A-ha! Sie wollen das gar nicht wirklich, und dafür holen Sie mich hier kilometerweit aus der Stadt heraus, verprassen meine Zeit, schmälern meine Umsätze böswillig, entscheiden Sie sich erst mal, was Sie eigentlich wollen, und wenn Sie das wissen ... rufen Sie mich nie wieder an!!‹, herrschte er mich an, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in einem weißlichen Blitz und unter Zurücklassung eines leichten Schwefelgeruches, den ich jedoch der defekten Therme zurechnete.

Ich stammelte: ›Aber ein Loch ... ich wollte doch nur ein Loch ...‹

Dann wurde es Nacht um mich. Und in dem Viertel, in dem ich wohnte.«

»Du hättest es also wissen können!«, raunzte mein Freund mich an.

Ich nickte unter Tränen.

»Wann ist der Termin?«

»In einer ... Viertelstunde.«

»Was??!!«, schrie er und sprang auf. »... das heißt, wir haben noch ein paar Minuten, um ungesehen zu verschwinden! Los, pack das Nötigste zusammen!«

Doch als wir mit der Segeltuchtasche im Flur standen, hörten wir schwere Schritte auf der Treppe und das Dengeln eines stählernen Werkzeugkastens gegen das Geländer. Mit Augen, in denen die Panik tanzte, sahen wir uns in’s Gesicht. Dann ging das Licht im Haus aus.

Seitdem schlafe ich nicht mehr.

Finis

Der mit dem Hund tanzt

Zwangsleinen und Körbe voll Maul

Kontaktbereichsbeamter (KBB): (streng) »Guten Morgen ...«

Herr 1: »Guten Morgen, Herr Wachtmeister.«

KBB: (strenger) »Oberwachtmeister!«

Herr 1: »Herr Oberwachtmeister ...?«

KBB: (am strengsten) »Ist das dort Ihr Hund?«

Herr 1: »Äh ... nein.«

KBB: (geradezu inquisitorisch) »Aha, haben Sie eine Leine für diesen Hund?«

Herr 1: »Äh, nein, ich wußte nicht, daß man für Hunde, die einem nicht ...«

KBB: »So, so, dann wissen Sie vermutlich auch nicht, daß das Führen von Hunden in öffentlichen Anlagen, auf Straßen und Plätzen, in Wäldern, Wiesen, Auen, in Gemarkungen und Tobeln, auf Autobahnen, Bundesstraßen, Gemeindestraßen, in Sackgassen und auf Wirtschaftswegen, Pflasterstraßen und Knüppeldämmen nach der Gemeindeordnung der Stadt Bochum sowie unter Berücksichtigung der Vorschriften zum Bewegen von Caniden im fließenden Verkehr und der Haager Landkriegsordnung von 1861 ohne Haltevorrichtung, sprich: Leine, strengstens untersagt ist?«

Herr 1: »Nein ... öh ... das wußte ich nicht. Was, bitte, sind Caniden ... kleine Ruderboote?«

KBB: »Nein, Hundeartige.«

Herr 1: »Artige Hunde?«

KBB: »Nein, dem Hunde Ähnliche!«

Herr 1: »Aha, also Dingos, Schakale, die ganze Richtung ...«

KBB: »... auch Füchse ...«

Herr 1: »Und Mähnenwölfe?«

KBB: »Auch Mähnenwölfe ...«

Herr 1: »Und die müssen alle an die Leine?«

KBB: »Unbedingt!«

Herr 1: »Weil sie ihm ähnlich sind, dem Hunde.«

KBB: »Ganz richtig.«

Herr 1: »Ganz richtig ... vermutlich auch Dachse!«

KBB: »Ja, auch Dachse müssen an die Leine, solange es keine Dienstdachse in Ausübung ihrer Pflicht sind, wie etwa Drogendachse beim Zoll, die müssen natürlich frei laufen können ... auch Wachdachse auf Industriegeländen, an der Leine nicht denkbar.«

Herr 1: »... oder Lawinendachse ...«

KBB: »Ganz richtig.«

Herr 1: »... oder Blindendachse.«

KBB: »Ge-nau!«

Herr 1: »Ge-nau ... aber wie ist es mit ... Bibern?«

KBB: »Haben vier Beine, scharfe Zähne und apportieren Holz, sind also dem Hunde ähnlich und gehören dementsprechend an die Leine!«

Herr 1: »Okapis?«

KBB: »An die Leine!«

Herr 1: »Nasenmulls?«

KBB: »Leine!!«

Herr 1: »Ameisenbären?«

KBB: »Leine!!!«

Herr 1: »... dann gehört vermutlich auch der Tapir ...«

KBB: »An die Leine. Rufen Sie jetzt endlich Ihren Hund!!!«

Herr 1: »Aber das ist doch gar nicht ...«

KBB: »RUFEN SIE IHN …! SOFORT!!«

Herr 1: »Jawohl, äh, wie denn jetzt ... öh ... Hundi, Waldmann, Whisky, Soda, Rex, Ona, Bello, Gallico ... nun komm doch hierher, blöder Canide, dämlicher Ähnlicher ... äh ... so ist’s, äh ... fein ... ja.«

KBB: »Seh’n Sie, da ist er ja und jetzt halten Sie ihn fest am Halsband und das nächste Mal haben Sie eine Leine dabei. Diesmal will ich noch beide Augen zudrücken, aber sollte das noch mal vorkommen, dann muß ich das eventuell bei Ihnen tun!«

Herr 1: »Ja, Herr, natürlich, ich ...«

Herr 2: »Hallo, halloho, was machen Sie da mit meinem Hund?

(zum KBB) … Herr Wachtmeister ...«

KBB: »Ober...«

Herr 2: »Nein, Kellner tragen andere Uniformen, netter Spaß hier am Rande, Herr Wachtmeister, dieser Herr hier will offensichtlich meinen Hund entwenden, da, er hält ihn schon am Halsband fest!«

Herr 1: »Was? Ich habe doch nur auf Weisung des ...!«

Herr 2: »Lassen Sie auf der Stelle meinen Hund los, (zum Hund) ... Maupassant, geh’ spielen!«

Maupassant: »Ouiph!« (französisch für »Wuph!«)

Herr 1: (entrüstet) »Ich habe Ihren Hund doch nicht entwenden wollen, wie kommen Sie denn auf so was?«

Herr 2: »Das weiß doch ein jeder, daß hier allüberall Hundeentführer unterwegs sind, um die Versuchslabors zu bestücken oder sich an den erpreßten astronomischen Lösegeldern gesundzustoßen, die gehen richtig professionell vor, erst lenken sie die Herrchen und Frauchen ab, etwa durch einen Kinderwagen, der in den Weg rollt ...«

KBB: (sinniert) »Das kenn’ ich nur von der Schleyer-Entführung ...«

Herr 1: »Phhh, Schleierentführung? Wer würde denn so etwas tun? Für Textilien zahlt doch keiner was, es sei denn, man ist Grotesktänzerin und steht kurz vor der Salomé-Premiere und dann würden ein oder mehrere Schleier von Unbekannten aus der Garderobe ...«

Herr 2: »Reden Sie doch keinen Unsinn, in Deutschland wird doch alle naselang jemand entführt: Puddingsöhne, Tabakenkel ...«

KBB: »Dann ist das also Ihr Hund ...«

Herr 2: »Das ist Maupassant!«

Herr 1: »Verzeihung, aber ich glaube, das heißt: ›En passant‹!«

Herr 2: »Mischen Sie sich nicht ein, Sie Dognapper!«

Herr 1: »Aber ich ...«

KBB: »Entschuldigen Sie, aber heißt es nicht ›in flagranti‹?«

Herr 2: »Was wissen Sie denn schon, ein Beamter, das heißt natürlich ›auf Flagranti‹, es heißt ja auch ›auf Korfu‹!!«

KBB: »Also, Moment, dieser Hund heißt ›auf Korfu‹ und ist Ihrer?«

Herr 2: »Nein, der Hund war schon mal auf Santorin, wenn Sie das interessiert. Er heißt aber Maupassant. Man muß nicht zwingend so heißen wie der Ort, an dem man sich aufhält, ich heiße zum Beispiel Hanglage, wohne aber in Wetter, das geht!«

Herr 1: »Ich wohne in Bochum und meine Enkelin sagt ›Oppa Grumme‹ zu mir. Das ist ein Stadtteil, also Grumme. Nicht Oppa. Auch schön. Mal so gesagt.«

Herr 2: »Das gehört doch gar nicht hierher! Maupassant, wir gehen!«

KBB: »Ah! Richtig, beinahe hätten wir’s aus den Augen verloren, der Hund muß an die Leine ...«

Herr 2: »Kommt gar nicht in Frage, wir fühlen uns an der Ruhr sehr wohl.«

KBB: »Was meint er?«

Herr 1: «Daß er sich an der Ruhr sehr wohl fühlt. War, fand ich, gut zu verstehen.«

KBB: »A-ha …! Schön, daß es Ihnen hier gefällt, aber der Hund ...«

Herr 2: »Maupassant, er heißt Maupassant, wie der Dichter.«

KBB: »Dichter? Was für ein Dichter?«

Herr 2: »Na, so einer wie Hölderlin!«

KBB: »Ach, wie Hölderlin. Na sicher. Wie wer?«

Herr 1: »Verzeihung, ich störe nur ungern, aber kann ich jetzt gehen? Ich habe noch einen Fußpflegetermin nächste Woche und ich möchte nicht ...«

KBB: »Sie bleiben so lange hier, bis Sie Ihren Hölderlin an die Leine gelegt haben!«

Herr 1: »Wie sollte ich das denn wohl machen, Hölderlin an die Leine ... der ist längst tot und begraben ...«

KBB: »Was?«

Herr 1: »Ja, seit dem siebten Juni 1843.«

KBB: »Das ist doch nicht möglich, er springt doch da vorne ...«

Herr 1: »Unsinn, Hölderlin wurde 73, ein schönes Alter, aber ich glaube nicht, daß er da vorne rumspringt ...«

KBB: »Ja, bin ich denn von allen guten Geistern verlassen, was läuft denn da Ihrer Meinung nach über die Wiese, ein Geist? Was wedelt denn da mit seinem Schweif, eine Erscheinung? Wer scheißt denn jetzt da auf den Rasen, eine Fata Morgana? Hä?«

Herr 1: »Also auf die Entfernung würde ich sagen, das ist Maupassant, der da rumspringt und wedelt und scheißt ...«

KBB: »Na immerhin ...«

Herr 1: »Es könnte natürlich auch Rambo sein, oder Rimbaud ...«

Herr 2: »Der Philosoph?«

Herr 1: »Nein, eine Dogge, schönes Tier ...«

KBB: »Eine Dogge! Ich verliere jetzt langsam den Verstand, eine Dogge! Eine Dogge! Was macht ein venezianischer Fürst hier auf der Hundewiese?«

Herr 1: »Entschuldigung, das ist eine Dose. Ein Venezianischer Fürst ist eine Dose, der berühmte Dosenpalast! Das da ist eine Dogge, ein Hund!«

KBB: »Aber ich ...«

Herr 1: »Sie haben Ihr Revier wohl nicht im Griff, was, Herr Förster?«

KBB: »Oberförster ...«

Herr 1: Ist das vielleicht Ihr Hund?«

KBB: »Nein, ich ...«

Herr 1: »Haben Sie eine Leine für diesen Hund?«

KBB: »Nein, hab’ ich nicht, warum denn, ich habe doch auch keinen ...!«

Herr 2: »Weil das Tragen von Kanuten ...«

Herr 1: »Es heißt Caniden ...«

Herr 2: »Ach so, weil das Führen von Caniden in der Öffentlichkeit auch durch Ordnungskräfte ohne die entsprechenden Sicherungs- und Haltemaßnahmen sämtlichen Gesetzen widerspricht, und wenn Sie keinen Hund haben, der an die Leine gehört, dann beschaffen Sie sich eben einen, das kann doch nicht so schwer sein, Sie sind doch Beamter!«

KBB: »Ich. Einen Hund beschaffen. Sofort.«

Herr 1: »Und dann an die Leine.«

KBB: »An die Leine. Natürlich.«

Herr 2: »Nun schwirr’n Se schon ab, Mann!«

KBB: »Jawoll! Abschwirren! Wo kriege ich jetzt auf die Schnelle einen Hund her ... he, Sie da vorne ...!«

Oma: »Ja, junger Mann?«

KBB: »Was haben Sie da um den Hals?«

Oma: »Einen Nerzkragen, ein Geschenk meines verstorbenen ...«

KBB: »Her damit, ich brauche einen Hund!«

Oma: »Aber!«

KBB: »Keine Widerrede, der Hund ist konvertiert!«

Oma: »Das heißt konfisziert ...«

KBB: »Das ist doch völlig egal, wie das heißt, das ist eine Amtshandlung, geben Sie her, wie heißt der Nerz denn?!«

Oma: »... Nerz.«

KBB: »Nerz, hallo Nerz, ich könnte dir ganz schön Ärger machen, weil du hier ohne Leine rumspringst, aber du hast Glück, du kannst als Spürnerz bei mir anfangen, 400 die Woche bei freier Kost und Logik, wie findest du das? O.k.? Na prima, und wegen der Leine drück’ ich einfach ein Ohr zu, bist ja im Dienst, gelle?«

(beide nach rechts ab)

Früher

Früher war alles besser. Das wissen wir von Omi und Opi. Früher war alles besser, obwohl es ja nichts gab. Oder gerade deswegen. Das gilt aber nur für ganz früher.

Danach, also nicht so sehr früh, also etwas später, aber immer noch früher, war zwar auch alles besser als heute, aber nicht mehr ganz so gut wie ganz früher. In jedem Fall aber merkwürdiger. Am merkwürdigsten waren die Siebziger. Die Sechziger waren früher, also besser, aber eben nicht so merkwürdig. Es wird also alles schlechter, dafür aber auch merkwürdiger, obwohl die Siebziger an Merkwürdigkeit kaum zu übertreffen sind.

Als Kind erschließt sich einem die Welt besonders über das Werbefernsehen. Da kann man dann ganz genau merken, ob zu Hause alles richtig gemacht wird. Das Werbefernsehen steht für das ständige Bemühen, alles doch noch irgendwie besser zu machen, trotz Opis Genöhle im Hintergrund, daß das nicht ginge, weil ja früher alles besser gewesen sei.

Wenn ich die Werbung zwischen so großartigen Sendungen wie »Turn mit« mit Kareen Zebroff in schwarzer Gymnastikstrumpfhose (20 DEN) mit Zwickel, also nicht mit dem Gewerkschaftsboß, sondern einem Abnäher und einem Medizinball und ihrer wehrlosen dreijährigen Tochter, die heute deswegen bestimmt drogenabhängig oder dritte Nebenfrau im Jemen ist, oder »Schau zu, mach mit«, wo man lernte, aus einem Einmachgummi, einer Büroklammer und einem Apfelsinenpapierchen eine funktionierenden Kurzwellenempfänger mit Sendersuchlauf und Rauschunterdrückung zu basteln, wenn ich also dazwischen die Werbung schaute, dachte ich manchmal, daß Opi vielleicht doch recht hatte und früher, sehr früher, alles doch irgendwie besser war.

Zum Beispiel war in den siebziger Jahren die Kriminalität sehr hoch. Viele Frauen wurden umgebracht.

Reihenweise. Von zu strammen Unterhosen.

Die hießen Mieder und brachten sie um, wenn sie nicht schnell etwas unternahmen und einen BH von Playtex anzogen, der hatte nämlich das Zauberkreuz in der Mitte und dann war alles gut und die böse Hose hatte keine Chance mehr und die Brüste stanzten spitz kleine Löcher in die Häkelpullis und der Papa war abends, wenn er von der Arbeit kam, ganz stolz auf die steil gestützte Mutti und fluchte erst in der Nacht, weil es ein Kreuz war, die Mami von demselben wieder herunterzuholen, also sie auszuwickeln für »Turn mit« für Erwachsene.

In den Siebzigern war es extrem wichtig, sich in allem spiegeln zu können. Also in Badezimmerarmaturen, Kacheln, Fliesen und auch in Langhaarteppichboden. Da mußte man ganz schön rubbeln, bis das klappte.

Damit auch der Boden spiegeln konnte, mußte »Glänzer« in’s Wasser und dann durfte keiner mehr in’s Haus, alle saßen so lange im Garten, bis der Boden, so nach drei, vier Tagen, von selbst wieder beschlug, dann durfte man wieder rein, um ihn zu wischen. Die Familie blieb so lange draußen. Vor allem Kinder, Hunde und Dreiräder. Oft jahrelang. Und Frauen trugen auf spiegelnden Böden immer Hosen, was ich damals schade fand.

Und wenn sie schöne Hände haben wollten, weil die vom vielen Spülen natürlich rissig werden wie alte Einweckgummis, dann gingen sie in einen Schönheitssalon, wo nie was los war, da saß dann eine mauvefarbene Dame mit Bauschaumfrisur vor einer Untertasse mit grünem Zeug und da tauchten die Spülopfer dann die Fingernägel rein und dann wurde die Haut plötzlich glatt bis zum Ellenbogen und man konnte sich im Unterarm spiegeln.

Auch dachten die bedauernswerten Dinger immer, das Zeug in der Untertasse sei irgendeine teure Substanz aus dem Orient oder wenigstens von Bayer und wenn sie rauskriegten, daß das Spülmittel war, was auch nicht so schwer war, stand doch die angebrochene Flasche direkt daneben (»Du badest gerade deine Hände darin ...«), dann waren sie zuerst ganz erschrocken und wollten die Hände wieder rausnehmen, aber dann tätschelte die Dame, die übrigens Tilly hieß wie der deutsche Feldherr aus dem Dreißigjährigen Krieg und die auch genau so aussah, nur die Saughand und drückte sie wieder in die Untertasse und, zack!, spiegeln.

Von Tilly weiß ich noch, daß sie beim Sprechen immer so knackte, weil sich feine Speichelbläschen hinter ihrer Oberkieferprothese verfingen und dann beim Reden dort platzten. Und ihr Lächeln ging einmal um den Kopf und wenn sie dabei denselben in den Nacken geworfen hätte, wäre die obere Hälfte vermutlich runtergefallen. Das ist Physik.

Das Knacken im Mund kannten wir von Ahoi-Brause, neben Prickel Pit im Goofy-Spender der ganz große Hit, und wenn ich meinem besten Freund ein kleines Häufchen dieser Brause in die Hand schüttete und ihm dann da draufspuckte und er auf meines und es dann ganz toll knackte und wir es dann wegleckten, war das fast wie Blutsbrüderschaft. Spuckbrüderschaft eben.

Auch das Wäschewaschen war nicht so einfach. Ständig belehrte einen eine kleine, dralle Oma in weißer Latzhose und rotkariertem Hemd, die, vermutlich weil sie unter Orangenhaut litt, Klementine hieß, darüber, daß ein himmelweiter Unterschied zwischen sauber und rein bestünde. Das habe ich damals nicht so recht verstanden, denn ich wußte nur, daß es einen Unterschied zwischen sauber und schmutzig und rein und raus gibt, aber ich habe so einiges nicht recht begriffen, ich war ja auch noch klein.

Eine der wesentlichsten Erfindungen des Hygienesektors war allerdings die der Prilblume. Findige und skrupellose Werbefachleute waren auf die genial zu nennende Idee verfallen, ablösbare und wieder selbstklebende Blumen in allen denkbaren (und undenkbaren!) Farbschattierungen auf die Spülmittelflaschen zu applizieren, die dann von findigen Kinderhänden unter den nichtsahnenden Mütteraugen an die Küchenkacheln geklebt wurden, wo sie bis zum Atomschlag haften werden, denn die gewählte Klebesubstanz entstand, wie das Teflon oder Joachim Bublath, als Abfallprodukt der Weltraumforschung und dient heute dazu, die Wärmeschutzkacheln an Spaceshuttles zu befestigen. Dies wiederum erklärt die den Prilblumen innewohnenden Adhäsionskräfte und deren Resistenz gegen Ablösung.

Oft verfolgte ich als Kind den Abriß großer, alter Wohnhäuser in unserer Straße und konnte nicht selten bemerken, daß, wenn die Abrißbirne ihrer destruktiven Aufgabe zur Gänze nachgekommen war, dort, wo sich einst die Küche befunden hatte, noch Sekunden nach dem Abriß einzelne Wandkacheln regungslos in der staubigen Luft verharrten, nur gehalten von einer bereits verblaßten Prilblume.

Und das ist nicht Physik, das ist Magie!

Wenn wir nicht fernsahen, spielten wir draußen. Und zwar das, was wir gerade im Fernsehen gesehen hatten.

Also eigentlich immer was mit Lex Barker. Der trug entweder weiße Tropenuniformen oder Lederhemden mit Fransen dran und gab den bösen Jungs, die auch immer böse Namen hatten, wie etwa Rattler, enorm was auf die Nuß und wenn das nicht reichte, erschoß er sie halt.

Das machte Eindruck.

Vor allem bei den Frauen, die sich dann immer an ihn lehnten und verträumt oder kurzsichtig in den Sonnenuntergang schauten, obwohl wir wußten, daß man nicht einfach so in die Sonne schauen durfte, weil man sonst blind wurde, und wenn man Grimassen wie Sam Hawkens schnitt, konnte das Gesicht stehen bleiben und aufgeschlagene Knie heilten durch Drüberblasen und ein Streifschuß war nie richtig schlimm, man konnte immer noch bleiben und sie aufhalten, mit einer Patrone, und wenn die verschossen war, konnte man immer noch mit der Pistole, die Colt hieß, werfen und den Anführer, der immer ungewaschen und verschwitzt war und streng roch, meist ein Mexikaner, sauber aus dem Sattel holen.

Wunden mit viel Blut waren meist nur ein Kratzer, die ohne waren immer schlimm, man starb dann am Feuer oder in den Armen einer Frau, die ständig heulte, oder eines Freundes, der sagte, er werde sich um die Frau und den Jungen kümmern und sie auf seine Kosten an den Yukon bringen, dann kamen hohe Geigen und dann ging das Bild zur Mitte hin zu und wir rannten auf die Straße, um das genau so nachzuspielen.

Das Schwierigste war die Rollenverteilung, weil alle mal am Lagerfeuer sterben wollten und sich keiner um die Frau und den Jungen kümmern wollte oder ihm die Mine überschreiben oder so was. Also spielten wir die immer gleiche Szene so oft, daß jeder mal ans Sterben kam. Dann war es meist sechs Uhr und Abendbrotzeit. Zuvor eilten wir noch alle auf den Parkplatz, um der sehr kleinen Frau aus der Nachbarschaft zuzugucken, wie sie versuchte, mit ihrem wunderschönen cremefarbenen Borgward Isabella rückwärts in die Garage zu fahren. Sie war wirklich sehr klein, also die Frau, und schaute knapp über die Mittelspeiche des Lenkrades und wenn sie sich umdrehte, sah sie nur die Rückenlehne des Fahrersitzes, die aber sehr deutlich.

Das war spannend und endete immer damit, daß sie nach einunddreißig Rangierversuchen das Auto völlig entnervt in absurdem Winkel vor der Garage stehen ließ, den ganzen Parkplatz blockierte und daß dann ihr Mann, bevor er auf dem Balkon seine Attika rauchen durfte, den Wagen in die Garage fahren mußte.

Wir hatten keine Garage, aber einen grauen Käfer und meine Mutter keinen Führerschein. Das heißt, eigentlich doch, aber ihr Fahrlehrer war so einer, der ihr nur das Knie tätschelte und »Nu, nu« sagte, es beschissen fand, daß »Frauen jetzt auch noch Auto fahren sollen, wo soll das denn hinführen, am Ende gehen sie sogar noch in die Politik oder werden Astronautinnen«, und der ihr deshalb eigentlich nur das Nötigste beibrachte. »Hier Schlüssel rum, da läuft er, oben drehen, rechts links, unten treten schneller oder stopp, bei Rot immer anhalten ...«

Das hätte er mal nicht sagen sollen, denn als meine Mutter unseren Käfer zum ersten Male anließ und die rote Startlampe aufleuchtete, weigerte sie sich, den Parkplatz durch Wegfahren zu verlassen, so sehr mein Vater auch erst argumentativ, dann durch simples Schreien auf sie einteufelte. So kam es, daß, bis heute, mein Vater fährt, Mutter jedoch die Richtung angibt. (Links, links, das andere Links!)

Weil meine Mutter weniger Auto fuhr, hatte sie aber auch mehr Zeit, mir Jeanskeile in die Hosenbeine zu nähen, was den Schlag der Hose erheblich ausstellte. Anhand der Hosenschläge wurde das Sozialprestige des Trägers festgemacht, obwohl wir das damals noch nicht so nannten. Es war einfach astschocke. Man konnte in diesen Hosen nicht so recht gehen, was kein Unglück war, denn in den Schuhen darunter ging das ja auch nicht, man machte aber in den Schulpausen eine gute Figur. Bei Windstille.