IMPRESSUM
HISTORICAL GOLD EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
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Geschäftsführung: | Thomas Beckmann |
Redaktionsleitung: | Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Jennifer Galka |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
© 2014 by Laura Lee Guhrke
Originaltitel: „How To Lose A Duke In Ten Days“
erschienen bei: Avon Books, an imprint of HarperCollins Publishers LLC, New York, U.S.A.
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL GOLD EXTRA
Band 90 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Andrea Härtel
Abbildungen: The Killion Group / Hot Damn Designs, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 11/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733765347
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Ostafrika
Der Sprechgesang weckte ihn; eine einfache, sich ständig wiederholende Melodie, die ihn langsam wieder zu Bewusstsein brachte. Beim Aufwachen war seine erste Wahrnehmung Schmerz, und er versuchte, sich wieder in seine Ohnmacht zurückzuziehen, doch dafür war es bereits zu spät.
Es lag an dem monotonen Singsang. Er setzte sich immer weiter fort, und je mehr er versuchte, ihn auszublenden, desto tiefer schien er in seinen Kopf vorzudringen. Er wollte sich die Ohren zuhalten, damit endlich Stille einkehrte und er schlafen konnte, aber irgendwie war es ihm unmöglich, die Hände zu heben. Seltsam.
Sein Kopf schmerzte, als würde er jeden Moment bersten. Seine Haut brannte, als würde sie von Tausenden glühenden Nadeln durchstochen, doch in seinem Körper hatte sich eine geradezu schmerzhafte Kälte ausgebreitet, als ob sein Skelett aus Eisstücken bestehen würde. Und sein Bein – irgendetwas stimmte nicht mit seinem Bein. Dort, in seinem rechten Oberschenkel, schien sich der Schmerz zu konzentrieren und in jeden anderen Teil seines Körpers auszustrahlen.
Er wollte die Augen öffnen und nachsehen, was mit seinem Bein war, aber wieder konnte er seine Muskeln nicht dazu bringen, seinem Willen zu gehorchen. Er fühlte sich benommen und orientierungslos. Was stimmte nur nicht mit ihm?
Er versuchte nachzudenken, doch auch das schien ihn viel zu sehr anzustrengen, und als das Singen zu einem leisen Murmeln abebbte, schlief er langsam wieder ein.
Bilder und Geräusche huschten durch seinen Kopf, so rasend schnell, dass er nicht sicher war, ob es sich um einen Traum oder eine Erklärung handelte. Ein fahlgelber Nebel, ein durchbohrender Schmerz und ohrenbetäubende Gewehrschüsse, die in den Ngong-Bergen widerhallten.
Das Bild in seinem Kopf wandelte sich und er sah ein junges Mädchen in einem Hauskleid aus blauer Seide; eine große, schlanke junge Frau mit tizianrotem Haar, grünen Augen und Sommersprossen. Sie sah ihn an, aber in ihrem Blick lag keine Koketterie und die hellroten Lippen lächelten ihn nicht einladend an. Sie stand so still da wie eine Statue, und doch kam sie ihm vor wie das lebendigste Geschöpf, das er je gesehen hatte. Er hielt den Atem an.
Sie konnte unmöglich hier sein, in der Wildnis Ostafrikas. Sie war in England. Ihr Bild verblasste, löste sich schließlich ganz auf, und obwohl er versuchte, es zurückzuholen, gelang es ihm nicht, denn sein Kopf fühlte sich an wie Watte und sein Verstand arbeitete zähflüssig.
Er spürte etwas Kaltes, Feuchtes auf seinem Gesicht – ein nasses Tuch, mit dem seine Stirn, seine Nase und sein Mund abgetupft wurden. Er warf den Kopf in stummem Protest hin und her. Er hasste es, irgendetwas über seinem Gesicht zu haben; dann fühlte er sich immer, als müsste er ersticken. Jones wusste das. Was machte der Kerl bloß?
Wieder strich das nasse Tuch über sein Gesicht, und dieses Mal gelang es ihm, es wegzustoßen. Er zitterte am ganzen Leib. Er konnte es spüren, ein ungewolltes Zittern tief in seinem Innern. Ihm war so kalt.
Das verwirrte ihn. Er war in Afrika, hier fror er niemals. In England, ja, in England war es kalt, mit dieser ständigen Feuchtigkeit und dem Nieselregen, der Hochnäsigkeit, dem klassenbewussten Snobismus und den erstarrten Traditionen.
Doch noch während ihm diese abfälligen Gedanken durch den Kopf gingen, kam unvermittelt noch ein anderer hinzu.
Es ist Zeit, nach Hause zurückzukehren.
Er versuchte sofort, ihn zu verdrängen. Auf ihn wartete noch immer Arbeit in Afrika. Er war doch in Afrika, oder? Die plötzliche Ungewissheit verlieh ihm die Kraft, die Augen zu öffnen und den Kopf anzuheben. Im selben Moment begann alles um ihn herum sich so heftig zu drehen, dass er befürchtete, sich übergeben zu müssen. Er kniff die Augen zu, bis sich der Schwindel gelegt hatte, und als er sie dann wieder aufschlug, sah er zu seiner Erleichterung lauter vertraute Dinge – ein Zeltdach und Zeltwände, seinen zerschrammten Schreibtisch aus Ebenholz, seine in einem Korb stehenden zusammengerollten Landkarten, Stapel von Fellen – alles Dinge, die seit einem halben Jahrzehnt sein Zuhause verkörperten. Er holte tief Luft und sog den Geruch nach Schweiß und Savanne ein; grenzenlos erleichtert, dass er den Verstand doch noch nicht restlos verloren hatte.
Zwei Männer mit kaffeebrauner Haut flankierten den Eingang seines Zelts. Zwei weitere kauerten rechts und links neben seinem Feldbett und murmelten immer noch diesen höllischen Sprechgesang, doch von Jones war nichts zu sehen. Wo zum Teufel steckte Jones?
Einer der beiden Männer neben ihm drückte ihm die Hand auf die Brust, damit er sich wieder hinlegte. Er war zu schwach, um Widerstand leisten zu können, also sank er wieder zurück auf das Bett und schloss die Augen. Doch als er das tat, sah er erneut die junge Frau vor sich. Ihre grünen Augen funkelten wie Turmaline und ihr Haar schien im Gaslicht des Ballsaals zu leuchten wie ein loderndes Feuer.
Ein Ballsaal? Er musste träumen, denn es war Jahre her, seit er sich das letzte Mal in einem Ballsaal aufgehalten hatte. Und dennoch, er kannte die junge Frau. Wieder löste sich ihr Bild auf und ein Schachbrett nahm ihren Platz ein; ein Schachbrett aus blassgrünen Wiesen und goldenen Weiden, die einzelnen Felder umrandet von dunkleren Heckenreihen. Das war Margrave-Land, und es breitete sich vor ihm aus, so weit sein Auge reichte. Er versuchte, ihm den Rücken zuzukehren, aber als ihm das gelang, sah er die Trichtermündung des Wash und dahinter das Meer. Der Duft der Savanne war jetzt verflogen, stattdessen roch es nun nach grünem Gras und Mädesüß, nach Torffeuern und Gänsebraten.
Es ist Zeit, nach Hause zurückzukehren.
Da war er wieder, dieser Gedanke, mit einer Unumgänglichkeit, die den Sprechgesang in seinem Kopf überlagerte.
Die Felder, die Hecken, das Meer, die Augen der jungen Frau – all das verschmolz zu einem leuchtenden blaugrünen Teppich, der schließlich verblasste, sich aber nicht auflöste, sondern einfach unter ihm verschwand, sodass sich die Erde unter ihm auftat und er – nichts mehr sah. Um ihn herum war nur noch leerer Raum und er verspürte einen Anflug von Angst; dieselbe Art von Angst, die ihn manchmal beschlich, wenn er draußen im Busch war. Die Gefahr war ganz nah, das wusste er.
Plötzlich hörte der Sprechgesang auf. Stimmen wurden laut, hektische, angstvolle Stimmen auf Kikuyu. Doch obwohl er die meisten Bantu-Dialekte, einschließlich Kikuyu, fließend beherrschte, konnte er nicht verstehen, was sie sagten.
Die Stimmen wurden immer schriller, beinahe panisch, dann spürte er, dass er vom Feldbett hochgehoben wurde. Die Bewegung löste eine neue Welle des Schmerzes in seinem ohnehin schon schmerzenden Körper aus. Er schrie auf, aber kein Laut kam aus seiner geschundenen Kehle.
Sie bewegten ihn jetzt, trugen ihn irgendwohin. Die Schmerzen waren grauenvoll, vor allem in seinem Oberschenkel. Er hatte das Gefühl, seine Knochen müssten jeden Moment wie dürre Zweige brechen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Männer endlich stehen blieben.
Verdorrtes Gras raschelte unter ihm, als man ihn hinlegte, dann vernahm er das Schaben von Metall, das in den Erdboden eindrang. Was zum Teufel ging hier vor?
Er zwang sich wieder die Augen zu öffnen und stellte fest, dass genau über ihm die Umrisse einer silbernen Mondsichel zu sehen waren, wenngleich ziemlich verschwommen. Er blinzelte, schüttelte den Kopf und blinzelte erneut. Plötzlich konnte er den Mond klar erkennen.
Es war der typische zunehmende Mond Afrikas; die Sichel auf dem Rücken liegend, umgeben von lauter glitzernden Diamanten und dem schwarzen Samt des Nachthimmels – ein vertrauter Anblick für ihn. Jede Nacht, wenn alle anderen schliefen und das Feuer heruntergebrannt war, lehnte er sich in seinem Klappsessel zurück, die Beine ausgestreckt mit von der Tagessafari noch schmerzenden Muskeln. Dann sah er hinauf zum Sternenhimmel und trank dabei seinen abendlichen Kaffee. In Ostafrika waren Nächte wie diese etwas ganz Alltägliches.
In England war ein so klarer, schöner Nachthimmel viel seltener zu sehen. Bei Tag und Nacht war der Himmel meist verhangen, die Luft feucht und kalt. Aber im Sommer oder an einem besonders klaren Tag hatte England durchaus etwas für sich. Kahnfahrten, Krocket, Picknicks auf den Wiesen von Highclyffe. Prickelnder Champagner. Erdbeeren.
Beim Gedanken an Erdbeeren lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal Erdbeeren gegessen hatte. In einem anderen Leben.
Es ist Zeit, nach Hause zurückzukehren.
Wieder sah er das Gesicht der jungen Frau vor sich. Schmal und entschlossen, mit resolutem Kinn und zarter, strahlender Haut, übersät mit winzigen Sommersprossen. Durch die scharf geschwungenen rotbraunen Augenbrauen und die hohen Wangenknochen war es kein weiches Gesicht, es war auch nicht schön im klassischen Sinn. Aber es war faszinierend, fesselnd; die Art von Gesicht, das man am anderen Ende eines Ballsaals entdeckte und nie wieder vergaß.
Mit plötzlicher Klarheit erkannte er, dass sie nicht irgendeine junge Frau war. Sie war seine Frau.
Edie, dachte er, und ihm war, als legte sich eine Hand schmerzhaft um sein Herz. Seltsam, dachte er, dass er ganz sentimental wurde wegen einer Frau, die er kaum kannte, und wegen eines Ortes, den er schon jahrelang nicht mehr gesehen hatte. Noch seltsamer, dass sie aus tausend Meilen Entfernung nach ihm riefen und ihn mit einer Macht zu sich hinzogen, der er sich nicht mehr widersetzen konnte. Er wusste, er konnte nicht länger bleiben. Es wurde Zeit, nach Hause zurückzukehren.
Wieder vernahm er die Stimmen, aber sie waren zu leise, er verstand die einzelnen Worte nicht. Er drehte den Kopf zur Seite, und durch die Halme des Savannengrases erkannte er dieselben vier Männer, die in seinem Zelt gewesen waren, aber Jones war immer noch nirgendwo zu sehen. Die Männer waren ein Stück weit entfernt, doch obwohl sie wegen ihrer dunklen Haut in dem Licht des Mondes kaum auszumachen waren, erkannte er sie. Es waren seine Leute. Er kannte sie, kannte sie so gut, dass er sie selbst im Dunkeln anhand ihrer Bewegungen identifizieren konnte.
Sie gruben mit englischen Schaufeln, noch so etwas Merkwürdiges, denn die Kikuyu konnten mit den meisten Geräten der Engländer nichts anfangen. Als er sie beobachtete, kam ihm langsam die Erkenntnis, wie eine anbrechende Morgendämmerung, und alles, was ihm bisher unverständlich gewesen war, ergab jetzt plötzlich einen vollkommenen, schrecklichen Sinn. Das waren seine Männer, seine besten, loyalsten Männer, und sie erwiesen ihm eine Ehre, die sonst nur Stammeshäuptlingen vorbehalten war; die größte Ehre, die einem ein Kikuyu erweisen konnte.
Sie gruben sein Grab für ihn.
Tee und ein Skandal, wie es der Schriftsteller William Congreve so treffend formulierte, haben schon immer in einer natürlichen Beziehung zueinander gestanden; in jeder Saison hatten die Matronen der britischen Gesellschaft ganz konkrete Präferenzen, welcher Skandal am besten zusammen mit der Tasse Earl Grey am Nachmittag serviert werden sollte.
Der Prince of Wales war immer ein Favorit, aus ganz offensichtlichen Gründen. Ein Prinz, so fanden die Damen, sollte unbedingt skandalös sein, vor allem einer, dessen Vater so tödlich langweilig gewesen war. Bei Bertie konnte man sich stets darauf verlassen, dass er mit höchst amüsanten Leckerbissen aufwartete.
Der Marquess of Trubridge war eine weiterer verlässlicher Anlass für Klatsch und Tratsch gewesen, bevor er ein häusliches Leben als Ehemann angefangen hatte; seitdem war er in dieser Hinsicht enttäuschend unergiebig. Seine Ehefrau jedoch war für die Damen der gehobenen Londoner Gesellschaft ab und zu immer noch ein Thema, denn obwohl sich der anfängliche Schock über ihre Hochzeit mit Trubridge allmählich gelegt hatte, fanden es viele nach wie vor faszinierend, dass die frühere Lady Featherstone erneut einen Lebemann geheiratet hatte. Hatte sie aus ihrer ersten Ehe denn gar nichts gelernt? Auf Beteuerungen, dass sie auch nach einem Jahr noch wirklich glücklich war mit Trubridge, folgten für gewöhnlich ein ungläubiges Schnauben und ein bis zwei warnende Beispiele von Mitgiftjägern im Allgemeinen und warum jedes vernünftige Mädchen sich von ihnen fernhalten sollte.
An diesem Punkt angelangt, kam man dann unweigerlich auf die Duchess of Margrave zu sprechen.
Jeder wusste, der Duke hatte sie wegen ihres Vermögens geheiratet. Aus welchem Grund auch sonst? Wegen ihrer Schönheit sicher nicht, da fielen einem schnell wesentlich attraktivere Damen ein. So groß und dünn wie sie war und dann dieses kaum zu bändigende rote Haar. Und, ach du liebe Güte, diese Sommersprossen!
Ganz sicher war es auch nicht ihr gesellschaftlicher Rang gewesen, der den Duke gereizt hatte. Vor ihrer Ankunft in England war Edie Ann Jewell ein kleiner Niemand vom anderen Ende der Welt gewesen. Ihr Großvater hatte sein Geld mit Handel gemacht, in dem er Mehl, Bohnen und Speck an die hungrigen Goldgräber an der kalifornischen Küste verkauft hatte; und obwohl ihr Vater das Familienvermögen durch geschickte Investitionen an der Wall Street vervierfacht hatte, war die New Yorker Gesellschaft davon wenig beeindruckt gewesen. Als dann auch noch ein Skandal ihren guten Ruf geschädigt hatte, waren ihren Chancen, jemals wieder von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, denkbar schlecht gewesen. Doch ein Umzug nach London und eine einzige, von Lady Featherstone unterstützte Saison hatten genügt, dass sich die kleine Miss Niemand mit ihren Yankee-Millionen den begehrtesten – und am höchsten verschuldeten – Junggesellen der Stadt geangelt hatte.
Die Presse auf beiden Seiten des großen Teichs hatten die Sache als Liebesheirat bezeichnet, und es hatte tatsächlich ganz danach ausgesehen, aber nicht einmal einen Monat nach der Hochzeit wurde allen deutlich klar, dass die Liebe, wenn es sie denn je gegeben hatte, erkaltet war. Nachdem er die vielen Familienschulden mit Hilfe der Mitgift seiner Frau getilgt hatte, war der Duke of Margrave in die afrikanische Wildnis gezogen. Dort befand er sich immer noch und hatte wohl nicht die Absicht, je wieder nach Hause zu kommen.
Allein und verlassen hatte die Duchess angefangen, sämtliche Besitztümer der Margraves selbst zu leiten. Zugegeben, sie hatte tüchtige Verwalter und sehr viel Geld, aber trotzdem … viele Damen schüttelten schwer seufzend den Kopf … was für eine ungeheure Last für eine schwache Frau!
Und war es wirklich comme il faut für eine Duchess, ihren Besitz selbst zu führen? Die Matronen der Stadt debattierten darüber lebhaft bei Bergen von Gurkensandwiches und Mohnkuchen. Die jüngeren Damen neigten dazu, die Duchess zu verteidigen und Margrave die Schuld zu geben; schließlich war er derjenige, der fortgegangen war. Wäre der Duke zu Hause gewesen, anstatt kreuz und quer durch Afrika zu ziehen, dann hätte seine Frau auch nicht stellvertretend für ihn handeln müssen. An diesem Punkt angelangt, streute die ältere Generation gern einen Hinweis auf die Existenz des jüngeren Bruders des Duke ein, Cecil. Er hätte die Angelegenheiten der Margraves während der Abwesenheit des Dukes erledigen müssen, und die Tatsache, dass man ihm die Gelegenheit dazu verweigerte, bewies, dass die Duchess keine Ahnung hatte, wie man solche Dinge ordentlich zu handhaben hatte. Aber was konnte man andererseits schon von einer Amerikanerin erwarten?
Letztlich entscheidet doch die Herkunft, pflegte eine der Damen an dieser Stelle der Diskussionen meist zu bemerken. Sich auf den Ländereien herumtreiben, Gärten umgraben, Gartenlauben abreißen, Brunnen versetzen, die sich seit über hundert Jahren immer an derselben Stelle befunden hatten … das war ein unmögliches Verhalten für eine Duchess. Und was war mit den ständigen Renovierungen im Innenbereich? Gaslicht, Badezimmer, wusste der Himmel, was sonst noch alles – solch moderner Schnickschnack konnte doch nur die Schönheit eines Hauses ruinieren, seine Harmonie stören und die häusliche Routine völlig durcheinanderbringen. Was sollte ein Dienstmädchen bloß den ganzen Tag tun, wenn es kein Nachtgeschirr mehr gab, das geleert werden musste?
Und was hielt die Familie von alldem? Die Dowager Duchess machte gute Miene zum bösen Spiel, natürlich, obwohl sie das unmöglich billigen konnte. Lady Nadine wiederum erzählte allen, ihr gefielen die Veränderungen in den Residenzen des Duke, aber das war nicht überraschend. Die Schwester des Dukes war eins dieser liebenswerten, hohlköpfigen Mädchen, die niemals an irgendetwas Anstoß nahmen. Cecil jedoch war bestimmt nicht einverstanden mit der Situation. Kein Wunder, dass er so viel Zeit in Schottland verbrachte.
Manche sagten, die Duchess genieße es, die Macht auszuüben, die sonst dem stärkeren Geschlecht vorbehalten war. Andere wiederum konnten das nicht nachvollziehen, denn welche Frau würde schon die groben und beschwerlichen Aufgaben der Männer genießen?
Das Einzige, auf das sich die meisten Damen einigen konnten, war, dass die Duchess zu bemitleiden war, nicht zu verurteilen. Das arme, arme Ding, sagten die Damen mit gespielter Betroffenheit, die ihre heimliche Befriedigung nur schlecht verhüllte. Da musste sie ihre leeren Tage mit männlichen Aufgaben füllen, während ihr Mann in Ostafrika war, und dann hatte sie noch nicht einmal Kinder, die ihr ein Trost hätten sein können. Ja, das arme, arme Ding.
Wann immer die Duchess zufällig etwas von solchen Gesprächen mitbekam, musste sie unweigerlich lachen. Wenn sie wüssten!
Ihre Ehe war perfekt. Es war nicht die Art von Ehe, die den Engländern vorschwebte, denn es gab keinen Erben. Es war auch nicht die Art von Ehe, wie sie den Amerikanern vorschwebte, weil sie nicht aus Liebe geschlossen worden war. Und ganz sicher war es nicht die Art von Ehe, die sie sich als romantisches junges Mädchen vorgestellt hatte. Doch seit Saratoga waren alle ihre romantischen Träume, die sie je gehabt hatte, dahin.
Allein der Gedanke an diesen Ort und daran, was dort geschehen war, verursachte Edie noch immer leichte Übelkeit. Sie wandte ihr Gesicht ab, damit Joanna nicht mitbekam, wie sie sich bemühte, den schwarzen Tag auszublenden, der ihr Leben für immer verändert hatte.
Sie konzentrierte sich auf den warmen Sonnenschein im offenen Landauer und atmete tief die frische englische Luft ein, um den Modergeruch im Sommerhaus in Saratoga und Frederick van Hausens heißen, keuchenden Atem zu verdrängen. Sie lauschte dem Knarren der Kutschenräder, damit sie ihr eigenes Schluchzen und das Getuschel der New Yorker Gesellschaft über dieses kleine Flittchen Edie Jewell nicht mehr hörte.
Wie ein Phönix aus der Asche hatte sie sich ein neues Leben auf den Trümmern des alten aufgebaut, und das behagte ihr restlos. Sie war eine Duchess ohne einen Duke, eine Herrin ohne Herrn, und zur Verblüffung der Gesellschaft gefiel ihr das über alle Maßen. Ihr Leben war komfortabel, sicher und so vorhersehbar wie eine perfekt eingestellte Maschine; sie hatte alles unter Kontrolle.
Nun, vielleicht nicht alles, räumte sie bedrückt ein, als sie das fünfzehnjährige Mädchen auf dem Sitz gegenüber ansah. Ähnlich wie sie selbst hielt ihre Schwester Joanna nicht viel davon, kontrolliert zu werden.
„Ich sehe nicht ein, warum ich wegen der Schule weggehen soll“, sagte das Mädchen zum fünften Mal, seit die Kutsche in Highclyffe losgefahren war – und sicher zum hundertfünften Mal, seit die Entscheidung getroffen worden war. „Ich verstehe nicht, warum ich nicht weiterhin mit dir zusammen zu Hause wohnen und Mrs. Simmons behalten kann, so wie immer.“
Edie wünschte mehr als alles andere, dass das möglich sein würde. Schon jetzt vermisste sie ihre Schwester, und das Mädchen war noch nicht einmal in den Zug eingestiegen. Dennoch wusste sie, dass es ihnen beiden nicht guttun würde, wenn sie ihre Gefühle offen zeigte. Stattdessen tat sie so, als nähme sie Joannas Einwände auf die leichte Schulter.
„Ich kann der lieben Mrs. Simmons unmöglich ein weiteres Jahr mit dir zumuten“, sagte sie mit einer Fröhlichkeit, nach der ihr überhaupt nicht zumute war. „Es wäre ihr Tod, wenn ich das täte.“
„Das ist nicht der Grund.“ Joanna sah sie aus braunen Augen vorwurfsvoll an. „Es ist wegen dieser dummen Geschichte mit den Zigaretten. Wenn ich geahnt hätte, dass du mich deshalb fortschicken würdest, dann hätte ich das nie getan.“
„Aha, dich bedrückt also nicht dein schlechtes Gewissen, sondern viel mehr das, was du für deine Bestrafung hältst.“
Sofort nahm Joannas Gesicht einen entsetzten Ausdruck an.„Das ist nicht wahr!“, rief sie. „Ich habe wirklich ein schlechtes Gewissen, Edie! Glaub mir!“
„Das solltest du auch haben, Joanna“, ließ sich Mrs. Simmons vernehmen, die neben ihr saß. „Zigaretten sind eine hässliche, äußerst undamenhafte Angewohnheit.“
Joanna ging auf diese Bemerkung gar nicht ein, denn sie wusste aus langjähriger Erfahrung, dass es vergeblich war, sich mit der respekteinflößenden Mrs. Simmons anzulegen. Sie hielt den Blick fest auf Edie gerichtet und ihre großen braunen Rehaugen schimmerten feucht unter der kreisrunden Krempe ihres Strohhuts.
„Ich kann es nicht glauben, dass du mich fortschickst!“
Bei diesen Worten drehte Edie sich das Herz im Leibe um, obwohl sie ziemlich gut wusste, dass sie manipuliert wurde. In jedem anderen Bereich ihres Lebens vertraute sie ihren Entscheidungen, bewegte sie sich auf sicherem Terrain und ließ sich nicht gern Vorschriften machen. Doch Joanna war ihr wunder Punkt.
Gott sei Dank besaß Mrs. Simmons die Entschlossenheit, die Edie fehlte, wenn es um Joanna ging. Doch während des vergangenen Jahres war Joanna zu wild geworden, selbst diese großartige Frau hatte sie nicht mehr bändigen können. Mehrere Male hatte sie ein Pensionat für das Mädchen empfohlen, und nach der Sache mit den Zigaretten hatte Edie endlich kapituliert, sehr zum Erschrecken ihrer Schwester. In den vier Wochen seit dem Entschluss hatte Joanna alles unternommen, um Edie umzustimmen. Zum Glück hatte das Willowbank-Pensionat eingewilligt, die Schwester der Duchess of Margrave für das neue Schuljahr aufzunehmen. Viel länger hätte Edie Joannas Überredungskünsten nicht standhalten können; sie hätte irgendwann nachgegeben, das wusste sie.
Joanna brauchte die Schule. Sie war in einem Alter, in dem sie Disziplin und Anregungen dringend benötigte. Sie brauchte Schliff und die Gelegenheit, Freundschaften zu schließen. Das alles war Edie vollkommen bewusst, aber ihr war auch klar, dass sie ihre Schwester furchtbar vermissen würde. Schon jetzt verspürte sie ein Gefühl der Einsamkeit.
„Edie?“ Die Stimme ihrer Schwester, zögernd und kleinlaut, holte sie aus ihren Gedanken.
„Hm?“ Edie wandte ihr das Gesicht zu, erleichtert über die Ablenkung. „Ja, Liebling?“
„Wenn ich verspreche, nie wieder etwas Schlimmes anzustellen, darf ich dann bleiben?“
„Joanna, damit muss jetzt Schluss sein“, sagte Mrs. Simmons, ehe Edie antworten konnte. „Deine Schwester hat die Entscheidung getroffen, ich habe bereits eine neue Stellung und du bist in Willowbank aufgenommen worden. Und das ist übrigens ein großes Kompliment für dich, denn Willowbank ist eine äußerst vornehme Schule. Mrs. Calloway nimmt nur sehr wenige von den Mädchen auf, die sich dort bewerben.“
Edie zwang sich zu einer Leichtigkeit, die sie gar nicht empfand.
„In Willowbank wirst du auch malen und Kunst studieren können, und das liebst du doch mehr als alles andere. Du wirst Freundinnen finden und jede Menge Neues lernen. Du wirst sehen, dein kleines kluges Köpfchen wird von morgens bis abends beschäftigt sein.“
„Wahrscheinlich werde ich gar nicht sagen können, ob es Morgen oder Abend ist“, murrte Joanna. „Die Fenster dort sind so winzig, man kann kaum hinaussehen. Außerdem ist alles dunkel und trostlos und im Winter sicher eiskalt. Brrr.“
„Nun, es ist eben ein altes Schloss“, gab Edie zu bedenken. „Aber meinst du nicht, dass es ziemlich viel Spaß machen wird, in einem Schloss zu wohnen?“
Joanna war nicht beeindruckt. Sie verzog das Gesicht und ließ sich schwer seufzend gegen die Rücklehne ihres Sitzes fallen.
„Es wird sein, als wohnte man im Tower von London. Wie im Gefängnis.“
„Joanna!“, tadelte Mrs. Simmons scharf, doch Joanna ließ sich nicht einschüchtern. Mit großen Augen sah sie die unbeugsame ältere Frau an.
„Was ist?“, fragte sie und spielte die gekränkte Unschuldsvolle. „Der Tower war doch ein Gefängnis, nicht wahr?“
„Das war er“, erwiderte Mrs. Simmons verschnupft. „Und wenn du deine Schwester weiter so ärgerst, schickt sie dich vielleicht dorthin und nicht nach Willowbank.“
„Wenn sie das täte, könnte ich dann mit dem Boot durch das Verrätertor hineinfahren?“ Joannas Miene hellte sich auf bei der Vorstellung. „Das wäre bestimmt lustig.“
„Bis sie dich enthaupten“, warf Edie ein. „Benimm dich in Willowbank, wie du dich zu Hause benommen hast, und Mrs. Calloway könnte in Versuchung geraten, genau das zu tun.“
Joanna schmollte, aber ihr schien keine kluge Antwort darauf einzufallen und sie verfiel in Schweigen – bestimmt, da war Edie sich ganz sicher, um sich ein neues Argument gegen das Pensionat auszudenken.
Joanna hatte verständlicherweise Angst, fortzugehen. Ihre und Edies Mutter war gestorben, als Joanna erst acht Jahre alt gewesen war. Daddy, der geschäftlich in New York zu tun hatte, war auf die Idee gekommen, dass es für alle das Beste war, wenn Joanna nach Edies Hochzeit zu ihr zog. Die beiden Schwestern waren nur selten getrennt gewesen, doch Edie wusste, dass sie Joanna nicht für immer bei sich behalten konnte, so sehr sie sich das auch gewünscht hätte.
Sie betrachtete das hübsche Gesicht ihrer geliebten Schwester mit gemischten Gefühlen. Einerseits war sie dankbar, dass Joanna nie unter den körperlichen Makeln würde leiden müssen, die Edie in ihrer eigenen Jugend so verunsichert hatten. Joannas Nase war fein und gerade, keine Stupsnase, und fast völlig frei von Sommersprossen. Ihr Haar war rotbraun, nicht feuerrot, und ihre gertenschlanke Figur wies trotzdem jetzt schon mehr weibliche Rundungen auf, als Edie sie je besitzen würde. Außerdem war Joanna zum Glück nicht so groß wie ihre ältere Schwester.
Doch obwohl Edie froh darüber war, dass ihre Schwester zu der Schönheit heranwuchs, die sie selbst nie gewesen war, bestärkte es sie mehr denn je in ihrem Entschluss, auf das Mädchen aufzupassen und es zu beschützen. Sie wollte dafür sorgen, dass ihrer kleinen Schwester niemals das widerfuhr, was ihr in Saratoga widerfahren war.
Sie wusste, in Willowbank würde Joanna sicher, behütet und nie ohne Aufsicht sein, dennoch hätte sie mit der Kutsche am liebsten kehrtgemacht. Als das Gefährt auf einmal langsamer fuhr, hatte es beinahe den Anschein, als wollte das Schicksal ihr ihren Wunsch erfüllen.
„Ho!“, rief ihr Kutscher auf dem Bock und zog so fest an den Zügeln, dass der Landauer nur noch im Schneckentempo vorwärtsrollte.
„Was ist, Roberts?“ Edie richtete sich auf ihrer Sitzbank auf. „Warum fahren wir so langsam?“
„Vor uns sind Schafe, Eure Gnaden. Eine ganze Menge sogar.“
„Schafe?“ Sie legte die behandschuhte Hand auf die Kutschentür, erhob sich halb von ihrem Sitz und betrachtete die enorme Anzahl von Schafen mit einer Mischung aus Erleichterung und Betroffenheit. Sie wurden von ein paar Männern zu Pferd und mehreren Hunden in dieselbe Richtung getrieben, in die die Kutsche ebenfalls fuhr, und sie kamen dabei quälend langsam voran. „Werden wir uns sehr verspäten?“, fragte sie und sank wieder auf den Sitz.
Der junge Mann sah sie über die Schulter hinweg an.
„Ich fürchte, ja, Eure Gnaden. Mindestens um zwanzig Minuten, würde ich sagen, vielleicht auch noch länger.“
„Juhu!“ Joanna hopste begeistert auf ihrem Sitz herum. „Dann verpassen wir den Zug.“
Edie warf einen Blick auf die kleine Uhr, die an das Revers ihres maßgeschneiderten blauen Kostüms geheftet war, und sah ein, dass diese Möglichkeit durchaus bestand. Sie lehnte sich zur Seite und versuchte, an den Pferden vorbei nach vorn zu sehen.
„Könnten Sie nicht einfach ein wenig drängeln?“, fragte sie verzweifelt. „Die Schafe weichen uns doch sicher aus, oder?“
Roberts bedachte sie mit einem ironischen Blick.
„Das würde voraussetzen, dass die Schafe auch genug Platz zum Ausweichen haben, Eure Gnaden. Sie sind ziemlich eng zusammengepfercht, und da links der Berg ist und rechts der Abgrund, können sie gar nicht anders, sie müssen der Straße folgen.“
„Das heißt, bis wir die Abzweigung nach Clyffeton erreichen, kommen wir nur in dieser Geschwindigkeit voran?“
Roberts nickte bedauernd.
„Ich fürchte, ja. Es tut mir leid.“
„Ha!“, rief Joanna triumphierend aus. „Und der nächste Zug fährt erst morgen!“
Noch ein weiterer Tag, an dem sie von ihrer Schwester bearbeitet wurde? Edie lehnte sich seufzend zurück. Sie war verloren.
Die Kutsche quälte sich langsam voran, während Mrs. Simmons in damenhafter Haltung schweigend dasaß, Joanna über das ganze Gesicht strahlte und Edie sich auf weitere vierundzwanzig Stunden einstellte, in denen ihre Schwester versuchen würde, ihr ihren Entschluss auszureden.
Eine halbe Stunde verging, bis sie endlich von der Straße abbiegen und die Schafe hinter sich lassen konnten. Doch obwohl Roberts die Pferde antrieb und etwas Zeit aufholen konnte, stieß die Lokomotive des Zuges aus Norwich bereits dicke Dampfwolken aus und bereitete sich auf die Abfahrt aus Clyffetons winzigem Bahnhof vor.
Roberts hatte die Kutsche kaum zum Stehen gebracht, da war Edie auch schon ausgestiegen und rannte auf das Bahnhofsgebäude zu.
„Bringen Sie das Gepäck, Roberts, ja?“, rief sie über die Schulter hinweg, als sie die Treppe hocheilte und die Tür öffnete. Ohne seine Antwort abzuwarten, durchquerte sie die kleine, leere Bahnhofshalle und trat an der gegenüberliegenden Seite hinaus auf den Bahnsteig. Auch er war menschenleer bis auf einen Mann, der lässig und mit tief ins Gesicht gezogenem Hut an einem Pfeiler lehnte. Obwohl Berge von Gepäck neben ihm standen, machte er keine Anstalten in den Zug einzusteigen, daher vermutete Edie, dass er wohl gerade eben angekommen war und nun auf eine Kutsche wartete.
Ein Ausländer, dachte sie spontan, doch dann bedachte sie ihn keines weiteren Blickes mehr, weil gerade ein anderer Mann, der Stationsvorsteher, aus dem Zug stieg.
„Mr. Wetherby?“
„Eure Gnaden.“ Er nahm sofort respektvoll Haltung an. „Wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?“
„Meine Schwester und ihre Gouvernante müssen mit diesem Zug fahren, aber leider haben wir uns schrecklich verspätet. Könnten Sie vielleicht den Lokführer überreden, noch ein, zwei Minuten zu warten, damit sie Zeit zum Einsteigen haben?“
„Ich will es versuchen, Eure Gnaden, aber es kann gefährlich sein, einen Zug mit Verspätung abfahren zu lassen. Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Er verneigte sich und eilte zurück zum Zug, um den Lokführer aufzusuchen.
Edie sah sich um, aber die anderen waren noch nicht auf dem Bahnsteig angekommen, und weil sie sich von der bevorstehenden Abreise ihrer Schwester ablenken wollte, sah sie sich den Fremden etwas genauer an.
Eindeutig aus dem Ausland, dachte sie, obwohl sie nicht genau sagen konnte, warum er diesen Eindruck auf sie machte. Er war passend für das Leben auf dem Land gekleidet und trug eine gut geschneiderte, typisch englische Tweedjacke, trotzdem wirkte er irgendwie nicht wie ein Engländer. Vielleicht lag es an seiner lässigen Haltung oder an der Art, wie er den Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Oder an seinem Gehstock aus Mahagoni und Elfenbein, an der abgewetzten Reisetasche aus Krokodilleder zu seinen Füßen, an den mit Messingecken versehenen schwarzen Reisekoffern. Vielleicht lag es aber auch am Dampf der Lokomotive, der ihn umwirbelte wie Nebelschwaden. Fest stand nur, etwas an diesem Mann ließ an exotische Orte denken, weit entfernt von diesem verschlafenen kleinen Zipfel Englands.
Clyffeton war ein malerisches Dorf an der Küste von Norfolk, direkt an der Trichtermündung des Wash; einst von strategischer Bedeutung, als die Wikinger die englische Küste heimgesucht hatten, doch mittlerweile nur noch ein verschlafener kleiner Ort am Wasser. Nicht einmal die Attraktion des Anwesens eines Dukes bewahrte ihn davor, altertümlich hübsch, abgeschottet und hoffnungslos altmodisch zu wirken. Ein Fremder fiel hier genauso auf wie rote Unterhosen auf der Wäscheleine eines Pfarrers. Bereits in einer Stunde würde im ganzen Dorf aufgeregt über seine Ankunft getuschelt werden. In zwei Stunden wusste dann schon jeder, wie er war, woher er kam und was er vorhatte. Bis zur Teestunde würde Edies Zofe ihr wahrscheinlich alles über ihn verraten können.
„Du hast den Zug warten lassen.“
Joannas betroffene, vorwurfsvolle Stimme riss Edie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich zu ihrer Schwester um und vergaß den Fremden auf der Stelle wieder.
„Natürlich“, erwiderte sie und setzte ein Lächeln auf. „Es ist großartig, eine Duchess zu sein. Für mich lassen sie sogar Züge warten.“
„Natürlich tun sie das“, murmelte Joanna empört. „Das hätte ich mir gleich denken können.“
Nun erschien auch Mrs. Simmons und zeigte auf die beiden Männer hinter ihr, die sich mit dem Gepäck abschleppten.
„Ich habe einen Träger gefunden, der Roberts mit dem Gepäck hilft.“ Sie hielt die schwarz behandschuhte Hand mit den beiden Fahrkarten hoch. „Wir steigen jetzt am besten gleich ein, damit der Zug nicht noch länger warten muss.“
„Also gut.“ Joanna hob das Kinn und versuchte, ein gleichgültiges Gesicht zu machen. „Dann werde ich wohl müssen, nachdem ihr beide so wild entschlossen seid.“ Hinter ihrer Lässigkeit verbarg sich Angst, das spürte Edie, doch obwohl es ihr fast das Herz zerriss, durfte sie dem nicht nachgeben. Verzweifelt drehte sie sich zu der Gouvernante um. „Passen Sie gut auf sie auf. Vergewissern Sie sich, dass sie gut untergebracht ist und alles hat, was sie braucht, ehe …“ Sie atmete tief durch. „Ehe Sie sie verlassen.“
Die Gouvernante nickte.
„Natürlich, Eure Gnaden. Komm, Joanna.“
Joanna verzog das Gesicht und fing an zu weinen; ihr Trotz fiel in sich zusammen.
„Edie, lass mich nicht fortgehen!“
Mrs. Simmons kam Edie streng zuvor.
„Kein Wort mehr dazu, Joanna. Du bist die Schwester einer Duchess und eine wohlerzogene junge Dame. Verhalte dich entsprechend.“
Joanna schien nicht geneigt zu sein, sich wie eine Dame zu verhalten. Sie schlang die Arme um Edie und klammerte sich an sie.
„Schick mich nicht fort!“
„Still jetzt.“ Sie strich ihrer Schwester über den Rücken und versuchte, ihre eigene Fassung zu bewahren, als Joanna an ihrer Schulter schluchzte. „In Willowbank wird man sich gut um dich kümmern.“
„Nicht so gut wie du.“
Edie begann, behutsam zurückzuweichen, und obwohl ihr noch nie etwas so schwergefallen war, löste sie sich schließlich ganz aus Joannas Umklammerung.
„Geh jetzt. Sei tapfer, mein Liebling. Und Weihnachten sehen wir uns wieder.“
„Das ist ja noch ewig lange hin.“ Joanna wischte sich die Tränen fort und wandte sich dann zornig ab, um der Gouvernante in den Zug zu folgen. Ohne sich noch einmal umzusehen, stieg sie ein, doch schon gleich darauf schob sie das erste Fenster nach unten und streckte den Kopf hinaus. „Kannst du mich nicht schon vor Weihnachten besuchen kommen?“, fragte sie und verschränkte die Arme auf der Kante des halb offenen Fensters, während Mrs. Simmons schon weiterging zu ihren Sitzplätzen am anderen Ende des Waggons.
„Wir werden sehen. Ich möchte, dass du dich dort einlebst, ohne von mir abgelenkt zu werden, aber wir werden sehen. In der Zwischenzeit schreibst du mir und berichtest mir alles. Wen du kennengelernt hast, wie deine Lehrerinnen sind und welche Unterrichtsfächer du hast.“
„Es würde dir ganz recht geschehen, wenn ich dir nicht einen einzigen Brief schickte.“ Joanna machte ein finsteres Gesicht, ihre Wangen waren immer noch tränenüberströmt. „Ich werde kein Wort schreiben. Das ganze Jahr lang lasse ich dich im Ungewissen, wie es mir wohl gehen mag. Nein, warte“, fügte sie hinzu. „Ich weiß noch etwas Besseres. Ich werde mich schlecht benehmen. Ich rauche wieder Zigaretten. Ich werde so viel Unfug anstellen, bis sie mich von der Schule verweisen und wieder nach Hause schicken.“
„Und ich dachte, du wünschst dir eine Saison in London, wenn du achtzehn bist?“, gab Edie zurück. Ihre Stimme zitterte vor Anstrengung, die eigenen Tränen zu unterdrücken. „Wenn du von Willowbank ausgeschlossen wirst, findet die Saison für dich allenfalls an einem ganz abgelegenen Ort statt. Ich schicke dich in ein Kloster nach Irland.“
„Leere Drohungen“, murrte Joanna. „Wir sind gar nicht katholisch. Und so wie ich dich kenne, erlebe ich wahrscheinlich nie eine Saison. Das würdest du nervlich gar nicht überstehen.“
„Du bekommst deine Saison.“ Trotz dieser Zusage fand Edie die Vorstellung wesentlich reizvoller, ihre Schwester in einem Kloster in Sicherheit zu wissen. „Wenn du es schaffst, dich zu benehmen.“
Joanna schnaubte.
„Ich wusste ja, nicht einmal für eine Erpressung bist du dir zu schade.“
Ein Pfiff ertönte, das Zeichen, dass der Zug abfahrbereit war, und als Joanna die Hand aus dem Fenster streckte, drückte Edie sie kräftig.
„Sei brav, mein Liebling, und bitte, tu ein einziges Mal in deinem Leben das, was man dir sagt. Wir sehen uns Weihnachten, vielleicht auch schon vorher.“
Sie wusste, sie sollte eigentlich bleiben, bis der Zug abgefahren war, aber sie hatte das Gefühl, jeden Moment die Fassung zu verlieren. Daher lächelte sie ein letztes Mal, winkte ihrer Schwester noch einmal zu und wandte sich dann zum Gehen, damit sie nicht wie ein kleines Kind in Tränen ausbrach.
Ihre Flucht erwies sich als von nur sehr kurzer Dauer. Als sie gerade den Bahnsteig verlassen wollte, hörte sie, wie der Fremde sie mit ihrem Namen ansprach, und sie blieb wie angewurzelt stehen.
„Hallo, Edie.“
Selbst ihre geliebte Schwester geriet in Vergessenheit, als Edie sich zu dem Mann umdrehte. Fremde sprachen eine Duchess nicht einfach an, und Edie war schon lang genug Duchess, um verblüfft zu sein, dass dieser hier es getan hatte. Als der Mann den Hut etwas nach hinten schob und sie seine Augen sehen konnte – wunderschöne, funkelnde graue Augen, die geradewegs in ihr Inneres zu blicken schienen – , da verwandelte sich ihre Verblüffung in ein heilloses Erschrecken. Dieser Mann war kein Fremder, kein Ausländer.
Dieser Mann war ihr Ehemann.
„Stuart?“, entfuhr es ihr mit einem erstickten Laut, aber der Mann schien nicht zu merken, dass es kein freudiger Ausruf war, wie er sich eigentlich für die glückliche Wiedervereinigung von Ehemann und Ehefrau gehört hätte. Er lüpfte den Hut und neigte kurz den Kopf; keine echte Verbeugung, da er weiterhin lässig an den Pfeiler gelehnt stehen blieb. Diese fast unverschämte Geste bestätigte nur die schreckliche Tatsache, dass ihr Mann hier war, nur wenige Schritte von ihr entfernt und nicht Tausende von Meilen, wie es eigentlich der Fall hätte sein sollen.
Gute Manieren sahen eine andere Form der Begrüßung als nur einen erstickten Aufschrei vor, doch als Edie den Mund öffnete, brachte sie keinen Ton hervor. Sie konnte nur den Mann anstarren, den sie vor fünf Jahren geheiratet und seit damals nicht mehr gesehen hatte.
Afrika, das wurde ihr sofort klar, war ein hartes Land. Man sah es an seiner ganzen Erscheinung. An seiner tief gebräunten Haut, an den feinen Falten um seine Augen und seinen Mund, an den von der Sonne gebleichten bernsteinfarbenen Strähnen in seinem dunkelbraunen Haar. Man sah es an seinen kantigen Gesichtszügen und seinen langen, muskulösen Gliedmaßen; an dem exotisch anmutenden Gehstock in seiner Hand und dem kühnen, wachsamen Blick.
In den Jahren seiner Abwesenheit hatte sie sich gelegentlich gefragt, wie Afrika wohl sein mochte. Jetzt wusste sie es, denn der Mann vor ihr spiegelte die vielen Gesichter dieses sonderbaren Kontinents wider – das raue Klima, die wilde, abenteuerliche Natur und den gnadenlosen Tribut, den er von denen forderte, die einfach nur Menschen waren.
Verschwunden war der unbeschwerte, hübsche junge Mann, der unbekümmert ein Mädchen geheiratet hatte, das er nicht einmal kannte; der diesem Mädchen die Verantwortung für seinen gesamten Besitz übertragen hatte und dann mit fröhlicher Sorglosigkeit in die Fremde gezogen war. An seiner Stelle war ein völlig veränderter Mensch zurückgekehrt; ein Mann, der sich so gewandelt hatte, dass sie ohne einen Funken des Wiedererkennens an ihm vorbeigegangen war. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass ein Mann sich in fünf Jahren so verändern konnte.
Aber was machte er hier? Sie sah an ihm vorbei auf die schwarzen Lederkoffer neben ihm auf dem Bahnsteig, auf all die Reisetaschen zu seinen Füßen, und die Bedeutung dieses ganzen Gepäcks wurde ihr schlagartig klar. Als sie den Blick wieder auf sein Gesicht richtete und merkte, wie er die Lippen aufeinanderpresste, da bestätigte diese winzige Bewegung ihren schrecklichen Verdacht wirkungsvoller als alle Worte.
Der Jäger ist heimgekommen, dachte sie spontan, und aus ihrer Fassungslosigkeit wurde schnell Panik, als ihr bewusst wurde, dass ihr herrliches Leben ohne Ehemann nun möglicherweise zu Ende war.
Nur ein vollkommen irregeleiteter Narr hätte wohl damit gerechnet, dass sie sich freuen würde, ihn zu sehen, doch Stuart war niemals ein Narr gewesen. Trotzdem war er jetzt nicht ganz vorbereitet auf Edies entsetzten Gesichtsausdruck.
Er hätte ihr vorher schreiben und eine Andeutung machen sollen, was ihr bevorstand. Er hatte es versucht, aber irgendwie war es ihm unmöglich gewesen, sie schriftlich über die Situation in Kenntnis zu setzen. Jeder neue Versuch war unbeholfener und gestelzter ausgefallen als der vorangegangene, bis er es schließlich aufgegeben und die Schiffspassage zurück nach Hause gebucht hatte, mit dem vernünftigen Gedanken, dass so etwas Einschneidendes, das ganze Leben Veränderndes besser persönlich besprochen wurde. Als er jetzt jedoch ihr Gesicht sah, wünschte er, er hätte es dennoch geschafft, ihr alles schriftlich zu erklären, denn dieser Moment war peinlicher, als jeder Brief es hätte sein können.
Es war auch nicht sehr hilfreich, dass er sich auf der langen Reise von Mombasa zwar alle möglichen Szenen ihres Wiedersehens ausgemalt hatte – aber auf die, dass er ihr hier am Bahnhof von Clyffeton begegnen würde, kurz nachdem er den Zug verlassen hatte, war er nicht gekommen.
Nach der langen Zugfahrt schmerzte sein Bein höllisch und erinnerte ihn wieder daran – als ob er eine Erinnerung daran nötig gehabt hätte – dass er nicht mehr der schneidige junge Mann von vor fünf Jahren war. Als er jetzt vor ihr stand, fühlte er sich aus dem Gleichgewicht geraten und entsetzlich verwundbar.
Er wusste, sie hatte ihn nicht wiedererkannt, und wenn er sie nicht angesprochen hätte, wäre sie wohl einfach an ihm vorbeigelaufen. Hatte er sich so verändert? Oder bewies die Tatsache, dass sie ihn nicht erkannt hatte, einfach nur, wie wenig sie sich wirklich kannten?
Auch sie hatte sich verändert, trotzdem hätte er sie überall wiedererkannt. Ihr Gesicht war immer noch so reizvoll wie damals vor fünf Jahren, als er im Ballsaal auf sie aufmerksam geworden war, und schließlich wie in seinen Fieberträumen in jener schicksalhaften Nacht in Ostafrika, wo er um ein Haar gestorben wäre. Es wirkte inzwischen weicher, als er es in Erinnerung gehabt hatte, ihre Züge waren nicht mehr so hart und angespannt; jetzt war es das Gesicht einer starken Frau und nicht mehr das eines verzweifelten Mädchens.
Er zwang sich dazu, etwas zu sagen.
„Es ist lange her.“
Sie schwieg und starrte ihn nur sprachlos an, ihre leuchtend grünen Augen waren immer noch geweitet vor Schreck.
„Ich bin …“ Er musste sich räuspern und versuchte es noch einmal. „Ich bin nach Hause gekommen.“
Sie bewegte den Kopf, eine kaum wahrnehmbare Geste der Verneinung, und dann, ohne jede Vorwarnung, wandte sie sich ab und rannte los wie eine aufgeschreckte Gazelle.
Er sah ihr nach, wie sie im Innern des Bahnhofsgebäudes verschwand, und versuchte gar nicht erst, ihr zu folgen. Selbst wenn er es gewollt hätte, wäre er nie in der Lage gewesen, sie einzuholen, wenn sie in diesem Tempo weiterrannte. Stuart legte die Hand auf seinen Oberschenkel. Selbst durch die Kleidung hindurch konnte er die Vertiefung seitlich an seinem Bein ertasten, wo ihm eine sehr wütende Löwin Haut und Muskeln zerfetzt hatte. Wie er das überlebt hatte, war ihm immer noch schleierhaft, doch die Zeiten, in denen er noch hatte rennen können, waren für ihn vorbei. Selbst das Gehen bereitete ihm nach wie vor Schmerzen, selbst nach sechs Monaten noch.
„Sie sind also Margrave.“
Stuart drehte sich um und sah Edies Schwester, die wenige Schritte von ihm entfernt auf dem Bahnsteig stand – eingehüllt in eine Dampfwolke, als der Zug langsam aus dem Bahnhof fuhr, ohne Zweifel mit einer sehr zornigen Gouvernante darin. Er zog eine Augenbraue hoch.
„Solltest du nicht eigentlich in diesem Zug sitzen?“
Sie sah zwischen ihm und dem abfahrenden Zug hin und her und ein leises, triumphierendes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.
„Ach je.“
Stuart erwiderte ihr Lächeln nicht. Er bewunderte Mut und Kühnheit zwar durchaus, aber er fand nicht, dass er diese Eigenschaften bei Edies kleiner Schwester ermutigen sollte … vor allem, weil er spürte, dass sie auch ohne Ermutigung ein ziemlich schwieriges Kind war.
„Und die arme Mrs. Simmons?“
Aus ihrem Lächeln wurde jetzt ein schadenfrohes Grinsen.
„Die fährt ohne mich nach Kent, wie es scheint.“
„Zusammen mit deinem Gepäck.“
Sie verzog das Gesicht.
„Einem Koffer voller grässlicher Schuluniformen. Dem trauere ich ganz sicher nicht nach. Außerdem“, fügte sie fröhlich hinzu, „wenn ich hierbleibe, kann ich Ihnen behilflich sein.“
„Mir behilflich sein?“ Er runzelte erstaunt die Stirn, weil er sich nicht vorstellen konnte, was ein fünfzehnjähriges Schulmädchen wohl für eine Hilfe für ihn sein konnte. „Wobei denn?“
„Edie zurückzugewinnen.“ Sie musste über sein überraschtes Gesicht lachen. „Nun, deswegen sind Sie doch schließlich zurückgekommen, nicht wahr?“
Er war es nicht. Er konnte es einfach nicht sein.