Seit ihrer frühesten Kindheit erscheint Julien in Cassandras Träumen. Er ist ihr Vertrauter, ihr Seelengefährte – auch wenn sie nicht einmal weiß, ob er tatsächlich existiert.
Als sie von einem düsteren Mann verfolgt wird, offenbart ihr Julien schließlich, dass er viel mehr als eine bloße Traumgestalt ist und dass sie beide in großer Gefahr schweben. Daher begibt sich Cassy auf eine gefährliche Reise in eine fremde, magische Welt, in der erbarmungslose Feinde und grausame Kreaturen schon auf sie lauern.
Als sie Julien schließlich erreicht, glaubt sie endlich am Ziel ihrer Träume zu sein. Doch er hat sie nur für seine Zwecke benutzt und legt ihr einen Egelstein um den Hals, um ihr ihre gerade erwachenden, magischen Kräfte zu rauben und sie selbst zu töten. In letzter Minute gelingt es Brin, dem unsterblichen Krieger, sie zu retten.
Von Juliens Verrat niedergeschmettert und ihrer Gabe beraubt, weiß Cassy nicht, was sie tun soll. Doch Brin steht ihr zur Seite und lässt nicht zu, dass sie die Hoffnung verliert. Mit ihm gemeinsam macht sie sich auf die Suche nach jemandem, der ihr helfen kann, ihre Magie wiederzufinden und ihre Bestimmung als Nachfolgerin der Hohepriesterin Cassia zu erfüllen. Einst bannte Cassia den Schwarzmagier Cudras – wie Julien in Wahrheit heißt – in sein Gefängnis, nun soll Cassy ihn endgültig vernichten. Währenddessen beginnt er, seine Truppen um sich zu sammeln, um Edingaard zu unterwerfen.
Im Feuer des Phönix‘ muss Cassy sich ihren Ängsten und Zweifeln stellen, sie hinter sich lassen, um wieder den Zugang zu ihrer Magie zu erlangen. Es gelingt ihr keinen Moment zu früh. Ein Umbra-Dämon hat sie und ihre Gefährten gefunden. Unter Aufbietung all ihrer Kraft gelingt es ihr, den Dämon in einer gewaltigen Feuersbrunst zu vernichten, bevor dieser Brin niederstrecken kann.
Und endlich finden der Krieger und sie den Mut, zu ihren Gefühlen zu stehen, und verschmelzen in einem langen, leidenschaftlichen, alles verändernden Kuss.
Personen
Cassandra (genannt Cassy): Eine Studentin aus Münster. Seit ihrer Kindheit begegnet sie in ihren Träumen immer wieder Julien – ihrem Freund und Gefährten. Cassy folgt seinem Hilferuf in die fremde, magische Welt von Edingaard. Dort spürt sie allmählich ihre Gabe erwachen – eine gewaltige, magische Kraft, die sie jedoch noch nicht kontrollieren oder bewusst einsetzen kann. Cassy ist die Reinkarnation der mächtigen Priesterin Cassia, die vor achthundert Jahren gelebt hat.
Julien / Cudras: Als Julien kam er in Cassys Träume. In Edingaard ist er als der mächtige Schwarzmagier Cudras bekannt.
Brin: Ein unsterblicher Krieger im Dienste der Göttin Liskaju. Er war Cassias Beschützer und Gefährte. Nach ihrem Tod gewährte ihm die Göttin die Unsterblichkeit, damit er über Cassias Nachfolgerinnen wachen kann, bis ihre Aufgabe vollendet und Cudras vernichtet ist.
Elaina: Eine Zauberin, die mithilfe eines Spiegels die Zukunft vorhersehen kann und sich niemandem außer sich selbst verpflichtet fühlt.
Luca: Ein Späher mit einer geringen magischen Begabung, der in Elainas Diensten steht.
Kira: Eine junge Frau, die in ihren Träumen die Zukunft sieht. In einer Vision hat sie vorhergesehen, wie Cudras‘ Dämonen die Hauptstadt von Rondirai vernichten.
Ibertus: Ein Bergkobold, Elainas Haus- und Hofmeister und Cassys Freund. Er hat Cassy mehrmals geholfen und sie zum Phönix geführt.
Cassia: Eine sehr mächtige Zauberin. Sie war es, die Cudras vor achthundert Jahren in sein Gefängnis verbannt hat.
Sofia: Eine junge Novizin, die in einem der Göttin Liskaju geweihten Tempel den Umgang mit der Magie lernt. Cassy hatte den Tempel kurz nach ihrer Ankunft in Edingaard besucht und dabei Sofia und die Priesterinnen flüchtig kennengelernt.
Zielstrebig lief Sofia durch den nächtlichen Wald. Das in dunkles Leder gebundene Buch drückte fast schon schmerzhaft gegen ihre Brust, so krampfhaft presste sie es an sich.
Irgendwo hinter ihr ertönte ein langgezogenes Heulen und das Mädchen zuckte erschrocken zusammen. Neben ihr gab Nanette ein ängstliches Wimmern von sich. Stillschweigend beschleunigten sie ihren Schritt.
Sofia lächelte ihrer Freundin aufmunternd zu, doch sich selbst konnte sie damit nicht täuschen. Ihre Knie zitterten vor Anspannung und Angst. Freiwillig hätte sie sich nie im Leben nach Sonnenuntergang in den Wald getraut, obwohl sie wusste, dass der Weg zur heiligen Lichtung sicher war, sicher sein musste. Trotzdem glaubte sie, überall in der Dunkelheit umherhuschende Schatten und leuchtende Augen zu sehen, die nur darauf lauerten, sich auf die beiden Mädchen zu stürzen.
Doch der Befehl ihrer Oberin war eindeutig gewesen. Sie mussten das Buch zu ihrer Göttin bringen.
Ein Zweig knackte rechts von ihnen. Nanettes eisige Finger krallten sich in Sofias Oberarm. Panisch schaute sie sich um. Mehr als ein Dutzend rotglühender Punkte tanzten in der Finsternis. Ein kalter Schauer lief ihren Rücken herunter – Bluthunde. Mit einem Gebet an die Göttin auf den Lippen packte sie die Hand des anderen Mädchens und rannte los.
Durch das Rauschen ihres eigenen Blutes in den Ohren hörte sie überdeutlich das leise Trommeln, mit dem die mächtigen Tatzen der Tiere auf dem Boden aufschlugen, doch sie traute sich nicht, ihren Blick von dem schmalen Pfad zu nehmen. Nur wenig Mondlicht drang durch die dichten Wolken und jeder Fehltritt konnte tödlich enden, sie den Bestien ausliefern, die sie verfolgten.
Endlich kam die kleine Lichtung in Sicht. Sofia schluchzte erleichtert auf und lockerte ihren Griff um Nanettes Hand.
»Und was jetzt?«, flüsterte ihre Freundin leise.
Sie wünschte, sie wüsste es. Nachdem die Oberin sie zu dieser nachtschlafenden Zeit zu sich beordert hatte, hatte sie ihnen lediglich das Buch gereicht und befohlen, sich sofort auf den Weg zur Lichtung zu machen. Nicht zum ersten Mal fragte Sofia sich, wieso ausgerechnet ihnen, den beiden Novizinnen, diese außerordentliche Ehre zuteilwurde. Jede der Priesterinnen hätte Vieles dafür gegeben, ihrer Göttin ins Angesicht blicken zu dürfen.
Doch die Oberin hatte so angespannt, so eindeutig mit anderen Dingen beschäftigt gewirkt, dass Sofia sich nicht getraut hatte, ihre Fragen zu stellen.
Und da waren sie nun.
Die Bluthunde umkreisten beharrlich die Lichtung – sie konnte ihr ärgerliches Knurren und das Brechen der Zweige unter ihren Pfoten hören und zog Nanette weiter zur Mitte des sicheren Areals. Dort blieb sie unschlüssig stehen und schaute zum Himmel empor.
Das Leuchten war anfangs so schwach, dass sie es zunächst gar nicht als solches wahrnahm. Sie glaubte, es wäre nur eine Wolke, die sich beiseiteschob und die Sicht auf den Mond freigab. Doch das Strahlen wurde stärker und stärker, bis sie eine Gestalt darin ausmachen konnte. Überirdisch schön schwebte Liskaju auf sie zu.
Die beiden Mädchen fielen ehrfürchtig auf die Knie und neigten ihre Köpfe so tief, dass sie beinah das Gras des Waldbodens berührten. Sosehr Sofia es sich wünschte, die Göttin in allen Einzelheiten zu betrachten, diese einmalige Gelegenheit zu nutzen, die sich ihr bot, wagte sie es doch nicht, ihr Gesicht zu heben.
»Habt ihr das Buch?«
Liskajus Stimme klang wie Musik in Sofias Ohren, so gütig, so machtvoll. Aber da schwang noch etwas Anderes mit. Trauer? Sorge?
»Ja.« Vor Aufregung kam dieses eine Wort nur krächzend über ihre Lippen und sie streckte der Göttin das Gewünschte entgegen. Sie spürte Wärme an ihren Fingern, als Liskaju es ihr aus der Hand nahm.
»Danke.«
Ein unendliches Glücksgefühl durchströmte Sofia bei diesem Wort. Zögernd hob sie ihren Kopf.
In diesem Moment zerriss ein gewaltiges Donnern die nächtliche Stille. Erschrocken sprang Sofia auf, folgte dem Blick der Göttin zur Quelle des Geräusches und sah eine riesige Feuersbrunst in den Himmel ragen – genau an der Stelle, wo der Tempel stand.
Nein! Das konnte nicht sein! Das durfte es einfach nicht. Fassungslos starrte sie die Göttin an und las die Bestätigung ihrer schlimmsten Ängste in deren Augen. Ihr Heim, die einzige Familie, die sie jemals gehabt hatte – sie waren fort.
»Was? Wie?«, stammelte sie, während ihr Tränen über die Wangen strömten und ihre Beine sich wie von selbst in Bewegung setzten. Vielleicht war noch nicht alles verloren, vielleicht konnte sie helfen.
»Es ist zu spät!«, hielt die Stimme der Göttin sie zurück.
Sofia blieb wie festgefroren stehen. »Du musst ihnen helfen, bitte!« Sie drehte sich um und warf sich Liskaju vor die Füße.
»Ich wünschte, ich könnte es«, erwiderte diese leise.
Sofia konnte nicht fassen, dass die Göttin sie so im Stich ließ.
»Ich verstehe deinen Schmerz und deinen Zorn.« Sie hörte das Mitgefühl in der Stimme, spürte eine warme Hand, die ihr federleicht über den Kopf strich. »Aber dafür ist jetzt nicht die rechte Zeit. Ihr müsst den Wald verlassen. Der Zauber, der die Kreaturen zurückhält, wird zusammen mit dem Tempel vergehen.«
Sofia schluckte. Die Erkenntnis um die Gefahr, in der sie selber schwebte, dämpfte ein wenig die Trauer und die Wut, die sie zu übermannen drohten.
Kam es ihr nur so vor oder waren die Bluthunde tatsächlich bereits näher herangerückt?
»Komm schon, Sofia!«, rief Nanette panisch. Auch ihr rannen Tränen über das Gesicht.
Eins der Tiere lief in großen Sprüngen auf sie zu. Geifer tropfte von den riesigen, gefletschten Zähnen. Nur noch wenige Schritte trennten es von den beiden Mädchen. Das Wesen stieß sich vom Boden ab, flog direkt auf Sofia zu, die sich plötzlich nicht mehr rühren konnte. Mit schreckensgeweiteten Augen starrte sie ihrem Angreifer entgegen.
Ein Lichtstrahl traf es mitten in der Brust, ließ es winselnd zu Boden stürzen.
»Lauft!«, erklang der Befehl der Göttin. Liskaju streckte ihre Arme aus und sandte ein Leuchten wie einen hellen Pfad durch den dunklen Wald.
Nanette packte Sofias Hand und die Berührung brachte sie endlich wieder zu sich. Gemeinsam rannten die Mädchen den schmalen Korridor aus warmem Licht entlang. Knurrend und entschlossen setzten die Bluthunde ihnen nach.
Cassy schlang ihre Arme um Brins Hals, zog ihn zu sich heran, gab sich ganz diesem Kuss hin, der so zärtlich und liebevoll begonnen hatte und nun deutlich leidenschaftlicher wurde. Sie konnte noch immer nicht fassen, dass das gerade tatsächlich geschah, dass er wirklich sie wollte, dass seine Erinnerung an Cassia nicht länger zwischen ihnen stand.
Sie verdrängte entschieden den Gedanken, der sich in ihren Geist zu schleichen versuchte, den leisen Zweifel, ob es für ihn genauso viel bedeutete wie für sie. Schließlich hatten sie noch keine Gelegenheit gehabt, darüber zu sprechen. Die Ereignisse hatten sich überschlagen – das Erscheinen des Phönix‘, der Kampf gegen den Umbra, die Tatsache, dass sie beide dem Tod nur so knapp entkommen waren. Und nun waren sie hier und küssten sich, als ob es kein Morgen gäbe.
Vielleicht gab es den auch nicht, zumindest nicht für sie. Und genau deshalb wollte sie sich nicht den Kopf über das alles zerbrechen, sondern bloß den Moment genießen, das Hier und Jetzt in Brins starken Armen, in denen sie sich so sicher, geborgen und gerade auch unfassbar begehrenswert fühlte.
Er schaute auf sie herab, den Blick dunkel voll Leidenschaft und Gefühl. »Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren«, flüsterte er rau. »Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ...«
»Schht«, unterbrach sie ihn sanft, bedeckte sein Kinn, seinen Hals mit hungrigen Küssen. Sie wusste, was er meinte, aber sie wollte nicht daran erinnert werden. Alles, was zählte, war, dass sie beide hier waren – lebendig und unversehrt.
Er sah ihr tief in die Augen. Sie erkannte die unausgesprochene Frage darin, doch sie selbst war über diesen Punkt längst hinaus. Sie liebte ihn und sie wollte ihn – mit jeder Faser ihres Körpers und jedem Stückchen ihrer Seele.
Wie von selbst fanden ihre Hände den Saum seines Hemdes, zogen ihn hoch, glitten über seine geschmeidige, warme Haut, spürten die festen Muskeln. Sein Körper fühlte sich noch besser an, als sie es sich je erträumt hatte, und ein wohliges Seufzen entwich ihren Lippen, während sie ihn mehr und mehr erkundete. Sie hörte seinen schweren Atem und das Hämmern seines Herzens. Oder war es ihr eigenes?
Er saugte an ihrer Unterlippe und Cassy meinte, noch nie etwas Köstlicheres empfunden zu haben als das Feuer, das er damit in ihr entfachte.
Sie murrte protestierend, als er sich ein wenig von ihr löste. Doch er dachte nicht ans Aufhören, bei Weitem nicht. Sein Mund zog eine brennende Spur an ihrem Hals entlang, während seine Finger ihrem Beispiel folgend ihr Oberteil nach oben schoben. Sanft und besitzergreifend zugleich umfassten seine Hände ihre nackte Taille. Cassy warf den Kopf in den Nacken und ergab sich seiner Liebkosung. Die Hitze in ihrem Inneren wurde beinah unerträglich, sie konnte sich nicht vorstellen, dass das Verlangen, das der Krieger in ihr auslöste, jemals nachlassen würde. In ihrem Kopf drehte sich alles, ihr Atem war nur noch ein Keuchen und ihre Glieder fühlten sich schwerelos an. Fahrig zerrte sie an seinem Hemd, um es ihm über den Kopf zu ziehen, um ihn endlich ganz zu spüren, ohne all den störenden Stoff zwischen ihnen.
Er half nicht mit.
Sie öffnete den Mund, um sich zu beschweren, als ihr auffiel, dass etwas nicht stimmte. Sengende Hitze schlug ihr entgegen.
Entsetzt starrte Cassy die hohe Wand aus loderndem Feuer an, die sie von allen Seiten umschloss.
Brin sprang auf die Beine. Von der Erregung, die ihn nur Sekunden zuvor beherrscht hatte, war nichts mehr zu spüren. Er streckte seine Hand aus und zog Cassy hoch. Das Feuer hatte sie fast erreicht. Ihre Haare begannen zu knistern. Sie hustete, das Atmen fiel ihr zunehmend schwer.
Mit einem Ruck streifte Brin sich das Hemd ab und schlang seinen Arm fest um ihre Mitte. Er brachte seinen Kopf so nah wie möglich an den ihren heran und hielt den Stoff über sie beide. »Auf drei«, raunte er ihr zu. Ehe Cassy überhaupt begriff, was er vorhatte, rannte er mit ihr durch die Flammen. Sie schrie auf, als ein brennender Schmerz ihren Arm erfasste. Dann waren sie auch schon hindurch und Brin drückte sie energisch zu Boden, rollte sie herum und klopfte sie vorsichtig ab, bis sie seine Hände protestierend von sich schob und sich aufrichtete.
»Geht es dir gut?« Er musterte sie besorgt.
»Ich denke schon.« Ein Brandloch zierte ihren rechten Ärmel. Behutsam berührte sie die gerötete Haut darunter und zuckte schmerzerfüllt zusammen.
»Zeig her.« Er beugte sich über sie, um ihre Verletzung zu begutachten.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass sich zu den vielfältigen Wunden, die er bei dem Kampf mit dem Umbra davongetragen hatte, nun auch Brandblasen gesellten.
»Mir geht es gut«, sagte sie fest. »Aber du rührst dich nicht von der Stelle. Du bist schließlich auch nicht unverwundbar.«
»Ach, das«, setzte er abtuend an, doch Cassys Finger, der leicht auf eine seiner zahlreichen Wunden drückte, ließ ihn scharf die Luft einziehen.
»Genau das meine ich. Ich werde Ibertus holen.«
»Das hat Zeit. Erst möchte ich wissen, was das hier soll.« Er deutete auf das Feuer. »Wer auch immer uns angegriffen hat, wird vermutlich noch in der Nähe sein.«
Während er damit begann, die Umgebung zu sichern, trat Cassy vorsichtig näher an die Brandfläche heran. Es war eigenartig. Die Flammen hatten ein perfektes Oval um die Stelle gebildet, an der Brin und sie gelegen hatten. Und nachdem sich der Ring in der Mitte geschlossen hatte, waren sie einfach in sich zusammengefallen. Die schwarze, noch leicht nachglimmende Fläche hob sich deutlich von dem ansonsten grasbedeckten Boden ab. Das Feuer musste aus dem Nichts aufgetaucht oder von jemandem sehr präzise gelegt worden sein. Doch egal, wie beschäftigt sie gewesen sein mochten – bei der Erinnerung daran spürte sie wieder eine angenehme Wärme in ihrem Bauch aufsteigen – sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich jemand an sie herangeschlichen haben konnte, ohne dass der Krieger ihn bemerkt hätte.
»Ich habe nichts Verdächtiges entdeckt.« Brin trat zu ihr und legte ihr seinen Arm um die Hüfte.
Cassy hatte Schwierigkeiten damit, ein glückseliges Lächeln zu unterdrücken. Er meinte es tatsächlich ernst. Es waren nicht nur seine Hormone, die mit ihm durchgegangen waren.
»Ebenso wenig war das Feuer natürlichen Ursprungs«, fuhr er fort und holte sie auf den harten Boden der Realität zurück. Selbstverständlich nahmen ihre Feinde keine Rücksicht darauf, wie glücklich und verliebt sie gerade war.
»Glaubst du, er hat das gemacht?«, murmelte sie leise.
Brin zuckte mit den Schultern. »Schon möglich. Doch in diesem Fall wäre es ein äußerst halbherziger Versuch. Normalerweise geht Cudras nicht so stümperhaft vor.«
Cassy tastete über ihren verletzten Arm und betrachtete all die Brandblasen, die seinen Oberkörper zierten. Für sie war diese Machtdemonstration einprägsam genug. Auch wenn Brins Wunden bereits zu heilen begannen, musste der Krieger ziemliche Schmerzen erleiden.
»Wie auch immer.« Er drückte sie an sich und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. »Solange wir es nicht genau wissen, sollten wir doppelt vorsichtig sein.«
»Was ist denn hier los?« Ibertus tauchte hinter ein paar Büschen auf. Er schnupperte, dann schien er ihre derangierte Erscheinung zu bemerken. »Hat es gebrannt? Habt ihr euch mit einem Phönix angelegt?«
»Nein.« Cassy strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie sollte dringend ihre Haare waschen, der angekokelte Gestank war kaum zu ertragen. »Wir haben bloß ...« Sie verstummte errötend und räusperte sich. »Das Feuer war auf einmal da, keine Ahnung, wieso.«
»Scheint ja noch mal gutgegangen zu sein«, meinte der Kobold. »Wir sollten zu unserem Lager zurückkehren. Ich schätze, wir können alle etwas Ruhe und was zu essen vertragen.«
»Geht ihr schon mal vor.« Brin hockte sich neben die Brandstelle hin und zerrieb die erkaltende Asche prüfend zwischen seinen Fingern. »Ich komme gleich nach.«
Cassy verharrte unsicher. Es behagte ihr nicht, ihn hier alleinzulassen, und sie wunderte sich, woher dieser plötzliche Beschützerinstinkt ihm gegenüber kam.
»Es dauert nicht lange«, beruhigte er sie und schenkte ihr ein ganz besonderes Lächeln, das ihr Herz zum Flattern brachte.
»Könntest du dich bitte um seine Wunden kümmern?«, wandte sie sich leise an Ibertus.
»Nach einem kleinen Schläfchen sehr gern.« Er reichte ihr seine Pfote, um ihr galant über einen großen Stein zu helfen.
»Danke. Für die Sache mit Brin, meine ich.«
Er schoss ihr einen neugierigen Seitenblick zu. »Was ist das jetzt zwischen dir und dem Krieger?«
»Wer weiß?« Cassy biss sich auf die Unterlippe, um das glückliche Lächeln zurückzuhalten, was ihr jedoch kläglich misslang.
»Ich hab’s sofort gewusst!« Zufrieden hopste Ibertus neben ihr her.
Sie hatten das Lager gerade erreicht, als Brin auch schon zu ihnen stieß. Cassys Herz hüpfte erleichtert, als sie ihn sah. Würde es von nun an etwa immer so sein? Würde sie sich nur dann vollständig und sicher fühlen, wenn er in ihrer Nähe war? So wie mit ihm hatte sie sich noch nie zuvor gefühlt – und so schön das auch war, sie musste gestehen, dass es ihr ein wenig Angst machte.
»Wo ist denn der Phönix?«, fragte sie Ibertus, um sich davon abzulenken.
»Er schläft tief und fest.« Der Kobold deutete auf ein kleines Nest aus Gras, Moos und Blättern, in dessen Mitte ein winziger, roter Vogel lag. Obwohl sie es mit eigenen Augen gesehen hatte, konnte sie sich kaum vorstellen, dass das Wesen eines Tages zu einem mächtigen Phönix heranwachsen würde, der sogar Brin Respekt einzuflößen vermochte.
Ibertus machte sich sofort daran, das Abendessen für sie alle vorzubereiten, doch selbst ihm waren die Anstrengungen der vergangenen Stunden deutlich anzumerken. Anstatt wie sonst ein vollwertiges Mahl aufzutischen, begnügte er sich damit, ein paar Streifen Dörrfleisch über dem Lagerfeuer anzurösten und zusammen mit ihrem letzten Kanten Brot herumzureichen.
Gehorsam kaute Cassy darauf herum, auch wenn sie keinen Hunger verspürte. Immer wieder schaute sie verstohlen den neben ihr sitzenden Krieger an und hätte zu gern gewusst, wie es jetzt mit ihnen weiterging. War es Absicht oder Zufall, dass sein Knie das ihre berührte? Würden sie sich gleich gemütlich unter eine Decke kuscheln oder jeder für sich allein schlafen?
Ibertus wischte seine Pfoten an einem Blatt sauber und gähnte ausgiebig. »Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich bin völlig erledigt.« Er erhob sich und schaute ein letztes Mal nach dem kleinen Phönix, bevor er sich neben ihm zusammenrollte. Kurz darauf erklang sein leises Schnarchen.
Cassy nahm sich Zeit, ihre Mahlzeit zu beenden. Plötzlich fühlte sie sich in Brins Gegenwart äußerst befangen. »Ich lege mich auch lieber hin.« Sie erhob sich langsam und suchte nach ihrer Decke.
»Hier.« Hilfsbereit reichte er ihr den dicken Wollstoff. Seine Finger streiften die ihren und hielten sie fest. »Allerdings hatte ich gehofft, dass du mir vorher noch Gesellschaft leistest«, flüsterte er rau.
»Wobei denn?« Das verheißungsvolle Glitzern in seinen Augen schickte einen angenehmen Schauer über ihren Körper.
»Da war noch eine Sache, die wir nicht zu Ende gebracht haben.« Er lächelte und zog sie zu sich heran. Sein Mund war warm und weich, als er auf den ihren traf.
Cassy gluckste leise. »Diese Sache. Jetzt erinnere ich mich.«
»Na, das will ich doch hoffen.« Er biss ihr spielerisch in die Lippe, bevor er sich von ihr löste und sie mit sich fortführte.
»Wohin gehen wir?«
»Nur ein Stück weiter, wir sollten Ibertus nicht um seinen wohlverdienten Schlaf bringen.«
Wenn sich das nicht vielversprechend anhörte, dann wusste sie es auch nicht.
Schließlich blieb Brin stehen und wandte sich ihr zu. Ernst ruhte der Blick seiner dunklen Augen auf ihr. Er hob eine Hand und strich ihr zärtlich übers Gesicht. »Bevor wir weitermachen, möchte ich, dass du eins weißt«, setzte er feierlich an und Cassy machte sich für alles bereit. »Ich liebe dich, Cassandra. Und egal, was passieren wird, wir stehen das gemeinsam durch.«
Nur langsam sanken die Worte in ihren Geist. Sie blinzelte überwältigt und schnappte aufgelöst nach Luft. Sie hatte mit Vielem gerechnet, aber nicht damit. Er war offensichtlich kein Mann, der Angst vor seinen Gefühlen hatte.
Geduldig wartete er ihre Reaktion ab, gab ihr Zeit, sein Geständnis zu verarbeiten.
»Wirklich?«, raunte sie, noch immer nicht fähig, es tatsächlich zu glauben. »Und was ist mit Cassia?« Sie hasste sich dafür, dass sie sie jetzt ins Spiel brachte, doch sie wollte es lieber direkt wissen, bevor sie sich zu sehr an den Gedanken gewöhnte, dass er sie liebte.
Ein wehmütiger Ausdruck trat auf sein Gesicht, aber er wich ihr nicht aus. »Cassia ist meine Vergangenheit, du bist meine Zukunft.«
»Das höre ich gern.« Cassy schniefte leicht und schlang die Arme um seinen Nacken. »Ich liebe dich nämlich auch.«
»Dann wäre das ja geklärt.« Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie erneut.
Cassy schrie überrascht auf, als er sie – ohne in seinem Kuss innezuhalten – auf die Arme nahm und ein paar Schritte weiter im weichen Gras niederlegte. Behutsam begann er damit, die Knöpfe ihrer Weste zu öffnen. Seine Hände strichen über ihren Körper und sie spürte erneut, wie sich Hitze in ihr auszubreiten begann. Sie ließ ihre Finger unter sein Hemd gleiten, doch er hielt sie sanft zurück. »Noch nicht«, flüsterte er leise. Sie verstand es nicht, doch sie gehorchte. »Schließ deine Augen und vertrau mir.«
Lächelnd folgte sie der Anweisung und musste zugeben, dass er ganz genau wusste, was er da tat. Er hatte sie noch nicht einmal ausgezogen und doch hatte sie das Gefühl, vor Leidenschaft zu vergehen. Unruhig wand sie ihren Kopf hin und her, ihr war, als müsste sie jeden Augenblick explodieren.
Abrupt hielt er inne. Sie stöhnte irritiert auf und bog ihren Körper seinen Händen entgegen.
»Cassy, schau dich langsam um. Und bitte hab keine Angst.«
Diese Ansage verpasste ihrer Erregung einen ziemlichen Dämpfer. Befremdet öffnete Cassy ihre Lider und sprang entsetzt auf. Sie wurden erneut angegriffen! Eine Wand aus Feuer kreiste sie in einem Abstand von wenigen Schritten von drei Seiten ein. Nur den Rücken hatten sie noch frei und Cassy erkannte sogleich den Grund dafür, als Brin sie schon wieder auf seine Arme hob und mit einem Satz über einen Bach sprang, der knapp einen Meter hinter ihnen vorbeifloss. Hatte er den Platz mit Absicht so gewählt? Jedenfalls schien er über das Inferno, das noch immer auf dem anderen Ufer tobte, nicht sonderlich beunruhigt zu sein.
Wütend starrte Cassy das Feuer an. Das konnte doch kein Zufall sein! Hatte Cudras es darauf angelegt, sie zu quälen? Oder war er derart eifersüchtig, dass ihm jedes Mittel recht war, um Brin und sie auseinanderzubringen? Als hätten sie ihre Gedanken gespürt, schlugen die Flammen herausfordernd höher.
»Hört es denn niemals auf?«, schrie sie verzweifelt. Irgendwie mussten sie ihm doch Einhalt gebieten können.
»Wir kriegen das hin«, sagte Brin leise und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.
»Und wie? Er verfolgt uns auf Schritt und Tritt. Wir haben ja nicht einmal ein Fünkchen Privatsphäre!«
Betreten schaute der Krieger zu Boden. Täuschte sie sich oder war da wirklich ein Zucken in seinem Mundwinkel? »Ich glaube nicht, dass Cudras für das hier verantwortlich ist.« Er deutete auf das langsam erlöschende Feuer.
»Und wer dann?«
»Du.« Jetzt war da eindeutig ein Lächeln, und ein überaus selbstzufriedener Ausdruck obendrein.
»Ich?« Das war doch absurd! »Wie denn?« Cassy verstummte schlagartig und lief dunkelrot an. Sie wünschte sich, der Boden würde sich vor ihr auftun und sie verschlucken, wenn der furchtbare Verdacht, der ihr gerade kam, sich bewahrheiten sollte. Das war ja so peinlich. Hatte er sie im wahrsten Sinne des Wortes derart zum Glühen gebracht, dass sich ihre Gefühle verselbstständigt und zusammen mit ihrer neu entdeckten Gabe alles um sie herum in Brand gesetzt hatten?
Brin versuchte, sie zu sich herumzudrehen, doch sie riss sich von ihm los. Sie konnte ihm jetzt nicht ins Gesicht sehen. So hatte sie sich ihre erste Nacht mit dem unsterblichen, welterfahrenen, so unglaublich beeindruckenden Krieger ganz bestimmt nicht vorgestellt.
»Cassy?«
Sie antwortete nicht. Verzweifelt kämpfte sie um ihre Fassung, lauschte dem beruhigenden Murmeln des Baches.
Der Bach! Brin hatte diesen Ort mit Absicht gewählt. Er hatte gewusst, was passieren würde und sie nicht einmal vorgewarnt. Sie drehte sich zu ihm um und dieses Mal war es nicht die Scham, die ihre Wangen rot färbte, sondern die Wut.
»Du wusstest es!«, schleuderte sie ihm anklagend entgegen.
»Ich habe es zumindest vermutet, aber ich war nicht sicher.«
Sie schnappte empört nach Luft. »Oh, dann war das für dich nur ein Experiment?« So viel dazu, er würde sie lieben. Tränen perlten aus ihren Augen und sie wischte sie trotzig fort. Sie hatte ihm vertraut, aber er hatte sie bloßgestellt und entwürdigt.
»Natürlich nicht.« Etwas wie Hilflosigkeit machte sich auf seinem Gesicht breit. »Aber wenn wir einen Weg finden wollen, es zu verhindern, müssen wir doch wissen, was es auslöst.«
Sie spürte, wie ihr Zorn schwand, und hielt krampfhaft daran fest. Alles, was sie von der Peinlichkeit ihrer Körperreaktionen ablenkte, war gut. »Keine Angst, es wird nicht wieder vorkommen«, entgegnete sie eisig. Sie würde ihn einfach nicht mehr an sich heranlassen. Und das nicht nur, weil sie sich schämte, sich so wenig unter Kontrolle zu haben, sondern auch, weil es schlichtweg zu gefährlich war. Sie würde es nicht riskieren, ihn zu verletzen, nur weil ihre Emotionen mit ihr durchgingen.
»Wie meinst du das?« Beunruhigt trat er näher.
»So, wie ich es sagte.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Und jetzt möchte ich schlafen, es war ein verdammt harter Tag.« Wenn das mal nicht die Untertreibung des Jahrhunderts war. In den letzten Stunden war so viel passiert, sie hatte so viele Aufs und Abs erlebt, dass es für einen Monat gereicht hätte.
Er streckte seine Hand aus, als sie an ihm vorbeirauschen wollte, und die Berührung jagte einen Stromstoß durch ihren Körper. So viel dazu. Unwillig blieb sie stehen.
»Heißt das, ich darf dich nicht mehr anfassen?«, fragte er leise. »Dich nicht mehr küssen?« Er brachte sein Gesicht so nah an das ihre, dass sein warmer Atem über ihre Wange strich. Cassys Entschlossenheit geriet ins Wanken. Wenn er nur wüsste, wie verführerisch er klang. Sie schluckte. Genau das war das Problem. In seiner Nähe konnte sie sich selbst nicht trauen. Und solange sie sich hinter ihrem verletzten Stolz verstecken konnte, musste er nicht erfahren, wie viel Angst sie davor hatte, ihre Beherrschung irgendwann vollends zu verlieren. Sie konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie den Umbra vernichtet hatte, an den Vulkan, der zuvor in ihr gebrodelt hatte. Sie würde es nicht überleben, wenn sie Brin so etwas antat.
»So? Oder so?« Sie spürte seine Lippen an ihrem Hals, kleine zärtliche Küsse, die er darauf verteilte.
Ihr Herz zog sich qualvoll zusammen, als sie sich vorsichtig aus seiner Umarmung löste. »Lass es bitte.« Mit tränenverschleiertem Blick stolperte sie zum Lager zurück.
Unbeweglich wie eine Statue starrte Sofia die Rauchsäule an, die über dem heiligen Wald aufstieg. Dieser Rauch war das Einzige, was von dem Ort übrig war, an dem sie fast ihr gesamtes Leben verbracht hatte. Und von Iridia – der Frau, die ihr wie eine Mutter gewesen war.
»Es wird niemand mehr kommen.« Tiefe Trauer klang in Elodies Stimme, als sie zu dem Mädchen trat. »Wir müssen los.«
»Nein!« Trotzig schüttelte Sofia ihren Kopf. »Wir müssen nachsehen, ob sie noch leben.«
»Die Oberin hätte den Tempel nicht vernichtet, wenn sie eine andere Wahl gehabt hätte. Und ich habe selbst gesehen, wie Iridia fiel.«
»Vielleicht hast du dich getäuscht, vielleicht haben sie die Bestien in eine Falle gelockt und konnten selbst fliehen.« Sie wusste, dass sie sich gerade wie ein Kleinkind anhörte, aber es war ihr egal.
»Dann wären sie schon längst hier.«
»Ich verstehe das nicht! Warum? WARUM?!« Das letzte Wort schrie sie lauthals dem grauen Himmel entgegen.
Elodie seufzte.
Die junge Priesterin hatte ihr schon zweimal erklärt, was geschehen war, aber für Sofia ergab es noch immer keinen Sinn. Die Göttin hatte der Oberin eine Warnung geschickt – und eine Bitte. Mächtige Kreaturen hatten es auf den Tempel und die Schätze darin abgesehen. Die Oberin wollte nicht fliehen, sie wusste, dass der Feind nicht eher ruhen würde, bis er sie alle vernichtet hätte. Also entschloss sie sich zum Kampf. Nur die Novizinnen schickte sie fort, mit dem Buch, das die Göttin haben wollte. Damit sie weit genug vom Tempel entfernt waren, wenn die Feinde ihn erreichten. Tapfer stellten sich die Frauen den beiden Kreaturen in den Weg, die sie angriffen. Trotz ihrer Magie hatten sie kaum eine Chance. Die Bestien bewegten sich unglaublich schnell und mit ihren flirrenden Schwertern wehrten sie jeden Angriff ab – selbst magisches Feuer hatte ihnen nichts anhaben können. Drei Priesterinnen waren ihnen zum Opfer gefallen – darunter auch Iridia, – bevor die Oberin den übrigen befahl, sich in Sicherheit zu bringen. Sie selbst lockte die Kreaturen tiefer in den Tempel hinein und aktivierte dann den letzten Schutzzauber, der mit den Mauern selbst verwoben war und in einer gewaltigen Feuersbrunst alles dem Erdboden gleichmachte. Nur so konnte sie dafür sorgen, dass die Geheimnisse des Tempels nicht in falsche Hände gerieten und die beiden Bestien nicht noch mehr Unheil unter den Menschen anrichteten.
Sofia wusste, dass die Priesterin das einzig Richtige getan hatte, und doch war es so unnötig gewesen.
»Die Göttin hätte sie retten können«, flüsterte sie bitter. »Sie war da gewesen, ganz in der Nähe, aber sie hat nichts getan.«
Elodie machte ein schnelles Zeichen mit den Fingern, das das Böse abwehren sollte, und schaute das Mädchen tadelnd an. »Es steht dir nicht zu, über unsere Göttin zu urteilen.«
»Sie hat sie einfach sterben lassen«, beharrte Sofia stumpf. »Das blöde Buch war ihr wichtiger als die Frauen, die ihr ganzes Leben lang nur ihr gedient haben.«
»Das ist nicht wahr. Sie hat uns gewarnt. Wir hätten auch fliehen können.«
Sofia schnaubte. »Ja, sicher. Damit die Kreaturen ein Leben lang Jagd auf uns machen. Sie wusste, dass die Oberin das niemals zulassen würde.«
»Aber es war dennoch unsere Entscheidung. Außerdem weißt du genau, dass die Göttin nicht selbst in das Geschehen eingreifen darf.«
Ein Bild blitzte vor Sofias Augen auf. Der dunkle Wald, die Bluthunde und die Göttin, die einen davon mit ihrem Licht traf, bevor sie den beiden verängstigten Mädchen einen sicheren Ausweg zeigte. »Das ist nicht wahr! Sie mischt sich sehr wohl ein, wenn es ihr gerade passt. Sie hat Nanette und mich gestern gerettet!«
Elodie lächelte nachsichtig. »Wäre das nicht ein Grund, der Göttin zu danken, anstatt sie infrage zu stellen?«
»Schon möglich.« Sofia zuckte mit den Achseln. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie Liskaju jemals würde vergeben können, dass sie ihre Ziehmutter im Stich gelassen hatte.
»Können wir reden?«
Cassy seufzte. Ibertus war gerade wieder mit dem kleinen Phönix beschäftigt und Brin hatte offensichtlich beschlossen, die Gelegenheit sofort zu ergreifen. Sie konnte wohl schon dankbar dafür sein, dass er sie gestern Abend nicht direkt zur Rede gestellt hatte. Als er zum Lager zurückgekehrt war, hatte sie sich bereits in ihre Decke gewickelt und sich schlafend gestellt. Ein paar Herzschläge lang hatte er sie schweigend betrachtet und sich dann auf der anderen Seite des Feuers hingesetzt. Ein Teil von ihr war darüber erleichtert gewesen, während ein anderer sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als sich in seine Arme zu kuscheln. Nun, wo sie wusste, wie sich das anfühlte, fiel es ihr noch schwerer, darauf zu verzichten. Auch wenn es das Beste war, für sie beide.
»Worüber denn?«
Er verzog bedeutungsvoll das Gesicht und sie sah ein, dass es keine besonders intelligente Idee war, sich unwissend zu stellen. Andererseits war alles Wesentliche bereits gesagt.
»Da gibt’s nichts mehr zu besprechen.«
»Oh, das sehe ich aber anders!« Er hockte sich neben sie. »Also, gehst du jetzt ein Stück mit mir oder sollen wir das direkt hier erörtern, vor den Ohren eines ziemlich neugierigen kleinen Kobolds? Mir macht es nichts aus, aber ich dachte, dir wäre es anders vielleicht lieber.«
Cassy schnitt ihm eine Grimasse. Erpresste er sie etwa damit, alle peinlichen Details des gestrigen Tages vor Ibertus auszubreiten, wenn sie nicht mit ihm kam? Sie musste zugeben, dass die Taktik wunderbar funktionierte. Sie erhob sich murrend und schoss dem Krieger einen bösen Blick zu.
Brin lächelte bloß und nahm ihre Hand.
Es fühlte sich gut an und nach so kurzer Zeit schon erschreckend vertraut. Sehnsüchtig betrachtete sie sein Profil, während ihr Herz vor Aufregung hüpfte. Er gab nicht auf, das musste doch etwas bedeuten, oder?
Schweigend führte er sie immer weiter durch die Bäume, bis er schließlich stehen blieb und sich ihr zuwandte. Verstohlen schaute Cassy sich um. Weit und breit war kein Wasser zu sehen – er wollte also wirklich bloß reden.
»Es tut mir leid«, sagte er plötzlich.
»Was denn?«
»Dass ich dich verletzt habe. Glaub mir, ich wollte dich weder vorführen noch bloßstellen.«
»Aber genauso hat es sich angefühlt. Du hättest es mir auch einfach sagen können.«
»Es war nur eine Vermutung. Wenn ich es dir gesagt hätte, hättest du dich nicht entspannt.«
Natürlich nicht. Aber das Thema wollte sie jetzt wirklich nicht vertiefen. »Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen?«
»Bei dem Kampf gegen den Umbra habe ich gesehen, wie eng deine Gefühle mit deiner Magie verknüpft sind. Außerdem gab es keine natürliche Ursache für den Brand.«
»Und was ist mit Cudras?«
»Etwas so Kleines, Harmloses ist nicht sein Stil.«
»Harmlos?«, entfuhr es ihr fassungslos. Die Brandblasen auf seiner Haut waren zwar mittlerweile verheilt, aber sie waren unverkennbar gewesen.
»Ein geringer Preis dafür, dass ich dich in meinen Armen halten kann«, entgegnete Brin, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er zog sie an sich, doch sie riss sich entschlossen los.
»Das finde ich nicht! Du bist verletzt worden und es hätte noch schlimmer ausgehen können.«
»Und was jetzt?«
»Keine Ahnung.« Sie zuckte unglücklich mit den Schultern. »Ich schätze, wir müssen Abstand halten.«
»Da weiß ich was Besseres.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie sanft auf den Mund. Cassy spürte, wie ihre Knie weich wurden und ihr Widerstand dahinschmolz. Ein warmes Kribbeln breitete sich in ihrem Körper aus und brachte ihre Alarmglocken unverzüglich zum Klingeln.
»Nein!« Sie schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. »Ich kann das einfach nicht.«
Frustriert ließ er die Arme sinken. »Wir schaffen das«, machte er noch einen Versuch.
»Wie denn?«
»Übung macht den Meister?«
»Sicher. Und bis dahin hüllen wir uns einfach in feuerfeste Kleidung. Sehr romantisch.«
»Hast du eine bessere Idee?«
Nein, hatte sie nicht. Aber sie hatte schließlich auch noch nie das Problem gehabt, dass sie alles um sich herum in Brand setzte, bloß, weil sie mit einem Mann schlafen wollte. Sie hatte gehofft, es würde endlich einfacher werden, wenn sie ihre Gabe wiederfand, aber stattdessen machte sie alles nur noch komplizierter. Selbst die normalste Sache der Welt war ihr plötzlich verwehrt.
»Wie seid Cassia und du damit umgegangen?« Sie hasste die Bilder, die dabei in ihrem Kopf erschienen, doch sie konnte sich kaum vormachen, dass ihre Beziehung rein platonisch gewesen war. Und vielleicht hatte Cassia ja irgendeinen hilfreichen Trick auf Lager. Immerhin war es ihre Magie, die sie in sich trug.
»Ähm.« Er verstummte. »Wir hatten dieses Problem nie gehabt.«
Na super! Also lag es wirklich an ihr.
Er streckte seine Hand aus und streichelte sanft ihre Wange. Cassys ganzer Körper versteifte sich.
»Ich will nicht, dass du Angst vor mir hast«, sagte er und ergriff vorsichtig ihre Finger. »Ist das in Ordnung für dich?«
Cassy nickte. Es fühlte sich gut an, liebevoll, zärtlich.
»Und das?« Er drückte sie an sich und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie spürte seinen Körper an dem ihren, roch seinen männlich herben Duft. Sie atmete ein paarmal tief durch, bevor sie einen zustimmenden Laut von sich gab.
»Und das?« Er rückte ein wenig von ihr ab, um sie zu küssen.
Ich kriege das hin, ich kriege das hin, hämmerte es entschlossen in ihrem Kopf.
»Du bist nicht bei der Sache«, stellte er enttäuscht fest.
»Ich kann das einfach nicht.«
»Ich verstehe.« Er wirkte so ernüchtert und verstimmt, dass sie Angst bekam. Sollte es das jetzt gewesen sein? Würde er einen Schlussstrich unter das ziehen, was auch immer sich gerade zwischen ihnen anbahnte? Sie sah, wie es hinter seiner Stirn ratterte, und wünschte, sie könnte irgendetwas tun, um das Unheil abzuwenden.
Als er den Mund aufmachte, rechnete sie so fest damit, die Worte »Na, dann eben nicht« zu hören, dass sie einen Moment brauchte, um zu verstehen, was er wirklich sagte.
»Wir sollten die Göttin um Rat fragen.«
»Was?«, entfuhr es ihr entgeistert.
»Ich weiß, du traust ihr nicht besonders, aber es wäre einen Versuch wert.«
Der Vorschlag war so naheliegend, dass sie sich fragte, wieso er ihn nicht schon viel früher gemacht hatte. Gleichzeitig sperrte sie sich dagegen. Sie war nie besonders religiös gewesen, aber hin und wieder hatte sie ihre Sorgen im Gebet doch einer höheren Macht anvertraut. Aber es war eine Sache, in der Stille ihres Zimmers einen unsichtbaren, weit entfernten, eventuell nicht einmal vorhandenen Gott um Hilfe zu bitten, und eine ganz andere, von Angesicht zu Angesicht einer völlig fremden – wenn auch mächtigen – Frau intime Details von sich preiszugeben.
Er bemerkte ihr Zögern und konnte seinen Frust nicht länger zurückhalten. »Du willst nicht selbst an einer Lösung arbeiten, du willst nicht um Hilfe bitten.« Er fuhr sich aufgebracht durch die Haare. »Was bin ich doch nur für ein Narr! Offensichtlich versuche ich, dich hier bloß zu etwas zu drängen, was du gar nicht möchtest. Es tut mir leid! Es wird nicht wieder vorkommen.« Er drehte sich auf dem Absatz um.
»Nein, warte! So ist das nicht!«, rief sie ihm erschrocken hinterher. Er blieb stehen und sie rannte erleichtert zu ihm. »Ich will dich und alles, was dazugehört. Ich will abends mit dir einschlafen und morgens neben dir aufwachen, und zwischendrin auch mal ein paar Stunden wach bleiben.«
Seine Mundwinkel zuckten. Ermutigt sprach sie weiter. »Aber kannst du dir vorstellen, wie erschreckend und wie peinlich das Ganze für mich ist?«
Er schloss sie wieder in seine Arme. »Erschreckend – ja. Peinlich – nein. Es gibt nichts, dessen du dich schämen müsstest. Erst gestern hast du unbeschadet die Begegnung mit einem Phönix überstanden, hast dich den Abgründen deiner Seele gestellt und eine ungeheuer machtvolle Kraft in dir entdeckt. Da grenzt es an ein Wunder, dass du überhaupt noch aufrecht stehen und denken und handeln kannst, aber nicht, dass du durcheinander bist. Jemand, der weniger stark ist, wäre daran zugrunde gegangen.«
Dankbar lächelte sie ihn an und legte ihre Wange an seine Brust. Seine Worte waren Balsam für ihr Herz und ihr angegriffenes Selbstwertgefühl.
»Könntest du vielleicht trotzdem selbst mit deiner Göttin sprechen?« Irgendwie fühlte es sich nicht ganz so schlimm an, wenn sie ihr Problem nicht selber beichten musste.
»Sicher, wenn es das ist, was du willst.«
»Ja.« Sie reckte ihren Kopf und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Und bis dahin könntest du mich vielleicht einfach noch ein bisschen länger festhalten.«
»So lange du willst, mein Herz.«