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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2015 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „A Bride for the Italian Boss“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 012017 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: SAS

Abbildungen: Svyatoslava Vladzimirska / 123RF, czekma13 / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733707187

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Italien musste das schönste Land der Welt sein.

Fasziniert betrachtete Daniella Tate die mit Kopfstein gepflasterte Straße in Florenz. Über der Stadt strahlte ein azurblauer Himmel. Daniella war mit dem Zug gekommen, aber jetzt musste sie in den Bus umsteigen, um nach Monte Calanetti zu gelangen.

Sie kaufte die Fahrkarte und setzte sich zum Warten auf eine der Holzbänke. Ihr fiel die silberblonde Frau auf, die auf der übernächsten Bank saß und mit leerem Blick vor sich hin starrte. Die schlanke Frau wirkte verloren, und Daniella fühlte mit ihr. Als Pflegekind aufgewachsen, wusste sie genau, wie es war, wenn man allein war und sich einsam, verängstigt oder sogar verwirrt fühlte. Emotionen, die sie auch in den blauen Augen der Frau erkannte.

Die Stimme aus den Lautsprechern kündigte den nächsten Bus an. Eine ältere Dame, die neben der blonden Frau gesessen hatte, stand auf und griff nach der Reisetasche zu ihren Füßen. Die Blonde erhob sich ebenfalls.

„Entschuldigen Sie, aber das ist meine Tasche.“

Die ältere Frau hob zu einem verärgerten Wortschwall in Italienisch an. Die Jüngere sagte in Englisch mit amerikanischem Akzent: „Tut mir leid, aber ich verstehe kein einziges Wort von dem, was Sie da sagen.“

Die Ältere jedoch drückte die Reisetasche fest an die Brust und erklärte der anderen unmissverständlich, dass dies ihre Tasche sei.

Daniella sprang auf und eilte zu den beiden. „Ich spreche Italienisch“, sagte sie zu der Amerikanerin. „Vielleicht kann ich helfen.“ Dann wandte sie sich an die ältere Frau und fragte sie in perfektem Italienisch, ob sie sicher sei, dass die Reisetasche ihr gehöre, denn da stehe noch eine ganz ähnliche auf ihrer anderen Seite.

Verdutzt drehte die ältere Frau den Kopf und lief vor Verlegenheit rot an. Mit überschwänglichen Entschuldigungen reichte sie der Amerikanerin die Tasche zurück, griff sich die andere und beeilte sich, in ihren Bus zu steigen.

Mit einem erleichterten Seufzer lächelte die hübsche Amerikanerin Daniella an. „Vielen Dank.“

„Keine Ursache. Als Sie auf Englisch geantwortet haben, war unschwer zu erraten, dass Sie die Landessprache nicht beherrschen. Warten Sie hier auf einen Bekannten, der Sie abholt?“

„Nein.“

Dani zog eine Grimasse. „Dann haben Sie hoffentlich ein gutes Englisch-Italienisch Wörterbuch dabei.“

Die Amerikanerin zeigte auf die Kopfhörer, die um ihren Hals hingen. „Ein Sprachkurs. In fünf Wochen soll man angeblich fließend Italienisch sprechen.“

„Das könnten lange fünf Wochen werden“, erwiderte Dani mit einem freundlichen Lachen. Sie reichte der anderen die Hand. „Ich heiße übrigens Daniella.“

Die hübsche Amerikanerin zögerte einen Moment, schüttelte dann aber Danis Hand. „Louisa“, stellte sie sich vor.

„Ich bin zum ersten Mal in Italien. Bisher habe ich in Rom Englisch unterrichtet, aber meine Pflegemutter stammt aus der Toskana. Darum will ich die letzten Wochen meines Aufenthalts nutzen, um mir ihre Heimat anzusehen.“

„Ihre Pflegemutter?“

Innerlich krümmte sich Dani leicht. „Tut mir leid, ich bin mal wieder viel zu freimütig.“

Louisa lächelte.

„Das kommt von der Aufregung, in Italien zu sein. Ich habe mir schon so lange gewünscht, Land und Leute kennenzulernen.“ Sie erwähnte allerdings nicht, dass ihr langjähriger Freund ihr am Tag vor ihrer Abreise nach Rom einen Heiratsantrag gemacht hatte. Das war wohl wirklich zu privat. Was sie von diesem Antrag halten sollte, wusste Dani bis heute nicht genau. Hatte Paul sie nur gefragt, um sie an sich zu binden? Oder war ihre Beziehung tatsächlich an den Punkt gekommen, wo eine Heirat der nächste Schritt war? War die Ehe überhaupt das Richtige für sie?

Viel zu viele Fragen. Also hatte sie sich Bedenkzeit ausgebeten und ihm gesagt, sie würde ihm nach ihrer Rückkehr aus Italien antworten. Die Wochen im Februar hätten ein entspannter Urlaub werden sollen, bevor sie nach New York zurückkehrte und dort ihre Lehrerlaufbahn begann. Paul hatte diesen Plan durchkreuzt. Eigentlich hätte sie den Antrag begeistert annehmen müssen, stattdessen war ihr leicht mulmig geworden. Es war wohl das Beste, wenn sie es vorerst zur Seite schob und später darüber nachdachte, wenn die Zeit gekommen war.

Nächsten Monat.

„Ich habe meinen Aufenthalt verlängert, um das Dorf zu besuchen, aus dem meine Pflegemutter stammt. Ich hoffe, ich lerne ihre Familie kennen.“

Louisa lachte. „Das könnte lustig werden.“

Es freute Daniella, dass Louisa so viel Verständnis zeigte. Sie schienen etwas gemeinsam zu haben. „Dann sind Sie auch Touristin?“

„Nein.“

„Entschuldigen Sie, ich wollte nicht neugierig sein.“

Louisa seufzte. „Schon in Ordnung, ich bin einfach nur nervös. Aber Sie haben mir geholfen, und ich sollte nicht so unfreundlich sein. Auf jeden Fall … ich bin unterwegs nach Monte Calanetti.“

Überrascht riss Dani die Augen auf. „Ich auch!“

Die Ansage, dass der Bus mit genau diesem Ziel jetzt in den Busbahnhof einfuhr, unterbrach ihr Gespräch. Daniella wählte einen Platz genau in der Mitte, überzeugt, dass sie von hier aus während der Fahrt am meisten sehen konnte.

Zu ihrer Überraschung fragte Louisa: „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“

„Nein, ganz im Gegenteil.“

Wieder fiel ihr auf, dass Louisa stets zögerte – bei allem, was sie tat. Irgendwie schien auch bei allem, was sie sagte, das Ende offen zu bleiben.

„Sie bleiben also noch ein paar Wochen, bevor Sie wieder nach Hause zurückfliegen?“

„Ja, den ganzen Februar.“ Daniella holte tief Luft. „Und ich bin fest entschlossen, jede Minute zu genießen. Allerdings werde ich Arbeit finden müssen. Vielleicht als Kellnerin oder Verkäuferin, so etwas in der Art. Das Leben in New York ist teuer, und das Geld, das ich in Rom verdient habe, werde ich brauchen, wenn ich zurückkomme. Daher muss ich mir mein Urlaubsgeld vor Ort verdienen.“

„Guter Plan.“

Der Bus fuhr an. Dani setzte sich gerade auf, damit ihr nichts entging, und Louisa lachte. „Ihre Pflegemutter hätte die Reise mit Ihnen zusammen machen sollen.“

Danis Herz zog sich zusammen. Zwischendurch hatte sie gedacht, sie wäre langsam über den Verlust hinweg, doch dann erinnerte sie wieder etwas daran, dass die liebevolle Frau, die so viel Gutes für sie getan hatte, nicht mehr lebte. Sie schluckte. „Sie ist vor einigen Monaten gestorben. In ihrem Testament hat sie mir das Geld für ein Ticket nach Italien hinterlassen.“

Mitgefühl zog in Louisas Züge. „Mein herzlichstes Beileid. Das war gedankenlos von mir.“

Daniella schüttelte den Kopf. „Sie konnten es ja nicht wissen.“

Louisa musterte sie. „Sie haben also keinen konkreten Plan? Und wissen noch nicht, wo Sie Arbeit finden werden?“

„Nein, ich lasse alles auf mich zukommen. Natürlich habe ich mich vorher über Rosas Familie informiert, und die Sprache spreche ich auch. Also dürfte es nicht allzu schwierig werden.“

„Auf jeden Fall werden Sie weniger Probleme haben als ich, da ich kein Italienisch spreche.“ Louisa hielt ihren Discman hoch und lachte. „Erst in fünf Wochen.“

Während der Bus sich durch die Straßen wand, warf Dani einen letzten Blick auf Florenz. „Ist dieses Land nicht einfach himmlisch? Selbst im Winter mit den kahlen Bäumen wirkt es noch idyllisch.“

„Ja.“ Louisa kaute an ihrer Lippe. „Ich habe auch etwas geerbt“, gestand sie dann zögernd. „Eine Villa.“

„Oh, Gott, eine Villa!“

Louisa wandte den Blick ab. „Ich weiß, schon toll, nicht wahr? Das Haus heißt Palazzo di Comparino.“

„Haben Sie ein Foto?“

„Ja.“ Louisa holte ein Foto aus ihrer Handtasche. Es zeigte ein großes Herrenhaus. Im Hintergrund wuchsen endlose Reihen grüner Rebstöcke unter blauem Himmel.

„Das ist wunderschön“, hauchte Dani ehrfürchtig.

„Bisher habe ich noch nichts in Italien gesehen, was nicht wunderschön wäre. Ich muss zugeben, dass ich ziemlich aufgeregt bin.“

„Ich wäre mehr als nur aufgeregt!“

„Man hat mir erzählt, dass der Ort Monte Calanetti um den Palazzo herumgewachsen ist, wegen der Weinberge, die zu der Villa gehören, die ich geerbt habe. Man brauchte viele Helfer für die Lese und die Weinproduktion. Und so sind die Familien geblieben. Tja, und ich besitze auf einmal ein Weingut und verstehe überhaupt nichts davon.“

„Heute kann man doch alles aus dem Internet erfahren“, beruhigte Daniella sie.

Louisa holte tief Luft. „Das hoffe ich.“

Aufmunternd legte Daniella eine Hand auf Louisas. „Sie schaffen das schon.“

Louisa lächelte wieder so geheimnisvoll. Daniella ahnte, dass sie sich wünschte, glücklich zu sein, sich aber nicht richtig traute.

„Wissen Sie, ich könnte Hilfe gebrauchen, wenn ich dort bin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so einfach in die Villa einziehen kann, ohne dass man mir nicht tausend Fragen stellt. Und da ich kein Italienisch spreche, könnte es kompliziert werden.“

„Vor allem, wenn der Sheriff aufläuft.“

Louisa lachte. „Ich glaube nicht, dass sie hier Sheriffs haben. Die Urkunde, die ich habe, ist in Englisch verfasst. Wenn ich sie den italienischen Behörden vorlege, verursacht das möglicherweise ein Chaos. Wenn Sie möchten, können Sie gern für eine Weile bei mir unterkommen … warum nicht für die ganzen vier Wochen, in denen Sie die Familie Ihrer Pflegemutter kennenlernen? Sie könnten für mich übersetzen. Was halten Sie davon?“

Daniella war überwältigt von so viel Großzügigkeit. „Das wäre fantastisch. Aber ich möchte Ihnen nicht lästig fallen.“

„Sie werden sich Ihre Unterkunft schon verdienen, wenn die ersten Fragen auftauchen und man meine Papiere prüft.“

Daniella strahlte. „Man stelle sich vor … ich logiere in einer Villa!“

Louisa lachte. „Ja, und ich besitze eine Villa.“

„Das Übersetzen übernehme ich gern für Sie, solange ich bleibe.“

„Danke.“

Die Frauen unterhielten sich angeregt und gingen schon bald zum freundschaftlichen Du über, während sie Meile um Meile durch grüne Hügel fuhren. Bis der Bus in ein von einer alten Stadtmauer umschlossenes Städtchen einbog. Rumpelnd fuhr er über das Kopfsteinpflaster, vorbei an alten Ziegelsteinhäusern mit wunderbar erhaltenen Stuckarbeiten und über den Marktplatz. Plötzlich erblickte Dani ein altes hölzernes Hinweisschild zum Palazzo di Comparino und fasste nach Louisas Arm.

„Da! Sieh nur!“

„Ach du meine Güte!“ Louisa sprang auf. „Anhalten!“

Dani stand ebenfalls auf und bat den Busfahrer anzuhalten. Hastig klaubten sie ihr Gepäck zusammen und stiegen aus. Seite an Seite durchquerten sie kleine Gassen und Gässchen und standen schon bald vor der alten Villa aus hellbraunen Backsteinen.

„Du lieber Himmel“, wisperte Louisa ehrfürchtig.

Dani befeuchtete sich die trockenen Lippen. „Das ist ja riesengroß.“

Das Haupthaus war mehrere Stockwerke hoch, lang und breit erstreckte es sich über das Grundstück. Da drinnen schlief man bestimmt in Suiten statt in schlichten Schlafzimmern.

Sie gingen über den mit Naturstein gepflasterten Weg bis zur Eingangstür. Louisa holte einen großen Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss auf. Der muffige Geruch eines Hauses, das jahrelang unbewohnt und verschlossen gewesen war, schlug ihnen entgegen. Der Kristalllüster in dem mit Marmor verkleideten Foyer hing voller Spinnweben, die Gemälde entlang der breiten Treppe waren völlig verstaubt.

Daniella wagte einen Schritt ins Haus. „Ist deine Familie adelig?“

Louisa sah sich um. „Nicht dass ich wüsste.“ Sie trat nach rechts in den Salon. Auch hier lag der Staub fingerdick auf allem. Zusammen gingen die beiden Frauen weiter auf Entdeckungstour. Das anschließende Zimmer musste einst eine Bücherei oder ein Arbeitszimmer gewesen sein, daran schloss sich der Speisesaal.

Stockflecken an der Decke zeugten von einem Rohrbruch im ersten Stock, vielleicht leckte sogar das Dach. Die Küche war uralt und musste dringend renoviert werden, genau wie die Bäder im Parterre und im ersten Stock.

Weiter als bis in den ersten Stock waren sie nicht gekommen, als Louisa sich mit Tränen in den Augen zu Daniella umdrehte. „Es tut mir so leid. Ich ahnte ja nicht, in was für einem Zustand das Haus ist. Ich habe vollstes Verständnis, wenn du lieber in einem Hotel unterkommen möchtest …“

„Aber nein!“ Daniella betrat ein unglaublich verstaubtes Schlafzimmer und drehte sich um die eigene Achse. „Ich liebe es! Mit Putzeimer und Staubtuch und Scheuermittel fürs Bad ist das hier der perfekte Raum.“

Unsicher sah Louisa sich in dem Zimmer um. „Du bist wirklich eine Optimistin.“

Dani lachte. „Ich fürchte zwar auch, dass du baldmöglichst die Handwerker kommen lassen musst. Aber unsere Räume und die Küche können wir auf jeden Fall schon mal auf Vordermann bringen.“

Raffaele Mancini starrte Gino Scarpetti, einen großen dünnen Mann, der als Maître d’hôtel im Mancini’s arbeitete, fassungslos an. Das Sterne-Restaurant lag mitten im Herzen der Weinberge. Mit viel Naturstein und Massivholz liebevoll restauriert, verströmte das alte Bauernhaus den Charme der Alten Welt. Die große Auswahl erlesener Weine bezeugte den weithin berühmten Weinkeller des Hauses.

Gino riss sich das Namensschild von seinem blütenweißen Hemd. „Sie, Signor, müssen jetzt zusehen, wie Sie ohne Oberkellner zurechtkommen.“

Im Restaurant wurde es totenstill. Kein Besteckklappern mehr, kein Klingen von Kristallgläsern. Gino drückte Rafe das Namensschild in die Hand, und bevor Rafe auch nur ein Wort sagen konnte, marschierte der Mann zur Tür hinaus.

Ein einzelnes Klatschen ertönte. Dann brach Gelächter aus, und innerhalb von Sekunden applaudierte das ganze Restaurant.

Sie genossen sein Elend auch noch!

Frustriert warf Rafe die Hände in die Luft und verschwand in der ultramodernen Küche, nicht ohne vorher noch die Kommentare seiner Gäste über sein aufbrausendes Temperament und seine Unfähigkeit, gutes Personal zu halten, zu hören.

„Du!“ Er zeigte auf einen schmalen Jungen, der vor einer Woche seine Lehrstelle im Mancini’s angetreten hatte. „Zieh den Kittel aus und stell dich an den Empfang. Du wirst die Gäste zu den Tischen führen.“

Der Junge riss entsetzt die Augen auf. „Aber ich …“

Rafe hob eine Augenbraue. „Wenn du natürlich nicht willst …“ Mehr brauchte er nicht zu sagen. In seiner Küche musste er niemanden daran erinnern, wer der Chef war.

Nur … da draußen im Speisesaal lachten sie über ihn!

Der Junge warf seinen Kittel in die Wäschetonne. In der Küche setzte das geschäftige Klappern wieder ein, und Rafe schloss kurz die Augen. Nicht nur gab es endlose Probleme mit seinem Restaurant, jetzt hatten die Gäste auch noch den Respekt vor ihm verloren.

„Du hättest Gino nicht feuern sollen“, sagte Emory Danoto. Klein und rundlich und ein nahezu ebenso talentierter Koch wie Rafe, war Emory nicht nur der Souschef, sondern auch Rafes Mentor.

Rafe kontrollierte die Vorbereitungen und tat, als ginge es ihm bestens. Verdammt, mir geht es bestens! Er sah sich um. Er wollte keine verschreckten Kaninchen als Angestellte, nicht einmal außerhalb seiner Küche. Und die Reaktion seiner Gäste? Ein dummer Zufall. Irgendjemand da draußen an den Tischen fand es wohl unterhaltsam, wenn ein weltbekannter Chefkoch sich mit Inkompetenz herumschlagen musste.

„Ich habe Gino nicht gefeuert. Er hat gekündigt.“

„Du hast ihn angebrüllt.“

„Ich brülle jeden an!“, donnerte Rafe. „Ich bin der Chefkoch! Ich bin Mancini’s!“

„Natürlich. Und jeder muss deinen Befehlen gehorchen.“

„Stell mich hier nicht als Primadonna hin. Ich tue nur, was das Beste für das Restaurant ist.“

„Nun, Mr. Ich-tue-was-das-Beste-für-das-Restaurant-ist, hast du vergessen, dass uns ein Besuch von Michelin bevorsteht?“

„Gerüchte.“

Emory schnaubte. „Wann hätten wir jemals ein Gerücht ignoriert, wenn es um Michelin geht? Deine Sterne stehen auf dem Spiel. Du predigst doch immer, Chefköche, die solche Gerüchte ignorieren, erwischt es eiskalt. Wenn wir die Sterne behalten wollen, sollten wir auf alles vorbereitet sein.“

Emory hatte recht und erinnerte ihn nur an etwas, das er selbst wusste. Da er das Restaurant auf dem Land etabliert hatte, gab es keine Laufkundschaft. Er brauchte auch keine Laufkundschaft, aber er war auf Empfehlungen und Mundpropaganda angewiesen. Er konnte es sich nicht leisten, Sterne zu verlieren.

Der Lunch war vorbei, das Haus füllte sich fürs Dinner. Zum Nachdenken blieb Rafe keine Zeit. Als schließlich auch die letzten Gäste gegangen waren, die Küche wieder blitzsauber blinkte und das Personal zu Hause den wohlverdienten Feierabend genoss, setzte Rafe sich mit einer Flasche Whisky und einem Glas an die Theke.

Als er die Tür hörte, brüllte er sofort: „Wir haben geschlossen!“ Und schnitt ebenso schnell eine Grimasse. Bin ich denn wirklich so erpicht auf den Ruf als tobsüchtiger Griesgram?

„Nur gut, dass ich kein zahlender Kunde bin, was?“

Rafe drehte sich zur Tür und sah seinen Freund Nico Amatucci eintreten.

Der große dunkelhaarige Nico deutete auf die Whiskyflasche, während er sich auf den Barhocker neben Rafe setzte. „Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb du allein trinkst?“

Rafe ging hinter die Bar, um ein Glas für seinen Freund zu holen. „Ich trinke ja gar nicht allein.“ Er schenkte Nico großzügig ein. „Mein Maître d’hôtel hat gekündigt.“

Nico prostete ihm zu. „Wundert dich das?“

„Ich bin Künstler!“

„Du bist unerträglich.“

„Das auch.“ Rafe seufzte. „Ich will doch einfach nur, dass alles perfekt läuft. Gleich morgen lasse ich durchsickern, dass ich jemanden suche. Man wird mich belagern. Kein Problem.“ So lässig er das auch sagte, er wusste genau, dass es nicht einfach werden würde. „Oh, Mann, ich habe keine zwei Wochen Zeit, um auf Bewerbungen zu warten, und für Einstellungsgespräche habe ich auch keine Zeit. Ich brauche morgen jemanden.“

Nico trank einen Schluck. „Dann, mein Freund, hast du wohl doch ein Problem.“

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen stöberten Daniella und Louisa eine Dose mit Tee auf und fanden sogar einige Pfannkuchen in der Gefriertruhe. „Da haben wir ja Glück, dass sie den Strom nicht abgeschaltet haben“, meinte Louisa erleichtert.

„Mit Glück hat das nichts zu tun. Ein Generator sorgt für den Strom, damit die Leitungen im Winter nicht einfrieren.“

Erschreckt fuhren die Frauen herum, als sie die männliche Stimme hinter sich hörten.

Ein attraktiver dunkelhaariger Mann stand mit gerunzelter Stirn in der Küchentür. Er schien Italiener zu sein, sprach aber perfektes Englisch. „Frühstücken Sie noch zu Ende, aber dann muss ich Sie auffordern zu gehen. Das hier ist Privatbesitz.“

Louisa hob ihr Kinn. „Das weiß ich. Ich bin Louisa Harrison, ich habe die Villa geerbt.“

Der Mann kniff die Augen zusammen. „Können Sie das beweisen?“

„Natürlich. Mit den Dokumenten meines Anwalts.“ Sie reckte die Schultern. „Die Frage ist allerdings … wer sind Sie?“

„Nico Amatucci.“ Er zeigte hinter sich. „Ich wohne nebenan. Und ich halte ein Auge auf das Haus hier.“ Er lächelte schmal. „Diese Dokumente würde ich gern sehen. Oder …“, er zog sein Smartphone aus der Tasche, „… soll ich die Polizei verständigen?“

„Das wird nicht nötig sein.“ Louisa ging zu ihrer Tasche, und Daniella, die sich nicht in das Gespräch einmischen wollte, beschäftigte sich angelegentlich damit, Tee zu kochen.

„Und Sie sind?“

„Eine Freundin von Louisa.“

Er schnaubte nur abfällig. Doch da kam Louisa auch schon mit dem Dokument vom Anwalt zurück. Als Nico danach griff, zog sie es zurück. „Nicht so schnell. Ich hätte gern den Schlüssel, den Sie benutzt haben.“

Er hielt ihren Blick fest. „Sobald ich mich versichert habe.“ Sein Lächeln hätte einen See überfrieren lassen können. „Seit Jahren steht das Haus leer, und plötzlich tauchen Sie hier auf.“

„Mit einem Schreiben meines Anwalts.“ Sie reichte Nico das Papier.

Er überflog die Zeilen, sah dann Louisa an. „Willkommen im Palazzo di Comparino.“

Über der Teekanne stieß Daniella die Luft aus, die sie angehalten hatte.

Louisa ließ ihr Gegenüber nicht aus den Augen. „Was denn, einfach so? Das Schreiben könnte doch auch eine Fälschung sein.“

Er reichte ihr das Dokument zurück. „Erstens kenne ich den Anwalt, der sich um die Belange des Anwesens kümmert, und zweitens werden hier Details erwähnt, die kein Außenstehender wissen kann.“ Anstandslos überreichte er ihr den Schlüssel. „Da das Haus so lange leer gestanden hat, ist einiges an Reparaturen angefallen. Sollten Sie Hilfe benötigen …“

Louisa steckte das Papier zurück in ihre Jeanstasche. „Ich komme zurecht.“

Nico kniff abschätzend die Augen zusammen. Drückendes Schweigen legte sich über die Küche.

Als der Wasserkessel pfiff, zuckte Daniella zusammen. „Möchte jemand eine Tasse Tee?“ Am liebsten hätte sie sich getreten. Das lag nur an den guten Manieren, die ihre Pflegemutter ihr eingebläut hatte!

„Ja, gern“, sagte Nico, ohne Louisa aus den Augen zu lassen.

„Später vielleicht“, lehnte Louisa ab und verließ die Küche.

„Na, die ist ja freundlich“, schnaubte Nico, und Dani nahm sich zusammen, um ihm nicht deutlich zu zeigen, wie unmöglich er sich benommen hatte. Das ging sie alles nichts an.

„Kennen Sie Miss Harrison schon lange?“

„Wir haben uns gerade erst getroffen. Ich habe ihr mit meinen Italienischkenntnissen ausgeholfen, und wir haben zufällig denselben Bus hierher genommen.“

„Da haben Sie also das große Los gezogen und direkt eine Gratisherberge für sich gefunden, was?“

Der Typ ist ja unerträglich! „Ich nutze sie ganz bestimmt nicht aus, wenn Sie das andeuten wollen! Ich habe gerade meine Vertretungszeit als Englischlehrerin in Rom beendet, und Louisa braucht einen Dolmetscher.“ Sie richtete sich kerzengerade auf. „Gleich heute werde ich mich nach einem Job umsehen, mit dem ich meinen Aufenthalt hier finanzieren kann.“

Er nahm seine Teetasse in Empfang. „Was für einen Job suchen Sie denn?“

Sein freundlicher Ton nahm ihr den Wind aus den Segeln. „Irgendetwas, ganz gleich, was. Es ist ja nur befristet.“

„Würden Sie auch als Restaurantleitung arbeiten?“

„Sicher, warum nicht“, erwiderte Dani verständnislos.

„Ein Freund von mir braucht dringend eine Vertretung für seinen Maître d’hôtel, der gekündigt hat, bis er eine feste Kraft für die Position findet.“

Ihre Meinung über diesen mysteriösen Mann besserte sich minimal. Vielleicht war er doch nicht ganz so unerträglich. „Klingt gut.“

Er schrieb die Adresse auf seine Visitenkarte. „Rufen Sie nicht vorher an, sondern gehen Sie einfach hin. Sagen Sie, dass Nico Sie schickt, und legen Sie die Karte vor.“ Er stellte die Teetasse ab, sagte: „Richten Sie Miss Harrison bitte meinen Gruß aus“, und damit ging er.

Daniella musterte die Visitenkarte in ihrer Hand. Seltsam. Da half der Typ ihr so selbstverständlich, aber mit Louisa kam er offensichtlich nicht zurecht. Mit der Zeit würde sich das hoffentlich ändern. Schließlich waren sie Nachbarn.

Aufgeregt, weil sie einen Job in Aussicht hatte, machte sich Dani auf die Suche nach Louisa und fand sie in ihrem Zimmer. Gestern Abend noch hatten sie zusammen zwei der Räume geputzt. Jetzt mühte Louisa sich ab, alle weißen Tücher und Laken, die sie dabei von Möbeln gezogen hatten, zusammenzutragen. „Ich habe Waschmaschine und Trockner entdeckt, und ich musste einfach etwas tun. Überall dieser Staub!“ Deprimiert ließ sie sich auf die Bettkante sinken. „Und erst die Stockflecken! Das heißt, die Rohre müssen repariert werden, vielleicht sogar das Dach.“ Sie sah Daniella bedrückt an. „Wie soll ich das nur alles schaffen?“

Dani setzte sich zu ihr. „Wir werden Schritt für Schritt vorgehen.“ Nicos Visitenkarte ließ sie vorerst in ihrer Tasche. „Heute schrubben wir erst einmal die Küche, und dann nehmen wir uns ein Zimmer nach dem anderen vor.“

„Und was machen wir mit dem Dach?“

„Beten, dass es nicht regnet.“

Louisa lachte traurig. „Ich meinte das ernst.“

„Vielleicht habe ich einen Job in einem Restaurant.“

„Wirklich?“

„Ja. Nico kennt jemanden, der dringend einen leitenden Oberkellner sucht.“

„Oh!“

Daniella ignorierte den abfälligen Ton. „Am schnellsten findet man eben etwas heraus, wenn man mit den Anwohnern plaudert.“

Lächelnd schüttelte Louisa den Kopf. „Wenn jemand über Plaudern einen guten Job finden kann, dann du.“

„Und darum werde ich auch eine gute Restaurantleitung sein.“ Sie holte die Karte aus der Hose und las die Adresse mit gerunzelter Stirn. „Lass uns hoffen, dass in einer der vielen Garagen ein fahrbarer Wagen steht.“

Rafe stand hinter dem Empfang im Mancini’s und hätte am liebsten alles hingeworfen. Zu seiner Linken versuchten zwei amerikanische Paare in gebrochenem Italienisch eine Reservierung für heute Abend vorzunehmen, direkt vor ihm stand ein Geschäftsmann und verlangte, sofort zu einem Tisch geführt zu werden, da er es eilig habe, und zu seiner Rechten knutschte ein Pärchen. Hinter ihm murrte ein ganzer Saal voll ungeduldiger Gäste, während er sich abmühte, das System für die Sitzordnung auf dem Computer auszuknobeln.

Warum kennt sich niemand in meinem Restaurant mit dieser Software aus?

„Nur Geduld!“, sagte er laut, drückte einen Knopf – und der Bildschirm wurde schwarz.

Rafe fluchte, und prompt hörte er wieder einige Gäste lachen. Warum schien es die Leute zu amüsieren, wenn er Probleme hatte? Seine Gäste, die Menschen, die er liebte, für die er sich so anstrengte … wie konnten sie über ihn lachen?

Er versuchte, den Computer hochzufahren. Fehlanzeige.

„Entschuldigung … Entschuldigung …“

Rafe sah auf. Eine Amerikanerin, die offensichtlich vergessen hatte, dass sie in Italien war, bahnte sich einen Weg durch die Wartenden. Blonder Bob, blaue Augen, unter dem offenen schwarzen Mantel Jeans und hellblauer Pullover. Entschieden kam sie hinter den Empfang, ohne Rafe überhaupt anzusehen, und richtete sich sofort an die wartende Menge … in perfektem Italienisch.

„Entschuldigen Sie, meine Herrschaften, aber ich versichere Ihnen, in einer Minute wird jeder von Ihnen an seinen Tisch geführt.“

Ganz schön keck, die Kleine.

Jetzt endlich wandte sie sich zu ihm um und sah ihm direkt in die Augen. Sie hatte wirklich schöne Augen, von einem intensiven Blau, das vor Begeisterung leuchtete. Nicht nur strotzte ihr Blick vor Selbstbewusstsein und Souveränität, überraschenderweise setzte sein Herz auch tatsächlich einen Schlag lang aus.

Lächelnd streckte sie ihm die Hand hin. „Daniella Tate. Ihr Freund Nico schickt mich.“ Als er keine Regung zeigte, reichte sie ihm die Visitenkarte. „Hier, sehen Sie.“

Rafe starrte auf Nicos Visitenkarte. „Er hält Sie für die passende Angestellte für mich?“

„Befristet, natürlich. Mein Job als Vertretungslehrerin in Rom ist beendet. In den nächsten vier Wochen möchte ich mehr über Land und Leute erfahren, ich muss meinen verlängerten Aufenthalt aber irgendwie finanzieren. Wir würden uns also gegenseitig helfen. Sie bekämen Zeit, um in Ruhe Bewerbungsgespräche zu führen und jemand passenden einzustellen.“

Ihre melodische Stimme setzte ein unbekanntes Pulsieren in ihm in Gang. Das musste die Erleichterung sein, weil Nico sein Problem gelöst hatte. „Ich verstehe.“

„Hey, wir haben Hunger. Wenn Sie keinen Tisch für uns haben, gehen wir woanders hin!“

Daniella reagierte sofort. Sie schob Rafe aus dem Weg, griff sich einen Block und fertigte innerhalb von Sekunden eine Zeichnung des Speisesaals mit seinen Tischen an und kreiste die Plätze ein, die bereits besetzt waren.

„Wie viele sind Sie?“, fragte sie die Amerikaner.

„Vier. Wir möchten für heute Abend reservieren. Um sieben.“

Daniella schrieb alles auf und wandte sich an den nächsten Gast.

Ihre Unverfrorenheit verblüffte Rafe so sehr, dass er fast losgebrüllt hätte.

Fast.

Natürlich könnte er sie vor die Tür setzen, aber er brauchte eine Restaurantleiterin. Außerdem beschlich ihn langsam der Verdacht, dass die Leute vor allem herkamen, um ihn explodieren zu sehen, und nicht etwa wegen seines exquisiten Essens. Wäre er da nicht ein Narr, wenn er sie jetzt hinauswarf?

Der Geschäftsmann drängelte sich vor. „In einer Stunde habe ich einen Termin. Ich möchte so schnell wie möglich bedient werden.“

Diese Daniella Tate lächelte Rafe an, als würde sie auf seine Erlaubnis warten, doch plötzlich war sein Kopf wie leergefegt. Sie war wirklich genauso hübsch, wie sie keck war. Glücklicherweise nahm sie seinen leeren Blick als ein Ja.

„Aber natürlich, Signor.“ Damit führte sie den Mann an einen Tisch für zwei und kehrte dann wieder zum Empfang zurück.

Ganz gleich, wie keck und unverfroren sie war, ganz gleich, wie leer sein Kopf sich anfühlte … sie war eine fähige Kellnerin.

Rafe räusperte sich. „Sprechen Sie mit dem Service und informieren Sie sich, wer an der Reihe ist. Die haben nämlich ein System.“

Sie lächelte ihn an. „Mache ich.“

Ihr Lächeln und der Blick aus ihren blauen Augen stellten seltsame Dinge mit ihm an. Verwirrt drehte er sich um und ging. Hier stand zu viel auf dem Spiel, als dass er sich Gedanken über seltsame Gefühle für eine neue Mitarbeiterin machen konnte. Was immer da durch sein Blut rauschte, es musste Ärger sein. Denn ob Nico sie nun geschickt hatte oder nicht … Sie war einfach hereinmarschiert und hatte praktisch sein Restaurant übernommen!

Dani sah ihrem neuen Chef nach. Sie hatte nicht mit einem so jungen Mann gerechnet … oder einem so attraktiven. Gut ein Meter neunzig groß, mit dunkelbraunem welligem Haar und grauen Augen wäre der Mann in Amerika der Star einer Kochshow im Fernsehen. Allein sein Anblick hatte ihr den Atem geraubt, und überall in ihr hatte sich Wärme ausgebreitet. Der Mann sah wirklich sündhaft gut aus.

„Sie sollten besser darauf achten, dass Sie Ihr Haar aus dem Gesicht halten, sonst wird er Sie anbrüllen, dass es nicht nur in Ihrem Gesicht hängt, sondern auf seinem Essen landet“, hörte sie eine Stimme hinter sich. „Und zwar sobald er vergisst, wie glücklich er ist, dass Sie hier sind.“

Dani drehte sich um und stand einer Kellnerin gegenüber. In weißer Bluse und schwarzer Hose, das dunkle Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, sah die Frau sehr klassisch und professionell aus. „Das war glücklich?“

Der Pferdeschwanz wippte, als die junge Frau nickte. „Sì.“

„Na, dann möchte ich ihn nicht sehen, wenn er wütend ist.“

„Wappnen Sie sich lieber, denn er ist jeden Tag wütend. Und zwar gleich mehrere Male. Darum hat Gino ja auch gekündigt. Ich heiße übrigens Allegra. Die anderen beiden Kellnerinnen sind Zola und Giovanna. Und der Boss ist Chefkoch Mancini. Jeder hier nennt ihn nur Chef Rafe.“

„Er meinte, Sie haben ein System, wie die Gäste verteilt werden.“

Allegra nahm Danis Zeichnung und teilte den Saal mit zwei Strichen in drei Abteilungen. „Das sind unsere Bereiche. Setzen Sie die Gäste der Reihe nach abwechselnd in Zolas, Gios und meinen, und dann fangen Sie wieder von vorn an.“

„Sicher, kein Problem.“

Mit einem Lächeln ging Allegra an die Arbeit zurück, und Dani führte die nächsten Lunchgäste an die Tische.

Schnell fand sie sich in den Rhythmus ein. Zola und Gio kamen zu ihr und stellten sich vor, und Daniella machte es tatsächlich Spaß, in diesem wunderschönen Restaurant, erfüllt von köstlichen Aromen, die Rolle der Restaurantleitung zu übernehmen.

Als das Restaurant sich nach der Lunchzeit leerte, gingen Zola und Gio nach Hause. Dani wusste nicht recht, ob sie auch gehen sollte. Da Allegra jedoch blieb, um den einen oder anderen verstreuten Touristen zu bedienen, blieb sie ebenfalls. Sie deckte die Tische neu ein, polierte Besteck nach, bis es blitzblank glänzte, rückte Stühle zurecht. Schließlich war alles im Speisesaal so perfekt wie aus dem Lehrbuch. Dani stellte sich hinter den Empfang und stützte das Kinn auf die Hände. Was Louisa wohl gerade machte?

„Wieso sind Sie noch hier?“

Rafes Stimme jagte einen Schauer durch ihren Körper. „Ich dachte, Sie brauchen mich fürs Dinner.“

„In der Pause gehen Sie nach Hause. Oder erwarten Sie etwa, auch fürs Herumstehen bezahlt zu werden?“

Jäh flammte Wut in ihr auf. Was war los mit dem Typen? Da half sie ihm aus der Klemme, und dann stellte er ihre Motive infrage?

Sie baute sich vor ihm auf. „Und woher soll ich das wissen, wenn Sie es mir nicht sagen?“

Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er seinen Fehler einsehen und sich entschuldigen würde, doch weit gefehlt. Er schnaubte nur.

„Das ist doch wohl selbstverständlich.“

„Also, in Amerika …“

Sein harsches Lachen schnitt ihr das Wort ab. „Ihr Amerikaner bildet euch ein, immer alles zu wissen. Aber wir sind in Italien.“ Er hielt ihr den ausgestreckten Finger vor die Nase. „Und hier tun Sie, was ich Ihnen sage.“

„Gern! Wenn Sie es mir denn sagen!“

Allegra hörte auf, Besteck auf die Tische zu legen. In dem stillen leeren Restaurant schien die Temperatur zu fallen, die Zeit stand still. An Rafes Schläfe trat eine Ader hervor.

Daniella hatte ein flaues Gefühl im Magen. Jeder Arbeitnehmer auf der Welt wusste, dass man seinen Chef nicht anschrie. Rein technisch gesehen schrie sie auch nicht. Sie behauptete sich nur entschieden. Als Kind hatte sie lernen müssen, für sich selbst einzustehen. Und wenn sie sich gleich am ersten Tag von ihm herumschubsen ließ, würde er sie die ganzen vier Wochen herumschubsen.

Schließlich warf Rafe die Hände in die Höhe, schwang herum und steuerte seine Küche an. „Gehen Sie verdammt noch mal nach Hause, und kommen Sie fürs Dinner zurück.“

Leise stieß Dani die Luft aus. Ihr Herz hämmerte so hart, dass es wehtat. Aber sie verspürte auch ein Triumphgefühl. Aus diesem kleinen Kampf der Willen war sie als Sieger hervorgegangen. Trotzdem fühlte sie sich nicht wohl nach der Konfrontation. Es war besser, wenn sie erst einmal von hier wegkam.

Mit dem alten grünen Wagen, den sie in der Garage gefunden hatte, fuhr sie zum Palazzo di Comparino zurück, und obwohl Louisa mitfühlend erst einmal eine Tasse Tee für sie machte, lachte sie doch amüsiert, als Daniella ihr die Geschichte erzählte.

„Das ist nicht lustig“, entrüstete Dani sich, doch es zuckte auch um ihre Lippen. „Na schön, ein bisschen vielleicht doch. Aber der Job macht Spaß, und ich würde ihn gern für die vier Wochen behalten. Nur hat der Mann mir nicht gesagt, wann ich wieder antreten soll. Wahrscheinlich werden wir uns also wieder in die Haare geraten.“

„Geh um sechs wieder hin. Und wenn er sich beschwert, dass du zu spät kommst, dann erinnere ihn höflich daran, dass er dir keine Zeit genannt hat und es also sein Fehler ist.“

Daniella hielt sich an Louisas Rat und kam um sechs im Restaurant an. Am Empfang standen tatsächlich schon einige Gäste, und ihr fiel auf, dass noch kein Tisch besetzt war. Rafe drückte ihr entnervt einen Stapel Speisekarten in die Hand und ließ sie dann stehen.

Sie lächelte. Er mochte keinen Ton gesagt haben, aber wie es aussah, hatte sie ihren Job noch.

Eine gute Stunde später bestellte Rafe sie zu sich. Dabei war sie sich absolut sicher, dass es nichts gab, weshalb er sie anbrüllen konnte.

„Sie wollten mich sprechen?“

„Wie ich höre, loben Sie meine Gerichte bei den Gästen.“ Er hielt ihr eine Gabel mit Ravioli hin. „Ich möchte, dass Sie das probieren, damit Sie wissen, wovon Sie reden und den Gästen sagen, dass man hier das beste Essen auf der Welt bekommt.“

Sie musste sich das Grinsen verkneifen. Wie maßlos und überheblich! Aber als sie die Lippen um die Gabel schloss und ihre Geschmacksknospen explodierten, stöhnte sie leise auf. „Oh, Gott, Sie haben recht. Das ist das Beste, was ich je gegessen habe.“

Emory, der Souschef, hielt ihr die nächste Gabel hin. „Hier, probieren Sie das.“

Sie nahm den Bissen in den Mund und stöhnte erneut. „Oh … das ist ja unglaublich gut! Was ist das?“

„Schmorbraten.“

Ein jüngerer Koch kam ebenfalls herüber. „Hier bitte, probieren Sie das auch noch einmal … Minestrone.“

Dani schloss die Augen, als sie die Suppe probierte. „Ihr seid wirklich die besten Köche der Welt.“

Jäh legte sich entsetzte Stille über die Küche, aber Emory lachte nur. „Chef Rafe ist der beste Koch der Welt. Das sind alles seine Rezepte.“

Lächelnd drehte Dani sich zu Rafe um. „Sie sind absolut erstaunlich.“

Damit meinte sie seine Kochkünste. Aber während sie in seine grauen Augen sah und er ihren Blick festhielt, schienen ihre Worte eine ganz andere Bedeutung zu erhalten. Schließlich zeigte er zur Tür.

„Gehen Sie und sagen Sie das den Gästen.“

Sie leckte sich den letzten Krümel von den Lippen, als sie wieder zurück zum Empfangstresen ging, wo bereits zwei Gruppen darauf warteten, an Tische geführt zu werden. Dani nahm die Speisekarten auf und geleitete das erste Paar durch den Saal.

„Können Sie uns vielleicht etwas empfehlen?“

Sie drehte sich zu dem Paar um. „Der Chef des Hauses kreiert fantastische Ravioli.“ Das konnte sie voller Überzeugung behaupten, schließlich lag der Geschmack noch immer an ihrem Gaumen. „Und die Minestrone ist himmlisch. Sollten Sie jedoch Appetit auf Fleisch haben … der Schmorbraten zergeht auf der Zunge.“

Die Gerichte probiert zu haben, hatte die seltsamste aller Wirkungen auf Dani: Sie fühlte sich zugehörig. Sie kam sich nicht mehr nur wie eine gute Oberkellnerin vor, die Gerichte empfahl, sondern sie wurde von dem Gefühl überwältigt, dass sie hierher gehörte. Als wäre es ihr Schicksal.

Schicksal? Das ist ja lächerlich. Pflegekinder lernten früh, nicht an Schicksal zu glauben, und begnügten sich damit, sich auf sich selbst zu verlassen.

Im Lauf des Abends ließen Rafe und sein Team sie immer wieder von den Gerichten probieren. Langsam wurde sie mit der Speisekarte vertraut. Sie lauschte interessiert den Geschichten der Touristen, die begeistert von ihren Erlebnissen erzählten, und gab selbst kleinere Anekdoten aus ihrer Zeit in Rom zum Besten. Das Zugehörigkeitsgefühl in ihr wuchs stetig, sodass ihr ganz leicht ums Herz wurde.

Rafe beobachtete seine neue Angestellte durch einen Spalt in der Küchentür.

„Sie ist hübsch, nicht wahr?“

Er drehte sich zu Emory um. Ob sein Freund den langen Blickkontakt über der Gabel Ravioli bemerkt hatte und jetzt ahnte, dass er Mühe hatte, in Daniella Tate eine einfache Angestellte zu sehen? Als sie ihn erstaunlich genannt hatte, hatte er Mühe gehabt, seinen Blick nicht auf ihren Lippen haften zu lassen.

Aber Emorys rundes Gesicht zeigte nichts als das übliche gutmütige Lächeln. Kein wissendes Funkeln in seinen Augen, nicht das kleinste Zeichen. Nein, Emory schien nichts von Rafes ungewöhnlicher Reaktion bemerkt zu haben. „Sie ist geschwätzig.“

„Du hast ihr doch gesagt, sie soll das Essen loben.“ Emory beugte sich vor, um ebenfalls durch den Spalt zu lugen. „Und die Gäste scheinen sie zu lieben.“

„Pah! Die Gäste müssen sie nicht lieben, sie sind wegen des Essens hier.“

Sein loyalster Angestellter zuckte mit den Schultern. „Schon möglich. Nur wissen wir beide auch, dass dein Temperament in letzter Zeit für mehr Furore sorgt als deine Rezepte. Ein wenig Aufmerksamkeit von einem hübschen Mädchen, das deine Gerichte lobt, könnte das richtige Heilmittel für deinen Ruf sein. Damit der Fokus wieder auf dem Essen liegt.“

„Ich finde trotzdem, dass sie zu viel redet.“

„Wenn du meinst …“

Rafe verschränkte die Arme vor der Brust. Und ob er das meinte. Er war geradezu berüchtigt für seine Meinung! Anders wäre schließlich kein großer Chefkoch aus ihm geworden. Er wollte und musste sich ausschließlich auf seine Gerichte konzentrieren können.

Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit würde er ein ernstes Gespräch mit Daniella Tate führen.

3. KAPITEL

Am Ende des Abends kam Rafe in den Speisesaal, als Daniella gerade zusammen mit den Kellnerinnen das Restaurant verlassen wollte. Er stellte sich hinter die Bar.

„Warten Sie … Daniella. Wir müssen reden.“

Zögernd drehte sie sich um. „Sicher. Wenn Sie meinen …“

Allegra und Gio warfen ihr einen mitfühlenden Blick zu und zogen die Tür leise hinter sich zu.

So aufrecht wie möglich ging sie zu ihm. „Ja?“

„Sie sind schwatzhaft.“

Dani lachte. „Ich weiß.“ Sie setzte sich auf einen Barhocker. „Das hat mich schon in der Schule oft in Schwierigkeiten gebracht.“

„Dann sind Sie sicher nicht beleidigt, wenn ich Ihnen sage, dass eine professionellere Haltung gegenüber den Gästen angebracht ist.“

„Nein, beleidigt bin ich nicht, aber ich halte es für verrückt, dass ich nicht freundlich zu den Gästen sein soll.“

Hitze stieg in ihm auf, genau wie vorhin, als sie die Ravioli probiert und ihn erstaunlich genannt hatte. Er wusste nicht, was an dieser Frau es war, das ihm derart unter die Haut ging, dass er nur noch daran denken konnte, sie zu küssen. Aber er wusste, er musste dem unbedingt Einhalt gebieten.

Rafe holte eine offene Flasche Wein unter dem Tresen hervor und schenkte zwei Gläser ein. „Finden Sie es passend, mit Ihrem Boss zu streiten?“

„Ich streite mich nicht mit Ihnen. Ich äußere lediglich meine Meinung.“

Er musterte ihr hübsches Gesicht, die ausdrucksstarken blauen Augen. „Ah, ich verstehe. Sie glauben, Sie haben das Recht auf Ihre Meinung?“

„Nun, auf jeden Fall fällt es mir schwer, keine Meinung zu haben.“ Sie nippte an dem Wein.

Er lehnte sich an den Tresen und kam ihr dabei unbeabsichtigt näher, aber ihm gefiel es, denn er erhaschte einen Hauch ihres Parfüms. „Möglich. Aber eine kluge Angestellte hält sich mit ihrer Meinung zurück.“

„Sie sagten ja schon … ich bin schwatzhaft.“

„Tun Sie es trotzdem.“

Sie setzte sich gerader auf, brachte mehr Abstand zwischen sie. „Okay.“

Rafe lachte. „Einfach so? Meine schwatzhafte Kellnerin stimmt schlicht zu?“

„Es ist Ihr Restaurant.“

Er prostete ihr zu. „Endlich sind wir einer Meinung.“

Doch als sie ihr Glas abstellte und zum Ausgang ging, spürte er Enttäuschung.

Entnervt griff er nach der Weinflasche und steuerte die Küche an. Er würde den Speiseplan für morgen bearbeiten. Es war idiotisch, enttäuscht zu sein. Er kannte die Frau doch gar nicht – und überhaupt … er war nicht auf der Suche nach einer Freundin. Instinktiv mochte sie den Wunsch in ihm wecken, sie zu küssen, aber er hatte schon seit vier Jahren keine Beziehung mehr gehabt. Affären, ja, One-Night-Stands, aber keine Beziehung. Und ein kluger Arbeitgeber fing grundsätzlich nichts mit einer Angestellten an.

Seine letzte Beziehung hätte fast seinen Traum zerstört. Er war dermaßen in Kamila Troccoli verliebt gewesen, dass er sein Restaurant hatte schleifen lassen und sein Leben nur auf sie konzentriert hatte. Trotzdem hatte sie ihn verlassen, und sein gebrochenes Herz war nie richtig geheilt. Die Liebe hätte beinahe seine Karriere zerstört, und ein kluger Mann vergaß eine solche Lektion nicht. Nicht wegen eines hübschen Mädchens.

Schon in der Tür zur Küche, drehte er sich noch einmal um. „Ach, Daniella … morgen bitte in schwarzer Hose und weißer Bluse.“

Danis Herz klopfte noch immer wie wild, als sie längst mit dem alten Auto durch Monte Calanetti fuhr. Als Rafe sich am Tresen näher zu ihr gelehnt hatte, waren seltsame Dinge mit ihr geschehen. Ihr Puls hatte sich beschleunigt, der Blutdruck war in die Höhe geschossen, und ihr Atem hatte gestockt. Es hatte sie in den Fingern gejuckt, ihm durch das wellige Haar zu fahren, das ihn aussehen ließ wie einen Piraten. Und wie er ihren Namen ausgesprochen hatte … das war so sexy gewesen, dass ihre Beine gezittert hatten.

Sie schimpfte sich selbst verrückt und fragte sich gleich darauf, warum ausgerechnet diese kleine Stadt ihr Herz so wärmte. Nie zuvor hatte sie sich so im Reinen mit sich und der Welt gefühlt wie hier in Italien. Sie konnte es gar nicht abwarten, die Familie ihrer Pflegemutter zu treffen. Sollten sie gut miteinander zurechtkommen, würde sie gern jedes Jahr hier Urlaub machen.

Sie bog auf die Straße zum Palazzo ein. Für Louisa symbolisierte die alte Villa nur Verfall und Unmengen von Problemen, doch Dani konnte sich genau vorstellen, wie es früher hier ausgesehen haben musste: Rebstöcke voll mit prallen Trauben, überall auf dem Gelände Arbeiter bei der Lese, der Besitzer, ein stolzer Mann …

Ähnlich wie Rafe.

Stumm verdrehte sie die Augen. Was hat dieser Mann nur an sich, das mir so zusetzt? Sicher, er war sexy. Aber sie kannte viele sexy Männer, und keiner von ihnen hatte je solche Reaktionen in ihr geweckt.

Louisa schlief bereits, als Dani ins Haus kam. Aber am nächsten Morgen beim Frühstückstee erzählte sie ihr haargenau, was sich gestern im Restaurant zugetragen hatte. Sogar den verrückten Wunsch, mit den Fingern durch Rafes Haar zu fahren, unterschlug sie nicht.

Louisa lachte. „Wir sind hier in Italien! Und da überrascht es dich, dass du alles viel intensiver empfindest? Es ist das Land der Leidenschaft. Das liegt in der Luft, im Wasser … was weiß ich. Solange dir das klar ist, kann dir nichts passieren.“

„Das kann ich nur hoffen.“ Dani stand auf. „Und ich hoffe, dass ich einen Secondhand-Laden finde, denn ich brauche dringend eine schwarze Hose und weiße Blusen. Rafe gefällt meine Jeans nicht.“

„Oh, ich wette, deine Jeans gefällt ihm sogar ausgesprochen gut.“ Louisa schlang Dani einen Arm um die Schultern. „Sie schmiegt sich nämlich ganz hervorragend um deine Kehrseite.“

Dani runzelte verständnislos die Stirn. „Was hat das denn damit zu tun?“

„Ist dir noch nicht der Gedanke gekommen, dass ihr beide extrem aufeinander reagiert?“

„Du glaubst, er findet mich attraktiv?“

„Dani, du bist attraktiv, und italienische Männer haben generell eine Schwäche für Blondinen.“

„Oh, Mann“, seufzte Dani bedrückt. „Das macht alles noch schlimmer. Ich bin nämlich verlobt … Naja, nicht wirklich verlobt, aber mein Freund hat mir vor der Abreise einen Heiratsantrag gemacht.“

Louisa pfiff durch die Zähne. „Ein Heiratsantrag … wow. Nun, das schließt dann wohl einen heißen Flirt mit deinem Chef aus.“