Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
Es dämmert und in den Häusern gehen die Lichter an. Ich bin acht Jahre alt, sitze im Auto meiner Mutter und wir fahren durch den Ort: vorbei an erhellten Fenstern, und für einen kurzen Moment bekomme ich Einblick in die verschiedensten Welten. Das flüchtige Bild, der kleine Ausschnitt einer fremden Wohnung, die an mir vorbeigleitet, erfüllt mein Herz mit unterschiedlichsten Stimmungen. Ich ahne, dass sich hinter jedem Fenster eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen und Regeln, eigenen Gefühlen und Stimmungen auftut.
Völlig fasziniert versuche ich, mich in das eine oder andere Fenster hineingleiten zu lassen. Wie fühlen sich die Menschen an, die dort wohnen? Wer sind sie? Ein ganz eigener Kosmos aus Zeit und Raum eröffnet sich für mich – wie Bienenwabe an Bienenwabe. In manche der Waben werde ich hineingezogen, einige sind mir nah, andere stoßen mich ab. Weniger und weniger werden die Häuser, die erleuchteten Fenster seltener, wir verlassen die Stadt. Ich fange an, mich auf zu Hause zu freuen, auf unsere »Wabe«, die Welt meiner Familie.
Heute, drei Jahrzehnte später, stehe ich mit einer Räucherschale in der Hand in einer mir fremden Wohnung. In mir steigt die Erinnerung an dieses Kindheitserlebnis auf. Ich merke, dass mich damals etwas berührt hat, das mich bis heute nicht los lässt. Immer wieder bin ich fasziniert von all den unterschiedlichen Räumen und Welten, in die ich bei meiner Arbeit – der energetischen Hausreinigung – eintauche. Jedes Haus und jede Wohnung ist eine eigene Welt mit einer eigenen Dynamik und Geschichte. Der Raum spiegelt die Menschen wider, das, was sie mögen, was sie brauchen oder das, mit dem sie hadern. Seit ich von immer mehr Menschen gebeten werde, ihre Häuser und Wohnungen zu räuchern, ist mir aufgefallen, dass neben der aktuell dort herrschenden familiären Atmosphäre häufig noch etwas anderes mitschwingt, was das Wohngefühl bestimmt und prägt: die Vergangenheit, die Geschichte des Hauses. All die Menschen, die im Laufe der Zeit dort gelebt haben, haben feine Abdrücke hinterlassen – wie versteckte Botschaften.
Manchmal ist es so, als ob sich das Buch der Zeit aufblättert und Geschichten erzählt. Geschichten von Freud und Leid, von Trauer und Verlassenheit, von Sterben und Tod, von Nicht-loslassen-Wollen, von Hoffnung und Enttäuschung. Es sind Geschichten, die Menschen längst vergangener Generationen geformt haben und die die Menschen auch heute noch formen. All dies ist spürbar, bleibt stehen im Raum, will gesehen, gewürdigt und gelöst werden. Es gibt Orte, da blättert das Buch der Zeit weit in die Vergangenheit zurück, in eine Zeit, bevor dort Gebäude standen. Innere Bilder steigen auf, Jahrhunderte oder Jahrtausende zurück, auch sie wollen gesehen und mitgeteilt werden.
Ja, Häuser und Orte können nach Erlösung rufen. Es ist immer die menschliche Geschichte und ihre Auswirkungen, an der sie oft schwer tragen und die in Heilung gehen will.
Die Pflanzen waren es, die mich diesen Weg gehen ließen. Ich interessiere mich schon seit langem für Kräuter und Heilpflanzen. Auf der Suche nach abendländischem Kräuterwissen entdeckte ich auch die Kunst des Räucherns. Das Verräuchern von heimischen Kräutern, Wurzeln und Harzen, um Räume energetisch zu reinigen, begeisterte mich sehr.
Bald schon stellte ich eigene Räuchermischungen in Zusammenarbeit mit der Naturland-Gärtnerei »Blumenschule« in Schongau her. 2003 veröffentlichte ich mein Buch Räuchern mit heimischen Kräutern (ebenfalls erschienen im Kösel-Verlag) und in zahlreichen Seminaren gebe ich mein Pflanzenwissen weiter.
So war es ein natürlicher Schritt, in immer mehr Häuser gerufen zu werden, um dort zu räuchern bzw. energetisch zu reinigen. In zahlreichen Räucherungen ergab sich für mich eine immer wiederkehrende Struktur: Ich nenne sie die »vier Gesichter eines Hauses«. Aus diesen vier Ebenen ergibt sich die Wohnqualität eines Ortes. Zusätzlich nehme ich manchmal eine Art »dunklen Schleier« über einem Gebäude wahr. Dieser ist natürlich nicht wirklich sichtbar, sondern wirkt eher wie eine Art Traurigkeit oder Verlassenheit, die über dem Ort liegt. In diesem Fall ist meist in der Vergangenheit des Hauses schweres menschliches Leid geschehen. Diesen »dunklen Schleier«, der unabhängig von der Renovierung des Gebäudes wahrzunehmen ist, nenne ich den »Schmerzkörper« des Hauses.
Dieses Buch ist der Versuch, meine Erfahrungen zu benennen, ihnen Struktur zu geben. Übrigens: All die Erfahrungen, die ich hier mit Häusern beschreibe, gelten gleichermaßen auch für Wohnungen.
Und dies sei ebenfalls angemerkt: Sie werden im Laufe der Lektüre immer wieder auch auf Themen treffen, wie sie im Feng Shui vermittelt werden. Ich habe großen Respekt für die Weisheitslehren aller Völker, in diesem Fall vor der asiatischen, möchte mich aber trotzdem von der Feng-Shui-Lehre deutlich abgrenzen, da sie für mich nie von Interesse war und ich daher wenig Kenntnisse über sie habe. Mein Weg ist es, hier auf diesem Flecken Erde zu leben und von diesem Land und aus mir heraus zu schöpfen, eingebunden in die großartige Natur unserer Heimat.
Ein Hinweis für die Leserinnen und Leser:
Der Inhalt dieses Buches ist aus meiner persönlichen Anschauung heraus entstanden. Aus dieser persönlichen Wahrheit heraus werden Erfahrungen erlebt und diese wiederum prägen die persönliche Wahrnehmung. Ich bitte Sie daher, meine Wahrheit zu achten und Ihrer eigenen Wahrheit zu glauben. Denn jeder Mensch, der sich mit dem hier genannten Thema beschäftigt, wird eigene Erfahrungen machen, die sich von meinen unterscheiden können. Doch die Ideen und Erkenntnisse dieses Buches bieten die Chance, das eine oder andere Phänomen näher zu erfassen bzw. zu erklären.
Ich empfehle daher, beim Lesen der Zeilen immer wieder zu überprüfen, ob die geschriebenen Worte mit der eigenen Wahrnehmung übereinstimmen oder nicht. Jeder ist selbst für seine Wahrheit verantwortlich, aus der heraus das eigene Lebensgefühl, der Glaube und die jeweiligen Erfahrungen entstehen.
Marlis Bader, Sommer 2006
EIN HAUS HAT VIER GESICHTER
Es kommt häufig vor, dass nach einem Umzug Unwohlsein oder depressive Stimmungen auftreten. Äußerlich ist alles in Ordnung, denn der Umzug war schon lange geplant und das Haus oder die Wohnung scheinen ideal zu sein. Trotzdem fühlt man sich nicht richtig wohl. Was steckt hinter solch einer Situation?
Jeder kennt das: Wenn wir ein Gebäude, ein altes Haus, ein Museum, ein Amt oder einen Neubau betreten, werden wir mit unterschiedlichen Stimmungen konfrontiert. Wir fühlen uns leicht, beschwingt, wohl oder bedrückt, düster, ängstlich und niedergeschlagen. Der Grund dafür liegt darin, dass jedes Haus und jedes Gebäude sein eigenes Wesen, seinen eigenen Charakter und Ausdruck hat. Wenn man es betritt, begibt man sich also gleichzeitig in das energetische Feld des jeweiligen Gebäudes. Dieses zeigt sich in der Atmosphäre des Raumes und der Stimmung oder der Erinnerung, die uns überkommt. Es gibt Häuser, die neutraler sind und solche, die eine starke Eigenschwingung haben. Was verbirgt sich hinter dem Individuum Haus, das heißt hinter dem System eines Hauses?
Das Außen und das Innen erzeugen in Haus und Wohnung ein energetisches Feld.
Ein Haus hat vier Gesichter, die das individuelle Wesen (energetisches Feld/Haussystem) des Gebäudes ausmachen. Zwei der vier Gesichter oder Ebenen bestehen aus den äußeren Gegebenheiten.
So gehört in die Ebene I die Gestalt des Hauses, die Materialien, die Architektur, der Baustil und die Ausrichtung nach den Himmelsrichtungen.
Die Ebene II repräsentiert die Umgebung des Hauses: Damit ist die unmittelbare Umgebung (Straßen, Garten, Strommasten) gemeint sowie die größere landschaftliche Prägung (Wälder, Berge, Flüsse...), in die das Gebäude eingebettet ist. Hinzu kommt der Ort selbst, auf dem das Anwesen steht. Hier sind eventuelle Wasseradern und Erdstrahlen von Bedeutung.
Die Ebenen III und IV stehen für die inneren Gesichter. Sie sind für Außenstehende nicht zu sehen. Trotzdem können sie wahrgenommen werden und tragen zur Atmosphäre des Ortes bei. In die Ebene III – »die Ahnen des Hauses« -, gehören sowohl die aktuell dort lebenden Menschen als auch alle Familien und Personen, die in der Vergangenheit dort gelebt haben und auch die Erbauer bzw. Besitzer des Anwesens. Diese Seite stellt die gesamte menschliche Linie des Hauses dar. Die IV. und letzte Ebene repräsentiert die Geschichte des Ortes und zeigt seine Vergangenheit auf: Standen vor der jetzigen Bebauung bereits andere Gebäude dort? Wie wurde der Ort bisher genutzt? War es ein geschichtlicher Platz, zum Beispiel ein ehemaliges Schlachtfeld, eine Keltenschanze etc.?
An manchen Orten ist für mich noch eine feinstoffliche Präsenz spürbar, die ich den Geist des Ortes/Genius Loci nenne. Auch seelische Wesenheiten können von Fall zu Fall wahrgenommen werden. Das sind Wesenheiten, die durch unsere innere Bilderwelt mit uns kommunizieren. In der Märchen- und Sagenwelt nehmen sie die Gestalt von Hauswichteln oder Hausgeistern (keine »Gespenster«) an. Sie repräsentieren den »guten Geist«, eine seelische Qualität des Ortes. Ist eine oder sind mehrere dieser Ebenen im Ungleichgewicht oder verletzt, so spiegelt sich dies in der Atmosphäre des Hauses wider.
Die vier Gesichter eines Hauses:
Das erste und zweite Gesicht des Hauses
Auf die Ebene I und II möchte ich im Folgenden nur kurz eingehen, da das Hauptthema dieses Buches die beiden inneren Gesichter, also Ebene III und Ebene IV sind. Es ist sicherlich verständlich, dass ein Haus mit 0,5 m dicken Mauern aus Feldsteinen eine andere Art der Wohnqualität besitzt als ein Holzhaus mit 0,25 m dicken Wänden. Ein Haus aus Beton ist anders als eines aus Lehm usw. Auch die Architektur spielt eine große Rolle: Sind die Räume hoch, voller Fenster oder niedrig und verwinkelt? All das löst in uns unterschiedliche Empfindungen aus und spricht verschiedene Menschentypen an. Wer sich von einem bestimmten Haus angezogen fühlt, wird sich darin auch wohl fühlen, weil es seinem Typus oder seiner momentanen Lebensaufgabe /Lebenssituation entspricht.
Die Atmosphäre und damit unser Empfinden werden auch von der bereits erwähnten Umgebung des Hauses geprägt. Es ist ein Unterschied, ob sich das Haus in einer Stadt, einem Dorf oder in Alleinlage befindet. Bereits unsere Vorfahren gingen sehr intuitiv und achtsam mit der Wahl ihrer Bauplätze um, und selbst kleinere Gebäude wurden harmonisch in die Umgebung eingebettet. Wenn ich alte Feldscheunen sehe, an einen Hügel geschmiegt, umgeben von Holunderstauden, der Sonne entgegenblinzelnd, weiß mein Körper, dass es ein guter Platz ist, und ich setze mich gerne dort hin, um zu rasten und Energie zu tanken. Die Plätze, die zum Verweilen einladen, wo der Mensch das Gefühl hat, dass er dort rasten oder gar ein Nickerchen machen möchte, das sind die Plätze, an denen sich unser Energiesystem wieder auflädt.
Oft überkommt uns da eine beschauliche Ruhe, ein Ankommen oder eine Müdigkeit, und man bleibt länger gedankenverloren sitzen, als man vorgehabt hat. Fast unbemerkt lädt sich in dieser Zeit unsere Lebenskraft erneut auf und gestärkt und zufrieden können wir zu unseren Alltagsbeschäftigungen zurückkehren. Die Alten wussten schon, wo und wie sie bauen mussten und haben Zweckmäßigkeit mit Schönheit, Harmonie und Wohlbefinden verbunden. Auch bei feinfühliger neuer Architektur, vom Architekten mit Gespür in die Umgebung eingebettet, fließt Lebensenergie zu uns zurück. Es ist daher nicht nur Althergebrachtes stimmig und schön, sondern auch Modernes – mit Sinn und Herz erbaut – kann die Lebenskraft stärken.
Dort, wo wir gern verweilen, wird unsere Lebenskraft gestärkt.
Werden hingegen Gebäude wie Klötze auf die Wiese gestellt, wie zum Beispiel die vielen neuen Einkaufszentren in der Peripherie unserer Städte und Gemeinden, wird Lebensenergie abgeschnitten oder blockiert. Das gilt nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern für die gesamte Umgebung. Dadurch wird eine gewisse latente Unruhe und Unzufriedenheit gefördert, und diese Unzufriedenheit wiederum wird von vielen Menschen durch vermehrtes Konsumverhalten unterdrückt.
Interessant sind die verschiedenen Richtlinien, wie Häuser in die Himmelsrichtungen ausgerichtet wurden. Der Bezug zu den Himmelsrichtungen, der unseren Vorfahren und allen naturnahen Völkern so wichtig war, ist dem modernen Menschen völlig abhanden gekommen. Wenn Sie einen beliebigen Menschen auf der Straße ansprechen und fragen, wo an diesem Ort welche Himmelsrichtung ist, werden 95 % der Menschen es nicht wissen. Natürlich ist allgemein bekannt, dass der Süden die Sonnenseite und der Norden auf unserer nördlichen Erdhalbkugel der Schattenplatz ist. Im Osten geht die Sonne auf und im Westen geht sie unter. Das bedeutet also Morgensonne = Osten, Abendsonne = Westen. Aber wie ist es an einem bewölkten Tag, nachmittags um 14 Uhr in irgendeiner Straße oder in geschlossenen Räumen, zum Beispiel während des Einkaufens? Wissen wir wenigstens ungefähr, wo die Himmelsrichtungen liegen?
Diese Frage ist keinesfalls unwichtig oder unzeitgemäß. Es zeigt deutlich, dass der moderne Mensch sein natürliches Raumgefühl verloren hat. Nicht mehr im Raum eingebettet zu sein, das heißt unter dem Himmelszelt, wie die Dichter so schön sagen, schafft eine permanente Desorientierung. Ich selbst bin in einer Gegend aufgewachsen, in der die Alpenkette weithin sichtbar sich von Süd-Südost über Süden nach Süd-Südwest zieht. Dadurch war mir bereits als Jugendliche immer bewusst, wo Süden ist und dementsprechend die anderen Himmelsrichtungen sind. Dieses starke Richtungsgefühl nahm ich mit, als ich einige Jahre im flachen Norddeutschland lebte. Die Himmelsrichtungen waren mir wie selbstverständlich eingepflanzt und so konnte ich mich immer orientieren. Dies zeigt, wie natürliche Gegebenheiten wie Seen, Meere, Berge unser Richtungsgefühl prägen und unterstützen.
So entwickeln Sie Gespür für die Himmelsrichtungen:
1. Achten Sie darauf, in welche Himmelsrichtungen Ihr Haus/Ihre Wohnung liegt: Fällt am Morgen die Sonne herein oder frühstücken Sie in der Morgensonne = Osten.
Zimmer, die hell und meist voller Sonnenlicht sind = Süden.
Räume, in die das rötliche Abendlicht fällt = Westen. Sie können sich auch einen Kompass besorgen (ein einfacher Kinderkompass erfüllt durchaus schon seinen Zweck) und nun genau prüfen, wie Ihre Wohnung in die Himmelsrichtungen eingebettet ist.
2. Wenn Sie an einem sonnigen Tag unterwegs sind, achten Sie auf die Tageszeit und den entsprechenden Sonneneinfall. Immer wieder testen Sie: Von wo kommt die Sonne, jetzt, am Vormittag, Mittag oder Nachmittag? Und Sie werden sofort wissen, wo Osten oder Westen ist. Nun stellen Sie sich die restlichen Himmelsrichtungen vor. Das Zentrum sind Sie und über Ihnen ist der Raum des Himmels.
3. Fühlen Sie die Wetterseite der Bäume. Gehen Sie zu einem Baum, schließen Sie die Augen und umfassen Sie den Stamm. Achten Sie darauf, an welcher Seite die Rinde rauer und bemoost ist. Diese Seite ist die Wetterseite. Gehen Sie so um mehrere Bäume herum. Handelt es sich um eine Baumgruppe, so ist bei allen Bäumen die gleiche Seite bemoost. Überlegen Sie, von welcher Seite in Ihrer Gegend der Wind den Regen und Schnee bringt. Bei mir im Allgäu beispielsweise ist die Nord-Westseite die Wetterseite der Bäume.
Wenn man freistehende alte Gebäude, meist Gehöfte, unter dem Gesichtspunkt der Himmelsrichtungen betrachtet, fällt Folgendes auf: Ein freistehender Hof wurde oft mit den Hausecken in die Hauptrichtungen gestellt, wie die stark vereinfachte Zeichnung zeigt.
Das heißt, dass die vordere Ecke des Wohnhauses im Osten liegt und die hintere Stallecke im Westen. Auf diese Weise gibt es keine frontale Nordseite und in jedes Zimmer (auch in den N/O- und N/W-Räumen) kommt einmal am Tag das Sonnenlicht. Nur eine kleine Kammer im Norden hat kein Sonnenlicht, und das ist auch gut so, denn hier befindet sich das Vorratslager, die Speisekammer.
Befindet sich ein Haus oder ein Hof in einem Dorf oder in einer Stadt, so ist das Wohnhaus oft Richtung Straße gelegen. Die Straße ist in diesen Fällen wichtiger als die Himmelsrichtungen. Warum? Die Dorfstraße war nicht immer ein Quell des Stresses. Sie war und ist vielleicht immer noch die Lebensader des Ortes. Man wollte sehen und gesehen werden. Das Neue kam über die Dorfstraße ins Dorf. Neue Ideen, neue Waren, neue Gesichter. Dies hatte den Höhepunkt auf dem Dorfplatz und es ist nur natürlich, dass die Häuser ihre Gesichter diesem Treiben zuwandten, genau wie die Menschen es taten und immer noch tun.
Auch auf das Thema Erdstrahlen und Wasseradern wurde in früheren Zeiten, besonders in bäuerlicher Umgebung viel Wert gelegt. Man achtete sehr darauf, das Haus und den Stall auf spannungsfreien Boden zu bauen. Dafür wurde meist vor dem Bau ein Rutengänger geholt, oft selbst Bauer und in der Umgebung bekannt für sein Talent, um den Platz auf Störfelder zu untersuchen. Doch selbst wenn kein Rutengänger zu Hilfe kam, waren die Menschen mit ihren Böden verwachsen und wussten, wo ein guter Platz zum Bauen war. Auch heute noch ist gerade bei der ländlichen Bevölkerung diese starke Verbundenheit zwischen Mensch und Land spürbar. Folgende Begebenheit einer Selbsterfahrungsgruppe, an der ich teilnahm und die sich mit dem Thema Tod und Sterbeprozesse auseinander setzte, mag das veranschaulichen:
Der Seminarort war ein angemietetes, eingezäuntes Grundstück in den Bergen. Die Teilnehmer bekamen die Aufgabe, für sich ein »Grab« auszuheben, in das sich die einzelnen Personen zur Meditation legen sollten. Eine Seminarteilnehmerin verließ mit ihrem Spaten das vorgegebene Grundstück, um am Waldrand eines nahe gelegenen Waldes ihre Kuhle zu schaufeln. Kein Mensch war in dieser einsamen, abendlichen Gegend unterwegs. Als die Frau schon fast fertig war, kam der Besitzer des Waldes, ein ansässiger Bauer, schwer atmend herbeigeeilt. Sprachlos stand er vor dem großen Loch und als er erfuhr, worum es sich dabei handelte, musste er sich erst einmal auf einen Baumstumpf setzen. Er hatte nichts gesehen und von nichts gewusst, als ihn plötzlich nach der Stallarbeit eine Unruhe überfiel. Er spürte, dass in seinem Wald etwas Ungewöhnliches vor sich ging und hatte sich aufgemacht, um nach dem Rechten zu sehen. Diese Begebenheit zeigt diese Verbundenheit deutlich auf.
Das dritte Gesicht des Hauses
Mit der III. Ebene, die Ahnen des Hauses, bezeichne ich die menschliche Vergangenheit des Gebäudes. Dazu gehören die vergangenen Bewohner, Familien bzw. Geschäftsinhaber, Erbauer oder Besitzer. Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, ob diese jemals selbst dort gewohnt haben oder nicht. Hinzu kommt die Familie oder Person, die im Moment dort wohnt oder arbeitet. Insgesamt gehören alle Menschen dazu, die entweder Lebenszeit in dem Gebäude verbrachten oder Energie, zum Beispiel in Form von Geld oder Arbeit, in dieses Haus haben fließen lassen. Bei Mietshäusern mit mehreren Parteien gehören die gesamten Vormieter der einzelnen Wohnung und ihr Besitz dazu. Wie diese menschliche Vergangenheit in einem Gebäude weiterlebt und mit welcher Auswirkung, wird in den weiteren Kapiteln dieses Buches ausführlich erläutert.
Häuser und Wohnungen werden von der menschlichen Vergangenheit geprägt.
Nicht alle Bewohner, Vermieter oder Besitzer bleiben energetisch mit den Gebäuden verwoben. Es ist auch nicht notwendig, von allen die Namen und Lebensgeschichten zu kennen. In der Praxis zeigt sich, dass die wenigsten der heutigen Bewohner viel über die vergangenen Bewohner wissen. Trotzdem gebe ich stets – bevor ich zu den Häusern oder in die Wohnungen komme – den Auftrag, sich über die Vergangenheit zu informieren. Es ist ein Teil der Auseinandersetzung, die Vergangenheit in das Bewusstsein zu holen.
Man kann zum Beispiel Nachbarn oder Besitzer über ihre Erinnerungen befragen, wobei es nicht darum geht, das Privatleben der Vormieter auszuspionieren. Das Erforschen der Vergangenheit bedeutet vielmehr, sich mit Respekt und Achtung zu erkundigen, ob für die Betroffenen schwierige Situationen in dem Gebäude erlebt wurden. Dadurch können mögliche Muster und Themen aufgezeigt werden. Es ist hier von Bedeutung, dass ohne Beurteilung und Wertung vorgegangen wird. Mit dem wertfreien Wissen um die Vergangenheit des Ortes befreie ich mich von den dort verankerten Strukturen und schaffe Platz für ein Gefühl tiefer Verbindung.
Das vierte Gesicht des Hauses
In der IV. Ebene wirkt die noch ältere Vergangenheit – das heißt die Zeit vor der jetzigen Bebauung, die historischen Ereignisse. Orte tragen oft eine Geschichte, die sich in Flur-, Straßen- oder Hausnamen ausdrückt. Namen wie »Streitacker«, »Franzosengraben«, »Teufelseck«, »Totengraben«, »Schinderkrempe«, »Wallstraße« usw. deuten auf bestimmte Vorgänge in der Vergangenheit hin. Nicht immer aber haben historische Ereignisse ortsgebundene Auswirkungen, die bis in die heutige Zeit spürbar sind. Der Flurname »Zum Franzosengraben« deutet zum Beispiel auf einen Kriegsschauplatz der Franzosenkriege hin. Schon die Benennung des Ereignisses im Straßennamen bedeutet jedoch eine Würdigung: Denn sie hebt dieses historische Ereignis ins Bewusstsein der Menschen und kann dadurch Heilung bewirken. Darüber hinaus wird durch den Alltagsgebrauch die Dramatik des Geschehens neutralisiert und damit die Geschichte wertungsfrei integriert.