Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Wir bewundern Menschen, denen es gelingt, in einem Konflikt einen klaren Stand-Punkt zu vertreten. Wir beneiden all jene, die in einem Streit einen kühlen Kopf bewahren und sich selbstbe-Haupt-en können. Und denjenigen, die in Auseinandersetzungen Rückgrat zeigen und sich nicht unterkriegen lassen, zollen wir offen oder heimlich unseren Respekt. Die Worte Standpunkt, Selbstbehauptung und Rückgrat beziehen sich nicht zufällig auf unsere Körpersprache – unsere äußere Haltung. Denn wir wissen: Eine klare und gewinnende Ausstrahlung hilft, eigene Interessen besser durchsetzen zu können.Wer seine Ziele auch gegen die Widerstände anderer Menschen erreichen will, der braucht Standfestigkeit und ein selbstsicheres Auftreten.
Apropos Standfestigkeit: Wie oft schwanken wir in Konflikten, weil wir unsere Position nicht geklärt haben? Wie oft knicken wir ein, weil wir nicht genau wissen, was wir wollen? Standfest in einem Streit können wir nur dann sein, wenn wir uns unserer Interessen bewusst sind und mit ganzem Herzen und tiefer Überzeugung zu unseren Wünschen und Zielen stehen. Eine klare äußere Haltung ist der sichtbare Ausdruck einer klaren inneren Haltung. Nur wer in einem Konflikt innerlich strahlt, hat auch eine gewinnende Ausstrahlung und kann die jeweiligen Konfliktpartnerinnen oder Konfliktpartner für die eigenen Ziele gewinnen.
Unser Buch Ich weiß, was ich will! setzt genau an diesem Punkt der inneren Selbstklärung an. Wir werden zeigen, wie wir uns mithilfe gezielter Fragen auf einen Konflikt so einstellen können, dass wir selbstsicher und selbstgewiss in die Auseinandersetzung mit unseren jeweiligen Kontrahenten hineingehen können. Für die Beantwortung dieser Fragen benötigen wir mit etwas Übung nicht mehr als fünf Minuten. Die Antworten wiederum verhelfen uns genau zu dem inneren Selbst-bewusst-sein, das wir für ein selbstbewusstes Auftreten und für die Durchsetzung unserer Ziele in einem Konflikt benötigen.
Mit anderen Worten: Statt auf Tipps und Tricks aus der Mottenkiste der Konfliktratgeber setzen wir bei unserem Ansatz der respektvollen Durchsetzungsfähigkeit voll und ganz auf persönliche Autorität und Authentizität. Wenn »ich weiß, was ich will«, kann ich auf ganz natürliche Art und Weise andere Menschen für mich und meine Ziele gewinnen. Und wenn ich mir meiner Wünsche und Bedürfnisse, aber auch meiner strategischen Vorgehensweise sicher bin, wird es mir in einem Konflikt auch gelingen, bei mir zu bleiben, statt außer mich zu geraten.
Zu Beginn des Buches zeigen wir, wie Auseinandersetzungen aus dem Ruder laufen können, wenn wir, statt unsere innere Haltung zu klären, unseren Gewohnheiten und Automatismen folgen: Konflikte mutieren dann zu destruktiven Kämpfen mit Gewinnern und Verlierern. Darauf aufbauend entwickeln wir in den folgenden Kapiteln – in Abgrenzung zur destruktiven Konfliktbewältigung – die wichtigsten Prinzipien einer respektvollen Durchsetzungsfähigkeit. Den Schwerpunkt legen wir dabei zwar auf die gedankliche Vorbereitung des Konflikts, aber wir stellen auch die praktische Umsetzung vor. Und wir differenzieren zwischen unterschiedlichen Hierarchiestufen: Ein Konflikt mit einem Partner, Freund oder Kollegen verlangt eine andere Vorbereitung und Vorgehensweise als ein Streit mit einer vor- oder nachgesetzten Person. Dabei behalten wir stets das zentrale Prinzip einer wertschätzenden Durchsetzungsfähigkeit im Auge: den Konfliktpartner für sich zu gewinnen, statt ihn zu besiegen.
Noch ein paar Sätze zum Aufbau dieses Buches. Wir haben ein Trainingshandbuch geschrieben. Das bedeutet, dass sich bestimmte Fragestellungen sehr bewusst wiederholen. Denn genau das ist das Prinzip des Trainings: Festigung und Sicherung des Erlernten durch Wiederholung. Statt Sie also mit einer Fülle an Fakten und Informationen zu »erschlagen«, stellen wir ganz einfache Möglichkeiten vor, wie Sie Ihren Standpunkt klären und Ihre Ziele erreichen können. Weniger ist mehr, und das Wenige soll sich durch Wiederholung so setzen, dass Sie es in Ihrem nächsten Konflikt tatsächlich praktisch anwenden können. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen und eine große Klarheit und viel Selbstbewusstsein für Ihre zukünftigen Konflikte.
Konflikt als Kampf
Alexandra und Sascha – zwei gute und langjährige Freunde – haben sich verabredet, um gemeinsam Kaffee trinken zu gehen. Treffpunkt 14:00 Uhr, Golsheimer Platz. Das Wetter: drei Grad Celsius, leichter Nieselregen. Aber Sascha lässt seit mehr als 20 Minuten auf sich warten. Die Laune der wartenden und daher durchgefrorenen Freundin Alexandra nähert sich – den Temperaturen entsprechend – dem Gefrierpunkt. Keine drei Minuten später, also Punkt 14:23 Uhr, nimmt das Drama mit der Ankunft Saschas am vereinbarten Treffpunkt seinen Lauf:
»Ja, sag mal, spinnst du! Ich warte seit einer halben Stunde auf dich. Sascha, was soll das?«
»Vielleicht könntest du mich erst einmal grüßen, statt direkt anzumachen?«
»Hallo? Du bist fast eine halbe Stunde zu spät. Da habe ich doch wohl ein Recht darauf, sauer zu sein.«
»Vielleicht grüßt du mich erst einmal und fragst nach, warum ich überhaupt zu spät komme. Aber nein, immer sofort die Breitseite!«
»Du kommst doch jedes Mal zu spät und hast dann immer irgendwelche Ausreden. Da habe ich langsam keine Lust mehr drauf.«
»Was soll das denn jetzt: Ausreden! Willst du damit sagen, dass ich dich belüge?«
»Ich will und kann deine Geschichten von irgendwelchen Staus nicht mehr hören. Immer sind die anderen schuld. Wie wäre es denn, wenn der gnädige Herr einfach mal früher losfährt, wenn wir verabredet sind?«
»Spar dir deinen Zynismus! Auf dieser Ebene rede ich nicht mit dir.«
»Meine Güte, dann teil dir doch deine Zeit mal anders ein und erledige nicht noch 20 Sachen, bevor wir uns treffen. Dann kommst du auch mal pünktlich!«
»Ach, die Frau Sozialarbeiterin weiß mal wieder alles besser. Und außerdem: Du wohnst um die Ecke und hast keine lange Anfahrt. Wenn wir uns bei mir vor der Haustür treffen würden, wäre ich auch pünktlich.«
»Das glaubst du doch wohl selbst nicht: Bei deiner notorischen Unpünktlichkeit würdest du selbst dann noch zu spät kommen, wenn wir uns bei dir in deiner Wohnung treffen!«
»Ja, sag mal, hast du sie noch alle?«
»Ja, hab ich. Typisch Mann: Immer die anderen nach der eigenen Pfeife tanzen lassen. Mann ist ja schließlich so wichtig und hat bessere Dinge zu tun, als pünktlich zu sein. Blöder Macker!«
»Das ist ja wohl die Höhe. Ich kann nichts für deinen Frust mit Männern. Mach das mit deinem Ex aus, nicht mit mir. Ist ja wohl langsam klar, warum der’ne Neue hat.«
»Musst du gerade sagen!«
»Weißt du was: Trink deinen Kaffee doch alleine!«
»Mach ich auch.«
»Ja,dann tschüss.«
»Tschüss!«
Zugegeben: etwas übertrieben. Aber die Übertreibung ist notwendig, um ein paar grundlegende Prinzipien der destruktiven Konfliktbewältigung zu verdeutlichen.
Wir stellen in den folgenden Abschnitten sieben Fallstricke vor, über die die beiden Streithähne in ihrer Auseinandersetzung gestolpert sind. Dabei wird sich zeigen, dass die wartende Alexandra bereits vor Saschas Ankunft am vereinbarten Treffpunkt die Weichen auf Konfrontation und Kampf gestellt hat: Während ihrer Wartezeit hat sie sich ihren Freund Sascha gedanklich zum Feind gemacht (Fallstrick 1) und ist in die Respektfalle (Fallstrick 2) getappt. Diese beiden Fallstricke wiederum bildeten die Grundlage für die fünf weiteren Fallstricke, die den beiden Freunden während des Streits am Golsheimer Platz zum Verhängnis geworden sind: Schuldzuweisungen, Vorwürfe, Beleidigungen, Ratschläge und verletzende körpersprachliche Signale.
1. Fallstrick: Die Freund-Feind-Spirale
Wir haben den Beginn des Streits zwischen dem verspäteten Sascha und der wartenden Alexandra auf 14:23 Uhr festgelegt. Doch genau genommen müssen wir die Zeit mindestens 30 Minuten zurückdrehen, wollen wir den ersten Fallstrick der destruktiven Konfliktbearbeitung analysieren. Die Uhr zeigt also nicht 14:23 Uhr, sondern 13:53 Uhr, und wir versetzen uns einfach mal in die Lage von Alexandra, die bereits einige Minuten vor 14:00 Uhr am vereinbarten Treffpunkt Golsheimer Platz auf Sascha wartet:
Solange die Uhr noch nicht 14:00 Uhr zeigt, ist Sascha noch Alexandras bester Freund. Doch bereits wenige Minuten später, also um 14:05 Uhr, wendet sich das Blatt und damit auch die Stimmung von Alexandra. Sie führt einen inneren Monolog und denkt sich: »Ach Mensch, dieser Sascha. Ist mal wieder typisch. Dass der auch nie pünktlich sein kann.« In Alexandras Gedanken und Gefühlen mutiert der ihr nahestehende Freund bereits zu einem entfernten Bekannten (»… dieser Sascha«).
Drehen wir die Uhr fünf Minuten weiter und werfen wir einen erneuten Blick in das Innenleben von Alexandra: »Das kann doch wohl nicht wahr sein. Jedes Mal der gleiche Ärger. Der ist zu blöd, seine Zeit auf die Reihe zu kriegen.« Um 14:10 Uhr ist der ehemals beste Freund Sascha bereits »zu blöd«.
Das Ende der Freund-Feind-Spirale ist aber noch lange nicht erreicht. Schließlich steht die Uhr noch nicht auf 14:23 Uhr, sondern erst auf 14:15 Uhr. Alexandras innerer Monolog lautet jetzt: »Ja, sag mal, tickt der noch ganz sauber? Wenn dieser blöde Macho glaubt, dass er das mit mir machen kann, dann hat der sich aber geschnitten. Das lass ich mir nicht bieten!« Wir sind live dabei, wie sich im Inneren von Alexandra ihr Freund Sascha in einen »blöden Macho« verwandelt hat, der nicht mehr »ganz sauber tickt«.
Um 14:20 Uhr erreicht dieser innere Vorgang der Distanzierung und Entwertung seinen vorläufigen Höhepunkt: »Dieser Macker. Das ist ja wohl der Gipfel an Respektlosigkeit. Der behandelt mich wie den letzten Dreck. Na warte, der kann gleich was erleben!«
Und tatsächlich: Genau drei Minuten später packt Alexandra den Knüppel aus und drischt ohne Vorwarnung auf den »Macho« und »Macker« Sascha ein, der mit 23-minütiger Verspätung am Treffpunkt Golsheimer Platz erscheint: »Ja, sag mal, spinnst du! Ich warte seit einer halben Stunde auf dich. Was soll das?« Dieser Angriff erfolgt selbstverständlich grußlos – schließlich haben es Machos und Macker nicht anders verdient, als mit Missachtung bestraft zu werden.
Jedem Kampf und jedem Krieg gehen die Distanzierung und Entmenschlichung des Gegners voraus – im Großen wie im Kleinen: der »westliche Imperialismus«, die »Achse des Bösen«, »Schurkenstaaten«, »Zecken«, »Untermenschen«, »Bullen und Parasiten«; oder eben auch »blöde Kuh« und »respektloser Macker«.
Alexandras innere Prozesse der Distanzierung und Entwertung mit der Vorbereitung auf Kämpfe und Kriege zu vergleichen, ist natürlich provokativ. Aber auch sie landet Treffer (»Ja, sag mal, spinnst du«), stichelt (»Du hast immer irgendwelche Ausreden«), setzt verbale Tiefschläge (»Du kommst jedes Mal zu spät!«), bohrt in Saschas Wunden (»notorische Unpünktlichkeit«) und stößt ihn vor den Kopf (»Typisch Mann: Immer die anderen nach der eigenen Pfeife tanzen lassen«).
Kurz und gut: Alexandra sieht Sascha als Täter, der ihr durch seine Verspätung Leid zugefügt hat. Und dieses Leid möchte sie ihm heimzahlen. Zu diesem Zweck hat sie ihren Freund vor der Auseinandersetzung kurzerhand in einen Macho und respektlosen Macker verwandelt, auf den sich ohne Gewissensbisse einschlagen lässt.
Darüber hinaus erfüllt die Distanzierung einen weiteren Zweck: Alexandra hat Sascha innerlich so weit von sich geschoben, dass sie ihm Leid zufügen kann, ohne dass dessen Leid sie selbst in Form von Mit-Leid erreichen und dadurch kampfunfähig machen könnte.
Auch über kriegerische Auseinandersetzungen wissen wir: Das tausendfache Töten per Knopfdruck fällt leichter als das Töten eines Gegners von Angesicht zu Angesicht. Räumliche und emotionale Distanz schützen vor Mitleid, Schuldgefühlen und vor Beiß- bzw. Tötungshemmung.
Fazit: Wer im Vorfeld eines Konflikts den Partner durch Abwertung und Distanzierung zum Gegner macht, der rüstet zum Krieg und wird in der Auseinander-Setzung auch zuschlagen. Das gedankliche Hineinschrauben in die Freund-Feind-Spirale vor einem Konflikt legt den Grundstein für eine destruktive Konfliktbewältigung.
2. Fallstrick: Die Respektfalle
Gehen wir mit Alexandra nicht allzu hart ins Gericht. Ihre Wut wird nachvollziehbar, wenn wir einfach mal unterstellen, dass Sascha tatsächlich schon zu so manch einer Verabredung verspätet erschienen ist. Fügen wir noch hinzu, dass Alexandra gerade eine Trennung von einem fremdgehenden Partner hinter sich hat. Außerdem hat sie zu Hause alle dringenden Arbeiten stehen und liegen lassen, um pünktlich am Treffpunkt zu erscheinen. Das bedeutet: Alexandras Aggressionen resultieren aus vielen negativen Erfahrungen mit Sascha im Besonderen und der Gattung Mann im Allgemeinen. Dazu kommt ein immenser Stress wegen der sich türmenden Arbeiten. Ihre destruktive Vorgehensweise in diesem Streit ist vielleicht nicht geschickt, aber sehr menschlich!
Wenn wir Alexandra befragen, warum sie in dem Streit mit Sascha derart heftig reagiert hat, wird sie vermutlich noch einen weiteren Grund anführen: »Das ist auch eine Frage der Wertschätzung. Sascha respektiert mich nicht. Sonst wäre er ja pünktlich. Das will ich mir nicht länger gefallen lassen.«
Schauen wir uns zunächst einmal das Wort »Respekt« genauer an: Respekt ist abgeleitet vom lateinischen Verb respicere (= zurückschauen) und bedeutet so viel wie Rücksicht nehmen. Respektlosigkeit ist demnach die mangelnde Fähigkeit bzw. der mangelnde Wille, den anderen mit seinen Wünschen und Bedürfnissen zu sehen und sein eigenes Verhalten darauf einzustellen. Wer dem Gegenüber in einem Konflikt also Respektlosigkeit unterstellt, formuliert indirekt einen Vorwurf: »Du tust das nur, weil du mich nicht respektierst.« Auf unseren Streit übertragen würde der Vorwurf lauten: »Du kommst zu spät, weil du egoistisch bist und mich nicht respektierst!«
Alexandra unterstellt Sascha, dass dessen Verspätungen, wenn nicht mit böser Absicht, so doch zumindest aus grober Rücksichtslosigkeit ihr gegenüber geschehen. Und schon schnappt sie zu, die Respektfalle. Denn durch den offenen oder auch versteckten Vorwurf der Respektlosigkeit bekommt der Konflikt um die Frage von Pünktlichkeit eine zusätzliche Komponente – Alexandra stellt die Beziehungsfrage und integriert sie in den Konflikt: »Wenn du mich respektieren würdest, wärest du pünktlich.« Die Respekt-Dimension trägt durch den doppelten Vorwurf (»Du kommst immer zu spät. Du respektierst mich nicht.«) zu einer Verschärfung des Konflikts bei.
Wie ein Konflikt aussehen könnte, in dem die Respektfalle zuschnappt, zeigt der folgende Dialog:
»Deine Unpünktlichkeit finde ich einfach respektlos mir gegenüber.«
»Was hat das denn damit zu tun? Mein Gott, die Stadt ist voll mit Autos und ich habe keinen Parkplatz gefunden. Das Parkhaus war voll.«
»Das Parkhaus war voll … Dann fahr doch einfach früher los. Das wäre respektvoll. Du weißt doch, dass ich hier in der Kälte stehe.«
»Ich bin früh genug losgefahren. Aber mit dem vollen Parkhaus konnte ich nicht rechnen. Sonst findet man da immer einen Platz.«
»Noch einmal: Ich finde das respektlos, mich so lange warten zu lassen.«
»Und ich sage noch einmal: Damit konnte ich nicht rechnen. Das hat mit Respekt nichts zu tun. Ich respektier dich doch.«
»Nein, tust du nicht. Sonst wärst du pünktlich.«
»Tu ich doch. Das Parkhaus war voll. Das ist alles!«
Eine Endlosschleife! Gegen die moralische Keule des Vorwurfs der Respektlosigkeit führt der verspätete Sascha immer wieder die widrigen Umstände der vollen Innenstadt und des belegten Parkhauses ins Feld. Die Frage, ob Sascha Alexandra respektiert oder nicht, ist müßig und kontraproduktiv. Sie gibt dem Konflikt eine verschärfende und kaum zu lösende Dimension. Denn Respekt ist nicht einklagbar, wie das folgende Beispiel zeigt:
»Du sollst mich respektieren.«
»Tu ich doch.«
»Nein, tust du nicht. Sonst wärst du pünktlich.«
»Hallo! Das hat doch nichts miteinander zu tun.«
»Hat es doch. Ich möchte, dass du mich respektierst.«
»Was denn jetzt. Willst du Respekt oder Pünktlichkeit?«
»Beides!«
»Respektieren tu ich dich.«
»Nein, sonst wärst du pünktlich!«
Woran will Alexandra denn bemessen, ob Sascha sie respektiert? Der einzige Grund für die unterstellte Respektlosigkeit in diesem Konflikt ist Saschas Unpünktlichkeit. Wenn dieser also rechtzeitig zu den vereinbarten Treffen erscheint, bekommt Alexandra automatisch den Respekt, den sie erwartet. Folglich würde es reichen, den Inhalt des Konflikts auf die Frage der Pünktlichkeit zu begrenzen. Denn durch die Beschränkung auf den Zeitfaktor würde der Konflikt spürbar entschärft – zumindest eine massive Vorwurfsebene fiele weg.
Mit einer Kritik an unseren Verspätungen können wir in der Regel konstruktiv umgehen, mit dem Vorwurf der Respektlosigkeit kaum, denn dieser rührt an den Grundfesten unserer Persönlichkeit. Stellen wir uns einfach mal vor, wie viel leichter es uns fallen würde, zuzugestehen, dass wir ein Problem damit haben, pünktlich zu sein. Aber wer von uns könnte einräumen, respektlos zu sein?
Daher behaupten wir:
Die Ausklammerung der Respektfrage und die damit verbundene Beschränkung des Konflikts auf das jeweils zentrale Problem (wie Verspätungen) ist eine notwendige Voraussetzung für eine konstruktive Bewältigung. Und ganz nebenbei bekommen wir bei Erfüllung unserer Wünsche (wie pünktliches Erscheinen) den vermeintlich fehlenden Respekt gratis mitgeliefert.
Mit diesen Überlegungen wollen wir aber nicht etwa behaupten, dass es keine Konflikte um Respekt geben kann: Wenn eine Person eine andere beleidigt, geht es in dem Konflikt unmittelbar um Respekt. Der Unterschied zwischen einem genuinen Respektkonflikt und einem Konflikt, in dem die Frage von Respekt quasi durch die Hintertür Einzug hält, wird an folgenden Beispielen deutlich:
• Das Gegenteil einer Verspätung ist nicht Respekt, sondern Pünktlichkeit. Unterstellter mangelnder Respekt im Zusammenhang mit Verspätungen ist lediglich die Folge einer bestimmten Bewertung dessen, warum die andere Person unpünktlich ist. Daher handelt es sich bei dem Satz »Du kommst zu spät, weil du mich nicht respektierst« um eine Respektfalle.
• Das Gegenteil der Nichteinhaltung eines Putzplans ist nicht Respekt, sondern die Erledigung der vereinbarten Putzarbeiten. Unterstellte Respektlosigkeit ist die Folge einer negativen Bewertung dessen, warum der Partner sich nicht an den Putzplan hält. Daher handelt es sich bei dem Satz »Du putzt nicht, weil du mich nicht respektierst« um eine Respektfalle.
• Das Gegenteil eines unordentlich hinterlassenen Arbeitsraums ist die ordnungsgemäße Übergabe und nicht Respekt. Daher handelt es sich bei dem Satz »Du hinterlässt mir den Raum so chaotisch, weil du mich nicht respektierst« um eine Respektfalle.
• Aber: Das Gegenteil von Beleidigungen ist die respektvolle Kommunikation. Bei einer Beleidigung (»Deine Beleidigung ist respektlos«) handelt es sich also um einen Respektkonflikt.
Eine Beleidigung ist Respektlosigkeit – und nicht die Bewertung dessen, was die Ursache einer Verspätung, dem Nicht-Putzen oder der Unordnung sein mag. Den Unterschied zwischen einer Respektfalle und einem Konflikt um Respekt können wir demnach ganz einfach daran erkennen, dass wir zunächst das uns störende Verhalten benennen und davon dann das Gegenteil bilden. Wenn wir bei Letzterem beim Respekt landen, handelt es sich tatsächlich um einen Konflikt um Respekt. Sollte aber bei der Gegenteilsbildung ein konkretes Verhalten herauskommen, laufen wir Gefahr, in die Respektfalle zu geraten.
Jeder Konflikt, in dem es um das
Wie der Kommunikation geht, ist ein Konflikt um Respekt. Hier kann die Respektfalle nicht zuschnappen. In allen anderen Konflikten gilt:
Die Unterstellung der Respektlosigkeit als Ursache des störenden Verhaltens trägt zur Verschärfung des Konfl ikts bei und ist Teil der mentalen Aufrüstung zum Kampf. Wer gedanklich in die Respektfalle tappt, rüstet sich zum respektlosen (= verletzenden) Gegenschlag.
Die beiden ersten Fallstricke eines Konflikts zeigen, dass der Grundstein für die destruktive Konfliktbewältigung bereits vor dem verspäteten Erscheinen Saschas am vereinbarten Treffpunkt gelegt wurde. Alexandras Urteile über ihren Freund (»Dieser egoistische Macker respektiert mich einfach nicht!«) wurden zwischen 14:00 Uhr und 14:23 Uhr gefällt. Ihr erster Satz nach Saschas Ankunft (»Ja, sag mal, spinnst du!«) ist die psycho-logische Konsequenz von Alexandras Urteilen und ihrer damit verbundenen inneren Aufrüstung.
Fazit: Wenn wir den Grundstein für eine konstruktive Konfliktbewältigung legen möchten, müssen wir bereits die Zeit vor dem eigentlichen Streit berücksichtigen. Die konstruktive Konfliktbewältigung, so werden wir später zeigen, steht und fällt mit einer wertschätzenden und zugleich selbstkritischen gedanklichen Vorbereitung.
3. Fallstrick: Du bist schuld!
Wie lange mussten Sie Ihren Unmut bereits zurückhalten? Vermutlich mehrere Minuten! Oder haben Sie sich während des Lesens der beiden letzten Abschnitte nicht immer wieder darüber geärgert, dass das eigentliche Opfer des Konflikts – nämlich Alexandra – zur Täterin abgestempelt wurde? Dabei scheint es doch glasklar zu sein: Nicht etwa Alexandra trägt die Schuld an der Eskalation des Streits, sondern der – häufig! – verspätete Sascha. Also fängt der Konflikt nicht erst um 14:00 Uhr mit Alexandras innerer Aufrüstung an, sondern bereits einige Wochen oder gar Monate vorher mit Saschas ständigen Verspätungen. Das bedeutet: Alexandra ist Opfer und Sascha Täter.
Einverstanden: Um zu verhindern, dass Sie dieses Buch wutentbrannt und vorschnell in die Ecke werfen, übernehmen wir diese Täter-Opfer-Konstellation. Die Sachlage des Konflikts ist demnach eindeutig: Sascha als notorischer Zuspätkommer ist schuld an dem Ärger seiner Freundin Alexandra. Schließlich verstößt er gegen einen Grundsatz, der da lautet: Auf die Minute pünktlich zu sein ist – zumindest in Deutschland – Pflicht. Und wer unpünktlich ist, stiehlt dem anderen Zeit. Somit ist der Ärger von Alexandra absolut verständlich – zumal der Nieselregen bei einer Temperatur von knapp über null Grad Celsius sein Übriges tut, ihre Wut anzuheizen. Folglich lässt Alexandra mit dem Erscheinen Saschas am vereinbarten Treffpunkt ihrem berechtigten Ärger freien Lauf. Sascha mit seinen Verspätungen hat angefangen mit dem Konflikt – Alexandra schießt lediglich zurück. Denn schließlich heißt es: Angriff ist die beste Verteidigung.
Aus dieser Perspektive betrachtet gibt es tatsächlich eine eindeutige Täter-Opfer-Konstellation.
Doch wechseln wir die Perspektive und versetzen wir uns in die Lage von Sascha. Seine Entgegnung auf Alexandras grußlosen Angriff lautete: »Vielleicht könntest du mich erst einmal grüßen, statt direkt anzumachen?« Auch hinter dieser Aussage verbirgt sich eine Opferhaltung, die sich ein paar Sekunden später an einem weiteren Punkt offenbart: »Vielleicht grüßt du mich erst einmal und fragst nach, warum ich überhaupt zu spät komme. Aber nein, immer sofort die Breitseite!«
Würde man Sascha befragen, warum er – trotz seiner Verspätung – direkt so vorwurfsvoll kontert, würde er vermutlich antworten: »Über die Verspätung hätte ich ja gerne mit Alexandra gesprochen und mich dafür auch entschuldigt, aber wenn ich direkt ohne Gruß in diesem arroganten Ton angeblafft werde, dann legt sich bei mir ein Schalter um. Denn das macht die immer: Erst mal draufhauen – und zwar ohne zu grüßen und zu fragen. Und das nach dem Verkehrschaos und der ewigen Parkplatzsuche!« In Saschas Gedanken verwandelt sich die keifende Alexandra blitzschnell in eine blöde Kuh, die so respektlos ist, ihn ohne Gruß anzugreifen. Und auch er nimmt für sich in Anspruch: Angriff ist die beste Verteidigung.
Tja. Wer hat nun recht in dem Konflikt? Hat nicht Alexandra wenigstens ein wenig mehr recht als Sascha und ist dadurch das größere Opfer?
Schon die Fragestellung nach Recht und Unrecht in einem Konflikt ist ein Fallstrick. Denn wir sollten einfach zur Kenntnis nehmen, dass es nur in den wenigsten Konflikten eine eindeutige Täter-Opfer-Konstellation gibt. In den meisten Streits haben die beteiligten Parteien eine jeweils eigene Sicht der Dinge und legitimieren das eigene verletzende Vorgehen als Vergeltung für die Verletzung, die ihnen das Gegenüber zugefügt hat.
Jeder, der in einem Konfl ikt den Kontrahenten verletzt, legitimiert die eigene Vorgehensweise mit einer erlittenen Verletzung und defi niert sich als Opfer. Die Vergeltung der Vergeltung der Vergeltung …
Auch hier bemühen wir größere Zusammenhänge. Immer wieder werden auf der politischen Bühne Opferhaltungen konstruiert, um militärische oder paramilitärische Angriffe als Verteidigungsschläge zu legitimieren: ein Volk ohne Raum, geknebelt vom Versailler Vertrag, mobilisiert die Wehr(!)macht; die zivilisierte Welt verteidigt weltweit ihre Freiheiten gegen die Achse des Bösen; der Heilige Krieg von Gotteskriegern wird geführt gegen den Imperialismus der westlichen Welt; weltweit gibt es keine Kriegs-, sondern nur Verteidigungsministerien; mit einem präventiv-angreifenden Verteidigungskrieg (siehe zweiter Irakkrieg) wird ein erwarteter (!) Angriff verteidigend abgewehrt; rassistische Übergriffe gegen Ausländer werden legitimiert als Abwehr von Überfremdung; Neonazis organisieren sich in Wehrsportgruppen … Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen mit immer dem gleichen Ergebnis: Angriffe wurden und werden stets legitimiert als angreifende Verteidigung.
Sie sehen: Wir lieben es zu provozieren, indem wir den Bogen spannen von den kleinen zu den großen Kriegen – und wieder zurück. Beide, Sascha und Alexandra, legitimieren ihr verletzendes Vorgehen mit der Verletzung, die sie durch ihr Gegenüber erlitten haben: Sascha kommt immer zu spät, und Alexandra hat stets einen verletzenden Ton auf den Lippen und fragt überhaupt nicht nach den Gründen für Saschas Verspätungen. Im Streit selbst, in dem ein Wort das andere gibt, wird jede eigene Gemeinheit dann nur noch ge-recht-fertigt mit der vorangegangenen Verletzung des Gegenübers. Der Konflikt mutiert zu einem Kampf mit ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten:
• Verletzungen sollen vermieden werden durch die Verletzung des Gegners.
• Wunden sollen geheilt werden durch die Verwundung des Gegners.
• Du oder Ich – nur einer kann gewinnen. Einvernehmliche Lösungen sind ausgeschlossen.
Das ursprüngliche Motiv des Konflikts rückt bei einer destruktiven Vorgehensweise schnell in den Hintergrund: Statt um die Verspätung geht es um die Vergeltung der Vergeltung und um die Wahrung des eigenen Gesichts. Das Gewinnenmüssen rückt in das Zentrum des Konflikts. Und als Legitimation für eigene verletzende Angriffe dient immer eine Opferhaltung: »Du bist selbst schuld! Wenn du nicht..., dann hätte ich auch nicht...!«
Fazit: Angriffe werden immer legitimiert als angreifende Verteidigung: »Du bist schließlich selbst schuld, weil du...« Und wer in einem Konflikt austeilt, liefert dem Kontrahenten einen willkommenen Anlass für einen verteidigenden Angriff. Ein kleiner Seitenhieb kann reichen, dass ein Konflikt sich in einen Kampf nach dem Prinzip der Vergeltung der Vergeltung verwandelt.
4. Fallstrick: Vorwürfe
Der Konflikt zwischen Alexandra und Sascha bietet hinreichend Anschauungsmaterial in Sachen offene und vor allem auch versteckte Vorwürfe. Filtern wir einmal heraus, welche vorwurfsvollen Botschaften sich hinter den jeweiligen Äußerungen verbergen. Die folgende Auflistung ist dabei gar nicht vollständig:
• Alexandra: »Ja, sag mal, spinnst du. Ich warte seit einer halben Stunde auf dich.« (= Du spinnst. Du stiehlst mir meine Zeit.)
• Sascha: »Vielleicht grüßt du erst einmal und fragst nach, warum ich überhaupt zu spät komme.« (= Du missachtest die grundlegenden Regeln der respektvollen Kommunikation. Du bist überhaupt nicht daran interessiert, die Ursachen meiner Verspätung zu erfahren.)
• Sascha: »Immer sofort die Breitseite!« (= Du greifst mich ohne Kenntnis der Sachlage und daher völlig ungerechtfertigt an.)
• Alexandra: »Du kommst doch jedes Mal zu spät und hast dann irgendwelche Ausreden.« (= Du bist ein notorischer Zu-spät-Kommer. Du lügst mich an.)
• Alexandra: »Immer sind die anderen schuld.« (= Du lenkst die Schuld immer von dir auf andere und stilisierst dich dadurch fälschlicherweise vom Täter zum Opfer.)
• Alexandra: »Wie wäre es, wenn der gnädige Herr einfach mal früher losfährt?« (Ironie = Du bist gnadenlos; du fährst viel zu spät los!)
• Sascha: »Spar dir deinen Zynismus!« (= Du behandelst mich herablassend und respektlos.)
• Alexandra: »Typisch Mann: Immer die anderen nach der eigenen Pfeife tanzen lassen.« (= Du bist genauso egoistisch wie alle Männer. Ihr nutzt uns Frauen aus!)
• Sascha: »Ich kann nichts für deinen Frust mit anderen Männern. Mach das mit deinem Ex aus, nicht mit mir.« (= Du greifst mich stellvertretend für deinen Ex an. Du bist also völlig ungerecht.)
• Sascha: »Ist ja wohl langsam klar, warum der’ne Neue hat.« (= Du bist völlig zu Recht verlassen worden, denn mit dir kann es kein Mann aushalten.)
Dieser kurze Dialog lässt erkennen, dass der »Wurf« im Wort »Vorwurf« nicht zufällig enthalten ist. Jeder offene oder versteckte Vorwurf in einem Konflikt geschieht mit der bewussten oder unbewussten Absicht, den jeweiligen Kontrahenten zu treffen. »Du handelst oder bist falsch!«, so lautet die Botschaft eines Vorwurfs. Und in einem Vorwurf enthalten ist zwangsläufig die Haltung eines Richters. Denn wer sich anmaßt, die Verhaltensweisen oder gar den Charakter eines anderen Menschen als falsch zu verurteilen, begibt sich in eine übergeordnete richterliche Position. Allein diese Behandlung von oben herab reicht in den meisten Konflikten aus, dass sich die verurteilte Person angegriffen und verletzt fühlt, eine Opferhaltung einnimmt und zum Gegenangriff bläst: »Über meine Verspätung hätten wir ja reden können – aber nicht, wenn du mich grußlos und ohne Nachfragen so von oben herab behandelst.«
Für gleichgestellte Personen gilt der Grundsatz: Wechselseitiger Respekt drückt sich dadurch aus, dass sich auch die Kommunikation partnerschaftlich vollziehen muss. Wer diese Ebene der Gleichstellung verlässt und den Freund oder die Freundin durch Vorwürfe von oben herab behandelt, läuft Gefahr, den jeweiligen Kommunikationspartner zu verletzen.
Jeder Vorwurf kommt von oben. Es gibt keine partnerschaftlichen Vorwürfe. Die richterliche Instanz haftet wie ein Makel an jedem noch so vorsichtig formulierten Vorwurf. Das bedeutet: Jeder Vorwurf unter Freunden, Bekannten oder Kollegen ist potenziell verletzend. Zugespitzt müssen wir demnach feststellen, dass eine konstruktive Konfliktbearbeitung zwischen Personen, die auf der gleichen hierarchischen Stufe stehen, frei von Vorwürfen sein muss. Ein schwieriges Unterfangen, wie wir später sehen werden.
Aber kehren wir noch einmal zum Streitgespräch der beiden Freunde zurück. Wir können erkennen, dass es gespickt ist mit offenen und vor allem versteckten Vorwürfen. Doch damit nicht genug: In einigen der Vorwürfe ist durch die Verallgemeinerungen (»immer«, »jedes Mal«, »ständig«) eine Art Generalangriff auf den Charakter des jeweiligen Gegenübers enthalten:
• Sascha: »Aber nein, immer sofort die Breitseite!« (= Du bist eine aggressive Angreiferin.)
• Alexandra: »Du kommst doch jedes Mal zu spät und hast dann immer irgendwelche Ausreden.« (= Du bist durch und durch unpünktlich und bist ein Lügner.)
• Alexandra: »Immer sind die anderen schuld.« (= Du hast die durchgehende Angewohnheit, dich vom Täter zum Opfer zu machen. Du bist ein Mensch, der keine Verantwortung übernimmt.)
• Alexandra: »Typisch Mann: Immer die anderen nach der eigenen Pfeife tanzen lassen.« (= Du bist – wie alle anderen Männer auch – durch und durch egoistisch.)
• Sascha: »Ich kann nichts für deinen Frust mit Männern. Mach das mit deinem Ex aus, nicht mit mir.« (Du hast den negativen Charakterzug, dass du deine Probleme mit deinem Ex immer auf mich überträgst.)
Jede Verallgemeinerung in einem Konflikt ist destruktiv und potenziert das Verletzungspotenzial eines Vorwurfs. Vergleichen Sie einmal die folgenden beiden Vorwurfspaare:
• Alexandra: »Wir waren für 14:00 Uhr verabredet, und jetzt ist es 14:25 Uhr. Du bist 23 Minuten zu spät.«
• Alexandra: »Du kommst doch jedes Mal zu spät und hast dann immer...«
Oder:
• Sascha: »Als ich eben hier angekommen bin, habe ich direkt die Breitseite von dir gekriegt.«
• Sascha: »Aber nein, immer sofort die Breitseite!«
Im jeweils ersten Beispiel wird das konkrete Verhalten des Konfliktpartners kritisiert. Der herabsetzende Vorwurf bezieht sich ausdrücklich auf den aktuellen Konflikt. In den zweiten Beispielen dagegen wird das aktuelle Verhalten benutzt, um daran den Charakter des jeweiligen Gegenübers an den Pranger zu stellen.
Fazit: Wer in einem Konflikt verallgemeinernde Vorwürfe verwendet, kritisiert und verurteilt nicht mehr nur das Verhalten des Gegenübers, sondern greift die Person als Ganzes an. Und nicht ganz zufällig suchen wir uns für unsere Vorwürfe genau die Stellen des Gegenübers aus, an denen dieser am verletzlichsten ist – seinen Selbstwert.
5. Fallstrick: Beleidigungen
»Blöder Macker!« Mit dieser Beleidigung wird Sascha kurzerhand eingereiht in die Riege der Kerle, die von den Restbeständen fossiler Männlichkeit zehren und ihre Geschlechteridentität auf Machogehabe und Frauenabwertung aufbauen. Diese Beleidigung muss sich ausgerechnet Sascha sagen lassen, der doch so viel Wert darauf legt, ein »neuer Mann« zu sein. Naheliegend, dass der Schlag gesessen hat und diese Beleidigung einen beleidigenden Konter erfordert: »Hysterische Ziege!« Auch dieser Schlag sitzt. Denn wenn Alexandra eines an sich hasst, dann ihre zuweilen aufbrausende Art. Schon seit Jahren versucht sie, diese in den Griff zu bekommen...