Nicht wenige der hier versammelten Texte erschienen zunächst im Bayerischen Rundfunk, bei MDR Figaro, in der Tageszeitung junge Welt, in der Zeitschrift Das Magazin oder in Häuptling Eigener Herd. Für die gute Zusammenarbeit bedankt sich der Autor bei Thomas Bodmer, Knut Cordsen, Michael Hametner, Christof Meueler und Manuela Thieme.
Der Superlativ greift um sich. Dessen er habhaft werden kann, das grapscht er sich und bläst es auf. Aus Nichtigkeiten macht er: das Beste, das Größte, das Schärfste oder das Allerschlimmste. Was nicht gigantisch daherkommt, geht unter und wird unsichtbar, als existiere es nicht.
Telefonisch buchte ich ein Zimmer im Steigenberger Esplanade Hotel in Jena. Zunächst geriet ich in die Warteschleife und wurde von einer seifenreklamefreundlichen Automatenstimme »um etwas Geduld« gebeten. Zur Sedierung wurde Lullsoßenmusik gespielt. Es handelte sich also um einen jener Vorgänge, die allgemein nicht mehr als unangenehm empfunden, sondern als normal erachtet werden, weil man sich an den Niedergang gewöhnt hat und sich pragmatisch in ihm einzurichten versucht. Dazu bedarf es einer kosmetischen Sprache; dieselbe Telefonstimme versicherte mir, dass man sich »schnellstmöglichst« um mich kümmern werde. Bei »schnellstmöglichst« wurde ich endgültig hellhörig wach: doppelter Superlativ, das ist dann schon Superlativitis.
Wer sich verbal derartig die Beine ausreißt, hat keine Kraft mehr, seine Ankündigungen noch wahrzumachen; wo ein zweifacher Superlativ im Schaufenster liegt, da ist am Lager Ebbe. Rhetorisches Hyperventilieren führt zu nichts – außer zum Verlust von Sprache und Verstand respektive dem Rest, der davon noch übrig ist. Im Kult des permanenten Besten muss es den Superlativ unbedingt auch in verdoppelter Form geben: Die »bestgehütetsten« Geheimnisse werden gelüftet, der »bestverdienendste« und »bestaussehendste« Mann wird bestaunt, das »meistverkaufteste« Automobil bejubelt, das ist nun einmal »am optimalsten«, schließlich fährt es »schnellstmöglichst«. Der im Wort »schnellstmöglichst« sich manifestierende Zwang, mit jedem Satz die Bereitschaft zur Erringung eines goldenen Leistungsabzeichens zu demonstrieren, bringt das Simulationsleben im Konsumismus auf den Punkt: »schnellstmöglichst« sich und alles zur Ware machen, so gewinnstbringendst es gerade ebenst noch geht.
Das Dresdner Mercure-Hotel lässt sich gleichfalls nicht lumpen und bietet »Style und Design, Wohlfühl-Atmosphäre, persönlichen Service und beste Citylage. Hier lebt man als Vier-Sterne-Gast«. Dass eine Innenstadtlage automatisch eine »beste Citylage« sein oder doch wenigstens genannt werden muss, ist längst Pflicht und Ehrensache; eine »Wohlfühl-Atmosphäre« klingt entfernt nach hundehaufiger Reklame für Romika-Schuhe: »Reintreten und sich wohlfühlen.« Und als »Vier-Sterne-Gast« kann man es sich nicht einfach gut gehen lassen, da muss man etwas leisten, sonst wird ein Stern aberkannt und der Gast degradiert, wahrscheinlich zum Drei-Sterne-General.
Über die Stadt Chemnitz – früher: Karl-Marx-Stadt, noch früher: Chemnitz – wird auf einer Ansichtskarte verbreitet, sie sei »toll – super – nett – riesig – fantastisch – zauberhaft – liebenswert – einmalig – herzlich – prima«. Wer diesen Adjektivbeschuss überlebte, kann selbst nachschauen, wie ihm die sächsische Stadt gefällt. In Mode- und Mediensprech wäre sie aber unbedingt »mega«.
»Mega« ist überall, fällt aus jedem Mund, dringt in jedes Ohr. Kamerad Mitmensch macht zehnmal am Tag eine »Mega-Erfahrung« und findet das, wie es von ihm verlangt wird, entsprechend »mega-geil«. Die Nachrichtenillustrierte Der Spiegel klassifiziert einen Film als »Mega-Blockbuster« – ließe sich das gegebenenfalls noch steigern? Mit »SuperMegaDollyBlockwartBuster«? Oder muss es in Zeiten der gratis-in-die-Schuhe-schieberischen 68er-Dämonisierung statt Blockwart besser gleich »ErnstBlochwart« heißen?
Ohne Megaphon-Geschrei geht gar nichts mehr – je brüllendlauter, desto mega. Wer das griechische »mega« korrekt mit »groß« oder »Million« übersetzt, ist ein Altmodiker und damit »mega-out«; wer »MEGA« für die Abkürzung von »Marx-Engels-Gesamt-Ausgabe« hält, liegt zwar völlig richtig, wird aber in einer von Kenntnisfreiheit und stolzer Ignoranz durchprägten Informationsgesellschaft auf den Schrottplatz verwiesen. »Max ist tot!«, frohlockte bereits 1989 Norbert Blüm. Max? Welcher Max? Das Geheimnis seiner Botschaft erschloss sich in Blüms Mundart: Auf hessisch ist Marx eben: Max. Und vor allen Dingen: tot – also garantiert kein bisschen mega.
Es gibt Abkürzungen, die so schmerzen wie eine Amputation am lebenden Wort ohne Narkose. Wenn aus einer Information eine »Info« wird, bekommt man es mit Geiz zu tun, mit Geiz an Gedanken. Wer Sachverhalte zu kniepigen »Infos« verknappt, muss diese zur Kompensation dann tüchtig auswalzen und nennt das »Kommunikation«, denn wer nichts wird, wird Kommunikationswirt. Wenn er ausgelernt hat, kann er fließend kommunizieren, ohne dabei von der geringsten Sinnbeimengung gestört zu werden, und sagt also: »Diese Info muss kommuniziert werden.« Kommu, die kleine Nikation, ist schließlich die mediale Info, und das ist logo; logo kommt aber nicht von Logik, sondern von Logorrhöe.
Info ist der schabbelige Rest von Information; ein höchst verwunderlicher Rest wohnt indes auch dem Info-Wort »Restjugoslawien« inne, das seit einigen Jahren kursiert und grassiert. Wenn es ein »Restjugoslawien« gibt, müsste es folgerichtig auch Restjugoslawen geben. Weil es aber offenkundig allzu unhöflich wäre, jemanden einen »Restjugoslawen« zu nennen – »Guten Abend, Herr Girrschitsch, Sie sind ein vitaler, fleißiger Restjugoslawe …« – sagt man das lieber nicht, das klänge gleich nach Versehrtensport, nach Arm oder Bein ab, jedenfalls nicht gut, sondern nach Krieg. Den die Nato gegen Serbien vulgo Restjugoslawien zwar führte, dessen Folgen man aber lieber verschweigt. Und so kommt es zu der erstaunlichen Tatsache, dass es Restjugoslawien gibt, nicht aber einen einzigen Restjugoslawen. Der dann ohnehin bloß mit »Reststrommengen« hausieren ginge, von denen auch niemand sagen kann, was sie bedeuten.
Vom Restjugoslawen und der Reststrommenge ist es nur ein kleiner Schritt zum »Resto«; ein Resto ist das, was von einem Restaurant übrig bleibt, wenn das Schischi-Publikum mit ihm fertig ist. Für alle, die ins Resto essen gehen möchten, kann man einmal den Küchenboden kehren und das Ergebnis mit Schauspielergrandezza servieren: Meine Herrschaften! Exklusiv der schäbige Rest – möge er munden wie die Pest! Woraufhin die Kundschaft mit den Zungen schnalzt und aufstöhnt vor eingebildeten Wonnen: Aaah, Resto al Pesto – Maître, Sie verwöhnen uns, Sie sind zu gütig …!
Nach dem Besuch im Resto können die Schaumacherkarren erklommen werden, in denen Damen und Herren vom Sterne Möchtegerne sich herumkutschieren lassen und die nicht Limousinen, sondern »Limos« heißen müssen, was sehr gut zu ihren Insassen passt. Damit der Matsch sich runde und auch besser in die Gehörgänge hineinflutsche, braucht es ein Gleitmittel: Mayo. Mit Mayo rutscht die Info besser. Man soll niemanden und nichts unterschätzen, auch keine Mayonnaise. Im holländischen Lokal »De Prins« in Essen sah ich, wie weit man es als Lebensmittel bringen kann: Eine »Mayo des Monats« wurde dort feilgehalten und prämiiert. Fasziniert von der Welt und ihren Möglichkeiten stippte ich eine Fritte in den weißen Schlabber, hielt inne und dachte: Wenn nun auch nichts mehr aus mir werden will oder soll – einen Ehrgeiz hätte ich noch, eine Ambition, ein Ziel: in diesem Resto einmal Mayo des Monats sein, und das als Info kommunizieren, aber logo.
»Mein Schuh. Meine Welt.«, steht auf einer Einkaufstüte; eine Frau trägt sie flinken Schrittes davon. Obwohl ich mit Werbung aufwuchs, mit dem Lenor-Gewissen, mit Ariel für den porentief reinen Arier, mit Redleffsen, dem Würstchen mit dem Reißverschluss, und mit Joghurt, so wertvoll wie ein kleines Steak, und mir also die Mischung aus Idiotie und Infamie, die man Reklame nennt, durchaus geläufig ist, vermag ich dieses kaum zu fassen: »Mein Schuh. Meine Welt.« Sicher, die Welt riecht nicht immer gut und manchmal vielleicht sogar auch nach Käsfuß mit Musik, aber dass sie auf die Größe eines Schuhs zusammenschnurrte, das kann tatsächlich nur ein Werbetexter ersonnen haben, einer, der die Welt, in seinen Worten gesprochen, »herunterbricht« auf das Banale, Gewöhnliche, Vulgäre, das er aus ihr macht. Klein und käuflich muss sie sein, nur dann passt sie in seinen Schrumpfkopf hinein.
Längst hat die Werbung ein gigantisches Konsumenten-Ich entwickelt. »Füttere mich!«, brüllt es, und mehrmals täglich und im Idealfall rund um die Uhr quengelt es: »Wo ist mein Geschenk?« Der nahezu harmlose »Konsumterror«, von dem in den Sechziger und Siebziger Jahren die Rede war, ist lange tief verinnerlicht; der Terrorist ist inzwischen der Konsument selbst, er ist sein Kern, er sitzt in seinem Inneren und gibt keine Ruhe – das ist das Ich, das übrig blieb, Millionen von Ichs, die Arbeits-, Jubel- oder Konsum-Masse sein dürfen und sonst nichts, und die darauf mit noch weiter übersteigertem Ich-Ich-Ich-Gespreize reagieren.
Der Versuch, sein Ich aus anderen Quellen als dem Konsum zu speisen und zu formen, ist am Rande der Strafbarkeit angesiedelt und wird als antisozialer Akt bewertet. Gesellschaftliche Abstrafung ist allerdings nur in seltensten Fällen notwendig; von klein auf wird dem heranreifenden Konsumenten zu verstehen gegeben, dass er seine Welt, sein Leben, sein Ego allein im Konsumismus finden und ausprägen kann, im bewusstlosen Haben, im hemmungslosen Greifen. Die Beute ist der Konsument selbst; in der erworbenen Ware hält er sich selbst in der Hand, sein Leben, seine Welt.
In dem Wissen, dass Beutejäger und Beute längst unteilbar eins sind, bewirbt ein stammhirnauslöschender Sender sich und sein Programm analog mit der Parole »Mein RTL«; je weniger dem Konsumenten das eigene Leben gehört, desto lauter muss er »Meins! Mein Leben! Meine Welt!« behaupten. Allein im Konsum ist ihm das Recht auf eine Existenz zugebilligt; zurückgeworfen auf nichts als die Konsumkraft, lautet sein verzweifeltes Credo: Ich konsumiere, also bin ich.
»Bei vielen Menschen«, wusste Theodor Adorno, »ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen.« Der scheinbare Nullinger-Slogan »Mein Schuh. Meine Welt.« sagt nichts anderes; er treibt Adornos Diktum sogar noch auf die Spitze. So wird die zum Konsum blasende Werbung selbst zum Instrument fundamentaler Konsumkritik. Wenn einem das nicht die Schuhe auszieht.
»Kannst du mir das bitte ausdrucken?«, frage ich den Radioredakteur, damit er den Text, der noch im Computer steckt, aufs Papier befördern und ihm damit aus der virtuellen in die wirkliche Welt hineinhelfen möge. Ausdrucken? Ich wurde selbst stutzig: Wieso ausdrucken? Es geht ums Drucken, wozu die Vorsilbe »aus«? Damit wir uns besser vorstellen können, wie das bedruckte Blatt aus dem Drucker herauskommt?
Ob ich einen Roman »als Hörbuch einlesen« könne, möchte eine Verlagslektorin wissen; ich tu es gern, aber: »einlesen«? Wo denn nur hinein? Durch das Mikrophon in den Rechner, in dem der Roman dann verschwände? Reicht es nicht, wenn ich den Roman einfach lese? Muss es »einlesen« sein? Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen Lesen und Einlesen? Oder geht es darum, den Vorgang des Lesens mit zusätzlicher Bedeutung aufzuladen? Und das Hörbuch durch das Einlesen aufzuwerten, so wie man einen Hering schmackhafter macht, indem man ihn einlegt? (Und wenn wir gerade schon bei »schmackhaft« sind – könnte man den Fernsehkoch Johann Lafer nicht zu einem Jahr Schmackhaft verdonnern, wenn er sich wieder einmal als Werbeträger verdingt? Meinetwegen auch auf beziehungsweise zur Bewährung?)
Ich könne ihm eine Nachricht auf seinen Anrufbeantworter »aufsprechen«, sagt ein Freund. Ich finde sprechen völlig ausreichend, aber wenn er darauf besteht, spreche ich ihm auch etwas auf. Wo aber läge anschließend die aufgesprochene Nachricht? Oben auf dem Anrufbeantworter? (Der streng genommen gar kein Anrufbeantworter ist, sondern ein Anrufentgegennehmer oder Anrufaufzeichner.) Wenn aber die Nachricht in der Maschine steckt, habe ich den Anruf dann nicht eher eingesprochen?
»Das müsste man gegebenenfalls abklären«, lautet eine gängige adäquate Antwort auf all diese Fragen. Zwar genügt es, einen Sachverhalt zu klären; einer Abklärung bedarf niemand, und es gibt sie wohl auch gar nicht, außer in der Welt, in der man abtanzt und sogar abhottet, bis auch das abgefrühstückt ist, wahlweise sogar abgemolken, Hauptsache ab dafür – das klingt so entschieden, so stark, so absolut. Die Buchstaben »Ab« sind sinnvoll bei Abenteuern, beim Abendbrot im Abendrot, beim Abmurksen des Abtes, beim Abakadabra, beim ABC, beim Absatteln, beim Abluchsen, beim Theaterabonnement oder beim Absinth. Abklären muss man nichts, das ist überflüssig, wenn auch kein Bein ab.
Nachdem der freundliche Redakteur diesen Text ausdruckte und wir noch Details abgeklärt hatten, las ich ihn ein; dann wurde er von den Technikern abgespeichert, anschließend hörten wir ihn noch einmal gemeinsam ab. Nein, das stimmt nur zur Hälfte; wir hörten ihn auch durch!
Und das alles, damit die Hörerinnen und Hörer ihn später anhören könnten. Viel lieber wäre mir allerdings, man könnte den gesprochenen Text schlicht hören. Hören ist hinreichend, zum Hören und Verstehen braucht man keinen Aus-ein-auf-ab-und-durch-Salat.
Doch wie sagte schon ein großer Indianerhäuptling, nachdem er den Telefonhörer beiseite gelegt hatte? – Howgh, ich habe aufgesprochen.
Im Bahnhof kaufte ich gewohnheitsgemäß ein paar Ansichtskarten. Obwohl sie zum sofortigen Gebrauch bestimmt waren, steckte die Verkäuferin sie in eine Papiertüte, die sich als Werbeträger erwies. Blau auf weiß waren ein Brot, drei Semmeln, ein Croissant und eine Brezel auf die Tüte gedruckt. Darüber stand zu lesen: »Diese Backwaren sind mit glühender Leidenschaft gebacken.« Am unteren Ende der Tüte wurde die Leidenschaft abgerundet, aufgefangen und, wie man in Grafik-Designersprech formulieren würde, gleichsam abgebunden: »Wir lieben Lebensmittel. Edeka.« Muss es denn immer gleich Liebe sein?
Neu ist das Wühlen in großen Gefühlen zum Zwecke der Reklame nicht. Bereits in den 1960er Jahren hieß es: »Autos lieben Shell.« Der US-amerikanische Anarchist Jerry Rubin kommentierte das in seinem Buch »Do it!« damals so: »Wie kann ich sagen ›Ich liebe dich‹, nachdem ich las, ›Autos lieben Shell‹?« Das klingt nicht nur auf den ersten Blick ins Buch hin nach ausgestellter seelischer Tiefseetaucherei – es ist auch auf den zweiten Eindruck bloß Geklingel. Gottegott, der arme Kerl, denkt man sich; so sensibel ist der, dass ihn ein Werbespruch für Benzin gleich der Liebesausdrucksfähigkeit beraubt! Wer liebt, wird sich nicht durch PR-Prahlerei davon abhalten lassen. Selbstverständlich ist der Dauermissbrauch schöner und großer Worte zugunsten des stets schnöde genannten, aber allseits doch sehr geliebten Profits eine Angelegenheit von schäbiger Anmutung; Jerry Rubin indes litt nicht lange unter seinem Problem mit dem »Ich liebe dich«-Sagen und sattelte zügig vom Anarchisten zum Börsenmakler um. Soviel zu Wert und Haltbarkeit von Revoluzzerpathos.
In der Bahnhofshalle, gleich gegenüber, sah ich eine Filiale der Aufback-Kette »Le Cro Bag«. Dort sprach man zwar nicht sofort – im Sinne von »Sofortkontakt« jetzt – von Liebe, hatte aber ebenfalls jede Menge inneres Feuer im Angebot. Ein Reimwerker hatte sich an die Arbeit begeben:
»Mit Ohlàlà gemacht
Frisch in den Ofen gebracht
Zum Knuspern gedacht
Le Cro Bag
Cross & gut.«
Cross? Kross mit K ist schon seltsam, die Kunstvokabel soll wohl so etwas wie knusprig bedeuten, aber dieses Wort war ja schon im Dreizeiler weggeknuspert worden. Also Cross mit C – wie Moto Cross? Oder wie Le Croissant? Was aber, um gutmütig und gutmütterlich in der Sprache zu bleiben, war dann mit La Baguette?
An einem »Le Cro Bag«-Stand, der allerdings »coffee spot« hieß, was auch Kaffeefleck bedeutet und an dem es »Coffee to go« gab, jene böse Plörre, die nur mit Kaffee zum Davonlaufen übersetzbar ist, las ich: »Leidenschaftlich locker! Unser Butter-Croissant.« Da war sie wieder, die Leidenschaft, die auch schon im Hause Edeka glomm, glühte, loderte und explodierte. Es war zum Fürchten: Wer will schon eine Backware zu sich nehmen, in die zuvor jede Menge fremder Menschen ihre gesamte Leidenschaft hineingepumpt hatten? In die all ihre Liebe hineingeschwappt und -geflossen war? Das latent spermatöse Simulationsgetöse war doch eher anstrengend und wirkte stark appetitzügelnd.
Beim Betrachten junger, aggressiver Testosteronbolzen ächzt alle Welt händeringend: Wo kommt er nur her, all dieser Hass? Bei Lebensmitteln stellt sich die Frage andersherum: Wo kommt sie nur her, all diese Liebe, diese angebliche, ausgestellte und somit inexistent 150prozentige Gefühligkeit? Und müssen »Le Cro Bag« und Edeka sich ihre Leidenschaft eigentlich teilen? Oder hat jeder von ihnen seine eigene?
Von dieser Art Fragen restgültig in die Flucht geschlagen, sprang ich auf den Zug und schrieb eine Ansichtskarte an einen alten Freund. Es war erholsam, eine freundlich-emphatische Sache zu tun, der man nicht gleich Liebe oder Leidenschaft attestieren oder unterstellen musste. Sondern die aus dem besten aller möglichen Gründe getan wurde: einfach nur so.
Draußen dämmerte es, durch das geöffnete Fenster strömte der Sommer ins Zimmer. Auf dem Fensterbrett duftete ein Rosmarin. Die Liebste und ich lagen auf dem Bett, außer Atem und beglückt. Eine Hummel summte im Küchenkraut. »Hummel, hummel, summel«, sprach die Liebste. »Bist ein süßer, dicker Brummel.« Und küsste mich. Die Hummel verschwand, der dicke Brummel blieb. »Können sich Hummeln eigentlich trollen?«, fragte ich die Liebste entrückt. Sie zeigte mir ihr schönstes Lächeln und einen Vogel.