Pamela Gelfert
SKLAVIN DES SCHICKSALS
Wind der Veränderung
Roman
freie edition
© 2011
AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt)
Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin
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1. Auflage 2011
Umschlaggestaltung:
Ana Fagarazzi
Printed in Germany
ISBN 978-3-86254-584-1
Dieser Roman wurde bewusst so belassen,
wie ihn die Autorin geschaffen hat,
und spiegelt deren originale Ausdruckskraft und Fantasie wider.
Alle Personen und Namen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen
sind zufällig und nicht beabsichtigt.
1
Die Welt um sie herum verlor zunehmend an Farben. Wie ein Schleier legte sich die Dunkelheit der Nacht über die Landschaft.
Lukas blickte in den Himmel. Es schneite schon seit Stunden und noch immer war keine Siedlung in Sicht. Stattdessen reihte sich Baum an Baum, was den Wald endlos erscheinen ließ. Er hatte Tanja aus den Händen des Kultes gerettet, doch nun standen sie einer neuen Bedrohung gegenüber, der er nichts entgegenzusetzen hatte. Ihm blieb nur zu hoffen, dass die Temperaturen nicht noch weiter sanken. Zu ihrem Glück blieb bis jetzt nichts von dem Schnee liegen. Dennoch kamen sie nach Lukas Geschmack zu langsam voran, was teilweise daran lag, dass die Kälte dem Mädchen noch mehr zu schaffen machte als ihm. Zwar beschwerte sie sich nicht darüber, trotzdem wirkten ihre Bewegungen gehemmter und sie hing öfters ein kleines Stück hinter ihm. Kurz nach Einbruch der Dämmerung beschloss der Ältere, die Reise für heute abzubrechen. Irgendwann mussten sie ja eine längere Pause machen, obwohl sie in dieser Nacht sicher kaum Schlaf finden würden, nicht bei diesen Temperaturen. Seine Finger waren halb erfroren, aber bis zur nächsten Siedlung konnte noch ein ganzer Tagesmarsch, wenn nicht gar mehr, liegen. Abgesehen vom Klima brauchte er auch wegen seiner Verletzung eine Pause. Ein Feuer musste ausreichen, um sie heute Nacht zu wärmen.
Schlurfend holte Tanja ihn wieder ein. »Jetzt ein schönes warmes Bad oder einfach nur ins Bett kuscheln«, schwärmte sie.
Der Kriegsherr ging nicht auf ihre Worte ein. Schweigend nahm er die Decken, welche an Jillians Sattel gebunden waren, und reichte sie seiner Begleiterin, dann verschwand er im Wald.
Tanja sah ihm verwundert nach. Was sollte das schon wieder? Hatte sie ihm etwas getan? Beunruhigt presste sie die Decken fest an ihren Körper. Die Dunkelheit der Nacht ängstigte sie. Hoffentlich kam er bald zurück. Pit würde sie niemals in einem dunklen Wald alleine lassen. Nein, er würde sie in den Arm nehmen und fest an sich drücken.
Die meterhohen Nadelbäume ragten wie versteinerte Riesen in die Höhe und hoben sich als bedrohliche Schatten vom Nachthimmel ab. Nur ihre dünnen Äste schaukelten, tausenden Armen, welche nach ihr greifen wollten, ähnlich, im schwachen Abendwind auf und ab. Ein unheimlicher Anblick, der ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, dachte sie an die Hauptstadt. Hoffentlich ging es ihren Freunden gut. Aber was sollte sie ihrem Geliebten sagen - sie hoffte einfach, dass er noch lebte - wenn sie wieder in Danas war. Es war ja nicht so, dass sie nichts für ihn empfand, aber das Gefühl in der Nähe von Lukas übertraf alles. Die Beziehung aufrechtzuerhalten, würde gleichzeitig auch bedeuten, in einer Lüge zu leben und das wollte sie nicht. Seufzend ließ sich die 17-Jährige im Gras nieder, wobei sie ihre Decke so um sich wickelte, dass sie zum Teil darauf saß, zum anderen sich aber auch darin einwickeln konnte. Zwar wärmte der Stoff sie nur wenig, doch im Augenblick klammerte sie sich bereitwillig an alles, was ihren kalten Gliedern entgegen wirkte. In der Nähe ertönte der Schrei eines Vogels. Schaudernd kuschelte die Schwarzhaarige sich weiter ein. Wo blieb Lukas denn?
Kaum hatte sie zu Ende gedacht, hörte sie Schritte in der Nähe. Zu ihrer Erleichterung erschien der junge Mann zwischen den Bäumen. Freundlich lächelte sie ihm zu, doch er erwiderte ihre Gestik nicht. Seine Gesichtszüge waren verhärtet. Zu gerne wüsste sie den Grund dafür.
»Wie geht es deiner Verletzung?«, fragte sie mit ehrlichem Interesse.
Der 20-Jährige zuckte mit den Schultern und die Waise musste einsehen, dass es heute Abend nicht mehr viel Sinn machte, ein Gespräch beginnen zu wollen. Das war nicht gerade sein redseligster Tag. Ein wenig traurig über diesen Umstand zog sie sich in ihre Gedankenwelt zurück.
Unterdessen stapelte ihr Begleiter die Holzscheite, welche er gesammelt hatte, und entzündete ein Feuer. Anschießend legte auch er sich eine Decke über die Schultern.
Nach einer Weile des Schweigens blickte die einstige Sklavin plötzlich auf. »Ich habe eine Frage. Fällt es dir wirklich so leicht zu töten?«
Der Berater des Königs sah auf den Griff seiner Waffe. Er hatte nie behauptet, dass es ihm leicht fiel, dennoch antwortete er »Ich habe kein Problem damit.«
Die Jüngere wirkte über diese Antwort zutiefst erschüttert. Die Ereignisse der letzten Tage waren ihr unfreiwillig durch den Kopf gespukt. Obwohl sie am liebsten alles vergessen wollte, wiederholte sich vor allen Dingen ein Moment immer wieder in ihrem Kopf. Und sie konnte diese Bilder nicht abstellen, beinahe als träumte sie einen Albtraum im wachen Zustand. Auch jetzt sah sie es erschreckend deutlich vor ihren Augen. Der Kampf zwischen Denis und ihm und der Augenblick, in dem das Schwert ihn verletzt hatte. Gleichzeitig musste sie daran denken, dass auch durch seine Klinge Menschen leiden mussten und es verdeutlichte ihr, was er eigentlich war. Ein Krieger. Er tötete Menschen, zerstörte Leben, etwas was sie immer zu bewahren versuchte. »Aber jedes Leben ist wertvoll, man lebt schließlich nur einmal. Wenn du tötest, bringst du denjenigen um die Chance auf eine Zukunft.«
»Am Ende steht immer der Tod. Ist es nicht völlig gleich, wie lange das Leben davor war?«
Tanja schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Denn dann hätte die Existenz eines Individuums keine Bedeutung«, gab die 17-Jährige zurück.
»Hat sie auch nicht.«
Tanja schloss die Augen. Seine Worte trafen sie hart. Er konnte dem Tod eines anderen durch seine Hand doch nicht so gleichgültig gegenüberstehen. »Aber niemand sollte das Recht haben, über die Lebenslänge seines Nächsten zu entscheiden«, ging sie weiter auf das Thema ein, in der Hoffnung ihn umstimmen zu können, denn was und vor allem wie er das sagte, gefiel ihr ganz und gar nicht.
»So wertvoll ist das Leben nicht. Für viele bedeutet es sowieso nur Leid«, hielt er dagegen, woraufhin seine Reisebegleiterin ungestüm aufsprang. Die Decke rutschte von ihren Schultern, doch das störte sie in diesem Moment nicht. Sie hielt sein Gerede nicht länger aus. Es war nicht in Ordnung, einfach anderen das Leben zu rauben. »Du bist keinen Deut besser als der Haufen, der mich entführt hat«, schrie die einstige Sklavin ihm ins Gesicht, dann verschwand sie mit großen Schritten in der Dunkelheit.
Lukas sah ihr kurz nach. Weshalb regte sie sich so auf? Immerhin verlangte er ja nicht von ihr, dass sie jemanden verletzte. Außerdem hatte sie keinen Grund, sich in seine Angelegenheiten einzumischen. Gereizt durch ihr kindisches Verhalten und den Schmerz seiner Wunde legte der Krieger sich schlafen. Sobald das Mädchen sich beruhigt hatte, würde sie sicher wieder kommen und wenn nicht, dann könnte er den Heimweg wenigstens schneller zurücklegen.
Überwältigt von ihren Gefühlen rannte die junge Frau immer geradeaus. Wie konnte er nur? Der Gedanke, dass sein Schwert den Körper eines Menschen aus Fleisch und Blut durchbohrte und er dabei nicht einmal Reue empfand, tat ihr weh, mehr als das. Sie hatte Gefühle für ihn. Aber so kalt, wie er sich seinem Umfeld zeigte und mit den Ansichten, die er vertrat, würde das niemals funktionieren. Es schien als hätte der König recht gehabt. Sie waren von Grund auf einfach zu verschieden. Aber sie konnte ihn nicht einfach aus ihrem Kopf streichen. Denn jedes Mal wenn sie dachte, es würde auch ohne diesen Jungen gehen, dann wuchs in ihr eine unbeschreibliche Sehnsucht nach seiner sanften Berührung. Bei ihm fühlte sie sich sicher. Selbst bei Pit hatte die 17-Jährige manchmal Berührungsangst, aber Lukas ruhige Art gab ihr Kraft und glättete die unruhige See in ihrer Seele. Sie brauchte so einen Ruhepol, sie brauchte ihn. Außerdem wusste er um ihre Vergangenheit, ganz im Gegensatz zu ihrem jetzigen Freund. Betrübt schloss die Jugendliche ihre Augen. Unwillkürlich musste sie an den Kuss denken, an die sanfte Berührung seiner Lippen und an seine Gesichtszüge, die für diesen kurzen Moment so entspannt ausgesehen hatten. Aber warum küsste er sie? Aus Liebe? Diese Frage ließ sie nicht los. Nachdenklich sah sie zurück. Gab es wirklich keine Zukunft für sie beide? Würden ihre Wege immer nur nebeneinander verlaufen und sich niemals treffen? Der Gedanke allein betrübte sie. Sie wollte ihn aus ganzer Seele. Doch ihr Wille war nicht Gesetz. Dennoch würde sie nicht so einfach aufgeben, dafür leuchtete das Fünkchen Hoffnung in ihr noch zu stark. Sobald sie in Danas war, würde sie sich, auch wenn es nicht leicht werden würde, von Pit trennen. Schweren Herzens trat Tanja den Rückweg an. Und was sollte dann geschehen?
Als der junge Kriegsherr am Morgen aus seinem unruhigen Halbschlaf erwachte, bemerkte er, dass Tanja inzwischen ebenfalls in ihrer Decke eingekuschelt auf der durch den Schneeregen des vorigen Tages durchnässten Wiese lag. Die Temperatur musste immer noch um den Gefrierpunkt sein. Unausgeschlafen streckte der Kämpfer die steifen Glieder und erhob sich.
Ein kurzer Blick zum Himmel verriet ihm, dass das Wetter heute nicht viel besser werden würde als gestern. Jillian döste ruhig vor sich hin. Lukas klopfte seinem Tier kurz auf den Hals. »Solche Eskorten gefallen dir bestimmt genauso wenig, wie mir«, sprach, er auf den Hengst ein, der scheinbar auf die Worte seines Besitzers lauschte.
»Aua«, ertönte hinter ihm eine Stimme. »Das war jetzt aber echt verletzend«, stellte Tanja fest, beleidigt die Hände in die Hüfte stemmend. Wie erwartet ging er auf ihr kindisches Gehabe nicht ein. So trat sie mit einem bittenden Blick an seine Seite, in der Hoffnung seine Laune sei nicht schlechter als gestern. »Hast du noch was zu essen?«
Wortlos holte Lukas ein hartes Stück Brot aus der Tasche und reichte es ihr. Die Jüngere nahm es dankbar entgegen. Zwar konnte sie sich Besseres vorstellen, aber ihr Hunger trieb alles rein. Lustlos kaute sie auf dem Brot herum und behielt es extra lange im Mund, während sie die Decken wieder zusammenlegte. Das Essen befreite sie nicht von der Leere in ihrem Magen, aber das starke Verlangen nach Nahrung ließ ein wenig nach. Seufzend reichte sie dem Älteren die Decken. »Es ist so verdammt kalt«, klagte sie.
Lukas nahm ihr die Decke ab und verstaute sie wieder am Sattel des Pferdes. »Sag Bescheid, wenn du es gar nicht mehr aushältst.« Nicht dass er ihr dann helfen könnte, aber das musste sie ja nicht wissen.
»Zu Befehl Sir«, gab die Jugendliche scherzhaft zurück, woraufhin ihr Begleiter genervt die Augen verdrehte.
»Lass das! Du gehörst nicht zu meinen Soldaten.«
»Oh, aber ich stehe dennoch unter dir.« Sie lächelte leicht.
Der Befehlsführer ergriff schweigend die Zügel des Tieres und setzte sich in Bewegung. Ihre Laune hatte sich ja schlagartig geändert. Scheinbar hatte sie sich mit der Tatsache, dass er tötete, abgefunden.
»Wunderbar!! Es fängt an zu schneien«, ergriff die Schwarzhaarige das Wort, wobei ihre Stimme deutlich verriet, dass sie genau das Gegenteil dachte. Hoffentlich würden sie bald an einem Dorf vorbeikommen.
Im Laufe des zweiten Tages war der Schneefall so stark geworden, dass das weiße Pulver sich zunehmend auf dem Boden absetzte. Aus der kargen und tot wirkenden Landschaft wurde eine noch farblosere Gegend. Doch trotz der Eintönigkeit wirkte die Welt durch das strahlende Weiß wie verzaubert, beinahe märchenhaft schön, mit der leicht glitzernden Decke, die alles unter sich begrub.
Allerdings konnte Lukas dem Ganzen nichts abgewinnen. Dieser verdammte Schnee behinderte ihre Reise nur unnötig. Als kämen sie nicht so schon zu langsam voran. Mit wenigen kurzen Pausen hatten sie am Vormittag den Wald verlassen und waren auf einen Feldweg gekommen. Anstatt auf Bäume sahen sie nun ein schier endlos wirkendes weißes Meer vor sich, unter welchem sich wahrscheinlich ein Feld befand, das sich bis zum Horizont erstreckte. Allerdings schränkte das Wetter ihr Sichtfeld deutlich ein. Hinzu kam, dass das ebene Land die Reise nicht unbedingt vereinfachte, denn nun waren sie schutzlos dem Schneegestöber und dem eisigen Wind ausgeliefert. Die Nadelbäume hatten ihre Äste wenigstens wie ein durchlöchertes Dach über sie gelegt und so mehr oder weniger verhindert, dass die Flocken ihre Kleidung durchnässten. Aber jetzt ergriff die Kälte schneller von ihnen Besitz, als ihnen lieb war.
Dennoch ließ die Jugendliche sich diesmal nicht zurückfallen, sondern bemühte sich, mit seinem Schritt mitzuhalten. Bei der Kälte konnte sie kaum klar denken. Das Einzige, was ihr immer wieder in den Sinn kam, waren ihre halb erfrorenen Füße, ihre steifen Finger und der ganze zitternde Rest. Am liebsten würde sie einfach losschreien, so sehr litt sie unter der Kälte. Doch Geräusche vermochten diesen natürlichen Feind nicht zu vertreiben. Folglich ertrug sie ihre Schmerzen lieber stillschweigend. Zumal ihr Begleiter sinnloses Gezeter wohl nicht gutheißen würde. Immerhin ging es ihm auch nicht besser und beschwerte er sich? Nein! Dann konnte sie doch genauso stark sein. Die Zähne zusammenbeißend, damit sie nicht zu sehr klapperten, stapfte sie weiter, wobei sie im Stillen hoffte, bald ein Dorf zu erreichen. Ansonsten würde ihre Körpertemperatur der eines Eiszapfens Konkurrenz machen.
Am Nachmittag erkannte die 17-Jährige kleinere Punkte am Horizont, die sich von der sonst so weißen Welt abhoben. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie die braunen Stellen zu identifizieren, doch der Wind, der ihr die Schneeflocken in die Augen wehte, machte ihr das fast unmöglich. Erst nachdem sie eine Weile weiter geradeaus gewandert waren und die Waise ihre Hand nutzte, um ihre Augen abzuschirmen, erkannte sie, dass es sich um Gebäude handelte, welche sich nur wenig später als einen Bauernhof mit seinen dazugehörigen Ställen entpuppten. Im Gedenken an eine warme Stube, die sie für eine Zeit lang von ihrem Leid erlösen könnte, wandte sie sich an ihren Reisegefährten. »Können wir dort nicht mal nachfragen, ob wir uns aufwärmen dürfen?«
Lukas kniff die Augen zusammen. Es gefiel ihm nicht, beim Volk unterkommen zu müssen. Schließlich wusste er, welche abneigende Haltung die meisten gegen ihn hatten. Anderseits konnte das nächste Dorf noch weit sein und nicht nur seine Begleiterin litt unter dem Klima. »Meinetwegen«, antwortete er ihr, bemühte sich aber gar nicht erst, seinen Widerwillen zu verbergen.
Die Jüngere klatschte begeistert in die Hände. Ihr war die Art, wie er das gesagt hatte, nicht entgangen, doch empfand sie die Temperaturen als zu belastend, um darauf Rücksicht zu nehmen. Vielmehr dachte sie mit kindlicher Vorfreude an den Bauernhof. Endlich würde wieder Wärme an ihren Körper können. Wie als würde dieser Gedanke allein sie beflügeln, beschleunigte Tanja ihren Schritt. Das letzte Stück des Weges legte sie rennend zurück. Erst an der Tür wirbelte sie herum und grinste den Anführer an, der in seinem alten Tempo geblieben war. Ohne auf ihn zu warten, klopfte sie an die Tür, in der Hoffnung, dass die Besitzer sich im Haus befanden. Doch das Glück war ihr hold und ein Mann, Mitte 30, öffnete die Tür.
»Ja, bitte?«, fragte er höflich, seine Besucherin von oben bis unten bemusternd. Um diese Jahreszeit erwartete er nie Gäste. Das nächste Dorf lag ein gutes Stück weit weg und auch sonst befand sich kein anstrebenswertes Ziel in der Nähe. Mit dem Winter kehrte die Einsamkeit in sein Haus. Meist kam er dann mehrere Monate nicht unter Leute, mit Ausnahme der Tage, an welchen er gezwungen war, seine Vorräte aufzufrischen.
Tanja nickte als Gruß leicht mit dem Kopf. Sie konnte es kaum erwarten, endlich der Kälte zu entfliehen. Wie gerne würde sie den Erwachsenen einfach beiseite stoßen und eintreten, doch so ungehobelt war sie natürlich nicht, davon abgesehen, dass er sie nach so einer Aktion wohl Achtkant rauswerfen würde. Anderseits bestände dann die Möglichkeit, dass Lukas den Hausbesitzern einfach befahl, ihnen Unterkunft zu geben. Es war nur anzuzweifeln, ob er seine Autorität so ausnutzen würde. Wahrscheinlich eher nicht. Und ehe das Ganze in einem Desaster endete, so wie sie es sich seltsamerweise in ihrer Fantasie zusammenreimte, fuhr sie lieber die höfliche Schiene. »Es tut mir Leid ihre Zeit in Anspruch zu nehmen, aber mein Begleiter und ich sind auf dem Weg nach Danas und haben die letzten zwei Tage draußen verbracht. Wäre es wohl möglich, sich kurz bei Ihnen aufzuwärmen?«
Der Bauer schien sichtlich überrascht. Verblüfft zog er die Brauen hoch. Ihre Kleidung ließ nicht darauf schließen, dass sie so eine weite Reise unternahm. Die Jugend von heute. Dazu fiel ihm nichts dazu ein. In einem dicken Pullover dem Winter trotzen zu wollen, erschien ihm verrückt. Aber das war nicht seine Sache. Abermals bemusterte er die junge Frau. Sie erweckte einen relativ ordentlichen Eindruck und ihr vor Kälte gerötetes Gesicht zeigte deutlich, dass sie die Wärme seines Hauses bitter nötig hatte und er wollte kein Unmensch sein.
»Wo ist euer Begleiter?«, fragte er höflich.
Tanja trat zur Seite, sodass der Erwachsene Lukas sehen konnte, der in einiger Entfernung Jillian den Hals tätschelte. Tanja hatte das Gefühl, als würde er sich von Anfang an distanzieren, weil er mit einer Absage rechnete. Aber sie würde alles versuchen, um nur kurz ihre kalten Glieder aufwärmen zu können.
Beim Anblick des Kriegsherrn änderte sich die freundliche Stimmung des Mannes schlagartig. »Der kommt mir nicht ins Haus! Soll er doch erfrieren!«, knurrte er erbost.
Die 17-Jährige war im ersten Moment so geschockt von diesem Hass gegen ihren Gefährten, dass ihr nichts einfiel, was sie erwidern sollte. Mit aufeinander gepressten Lippen starrte sie den Bauern an. Die einzige Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, schluckte sie lieber herunter, denn sie würde nicht dazu beitragen, Einlass zu bekommen. Stattdessen überlegte sie, ob ihr nicht ein überzeugendes Argument einfiel. Doch es schien, als wäre nicht nur ihr Körper eingefroren, sondern auch ihr Gehirn.
Der Arbeiter, dessen Gesicht noch immer vor Wut verzerrt war, wollte gerade die Tür zuschlagen, als sich eine Frauenhand besänftigend auf seine Schulter legte. »Bist du verrückt?! Du kannst dem Berater des Königs nicht die Tür vor der Nase zuknallen. Denk an die Konsequenzen«, wisperte eine Frau dem Mann ins Ohr, die vom Alter her wahrscheinlich seine Gattin war. Obwohl sie versuchte leise zu sprechen, verstand die Jugendliche jedes Wort klar und deutlich. Und sie fühlte sich unerwünscht, dabei galt diese Abneigung nicht einmal ihr. Allerdings wollte sie keine Minute länger in der Kälte verbringen, also würde sie diesmal wohl lieber mit dem Kopf, als aus dem Bauch heraus entscheiden. »Wie lautet nun eure Antwort?«, hakte sie aus diesem Grund nach.
Der Bauer nickte grimmig, dann verschwand er zurück ins Haus, allerdings nicht ohne einen lauten Fluch auszustoßen.
Seine Frau lächelte entschuldigend, während sie der Besucherin die Hand reichte. »Ich hatte noch keine Gelegenheit mich vorzustellen. Mein Name ist Helene Stiles und mein „freundlicher“ Gatte heißt Pedro.« Es war ein leicht durchschaubarer Versuch, die peinliche Situation zu übertünchen, nichtsdestotrotz ging ihre Besucherin bereitwillig darauf ein.
»Tanja, es freut mich ihre Bekanntschaft zu machen.«
Die 34-Jährige blickte an der Schwarzhaarigen vorbei. »Junger Herr, bitte stellt euer Tier im Stall ab. Wir werden uns dann später um die Pflege kümmern«, wandte sie sich an den Anführer der Soldaten, der daraufhin wortlos in Richtung der Stallung verschwand.
Während Lukas sein Tier in den Stall brachte, trat Tanja in das Haus ein und nahm an einem kleinen Ecktisch, der sich links von der Tür befand, Platz, direkt neben dem Bauern, der mit einer leeren Tasse herumspielte. Ungeduldig starrte sie auf die Tür. Es war ihr unangenehm mit fremden Leuten, die ihren Begleiter lieber zum Teufel wünschten, als ihm eine Unterkunft zu geben, in einem Raum zu sein. Endlich, nach Minuten peinlichen Schweigens, wurde die Tür knarrend aufgestoßen.
Begleitet von einem eisigen Wind und einigen Schneeflocken trat der Kriegsherr ein, wohl wissend, dass er alles andere als willkommen war, und setzte sich, der Aufforderung der Frau folgend, ebenfalls an den Tisch. Sein Blick schweifte kurz durch das Zimmer. Gegenüber der Eingangstür befanden sich zwei weitere Türen. Eine davon führte wahrscheinlich zum Schlafraum des Paares. Rechts von dem Eingang hob sich die Kochstelle von der Wand ab. In dem gemauerten Steinblock erkannte er einen Hohlraum für das Feuerholz, welches bereits munter brannte und den Raum angenehm aufwärmte, indes der Rauch über den Rauchfang, ein röhrenförmiges Gebilde, das sich über dem Herd befand, nach außen abgeführt wurde. Nach den letzten Tagen genoss er die angenehme Wärme, die seine steifen Glieder auftaute.
»Die nächste Siedlung ist recht weit weg von hier. Wenn ihr den Weg zu Fuß zurückgelegt habt, so müsst ihr wahrlich durchgefroren sein. Ich werde euch eine heiße Zitrone zubereiten«, ergriff Helene das Wort, während sie einen mit Wasser gefüllten Dreifußtopf, der seine besten Tage schon hinter sich hatte, auf den Herd stellte. Anschließend holte sie drei weitere Keramikbecher aus dem Schrank und stellte sie ebenfalls auf den Tisch. »Ich frage mich ernsthaft, was ihr so weit ab von jeder Siedlung macht«, wandte sie sich wieder an die Gäste, ohne dabei von ihrer Arbeit abzulassen.
Tanja überlegte, ob es schaden könnte, dieser Familie die Geschichte zu erzählen. In der Hoffnung ihr Begleiter würde ihr ein Zeichen geben, blickte sie zu dem Älteren, doch der hatte den Kopf in die Hände gestützt und schien abwesend zu sein. Es wirkte fast so, als hätte er die Frage gar nicht gehört. Zudem war sein ganzer Körper so verkrampft. Was hatte er nur?
Mit seiner Hilfe konnte sie allem Anschein nach nicht rechnen. Aber wenn sie auf ihr Gefühl hörte, dann zog sie es vor, die Wahrheit für sich zu behalten.
»Ich wurde als Dienerin des Königs angenommen. Auf sein Geheiß hin soll ich nun nach Danas eskortiert werden«, log sie die Bäuerin an, ohne genau zu wissen, warum sie eine Ausrede erfand.
Helene und Pedro sahen sie erstaunt an. Jeder im Land wusste, dass es eine Ehre war, direkt im Schloss arbeiten zu dürfen. Zumal die Bezahlung viele vor Neid erblassen ließ.
Erst nach kurzer Zeit ergriff die Erwachsene wieder das Wort. »Warum habt Ihr nur ein Reittier?«
Tanja senkte den Kopf. »Mein Pferd ist unterwegs gestorben«, brachte sie mit gedämpfter Stimme hervor. Die zweite Lüge kam ihr leichter über die Lippen als die Erste.
»Tut mir sehr leid.« Der Mann, der bis zu diesem Zeitpunkt geschwiegen hatte, legte dem Mädchen seine von der Arbeit gezeichnete Hand auf die Schulter. Seine Augen verrieten ihr ehrliches Mitgefühl. »Ich weiß, wie das ist. Vor Kurzem ist auch mein treues Tier gestorben. So ein Verlust ist schon hart.«
Die 17-Jährige nickte nur leicht. Es war ihr äußerst unangenehm, Mitleid für eine ungeschehene Sache zu bekommen. Ihre Gastgeber bemerkten ihr Unbehagen jedoch nicht. Anscheinend war sie eine bessere Schauspielerin, als sie gedacht hatte. Nur ihre Gefühle zu Lukas fielen irgendwie jedem sofort auf. Selbst der ehemalige Trainer des Jungen hatte sie gefragt, ob sie etwas für Lukas empfand, dabei hatte der Kerl in keinster Weise aufmerksam gegenüber seiner Umwelt gewirkt.
Pedro beugte sich zu ihrem Ohr. »Was is‘n eigentlich mit dem Jungen los?«, flüsterte er ihr leise zu, darauf bedacht, dass jener ihn nicht hören konnte.
Tanja warf einen Seitenblick auf den Krieger. Woher sollte sie das denn wissen? Er redete ja kaum mit ihr. Ein Buch mit sieben Siegeln zu lesen, war leichter, als ihn zu verstehen. »Lukas alles in Ordnung?«, wandte sie sich an ihren Begleiter.
Dieser sah nur kurz auf, seufzte hörbar und verließ anschließend das Haus.
Die Jugendliche sah ihm besorgt nach. Warum war er so abweisend? Konnte er sie nicht einfach als Freundin akzeptieren und ihr seine Sorgen anvertrauen? War das zuviel verlangt nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten? Traurig zwang sie sich, ihre Augen von der Tür loszureißen, durch die er verschwunden war.
Pedro, dessen Haltung gleich viel lockerer geworden war, lehnte sich im Stuhl zurück. Die Nervosität des Arbeiters in Anwesenheit des Ranghöheren wunderte sie nicht. Immerhin war der Kriegsherr für seine Unbarmherzigkeit bekannt. Viele Menschen hatten Angst vor ihm, ebenso wie sie am Anfang. Inzwischen kannte sie ihn gut genug, was ihr die Sicherheit gab, dass er ihr einigermaßen wohlgesonnen war.
»Nicht einfach mit so einem Begleitschutz«, vernahm sie neben sich die Stimme Pedros.
Tanja zuckte mit den Schultern. »Zumindest kann er gut kämpfen«, gab sie zurück, allerdings im Hinterkopf an ihre Entführer denkend, gegen welche er dennoch nichts ausrichten konnte.
Helene hob den Topf vom Herd, wobei sie ein Handtuch benutzte, damit sie sich nicht die Finger verbrannte. »Ich hoffe der Arme kommt bald wieder rein. Da draußen ist es kalt und der Schnee ist ebenfalls nicht sehr angenehm«, äußerte sie ihre Besorgnisse.
Tanja warf einen Blick aus dem Fenster. Dicke Schneeflocken tanzten vor der Scheibe. Dieser Kerl war einfach nicht zu verstehen. Wenn es ihm, wie sie glaubte, nicht gut ging, warum quälte er sich selbst dort draußen? Nur um seine Ruhe zu haben? Kopfschüttelnd verdrängte sie den Gedanken an ihn.
Die Gemahlin des Hausherrn hatte inzwischen die erste Tasse mit dem dampfenden Wasser gefüllt und ein paar Spritzer Zitrone dazugegeben. Es verwunderte die 17-Jährige, dass die Frau sich Sorgen um Lukas machte. An der Tür hatte sie noch den Eindruck gemacht, als würde auch sie ihn hassen, aber nun tat sie so freundlich. Anderseits konnte das gespielt sein. Irgendwie glich das Haus, seitdem sie eingetreten war, einer Bühne. Jeder war in eine andere Rolle geschlüpft und meinte diese glaubwürdig zu spielen. Doch im Moment war das der Waisen eigentlich egal. Immerhin hatte sie nicht vor eine feste Freundschaft mit einem Paar einzugehen, das sie sowieso nie wiedersehen würde. Außerdem galt ihre volle Aufmerksamkeit nun dem heißen Getränk, dessen Dampf aus der Tasse nach oben stieg. Das würde ihr helfen, auch den letzten Rest ihres Körpers aufzuwärmen. Mit sehnsüchtigem Blick verfolgte die Jugendliche, wie ihre Gastgeberin auch den letzten Becher füllte.
»Der Wintereinbruch kam dieses Jahr wirklich plötzlich. Die Temperaturen sind ziemlich schnell gefallen«, ergriff die 34-Jährige wieder das Wort, indes sie ihrem Besucher die Tasse hinschob. Tanja nahm sie dankend entgegen.
Im selben Augenblick trat ihr Begleiter wieder ein. Nachdem er sich an den Tisch gesetzt und einen Schluck getrunken hatte, blickte er der Frau in die Augen. »Wir würden gerne diese Nacht hier verbringen, natürlich gegen Bezahlung«, verkündete er.
Die einstige Sklavin nippte an ihrem Getränk. Sie hatte nicht damit gerechnet, mehr als zwei Stunden hier zu bleiben, immerhin wollte der Krieger zurück nach Danas. Umso mehr freute sie sich auf eine Nacht, in der sie richtig schlafen konnte und die Kälte nicht ihr ständiger Begleiter war. Wahrscheinlich hoffte Lukas auf eine Wetteränderung, denn bei diesem Schneefall würden sie nur schlecht vorankommen. Eine noch längere Reise im Freien konnten sie sich zudem von den Vorräten her nicht leisten.
Die Gefragte lächelte höflich. »Es wäre uns eine Ehre, wenn Ihr heute Nacht unser Gast seid. Allerdings nur kostenlos.«
»Danke, sehr freundlich«
Die Erwachsene machte eine beiläufige Handbewegung. »Ich bitte Euch, das ist selbstverständlich«, gab sie zurück, doch die Miene ihres Mannes verriet, dass er genau das Gegenteil dachte. Helene entging der grimmige und gleichzeitig auch geschockte Ausdruck im Gesicht ihres Gatten nicht. Ungeachtet der Tatsache, dass er einen heißen Becher in der Hand hielt, stieß sie ihm in die Rippen und sofort veränderte sich seine Mimik wieder. Anschließend erhob sie sich. »Dann werde ich mal ein paar Decken zurechtlegen. Leider ist unser Haus nicht besonders groß, deswegen müsst ihr in diesem Zimmer auf dem Boden schlafen. Ich hoffe sehr, dass euch das nichts ausmacht.«
»Selbstverständlich nicht. Aber weshalb wollt Ihr jetzt schon das Zimmer herrichten? Es ist doch erst Nachmittag«, mischte sich Tanja wieder ein.
»Mag schon sein, doch mir ist es lieber, wenn alles fertig ist.«
Pedro stand ebenfalls vom Tisch auf. Seine Jacke aus Schafspelz überziehend, wandte er sich an den Berater des Königs. »Ich werde mich mal um euer Pferd kümmern.«
Lukas nickte nur abwesend. Tanja beobachtete nachdenklich sein angespanntes Gesicht. Langsam dämmerte es ihr, was sein Problem war: die Verletzung machte ihm zu schaffen. Wie hatte sie die Wunde nur vergessen können? Aber er hatte sie mit keinem Wort erwähnt und sich auch sonst so normal verhalten. Dadurch war es ihr entfallen. Leider lag es nicht in ihrer Macht, ihm zu helfen und da er selbst nicht darüber sprach, wollte er wahrscheinlich weder von ihr noch von diesem freundlichen Paar Hilfe. Manchmal befände sie sich gern in der Stellung des Regenten. Dann würde sie ihm befehlen, sich versorgen zu lassen. Aber in ihrer jetzigen Position kam sie sich hilflos vor. Von ihr ließ er sich sowieso nichts sagen. Was zählte ihre Wenigkeit schon? Und überhaupt: Wie konnte man nur so stur sein, dass man lieber die Schmerzen ertrug, als seinem Stolz nachzugeben? Kopfschüttelnd wandte sie ihren Blick zum Fenster. Die weiße Landschaft sah traumhaft schön aus. Die Straßen in Danas waren sicher auch voller Schnee und ihre Freunde konnten sich darin austoben. Wie sehr sie sie beneidete. Im Gedanken stellte sie sich vor, wie sie einen Schneeball auf Lukas warf. Allerdings verdrängte sie dieses Bild sofort wieder. Solche Späße erlaubte sie sich besser nicht. Grinsend riss sie sich vom Anblick des Schnees los. Aber lustig wäre es schon irgendwie.
Helene verschwand unterdessen im Nebenzimmer. Wahrscheinlich suchte sie das Bettzeug zusammen.
Lukas fluchte leise und holte sie damit in die Realität zurück. Seine Fingerspitzen in den Haaren vergrabend, stützte er sich mit den Ellenbogen auf den Tisch.
»Meine Güte, lass dir doch helfen, wenn es dir so schlecht geht«, zischte seine Begleiterin ihm zu.
»Sei still«, entgegnete er grob, was die 17-Jährige zunächst zum Schweigen brachte. Sie wollte ihm nur helfen, konnte er das nicht einfach annehmen? Manchmal war es wirklich nicht leicht, es dem Krieger recht zu machen. Dennoch, sie hatte Mitleid und sie konnte in diesem Augenblick nicht böse auf ihn sein. Immerhin war die Verletzung indirekt ihre Schuld. »Ich verstehe das nicht. Wir sind fast zwei Tage unterwegs gewesen und da hattest du doch auch nicht so starke Schmerzen. Warum jetzt?«, sprach sie den Anführer erneut an.
Er antwortete nicht.
Tanja schluckte schwer. Hatte sie etwa die ganze Zeit nichts gemerkt? Ein seltsames Kribbeln breitete sich in ihrer Magengegend aus. Der Gedanke, dass er während ihrer gesamten gemeinsamen Reise so gelitten hatte, war fürchterlich. Ihr hatte schon die Kälte ausgereicht. Wie musste es ihm erst ergangen sein? Sie versuchte sich in seine Situation zu versetzen, jedoch konnte sie ihn einfach nicht verstehen.
Ehe ihre Schuldgefühle die Oberhand gewannen, trat die Erwachsene mit Decken und Federkissen unter dem Arm aus dem Zimmer. Hilfsbereit nahm das Mädchen ihr einen Teil ab, da sich ihre Gastgeberin mit den vier Decken und zwei Kissen eindeutig überladen hatte. »Habt herzlichen Dank.«
Bevor die Jugendliche etwas erwidern konnte, wurde sie vom Öffnen der Tür abgelenkt. Wortlos verschwand Lukas in die eisige Kälte.
Tanja seufze nur, verbiss sich aber jeden weiteren Kommentar. Stattdessen schüttelte sie mit der Hausbesitzerin die Decken auf und breitete sie ordentlich auf dem Boden aus. Ein vergeblicher Versuch sich auf andere Gedanken zu bringen.
Helene strich die Decke mit einer Handbewegung glatt, wobei sie mehr auf ihren Nebenmann als auf ihre Arbeit achtete. Dafür, dass der Berater des Königs dieses Mädchen nur eskortieren sollte, kümmerte sie sich ziemlich gut um ihn, wenn auch nur gedanklich. Jeder Blinde konnte sehen, dass die Kleine sich für diesen Idioten interessierte. Was angesichts seines guten Aussehens wirklich nicht verwunderlich war. Wahrscheinlich hing sie einer Schwärmerei nach. Sie jedenfalls spürte bei seinem bloßen Auftauchen Hass. Natürlich konnte sie ihre Gefühle gekonnt verstecken, doch wenn er keinen Rang und keine Waffe mehr hätte, dann würde sie ihm keinen Einlass gewähren, soviel stand für sie fest. Aber da er nun einmal direkt unter dem König stand, schien es ihr klüger, ihn zu beherbergen und zudem noch gut für ihn zu sorgen. Vielleicht bewahrte diese Aktion sie einmal vor einer schwereren Strafe oder sicherte ihr zumindest die Gunst des Anführers der Armee, falls sie diese überhaupt nötig hatte. Allerdings würde sie sich nicht um seinen körperlichen Zustand kümmern. Sicherlich hatte auch sie gemerkt, dass es ihm übel ging, aber sollte er sich ruhig plagen. Er hatte ja genug Menschen gequält. Das Kind, das zurzeit unter seinem Schutz reiste, konnte einem wirklich leidtun. Warum schickte der Regent ihr keinen netteren Gefährten?
Nachdem Tanja ihrer Gastgeberin bei der Arbeit geholfen hatte, trat sie an die Tür. »Ich werde kurz frische Luft schnappen«, verkündete sie.
»Lasst ihn doch alleine. Er will seine Ruhe haben«, erwiderte Helene gröber, als die Jugendliche es bis jetzt von ihr gewohnt war. Dennoch hörte sie nicht auf ihre Worte und trat nach draußen. Der eisige Wind, der ihr entgegen schlug, erinnerte sie daran, warum sie so froh gewesen war, einen Platz für die Nacht gefunden zu haben. Suchend sah sie sich um. Der Schneefall hatte ein wenig nachgelassen.
An einen Weidezaun gelehnt und stumm auf die leere Koppel schauend, erblickte sie den Älteren. Der Schnee unter ihr knisterte leicht bei jedem Schritt, als sie sich zu ihm gesellte. Er schenkte ihr nicht einmal einen kurzen Blick. »Bitte, es würde dir doch nicht schaden, wenn du Hilfe bekommst«, versuchte sie es trotz allem erneut.
»Die Wunde heilt auch so.«
»Aber du leidest.«
Der Krieger schloss die Augen. Das war die logische Konsequenz für sein Versagen. Schließlich hatte er den Kampf verloren, aber sie verstand nichts von der Härte der Realität.
Mit einer Handbewegung kehrte die Waise den Schnee vom Geländer und schwang sich auf das nasse Holz. So verharrten die beiden eine Weile schweigend, ehe die einstige Sklavin zu dem Haus zurückblickte. Obgleich sie vieles an seinem Charakter abstoßend fand, so genoss sie dennoch seine Nähe. Ein wenig beneidete sie das Ehepaar. Sie hatten sich gefunden.
»Lukas?!«
Der Angesprochene zeigte keine Reaktion. Eine Seite, die sie inzwischen nur zu gut kannte. Wenn er nicht reden wollte, dann tat er das auch nicht. Eine Wand wäre jetzt gesprächiger. Und obwohl ihr Gefühl ihr sagte, dass sie ihn in diesem Moment nicht nerven sollte, so wollte sie einfach nicht weggehen. »Was wird geschehen, wenn wir wieder in Danas sind? Hören die Leute auf mich zu verfolgen?«
»Reden wir später darüber.«
»Okay, dann eine andere Frage. Hast du eine Ahnung, wo Hewie sein könnte?«
Der 20-Jährige zog unbehaglich die Schultern hoch. Das Thema schien ihm nicht zu gefallen. »Ich kann auch nicht alles wissen. Vielleicht ist er verreckt bei der Kälte«, entgegnete er gröber als gewollt, bevor er sich abwandte und in Richtung der Ställe verschwand.
Die Jüngere sprang vom Gelände. Hatte sie sich verhört? Wie konnte dieser Mistkerl so etwas auch nur denken? Kurz überlegte sie, ob sie ihm ihre Wut lauthals hinterher schreien sollte, aber letztendlich siegte ihre Vernunft. Zumal sie wusste, dass er seine Worte nicht so gemeint hatte. Trotzdem fühlte sie sich verletzt. Niemals würde sie auch nur einen Gedanken daran verschwenden, dass Hewie tot sein könnte. Musste er so herzlos sein und ihr das sagen? Wut und Trauer stiegen in ihr hoch. »Er ist nicht tot«, flüsterte sie leise. Allerdings war ihr klar, dass sie damit nur ihre Hoffnung äußerte. Der junge Rüde war mit seiner treuen Art ein fester Bestandteil ihres Lebens geworden. Sie wollte ihn einfach nicht verloren haben. Das würde sie diesen Männern niemals verzeihen. Niemals! Ihre Augen wanderten zu dem Weg, auf welchem sie hierher gekommen waren. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. »Hewie, wenn es dich nicht mehr gibt, dann werden diese Leute das büßen, das verspreche ich dir.«
Ein kalter Windzug holte sie aus ihren Gedanken. Zitternd kehrte sie zur Hütte zurück. Es würde schon alles gut werden, vielleicht noch nicht heute, aber irgendwann sicher.
Gegen seine Vernunft schwang sich der Krieger auf den Rücken seines Hengstes und trieb das Tier in den kalten Schnee. Fest umklammerte er die wehende Mähne des Schwarzen. Es tat ihm auch leid, falls der Hund wirklich das Zeitliche gesegnet haben sollte, doch es ließ sich nicht ändern. Das Leben war nun einmal ein Kommen und Gehen. Wieso konnte sie das nicht akzeptieren? Es lag nicht in ihrer Macht derartiges zu ändern. Erst nach einiger Zeit ließ er Jillian abrupt stoppen. Tief durchatmend genoss er die Ruhe. Seitdem sie in sein Leben getreten war, hatte er nur noch Ärger am Hals. Das Schlimmste war, dass er in den letzten Wochen ein Gefühl für sie entwickelt hatte, welches er nicht genau definieren konnte. Er liebte sie nicht, dafür nervte sie ihn zu sehr, dennoch hatte er sie geküsst. Dafür musste es doch einen Grund geben, aber ihm fiel kein vernünftiger ein. Der junge Krieger setzte sich aufrecht. Der Schmerz in seinem Rücken erinnerte ihn erneut an sein Versagen. Er musste diese Typen vernichten, soviel stand fest. Sobald wie möglich würde er Soldaten dort hinschicken, damit sie das Lager auseinander nahmen. Allerdings hatte er nicht das Gefühl, dass es damit getan war. Seufzend wendete er das Pferd und ließ es im flotten Trab zum Hof zurückkehren.
Tanja saß gelangweilt am Tisch. Helene hatte inzwischen das Abendessen aufgesetzt und beschäftigte sich eifrig mit dem Schälen von Kartoffeln. Ihr Geliebter war in einem Zimmer verschwunden und seitdem nicht wieder aufgetaucht. Manchmal hörte sie seine Stimme, so als würde der Bauer mit jemandem reden. Ob das Paar gar nicht alleine lebte? Vielleicht führte er aber auch Selbstgespräche. Der Gedanke ließ sie schmunzeln. Allerdings wirkte Pedro vom ersten Eindruck her nicht wie ein Verrückter. Doch dieses Rätsel würde wohl ungelöst bleiben. Schließlich ging es sie nichts an, was der Hausherr in diesem Zimmer trieb und es wäre dementsprechend unhöflich, diese Leute danach zu fragen. Das würde dann wahrscheinlich in die Kategorie „Eindringen in die Privatsphäre“ fallen. Zumal es sowieso seltsam genug war, dass Helene unbeirrt weiterarbeitete. Außerdem sagte ihr Gefühl ihr, dass sie, wenn sie dieses Thema ansprach, in ein Fettnäpfchen treten würde. Schon allein aus diesem Grund versuchte sie, seine Monologe zu ignorieren. Stattdessen dachte sie über Lukas nach. Wie so oft in letzter Zeit. Zu gerne wüsste sie, was er für sie empfand oder ob er überhaupt etwas für sie empfand. Sie hatten so viel zusammen gemeistert und trotzdem fühlte sie sich manchmal noch wie bei ihrer ersten Begegnung mit ihm: eingeschüchtert und klein.
Gähnend stützte das Mädchen den Kopf in die Hände. Das Nachdenken half ihr nicht wirklich die Zeit totzuschlagen. Die Stunden des Tages zogen nur schleppend an ihr vorbei und in einem fremden Haus konnte man sich schlecht beschäftigen. Allerdings gab es für den Abend einen Lichtblick. Der Geruch, der vom Herd herüberzog, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Zu ihrem Pech würde sie aber noch eine kleine Weile warten müssen, obwohl ihr Magen jetzt schon drohte, sich selbst zu verdauen, und Hilfe wollte die Hausbesitzerin nicht.
»Sieh an, der junge Herr ist zurück«, erklang die Stimme der Erwachsenen, welche durch das Fenster einen Blick auf die Stallung werfen konnte.
Nur wenige Sekunden später wurde die Tür geöffnet und der Kämpfer trat ein. In einer kurzen Handbewegung wischte er sich den Schnee von den Schultern und nahm im Anschluss wieder am Tisch Platz.
»Du warst lange weg!«, empfing ihm seine Begleiterin mit einem gewissen Vorwurf in der Stimme.
»Du hast mich doch hier nicht gebraucht«, entgegnet er knapp.
Die 17-Jährige zog die Stirn in Falten. »Nein, aber du solltest dich schonen«, bemerkte sie halblaut. Es war schon schlimm genug, dass er sich nicht helfen ließ, aber konnte er nicht wenigstens im Haus bleiben. Mit seinen Extratouren verschlimmerte er ihre Sorge um ihn nur. Eine zu große Belastung konnte in seinem Zustand auf keinen Fall gut sein.
Doch für ihre Bemerkung erntete sie nur einen bösen Blick von ihm, womit für ihren Gefährten das Gespräch beendet war.
Ein Räuspern, das fast echt klang, lenkte Tanjas Aufmerksamkeit auf ihre Gastgeberin. Diese legte das Messer zur Seite, mit welchem sie die letzten Kartoffeln für den Eintopf geschnitten hatte, und wandte sich zu ihren Besuchern um. Mit halbem Ohr hatte sie das Gespräch der beiden mitgehört. Seine Reaktion auf ihre Besorgnis machte sie wütend. Das arme Ding machte sich nur Gedanken um ihn und er zeigte ihr einfach die kalte Schulter. Sie sah unglücklich aus, kein Wunder. Helene lächelte das Mädchen freundlich an. Im Gegensatz zu ihrem Hass auf den Berater des Königs empfand sie eine gewisse Sympathie für die Kleine. »Wir essen bald zu Abend. Wollt Ihr mir beim Tischdecken helfen?«, wandte sie sich an die Jugendliche. So konnte sie das Kind wenigstens von dem Kriegsherrn weglocken und vielleicht brachte die Arbeit sie auf andere Gedanken.
Wie erwartet erhob sich die 17-Jährige sofort und erklärte sich bereit zu helfen.
»Ich werde nicht mitessen. Entschuldigt mich.« Mit diesen Worten verließ der Krieger die Hütte wieder. Sehr zum Unverständnis der Erwachsenen. Was tat der Kerl die ganze Zeit in dieser Eiseskälte? Ihr war es zwar recht, wenn er mit seinem Atem nicht ihre Luft verpestete, doch seine Begleiterin schien es jedes Mal innerlich zu zerreißen, wenn er das Haus verließ. Möglichst unauffällig schielte sie zu ihrer Besucherin, die in diesem Augenblick so verloren aussah, als hätte jemand sie auf einer Insel ausgesetzt.
Tanjas Schultern sanken deutlich nach unten. Leicht drehte sie ihren Kopf in Richtung der Tür. »Wo gehst du jetzt wieder hin?«, hauchte sie leise und nicht ganz ohne Trauer. Er war doch gerade erst gekommen. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie sagen, er tat das mit Absicht. Aber vielleicht suchte er in seiner Abwesenheit auch Hewie. Allerdings glaubte sie nicht wirklich daran. Das Lager des Kultes befand sich zu weit weg, als dass der Hund hier in der Nähe sein könnte. Kurzzeitig spielte sie mit dem Gedanken, ihm nachzugehen, doch es würde blöd wirken, wenn sie ihm wie ein Kleinkind seiner Mutter nachrannte. Obwohl sie das wusste, stand sie unentschlossen auf der Stelle.
Dann fiel ihr auf, dass ihre Gastgeberin sie mitleidig ansah. Sofort nahm sie die Teller von dem Regal und verteilte drei auf dem Tisch. Sie wollte nicht bedauert werden, nicht für ihre Gefühle, die sie allem Anschein nach nur schlecht verbergen konnte. Selbst diese fremden Leute durchschauten sie. Aber so schwach war sie nicht, dass sie das Mitleid anderer wollte. Im Gedanken versunken rutschte sie zurück auf die Holzbank.
Die Erwachsene stellte unterdessen drei neue Tassen auf den Tisch und verteilte anschließend die Mahlzeit auf den Tellern.
Gerade rechtzeitig tauchte ihr Mann aus dem Zimmer auf. Sich den Bauch reibend, setzte er sich an den gedeckten Tisch. »Ich hab schon Hunger.« Er schenkte seiner Frau ein Lächeln, ehe er sich das Geschirr zur Hand nahm und begann zu essen. Wenig später saßen die drei kauend da.
Tiefe Finsternis hatte sich über das vom Winter überfallene Land gelegt. Als Lukas von seinem Ausflug zurückkehrte, verschwand das Paar sofort in ihrem Schlafgemach. Pedro hatte sich gar nicht erst Mühe gegeben zu verbergen, dass er froh war, dass sich der Anführer der Armee fast den ganzen Tag nicht in seinem Haus aufgehalten hatte. Selbst als er den Jungen nur kurz gesehen hatte, hatte er verächtlich geschnaubt, während sich seine Frau weiter höflich gab. Sie bot ihrem Gast noch nachträglich Essen an, was jener allerdings ablehnte. Schließlich wünschte sie eine geruhsame Nacht und zog sich zurück.
Kaum war die Tür des Schlafzimmers ins Schloss gefallen, entstand eine peinliche Stille. Erst nach einer Weile ließ der 20-Jährige sich seufzend auf der Eckbank nieder.
Tanja konnte in seinem Gesicht lesen, dass er sich zu sehr strapaziert hatte. Er sah müde und abgekämpft aus. Fast befürchtete sie sogar, er könnte jede Sekunde in Ohnmacht fallen. Doch was sollte sie tun? Sobald sie ihre Hilfe anbot, war er von ihr genervt. Warum musste er auch bis ans Ende seiner Kräfte gehen?
Lukas strich sich müde über das Gesicht. »Lass uns schlafen.« Mit diesen Worten erhob er sich wieder und kauerte sich neben die auf dem Boden gelegten Decken.
Die einstige Sklavin bemerkte, wie er beim Bücken leicht das Gesicht verzog. Sein Rücken schmerzte also immer noch. Die Jugendliche schloss die Augen. Seine Art reizte sie unbeschreiblich. Sie musste sich das nicht gefallen lassen. Würde Pit so mit ihr umspringen, so würde sie ihm auch ihre Meinung sagen. Und Lukas war ebenso nur ein Mensch. Die Hände auf den Tisch knallend, sprang sie auf. »Es reicht!«, unterbrach sie die abendliche Ruhe.
Der Kriegsherr sah sie an. »Sei leise. Unsere Gastgeber wollen schlafen«, fuhr er sie scharf an, dann wandte er sich wieder von ihr ab.
Die Waise schlug sich die Hand vor den Mund. Daran hatte sie in ihrer Wut nicht gedacht. Wenn sie so laut sprach, würde Helene die Unterhaltung mitbekommen und daran lag ihr nun wirklich nicht. Dennoch wollte sie nicht länger wie Luft behandelt werden. Der Grund für seine Ablehnung ihr gegenüber konnte wohl kaum ihre Herkunft sein. Immerhin war sie inzwischen eine normale Bürgerin. Etwas leiser redete sie weiter: »Du kannst mich doch nicht den ganzen Tag hier alleine lassen. Erstens ist es nicht besonders prickelnd unter Fremden zu sein und zweitens mache ich mir Sorgen. Außerdem habe ich dir gar nichts getan und wenn ich mich irre, dann tut es mir leid, aber es wäre wohl nicht zu viel verlangt, dass du mehr als das Nötigste zu mir sagst.«
Der Angesprochene öffnete den Mund, um ihren Redeschwall abzublocken, doch diesmal war es an der Jüngeren, die Oberhand zu behalten. »Und entweder du lässt die Wunde jetzt behandeln oder ich erzähle es dem König. Seine Besorgnis wird ausreichen, sodass er dich gleich wieder zu einem Arzt schickt«, fuhr sie unbeirrt fort. Schließlich holte sie tief Luft. Endlich hatte sie ihre Gedanken mal herauslassen können. Das tat unendlich gut. So befreit hatte sie sich lange nicht mehr gefühlt.
Lukas Blick verfinsterte sich.
Doch Tanja war felsenfest dazu entschlossen, heute ihren Willen geltend zu machen. Verbandszeug aus einem Schrank mit einem roten Kreuz holend, ging sie vor dem Berater des Regenten auf die Knie.
»Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein«, warnte er sie scharf.
Allerdings hatte sie diesmal kein Ohr für seine Worte. »Du kümmerst dich auch ständig um mich. Jetzt kann ich mich rächen« Sie grinste ihn herausfordernd an.
Aber er blickte zur Seite. »Tz, das ist albern.«
»Vielleicht, nur hast du keine Wahl. Oder soll ich Helene von deiner Niederlage erzählen? Solche Geschichten interessieren sie bestimmt.« Sie sagte das mehr im Scherz, doch er schien es nicht so witzig zu finden wie sie. Abrupt drehte er seinen Kopf wieder in ihre Richtung. »Ich habe nicht verloren«, widersprach er.
Die Jugendliche legte ihren Finger auf seinen Mund. Ihre Augen nahmen einen ernsten Ausdruck an. »Das weiß ich doch. Ich wollte dich nur ein wenig ärgern. Nun lass mich die Wunde sehen, ich werde sie neu verbinden«, sagte sie mit ruhiger Stimme.
Der Krieger packte sie unsanft am Handgelenk und drückte es nach unten. »Danach lässt du mich in Ruhe!«, forderte er.
Tanja nickte. Gleichzeitig verzogen sich ihre Mundwinkel wieder leicht nach oben. Es war ein seltsames Gefühl von Triumph, dass es ihr einmal gelungen war, sich gegen ihn durchzusetzen.