Kathryn Stockett
Gute Geister
Roman
Deutsch von
Cornelia Holfelder-von der Tann
Ich danke Amy Einhorn, meiner Verlegerin, ohne die die Klebezettelbranche nicht wäre, was sie heute ist. Amy, Sie sind so klug. Ich hatte wirklich großes Glück, mit Ihnen arbeiten zu dürfen.
Dank auch meiner Agentin Susan Ramer für ihre Risikobereitschaft und ihre Geduld, Alexandra Shelley für ihr gründliches Lektorat und ihre vielen guten Ratschläge, dem Jane Street Workshop für das schriftstellerische Können, das dort versammelt ist, Ruth Stockett, Tate Taylor, Brunson Green, Laura Foote, Octavia Spencer, Nicole Love und Justine Story für das Lesen meines Manuskripts und für ihr Lachen, selbst an den Stellen, die gar nicht so lustig waren. Ein Dankeschön Grandaddy, Sam, Barbara und Robert Stockett, die mir geholfen haben, mich an das Jackson von damals zu erinnern. Und ganz besonderen Dank Keith Rogers und meiner lieben Lila, für alles.
Dank allen bei Putnam für ihren Enthusiasmus und ihre engagierte Arbeit. Ich habe mir zwei chronologische Freiheiten gestattet, zum einen mit dem Song »The Times They Are A-Changin’«, der erst 1964 erschien, und zum anderen mit Shake ’n Bake, das erst 1965 in die Läden kam. Die Jim-Crow-Gesetze, die im Buch vorkommen, sind gekürzte Versionen realer Gesetze, die zu verschiedenen Zeiten in den Südstaaten galten. Meinen Dank Dorian Hastings und Elizabeth Wagner, den unglaublich sorgfältigen Korrektoren, die mich auf diese Diskrepanzen hingewiesen haben und mir viele andere auszuräumen halfen.
Dank schulde ich auch Susan Tucker, der Autorin von Telling Memories Among Southern Women. Die wundervollen mündlichen Berichte von Dienstboten und weißen Arbeitgebern in diesem Buch versetzten mich in eine längst entschwundene Welt.
Und schließlich geht mein verspäteter Dank an Demetrie McLorn, die uns alle, in unsere Babydecken gehüllt, aus dem Krankenhaus trug und ihr Leben damit zubrachte, uns zu bekochen, hinter uns herzuräumen, uns zu lieben und uns Gott sei Dank auch zu verzeihen.
Unser Dienstmädchen Demetrie pflegte immer zu sagen, im Hochsommer in Mississippi Baumwolle zu pflücken sei wohl der übelste Zeitvertreib auf der Welt, mal abgesehen vom Pflücken von Okra, noch so einem stachligen Zeug, nach dem man sich bücken muss. Demetrie erzählte uns alle möglichen Geschichten darüber, wie sie als Kind Baumwolle gepflückt hatte. Sie lachte, schüttelte den Kopf und schwenkte warnend den Zeigefinger, als könnte ein Trio von reichen weißen Kindern dem Übel des Baumwollpflückens verfallen wie dem Rauchen oder dem Schnaps.
»Tagelang hab ich nur gepflückt und gepflückt. Und dann hab ich an mir runtergeguckt, und meine Haut war ganz voll Blasen. Ich hab’s meiner Mama gezeigt. Keiner von uns hatte jemals Sonnenbrand bei einem schwarzen Menschen gesehen. Das war nur was für Weiße!«
Ich war noch zu klein, um zu merken, dass das, was sie da erzählte, nicht sonderlich lustig war. Demetrie war in Lampkin, Mississippi, geboren worden, im Jahr 1927. Ein schreckliches Jahr, um auf die Welt zu kommen, kurz vor Beginn der Großen Depression. Gerade der richtige Zeitpunkt, um in allen Einzelheiten zu erfahren, was es hieß, ein armes, schwarzes Kind und noch dazu ein Mädchen auf einer Pächtersfarm zu sein.
Demetrie kam mit achtundzwanzig zum Kochen und Putzen ins Haus meiner Großeltern. Mein Vater war da vierzehn, mein Onkel sieben. Demetrie war kräftig und dunkelhäutig und zu jener Zeit mit einem gewalttätigen Trinker namens Clyde verheiratet. Sie wollte mir nie antworten, wenn ich sie nach ihm fragte. Aber außer über das Thema Clyde sprach sie den ganzen Tag mit uns.
Und ich fand es herrlich, mit Demetrie zu reden. Nach der Schule saß ich bei ihr in der Küche meiner Großmutter, lauschte ihren Geschichten und sah zu, wie sie Kuchenteig machte und Huhn frittierte. Ihre Kochkünste waren herausragend. Essensgäste meiner Großmutter ergingen sich ausgiebig darüber. Man fühlte sich geliebt, wenn man Demetries Karamelltorte kostete.
In ihrer Mittagspause allerdings durften meine beiden älteren Geschwister und ich sie nicht stören. Großmutter sagte dann: »Lasst sie jetzt in Ruhe, diese Zeit gehört ihr.« Und ich stand in der offenen Küchentür und konnte es nicht erwarten, wieder zu ihr hinein zu dürfen. Großmutter wollte, dass Demetrie sich ausruhte, damit sie ihre Arbeit zu Ende bringen konnte, mal ganz davon abgesehen, dass Weiße nicht mit am Tisch saßen, wenn eine Schwarze aß.
Das war einfach Teil des täglichen Lebens, die Regeln zwischen Schwarzen und Weißen. Ich weiß noch, dass ich als kleines Mädchen, wenn ich Schwarze in den Farbigenvierteln der Stadt sah, immer Mitleid mit ihnen hatte, auch wenn sie gut gekleidet und vergleichsweise wohlhabend waren. Heute ist es mir sehr peinlich, das zuzugeben.
Aber Demetrie tat mir nicht leid. Mehrere Jahre lang dachte ich, was sie doch für ein Glück hatte, bei uns zu sein. Einen sicheren Job in einem schönen Haus zu haben, bei weißen Christenmenschen. Aber ich dachte es auch, weil Demetrie keine eigenen Kinder hatte und es sich für uns so anfühlte, als füllten wir eine Leerstelle in ihrem Leben. Wenn jemand sie fragte, wie viele Kinder sie habe, hob sie drei Finger. Sie meinte uns: meine Schwester Susan, meinen Bruder Rob und mich.
Meine Geschwister streiten es ab, aber ich stand Demetrie näher als die anderen Kinder. Niemand legte sich mit mir an, wenn Demetrie bei mir war. Sie stellte mich immer vor den Spiegel und sagte: »Du bist schön. Du bist ein schönes Mädel«, obwohl ich es eindeutig nicht war. Ich hatte eine Brille und strähniges braunes Haar, was an meiner hartnäckigen Abneigung gegen die Badewanne lag. Meine Mutter war viel auf Reisen. Susan und Rob hatten keine Lust, sich mit mir abzugeben, und ich fühlte mich überflüssig. Demetrie wusste das, nahm meine Hand und sagte mir, ich sei ein prima Mädchen.
Als ich sechs war, ließen sich meine Eltern scheiden, und Demetrie wurde noch wichtiger für mich. Wenn meine Mutter, wie so häufig, unterwegs war, steckte Daddy uns Kinder in das Motel, das er betrieb, und Demetrie wurde bei uns untergebracht. Ich weinte dann endlos an Demetries Schulter, weil ich meine Mutter so sehr vermisste, dass ich Fieber bekam.
Zu der Zeit waren meine Geschwister Demetries Obhut bereits zu einem gewissen Grad entwachsen. Sie saßen im Penthouse des Motels herum und spielten mit dem Personal Poker, unter Verwendung von Trinkhalmen als Einsatz.
Ich weiß noch, wie ich neidisch zuschaute und wie ich einmal dachte: Ich bin kein Baby mehr. Ich muss mich nicht mit Demetrie begnügen, während die anderen Poker spielen.
Also spielte ich mit und verlor natürlich binnen fünf Minuten meine sämtlichen Trinkhalme. Ich landete wieder auf Demetries Schoß und gab mich mürrisch, während ich weiter den anderen beim Pokern zuschaute. Doch schon nach einer Minute lag meine Stirn an Demetries weichem Hals, und sie wiegte mich, als säßen wir beide in einem Boot.
»Hier gehörst du hin. Hierher zu mir«, sagte sie und tätschelte mein heißes Bein. Ihre Hände waren immer kühl. Ich sah den Großen beim Kartenspielen zu, und es machte mir nicht mehr so viel aus, dass Mutter schon wieder weg war. Ich war da, wo ich hingehörte.
Die Flut negativer Darstellungen Mississippis in Filmen, in der Presse und im Fernsehen hat uns Kinder dieses Bundesstaates zu einem misstrauischen, defensiven Häuflein gemacht. Unsere Heimat erfüllt uns mit Stolz und Scham, vor allem aber mit Stolz.
Trotzdem bin ich von dort weggegangen. Mit vierundzwanzig bin ich nach New York gezogen. Ich lernte, dass die erste Frage, die einem an einem solchen Ort permanenter Fluktuation gestellt wird, lautet: »Wo sind Sie her?« Und ich sagte: »Mississippi.« Und wartete.
Leuten, die lächelnd sagten: »Dort unten soll es ja wunderschön sein«, antwortete ich: »Meine Heimatstadt steht auf Platz drei in den USA, was Gang-Morde anbelangt.« Leuten, die sagten: »Gott, müssen Sie froh sein, dass Sie da weg sind«, erklärte ich unwirsch: »Was wissen Sie schon? Es ist wunderschön dort unten.«
Einmal, auf einer Dachterrassenparty, fragte mich ein Mann aus einem reichen, weißen Pendlerstädtchen nördlich der Metropole, wo ich her sei, und ich antwortete, aus Mississippi. Er lachte spöttisch und sagte: »Mein Beileid.«
Ich nagelte seinen Fuß mit meinem Stilettoabsatz fest und verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, ihn ganz ruhig über die Herkunft von William Faulkner, Eudora Welty, Tennessee Williams, Elvis Presley, B. B. King, Oprah Winfrey, Jim Henson, Faith Hill, James Earl Jones und Craig Claiborne, dem Gastrokritiker der New York Times, aufzuklären. Ich setzte ihn davon in Kenntnis, dass die erste Lungen- und die erste Herztransplantation in Mississippi durchgeführt und die Grundlagen des amerikanischen Rechtswesens an der University of Mississippi entwickelt worden waren.
Ich hatte Heimweh und nur auf jemanden wie ihn gewartet. Ich war nicht sehr wohlerzogen oder ladylike, und der arme Kerl schlich davon und wirkte den ganzen restlichen Abend ziemlich nervös. Aber ich konnte nicht anders.
Mit Mississippi ist es wie mit meiner Mutter. Über die darf ich mich beschweren, so lange ich will, aber wehe, jemand sagt ein schlechtes Wort über sie, es sei denn, sie wäre auch seine/ ihre Mutter.
Ich habe Gute Geister in New York geschrieben, was meiner Meinung nach leichter war, als es in Mississippi zu tun, Auge in Auge mit allem. Aus der Distanz sieht man mehr. Inmitten einer brummenden, schnelllebigen Metropole war es eine Erholung, meine Gedanken zu verlangsamen und eine Zeitlang in Erinnerungen zu versinken.
Gute Geister ist im Großen und Ganzen fiktiv. Dennoch habe ich mich beim Schreiben immer wieder gefragt, wie meine Familie wohl darüber dächte. Und ich fragte mich auch, was Demetrie wohl davon hielte, obwohl sie längst tot war. Ich hatte über weite Strecken Angst, eine schlimme Grenzüberschreitung zu begehen, indem ich mit der Stimme einer Schwarzen schrieb. Ich hatte Angst, ich würde es nicht schaffen, eine Beziehung darzustellen, die mein Leben so entscheidend beeinflusst hat, die so voller Wärme und Liebe war, eine Art von Beziehung, die im amerikanischen Geschichtsbild und in der amerikanischen Literatur zu einem solchen Klischee geronnen ist.
Daher war ich aufrichtig dankbar, als ich in Howell Raines’ pulitzerpreisgekröntem Artikel »Grady’s Gift« las:
Für einen Schriftsteller aus dem Süden gibt es kein schwierigeres Thema als die Zuneigung zwischen einem schwarzen und einem weißen Menschen in der Welt der Segregation mit ihrer Ungleichberechtigung. Denn die Unehrlichkeit, auf die eine Gesellschaft gegründet ist, macht jede Emotion suspekt, macht es unmöglich zu wissen, ob das, was zwischen zwei Menschen floss, ein aufrichtiges Gefühl, Mitleid oder Pragmatismus war.
Ich las es und dachte: Wie hat er es geschafft, das so kurz und bündig auszudrücken? Dasselbe glitschige Problem, mit dem ich kämpfte und das ich einfach nicht zu fassen bekam wie einen nassen Fisch. Und Mr Raines hatte es mit wenigen Sätzen dingfest gemacht. Es freute mich sehr, dass ich in meinem Ringen nicht allein war.
Genau wie zu Mississippi habe ich auch zu Gute Geister ein sehr widersprüchliches Verhältnis. Von den Trennlinien zwischen schwarzen und weißen Frauen ausgehend, fürchte ich, zu viel erzählt zu haben. Man hat mich gelehrt, nicht über so heikle Dinge zu sprechen, das sei ungehörig, unhöflich, sie könnten uns hören.
Und ich habe Angst, zu wenig erzählt zu haben. Nicht nur, weil das Leben für viele Frauen, die in Weißenhaushalten in Mississippi arbeiteten, noch viel schlimmer war, sondern auch, weil es viel mehr Zuneigung zwischen weißen Familien und schwarzen Dienstmädchen gab, als meine Zeit und meine Mittel mir darzustellen erlaubten.
Sicher bin ich mir nur in einem: Ich maße mir nicht an zu wissen, wie es sich wirklich anfühlte, eine schwarze Frau im Mississippi der Sechzigerjahre zu sein. Ich glaube nicht, dass irgendeine weiße Frau, die am anderen Ende des Arbeitsverhältnisses stand, das je wirklich nachfühlen könnte. Aber der Versuch, es nachzufühlen, ist unerlässlich für unsere Menschlichkeit. In Gute Geister gibt es einen Satz, der mir wirklich am Herzen liegt:
War das nicht der Sinn des Buchs? Dass Frauen erkennen: Wir sind einfach nur zwei Menschen. Uns trennt gar nicht so viel. Nicht annähernd so viel, wie ich dachte.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand in unserer Familie Demetrie je gefragt hat, wie es sich anfühlte, eine schwarze Frau in Mississippi zu sein und für unsere weiße Familie zu arbeiten. Wir wären gar nicht auf die Idee gekommen, eine solche Frage zu stellen. Es war einfach Alltag. Es war nichts, was einen beschäftigte.
Ich habe mir so viele Jahre gewünscht, ich wäre alt und verständig genug gewesen, Demetrie diese Frage zu stellen. Sie starb, als ich sechzehn war. Ich habe mir jahrelang ausgemalt, wie ihre Antwort gelautet hätte. Und deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
AUGUST 1962
Mae Mobley ist im August 1960 geboren, an einem Sonntag in der Früh. Ein Kirchzeitkind, wie wir sagen. Weiße Babys zu versorgen ist meine Arbeit, mitsamt dem ganzen Kochen und Putzen. Siebzehn Kinder hab ich in meinem Leben aufgezogen. Ich weiß, wie man’s macht, dass die Kleinen einschlafen, nimmer weinen und aufs Klo gehen lernen, eh ihre Mamas am Morgen auch nur aus dem Bett kommen.
Aber noch nie hab ich ein Baby so schreien sehen wie Mae Mobley Leefolt. Am ersten Tag komm ich zur Tür rein, und da ist sie, puterrot, schreit vor Bauchweh und wehrt sich gegen die Flasche, wie wenn’s eine faulige Rübe wär. Und Miss Leefolt, die guckt, wie wenn sie Panik vor ihrem eigenen Kind hätt. »Was mache ich falsch? Warum hört das nicht auf?«
Das? Da hab ich zum ersten Mal gedacht, irgendwas stimmt hier nicht.
Also hab ich das rote, schreiende Baby in die Arme genommen. Hab die Kleine bisschen auf meiner Hüfte geschuckelt, damit die Luft abgeht, und es hat keine zwei Minuten gedauert, bis sie mit Weinen aufgehört und mich angelächelt hat, so wie sie’s seither immer macht. Aber Miss Leefolt, die hat ihr eigenes Baby den ganzen Tag kein einziges Mal hochgenommen. Ich hab ja schon viele Frauen gesehen, die nach der Geburt den Babyblues gekriegt haben. Ich hab wohl gedacht, dass es das war.
Das Problem mit Miss Leefolt ist: Sie macht nicht nur die ganze Zeit ein finsteres Gesicht, sie ist auch noch klapperdürr. Ihre Beine sind so dünn, wie wenn sie ihr erst letzte Woche gewachsen wären. Dreiundzwanzig ist sie und so schlaksig wie ein vierzehnjähriger Bub. Sogar ihr Haar ist dünn, braun, aber man kann regelrecht durchgucken. Sie versucht’s mit Toupieren, aber davon sieht’s nur noch dünner aus. Ihr Gesicht hat genau die Form wie das von dem roten Teufel auf der Packung mit den scharfen Zimtbonbons, das gleiche spitze Kinn und überhaupt. Und ihr ganzer Körper hat so viele Ecken und Spitzen, kein Wunder, dass sie das Baby nicht beruhigen kann. Babys mögen es dick und weich. Sie mögen es, sich zum Einschlafen richtig in eine weiche Armbeuge zu kuscheln. Und dicke, fette Beine mögen sie auch. Davon kann ich ein Lied singen.
Wie sie ein Jahr alt war, ist mir May Mobley auf Schritt und Tritt hinterhergekrabbelt. Wenn’s dann fünf Uhr war, hat sie an meinem Dr.-Scholl-Schuh gehangen, sich über den Boden schleifen lassen und geheult, wie wenn ich nie mehr wiederkommen würd. Und Miss Leefolt hat mich mit schmalen Augen angeguckt, wie wenn ich was falsch gemacht hätt, und die weinende Kleine von meinem Fuß abgepflückt. Das ist wohl das Risiko, wenn man seine Kinder von jemand anderm aufziehen lässt.
Jetzt ist Mae Mobley zwei. Sie hat große, braune Augen und honigfarbene Locken. Aber der kahle Fleck hinten am Kopf wirft das Bild bisschen über den Haufen. Wenn ihr was nicht passt, hat sie die gleiche Falte zwischen den Augenbrauen wie ihre Mama. Sie sehen sich schon ähnlich, nur dass Mae Mobley so dick ist. Schönheitskönigin wird sie bestimmt nie. Ich glaub, Miss Leefolt macht das was aus, aber ich hab Mae Mobley richtig gern.
Meinen Sohn Treelore hab ich verloren, kurz bevor ich bei Miss Leefolt angefangen hab. Er war vierundzwanzig. Die beste Zeit im Leben. Er konnt nur nicht lang genug auf dieser Welt bleiben.
Er hatte seine eigne kleine Wohnung drüben in der Foley Street. War mit einem netten Mädchen namens Frances zusammen, und ich denk, sie wollten irgendwann heiraten, aber in so was war er langsam. Nicht weil er auf der Suche nach was Besserem war, das nicht, er war einfach nur von der Sorte, die viel denkt. Hatte eine dicke Brille und war immer am Lesen. Hat sogar angefangen, selbst ein Buch zu schreiben, über einen Farbigen, der in Mississippi lebt und arbeitet. Gott, war ich da stolz. Aber dann, eines Abends, war er noch bis spät in der Scanlon-Taylor-Sägemühle arbeiten, Kanthölzer zum Laster schleppen, splittriges Zeug, das sich durch die Handschuhe bohrt. Für die Art Arbeit war er zu klein und zu schmächtig, aber er brauchte den Job. Er war müd. Es war am Regnen. Er ist auf der Laderampe ausgerutscht und runtergefallen, direkt vor die Räder. Der Fahrer von der Zugmaschine hat ihn nicht gesehen und ihm die Lunge zerquetscht, eh er sich rühren konnt. Wie ich’s erfahren hab, war er schon tot.
An dem Tag wurd meine ganze Welt schwarz. Die Luft sah schwarz aus, die Sonne sah schwarz aus. Ich bin im Bett liegen geblieben und hab auf die schwarzen Wände von meinem Haus gestarrt. Minny ist jeden Tag gekommen, gucken, ob ich noch atme, mich mit Essen füttern, damit ich am Leben bleib. Drei Monate hat’s gedauert, bis ich auch nur aus dem Fenster geschaut hab, ob’s die Welt noch gab. Ich war überrascht, dass die Welt nicht zusammen mit meinem Jungen verschwunden war.
Fünf Monate nach der Beerdigung hab ich mich aus dem Bett gehievt. Ich hab meine weiße Dienstmädchenuniform angezogen und mir mein kleines Goldkreuz um den Hals gehängt und bin zu Miss Leefolt gegangen, weil die grad ihr kleines Mädchen gekriegt hatte. Aber ziemlich bald hab ich gemerkt, dass in mir was anders geworden war. Ein bittrer Samen war da in mir aufgegangen. Und ich konnt einfach nicht mehr alles so geduldig hinnehmen.
»Sehen Sie zu, dass im Haus alles tipptopp ist, und machen Sie dann den Hühnersalat«, sagt Miss Leefolt.
Es ist Bridgekränzchen-Tag. Immer der vierte Mittwoch im Monat. Natürlich hab ich alles vorbereitet – den Hühnersalat schon am Morgen gemacht, die Tischtücher gestern gebügelt. Und Miss Leefolt hat mich dabei gesehen. Sie ist grade mal dreiundzwanzig und hört sich gern kommandieren.
Sie hat schon das blaue Kleid an, das ich heute Morgen gebügelt hab, das mit den fünfundsechzig Plisseefalten, die so winzig sind, dass ich beim Bügeln die Augen hinter der Brille zusammenkneifen muss. Es gibt nicht viel, was ich auf der Welt hasse, aber das Kleid und ich, wir mögen uns gar nicht.
»Und sorgen Sie dafür, dass Mae Mobley nicht zu uns reinkommt. Ich kann Ihnen sagen, ich habe die Nase voll von ihr – sie hat mein gutes Briefpapier in tausend Fetzchen zerrissen, und ich muss fünfzehn Dankesbriefe für die Junior League schreiben …«
Ich richt alles für ihre Freundinnen her. Nehm die guten Kristallgläser raus und das Silberbesteck. Miss Leefolt stellt nicht einfach einen ollen Spieltisch auf wie die anderen Ladys. Wir nehmen den Esszimmertisch. Legen ein Tischtuch drüber, um den großen L-förmigen Riss zu verdecken, tun den roten Blumenschmuck rüber aufs Sideboard, damit man das verkratzte Holz nicht sieht. Miss Leefolt hat’s gern fein, wenn sie einen Luncheon gibt. Vielleicht will sie ja wettmachen, dass ihr Haus so klein ist. Die Leefolts sind keine reichen Leute, so viel weiß ich. Reiche Leute bemühen sich nicht so.
Ich bin’s ja gewöhnt, bei jungen Ehepaaren beschäftigt zu sein, aber ich würd doch sagen, das hier ist das kleinste Haus, in dem ich je gearbeitet hab. Es hat nur das eine Stockwerk. Ihr und Mister Leefolts Zimmer hintenraus ist ja ganz ordentlich, aber das von der Kleinen ist winzig. Das Esszimmer und das normale Wohnzimmer gehen ineinander über. Bäder gibt’s nur zwei, und da bin ich froh drüber, weil ich schon in Häusern gearbeitet hab, wo fünf oder sechs waren. Da braucht man einen ganzen Tag, allein um die Klos zu putzen. Miss Leefolt zahlt nur fünfundneunzig Cent die Stunde, da hab ich jahrelang mehr gekriegt. Aber nach Treelores Tod hab ich genommen, was ich kriegen konnte. Der Vermieter hätt nimmer viel länger gewartet. Und wenn das Haus auch klein ist, tut Miss Leefolt doch, was sie kann, um’s hübsch herzurichten. An der Nähmaschine ist sie ziemlich gut. Für alles, was sie nicht durch was Neues ersetzen kann, kauft sie einfach blauen Stoff und näht einen Überzug draus.
Es klingelt, und ich geh aufmachen.
»Hey, Aibileen«, sagt Miss Skeeter, weil sie eine ist, die mit Dienstmädchen redet. »Wie geht’s?«
»Hey, Miss Skeeter. Mir geht’s gut. Gott im Himmel, heiß da draußen.«
Miss Skeeter ist ganz groß und dünn. Ihr Haar ist gelb und so geschnitten, dass es nicht mal bis auf die Schultern geht, weil es sich das ganze Jahr über kraust. Sie ist auch dreiundzwanzig oder so, wie Miss Leefolt und die anderen. Sie stellt ihre Handtasche auf einen Stuhl und macht erst mal komische Bewegungen, wie wenn ihre Kleider sie jucken. Sie hat eine weiße Spitzenbluse an, bis oben zugeknöpft wie bei einer Nonne, und flache Schuh, wahrscheinlich, damit sie nicht noch größer wirkt. Ihr blauer Rock steht in der Taille ab. Miss Skeeter sieht immer aus, wie wenn ihr jemand anders sagen würd, was sie anziehen soll.
Ich hör Miss Hilly und ihre Mama, Miss Walters, draußen vorfahren und hupen. Miss Hilly wohnt drei Meter weiter, kommt aber immer mit dem Auto rüber. Ich lass sie rein. Sie marschiert einfach nur an mir vorbei, und ich sag mir, dass es ein guter Moment ist, Mae Mobley vom Mittagsschlaf hochzunehmen.
Wie ich ins Kinderzimmer komm, lächelt Mae Mobley mich an und streckt ihre dicken Ärmchen nach mir aus.
»Du bist schon wach, Baby Girl? Warum hast du mich nicht gerufen?«
Sie lacht und tanzt einen kleinen Jig, wartet, dass ich sie rausheb. Ich drück sie fest. Ich schätz mal, sie wird nicht häufig so gedrückt, wenn ich am Abend gegangen bin. Oft komm ich morgens zur Arbeit und find sie heulend in ihrem Gitterbett. Und Miss Leefolt sitzt an der Nähmaschine und verdreht die Augen, wie wenn’s eine streunende Katze wär, die in der Fliegentür klemmt und schreit. Miss Leefolt zieht sich jeden Tag hübsch an. Ist immer geschminkt, hat einen Carport und einen Doppelkühlschrank mit eingebautem Eisfach. Wenn man sie im Jitney 14 einkaufen sieht, würd man nie denken, dass sie ihre Kleine einfach heulend im Gitterbettchen lässt. Aber das Dienstmädchen weiß alles.
Heut ist allerdings ein guter Tag. Die Kleine grinst über beide Backen.
Ich sag: »Aibileen.«
Sie sagt: »Ai-bee.«
Ich sag: »Liebt.«
Sie sagt: »Liep.«
Ich sag: »Mae Mobley.«
Sie sagt: »Ai-bee.« Und lacht und lacht. Sie ist ganz aus dem Häuschen, weil sie jetzt spricht, und ich muss sagen, es wird auch Zeit. Treelore hat auch nichts gesagt, bis er zwei war. Aber wie er in der dritten Klasse war, hat er besser geredet wie der Präsident der Vereinigten Staaten, ist heimgekommen und hat Wörter benutzt wie Konjugation und parlamentarisch. Und wie er dann auf der Junior High war, haben wir immer so ein Spiel gespielt, wo ich ein normales Wort gesagt hab, und er musst dann ein hochvornehmes dafür finden. Ich sag Hauskatze, er sagt domestizierte Felide, ich sag Mixer, und er sagt motorisierte Rotunde. Eines Tags sag ich Crisco. Er kratzt sich am Kopf. Kann’s nicht fassen, dass ich mit so was Simplem wie Crisco-Pflanzenfett gewonnen hab. Das war von da an so eine Art Geheimwitz zwischen uns, ein Wort für was, was man nicht vornehmer machen kann, als es ist, auch wenn man sich noch so viel Müh gibt. Wir nannten seinen Daddy Crisco, weil man’s nicht schönreden kann, wenn ein Mann einfach seine Familie sitzen lässt. Und er außerdem der nichtsnutzigste Schmierlappen ist, den die Welt je gesehen hat.
Ich trag Mae Mobley in die Küche, setz sie in ihren Hochstuhl und denk an die beiden Sachen, die ich heut noch machen muss, eh Miss Leefolt einen Anfall kriegt: von den Servietten die aussortieren, die langsam durchgewetzt sind, und das Silber im Schrank richtig ordnen. Gott im Himmel, ich muss das wohl machen, während die Ladys da sind.
Ich bring das Tablett mit Teufelseiern ins Esszimmer raus. Miss Leefolt sitzt oben am Tisch, und links von ihr sitzen Miss Hilly Holbrook und Miss Hillys Mama, Miss Walters, die von Miss Hilly gar nicht respektvoll behandelt wird. Und rechts von Miss Leefolt sitzt Miss Skeeter.
Ich geh mit den Eiern rum, fang bei Miss Walters an, weil sie die Älteste ist. Es ist warm hier drin, aber sie hat eine dicke braune Strickjacke umgehängt. Sie nimmt ein Ei auf den Löffel und lässt es ums Haar fallen, weil sie allmählich tattrig wird. Dann geh ich weiter zu Miss Hilly, und die lächelt und nimmt sich zwei. Miss Hilly hat ein rundes Gesicht und eine dunkelbraune Bienenkorbfrisur. Ihre Haut ist olivfarben, mit Sommersprossen und Muttermalen. Sie trägt gern rotes Schottenkaro. Und sie kriegt langsam einen dicken Hintern. Heut, wo es so heiß ist, hat sie ein ärmelloses rotes Kleid ohne Taille an. Sie ist eine von den erwachsenen Frauen, die sich immer noch wie kleine Mädchen anziehn, mit großen Schleifen und dazu passenden Hüten und so. Ich kann sie nicht besonders leiden.
Ich geh auf die andere Seite zu Miss Skeeter, aber die rümpft die Nase und sagt »Nein, danke«, weil sie keine Eier isst. Ich erinner Miss Leefolt jedes Mal dran, wenn das Bridgekränzchen bei ihr stattfindet, aber sie will trotzdem, dass ich die Eier mach. Sie hat Angst, dass Miss Hilly sonst enttäuscht ist.
Schließlich bedien ich Miss Leefolt. Sie ist die Gastgeberin, also kriegt sie ihre Eier zuletzt. Kaum dass ich fertig bin, ruft Miss Hilly »Ich darf doch« und schnappt sich noch zwei Eier, was mich nicht weiter überrascht.
»Ratet mal, wen ich im Schönheitssalon getroffen habe«, sagt Miss Hilly zu den anderen Ladys.
»Wen?«, will Miss Leefolt wissen.
»Celia Foote. Und wisst ihr, was sie mich gefragt hat? Ob sie dieses Jahr beim Wohltätigkeitsball mithelfen könnte.«
»Gut«, sagt Miss Skeeter. »Wir können Hilfe brauchen.«
»So dringend nicht. Ich habe es ihr gesagt. ›Celia‹, habe ich gesagt, ›um mitzumachen muss man League-Mitglied oder Förderin sein.‹ Was glaubt sie, was die Jackson-League ist? Ein offener Club?«
»Nehmen wir dieses Jahr nicht auch Nichtmitglieder? Weil der Wohltätigkeitsball so groß geworden ist?«, fragt Miss Skeeter.
»Na ja, schon«, murmelt Miss Hilly. »Aber das werde ich ihr doch nicht sagen.«
»Ich kann’s nicht fassen, dass Johnny so ein ungehobeltes Ding geheiratet hat«, sagt Miss Leefolt, und Miss Hilly nickt. Sie fängt an, die Bridgekarten zu geben.
Ich servier grad den eisgekühlten Salat und die Schinkensandwiches und kann nicht anders, wie ihr Geplapper mitanzuhören. Gibt nur drei Sachen, über die diese Ladys sprechen: ihre Kinder, ihre Kleider und ihre Bekannten. Ich hör das Wort Kennedy. Ich weiß, sie reden nicht über Politik. Sie reden drüber, was Miss Jackie im Fernsehen angehabt hat.
Wie ich zu Miss Walters komm, nimmt sie sich nur ein halbes Sandwich.
»Mama«, schreit Miss Hilly Miss Walters an. »Nimm dir noch ein Sandwich! Du bist dürr wie ein Telefonmast.« Miss Hilly guckt in die Runde. »Ich sage ihr immer wieder, wenn diese Minny nicht kochen kann, muss sie sie eben feuern.«
Ich spitz die Ohren. Sie reden vom Dienstmädchen. Minny ist meine beste Freundin.
»Minny kann kochen«, sagt die alte Miss Walters. »Ich habe nur nicht mehr so viel Hunger wie früher.«
Minny ist wohl die beste Köchin von Hinds County, wenn nicht von ganz Mississippi. Sie müsst das gefragteste Dienstmädchen weit und breit sein. Aber das Problem ist, Minny ist nicht auf den Mund gefallen. Sie gibt immer Widerworte. Mal legt sie sich mit dem weißen Filialleiter vom Jitney-Jungle-Supermarkt an, mal mit ihrem Mann und immerzu mit der weißen Lady, bei der sie arbeitet. Dass sie schon so lang bei Miss Walters ist, liegt nur da dran, dass Miss Walters stocktaub ist.
»Ich finde, du bist unterernährt, Mama!«, schreit Miss Hilly. »Diese Minny gibt dir nichts zu essen, damit sie die letzten Erbstücke stehlen kann, die mir noch bleiben.« Miss Hilly steht schnaubend auf. »Ich gehe mir mal die Nase pudern. Passt auf sie auf, für den Fall, dass sie vor Hunger tot umfällt.«
Wie Miss Hilly draußen ist, sagt Miss Walters ganz leis: »Das käme dir gerade recht.« Alle tun, wie wenn sie nichts gehört hätten. Ich ruf Minny wohl besser heut Abend an und erzähl ihr, was Miss Hilly behauptet hat.
In der Küche sitzt die Kleine in ihrem Hochstuhl, roten Saft im ganzen Gesicht. Sowie ich reinkomm, strahlt sie. Sie bleibt ganz brav da sitzen, aber ich lass sie nicht gern zu lang allein. Ich weiß, sie starrt ganz still auf die Tür, bis ich wiederkomm.
Ich tätschel ihr weiches Köpfchen und geh wieder raus, Eistee einschenken. Miss Hilly ist zurück auf ihrem Platz und scheint jetzt wegen irgendwas andrem unter Dampf zu stehen.
»Oh, Hilly, es wäre mir lieber, ihr würdet das Gästebad benutzen«, sagt Miss Leefolt, während sie ihre Karten ordnet. »Das hintere Bad putzt Aibileen erst nach dem Mittagessen.«
Hilly reckt das Kinn vor. Macht dann eins von ihren Ähhemms. Sie hat so eine Art, sich zu räuspern, dass alle horchen, was sie sagen will, ohne zu wissen, wie sie sie dazu gebracht hat.
»Aber das Gästebad benutzt doch das Mädchen«, erwidert Miss Hilly.
Einen Moment sagt keine was. Dann nickt Miss Walters, wie wenn sie’s allen erklären wollt. »Sie ist besorgt, weil die Negerin die Innentoilette benutzt und wir auch.«
Guter Gott, nicht wieder der Zirkus. Sie gucken alle zu mir rüber, wie ich das Silberbesteck in der Sideboardschublade ordentlich einräum, und ich weiß, ich verschwind jetzt besser. Doch eh ich den letzten Löffel drin hab, guckt mich Miss Leefolt streng an und sagt: »Gehen Sie neuen Tee holen, Aibileen.«
Ich tu wie mir geheißen, obwohl ihre Tassen noch randvoll sind.
Ich steh kurz in der Küche rum, aber da hab ich nichts mehr zu tun. Ich muss ins Esszimmer, damit ich das Silber fertig ordnen kann. Und ich muss auch noch die Servietten durchsortieren, aber die sind im Schrank im Flur, gleich vor dem Zimmer, wo sie sitzen. Ich will heut nicht länger bleiben, nur weil Miss Leefolt Karten spielt.
Ich wart noch paar Minuten, wisch eine Arbeitsplatte. Geb der Kleinen von dem Schinken, und sie verdrückt ihn bis aufs letzte Fitzelchen. Schließlich schleich ich mich raus in den Flur und bet, dass mich niemand sieht.
Alle vier haben eine Zigarette in der einen Hand und die Karten in der andren. »Elizabeth, wenn du die Wahl hättest«, hör ich Miss Hilly sagen, »würdest du nicht auch wollen, dass sie ihre Geschäfte draußen verrichten?«
Ganz leis zieh ich die Serviettenschublade auf, mehr damit beschäftigt, dass sie mich ja nicht bemerken, wie mit dem, was sie reden. Das ist für mich nichts Neues. Überall in der Stadt gibt’s Extra-Klos für Farbige und in den meisten Häusern auch. Aber dann guck ich rüber und seh, wie mich Miss Skeeter beobachtet, und ich werd ganz starr vor Schreck und denk, jetzt gibt’s Ärger.
»Ich biete ein Herz«, sagt Miss Walters.
»Ich weiß nicht«, sagt Miss Leefolt und guckt mit gerunzelter Stirn auf ihre Karten. »Jetzt, wo Raleigh sich gerade selbständig macht und die Steuersaison noch ein halbes Jahr hin ist … Im Moment ist es bei uns finanziell wirklich eng.«
Miss Hilly spricht langsam, wie wenn sie Spritzgusstupfer auf einer Torte verteilt. »Sag Raleigh einfach, jeden Penny, den er für die Toilette ausgibt, kriegt er wieder, wenn ihr das Haus verkauft.« Sie nickt, wie wenn sie sich selbst zustimmt. »Die ganzen Häuser, die ohne Dienstboteneinrichtungen gebaut werden? Das ist schlichtweg gefährlich. Jeder weiß doch, dass diese Leute andere Krankheitserreger in sich tragen als wir. Ich verdopple.«
Ich nehm einen Stapel Servietten raus. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich will ich hören, was Miss Leefolt da drauf sagt. Sie ist meine Arbeitgeberin. Jeder will doch wohl wissen, was sein Arbeitgeber über ihn denkt.
»Es wäre schon schön«, sagt Miss Leefolt und zieht kurz an ihrer Zigarette, »wenn sie nicht die Toilette im Haus benutzen würde. Ich biete drei Pik.«
»Ebendarum habe ich die Initiative für Hauspersonalsanitäranlagen ins Leben gerufen«, erklärt Miss Hilly. »Als Krankheitsvorbeugungsmaßnahme. «
Ich bin überrascht, wie eng meine Kehle wird. Das ist die Scham, die ich vor langer Zeit runterzuschlucken gelernt hab.
Miss Skeeter guckt ganz verwirrt. »Für Haus… was?«
»Für ein Gesetz, dass jeder weiße Haushalt eine separate Toilette für die farbigen Dienstboten haben muss. Ich habe mich sogar schon an den Leiter der Gesundheitsbehörde von Mississippi gewandt, ob er das Anliegen unterstützt. Ich passe.«
Miss Skeeter schaut Miss Hilly stirnrunzelnd an. Sie legt ihre Karten offen hin und sagt ganz sachlich: »Vielleicht sollten wir einfach dir draußen eine Toilette bauen, Hilly.«
Herrjesses, ist es auf einmal still in dem Zimmer!
Dann zischt Miss Hilly: »Ich glaube nicht, dass du Witze über das Farbigenproblem machen solltest. Nicht wenn du Herausgeberin des League-Newsletters bleiben willst, Skeeter Phelan.«
Miss Skeeter gibt so eine Art Lachen von sich, aber ich merk, dass sie’s nicht komisch findet. »Willst du sagen, du … würdest mich rausschmeißen? Weil ich nicht deiner Meinung bin?«
Miss Hilly zieht eine Augenbraue hoch. »Ich werde tun, was ich tun muss, um unsere Stadt zu schützen. Du sagst an, Mama.«
Ich geh in die Küche und komm erst wieder raus, wie ich die Tür hinter Miss Hillys Hinterteil zufallen hör.
Wie ich weiß, Miss Hilly ist weg, setz ich Mae Mobley in ihren Laufstall und schlepp die Mülltonne raus an die Straße, weil heut die Müllabfuhr kommt. Am oberen Ende von der Einfahrt fahren mich Miss Hilly und ihre verrückte Mama beinah im Rückwärtsgang über den Haufen und rufen dann ganz freundlich aus dem Wagen raus, wie leid’s ihnen tut. Ich geh wieder ins Haus, froh, dass ich nicht zwei frisch gebrochene Beine hab.
Wie ich in die Küche komm, ist da Miss Skeeter. Sie lehnt an der Arbeitsplatte und macht ein ganz ernstes Gesicht, noch ernster wie sonst. »Hey, Miss Skeeter. Möchten Sie irgendwas?«
Sie guckt raus auf die Einfahrt, wo Miss Leefolt durchs Autofenster mit Miss Hilly redet. »Nein, ich … warte nur.«
Ich trockne eine Servierplatte ab. Wie ich verstohlen rüberguck, starrt sie immer noch ernst durchs Fenster. Sie sieht nicht aus wie die anderen Ladys, weil sie so groß ist. Sie hat ganz hohe Wangenknochen. Blaue Augen, die meistens auf den Boden gucken, was ihr was Schüchternes gibt. Es ist still, bis auf das kleine Radio auf der Arbeitsplatte, in dem der Gospelsender läuft. Ich wollte, sie würd gehen.
»Ist das Prediger Green da im Radio?«, fragt sie.
»Ja, Ma’am, ist es.«
Miss Skeeter lächelt halb. »Das erinnert mich so an unser Mädchen, als ich ein Kind war.«
»Oh, ich hab Constantine gekannt«, sag ich.
Jetzt guckt mich Miss Skeeter an. »Sie hat mich großgezogen, wussten Sie das?«
Ich nick, bereu, dass ich überhaupt was gesagt hab. Ich weiß zu viel da drüber.
»Ich habe versucht, die Adresse ihrer Verwandten in Chicago herauszukriegen«, setzt sie hinzu. »Aber niemand kann mir irgendetwas sagen.«
»Ich hab sie auch nicht, Ma’am.«
Miss Skeeter schaut wieder zum Fenster raus, auf Miss Hillys Buick. Sie schüttelt ganz leicht den Kopf. »Aibileen, das Gerede dort drinnen … Hillys Gerede meine ich …«
Ich nehm eine Kaffeetasse und trockne sie mehr wie ordentlich ab.
»Wünschen Sie sich manchmal, Sie könnten … die Dinge ändern?«, fragt sie.
Und da kann ich nicht anders, ich guck ihr direkt ins Gesicht. Weil das wohl die dümmste Frage ist, die ich je gehört hab. Ihr Gesicht ist verwirrt und angewidert, wie wenn sie sich grad Salz statt Zucker in den Kaffee getan hätt.
Ich wend mich wieder zur Spüle hin, damit sie nicht sieht, wie ich die Augen verdreh. »Oh, nein, Ma’am, es ist alles gut so.«
»Aber das Gerede da eben, über die Toilette …«, und genau bei dem Wort kommt Miss Leefolt in die Küche marschiert.
»Ach, da bist du, Skeeter.« Sie guckt uns bisschen komisch an. »Entschuldigung, habe ich … euch bei irgendetwas unterbrochen? « Wir stehen beide da und fragen uns, was sie wohl gehört hat.
»Ich muss los«, sagt Miss Skeeter. »Bis morgen, Elizabeth.« Sie macht die Hintertür auf, ruft: »Danke für das Essen, Aibileen«, und weg ist sie.
Ich geh ins Esszimmer und fang an, den Bridgetisch abzuräumen. Und wie ich schon befürchtet hab, kommt Miss Leefolt hinter mir her und hat ihr nervöses Lächeln im Gesicht. Sie reckt den Hals vor, wie wenn sie dran arbeitet, mich was zu fragen. Sie mag’s nicht, dass ich mit ihren Freundinnen red, wenn sie nicht dabei ist. Will immer wissen, was wir reden. Ich geh einfach an ihr vorbei in die Küche. Ich setz die Kleine in den Hochstuhl und mach mich dran, den Backofen zu putzen.
Miss Leefolt kommt wieder hinter mir her, nimmt eine Dose Crisco und beäugt sie, stellt sie dann wieder hin. Die Kleine reckt die Ärmchen nach ihrer Mama, aber Miss Leefolt macht einen Küchenschrank auf und tut, wie wenn sie’s nicht sieht. Dann knallt sie den Schrank wieder zu und macht einen anderen auf. Schließlich steht sie einfach nur da. Ich kauer auf allen vieren. Steck meinen Kopf so tief in den Backofen, dass es ausschaut, als wollt ich mich grad mit Gas umbringen.
»Miss Skeeter und Sie gerade eben, das sah ja wie eine furchtbar ernste Unterhaltung aus.«
»Nein, Ma’am, sie wollt nur … wissen, ob ich paar alte Kleider will«, sag ich, und es klingt, als wär ich in einem Brunnenloch. Meine Arme sind schon ganz fettig. Riecht wie Achselhöhlen hier drin. Im Nu rinnt mir Schweiß die Nase runter, und jedes Mal, wenn ich mich kratz, hinterlass ich schmierigen Dreck auf meinem Gesicht. Ist wohl der schlimmste Platz auf der Welt, in so einem Backofen. Man ist entweder zum Putzen drin oder weil man gebraten wird. Heut Nacht, das weiß ich, werd ich wieder diesen Traum träumen, dass ich hier feststeck und jemand das Gas aufdreht. Aber ich lass den Kopf in dem grässlichen Loch, weil alles besser ist, wie Miss Leefolt zu erzählen, was mir Miss Skeeter hat sagen wollen. Dass sie mich gefragt hat, ob ich die Dinge ändern will.
Nach einer Weile schnaubt Miss Leefolt und stapft raus zum Carport. Ich nehm an, sie guckt, wo sie mein neues Farbigenklo bauen will.