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Fachbereich
POLITISCHE THEORIE / PHILOSOPHIE
Über menschliche Freiheit
Von Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin
Die menschliche Freiheit ist eines der ältesten Themen, die die Menschheit überhaupt beschäftigt haben. Man kann sagen, dass die Philosophie fast von ihrem Anbeginn, wobei sich die Vor-Sokratik damit interessanterweise noch nicht beschäftigt hat, immer wieder auf dieses Thema zurückkommt. Gewissermaßen in immer wieder neuen Anläufen sich damit auseinandersetzt, was eigentlich die menschliche Freiheit und Verantwortlichkeit ausmacht und wie Freiheit und Verantwortung miteinander zusammenhängen. Und wenn man sich das zu erklären versucht, warum das eigentlich so ein Thema ist, das offenbar die Menschen nicht loswerden, dann scheint mir vor allem eine Erklärung sehr plausibel zu sein: Die Freiheit, die wir empfinden – wir haben das Gefühl, wir entscheiden, ich entscheide, ob ich jetzt hier stehe oder gehe, Sie entscheiden ob Sie weiter zuhören oder nicht –ist etwas, was ganz unter unserer eigenen Kontrolle ist. Und auf der anderen Seite haben wir nicht erst heute, sondern schon in der Antike, eine sehr starke Intuition die etwa folgendes besagt: Jedes Ereignis in der Welt hat seine Ursache. Nichts passiert zufällig, nichts passiert willkürlich, es gibt Gesetzmäßigkeiten, die einen Zusammenhang herstellen zwischen Ereignissen jetzt und Ereignissen später, zwischen Weltzuständen jetzt und Weltzuständen später.
Und damit ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen unserem Selbstbild als Akteure, als Verantwortliche, als diejenigen, die Autoren ihres Lebens sind, das werden wir später noch ein bisschen erläutern, und auf der anderen Seite unserem Weltbild, ein Weltbild, das im Laufe der Geschichte der Menschheit immer mehr auch angereichert wurde durch wissenschaftliche Forschungsergebnisse. Die These also: Wir kriegen die Freiheitsthematik deshalb nicht los, weil es ein Spannungsverhältnis zwischen Selbstbild und Weltbild gibt.
Gegenwärtig erlebt diese Thematik wieder einmal eine Boomphase und typischerweise ist diese Boomphase durch den Erfolg einer Naturwissenschaft ausgelöst worden, nämlich der Neurowissenschaft oder der Neurowissenschaften. Da gibt es ganz unterschiedliche Untersuchungsmethoden und einige auch durchaus provokative Thesen einiger Neurowissenschaftler vor allem in Deutschland, die gesagt haben, die Neurowissenschaft habe jetzt bewiesen, dass unser Selbstbild – Selbstbild als verantwortlich und frei – empirisch widerlegt ist, dass wir uns da einer Täuschung, einer Illusion hingeben. Offen bleibt zunächst, was für Konsequenzen das im Einzelnen haben soll. Muss das Strafrecht dann reformiert werden oder nicht? Jedenfalls haben das viele, vor allem in den Feuilletons und zum Teil auch in den wissenschaftlichen Disziplinen als eine Herausforderung empfunden, nämlich eine Herausforderung an unser Selbstbild. Wird das Selbstbild als freie, verantwortliche Akteure grundlegend in Frage gestellt oder nicht?
Ich selbst habe mich mit dieser Thematik zunächst einmal ganz unabhängig von der neurowissenschaftlichen Herausforderung vor vielen Jahren beginnend auseinandergesetzt, habe dann versucht, die verschiedenen Stränge der Überlegungen so kompakt wie nur möglich zusammenzufassen, daraus ist ein kleines Büchlein hervorgegangen, bei Reclam, 2005 erschienen, es hat den Titel „Über menschliche Freiheit“. Das ist nicht sehr lang geworden, so etwa 170 Seiten, aber zugegebenermaßen ist es zum Teil nicht sehr einfach zu lesen. Was ich mir heute vorgenommen habe, ist nicht, die Lektüre zu ersparen, das möchte ich Ihnen eigentlich nicht ersparen, sondern ich habe mir vorgenommen, in sehr knapper, kompakter Form, in einer Sprache, die auch für diejenigen verständlich ist, die sich nicht intensiver mit Philosophie beschäftigt haben, die Grundgedanken dieser Position, einer Position zur Frage „Was ist menschliche Freiheit?“ so zu erläutern, dass sie dann vielleicht auch mehr Gewinn von der Lektüre diese Textes und vieler, vieler anderer Texte, die gegenwärtig auf dem Markt sind, haben.
Die erste Etappe dieses „Gedankenausflugs“ – so wollen wir das einmal nennen – ist genauer zu klären, welche Rolle Freiheit und Verantwortung„Präsuppositionen“FreiheitVerantwortung