Nr. 90

 

Gegner im Dunkel

 

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

Wir schreiben das Jahr 3582 Perry Rhodan kehrt mit dem Fernraumschiff SOL in den Mahlstrom zurück, den Ort, an dem die Erde und ihr Mond Zuflucht vor den Laren gefunden haben. Doch er kommt zu spät. Erde und Mond sind längst verschwunden; der Schlund, ein gigantischer kosmischer Wirbel, hat sie verschluckt. Perry Rhodan will Gewissheit und macht sich auf die Suche nach der Erde und ihren Bewohnern. Doch gibt es Mächte im Universum, denen man besser nicht die Stirn bietet. Die Reise der SOL führt ins Ungewisse, tiefer hinein in die Unendlichkeit als Menschen jemals vorgestoßen sind ...

Vorwort

 

 

Quo vadis, Menschheit?

Mehr noch als die Frage nach dem Ursprung des Lebens beschäftigt uns die Zukunft. Die Neugierde (manche nennen sie »Wissensdurst«, andere »Forschungsdrang«) ist die Triebfeder unserer Zivilisation und aller technischen Errungenschaften. Wohl nie werden wir mit dem Erreichten wirklich zufrieden sein. Es gab und gibt so viel zu entdecken. Erst waren es ferne Länder, später neue Kontinente, mittlerweile ist der irdische Mond für uns erreichbar geworden, und wir greifen bereits nach den Planeten unseres Sonnensystems.

Doch die Sehnsucht, die Menschen schon immer empfunden haben, wenn sie zum nächtlichen Sternenhimmel aufschauten, lässt uns nicht los. Die Sterne mögen einst als Dämonen angesehen worden sein, dann als ein Heer von Göttern – heute sind sie für uns, was sie stets waren: in ihrer Mehrzahl Sonnen wie unsere eigene, Licht und Wärme spendende atomare Feueröfen, die unerlässlich sind für das Leben auf den sie umkreisenden Welten.

Es ist wie bei den russischen Matroschka-Püppchen. Wenn wir einen Horizont erreicht haben und uns am Ziel sehen, öffnet sich sofort eine neue Weite vor uns. Auch für Perry Rhodan und seine Getreuen an Bord des Fernraumschiffs SOL öffnet sich in diesem Buch eine neue Dimension. Unsere Helden werden erstmals bewusst mit der Existenz von Superintelligenzen und Mächtigkeitsballungen konfrontiert. Nein, es geht nicht um Götter, sondern um Wesenheiten mit großer Macht.

Was vergleichsweise einfach als so genanntes Zwiebelschalenmodell zu beschreiben ist, wird sich wie ein roter Faden durch die PERRY RHODAN-Serie hindurchziehen und unsere Leser noch mit vielen Überraschungen konfrontieren. Perry Rhodan erhält hier erstmals einen Einblick in die großen kosmischen Geheimnisse – den ersten von vielen faszinierenden.

Die in diesem Buch enthaltenen Originalromane sind: Rückkehr der SOL (771) von H. G. Francis; Das Gespenst von Vrinos (772) von Clark Darlton; Der Chaosmacher (773) von H. G. Ewers; Die Stadt des Glücks (774) von Hans Kneifel; Die Herren von Sh'donth (775) von Peter Terrid; Gucky und der Grauvater (779) von Ernst Vlcek; Die Testwelt (780) von H. G. Francis und Gegner im Dunkel (781) von Clark Darlton.

 

Hubert Haensel

Zeittafel

 

 

1971/84 – Perry Rhodan erreicht mit der STARDUST den Mond und trifft auf die Arkoniden Thora und Crest. Mit Hilfe der arkonidischen Technik gelingen die Einigung der Menschheit und der Aufbruch in die Galaxis. Geistwesen ES gewährt Rhodan und seinen engsten Wegbegleitern die relative Unsterblichkeit. (HC 1–7)

2040 – Das Solare Imperium entsteht und stellt einen galaktischen Wirtschafts- und Machtfaktor ersten Ranges dar. In den folgenden Jahrhunderten folgen Bedrohungen durch die Posbis sowie galaktische Großmächte wie Akonen und Blues. (HC 7–20)

2400/06 – Entdeckung der Transmitterstraße nach Andromeda; Abwehr von Invasionsversuchen von dort und Befreiung der Völker vom Terrorregime der Meister der Insel. (HC 21–32)

2435/37 – Der Riesenroboter OLD MAN und die Zweitkonditionierten bedrohen die Galaxis. Nach Rhodans Odyssee durch M 87 gelingt der Sieg über die Erste Schwingungsmacht. (HC 33–44)

2909 – Während der Second-Genesis-Krise kommen fast alle Mutanten ums Leben. (HC 45)

3430/38 – Das Solare Imperium droht in einem Bruderkrieg vernichtet zu werden. Bei Zeitreisen lernt Perry Rhodan die Cappins kennen. Expedition zur Galaxis Gruelfin, um eine Pedo-Invasion der Milchstraße zu verhindern. (HC 45–54)

3441/43 – Die MARCO POLO kehrt in die Milchstraße zurück und findet die Intelligenzen der Galaxis verdummt vor. Der Schwarm dringt in die Galaxis ein. Gleichzeitig wird das heimliche Imperium der Cynos aktiv, die am Ende den Schwarm wieder übernehmen und mit ihm die Milchstraße verlassen. (HC 55–63)

3444 – Die bei der Second-Genesis-Krise gestorbenen Mutanten kehren als Bewusstseinsinhalte zurück. Im Planetoiden Wabe 1000 finden sie schließlich ein dauerhaftes Asyl. (HC 64–67)

3456 – Perry Rhodan gelangt im Zuge eines gescheiterten Experiments in ein paralleles Universum und muss gegen sein negatives Spiegelbild kämpfen. Nach seiner Rückkehr bricht in der Galaxis die PAD-Seuche aus. (HC 68–69)

3457/58 – Perry Rhodans Gehirn wird in die Galaxis Naupaum verschlagen. Auf der Suche nach der heimatlichen Galaxis gewinnt er neue Freunde. Schließlich gelingt ihm mit Hilfe der PTG-Anlagen auf dem Planeten Payntec die Rückkehr. (HC 70–73)

3458/60 – Die technisch überlegenen Laren treten auf den Plan und ernennen Perry Rhodan gegen seinen Willen zum Ersten Hetran der Milchstraße. Rhodan organisiert den Widerstand, muss aber schließlich Erde und Mond durch einen Sonnentransmitter schicken, um sie in Sicherheit zu bringen. Doch sie rematerialisieren nicht am vorgesehenen Ort, sondern weit entfernt von der Milchstraße im »Mahlstrom der Sterne«. Den Terranern gelingt es nur unter großen Schwierigkeiten, sich in dieser fremden Region des Universums zu behaupten. (HC 74–80)

3540 – Auf der Erde greift die Aphilie um sich, die Unfähigkeit des Menschen, Gefühle zu empfinden. Perry Rhodan, die Mutanten und andere gesund Gebliebene beginnen an Bord der SOL eine Reise ins Ungewisse – sie suchen den Weg zurück in die Milchstraße. (HC 81)

3578 – In Balayndagar wird die SOL von den Keloskern festgehalten, einem Volk des Konzils der Sieben. Um der Vernichtung der Kleingalaxis zu entgehen, bleibt der SOL nur der Sturz in ein gewaltiges Black Hole. (HC 82–84)

3580 – Die Laren herrschen in der Milchstraße, die freien Menschen haben sich in die Dunkelwolke Provcon-Faust zurückgezogen. Neue Hoffnung keimt auf, als der Verkünder des Sonnenboten die Freiheit verspricht. Lordadmiral Atlan sucht die Unterstützung alter Freunde, die Galaktische-Völkerwürde-Koalition (GAVÖK) wird gegründet. (HC 82, 84, 85)

Auf der Erde im Mahlstrom zeichnet sich eine verhängnisvolle Entwicklung ab. (HC 83)

3581 – Die SOL erreicht die Dimensionsblase der Zgmahkonen und begegnet den Spezialisten der Nacht. Um die Rückkehr zu ermöglichen, dringt ein Stoßtrupp in die Galaxis der Laren vor und holt das Beraghskolth an Bord. (HC 84, 85)

Nur knapp entgeht die SOL der Vernichtung; die Entstehung des Konzils wird geklärt. (HC 86)

Monate nach der SOL-Zelle-2 erreicht Perry Rhodan mit der SOL die Milchstraße und wird mit einer falschen MARCO POLO und dem Wirken eines Doppelgängers konfrontiert. Die Befreiung vom Konzil wird vorangetrieben. (HC 87, 88)

Im Mahlstrom halten der geheimnisvolle Plan der Vollendung und die PILLE die Menschen im Griff. Die Erde stürzt in den »Schlund«. (HC 86)

3582 – Alaska Saedelaere gelangt durch einen Zeitbrunnen auf die entvölkerte Erde. (HC 88)

Die SOL fliegt aus der Milchstraße zurück in den Mahlstrom der Sterne. (HC 89)

Prolog

 

 

Das zu Ende gehende 36. Jahrhundert hält die bislang schwersten Prüfungen für die Menschheit bereit. Das ehemals aufstrebende Solare Imperium existiert nicht mehr. Die Menschen leben verstreut an vielen Orten – und überall sind sie gezwungen, sich einem gnadenlosen Kampf ums Überleben zu stellen.

Ein Lichtblick in dieser Zeit der Düsternis ist, dass Perry Rhodan und Lordadmiral Atlan sich versöhnt haben. Gemeinsam fliegen sie mit der SOL zurück in den Mahlstrom der Sterne, um den Terranern zu helfen, die sie im Bann der Aphilie wissen.

Doch die SOL kommt zu spät.

Die Erde und ihr Mond sind längst verschwunden. Der Schlund, ein gigantischer Wirbel aus tödlicher Energie, hat die Sonne Medaillon und ihre beiden Planeten verschluckt.

Perry Rhodan gibt dennoch nicht auf. Er macht sich auf die Suche nach der Erde und ihren Bewohnern. Der Unsterbliche kann nicht glauben, dass die Heimat der Menschheit zerstört sein soll.

Die Reise der SOL führt ins Ungewisse, tiefer hinein in die Unendlichkeit, als Menschen jemals vorgestoßen sind ...

1.

 

 

Der Rotbock warf den Kopf misstrauisch in den Nacken und sog witternd die kalte Morgenluft ein.

Welker Kora zögerte. Aber letztlich überwand er seine Hemmungen. Die Paralysestrahlen fällten das Tier innerhalb von Sekunden.

Der Neutrino-Ingenieur schob seine Waffe in den Gürtel zurück, ging zu dem Bock hinüber und tötete ihn mit zwei Messerstichen in den Hals. Als er dann den Kadaver ausweidete, ließ ihn das Knacken brechender Zweige erschreckt herumfahren. Unter den blau schimmernden Bäumen stand eine korpulente, hoch gewachsene Gestalt. Zwei eisgraue Augen blickten ihn zornig an.

»Du hast soeben ein Verbrechen begangen, junger Mann. Wer einen Rotbock schießt, muss mit einer Strafe von wenigstens einem Jahr rechnen.«

Kora wich einen Schritt zurück.

»Du wirst ein Jahr lang in Paralyse verbringen«, fuhr die Frau ungerührt fort. »Täglich erhältst du nur eineinhalb Stunden Bewegungszeit, damit dein Organismus lebensfähig bleibt. Bei wachem Geist, aber gelähmtem Körper kannst du ausreichend über dein verwerfliches Tun nachdenken.«

Welker Kora hob abwehrend eine Hand. »Ich wusste das nicht«, beteuerte er entsetzt. »Auf Ovarons Planet gibt es so viel Wild, dass keine Tierart vom Aussterben bedroht sein kann.«

Verris Kishtans Augen verengten sich. Sie hob ihren Energiestrahler etwas höher. »Du weißt also doch Bescheid.«

»Wieso?«

»Du sagtest, dass keine Tierart vom Aussterben bedroht sein kann. Aber genau das ist bei den Rotböcken der Fall. Tut mir Leid, Kleiner. Das kostet dich ein Jahr.«

»Das ist ... das ist verrückt. Ihr alle seid ...« Kora schwieg.

Die Frau war sehr viel größer als er. Sie war noch näher gekommen und blickte ihn von oben herab forschend an. »Du bist zwar etwas kurz geraten, aber nicht hässlich«, stellte sie mit bebender Stimme fest.

Er wich weiter zurück.

»Sei nicht so dumm.« Die Frau seufzte. »Ich kann dich anzeigen. Dann verbringst du ein Jahr in Paralyse. Wir könnten aber auch ...«

»Was?«, stieß Welker entgeistert hervor, als ihm die Pause zu lang dauerte.

»... heiraten!«

Krampfhaft schnappte er nach Luft. Mit hervorquellenden Augen starrte er die Walküre an. »Hei... – hei... raten?«

»Natürlich.« Sie nickte überaus ernst. »Das ist doch ganz natürlich. Oder?«

Welker schwieg.

»Na also.« Die Frau stieß ihre Waffe in den Gürtel zurück. »Ich sehe, wir verstehen uns.«

»Der Himmel sei mir gnädig«, ächzte der Neutrino-Ingenieur. »Ich mag Frauen nicht. Bevor ich mit dir ... Nein, lieber lasse ich mich für ein Jahr paralysieren.«

Verris Kishtan wurde bleich, ihr Kinn sackte nach unten. »Ich finde solche Witze gar nicht lustig«, sagte sie enttäuscht. »Was suchst du denn sonst auf Ovarons Planet?«

Das war der Moment, in dem der Ingenieur sich herumwarf und einfach davonrannte.

»Bleib hier!«, brüllte die Frau. Sie hastete hinter ihm her. Ihr Atem ging laut und keuchend. »Stehen bleiben, verdammt!«

Welker Kora, nicht viel größer als einen Meter fünfzig, brach durch das Unterholz. Panik hatte ihn ergriffen. Mehrmals blickte er über die Schulter zurück. Aber die Frau war trotz ihrer Leibesfülle so schnell wie er.

»Ich kriege dich!«, rief sie zornig. »Wir werden es schön miteinander haben.«

»Davor bewahre mich die Hölle.«

Welker wich dornenbewehrten Pflanzen aus. Der Boden vor ihm fiel leicht ab.

»Nicht da entlang!«, schrie Verris Kishtan plötzlich. »Bleib stehen, verdammt!«

Der Ingenieur hörte nicht. In einiger Entfernung stand sein Gleiter. Er musste starten, dann gab es keine Beweise mehr gegen ihn, dann stand später Aussage gegen Aussage.

»Vorsicht!« Die Stimme der Frau überschlug sich fast. »Da ist ein Abhang! Bleib stehen!«

Vor Welker Kora wurde der Wald lichter. Er blickte über die Schulter zurück.

»Nein!« Verris Kishtan wirbelte jetzt wild mit den Armen.

Kora rutschte aus. Unmittelbar vor ihm gähnte tatsächlich eine tiefe Schlucht. Er griff nach den Zweigen der Bäume, verfehlte sie jedoch. Grauenhaft hallte sein Schrei im nächsten Moment von den Felswänden wider.

Verris Kishtan eilte bis an die Abbruchkante. Ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet, als sie in die Tiefe blickte. Sie sah den Körper des Mannes, der sich immer wieder überschlug, bis er weit unter ihr verschwand.

»Das wollte ich nicht«, stammelte sie und sank zitternd ins Gras.

Verris blickte erst auf, als das jaulende Signal einer Streife erklang. Hastig stieß sie sich vom rutschigen Boden ab und versuchte, ins Unterholz zu entkommen. Doch der rote Gleiter raste bereits heran.

»Bleiben Sie, wo Sie sind!«, rief der Pilot über Lautsprecher.

Verris Kishtan bebte. Sie sah den schäumenden Fluss tief unter sich und verspürte ein nahezu unwiderstehliches Verlangen, in die Tiefe zu springen.

Der Gleiter schwebte an den Felsen empor und verdeckte bereits den Abgrund. Eine Polizistin stieg aus. Sie trug den roten Hut und die rote Jacke eines Commanders, dazu eine hautenge schwarze Hose. Verris schwankte zwischen Neid und Hass. Die Polizistin war betörend schön. Warum war sie nicht ebenso großzügig von der Natur bedacht worden?

»Name?«

»Verris Kishtan.«

»Tätigkeit?«

»Schlachterin.« Sie seufzte gequält. »29 Jahre alt. Wohnhaft in Hildenbrandt.«

»Was haben Sie hier draußen gesucht?«

»Ich bin auf der Flatterhahnjagd.«

»Und ich habe einen Mann in die Tiefe stürzen sehen«, erklärte der Commander schneidend scharf. »Außerdem habe ich seine Leiche untersucht. Dass er hier durch das Unterholz gelaufen ist, und das nicht eben langsam, ist nicht zu übersehen.«

Die Polizistin holte eine Infrarotoptik aus dem Gleiter und verfolgte den Weg des Mannes zurück. Minuten später projizierte sie die Aufnahmen auf dem Holoschirm. Verris Kishtan stand mit hängenden Schultern dabei und schwieg.

»Das ist eindeutig. Sie haben den Mann beim Wildern überrascht. Aber auf Ihren Annäherungsversuch ging er nicht ein. Sie haben ihn dennoch bedrängt und wahrscheinlich gar erpresst.«

Verris zitterte.

»Er ist vor Ihnen geflüchtet. Also haben Sie ihn verfolgt und in die Schlucht getrieben.«

»Das wollte ich nicht. Ich habe noch versucht, ihn zurückzuhalten.«

»Dennoch ist er nun tot«, stellte die Polizistin unnachsichtig fest. Sie schwang sich wieder in den Gleiter. »Die Zentralpositronik hat mitgehört. Das Urteil wird sofort gefällt, Miss Kishtan. – Sie haben einen Mann getötet!«

»Es war ein Unglücksfall.«

»Spielt das eine Rolle?«

»Bitte ...«

»Versuchen Sie nicht, mit mir zu diskutieren«, erwiderte der Commander. »Ich bin nur ausführendes Organ. Achtzig Prozent aller Frauen auf Ovarons Planet haben sich dafür ausgesprochen, dass eine Frau sterben muss, die den Tod eines Mannes verschuldet.«

»Ich bin nicht schuldig!«

Aus dem Gleiter ertönte ein Glockenzeichen. Verris Kishtans Augen füllten sich mit Tränen. Wie aus weiter Ferne hörte sie die Worte, die von der zentralen Positronik in der Hauptstadt Hildenbrandt formuliert wurden: »Verris Kishtan ist für schuldig befunden worden. Sie hat den Tod eines Mannes verursacht. Das Opfer wurde inzwischen als Neutrino-Ingenieur Welker Kora von Bord der PHARAO identifiziert. Nachweislich konnte festgestellt werden, dass die Angeklagte ihr Opfer in den Abgrund getrieben hat. Dabei ist unwesentlich, ob diese Tat absichtlich oder unabsichtlich geschah. Das Urteil wird nach Paragraf 1075 der Ovaron-Ordnung gesprochen: Verris Kishtan wird den gleichen Tod sterben wie Welker Kora. Leben um Leben – wie es in der Volksabstimmung vom 10. Oktober des Jahres 3560 verlangt wurde. Eine separate Gerichtsverhandlung findet nicht statt, da die Fakten eine eindeutige Verurteilung durch die Zentralpositronik erlauben. Ovarons Planet, Hildenbrandt am 14. April 3582.«

»Nein«, ächzte Verris Kishtan. »Bitte, lassen Sie mich laufen!«

Die Polizistin war ebenfalls blass geworden, obwohl sie mit einem solchen Urteil gerechnet hatte. »Ich kann nicht anders, Verris Kishtan. Ich bin dem Gesetz verpflichtet.«

»Wird dadurch der Mann wieder lebendig?«, fragte die Verurteilte schrill.

»Nein, aber das ändert überhaupt nichts an meinen Pflichten. Ich hasse mich selbst für das, was ich tun muss, nur ... ich kann nicht anders.«

»Wie heißen Sie?«

»Kayla Hildenbrandt.«

»Hildenbrandt? Ich verfluche Sie in die tiefste Hölle des Universums.«

Die Polizistin zog ihren Paralysator. »Schließen Sie die Augen!«, befahl sie.

Verris Kishtan gehorchte. Ihre Lippen bebten.

Kayla Hildenbrandt löste den Paralysator aus. Kishtan fiel steif zu Boden. Die Polizistin stieg in den Gleiter und schob die Verurteilte mit Hilfe eines Antigravprojektors über die Kante des Abhangs hinaus. Sie aktivierte die Optik, dann hob sie das Antigravfeld auf. Verris Kishtan stürzte in die Tiefe.

Kayla Hildenbrandts Augen waren von Tränen erfüllt. Sie beachtete den Videoschirm nicht, auf dem der fallende Körper zu sehen war, sondern wartete, bis sie sicher sein konnte, dass alles vorbei war. Ihre Hände zitterten.

»Hätte ich dich doch niemals entdeckt, Verris«, wimmerte sie. »Warum musste ich mich ausgerechnet hier herumtreiben?«

Sie startete den Gleiter und ließ ihn langsam an der Felswand entlang absinken. Als sie sah, was aus Verris Kishtan geworden war, erschauerte sie. Mit unmenschlicher Kraft zwang sie sich, die Körper des Mannes und der Frau mit Hilfe ihres Desintegrators aufzulösen. Dabei richtete sie die Optik vorschriftsmäßig auf die Toten, um einen einwandfreien Bericht abgeben zu können.

 

»Ich möchte Mayk Terna sprechen«, sagte Kayla Hildenbrandt.

Die Sekretärin schüttelte den Kopf. »Die Administratorin hat zu tun. Es geht nicht.«

»Ich bestehe darauf!«

»Warum?«

Kayla Hildenbrandt sagte es ihr. Die Sekretärin blickte sie überrascht an. »Das ist nicht Ihr Ernst?«

»Lassen Sie mich jetzt vor?«

»Wie Sie wollen. Ich melde Sie an.«

Über einen schmalen Gang erreichte Kayla das Arbeitszimmer der Administratorin. Mayk Terna saß groß und massig hinter ihrem ausladenden Arbeitstisch. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit der verurteilten Verris Kishtan. Die Konturen ihres Gesichts wirkten jedoch schärfer und härter.

»Was führt dich zu mir, Kayla?«

»Ich quittiere den Dienst. Ich habe es satt. Heute musste ich eine Frau hinrichten, weil sie am Tod eines Mannes schuld war.«

»Ja und?«, forschte die Administratorin barsch. »Das ist kein Grund.«

»Für mich schon.«

»Du trägst den Namen Hildenbrandt und bist verwandt mit Major Kernot Hildenbrandt, der Ovarons Planet entdeckt und diese Stadt gegründet hat. – Ich hätte nie gedacht, dass eine Hildenbrandt so weich und feige sein könnte.«

»Bist du übergeschnappt?«, brauste Kayla auf. »Wie kommst du dazu, so etwas zu behaupten?«

»Willst du deinen Dienst nicht deswegen aufgeben?«

»Keineswegs«, entgegnete der Commander. »Ich habe nur erkannt, dass vieles sinnlos ist, was wir tun. Wir bilden zwei Lager. Auf der einen Seite wir Frauen mit nur wenigen Männern, auf der anderen Seite Reginald Bull und seine Schiffsbesatzungen.«

»Es ist nicht meine Schuld, wenn das so ist«, erklärte Mayk Terna hitzig. »Oft genug habe ich Bully bedrängt, seine Männer nicht wie in einem Kloster einzusperren.«

»Die Schuldfrage interessiert mich nicht. Ich sehe nur, dass wir in einer Art und Weise miteinander leben, die idiotisch ist.«

»Und du willst alles ändern, wie?«

»Ich will es wenigstens versuchen. Wir müssen den Frauen helfen, die keinen Mann bekommen. Das Schicksal von Verris Kishtan hat mir die Augen geöffnet.«

Mayk Terna grinste abfällig. »Verris war alles andere als verlockend für einen Mann. Sie hätte nie einen abgekriegt.«

»Verris war nicht hässlicher als du. Und du bist immerhin mit Gnaden Wennein verheiratet. Es hätte auch bei ihr klappen können.«

»Ich habe keine Lust, mir deine Frechheiten anzuhören«, sagte die Administratorin.

»Irgendwie müssen wir die Männer in den Schiffen gegen Bull und Danton aufbringen.« Kayla Hildenbrandt warf ihren Hut auf den Arbeitstisch und ließ die Jacke folgen.

»Meinen Segen hast du«, erwiderte Mayk Terna gelassen. »Auf unserer Welt leben so viele Frauen, dass jeder Mann mehrfach heiraten könnte.«

»Ich will, dass unsere Gesetze menschlicher werden!«

»Menschlicher? Nie in der Geschichte gab es mehr Freiheit und Menschlichkeit als bei uns.«

Kayla Hildenbrandt schüttelte den Kopf. »Für mich ist das inzwischen billige Propaganda. In unserer Gemeinschaft leiden viele Frauen darunter, dass sie nie einen Mann haben werden. Wenn es außerdem die Todesstrafe für ein Vergehen gibt, wie es Verris Kishtan unterlaufen ist, dann kann ich nicht von Menschlichkeit reden.«

Mayk Terna wurde nachdenklich. »Dein Dienst ruht«, erklärte sie nach einer Weile. »Ich entlasse dich nicht, sondern gebe dir unbezahlten Urlaub. Du behältst deinen Rang. Wenn du deinen Dienst wieder aufnehmen willst, dann sag mir Bescheid.«

Sie griff nach einer Akte und gab damit zu verstehen, dass die Angelegenheit für sie abgeschlossen war.

 

Als Kayla Hildenbrandt ihre Wohnung außerhalb der Stadt betrat, fand sie eine positronische Nachricht von Mayk Terna vor.

Dein Mut gefällt mir, hatte die Administratorin geschrieben. Deshalb sollst du wissen, dass du für mich im Dienst bleibst. Deine Aufgaben werden lediglich anders sein als bisher. Doch davon muss niemand erfahren, am wenigsten Reginald Bull. Soll er ruhig glauben, dass du aus Eigeninitiative und ohne Rückendeckung arbeitest. Umso leichter kann ich später behaupten, dass ich mit deiner Handlungsweise nichts zu tun habe.

Die Besatzungen müssen aus den Schiffen heraus. Je mehr Bully an Ansehen und Respekt bei seinen Männern verliert, desto besser sind unsere Chancen. Stelle ihn also bloß, intrigiere gegen ihn und nimm keine Rücksicht. Nur der Erfolg zählt. Sollte es zu einem Skandal kommen, muss ich mich von dir distanzieren. Das heißt aber nicht, dass du dann allein bist.

Die Nachricht löste sich auf; niemand würde auch nur ein Wort davon rekonstruieren können. Kayla Hildenbrandt lächelte. Das war typisch Mayk Terna. Wenn es darum ging, Bull das Leben schwer zu machen, war sie dabei.

Kayla zog sich um. Sie wählte einen kurzen, der wärmeren Jahreszeit angepassten Rock und einen knapp sitzenden Pullover mit tiefem Ausschnitt. Anschließend startete sie mit ihrem Gleiter.

Die PHARAO stand weit außerhalb von Hildenbrandt. Von den erbeuteten fünfundzwanzig lemurischen Raumschiffen waren sechzehn in ihrer Nähe gelandet. Außerdem sieben kleine terranische Kugelraumer und ein Fragmentraumer der Posbis. Diese acht Schiffe waren erst vor kurzem im Mahlstrom aufgebracht worden und stellten einen nicht zu unterschätzenden Machtzuwachs dar.

Kayla Hildenbrandt schaltete eine Bildverbindung zur PHARAO. Der Dienst habende Funker meldete sich sofort.

»Ich muss Mr. Bull sprechen«, sagte sie und nannte ihren Namen. »In einer dringenden und wichtigen Angelegenheit.«

Sie schaltete sofort wieder ab und nahm dem Funker damit jede Möglichkeit, ihr zu antworten. Minuten später erreichte sie das lemurische Raumschiff. Eine der großen Hangarschleusen stand offen. Kayla flog, ohne zu zögern, hinein.

Ein Offizier eilte ihr entgegen, als sie ausstieg. Er war ein junger Mann mit braunen Augen; Kayla Hildenbrandt betrachtete ihn eindringlich. »Nun?«, fragte sie und atmete tief ein. »Sollst du mich zu Bully führen?«

»Er ... wartet auf Sie.«

Kayla klatschte in die Hände. »Also vorwärts. Ich will den Dicken sehen.«

Der Offizier schluckte sichtlich, dann verließ er vor ihr den Hangar und führte sie.

»Hier ist es«, sagte er nach einer Weile und deutete auf ein Kabinenschott.

Kayla Hildenbrandt lächelte. Sie legte ihm die Hand unter das Kinn. »Hast du nicht das Gefühl, an Bord zu vertrocknen? Draußen warten mehr als tausend bildhübsche Frauen auf euch. Mann, ich verstehe eure dämliche Disziplin nicht.«

Der Offizier schnappte nach Luft, und Kaylas Lächeln vertiefte sich. Sie betätigte den Schottmelder und betrat Augenblicke später Reginald Bulls Kabine.

Der rothaarige Aktivatorträger saß hinter seinem Arbeitstisch. Unwillig blickte er auf und widmete sich sofort wieder seinen Dateien. Aber schon Sekunden später hob er erneut den Kopf und bedachte Kayla Hildenbrandt mit einem langen, forschenden Blick.

»Kann ich Ihnen etwas anbieten?«

»Danke, nein. Glauben Sie, dass ich mir mit Ihrem synthetischen Gebräu den Magen verderben will?«

»Sollte Ihnen wirklich nicht bekannt sein, dass wir mit besten ovaronischen Fruchtsäften beliefert werden?«

»Ich habe keinen Durst.«

»Dann nehmen Sie wenigstens Platz.« Bully setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel. Er blickte ihr forschend in die Augen.

»Ich habe Sie noch nie gesehen, Mr. Bull«, eröffnete Kayla.

»Und nun sind Sie enttäuscht?«

»Keineswegs. Ich hatte erwartet, einem vertrockneten Knacker zu begegnen, aber Sie machen zumindest äußerlich doch noch einiges her.«

Bully blieb die Luft weg. Er fing sich aber schnell wieder.

»Was führt Sie zu mir, Kayla? Ich darf doch annehmen, dass Sie nicht vorhaben, mir einen Ehevertrag anzubieten?« Er grinste breit.

Kayla Hildenbrandt überging die Bemerkung. Dennoch ärgerte sie sich. Reginald Bull nahm die Frauen von Ovarons Planet nicht ernst.

»Sie haben bereits damit begonnen, das Gelände rings um Ihren Landeplatz einzuebnen«, sagte sie kühl. »Läuft da nicht einiges schief?«

Bull deutete auf seinen Arbeitstisch. »Ich bin gerade dabei, alle Daten für Ihre Regierung zusammenzustellen.«

»Es wäre nicht schlecht, hätten Sie das schon vor Beginn der Bauarbeiten getan«, sagte Kayla scharf.

Bully lächelte immer noch. »Sie haben natürlich völlig Recht«, sagte er mit unüberhörbar ironischem Unterton. »Ich werde das schnellstens nachholen.«

»Zu spät!« Kayla schüttelte den Kopf. »Entweder legen Sie jetzt alle Karten auf den Tisch, oder wir stellen die Bauarbeiten sofort ein.«

Sein Lächeln gefror. »Darüber spreche ich nur mit der Administratorin.«

»Ich bin die Beauftragte von Mayk Terna! – Also: Ich warte, Mr. Bull.«

Er lehnte sich zurück und musterte die Frau eindringlich. Schließlich zuckte er mit den Achseln. »Nachdem wir das Peilfeuer Mahlstrom entzündet haben, müssen wir damit rechnen, dass Perry Rhodan eines Tages über Ovarons Planet erscheint.«

»Entweder Rhodan ... oder völlig Fremde.«

Reginald Bull ließ sich von dem Einwand nicht verunsichern. »Terra ist aus dem Mahlstrom verschwunden«, fuhr er fort. »Damit hat die SOL keine Möglichkeit mehr, verbrannten Treibstoff zu ergänzen.«

»Das ist bekannt.«

»Wir müssen dieses Problem schnellstmöglich lösen. Deshalb haben wir uns entschlossen, eine Produktionsanlage für die Hochdruckkompression positiv geladener Protonenmassen zu errichten.«

»Ach.«

»Ich nehme an, Sie wissen, wovon ich rede?«

»In der Tat«, erwiderte Kayla Hildenbrandt heftig und sprang auf. »Sie beginnen ein Großprojekt und haben die Unverschämtheit, unsere Regierung dabei zu übergehen.«

»Ich gehe davon aus, dass Mayk Terna und die Angehörigen der Regierung das Projekt genehmigen werden.«

»Tatsächlich?«

»Natürlich. Die Bevölkerung Ihrer schönen Welt wird davon in keiner Weise tangiert.«

Kayla verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Wir zählen die Besatzungen der Raumschiffe zur Bevölkerung. Für Ihre Männer ist es ein verdammtes Opfer, ohne Freizeit ...«

»Hören Sie doch bitte auf mit dieser alten Leier!«, unterbrach der Aktivatorträger ungerührt. »Sie sind nicht wegen der Bauarbeiten, sondern ausschließlich deshalb gekommen? Ein Grund mehr für Sie, die Rückkehr der SOL herbeizusehnen.«

Kayla machte auf dem Absatz kehrt. Erst vor dem Schott wandte sie sich wieder um.

»Was wollen Sie noch?«, fragte Reginald Bull ungehalten.

»Ich habe die traurige Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Neutrino-Ingenieur Welker Kora tödlich verunglückt ist«, antwortete die Frau ernst. »Leider ermöglicht mir Ihr Benehmen nicht, diese Nachricht in der angemessenen Form zu überbringen.«

Sie ging.

Der Offizier wartete auf dem Gang. »Bringen Sie mich zum Gleiter!«, sagte Kayla nur. Sie verzichtete auf jede anzügliche Bemerkung.

Minuten später verließ der Gleiter das Raumschiff. Aus der Ferne schimmerte die Stadt herüber. Westlich erhoben sich die schneebedeckten Sierra-Berge. Im Osten dehnte sich der blaue Axha-Ozean bis zum Horizont. Die Schneise, die von den Desintegratorfräsen in das Land geschnitten worden war, reichte bis ans Meer. Von dort sollte der Wasserstoff als Grundlage für die Protonengewinnung bezogen werden.

 

»Sir, in der Schneise sind Zeichen angebracht worden«, sagte Leutnant Raydoc. »Das muss heute Nacht geschehen sein.«

Reginald Bull und Roi Danton blieben stehen. »Zeichen? Was für Zeichen?«, wollte Danton wissen.

»Hoffentlich machen die Weiber keinen Ärger«, sagte Bully missgelaunt.

»Vielleicht sollten wir doch mehr auf sie eingehen«, bemerkte Danton. »Ist es wirklich so schlimm, was die Frauen wollen?«

»Nun hör aber auf.« Bull legte die Stirn in Falten. »Ich dachte, wir wären uns einig?«

»Das sind wir. Bis auf ein paar Kleinigkeiten.« Rhodans Sohn lächelte. Von der Schleuse aus, die sie eben betraten und die gut dreihundert Meter über dem Boden lag, konnten sie die fünf Kilometer lange Schneise gut überblicken.

»Sehen Sie, Sir, dort!« Raydoc zeigte auf einen Abschnitt, der etwa einen Kilometer von der PHARAO entfernt war.

»Ich erkenne vier rote Pfähle«, sagte Reginald Bull.

»Die Pflöcke markieren eine Fläche von genau einem Quadratkilometer.«

»Und was hat das zu bedeuten?«, wollte Roi Danton wissen.

»Keine Ahnung, Sir. Heute Morgen waren die Markierungen einfach da.«

Bully fluchte. »Verdammt, Roi, jemand hat ein Grundstück abgesteckt.«

»Wie meinst du das?«

»Gestern Abend habe ich Mayk Terna die Baupläne übergeben. Sie stand ihnen nicht ablehnend gegenüber, wie ich von vornherein gewusst habe. Sie ist mit allem einverstanden, braucht aber noch die Zustimmung der Minister in ihrem Kabinett.«

»Ja – und? Was hat das mit diesem Grundstück zu tun?«

»Ich habe einen Fehler gemacht.« Bully stöhnte. »Ich habe das Nächstliegende vergessen.«

»Was?«, fragte Danton ungeduldig.

»Ich habe übersehen, dass man Grund und Boden kaufen muss, wenn man darauf bauen will. Ich habe zu lange auf Raumschiffen gelebt.«

»Du meinst ...?«

Reginald Bull nickte schwer. »Irgendein verdammter Hundesohn hat ein Stück Land von Mayk Terna gekauft. Dieses Areal liegt zufällig in der Schneise, die für unsere Produktionsanlage benötigt wird. Damit kann der Eigentümer alle Arbeiten blockieren.«

Roi Danton sah sich um. Die Schneise war im absolut günstigsten Geländeabschnitt angelegt worden. Ausweichmöglichkeiten gab es kaum, weil damit zugleich das Landefeld für die Raumschiffe zu stark beeinträchtigt worden wäre.

»Wir könnten die Pflöcke natürlich herausziehen und sie Mayk Terna um die Ohren schlagen, aber damit wäre nichts gewonnen«, sagte Bully zornig. »Wir müssen mit ihr verhandeln. Es hilft alles nichts.«

»Eben. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird«, erwiderte Danton. »Ich bin überzeugt, dass wir uns einigen werden. Allerdings sollten wir mit den Arbeiten fortfahren. Ob das nun als Wunschdenken ausgelegt wird oder nicht: Perry kann praktisch jederzeit hier auftauchen.«

 

Mayk Terna schob sich die Haare aus der Stirn, als Reginald Bull ihr Büro betrat. Die Administratorin trug eine derbe Kombination, wie sie für die Arbeit in der Landwirtschaft bevorzugt wurde. Sie liebte es, hin und wieder schwere körperliche Arbeit zu verrichten.

»Ich dachte mir, dass Sie kommen würden, Bully«, sagte sie seufzend.

»Demnach wissen Sie, was los ist.«

»Ich habe es eben erfahren. Jemand hat ein Grundstück gekauft, das mitten in Ihrer Schneise liegt.«

Bull setzte sich unaufgefordert.

»Von wem kann man ein Grundstück kaufen? Von Ihnen?«

Die Administratorin lachte dröhnend. »Machen Sie keine Witze!«, rief sie erheitert. »Ich würde so was doch nicht mit Ihnen machen. Grundstücke verkauft die Ministerin für Umwelt und Erschließung.« Sie beugte sich vor und blickte den Aktivatorträger aus zusammengekniffenen Augen an. »Woher wollen Sie die Produktionsanlage für die Hochdruckkompressionsballung eigentlich nehmen, Bully?«

»Wenn wir die erbeuteten Schiffe ausschlachten ...«

»Das ist interessant! Sie schwächen also unsere Verteidigungskraft, indem Sie die Raumschiffe demontieren. Widerspricht das nicht allen bisherigen Absichtserklärungen?«

»Nun machen Sie aber einen Punkt, Mayk. Wir können uns bei einem Angriff sehr gut wehren. Auch dann, wenn die Produktionsanlage aus Teilen einiger Raumschiffe zusammengesetzt wird. – Aber das ist jetzt nicht das Problem. Wer hat das Grundstück gekauft? Ich muss mit dem Käufer reden.«

»Tun Sie das ruhig«, empfahl Mayk Terna grinsend. »Kayla Hildenbrandt hat den Kaufvertrag ...«

»Was?«, fragte Bull überrascht. »Die Frau, die gestern bei mir war.«

Die Administratorin nickte amüsiert.

Reginald Bull erhob sich. »Wo wohnt sie?«

Mayk Terna sagte es ihm.

»Und noch etwas, Mayk. Erhalte ich von Ihnen die Genehmigung für den Bau der Produktionsanlage?«

»Selbstverständlich.« Die Administratorin reichte ihm ein Schriftstück. »Wir sind mit allem einverstanden. Es ist allerdings Ihre Sache, wie Sie mit Kayla klarkommen.«

 

Kayla Hildenbrandt trug eine weite Bluse, einen knapp sitzenden Lederrock, der ihre Knie frei ließ, und lange Stiefel, als sie Bully öffnete.

»Ich wusste doch, dass Sie kommen würden. Guten Morgen, Mr. Bull. Haben Sie gut geschlafen?«

»Hervorragend«, erwiderte er grimmig.

»Dann waren Sie sicherlich allein. Nun ja, in Ihrem Alter ...«

»Das macht Ihnen Spaß, wie?«, fragte Bull. »Sollen wir hier unter der Tür Wurzeln schlagen, oder ...?«

»Ich habe den Tisch im Garten gedeckt«, entgegnete Kayla. »Wir können ums Haus herumgehen.«

»Den Tisch gedeckt?« Reginald Bull folgte der Frau durch einen sorgfältig gepflegten Garten zu einer windgeschützten Terrasse. Alles war für ein üppiges Frühstück vorbereitet, wie Bully es in dieser Form lange nicht mehr genossen hatte. Bilder der Erinnerung stiegen in ihm auf.

»Woher wissen Sie, wie man das macht, Kayla?«

»Was denn? Das ist neu für Sie?«

»Ich hatte fast vergessen, was Häuslichkeit bedeutet.«

»Trinken Sie den Kaffee und essen Sie die Brötchen, solange beides noch warm ist«, sagte die Frau. »Und reden Sie nicht so viel.«

Bully setzte sich und griff zu. Doch das Frühstücksvergnügen wollte sich nicht wirklich einstellen. »Warum haben Sie das Grundstück gekauft, Kayla?«, fragte er endlich.

»Können Sie sich das nicht denken?«

»Sie wollen Profit machen.«

Kayla Hildenbrandt blickte ihn bestürzt an, und das Blut wich aus ihren Wangen. Sie erhob sich. Bully merkte, dass er etwas falsch gemacht hatte. Er tupfte sich mit einer Serviette die Lippen ab, stand auf und folgte ihr. Behutsam legte er ihr die Hände an die Schultern.

Kayla fuhr herum und versetzte ihm eine Ohrfeige. Bully sah die Hand zwar kommen, vergaß aber für einige Sekundenbruchteile, dass die Frau unter einem Gravitationseinfluss von 1,17 Gravos aufgewachsen war. Er wollte den Schlag bewusst einstecken, weil er sich davon einen psychologischen Vorteil versprach, doch die Ohrfeige warf ihn zu Boden.

»Da habe ich wohl etwas falsch gemacht«, sagte er mühsam und erhob sich. Feuerrot prangten Kaylas Fingerabdrücke auf seiner Wange. Er kehrte an den Tisch zurück und versuchte, sich so zu benehmen, als sei nichts geschehen. Doch das gelang ihm nicht. Die Wange schmerzte.

»Ich hoffe, das war nicht zärtlich gemeint«, murmelte er, als Kayla immer noch hartnäckig schwieg.

Sie trank einen Schluck Kaffee. Kein Muskel zuckte in ihrem Gesicht. »Hören Sie gut zu, Mr. Reginald Bull«, sagte sie zornig. »Und überlegen Sie sich Ihre Antwort genau. Ich will, dass Sie den unverheirateten Männern endlich erlauben, in Hildenbrandt und Umgebung zu wohnen. Sie sollen Eheverträge schließen und mit ihren Frauen außerhalb der Raumschiffe leben können.«

»Das kann heiter werden«, entgegnete Bully kauend. »Auf der einen Seite verlangen alle geradezu hysterisch nach erhöhter Sicherheit durch kampfbereite Raumschiffe. Sie protestieren sogar lauthals dagegen, dass wir einige Aggregate aus den Raumern ausbauen. Auf der anderen Seite wollen Sie die Einsatzbereitschaft dadurch in Frage stellen, dass Sie die Männer aus den Schiffen herauslocken. Was denken Sie sich eigentlich? Versuchen Sie erst einmal, Ihre Gedanken in geordnete Bahnen zu bringen. Wenn Sie Forderungen haben, sollten Sie sich vorher überlegen, was Sie wirklich wollen.«

Er warf die Serviette auf den Tisch, erhob sich und eilte davon.

2.

 

 

Reginald Bull überflog die Schneise mit dem abgesteckten Grundstück. Er beobachtete, dass Frauen ein Fundament schütteten, und stellte eine Verbindung zu Roi Danton her.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte Rhodans Sohn.

»Wieso?« Bull war verwirrt.

»Deine linke Wange ist geschwollen und seltsam gerötet.«

»Ach das! Das ist nichts. Nur die Folge einer kleinen Auseinandersetzung. Ich wollte etwas klären.«

»Hast du dich an einer der Frauen vergriffen? In deinem Alter?« In Roi Dantons Augen blitzte es, aber Bully deutete nur nach unten.

»An dem Grundstück wird gearbeitet. Ich bin dafür, dass wir das Gebiet räumen lassen.«

»Du willst also wirklich einen offenen Konflikt riskieren?« Danton schüttelte den Kopf. »Davon kann ich nur abraten.«

»Sollen wir zusehen, wie sie alles zunichte machen, was wir aufzubauen versuchen?«

»Ich bin überzeugt davon, dass wir einen besseren Ausweg finden werden.«

»Verhandeln hat keinen Sinn«, beteuerte Bully. »Sie wollen nur die Männer aus den Schiffen holen, aber das können wir auf gar keinen Fall zulassen.« Er schaltete ab.

Kurz darauf flog der Gleiter in die PHARAO ein.

Aus Hildenbrandt rückten schon während der nächsten Stunde weitere Bautrupps an. Doch nach wie vor war nicht zu erkennen, was da gebaut wurde.

Schließlich schickte Bull Leutnant Janak Raydoc zur Baustelle, die der Mann zufällig gleichzeitig mit Kayla Hildenbrandt erreichte. Nur ein Gebiet von etwa zweihundert Quadratmetern war fundamentiert worden, im übrigen Bereich lagerten Baumaterialien.

Kayla Hildenbrandt kam dem Leutnant mit einem gewinnenden Lächeln entgegen. »Was führt Sie zu mir?«, fragte sie freundlich.

Er deutete auf die Frauen und die Roboter, die auf dem kaum ausgehärteten Fundament die ersten Mauern errichteten. »Was soll das werden?«, brachte er mühsam hervor.

Kayla umfasste seinen Arm. »Müssen wir uns unbedingt hier darüber unterhalten? Kommen Sie mit zu mir, dort können wir ungestört über alles reden.«

Raydoc zögerte.

»Worauf warten Sie, Leutnant?« Die Frau lachte. »Bully kann nichts dagegen haben. Ihm kommt es ja darauf an, das Geheimnis zu lösen, das sich hinter dieser Tätigkeit hier verbirgt.«

Sie ging die paar Schritte zu ihrem Gleiter zurück und wartete, bis Raydoc ihr folgte. Die blinkende Anzeige des Funkgeräts ignorierte sie.

»Jemand will Sie sprechen«, sagte der Leutnant.

»Na und? Das bedeutet nicht, dass ich Lust habe, auch mit ihm zu reden. Ich bin ein freier Mensch.«

»Reginald Bull ...?«, vermutete der Leutnant, doch Kayla zuckte nur mit den Schultern.

Wenig später landete sie und führte den Leutnant ins Haus.

»Möchten Sie einen Ovaron-Whisky?«

Raydoc gab sich einen Ruck. »Nicht im Dienst. Kommen Sie besser zur Sache.«

Sie ließ sich in einen Sessel sinken. »Also schön. Was wollen Sie wissen?«

»Was haben Sie vor?«

»Nichts anderes als den Männern in der PHARAO und in den anderen Schiffen etwas Menschlichkeit gönnen und die Frauen von Ovaron aus ihrer Einsamkeit herausführen.« Kayla Hildenbrandt stand auf, ging zu dem Leutnant und legte ihm die Hände an den Kopf. Dann beugte sie sich über ihn. »Sagen Sie, Janak«, fragte sie leise, »ist es Ihnen auch verboten, während des Dienstes zu küssen?«

 

»Leutnant Janak Raydoc!«, meldete der Sergeant und ließ den jungen Offizier eintreten. Reginald Bull und Roi Danton blickten ihm angespannt entgegen.

»Nun?«, fragte Bully. »Wie sieht es aus?«

»Sir, ich habe den Eindruck, dass Miss Hildenbrandt fest entschlossen ist, die Moral der Schiffsbesatzungen zu untergraben.«

»So. Wurde Ihre Moral ebenfalls schon untergraben, Leutnant?«

Raydoc suchte nach Worten. Reginald Bull kaute auf seiner Unterlippe.

»Was war los?«

»Nichts, Sir. Ich habe mich mit Miss Hildenbrandt unterhalten. Sie will, dass die Männer die Schiffe verlassen und in die Stadt ziehen.«

»Ist das nun ernst zu nehmen oder nicht?«

»Das ist es, Sir. Zweifellos.«

»Und wie will Kayla das anstellen?«, fragte Danton.

»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Raydoc. »Miss Hildenbrandt betonte jedoch, dass Sie sehr genau wisse, was sie wolle.«

»Was, zum Teufel, entsteht an der Baustelle?«, donnerte Reginald Bull.

»Die Frau nennt es ein Informationszentrum, Sir. Genauer ließ sie sich darüber nicht aus.«

»Wen will sie über was informieren?«

»Unsere ledigen Besatzungsmitglieder über die ledigen Frauen auf diesem Planeten«, vermutete Roi Danton nach kurzem Zögern.

Bully schüttelte den Kopf. Er gab dem Leutnant mit einer knappen Geste zu verstehen, dass er gehen konnte.

»Das glaube ich nicht, Roi«, entgegnete er. »Dafür wäre ein solcher Aufwand nicht notwendig.«

Leutnant Raydoc verließ die Kabine. Kurz darauf trat Nug-Ingenieur Halp Xmerhouk ein.

»Ich komme von einer Untersuchung des Fragmentraumers«, meldete er. »Ich habe den Eindruck, dass wir in dem Schiff umfangreiches Ausrüstungsmaterial für die Produktionsanlage gewinnen können.«

»Gut«, sagte Bull. »Schlachten Sie die Schiffe konsequent aus, soweit das für die Produktionsanlage notwendig ist.«

»Befürchten Sie keine Schwierigkeiten mit den Frauen, Sir?«

Bull schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte er. »Die Raumfahrtspezialisten befinden sich an Bord der Schiffe. Unter den Frauen von Hildenbrandt gibt es keine Kapazitäten, die in der Lage sind, die Situation wirklich zu beurteilen. Unter den männlichen Bewohnern dieses schönen Planeten auch nicht.«

»Ich fürchte dennoch, dass Mayk Terna früher oder später eine Besichtigung verlangen wird«, sagte Roi Danton.

»Dann führen wir ihr potemkinsche Dörfer vor. Wir zeigen alles, was sie sehen dürfen, ohne misstrauisch zu werden. Darüber hinaus bluffen wir.«

»Glauben Sie wirklich, dass so etwas gut gehen kann?«, fragte Xmerhouk zweifelnd.

»Davon bin ich überzeugt. Mayk Terna soll nur kommen.«

 

Acht Stunden später verließ Reginald Bull die PHARAO in einem Gleiter. Er war ausgeruht und befand sich ausnahmsweise in blendender Laune. Letzteres änderte sich jedoch schlagartig.

Er blickte zuerst nach Osten und sah, dass die eigenen Arbeiten in diesem Abschnitt über Nacht gute Fortschritte gemacht hatten. Momentan arbeitete allerdings niemand mehr. Alle auf der Baustelle richteten ihr Augenmerk nach Westen.

Bull wandte sich um, und ihm stockte der Atem.

Auch die Frauen von Ovarons Planet waren während der Nacht nicht untätig geblieben. Auf dem Areal, das Kayla Hildenbrandt gekauft hatte, war auf einem quadratischen Betonklotz eine riesige Holoprojektion aufgebaut worden. Reginald Bull vermutete, dass die Projektoren dafür nur aus einem Raumschiff stammen konnten.

Aber weniger das erregte ihn, sondern vielmehr die Informationen, die an die Arbeiter auf der Baustelle übermittelt wurden.

Bull zog den Gleiter herum und jagte auf das Riesenholo zu. Gerade war eine spärlich bekleidete und außerordentlich hübsche Frau zu sehen. Dazu erschien die Schrift: Joanla Gennoh, 29 Jahre alt, unverheiratet, sucht einen warmherzigen Ehemann. Architektin, vermögend, Privatvilla.

Das Bild wechselte und zeigte jetzt eine schlanke junge Frau mit pechschwarzem Haar, die sich verführerisch auf einem Pelz räkelte. Sie trug eine feuerrote Kombination, die ihren Körper vorteilhaft zur Geltung brachte.

Bully las: Aika al Sawarha, 35 Jahre alt, unverheiratet, sucht wie wenigstens tausend andere Frauen in Hildenbrandt einen Mann, der ihr hilft, die Einsamkeit zu vergessen. Vermögend. Ist auch mit einem arbeitsscheuen Partner zufrieden.

Aikas Gesicht erschien im Großformat. Sie kniff ein Auge zu – und wich einer Rothaarigen, die ebenfalls ihren Heiratswunsch kundtat.

Wutschnaubend landete Reginald Bull neben dem Betonklotz. Kayla Hildenbrandt trat aus einer Stahlitkuppel und kam ihm lächelnd entgegen.

»Aber Bully«, sagte sie amüsiert. »So eilig haben Sie es? Sie sind der Erste, der auf unsere Angebote eingeht, und Sie scheinen tatsächlich noch so etwas wie jugendliches Temperament zu haben.«

»Stellen Sie das sofort ab!«, befahl der Aktivatorträger zornig. Er zeigte zu dem Holo hinauf. »Ich dulde das nicht. Ahnen Sie überhaupt, was Sie damit anrichten?«

»Natürlich«, erwiderte Kayla erheitert. »Keiner Ihrer Männer arbeitet mehr. Und hören Sie sich den Jubel an: Alle sind begeistert.«

Bull blickte grimmig zu einer nahen Gruppe von Arbeitern hinüber. Sie standen dicht beisammen und verfolgten die Vorführung mit glänzenden Augen.

»Stellen Sie den Projektor ab!«

»Nein.«

Reginald Bull hob die Hände, um nach Kayla zu greifen, doch sie trat rasch einen Schritt zurück. »Wollen Sie eine zweite Ohrfeige?«, fragte sie spöttisch.

Er ließ die Arme sinken. »Irgendwo ist eine Grenze«, sagte er mühsam beherrscht. »Wir können die Männer nicht aus den Schiffen lassen. Wenn wir die Defensivkraft erhalten wollen, ist Disziplin unerlässlich. Ihr Verhalten ist schlicht unmöglich.«

»Das finde ich überhaupt nicht«, antwortete Kayla Hildenbrandt ernst. »Die Kampfkraft der Raumer wird nicht dadurch geschwächt, dass die Männer, die dienstfrei haben, statt in ihren Kabinen in den Häusern der Frauen schlafen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, sie zu kasernieren.«

»Begreifen Sie denn nicht, Kayla?« Reginald Bull stöhnte verzweifelt. »Das geht nicht. Im Angriffsfall müssen wir innerhalb weniger Minuten starten, oder wir sind verloren.«

»Ja und?«

»Es ist unmöglich, die Männer in dieser kurzen Frist aus den Betten zu trommeln und an Bord zu holen.«

»Das beeindruckt mich nicht, Bully. Wenn es so ist, dass uns im Angriffsfall nur wenige Minuten bleiben, dann müssen wir eben durch ein Frühwarnsystem mehr Zeit gewinnen.«

»Das sagen Sie so einfach. Wir können die Raumer nicht einmal ausreichend besetzen. Wie sollten wir unter den Umständen ein Frühwarnsystem aufbauen? Es würde uns noch mehr Männer entziehen und uns dadurch weiter schwächen.«

»Mr. Bull, ich erinnere mich, dass Sie zu jenen Personen gehören, denen in der Vergangenheit immer eine gute Lösung eingefallen ist. Strengen Sie Ihren Kopf auch dieses Mal an. Ich jedenfalls werde dafür kämpfen, dass Ihre Männer sich das Recht auf eine Lebenspartnerin erzwingen.«

Ihre Blicke begegneten sich. Reginald Bull spürte, dass er auf ernsthaften Widerstand stieß. Kayla Hildenbrandt durfte er nicht unterschätzen, obwohl er genau das bisher getan hatte. Da er sich im Moment unterlegen fühlte, brachte er es aber auch nicht fertig, ihr mit einem Kompliment zu begegnen, obwohl dadurch die Spannungen zweifellos geringer geworden wären.

»Ich warne Sie eindringlich«, sagte er. »Falls Sie unsere Besatzungen zur Meuterei verleiten, wird das Konsequenzen für die Bevölkerung dieses Planeten haben.«

»Ich verstehe nicht, wie Sie das meinen.«

»Dann denken Sie in Ruhe darüber nach!« Bully blickte auf sein Kombiarmband. »Es ist acht Uhr. Ich gebe Ihnen eine Stunde Zeit. Um neun ist es vorbei mit diesem Supermarkt der Weiber.« Er deutete zu dem Holo hinauf, drehte sich um und stieg in seinen Gleiter, ohne Kayla Hildenbrandt einen weiteren Blick zu gönnen.

Sie trat hastig an die Maschine heran. »Was geschieht, Bully, falls ich die Sendung nicht unterbreche?«

»Das werden Sie erleben«, antwortete er kühl und startete.

Er kehrte in die PHARAO zurück. In der Hauptzentrale befanden sich nur Commander Rik Radik, Roi Danton und Leutnant Raydoc.

»Was ist hier los?«, fragte Bull.

Roi Danton wandte sich ihm zu. Er lächelte und zeigte damit, dass er die Lage nicht als so ernst ansah, wie sie vielleicht war. »Die Männer haben ihre Posten verlassen. Sie stehen in den Schleusen und gaffen zu der Projektion hinüber«, berichtete er.

Leutnant Raydoc trat Bull entschlossen entgegen. »Sir, ich wurde von den Besatzungen der Schiffe beauftragt, mit Ihnen zu reden!«

»So, wurden Sie das?«

»Allerdings, Sir.«

»Was haben Sie mir zu sagen?«

»Es geht um die Frauenfrage, Sir.«

»Aha. Und wenn ich nicht mit Ihnen darüber verhandle?«

»Dann, Sir, werden die Männer den Dienst vorerst nicht wieder aufnehmen.«

»Das kann ja heiter werden.« Bully blickte Roi Danton flüchtig an. »Sie wagen es also, mir eine Meuterei anzukündigen?!«

»Sir, darum geht es nicht. Sie missverstehen die Situation.«

Reginald Bull erkannte den Leutnant kaum wieder. So entschlossen hatte er ihn noch nicht erlebt. Ihm imponierte, dass Raydoc es übernommen hatte, die Interessen aller zu vertreten. Andererseits konnte er sich dadurch nicht beeinflussen lassen.

»Also schön, Leutnant Raydoc«, sagte Bull ernst. »Nehmen Sie zur Kenntnis, dass über diese Frage keine Verhandlungen stattfinden werden.«