Ally Condie
Die Auswahl
Cassia und Ky
Roman
Aus dem Amerikanischen von Stefanie Schäfer
FISCHER E-Books
Ally Condie lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Salt Lake City, USA. Nach ihrem Studium unterrichtete sie mehrere Jahre lang Englische Literatur in New York, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihre Romane um ›Cassia & Ky‹ werden in mehr als 30 Sprachen übersetzt und sind große internationale Bestseller.
Weitere Titel der Autorin:
›Die Flucht‹ (Cassia & Ky 2) – lieferbar bei Fischer Taschenbuch (Bandnummer 19498)
›Die Ankunft‹ (Cassia & Ky 3) – lieferbar bei Fischer Taschenbuch (Bandnummer 19592)
›Atlantia‹ – lieferbar bei Fischer Taschenbuch (Bandnummer 19884)
Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de
»Als ich ›Cassia & Ky‹ gelesen habe, spürte ich dieselbe Begeisterung wie bei den ›Biss-Romanen‹.« Jodi Reamer, die Entdeckerin von Stephenie Meyer
Für die 17-jährige Cassia ist es der wichtigste Tag ihres Lebens: Heute erfährt sie, wen sie mit 21 heiraten wird – wen das System für sie ausgewählt hat. Es könnte jeder Junge aus Oria sein, doch zur großen Überraschung aller wird ihr bester Freund Xander als ihr Partner bekanntgegeben.
Als Cassia sich später auf dem feierlich überreichten Mikrochip Informationen über Xander ansehen will, passiert etwas schier Unmögliches: Es erscheint das Gesicht eines anderen Jungen – das von Ky. Cassia ist schockiert und verängstigt. Das System macht keine Fehler! Und tatsächlich wird ihr von offizieller Seite versichert, dass es sich um ein einmaliges Versehen handelt. Aber Cassia geht Kys Anblick nicht mehr aus dem Kopf. Gibt es doch die Möglichkeit zu wählen?
»Ally Condie hat einen wunderbaren, spannenden Roman geschrieben. Es ist ein Buch, das auffordert, sich Gedanken zu machen über das, was einen umgibt, was einen bestimmt.« Nicole Rodriguez, hr-online.de
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie nach einer Idee von Theresa Evangelista
Umschlagabbildung: © Samantha Aide, 2010
Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel ›Matched‹ im Verlag Dutton, einem Unternehmen der Penguin Group, New York.
© Allyson Braithwaite Condie
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-400750-2
Für Scott,
der immer zuversichtlich ist
Jetzt, wo ich herausgefunden habe, wie ich fliegen kann, welche Richtung soll ich da nehmen hinaus in die Nacht? Meine Flügel sind weder weiß, noch haben sie Federn; sie sind grün, aus grüner Seide gemacht. Seide, die im Wind flattert und sich bläht, wenn ich mich bewege – zuerst fliege ich einen Kreis, dann linienförmig und schließlich in selbsterfundenen Formen. Das Schwarz hinter mir beunruhigt mich nicht, ebenso wenig die Sterne über mir.
Ich muss lächeln über die Unsinnigkeit meiner Vorstellung. Menschen können nicht fliegen, obwohl es in den Zeiten vor der Gesellschaft Legenden von welchen gab, die es konnten. Ich habe einmal ein Gemälde von ihnen gesehen. Weiße Flügel, blauer Himmel, goldene Kreise über ihren Köpfen, die Augen mit überraschtem Blick nach oben gerichtet – als ob sie nicht glauben könnten, dass der Künstler sie das machen ließ, als ob sie nicht glauben könnten, dass ihre Füße den Boden nicht berührten.
Diese Geschichten sind nicht wahr, das weiß ich. Aber heute Abend könnte ich es glatt vergessen. Der Airtrain gleitet so ruhig durch die sternenklare Nacht, und mein Herz klopft so schnell, dass ich das Gefühl habe, jeden Moment hinauf in den Himmel fliegen zu können.
»Worüber lächelst du?«, fragt mich Xander.
»Ach, über alles«, antworte ich ihm, und es stimmt. Schon so lange habe ich darauf gewartet: auf mein Paarungsbankett. Heute werde ich zum ersten Mal den Jungen sehen, der zu meinem perfekten Partner bestimmt worden ist. Zum ersten Mal werde ich seinen Namen hören.
Ich kann es kaum erwarten! Wie schnell der Airtrain auch dahingleitet, mir geht es nicht schnell genug. Er eilt durch die Nacht, sein Fahrgeräusch bildet den Hintergrund für die leisen Gespräche unserer Eltern und mein laut klopfendes Herz. Vielleicht kann Xander es hören, denn er fragt: »Bist du nervös?« Auf dem Platz neben ihm sitzt sein älterer Bruder, der meiner Mutter von seinem Paarungsbankett erzählt. Bald können Xander und ich unsere eigenen Geschichten erzählen.
»Nein«, sage ich. Aber Xander ist mein bester Freund. Er kennt mich zu gut.
»Du lügst«, neckt er mich. »Du bist nervös.«
»Du etwa nicht?«
»Nein, ich nicht. Ich bin bereit.«
Er sagt das, ohne zu zögern, und ich glaube ihm. Xander ist jemand, der immer genau weiß, was er will.
»Ist doch nicht schlimm, wenn du ein bisschen nervös bist, Cassia«, beruhigt er mich sanft. »Fast dreiundneunzig Prozent der Jugendlichen zeigen vor ihrem Paarungsbankett gewisse Anzeichen von Nervosität.«
Ich muss lachen. »Hast du etwa den ganzen Stoff über das Bankett auswendig gelernt?«
»Fast«, gesteht Xander. Er zuckt mit den Schultern, als würde er mich fragen: Hast du was anderes erwartet?
Diese Geste bringt mich zum Lachen, und außerdem habe ich auch alles auswendig gelernt. Das fällt einem nicht schwer, wenn man etwas so oft liest, wenn die Entscheidung so wichtig ist.
»Du gehörst jedenfalls zur Minderheit«, erwidere ich. »Einer von den sieben Prozent, die keine Anzeichen von Nervosität zeigen.«
»Stimmt«, gibt er zu.
»Woher weißt du, dass ich nervös bin?«
»Weil du das da andauernd auf- und zuklappst«, sagt Xander und zeigt auf den goldenen Gegenstand in meiner Hand. »Ich wusste gar nicht, dass du ein Artefakt besitzt.« Einige Schätze aus der Vergangenheit sind bis heute im Umlauf. Es ist jedem Bürger der Gesellschaft erlaubt, ein Artefakt zu besitzen, aber sie sind sehr selten und schwer zu bekommen. Es sei denn, die eigenen Vorfahren sind so umsichtig gewesen, sie von Generation zu Generation weiterzugeben.
»Ich habe es auch erst vorhin bekommen«, erzähle ich ihm. »Großvater hat es mir zum Geburtstag geschenkt. Es hat seiner Mutter gehört.«
»Wie nennt man das?«, fragt Xander.
»Puderdose«, sage ich. Ich mag diesen Namen und den Klang, wenn man das Wort ausspricht: Puderdose. Das klingt fast genauso geheimnisvoll wie das Artefakt selbst, wenn es zuschnappt.
»Was bedeuten die Initialen und die Zahlen?«
»Ich weiß es nicht genau«, sage ich und fahre mit dem Zeigefinger über die Buchstaben ACM und die Zahlen 1940, die in die goldene Oberfläche der Puderdose eingraviert sind. »Aber sieh mal«, sage ich und lasse die Dose aufschnappen, um ihm die Innenseite des Artefakts zu zeigen. Es hat einen kleinen Spiegel aus echtem Glas und eine flache Einbuchtung, in der die ursprüngliche Besitzerin Puder für ihr Gesicht aufbewahrt hat, wie Großvater behauptet. Ich lege jetzt die drei Notfalltabletten hinein, die jeder von uns immer bei sich trägt – eine rote, eine blaue, eine grüne.
»Wie praktisch«, sagt Xander. Als er die Arme ausstreckt, bemerkte ich, dass er auch ein Artefakt besitzt – schimmernde Platinmanschettenknöpfe. »Mein Vater hat sie mir geliehen, aber leider kann man nichts darin aufbewahren.«
»Die sehen gut aus.« Mein Blick wandert hinauf zu Xanders Gesicht, seinen strahlendblauen Augen und den blonden Haaren, dann über seinen dunklen Anzug und das weiße Hemd. Er hat schon immer gut ausgesehen, schon als wir noch klein waren, aber noch nie habe ich ihn so schick angezogen gesehen. Die Jungen haben bei ihrer Kleidung nicht so viel Auswahl wie die Mädchen. Ihre Anzüge sehen irgendwie alle gleich aus. Aber wenigstens dürfen sie sich die Farbe ihrer Hemden und Krawatten aussuchen, und die Qualität des Stoffs ist viel feiner als die der Zivilkleidung. »Du siehst gut aus.« Das Mädchen, das ihn als Partner bekommt, wird begeistert sein.
»Gut?«, fragt Xander mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ist das alles?«
»Xander!«, mahnt seine Mutter neben ihm, halb amüsiert, halb vorwurfsvoll.
»Du siehst schön aus!«, flüstert Xander mir zu, und ich erröte ein bisschen, obwohl ich ihn schon mein ganzes Leben lang kenne. Ja, ich fühle mich wirklich schön in diesem Kleid: eisgrün, fließend, mit bauschigem Rock. Durch die ungewohnte Glätte des Satins auf meiner Haut fühle ich mich elegant und anmutig.
Neben mir seufzen meine Eltern beide auf, als die Stadthalle in Sicht kommt, die anlässlich der besonderen Feierlichkeit mit einer weiß-blau glitzernden Festtagsbeleuchtung geschmückt ist. Die Marmortreppe kann ich noch nicht erkennen, aber ich weiß, dass sie glänzend poliert sein wird. Mein Leben lang habe ich darauf gewartet, diese blitzsauberen Marmorstufen hinaufzusteigen und durch die Türen der Stadthalle zu schreiten. Ein Gebäude, das ich immer von weitem gesehen, aber noch nie betreten habe.
Am liebsten würde ich die Puderdose öffnen und kontrollieren, ob wirklich alles an meinem Aussehen stimmt, aber ich will nicht eitel erscheinen. Stattdessen betrachte ich mein Gesicht im goldglänzenden Deckel der Dose.
Die gewölbte Oberfläche verzerrt meine Züge ein wenig, aber ich kann mich gut erkennen: meine grünen Augen, mein kupferfarben schimmerndes braunes Haar, das in der Spiegelung goldener aussieht, als es in Wirklichkeit ist. Meine gerade kleine Nase, mein Kinn mit der Andeutung eines Grübchens, genau wie bei Großvater. All die äußeren Merkmale, die mich zu Cassia Maria Reyes machen, auf den Tag genau siebzehn Jahre alt.
Ich wende die Puderdose in meiner Hand und bewundere, wie genau die zwei Seiten aufeinanderpassen und ein Ganzes bilden. Mein Partner und ich werden genauso gut zusammenpassen, und das fängt schon mit der Tatsache an, dass ich heute Abend hier bin. Da mein Geburtstag auf den fünfzehnten fällt, und das auch der Tag ist, an dem einmal im Monat das Bankett stattfindet, habe ich immer gehofft, dass ich auch genau an meinem Geburtstag gepaart werde. Aber ich wusste auch, dass es nicht unbedingt so passieren muss. Man kann in jedem Monat des Jahres, in dem man siebzehn ist, zum Bankett aufgerufen werden. Als ich dann vor zwei Wochen die Benachrichtigung bekam, dass ich tatsächlich an meinem Geburtstag gepaart werden würde, konnte ich fast das feine »Schnapp« der Teile hören, die ein perfektes Ganzes bilden – genau wie ich es mir die ganze Zeit erträumt hatte.
Obwohl ich nicht einmal einen einzigen Tag auf meine Paarung warten musste, habe ich in gewisser Weise schon mein ganzes Leben lang darauf gewartet.
»Cassia!«, sagt meine Mutter und lächelt mich an. Ich muss blinzeln und blicke überrascht auf. Meine Eltern erheben sich, bereit zum Aussteigen. Xander steht ebenfalls auf und streicht seine Ärmel glatt. Ich höre, wie er tief einatmet, und lächele still. Vielleicht ist er doch ein klein wenig aufgeregt.
»Jetzt geht’s los!«, sagt er zu mir. Sein Lächeln ist so lieb und nett! Ich bin froh, dass wir im selben Monat Geburtstag haben. Wir haben einen so großen Teil unserer Kindheit gemeinsam verbracht, dass es nur richtig scheint, auch ihr Ende zusammen zu erleben.
Ich erwidere sein Lächeln und gebe ihm den innigsten Wunsch mit auf den Weg, den wir in der Gesellschaft kennen. »Ich wünsche dir optimales Gelingen«, sage ich zu Xander.
»Ich dir auch, Cassia«, erwidert er.
Als wir den Airtrain verlassen und auf die Stadthalle zugehen, haken sich meine Eltern rechts und links bei mir unter. Ich bin von ihrer Liebe umgeben, wie ich es seit jeher kenne.
Heute Abend sind wir nur zu dritt. Mein Bruder Bram kann uns nicht begleiten, weil er noch keine siebzehn und damit noch zu jung ist. Ich dagegen kann später an Brams Bankett teilnehmen, weil ich seine ältere Schwester bin. Lächelnd frage ich mich, wie Brams ideale Partnerin wohl sein wird. In sieben Jahren werde ich es herausfinden.
Aber dies hier ist mein Abend.
Diejenigen, die heute gepaart werden, sind unter all den anderen leicht zu erkennen. Wir sind nicht nur jünger, sondern wir schweben in wunderschönen Kleidern und schicken Anzügen umher, während unsere Eltern und Geschwister wie üblich Zivil tragen. Sie bilden die Kulisse, vor der wir alle aufblühen. Die Stadtfunktionäre lächeln uns stolz zu, und als wir den Rundbau betreten, klopft mir mein Herz bis zum Hals.
Neben Xander, der mir zum Abschied zuwinkt, als er quer durch den Saal zu seinem Sitzplatzbereich geht, fällt mir ein Mädchen auf, das ich kenne: Lea. Sie hat die Nummer neunundneunzig ausgesucht, das knallrote Kleid. Es steht ihr gut, denn sie ist so hübsch, dass sie ruhig ein wenig auffallen darf. Aber sie wirkt sehr besorgt und spielt die ganze Zeit mit einem roten Armband, das durchaus ein Artefakt sein kann. Ich bin ein wenig überrascht, Lea hier zu sehen, denn ich hätte sie für einen überzeugten Single gehalten.
»Seht euch mal dieses Porzellan an!«, staunt mein Vater, als wir unsere Plätze an der Festtafel erreichen. »Es erinnert mich an das Wedgewood-Geschirr, das wir letztes Jahr gefunden haben …«
Meine Mutter schaut mich an und verdreht ein wenig die Augen. Nicht einmal das Paarungsbankett kann meinen Vater davon abhalten, so etwas zu bemerken. Mein Vater arbeitet oft monatelang in den alten Vierteln, die restauriert und als neue Stadtbezirke für die Allgemeinheit erschlossen werden. Dabei untersucht er die Relikte der Gesellschaft, die vor der unseren existiert hat, und zwar vor noch nicht allzu langer Zeit. Im Moment zum Beispiel arbeitet er an einem besonders interessanten Restaurierungsprojekt, einer alten Bibliothek. Er trennt die Gegenstände, die die Gesellschaft für nützlich erklärt hat, von denen, die es nicht sind.
Aber dann muss ich lachen, denn meine Mutter kann nicht umhin, eine Bemerkung über die Blumen zu machen. Als Mitarbeiterin des Arboretums gehören sie in ihr Ressort. »Oh, Cassia! Schau dir doch mal die Blumen in den Tischgestecken an! Das sind Lilien.« Sie drückt meine Hand.
»Bitte setzen Sie sich!«, sagt ein Funktionär auf der Bühne. »Das Abendessen wird gleich serviert.«
Es ist fast schon komisch, wie wir zu unseren Plätzen eilen. Natürlich bewundern wir das Porzellan und die Blumen und sind in erster Linie wegen unserer Partner gekommen, aber nicht zuletzt sind wir auch wegen des Essens hier.
»Es heißt ja, dass dieses Essen für die jungen Leute eigentlich immer überflüssig ist«, sagt ein nett aussehender Mann, der uns gegenüber am Tisch sitzt, mit einem Lächeln. »Sie sind so aufgeregt, dass sie kaum einen Bissen runterkriegen.« Es scheint wahr zu sein. Ein Mädchen, das in einem rosafarbenen Kleid am anderen Ende der Tafel sitzt, starrt auf ihren Teller, ohne etwas anzurühren.
Ich habe dieses Problem jedoch nicht. Obwohl ich versuche, es nicht zu übertreiben, probiere ich von allem etwas – gegrilltes Gemüse, herzhaftes Fleisch, knackiger Salat, cremig-würziger Käse und ofenfrisches, noch warmes Brot. Das Essen erscheint mir wie ein Tanz, als ob dies zugleich ein Ball und ein Bankett ist. Die Kellner platzieren die Teller anmutig vor uns; das Essen ist mit Kräutern garniert, ebenso zurechtgemacht wie wir. Als wir die weißen Servietten ausbreiten, das Silberbesteck und die Kristallgläser zur Hand nehmen, setzt die Musik ein.
Mein Vater lächelt selig, als man ihm zum Nachtisch ein Stück Schokoladenkuchen mit frischer Schlagsahne serviert. »Wundervoll!«, flüstert er, so leise, dass nur meine Mutter und ich ihn verstehen können. Meine Mutter lächelt ihm liebevoll zu, woraufhin er zärtlich ihre Hand nimmt.
Ich kann seine Begeisterung verstehen, nachdem auch ich ein Stück von dem Kuchen probiert habe. Er ist cremig, aber nicht zu üppig, süß, dunkel und aromatisch – das Beste, was ich seit dem traditionellen Essen zum Winterfest vor fünf Monaten gegessen habe. Ich wünsche mir, Bram könnte auch etwas von dem Kuchen probieren, und überlege einen Moment lang, ihm mein Stück aufzuheben. Aber es gibt keine Möglichkeit, den Nachtisch mit nach Hause zu nehmen. In meine Puderdose würde er nicht passen, und ihn in die Handtasche meiner Mutter zu stecken, wäre ungehörig, selbst wenn sie wider Erwarten zustimmen würde. Aber meine Mutter verstößt niemals gegen die Vorschriften.
Ich kann ihn nicht für später aufheben. Jetzt oder nie!
Als ich gerade das letzte Stück zum Mund führe, verkündet der Sprecher: »Wir sind nun bereit, die Paarungen bekanntzugeben.«
Überrascht schlucke ich den Kuchen herunter und ärgere mich plötzlich: Ich habe keine Gelegenheit gehabt, diesen letzten Bissen zu genießen.
»Lea Abbey.«
Lea steht auf und nestelt nervös an ihrem Armband herum, während sie darauf wartet, dass das Gesicht ihres Partners auf dem Bildschirm erscheint. Dabei achtet sie jedoch darauf, die Hände tief genug zu halten, damit der Junge, der sie in einer anderen Stadthalle erblickt, nur das schöne blonde Mädchen sieht und nicht ihre fahrigen Finger, die mit dem Armband spielen.
Seltsam, wie wir uns an Objekte unserer Vergangenheit klammern, während wir die Zukunft erwarten.
Die Paarung erfolgt natürlich nach einem streng festgelegten System. In den Stadthallen überall im ganzen Land werden die Paare in einer alphabetischen Reihenfolge verkündet, die sich nach dem Nachnamen der Mädchen richtet. Mir tun die Jungen ein wenig leid, die nicht wissen, wann ihre Namen aufgerufen und sie gebeten werden aufzustehen, um ihren Partnerinnen in den anderen Stadthallen vorgestellt zu werden. Da mein Nachname Reyes lautet, wird man mich ungefähr im letzten Drittel aufrufen. Am Anfang vom Ende.
Auf dem Bildschirm erscheint das Bild eines blonden, attraktiven Jungen. Er lächelt, als er in seiner Stadthalle Leas Bild erblickt, und sie lächelt ebenfalls. »Joseph Peterson«, verkündet der Sprecher. »Lea Abbey, Sie wurden mit Joseph Peterson gepaart.«
Die Moderatorin des Banketts überbringt Lea ein kleines silbernes Etui. Joseph Peterson auf dem Bildschirm erhält das Gegenstück. Als Lea sich hinsetzt, schaut sie ihr Etui sehnsüchtig an, als wünsche sie sich, es auf der Stelle öffnen zu können. Ich kann sie gut verstehen. In dem Etui befindet sich ein Mikrochip mit Hintergrundinformationen zu ihrem Partner und mit seinen Kontaktdaten. Wir alle erhalten diese Etuis. Später werden darin die Ringe für den Ehevertrag aufbewahrt.
Auf dem Bildschirm erscheint wieder das Standbild: ein Junge und ein Mädchen, die sich anlächeln, mit glitzernden Lichtern und weißgekleideten Funktionären im Hintergrund. Obwohl die Gesellschaft versucht, den Ablauf des Abends so effizient wie möglich zu gestalten, gibt es immer wieder Momente, in denen auf dem Bildschirm dieses eine Bild erscheint. Das bedeutet, dass wir alle warten, während an einem anderen Ort etwas anderes geschieht. Das Paarungssystem ist sehr kompliziert, was mich an die komplexen Schrittfolgen der Tänze längst vergangener Zeiten erinnert. Dieser Tanz hier ist jetzt einer, den nur die Gesellschaft choreographieren kann.
Das Bild flackert und verschwindet schließlich. Der Moderator nennt den nächsten Namen, und ein Mädchen erhebt sich.
Schon bald haben immer mehr junge Leute im Saal ihre silbernen Etuis. Einige stellen sie auf das weiße Tischtuch vor sich, aber die meisten halten sie vorsichtig in den Händen, unwillig, ihre Zukunft schon so bald wieder loszulassen.
Ich sehe mich um, aber keines der anderen Mädchen trägt das gleiche grüne Kleid wie ich. Das stört mich nicht. Ich mag die Vorstellung, dass ich für eine Nacht nicht genauso aussehe wie alle anderen auch.
Während ich darauf warte, aufgerufen zu werden, halte ich die Puderdose in der einen und die Hand meiner Mutter in der anderen Hand. Ihre Handfläche fühlt sich feucht an. Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass auch meine Eltern nervös sind.
»Cassia Maria Reyes.«
Ich bin an der Reihe.
Ich stehe auf, lasse die Hand meiner Mutter los und wende mich dem Bildschirm zu. Ich fühle, wie mein Herz klopft, und gerate in Versuchung, ebenso die Hände zu ringen wie Lea, aber ich halte vollkommen still, das Kinn nach vorn gereckt, die Augen auf den Bildschirm gerichtet. Ich sehe hin und warte. Mein Partner soll auf dem Bildschirm in seiner Stadthalle ein Mädchen erblicken, das ausgeglichen, ruhig und schön aussieht. Ich will mich in Bestform präsentieren.
Doch nichts geschieht.
Ich stehe da und starre auf den Monitor, und während die Sekunden verrinnen, kann ich nichts anderes tun, als stillzuhalten und weiter zu lächeln. Um mich herum beginnen die Leute zu tuscheln. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie meine Mutter die Hand hebt, als wolle sie nach meiner greifen, doch dann lässt sie sie wieder sinken.
Ein Mädchen in einem grünen Kleid steht da und wartet, ihr Herz klopft stärker denn je. Das bin ich.
Der Bildschirm ist und bleibt dunkel.
Das kann nur eines bedeuten.
Um mich herum erhebt sich leise ein Flüstern, so zart, als würden unter der Kuppel der Halle kleine Vögel mit ihren Flügeln schlagen.
»Ihr Partner ist heute Abend hier«, sagt die Moderatorin.
Die Leute um mich herum lächeln mir zu, und das Flüstern wird lauter. Das Land unserer Gesellschaft ist so groß, die Städte so zahlreich, dass die Wahrscheinlichkeit, den perfekten Partner an seinem eigenen Wohnort zu finden, verschwindend gering ist. Ich habe noch nie davon gehört, dass es in unserer Stadt überhaupt schon einmal vorgekommen ist.
Diese Gedanken schießen mir durch den Kopf, und ich schließe kurz die Augen, als ich verstehe, was es bedeutet, nicht grundsätzlich, sondern für mich, das Mädchen im grünen Kleid. Es kann sein, dass ich meinen Partner kenne. Es kann jemand sein, der auf dieselbe Höhere Schule geht wie ich, jemand, den ich jeden Tag sehe, jemand …
»Xander Thomas Carrow.«
Am anderen Ende der langen Tafel erhebt sich Xander. Zwischen uns erstreckt sich eine lange Bahn weiß eingedeckter Tische, schimmernder Kristallgläser und glänzender Silberetuis.
Ich kann es kaum glauben!
Das ist ein Traum. Die Leute sehen mich und den attraktiven Jungen im dunklen Anzug an. Es fühlt sich nicht real an, bis Xander mich anlächelt. Ich denke, ich kenne dieses Lächeln, und plötzlich muss auch ich lächeln. Der rauschende Applaus und der Duft der Lilien holen mich in die Wirklichkeit zurück und überzeugen mich, dass dies alles gerade wirklich passiert. Träume duften nicht, sind nicht erfüllt von lautem Applaus. Ich erlaube mir einen klitzekleinen Verstoß gegen das Protokoll und winke ihm kurz zu. Sein Lächeln wird noch breiter.
Die Moderatorin sagt: »Sie können jetzt wieder Ihre Plätze einnehmen.« Sie scheint erfreut zu sein, dass wir so glücklich sind; und natürlich, wir sollten auch glücklich sein. Wir sind füreinander tatsächlich die besten Partner.
Als sie mir mein Silberetui überreicht, nehme ich es vorsichtig in die Hand. Dabei weiß ich schon fast alles. Xander und ich gehen nicht nur auf dieselbe Schule, sondern wir wohnen auch in derselben Straße. Ich brauche den Mikrochip nicht, um mir Kinderbilder von ihm anzusehen, denn ich erinnere mich noch genau daran, wie er ausgesehen hat, als er klein war. Ich brauche auch keine Liste seiner Vorlieben, denn auch die kenne ich bereits. Lieblingsfarbe: Grün. Lieblingsfreizeitaktivitäten: Schwimmen und Spielen.
»Herzlichen Glückwunsch, Cassia«, flüstert mir mein Vater erleichtert zu. Meine Mutter sagt kein Wort, strahlt aber über das ganze Gesicht und nimmt mich fest in den Arm. Hinter ihr sehe ich, wie das nächste Mädchen aufsteht, die Augen auf den Bildschirm geheftet.
Der Nebenmann meines Vater sagt leise zu ihm: »Was für ein Glück für Ihre Familie! Sie brauchen die Zukunft Ihrer Tochter nicht jemandem anzuvertrauen, von dem Sie gar nichts wissen.«
Der bedrückte Unterton in seiner Stimme überrascht mich; sein Kommentar grenzt an Ungehorsam. Seine Tochter, die ein rosafarbenes Kleid trägt, hat es auch gehört. Sie fühlt sich sichtlich unbehaglich und rutscht auf ihrem Stuhl hin und her. Ich kenne sie nicht. Sie muss auf eine der anderen Höheren Schulen in unserer Stadt gehen.
Wieder werfe ich Xander einen verstohlenen Blick zu, aber zu viele Leute versperren mir die Sicht. Andere Mädchen sind an der Reihe. Für jede von ihnen leuchtet der Bildschirm auf. Für keine andere bleibt er dunkel. Ich bin die Einzige gewesen.
Bevor wir aufbrechen können, bittet die Moderatorin des Paarungsbanketts Xander, mich und unsere Familien um ein kurzes Gespräch.
»Dies ist eine außergewöhnliche Situation«, beginnt sie, verbessert sich aber sofort. »Nein, nicht außergewöhnlich, nur sehr selten.« Sie lächelt uns beide an. »Da Sie sich bereits kennen, wird die Prozedur bei Ihnen anders ablaufen. Viele der Eingangsinformationen über den jeweils anderen sind Ihnen schon bekannt.« Sie zeigt auf unsere Silberetuis. »Ihre Mikrochips enthalten einige Verhaltensregeln für die Zeit vor der Eheschließung. Machen Sie sich in Ruhe mit ihnen vertraut.«
»Wir lesen sie noch heute Abend«, verspricht Xander ernsthaft. Ich muss mich beherrschen, um nicht amüsiert die Augen zu verdrehen, weil er genauso klingt wie in der Schule, wenn ein Lehrer ihm eine Aufgabe stellt. Er wird die Verhaltensregeln lesen und auswendig lernen, genauso wie er den offiziellen Stoff über die Paarung gelernt hat. Plötzlich fällt mir eine Passage daraus ein, und ich erröte.
Falls Sie sich bereit erklärt haben, gepaart zu werden, wird der Ehevertrag geschlossen, wenn Sie das einundzwanzigste Lebensjahr erreicht haben. Forschungen haben ergeben, dass die Fruchtbarkeit sowohl von Männern als auch von Frauen mit vierundzwanzig Jahren ihren Höhepunkt erreicht. Das Paarungssystem ist darauf ausgelegt, den Paarungswilligen zu ermöglichen, ihre Kinder zu diesem Zeitpunkt zu gebären und ihnen damit die höchste Wahrscheinlichkeit gesunder Nachkommen zu garantieren.
Xander und ich werden einen Ehevertrag abschließen. Wir werden zusammen Kinder haben.
Ich muss die nächsten Jahre nicht damit verbringen, alles über ihn zu erfahren, da ich ihn bereits fast so gut kenne wie mich selbst.
Da spüre ich ganz überraschend einen winzigen Stich der Enttäuschung. Meine Altersgenossinnen werden die nächsten Tage damit verbringen, die Bilder ihrer Partner anzuhimmeln, während der Nahrungsaufnahme in der Schule mit ihnen anzugeben und darauf zu brennen, Stück für Stück weitere Informationen über sie zu erhalten. Sie werden dem ersten Treffen, dem zweiten Treffen entgegenfiebern und so weiter. Zwischen Xander und mir gibt es keine großen Geheimnisse. Ich werde mich nicht fragen, wie er wohl ist, oder von unserem ersten Treffen träumen.
Doch dann blickt mich Xander an und fragt: »Und? Was sagst du dazu?«, und ich antworte: »Ich finde, dass es ein glücklicher Zufall ist« – und meine es ernst. Es gibt immer noch vieles zu entdecken. Bisher habe ich Xander als Freund betrachtet. Von jetzt an ist er mein Partner.
Die Moderatorin berichtigt mich wohlwollend. »Kein Zufall, Cassia. Es gibt keine Zufälle in der Gesellschaft.«
Ich nicke. Natürlich nicht. Ich hätte es besser wissen müssen und nicht diese veraltete Ausdrucksweise benutzen sollen. Jetzt gibt es nur noch Wahrscheinlichkeit. Wie wahrscheinlich es ist, dass irgendetwas eintritt, oder wie unwahrscheinlich.
Wieder lächelt die Moderatorin. »Es war ein aufregender Abend, und es ist spät geworden. Sie können die Verhaltensregeln ein andermal lesen, es muss nicht unbedingt heute sein. Sie haben noch viel Zeit.«
Sie hat recht. Das hat uns die Gesellschaft geschenkt: Zeit. Wir leben länger und besser als alle anderen Menschen zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in der Geschichte. Und diese Tatsache verdanken wir zu einem großen Teil dem Paarungssystem, das körperlich und seelisch gesunden Nachwuchs garantiert.
Und ich bin ein Teil dieses Systems.
Meine Eltern und die Carrows können sich gar nicht genug darüber freuen, wie wunderbar das alles war, und als wir gemeinsam die Marmortreppe der Stadthalle hinunterlaufen, beugt sich Xander zu mir und flüstert: »Man könnte meinen, sie hätten das alles arrangiert.«
»Ich kann es noch gar nicht fassen!«, sage ich. Der kurze Augenblick der Enttäuschung ist verflogen. Ich fühle mich begünstigt und sogar ein bisschen übermütig. Ich kann kaum glauben, dass ich das bin, in dem wunderschönen grünen Kleid, in einer Hand Gold, in der anderen Silber, an der Seite meines besten Freundes, der von nun an mein Partner ist.
»Mir fällt es nicht so schwer«, neckt mich Xander. »Ich glaube, ich habe es schon vorher gewusst. Deswegen war ich nicht nervös.«
Ich lache. »Ich habe es auch gewusst. Gerade deswegen war ich so nervös!«
Wir müssen so sehr lachen, dass wir die Einfahrt des Airtrains erst gar nicht bemerken. Dann folgt ein kurzer Moment der Unsicherheit, als Xander die Hand ausstreckt, um mir hineinzuhelfen. »Komm«, sagt er, und ich weiß gar nicht, was ich tun soll. Erstens ist da etwas Neues zwischen uns, und zweitens habe ich die Hände voll.
Da legt Xander einfach seine Hand auf meine und zieht mich in den Zug.
»Danke«, sage ich, als sich die Tür hinter uns schließt.
»Gern geschehen«, antwortet er und hält meine Hand noch einen Augenblick länger fest. Das Silberetui bildet eine Barriere zwischen uns, während zugleich eine andere Schranke fällt: Seit unserer Kindheit haben wir uns nicht mehr an den Händen gehalten. Indem wir es heute Abend tun, überwinden wir die unsichtbare Grenze, die Freundschaft von tieferen Gefühlen trennt. Ich fühle ein Kribbeln, das sich von meiner Hand aus in meinem Arm ausbreitet. Von ihrem Partner berührt zu werden ist ein Luxus, den die anderen Paare des Banketts heute nicht haben können.
Der Airtrain trägt uns fort von den glitzernden, eisigweißen Lichtern der Stadthalle und bringt uns hinaus in die Vorstadt, wo Verandalampen und Straßenlaternen ein weicheres Licht verbreiten. Während auf unserer Fahrt zur Ahorn-Siedlung vor dem Fenster die Straßen vorbeisausen, betrachte ich Xander verstohlen. Das Gold der Lichter draußen gleicht der Farbe seiner Haare, und sein attraktives Gesicht strahlt Selbstsicherheit und Zuversicht aus. Und am allermeisten: Vertrautheit. Wenn man immer gewusst hat, wie man jemanden ansehen soll, ist es verwirrend, wenn sich die Perspektive verändert. Xander war immer jemand, den ich nicht haben konnte, und das war ich auch für ihn.
Jetzt ist alles anders.
Mein zehn Jahre alter Bruder Bram erwartet uns auf der Veranda vor dem Haus. Als wir ihm von dem Bankett erzählen, ist er ganz aufgeregt.
»Xander ist dein Partner? Du kennst jetzt schon den Mann, den du mal heiraten wirst? Das ist merkwürdig!«
»Du bist merkwürdig«, necke ich ihn, und er duckt sich weg, als ich so tue, als ob ich ihn packen wollte. »Wer weiß? Vielleicht wohnt deine zukünftige Partnerin ja auch in unserer Straße. Vielleicht ist es …«
Bram hält sich die Ohren zu. »Sag es nicht! Sag es nicht!«
»Serena«, sage ich, und er dreht sich weg und tut so, als würde er mich nicht hören. Serena wohnt nebenan, und sie und Bram ärgern sich ständig gegenseitig.
»Cassia!«, mahnt meine Mutter und blickt sich um, um sicherzugehen, dass niemand mich gehört hat. Wir dürfen anderen Bewohnern unserer Straße und unseres Viertels gegenüber nicht überheblich sein. Wir sollen einander eine Stütze sein. Die Ahorn-Siedlung ist für die guten, engen Beziehungen zwischen den Bewohnern bekannt und gilt als vorbildlich. Bram haben wir das aber nicht zu verdanken, denke ich.
»Ich will Bram doch nur ein bisschen ärgern, Mama«, erwidere ich. Ich weiß, dass sie mir nicht lange böse sein kann. Nicht am Abend meines Paarungsbanketts, der sie daran erinnert, wie schnell ich erwachsen geworden bin.
»Kommt rein«, sagt mein Vater. »Es ist schon fast Sperrstunde. Wir können morgen über alles reden.«
»Gab es Kuchen?«, fragt Bram, als mein Vater die Tür öffnet. Ich bleibe draußen stehen. Die anderen drehen sich um und schauen mich abwartend an.
Ich rühre mich nicht. Ich habe noch keine Lust hineinzugehen.
Wenn ich es täte, würde es bedeuten, dass der Abend zu Ende geht, und das will ich nicht. Ich möchte das Kleid nicht ablegen und wieder meine Zivilkleidung anziehen. Sie ist zwar ganz okay, aber nicht so etwas Besonderes wie dieses Kleid. »Ich komme gleich rein«, verspreche ich. »Nur noch ein paar Minuten.«
»Aber nicht mehr lange«, mahnt mein Vater sanft. Er will nicht, dass ich gegen die Sperrstunde verstoße. Die Stadt erlässt die Ausgangszeiten, nicht er, das ist mir schon klar.
»Nein, nicht mehr lange«, beteuere ich.
Ich setze mich auf die Stufen vor unserem Haus, vorsichtig, wegen des geliehenen Kleides, und betrachte den Faltenwurf des wunderbaren Stoffs. Es gehört mir nicht, aber heute Abend ist es meins, in dieser Zeit, die dunkel und hell und voller Überraschungen und Vertrautheit ist. Ich blicke hinaus in die Frühlingsnacht und wende mein Gesicht den Sternen zu.
Lange bleibe ich nicht draußen sitzen, denn morgen ist Samstag, und da gibt es immer viel zu tun. Frühmorgens muss ich mich an meinem Probearbeitsplatz im Datenzentrum melden. Abends habe ich meine Freizeitstunden, eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen ich meine Freunde außerhalb der Schule treffen kann.
Und Xander wird da sein.
In meinem Zimmer schüttele ich die Tabletten aus der flachen Vertiefung im unteren Teil der Puderdose. Ich zähle sie – eins, zwei, drei; grün, blau, rot – und fülle sie zurück in das übliche Metallröhrchen.
Ich weiß, was die grünen und die blauen Tabletten bewirken. Aber ich kenne niemanden, der mit Sicherheit sagen kann, was genau es mit den roten Tabletten auf sich hat. Seit Jahren kursieren Gerüchte darüber.
Ich lege mich ins Bett und schiebe die Gedanken an die rote Tablette beiseite. Zum ersten Mal in meinem Leben ist es mir erlaubt, von Xander zu träumen.
Ich frage mich oft, wie meine Träume wohl auf Papier aussehen, als Zahlencodes verschlüsselt. Irgendjemand da draußen weiß es, aber ich nicht.
Vorsichtig ziehe ich mir die Schlaf-Elektroden von der Haut. Vor allem an der Stelle hinter dem Ohr passe ich auf. Dort ist meine Haut dünn und sehr empfindlich. Es schmerzt jedes Mal, wenn ich das runde Plättchen abziehe, besonders wenn ein, zwei Haarsträhnen am Haftmittel kleben bleiben. Froh, dass ich es hinter mir habe, lege ich die Ausrüstung zurück in ihre Schachtel. Nächste Nacht ist Bram an der Reihe.
Ich habe nicht von Xander geträumt. Keine Ahnung, warum.
Aber ich habe lange geschlafen, und wenn ich mich nicht beeile, komme ich zu spät zur Arbeit. Als ich in die Küche komme, das Kleid von gestern Abend über dem Arm, sehe ich, dass meine Mutter schon die Frühstückslieferung ausgepackt hat. Haferbrei, gräulich-braun, wie erwartet. Wir essen für unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit, nicht zum Genuss. Feiertage und Feste sind Ausnahmen. Weil unsere Kalorien die ganze Woche über reduziert worden sind, konnten wir gestern auf dem Bankett so viel essen, wie wir wollten, ohne Folgen für unsere Bilanz.
Bram grinst mich frech an, immer noch im Schlafanzug. »Also«, sagt er, während er sich den letzten Löffel Haferbrei in den Mund schiebt, »hast du verschlafen, weil du von Xander geträumt hast?«
Er braucht nicht zu wissen, dass er beinahe ins Schwarze getroffen hat und dass ich gern von Xander geträumt hätte. »Nein«, erwidere ich, »und was ist mir dir? Kommst du nicht schon wieder zu spät zur Schule?«
Bram ist noch so klein, dass er samstags noch zur Schule anstatt zur Arbeit geht. Wenn er sich nicht beeilt, kommt er zu spät. Schon wieder. Hoffentlich bekommt er keinen Eintrag.
»Bram!«, mahnt meine Mutter. »Bitte zieh dich jetzt an!«
Wie erleichtert sie sein wird, wenn Bram endlich in die Höhere Schule geht, wo der Unterricht eine halbe Stunde später beginnt!
Während Bram aus dem Zimmer schlurft, greift meine Mutter nach dem Kleid und hält es in das Licht, das zur offenen Tür hereinfällt. »Du hast wunderschön ausgesehen gestern Abend! Ich bringe es gar nicht gern zurück.« Gemeinsam betrachten wir das Kleid und bewundern, wie der Stoff im Licht schimmert und glänzt, fast so, als seien Licht und Stoff lebendig.
Wir seufzen gleichzeitig und brechen dann in Gelächter aus. Meine Mutter küsst mich auf die Wange. »Man wird dir ein Stoffmuster davon schicken, weißt du noch?«, fragt sie, und ich nicke. Die Stoffprobe und das Silberetui, in dem der Mikrochip liegt, werden meine Erinnerungsstücke an mein Paarungsbankett sein.
Und trotzdem. Dieses Kleid, mein grünes Kleid, werde ich nie wiedersehen. In dem Moment, in dem ich es das erste Mal erblickt hatte, wusste ich sofort, dass es das war, was ich wollte. Als ich meine Auswahl traf, lächelte die Frau im Verteilerzentrum, nachdem sie die Nummer – dreiundsiebzig – in den Computer eingegeben hatte. »Dieses war deine wahrscheinlichste Wahl«, sagte sie. »Deine persönlichen Daten haben darauf hingedeutet, aber auch die ganz normale Psychologie. In der Vergangenheit hast du immer Dinge gewählt, die nicht dem Durchschnittsgeschmack entsprachen. Außerdem mögen Mädchen Kleider, die die Farbe ihrer Augen betonen.«
Ich lächelte und beobachtete, wie sie ihre Assistenten in den Lagerraum schickte, um das Kleid zu holen. Als ich es anprobierte, sah ich, dass sie recht hatte. Das Kleid war wie gemacht für mich. Die Falten fielen perfekt, und es betonte meine Taille. Ich drehte mich vor dem Spiegel und bewunderte mich.
Die Frau erklärte weiter: »Bisher bist du das einzige Mädchen, das dieses Kleid beim Paarungsbankett in diesem Monat tragen wird. Das beliebteste Kleid ist eines der rosafarbenen, die Nummer zweiundzwanzig.«
»Wunderbar«, antwortete ich. Mir macht es nichts aus, ein bisschen aufzufallen.
Bram erscheint wieder in der Tür, in zerknittertem Zivil und mit strubbeligen Haaren. Ich weiß, was meine Mutter jetzt denkt: Ist es besser, ihm die Haare zu kämmen und ihn zu spät kommen zu lassen, oder ihn loszuschicken, wie er ist?
Bram nimmt ihr die Entscheidung ab. »Bis heute Abend!«, sagt er und schlüpft zur Tür hinaus.
»Das schafft er nie.« Meine Mutter schaut aus dem Fenster hinüber zur Zughaltestelle, wo die Gleise bereits aufleuchten, um die Ankunft des Zuges anzukündigen.
»Doch, vielleicht schon«, erwidere ich und beobachte, wie Bram den Kopf einzieht und die Straße hinunterrennt. Rennen in der Öffentlichkeit – schon wieder verstößt er gegen eine Regel! Fast glaube ich zu hören, wie seine Schritte auf dem Bürgersteig widerhallen.
Als er die Haltestelle erreicht, wird er langsamer. Er streicht sich die Haare glatt und steigt lässig die Stufen hinauf zum Zug. Hoffentlich sind wir die Einzigen, die ihn haben rennen sehen. Der Airtrain fährt los. Bram hat es wieder einmal geschafft.
»Dieser Junge raubt mir noch den letzten Nerv«, seufzt meine Mutter. »Aber ich hätte ihn früher wecken sollen. Wir haben alle verschlafen. Es war ein sehr aufregender Abend.«
»Stimmt«, pflichte ich ihr bei.
»Ich muss den nächsten Zug in die Stadt erwischen.« Meine Mutter hängt ihre Tasche um. »Was machst du heute in deinen Freizeitstunden?«
»Xander und die anderen wollen bestimmt ins Spielcenter«, antworte ich. »Die Vorführungen haben wir alle schon gesehen, und die Musik …« Ich zucke mit den Achseln.
Meine Mutter ergänzt lachend: »Ist etwas für alte Leute wie mich.«
»In der letzten Stunde möchte ich noch gerne Großvater besuchen gehen.«
Die Funktionäre sehen es nicht gern, wenn man von den üblichen Freistundenbeschäftigungen abweicht, aber an dem Tag, bevor jemand sein Abschiedsbankett feiert, ist ein Besuch erlaubt, ja, sogar ausdrücklich erwünscht.
Der Blick meiner Mutter wird weich. »Er wird sich sicher sehr darüber freuen.«
»Hat Papa Großvater von meinem Partner erzählt?«
Meine Mutter lächelt. »Er wollte auf dem Weg zur Arbeit bei ihm vorbeischauen.«
»Gut«, sage ich, denn ich will, dass Großvater so bald wie möglich davon erfährt. Ich weiß, dass er sich über mich und mein Bankett ebenso große Sorgen gemacht hat, wie ich mir Sorgen über ihn und sein Bankett mache.
Nach einem hastigen Frühstück erwische ich gerade eben noch so meinen Airtrain, finde schnell einen Platz und lehne mich im Sitz zurück. Zwar habe ich letzte Nacht nicht von Xander geträumt, aber jetzt habe ich Zeit, über ihn nachzudenken. Während ich der Stadt entgegenfahre, blicke ich zum Fenster hinaus und erinnere mich daran, wie er am Abend zuvor in seinem Anzug ausgesehen hat. Während wir noch die grünen Vororte durchqueren, bemerke ich auf einmal, dass weiße Flocken durch die Luft schweben.
Alle anderen bemerken es auch.
»Schnee? Im Juni?«, fragt die Frau neben mir.
»Das kann nicht sein!«, murmelt ein Mann auf der anderen Seite des Mittelgangs.
»Aber sehen Sie doch mal!«, sagt die Frau.
»Das kann nicht sein«, sagt der Mann wieder. Sie drehen sich um, schauen aufgeregt aus den Fenstern. Kann etwas Falsches wahr sein?
Tatsächlich wirbeln draußen flauschige weiße Flocken zu Boden. Irgendetwas an dem Schnee ist seltsam, aber ich weiß nicht genau, was. Ich muss ein Lächeln unterdrücken, als ich all die besorgten Gesichter um mich herum sehe. Sollte ich auch besorgt sein? Vielleicht. Aber es ist so schön, so unerwartet, und, für den Moment, so unerklärbar.
Der Airtrain hält an. Die Türen öffnen sich, und einige Flocken schneien herein. Ich fange eine mit dem Handrücken, aber sie schmilzt nicht.
Dann sehe ich den kleinen braunen Samen in der Mitte der Flocke.
»Das sind Pappelsamen«, erkläre ich den anderen zuversichtlich. »Das ist kein Schnee.«
»Natürlich«, sagt der Mann und klingt so, als sei er froh über die Erklärung. Schnee im Juni wäre merkwürdig. Pappelsamen sind es nicht.
»Aber warum sind es so viele?«, fragt eine andere Frau, immer noch besorgt.
Kurz darauf erhalten wir die Antwort. Einer der neuzugestiegenen Fahrgäste setzt sich und wischt weiße Flocken aus seinen Haaren und von seiner Kleidung. »Wir roden das Pappelwäldchen am Fluss«, erklärt er. »Die Gesellschaft plant, dort nützlichere Bäume anzupflanzen.«
Alle glauben ihm, denn keiner hat Ahnung von Bäumen. Ich höre die Leute flüstern; sie sind erleichtert, dass es kein Anzeichen irgendeines Klimawandels ist. Gott sei Dank hat die Gesellschaft die Dinge, wie immer, unter Kontrolle.
Aber dank meiner Mutter, die oft von ihrer Arbeit als Gärtnerin im Arboretum erzählt, weiß ich, dass seine Erklärung durchaus plausibel ist. Pappeln tragen weder Früchte, noch kann man sie zur Brennstoffgewinnung nutzen. Und ihre Samen sind ein Ärgernis. Sie fliegen weit, bleiben an allem hängen und schlagen überall Wurzeln. Unkrautbäume, nennt meine Mutter sie. Dennoch hat sie eine gewisse Schwäche für sie, gerade wegen ihrer Samen, die klein und braun sind, aber von zarter Schönheit umhüllt, nämlich von diesen feinen Baumwollfasern. Kleine, wolkige Fallschirme, die ihren Sturz bremsen und ihnen dabei helfen, im Wind zu schweben und dorthin zu segeln, wo sie wachsen können.
Ich betrachte den Pappelsamen auf meiner Hand. Da ich nicht weiß, was ich damit anfangen soll, stecke ich ihn in meine Tasche zu meinem Tablettenröhrchen.
Der Sommerschnee erinnert mich an ein Gedicht, das wir dieses Jahr im Literaturkurs interpretiert haben: Innehaltend inmitten der Wälder an einem Schnee-Abend. Es war eines meiner Lieblingsgedichte von den Hundert Gedichten, die die Gesellschaft aufzubewahren beschlossen hatte, als sie entschied, dass unsere Kultur zu überladen und ungeordnet sei. Damals wurden Kommissionen gebildet, die aus allen Bereichen die hundert besten Werke auswählten:
Hundert Lieder, Hundert Gemälde, Hundert Gedichte. Alle anderen Kunstwerke wurden vernichtet. Zerstört für immer. Zu unserem Besten, sagte die Gesellschaft, und alle glaubten es, weil es Sinn machte. Wie können wir irgendetwas richtig wertschätzen, wenn wir mit zu vielem überschüttet und belastet sind?
Meine Urgroßmutter gehörte zu den Kulturhistorikern, die vor siebzig Jahren halfen, die Hundert Gedichte auszuwählen. Großvater hat mir die Geschichte, wie seine Mutter entscheiden musste, welche Gedichte erhalten und welche für immer zerstört werden sollten, schon tausendmal erzählt. Sie sang ihm abends immer Teile der Gedichte zum Einschlafen vor. Sie flüsterte und sang sie, erzählt er immer, und nachdem sie fortgegangen war, versuchte ich, mich an die Gedichte zu erinnern.
Nachdem sie fortgegangen war. Morgen wird auch mein Großvater fortgehen.
Nachdem wir die letzten Pappelflocken hinter uns gelassen haben, muss ich an dieses Gedicht denken und daran, wie sehr ich es mag. Besonders gefällt mir, wie die Worte eine Verbindung eingehen und sich wiederholen. Ich finde, dass dieses Gedicht ein gutes Schlaflied wäre, wenn man dem Rhythmus anstatt der Worte lauschte. Denn wenn man auf die Worte hören würde, könnte man nicht so leicht zur Ruhe finden: Und Meilen gehn, bevor ich schlaf, und Meilen gehn, bevor ich schlaf.
»Heute werden Zahlen sortiert«, erklärt mir Norah, meine Vorgesetzte.
Ich seufze leise, aber Norah reagiert nicht. Wortlos scannt sie meine Karte und gibt sie mir zurück. Sie fragt mich nicht nach meinem Paarungsbankett, obwohl sie durch mein Informations-Update erfahren haben muss, dass es gestern Abend stattgefunden hat. Aber das wundert mich nicht. Norah gibt sich kaum mit mir ab, weil ich eine der besten Sortiererinnen bin. Tatsächlich sind seit meinem letzten Fehler fast drei Monate vergangen und damals hat auch zum letzten Mal eine Art Unterhaltung zwischen uns stattgefunden.
»Warte«, sagt Norah, als ich mich meinem Arbeitsplatz zuwende. »Deine Scancard meldet, dass es bald Zeit für deinen nächsten offiziellen Sortiertest ist.«
»Stimmt«, antworte ich und nicke.
Darüber habe ich schon seit Monaten nachgedacht, zwar nicht so oft wie über das Paarungsbankett, aber schon sehr oft. Obwohl das Zahlensortieren oft langweilig ist, kann eine Stelle als Sortiererin einem den Weg zu wesentlich interessanteren Arbeitsplätzen ebnen. Vielleicht kann ich später bei der Restaurierungsbehörde arbeiten, wie mein Vater, der die Instandsetzung oder Zerstörung alter Gebäude und Viertel überwacht. Als er in meinem Alter war, hat er auch als Informationssortierer gearbeitet, ebenso wie mein Großvater und natürlich meine Urgroßmutter, die an einer der größten Sortiermaßnahmen überhaupt beteiligt war, als sie im Komitee der Hundert saß.
Die Leute, die die Paarung überwachen, haben ebenfalls als Sortierer begonnen, aber ihre Art von Arbeit interessiert mich nicht. Mir sind abstrakte Geschichten und Daten lieber, für echte Menschen möchte ich nicht die Verantwortung übernehmen.
»Sieh zu, dass du gut vorbereitet bist«, ermahnt mich Norah, aber sie und ich wissen, dass ich das bereits bin.
Gelbliches Licht fällt durch die Fenster nahe unserer Arbeitsplätze im Datenzentrum. Als ich an den anderen Bürokabinen vorbeigehe, fällt mein eigener Schatten auf die Plätze. Keiner schaut auf.
Ich schlüpfe in mein winziges Abteil, das gerade breit genug für einen Tisch, einen Stuhl und einen Sortierbildschirm ist. Die dünnen grauen Wände ragen neben mir auf, von meinem Platz aus kann ich meine Kollegen nicht sehen. Wir gleichen den Mikrochips in der Recherchebibliothek der Schule – jeder von uns steckt ordentlich in seinem Fach. Die Regierung besitzt natürlich Computer, die das Sortieren viel schneller erledigen als wir, aber wir sind trotzdem noch wichtig. Man weiß nie, ob die Technik einmal versagt.
Das ist der Gesellschaft vor der unseren passiert. Jeder hatte Technologie, viel zu viel, und die Konsequenzen waren zerstörerisch. Inzwischen besitzen wir nur noch die Basistechnologien, die wir wirklich brauchen – Kartensteckplätze, Lesegeräte, Schreibcomputer – und nehmen selbst auch nur die Informationen auf, die für uns relevant sind. Ernährungsspezialisten müssen nicht wissen, wie man Airtrains programmiert, und Sortierer müssen keine Krankheiten erforschen können. Diese Art der Spezialisierung verhindert, dass die Köpfe der Menschen zu sehr überfrachtet werden. Wir müssen nicht alles verstehen. Außerdem erinnert uns die Gesellschaft daran, dass ein Unterschied zwischen Wissen und Technologie besteht. Unser Wissen kann uns nicht im Stich lassen.
Ich schiebe meine Scancard ein und das Sortieren beginnt. Obwohl ich am liebsten Wortgruppen, Bilder oder Sätze sortiere, bin ich auch gut in Zahlen. Auf dem Bildschirm wird mir die Anweisung erteilt, bestimmte Muster zu finden, und schon wandern die Zahlen über den Monitor wie kleine weiße Soldaten auf einem schwarzen Feld, die nur darauf warten, dass ich sie niedermähe. Ich berühre die einzelnen Zahlen und ziehe sie in verschiedene Ordner. Wenn ich den Bildschirm berühre, gibt es jedes Mal ein leises Geräusch, fast wie fallender Schnee.