Nr. 283
Flucht vom Giftplaneten
Sie leben inmitten ihrer Doppelgänger – sie sind Gefangene eines Meisters der Insel
von KURT MAHR
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1.
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3.
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6.
7.
8.
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Noch vor Ende des Jahres 2404 konnten Perry Rhodan und die Männer der CREST aus der fernen Vergangenheit in die Realzeit zurückkehren und den Herren Andromedas ein Schnippchen schlagen.
Die große Auseinandersetzung zwischen den Meistern der Insel und dem Solaren Imperium geht jedoch weiter, denn die MdI beginnen sich neuer Mittel zu bedienen, um das Imperium der Menschheit in die Knie zu zwingen.
Die Währung des Solaren Imperiums, ein überall in der Galaxis hoch geschätztes Zahlungsmittel, gerät plötzlich ins Wanken. Falschgeld, dem selbst mit den modernsten technischen Untersuchungsmethoden nicht beizukommen ist, überschwemmt die von Menschen besiedelten Welten in Milliardenbeträgen.
Eine Wirtschaftskrise großen Ausmaßes ist sofortige Folge der Falschgeldinvasion. Insbesondere die Kolonialterraner beginnen der Regierung zu misstrauen – und Perry Rhodans bisherige Arbeit als Großadministrator in Zweifel zu ziehen.
Aber Perry Rhodan hat noch viele, die ihm weiterhin bedingungslos die Treue halten! Da sind die Weltraumdetektive – und da ist Gucky, der die Spur zu Jagos Stern verfolgt und dafür sorgt, dass ein gefährlicher Stützpunkt der MdI auf einer Terra-Kolonie ausgehoben werden kann.
Selbst sechs Terraner, die als Gefangene auf einem anderen Geheimstützpunkt der Meister mitten unter ihren Doppelgängern leben, sind nicht gewillt, aufzugeben. Sie kämpfen weiter für das Solare Imperium und tragen mit Miras-Etrin, dem MdI, ein Psycho-Duell aus – denn ihr Ziel ist die FLUCHT VOM GIFTPLANETEN ...
Homer G. Adams, Rawil Strugow, Amsel Weinstein, Koan Hun, Cole Argerty und Jörg Gansson – Die Gefangenen des Giftplaneten.
Miras-Etrin – Ein Meister der Insel.
Gershwin – Ein Adams-Duplikat.
Atlan – Lordadmiral und Chef der USO.
Durch das dicke Glassitfenster schien das grünlich trübe Licht des Nachmittags. Homer G. Adams stand dicht vor der geheizten Glaswand und beobachtete, wie auf der anderen Seite ein kleiner Ammoniakberg aus dem Boden wuchs. Vor ein paar Minuten hatte es zu schneien angefangen. Innerhalb weniger Augenblicke waren die Temperaturen jenseits der geheizten Glassitwand um mehr als fünfzig Grad gesunken. Das atmosphärische Ammoniak sublimierte, die Ammoniakpfützen auf der Oberfläche froren zu. Scheinbar aus dem Nichts war draußen vor dem Fenster ein Ammoniakkristall gewachsen. Faustgroß zuerst, gewann er rasch an Umfang, indem er dem noch nicht gefrorenen Gas in der Atmosphäre eine Kristallisationsfläche bot. In den fünf Minuten, seitdem er Adams zum ersten Mal aufgefallen war, hatte er sich zu einem kleinen Berg entwickelt, dessen Flanken grünlich-metallisch schimmerten und der unaufhaltsam und mit beeindruckender Geschwindigkeit weiter in die Höhe wuchs. In zehn oder fünfzehn Minuten würde er die ganze Aussicht verdecken.
Was für eine hässliche Welt, dachte Adams. Um die Aussicht war es nicht schade. Wer interessierte sich schon für den Anblick von träge treibenden grünen Giftgasschwaden?
Tabakrauch stieg Adams in die Nase. Langsam wandte er sich um, seine kurze, breitschultrige und etwas vornüber gebeugte Gestalt war ein grotesker Schatten in dem grünen Dämmerlicht, das den großen Raum erfüllte. Seine fünf Mitgefangenen hatten ihre Sessel in einer Reihe nebeneinander aufgestellt, als seien sie hierhergekommen, um ein interessantes Theaterstück zu beobachten. Rawil Strugow, ein Hüne von Mann mit einem grobknochigen Gesicht, hatte sich eine Zigarre angezündet und paffte nachdenklich vor sich hin. Rechts neben ihm saß Koan Hun, die großen schwarzen Augen mit einem Ausdruck der Entrückung ins Leere gerichtet, wie es seine Art war. Wiederum rechts von Koan Hun hatte sich Amsel Weinstein niedergelassen und kratzte sich mit Nachdruck am Kopf, wie er es immer tat, wenn er sich langweilte. Links von Strugow saß Cole Argerty und gab sich den Anschein, als schliefe er, das breite Gesicht mit den wulstigen Lippen zu einer Grimasse des Wohlbehagens verzogen. Auf die linke Lehne seines Sessels stützte sich Jörg Gansson und betrachtete seine Fingernägel.
Dafür, dass er im Grunde genommen einen Teil eines Gefängnisses darstellte, war der nahezu rechteckige Raum mit erstaunlichem Komfort eingerichtet. Den Boden bedeckte ein schwellender Kunststoffteppich, dessen grelles Gelb wohltuend gegen das trübe Grün der Umgebung abstach. Für jeden der sechs Gefangenen war ein bequemer Gliedersessel vorhanden. Den Mittelpunkt des Raumes bildete ein übergroßer Servotisch, dessen Wählanlage es den Terranern erlaubte, Speisen und Getränke ganz nach Wunsch aus der Automatküche des Stützpunktes zu beziehen. In die Wände eingelassen waren meterlange Regale mit Büchern und Stapeln von Mikrofilmen. Zwischen den Regalen standen kleine Lesepulte mit Mikrolesegeräten modernster Fertigung. An der dem großen Glassitfenster gegenüberliegenden Wand gab es eine Tür, die zu den Schlafräumen der Gefangenen führte.
Strugow beugte sich nach vorn und streifte die Asche seiner Zigarre ab.
»Wie lange sind Sie schon hier, Homer?«, fragte er.
Homer G. Adams lächelte nachsichtig.
»Dreieinhalb Monate, Rawil. Sie wissen das ganz genau. Warum fragen Sie?«
Strugow ging nicht darauf ein. Er wandte sich an seinen rechten Nebenmann.
»Und Sie, Koan? Wie lange?«
»Vier Monate«, antwortete Koan Hun, ohne die Blickrichtung zu ändern.
Strugow wandte sich nach links und rüttelte Cole Argerty aus seinem simulierten Schlummer. Cole fuhr in die Höhe und starrte verwirrt um sich.
»Was ... wie? Knapp vier Monate«, stieß er hervor, bevor Strugow seine Frage noch aussprechen konnte.
Strugow lachte ärgerlich und sprang mit einem Ruck in die Höhe.
»Vier Monate«, knurrte er, »dreieinhalb, knapp vier! Jeder von uns hat wenigstens ein Vierteljahr auf diesem Höllenplaneten verbracht – und hat auch nur einer von uns sich jemals den Kopf darüber zerbrochen, wie wir von hier entkommen könnten? Hat auch nur ein einziger den Versuch unternommen, den Gefängniskomplex zu verlassen und sich in den anderen Teilen der Station umzusehen? Nein! Wir sitzen hier ...«
»Doch«, unterbrach ihn Koan Hun mit seiner sanften, hohen Stimme.
»Ich, General!«
Strugow musterte ihn unter buschigen Augenbrauen hervor.
»Sie?«
Koan nickte lächelnd.
»Am ersten Tag nach meiner Ankunft wurde ich in die Wandelhalle geführt. Man erklärte mir, dass ich etwa zwei Stunden Zeit hätte, spazieren zu gehen und mich am Anblick der erdähnlichen Landschaft zu erfreuen. Es schienen keine Wachen da zu sein. Ich entdeckte einen Ausgang und benutzte ihn. Jenseits der Tür geriet ich in einen langen, kahlen Gang. Ich machte zwei oder drei Schritte, da prallte ich gegen ein unsichtbares Hindernis. Es fühlte sich an, als sei ich mit voller Geschwindigkeit gegen eine Stahlwand gerannt. Ich verlor das Bewusstsein, und als ich mehr als drei Stunden später wieder zu mir kam, lag ich in meinem Bett. Von den Tefrodern, die ich seitdem zu sehen bekam, verlor nie einer auch nur ein Wort über den Vorfall.«
»Schockfeld«, murmelte Strugow.
»Ganz richtig«, stimmte Koan höflich zu. »Seitdem ist mir klar, dass eine Flucht ohne Hilfe von außen unmöglich ist. Ich dachte mir, dass auch Sie alle mit mir darin übereinstimmten und entschloss mich, das Thema Flucht in unseren ohnehin schon nicht sehr ermunternden Gesprächen niemals zu erwähnen.«
Rawil Strugows grobgeschnittenes Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.
»Ich bin gewiss, dass jeder in dieser Runde Ihre Rücksichtnahme zu schätzen weiß, Koan.« Er warf einen verächtlichen Blick auf seine Zigarre und fuhr mit verhaltenem Knurren fort: »Aber trotzdem bin ich der Ansicht, dass wir uns, verdammt noch mal, endlich den Kopf darüber zerbrechen sollten, wie wir hier wieder 'rauskommen – und zwar laut und deutlich, so dass jeder den andern hören kann, ohne Rücksicht auf sein Heimweh, seine Niedergeschlagenheit oder woran er sonst auch immer leiden mag.«
Amsel Weinstein, weißhaarig, schlank und die personifizierte Würde, wenn man von seinem Gesicht absah, das durch eine unproportioniert große Nase verunziert wurde, erhob sich gemächlich aus seinem Sessel.
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Rawil«, erklärte er. »Es wird Zeit, dass wir endlich etwas tun. Die Sache wird nicht ungefährlich sein, aber ich denke, dass wir ziemlich weiten Spielraum haben. Wir sind für den Gegner wichtig. Er wird uns nicht ohne weiteres töten, selbst wenn er uns vorzeitig hinter die Schliche kommt.«
Koan blinzelte ihn spöttisch an.
»Woher nehmen Sie ausgerechnet diese Hoffnung, Amsel?«, wollte er wissen.
Amsel Weinstein breitete die Hände zu einer beredten Geste aus.
»Aber ich bitte Sie! Wir sechs stellen einen guten Prozentsatz der administrativen und militärischen Elite des Solaren Imperiums dar. Uns bringt man nicht so einfach um. Wir sind ...«
Auf einmal wusste er nicht mehr, was er sagen sollte. Cole Argerty fing an zu lachen. Er tat es mit solchem Nachdruck, dass die Hände, die er über dem Bauch gefaltet hielt, wie Gummipuppen auf und ab tanzten. Amsel Weinstein bedachte den Neger mit einem verwirrten, halb zurechtweisenden Blick.
»Machen Sie sich nichts vor, Amsel«, dröhnte Strugows Stimme. »Jeder von uns war bewusstlos, als er diese Welt erreichte. Keiner von uns weiß, was während der Bewusstlosigkeit mit ihm geschah. Wir können es vorläufig noch nicht beweisen, aber es gibt recht gute Gründe zu glauben, dass auf dieser Welt eine Duplikatorenstation existiert. Wenn dem so ist, dann können wir getrost annehmen, dass die Tefroder von jedem von uns eine Schablone angefertigt haben. Mit Hilfe der Schablone können sie Adams', Koan Huns, Argertys, Weinsteins und Ganssons am Fließband herstellen. Was also macht uns, die Originale, so überaus wertvoll und unersetzlich?«
Amsel Weinstein schwieg betreten und setzte sich wieder hin. Auch Homer Adams hatte sich inzwischen einen Sessel herbeigezogen und saß nun neben dem schweigsamen Jörg Gansson.
Rawil Strugow warf einen kurzen, geistesabwesenden Blick durch die Glassitwand. Der Ammoniakberg war inzwischen so hoch gewachsen, dass sein Gipfel außer Sicht geraten war.
»Wir fangen am besten damit an, uns über die Lage klar zu werden«, begann er. »Wir wissen, dass wir uns in einem tefrodischen Stützpunkt befinden. Wir haben bei verschiedenen Gelegenheiten zu sehen bekommen, dass die Anlage die Grundzüge zweier verschiedener Architekturen enthält. Wir kennen sie beide. Die ältere ist die Bauweise der Maahks. Die andere ist tefrodisch. Der Schluss liegt auf der Hand. Die Tefroder haben sich diesen Planeten als Stützpunkt ausgesucht, weil hier eine militärische Anlage schon existierte, die sie nur für ihre Zwecke aus- und umzubauen brauchten.
Niemand unter uns zweifelt daran, dass dieser Planet noch innerhalb unserer heimatlichen Milchstraße liegt. Wir alle haben den Raumflug, der uns hierherbrachte, nachdem man uns entführt hatte, bei vollem Bewusstsein erlebt. Erst kurz nach dem Austritt aus dem Linearraum schwand unser Bewusstsein. Wir wissen, dass auch die Meister der Insel kein Raumschiff besitzen, das die ungeheure Entfernung von unserer Milchstraße bis Andromeda im Nonstop-Flug überbrücken könnte.
Jeder von uns ist von den Tefrodern mindestens viermal verhört worden. Auf dem Weg zu den Verhörräumen bekam er die drucksicher angelegten Riesenhangars zu sehen, in denen tefrodische Raumschiffe untergebracht sind. Schiffe, die in einer fremden Galaxis, anderthalb Millionen Lichtjahre von hier entfernt, gebaut wurden, befinden sich plötzlich in unserer Milchstraße. Wie kann das geschehen, wenn doch die altgewohnte Einflugschneise des Gegners, der Sechssonnen-Transmitter, von unseren Wissenschaftlern und Technikern so abgeschirmt wurde, dass kein Unbefugter sie mehr benutzen kann?
Ich glaube die Antwort auf diese Frage zu kennen; aber sie berührt uns im Augenblick nicht sonderlich. Viel wichtiger ist, zu erfahren, was die Tefroder hier suchen. Von Ihnen allen bin ich derjenige, der als letzter hier ankam. Ich erlebte Perry Rhodans Rückkehr aus der Vergangenheit und einige der wichtigen Ereignisse, die sich kurz danach abspielten. Mir blieb genug Zeit, um von dem hinterlistigen Anschlag zu erfahren, der auf die Wirtschaft des Imperiums verübt wurde. Milliarden und aber Milliarden Solar Falschgeld tauchten plötzlich auf, trotz der komplizierten Struktur unserer Banknoten so vorzüglich gefälscht, dass sie selbst mit den fortgeschrittensten technischen Mitteln nicht von den echten unterschieden werden konnten. Ein Wesen, das wie Homer G. Adams aussah und dem der Großadministrator nicht das geringste Misstrauen entgegenbrachte, hielt sich in Perry Rhodans Nähe auf und beriet ihn über die Schritte, die zur Bekämpfung der flagranten Inflation zu tun seien. Seitdem ich hier bin, weiß ich, dass Adams sich zu jener Zeit unmöglich auf der Erde aufgehalten haben kann. Er war hier in Gefangenschaft, und Perry Rhodans Ratgeber muss in Wirklichkeit ein Duplo gewesen sein.
Das, meine Herren, sind die Fakten. Mittel, wie sie zur Führung einer solchen Art von Krieg nötig sind, stehen nur einem einzigen unserer Gegner zur Verfügung – den Meistern der Insel. Unsere Bewacher hier, auf diesem trostlosen Planeten, sind Tefroder. Diese Welt ist ohne allen Zweifel einer der Stützpunkte, von denen aus der Wirtschaftskrieg gegen die Erde und das Imperium betrieben wird. Selbst wenn uns nichts am eigenen Wohlergehen läge, wären wir um der irdischen Menschheit willen verpflichtet, an nichts anderes als Flucht zu denken und all unsere Kraft für die Verwirklichung dieses Gedankens einzusetzen.«
Er schwieg, und seine Zuhörer musterten ihn verwundert. Es war nicht Rawil Strugows Art, lange Reden zu halten. Um so stärker war der Eindruck, den er erzeugt hatte.
Jörg Gansson, der blonde Riese, meldete sich zum ersten Mal zu Wort. Mit sachlich kühler Stimme erkundigte er sich: »Sie scheinen zumindest die Umrisse eines Plans zu haben, Rawil. Wollen Sie uns darüber aufklären?«
Strugow zog an seiner Zigarre und schüttelte dabei den Kopf.
»Falsch geraten, Jörg. Ich wollte die Gesellschaft nur auf die Beine bringen. Es muss einen Ausweg geben, zum Donnerwetter. Hier sind wir versammelt, Elitegehirne, um mit Amsel Weinstein zu sprechen. Wir wissen, von welchen Grundlagen wir ausgehen müssen. Es wäre ausgesprochen lächerlich, wenn es uns nicht gelänge, mit einem vernünftigen Plan aufwarten zu können.«
Homer G. Adams meldete sich schüchtern zu Wort.
»Ich fürchte, ich muss mit Koan Hun übereinstimmen. Aus eigener Kraft können wir den Tefrodern nicht entkommen. Wir brauchen Hilfe von außen. Unser Problem ist also, uns diese Art von Hilfe zu verschaffen.«
»Da meldet sich der analytische Verstand«, spottete Amsel Weinstein. »Wie wollen Sie das machen, Homer? Wer soll uns helfen? Das Draußen ist hier nicht besonders groß. Es reicht gerade bis zu den äußersten Druckwänden der Station. Dahinter kommt das große Nichts, Tausende von Lichtjahren weit. Wen wollen Sie um Hilfe rufen – die Tefroder?«
Rawil Strugow wurde wütend. Was sie in ihrer Lage am wenigsten brauchten, war ein zynischer Pessimist, der ihnen mit seinen Bemerkungen den Mut nahm. Er hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, aber bevor er zum Sprechen kam, ereignete sich etwas Ungewöhnliches.
Die Tür, die zu den Schlafgemächern führte, öffnete sich geräuschlos und unerwartet, und eine kleine, breitschultrige und leicht vornübergebeugte Gestalt erschien wie ein Schatten aus dem grellen Licht, das den Gang jenseits der Tür erfüllte. Rawil sah die eigenartige Erscheinung zuerst. Er vergaß seinen Groll gegen Amsel Weinstein und schritt um die Sesselreihe herum auf die Tür zu.
Fünf Schritte davor blieb er stehen, als hätte vor ihm der Blitz eingeschlagen. Fassungslos starrte er den Fremden an, der in Wirklichkeit kein Fremder war. Ein faltiges, merkwürdig hilflos dreinschauendes Gesicht lächelte ihm entgegen. Immer noch von ungläubigem Staunen erfüllt, hörte Strugow den Unbekannten sagen: »Der Kommandant möchte sich mit Ihnen unterhalten. Kommen Sie!«
Strugow rührte sich nicht. Hinter sich hörte er Rascheln und Scharren, als die andern sich aus den Sesseln erhoben. Unbewegt starrte er den kleinen, halb buckligen Mann an, der vor ihm stand und ein genauso echter Homer G. Adams war wie der, über dessen Vorschlag Amsel Weinstein noch vor ein paar Sekunden gespöttelt hatte.
Der Schock war gewichen. Rawil Strugow schalt sich einen Narren. Er hatte selbst erst vor kurzem gesagt, dass es innerhalb der tefrodischen Station höchstwahrscheinlich einen Multiduplikator gebe. Warum erschütterte es ihn so, einen zweiten Homer G. Adams auftauchen zu sehen?
Verblüfft stellte er fest, dass diese Frage sich höchst einfach beantworten ließ. Weil er nun nicht mehr wusste, welches der richtige Adams war. Es konnte der sein, der an der Diskussion des Fluchtplans teilgenommen hatte, oder der, der jetzt auf dem träge dahinrollenden Transportband vor ihnen stand, um sie zum Kommandanten zu bringen.
Der erste hatte sich äußerst beherrscht verhalten, als der zweite auftauchte. Strugow war nicht sicher, ob er das als Verdachtsgrund werten sollte oder nicht. Er war Soldat und kannte das Wirtschaftsgenie Homer G. Adams längst nicht gut genug, um seine Reaktionen vorhersagen zu können. Er grübelte über einer Lösung des Problems, bis das Laufband am Rand einer geräumigen, kreisrunden Halle endete, in die der Gang sich plötzlich öffnete. Adams Nummer zwei sprang ab und bedeutete den Gefangenen, ihm zu folgen. Während sie die Halle durchquerten, bemerkte Strugow in den Seitenwänden die Mündungen anderer Gänge, die aus allen Richtungen des Stützpunktes zu kommen schienen. Der riesige Raum in seiner gähnenden Leere machte den Eindruck der Unfertigkeit. Strugow roch den süßlichen Duft frischer Baumaterialien. Diese Halle war kein Teil des ursprünglichen Maahk-Stützpunkts. Die Tefroder hatten sie angelegt, wahrscheinlich um Maschinen und Geräte hier aufzustellen. Die Offensive gegen Terra war also noch im Gang. Nicht nur das, der Gegner gab sich Mühe, seine Schlagkraft zu vermehren.
Am gegenüberliegenden Ende der Halle gab es eine Reihe von Türen, die in regelmäßigen Abständen die Wand durchbrachen. Eine von ihnen öffnete sich, als Adams Nummer zwei darauf zutrat. Strugow, der unmittelbar hinter ihm ging, sah in einen rechteckigen Raum, der mit verblüffendem Luxus eingerichtet war. Inmitten schwellender Teppiche, kunstvoll gearbeiteter Möbel und verzierter Kabinette stand ein wuchtiger, weit ausladender Arbeitstisch. Hinter dem Tisch saß in lässiger Haltung ein vergleichsweise junger Mann und sah den Gefangenen halb neugierig, halb gelangweilt entgegen.
Strugow warf, als er an ihm vorbeischritt, einen raschen Seitenblick auf Adams Nummer zwei. Die Miene des Mannes zeigte eine Mischung aus Demut und Furcht, die Strugow sich nicht erklären konnte. Er kam jedoch nicht dazu, darüber nachzudenken. Die Tür schloss sich hinter Jörg Gansson, der als letzter eingetreten war. Adams Nummer zwei blieb draußen, und der junge Mann hinter dem mächtigen Tisch erhob sich langsam. Er war schlank und groß, und sein Gesicht, samtbraun und von einer hohen Stirn überwölbt, ließ auf ein überdurchschnittliches Maß an Intelligenz schließen. Die Montur des Fremden bestand aus einem enganliegenden, mit Magnetverschlüssen versehenen Overall dunkelgrauer Farbe. Strugow fand, er wirkte wie jemand, der vor wenigen Minuten aus einem gelandeten Raumschiff gestiegen war.
Der Fremde beeindruckte ihn. Er nahm sich Zeit, ihn zu mustern – ebenso, wie der Braunhäutige sich Zeit nahm, die Gefangenen zu mustern. Strugow zweifelte nicht daran, dass er mehr als einen gewöhnlichen Tefroder vor sich hatte. Ein Verdacht schoss ihm plötzlich durch den Kopf. War es möglich ...
Der Fremde begann zu sprechen.