Nr. 393

 

Die Schwelle zum Nichts

 

Mit der CREST auf dem sterbenden Planeten – 5000 Hilflose warten auf Rettung

 

von HANS KNEIFEL

 

 

Auf der Erde und den Welten des Solaren Imperiums schreibt man Anfang Juli des Jahres 2437. Die letzten Ereignisse in der Galaxis und vor allem die grauenvollen Erlebnisse der FRANCIS DRAKE-Besatzung in der Kleinen Magellanschen Wolke haben eindeutig bewiesen, dass die entscheidende Auseinandersetzung mit der mysteriösen Ersten Schwingungsmacht nicht mehr länger hinausgezögert werden darf, wenn die Menschheit weiter bestehen will. Jeder Tag, den die Terraner untätig verstreichen und den unversöhnlichen Gegner weiter gewähren lassen würden, könnte den Untergang des Solaren Imperiums einleiten.

Perry Rhodan ist sich dieser Tatsache nur zu schmerzlich bewusst. Was in seiner Macht und in der Macht der von ihm befehligten Raumstreitkräfte steht, ist bereits geschehen.

Die CREST V, das neue Solare Flaggschiff, hatte im Zuge der notwendigen Maßnahmen einen kühnen Vorstoß zum Brutplaneten der Baramos unternommen, wo das Neo-Bilatium, das geheimnisvolle Elixier der Ersten Schwingungsmacht, erzeugt wird. Das Neo-Bilatium wurde plangemäß erbeutet – doch die Versuche, die mit dem rätselhaften Stoff angestellt wurden, zeitigten grauenvolle Konsequenzen. Und es kam dazu, dass 5000 Menschen zu hilflosen Schemen wurden.

Jetzt warten die »grünen Geister« am Meeresgrund eines sterbenden Planeten auf das Eintreffen der Retter.

Die Lage der CREST-Besatzung ist geradezu hoffnungslos – die Terraner stehen an der SCHWELLE ZUM NICHTS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Großadministrator – ein hilfloser Schemen an der Schwelle zwischen Sein und Nichtsein – wartet auf Rettung.

Gucky und Paladin – Die einzigen »Normalen« von der CREST V.

Oberst Vivier Bontainer – Ein Mann der letzten Sekunde.

John Sanda – Bontainers Freund und Stellvertreter.

Oomph Amber – Gefühlsorter und Kleptomane.

Dr. Armond Bysiphere – Ein Mann mit einer Idee.

Julian Tifflor – Solarmarschall und Zellaktivatorträger.

1.

 

Zwischen dem blinden Interkomschirm und der eingebauten Schreibplatte stand der schwere Sessel. Das Licht aus der stählernen Punktleuchte fiel genau auf das kleine, schachtelförmige Lesegerät, das der Mann in den Händen hielt. Langsam wechselten die Seiten. Fast unhörbar summte die Lufterneuerungsanlage. Jetzt setzte die Musik wieder ein. Nicht laut, aber eindringlich genug, um den Raum auszufüllen. Der Mann kannte die Rhythmen; es war eines seiner Lieblingsstücke. Singh Boncard: victory in space.

Der Mann war sechsundvierzig Jahre alt und sehr schlank, fast hager. In seinem gebräunten Gesicht zeigte ein Netz kleiner Falten, dass er mehr erlebt hatte als andere Männer seines Alters. Sein Haar, dunkelbraun und fast etwas zu lang für einen Oberst der Terranischen Raumflotte, war an den Schläfen silbergrau geworden. Jetzt schwieg der Mann; und wenn er sprechen musste, tat er dies mit einer leisen, eindringlichen Stimme.

Der Mann: Vivier Bontainer.

Sein Beruf: Galaktopsychologe.

Sein Dienstgrad: Er war nach dem Abenteuer in der Südsee von Perry Rhodan zum Oberst befördert worden.

Keiner der Männer an Bord des Schiffes beneidete ihn darum.

Bontainer legte das Lesegerät zur Seite, griff nach der halbvollen Kaffeetasse, trank einen Schluck – der Kaffee war kalt geworden. Seit Tagen wartete Bontainer, und mit ihm warteten dreizehnhundert Männer und Frauen.

Worauf?

Bontainer dachte nach ...

Er hatte, nachdem die Kampfkommandos die Station in der Tiefseeschlucht eingenommen und somit die Gefahr für die Erde ausgeschaltet hatten, nach Ablauf seines Urlaubs ein neues Kommando bekommen, gleichzeitig mit seiner Beförderung. Mit diesem Kommando war ein neues Schiff verbunden gewesen, das zu den modernsten zählte, die von den terranischen Werften hergestellt worden waren. Ein Typ der neuen Spezialschiffe der Explorerflotte mit der Bezeichnung EX-8703.

Dreizehnhundert Frauen und Männer waren an Bord des kugelförmigen Schiffes, dazu enthielten die Schleusenhangars zehn Beiboote in der Größenklasse normaler Korvetten. Die Werte der Beschleunigung dieses hochmodernen Schiffes lagen höher: Bontainer konnte die EX mit sechshundertfünfzig Kilometern im Sekundenquadrat beschleunigen. Zwölf schwere Transformkanonen waren an Bord – man hatte erkannt, dass in diesen unsicheren Zeiten auch die wissenschaftlich orientierten Schiffstypen nicht hilflos sein durften. Dutzende von Einsätzen, von denen die Explorerschiffe nicht mehr zurückgekehrt waren, hatten diese Notwendigkeit den Verantwortlichen mit gläserner Klarheit vor Augen geführt.

Jeweils zwölf Kanonen mit Sprengkörpern, die pro Stück eintausend Gigatonnen in Energie umsetzen konnten. Und: was für Vivier Bontainer fast so wichtig war wie die Transformkanonen – seine beiden Freunde waren mit an Bord.

John Sanda, der ewige Junggeselle, und Oomph Amber, der diebische Lourener.

Und noch ein Umstand zeichnete dieses Schiff aus. Er war sehr wichtig und bedeutend: Jeder einzelne Terraner an Bord erfüllte mindestens zwei Funktionen. Er war gleichzeitig ein Wissenschaftler mit sämtlichen Auszeichnungen und Zeugnissen und ein vollwertiges Mitglied der Schiffsbesatzung. Er bediente eine Transformkanone ebenso souverän wie ein Elektronenmikroskop, oder einen überschweren Desintegrator mit der gleichen Schnelligkeit und Sicherheit wie eine Versuchsanordnung. Das gesamte Ausbildungsprogramm der Explorerflotte war auf diese Doppelseitigkeit abgestimmt worden. Techniker oder Wissenschaftler – sie konnten in jedem ihrer mindestens zwei Gebiete Vollwertiges leisten. John Sanda beispielsweise war Robotiker; nur für Oomph Amber hatte sich nichts Passendes gefunden. Bontainer hatte ihn, um gerecht sein zu wollen, dem Koch zugeteilt, der »nebenbei« Waffenwart einer Korvette war.

Bontainer wartete; mit ihm warteten das Schiff und eintausenddreihundert Menschen.

Worauf warteten sie?

Bontainer stand auf, drehte den Sessel herum und trank die Tasse leer. Dann schaltete er den Interkomschirm ein und drückte eine bestimmte Taste. Einen Sekundenbruchteil später baute sich das Bild auf, und das schmale Gesicht von John Sanda war auf dem Schirm. Sanda befand sich in der Kommandozentrale.

»Oberst Bontainer?«

»Richtig«, gab Vivier zurück. »Hat sich Tifflor schon gemeldet, oder ist etwas anderes geschehen, John?«

John grinste säuerlich.

»So wie du meine strenge Dienstauffassung kennst, Vivier, hätte ich dich in diesem Fall augenblicklich benachrichtigt. Nein, es ist nichts geschehen. Nach wie vor warten ... das ist wieder einmal das Schicksal unserer Mannschaft.«

»Ich bin in meiner Kabine«, sagte Vivier. »Wenn sich die Herren von der CREST V auf irgendeine Weise melden, dann benachrichtige mich bitte.«

John Sanda nickte und legte die Hand kurz an die Schläfe.

»Sehr wohl, Sir. Eine Abteilung in der Ortungszentrale«, seine Stimme wurde zu einem geheimnisvollen Flüstern, »ist ständig bereit, einen Funkspruch von Terra aufzufangen.«

Bontainer runzelte die Stirn und fragte sich, was Sanda meinen könnte. Die nächste Äußerung enthob ihn des Nachdenkens.

»Funkspruch ... Terra?«, fragte er zurück.

Sanda grinste diabolisch.

»Natürlich. Einen sehnsuchtsvollen Funkspruch von Frau ›Penelope‹ Bontainer, vormalige Arsali Hingurt, wie du dich sicher erinnern kannst.«

»Witzbold!«, knurrte Bontainer und schaltete mitten im Lachen seines Freundes die Verbindung ab. Er hörte einige Takte der Musik, nickte nachdenklich und setzte sich wieder. Er nahm das Lesegerät in die Finger und versuchte, den Text weiter zu verfolgen, aber er war abgelenkt, und die Konzentration stellte sich nicht wieder ein.

Julian Tifflor hatte Bontainer den Befehl erteilt, mit der EX-8703 am Treffpunkt Evergreen zu warten. Dort sollten sich die beiden Schiffe treffen; die CREST V nach dem Einsatz auf Baykalob und die EX unter Bontainer. Seit fast neun Tagen warteten eintausenddreihundert Terraner auf einen Funkspruch oder das charakteristische Echo der Fernortung. Das neue Explorerschiff war nicht nur sehr schnell, nicht nur mit tödlichen Waffen ausgerüstet, sondern zudem auch nicht weniger modern, was die wissenschaftlichen Geräte betraf. Jedes Labor, jede der zahlreichen wissenschaftlichen Abteilungen war hochmodern eingerichtet. Es gab so gut wie kein einziges Wissensgebiet, das nicht an Bord dieses Schiffes behandelt werden konnte. Feinste Untersuchungen und exakteste Bestimmungen waren möglich, und die Wissenschaftler hielten den Standard der Ausrüstung.

Neun Tage warteten sie schon, neun lange Tage.

Bontainers Daumen drückte den kleinen Knopf an der Seitenkante des Lesegerätes hinein, und die Seiten wechselten abermals. Vivier las in einem der neuesten Werke seiner Spezialwissenschaft, einem psychologischen Abriss über die Verwandtschaft terranischer Idiome mit denen der anderen Sprachen, soweit man dieses feststellen konnte. Der Türsummer zerschnitt die Ruhe, und Bontainer schrak auf.

»Herein!«, rief er.

Die Metalltür, mit Plastik überzogen, rollte zur Seite. Eine Gestalt erschien, ganz in Weiß gekleidet und hager. Über der hochgebundenen Schürze sah Bontainer eine ausdrucksvolle Hakennase und große, braune Augen. Ein Kranz blonder Haare zog sich von Ohr zu Ohr des Mannes. Es war der Koch des Schiffes.

»Kommandant!«, begann er. »Ich bin gekommen, um ...«

Bontainer grinste; er ahnte einiges. Er stand auf und lehnte sich mit den Unterarmen auf das Rückenteil des Kontursessels.

»Kommen Sie herein, setzen Sie sich, machen Sie es sich bequem und berichten Sie – es wird helfen, die Langeweile an Bord zu unterbrechen. Was ist los? Ist der Suppenkessel detoniert?«

Der Koch ließ sich in den zweiten Sessel fallen, wischte die Hände an der Schürze ab und vollführte eine dramatische Geste.

»Linsensuppe!«, rief er anklagend. »Linsensuppe! Sie verstehen, Oberst?«

Bontainer sah ihn befremdet an.

»Ich verstehe Linsensuppe«, sagte er ruhig. »Linsensuppe ist eine vorzügliche Sache. Eintausenddreihundert Portionen Linsensuppe! Etwa siebenhundert Liter Linsensuppe.«

Der Koch nickte zustimmend.

»Siebenhundert Liter. Das ist richtig. Dazu siebenhundert Würste, schön rund und saftig, mit einer essbaren Haut.«

»Hmm«, machte Bontainer. »Das wird aber eine leckere Sache.«

»Und ob! Dazu viel angebratene Zwiebeln, ausgelassenen Speck in Würfelform, rund siebzigtausend kleine Würfelchen Speck! Und gebratene Eier, ebenfalls in Würfelform und unter die leckeren Linsen gemischt! Können Sie sich vorstellen, was man in dieser Küche für lukullische Abenteuer vollführen kann, wenn man Zeit hat? Und ich habe Zeit – sagen Sie: Haben Sie jemals an Bord eines Schiffes so gut gegessen wie in den vergangenen acht Tagen?«

Bontainer wusste noch immer nicht, worauf der Waffenwart – oder Koch – hinauswollte, aber er schwieg und hörte weiter zu. Der Koch war ehrlich entrüstet und zeigte dies in Gestik und Ton.

»Ich muss sagen, nein. Ich habe selten so gut und so abwechslungsreich gegessen, außer in gewissen Lokalen in Terrania City. Zum Beispiel in der ›julishka‹.«

»Oder in der ›golden city‹!«

»Richtig. Was also hat es mit der Linsensuppe auf sich, Rolf?«

»Ich muss Ihnen sagen, dass es in dieser Linsensuppe weder Speckstückchen noch Würste geben wird.«

Der Koch sah aus, als wolle er jede Sekunde zu weinen anfangen. Sein Gesicht zeigte tiefe Falten des Kummers und der Verzweiflung. Es war ihm in seiner gesamten Flottenkarriere noch nie so gut gegangen wie gerade unter Bontainers Kommando.

»Warum nicht?«, fragte Bontainer. Er ahnte, was jetzt kommen würde, aber er spielte mit.

»Weil ich weder den Kanister mit den siebenhundert Würsten noch den mit den siebzigtausend kleinen Speckwürfelchen öffnen kann.«

Bontainer schüttelte den Kopf.

»Hat Oomph Amber ...?«

Der Koch war erschüttert.

»Ja, er hat, Sir. Er hat eben die Untersetzung zwischen dem Antriebsmotor und der Schneide des Büchsenöffners gestohlen und ist seitdem verschwunden. Die Mannschaft wird hungern müssen – oder Sie alle geben sich mit geschmacklosen Linsen ohne Fleisch zufrieden.«

Bontainer griff in ein Fach, holte ein Glas heraus und eine viereckige Flasche und füllte das Glas zur Hälfte.

»Hier, Rolf«, sagte er beschwichtigend, »trinken Sie erst einmal aus und beruhigen Sie sich. Ich werde dafür sorgen, dass das wichtige Verbindungsstück zwischen Ihrer Kunst und unseren Gaumen wieder aufgefunden wird.

Wir werden Oomph schon finden.«

Hoffnung kam in die Augen des Kochs wie ein kleiner Sonnenaufgang.

»Dazu müssten Sie aber eine umfangreiche Suchaktion starten«, wandte Rolf ein. »Können Sie das denn verantworten?«

Bontainer drehte sich halb um und schaltete den Interkom ein.

»Wir bleiben auch dann, wenn ein Drittel der Mannschaft den Lourener sucht, noch voll einsatzfähig. Selbst wenn sich Rhodan jetzt plötzlich melden sollte, werden wir tun können, was gerade anliegt. Gehen Sie bitte wieder in die Bordküche und halten Sie die Linsen warm.«

Rolf ergriff die Hand des Kommandanten und stammelte: »Herzlichen Dank – wirklich, herzlichen Dank, Kommandant. Ich wüsste nicht, was wir ohne Sie täten.«

Vivier nickte und erwiderte ruhig: »Vermutlich würden wir alle verhungern, mitten in einem neu ausgerüsteten Schiff. Welche Schande!«

Die Tür schloss sich hinter dem Koch, und Bontainer grinste. Dann wählte er die Taste, die dieses Gerät mit sämtlichen anderen Schiffsgeräten verband und löste ein kurzes Signal aus.

»Hier spricht Bontainer«, sagte er ruhig. »Kein Grund zur Aufregung. Wir alle suchen meinen diebischen Freund, den Lourener. Er hat verhindert, dass der Koch die Kanister mit den Würsten für unser heutiges Mittagessen öffnen kann.

Achtung – an alle!

Sollte jemand Oomph Amber sehen, so ist ihm ein Stück glänzenden Metalls abzunehmen. Es ist die Kupplung zwischen Motor und Schneide des halbautomatischen Dosenöffners. Der ›Finder‹ erhält als Belohnung vom Koch ein Steak oder ein Stück Zucker. Ende.«

Er schaltete aus und wusste, dass die Ruhe endgültig vorbei war. Noch hatte sich Rhodan nicht gemeldet, aber er kam nicht mehr dazu, das Buch bis zum Ende zu lesen.

Langsam löschte er die Beleuchtung, stellte die Lesespule wieder zurück und schaltete das Bandgerät ab. Nur noch die kleinen Lampen neben der Tür brannten. Bontainer schnallte sich den Gurt mit der Dienstwaffe um und verließ den Raum. Er ging hinunter in die Kommandozentrale und blieb neben John Sanda stehen.

»Lüsker Linsensuppe versalzen, Kommandant, eh?«, fragte Sanda in dem nasalen Tonfall des Loureners.

»Geimig warten, Erster«, gab Vivier zurück. »Alles klar?«

Die Männer an den Pulten waren entspannt. Sie alle kannten Bontainer lange und gut genug, um genau zu wissen, dass er nur dann Schnelligkeit und Konzentration wünschte, wenn es unbedingt nötig war – dann allerdings ohne jede Einschränkung.

»Alles klar, Vivier«, sagte John Sanda ruhig. Bis auf geringfügige Unterschiede, was Haarfarbe und Augenfarbe betraf, konnten die beiden Männer eineiige Zwillinge sein; hin und wieder nannte man sie die »Space-Twins.«

Das Raumschiff stand ohne Fahrt genau auf den errechneten Positionen. Verschiedene Schnittpunktlinien trafen hier zusammen, hier, an einem Ort genau »über« dem Nordpol der Kleinen Magellanschen Wolke. Eine der charakteristischen Sonnen in der Mitte der kleinen Galaxis war zum angenommenen Pol der Sternkonzentration erklärt worden, und die Astrogatoren der Flotte richteten sich danach. Verschiedene Sterne der eigenen Milchstraße und die letzten Schiffe der Funk- und Materiebrücke zwischen den beiden Galaxien waren in dieses Bezugssystem mit hereingenommen worden. Das Schiff EX-8703 stand also im Leerraum, fiktiv auf der kurzen Achse über dem angenommenen Nordpolarstern der Kleinen Magellanschen Wolke.

»Es sieht so aus«, sagte Bontainer. »Ich beginne langsam, etwas unruhig zu werden. Wir schreiben inzwischen den vierten Juli 2437, also warten wir den neunten Tag. Schiffszeit 11:35 Uhr. Warten wir also weiter.«

Sanda drehte seinen Kontursessel und starrte hinauf auf die Panoramaschirme, die seinem Pult gegenüber lagen. Das Schiff stand nicht mit der Polschleuse zur KMW, sondern im rechten Winkel zur Polachse verlief die imaginäre Linie, die vom Nordpol ausging. Auf einer Seite der Schirmgalerie standen die Sterne der Wolke; kreisförmig angeordnet und wimmelnd in ihrer Vielzahl.

»Dafür hätten Astronomen einige Jahrhunderte vor uns ein Auge hergegeben«, murmelte Bontainer. »Nur, um eine kleine Milchstraße so sehen zu können!«

»Du hast recht; wir haben es heute einfacher. Aber die Gefahren haben sich heute ebenfalls vergrößert. Mehr Sterne, mehr Möglichkeiten ... mehr Anfälligkeiten, mehr Kriege und Schlachten.«

Bontainer schaltete den Interkom ein und setzte sich mit der Ortungszentrale in Verbindung.

»Und mehr Möglichkeiten, uns zu orten.«

»Sir?«, meldete sich einer der Techniker. Sein anderer Beruf war Mikrobiologe.

»Haben Sie Anzeichen von Schiffsbewegungen entdecken können? Immerhin besteht die dringende Gefahr, dass wir hier geortet werden können. Wir schweben förmlich auf dem Präsentierteller!«

»Keine Meldung, Oberst. Wir haben nichts gesehen, und unsere Fernortung läuft ununterbrochen und ist dreifach besetzt.«

Bontainer lächelte kurz.

»Es freut mich, das zu hören. Schließlich können wir nicht gerade mit einer Flotte von Konusschiffen konkurrieren. Weitermachen – es gibt Linsensuppe!«

Der Ortungsfachmann lachte schallend auf.

»Wie eben durchgesagt wurde, hat man sowohl den Lourener als auch die Dosenöffnerkupplung gefunden. Die Wurstbeilage ist also gesichert.«

»Hoffentlich hierdurch auch die Moral an Bord«, sagte Bontainer und warf der Technikerin, die hinter dem Oberkörper des Mannes auf dem Schirm zu sehen war, einen kurzen Blick zu.

John Sanda trennte die Verbindung.

»Nichts mehr für dich, Vivier«, sagte er. »Du bist verheiratet. War das, was ich vorhin aus deiner Kabine hörte, ein Musikstück oder das Band mit Kindergeschrei, das du als Training für kommende Zeiten mitgenommen hast?«

Bontainer zündete sich eine Zigarette an und erwiderte grimmig: »Das waren die Schreie eines Ersten Offiziers, dessen intellektuelle Potenz sich darin erschöpfte, unqualifiziert daherzureden.«

»Danke.«