Der Amerikanische Bürgerkrieg
Deutsch von Hainer Kober
Widmung |
Einleitung |
Kapitel eins: Norden und Süden leben sich auseinander |
Kapitel zwei: Wird es Krieg geben? |
Kapitel drei: Improvisierte Armeen |
Kapitel vier: Kriegführung |
Kapitel fünf: Die militärische Geographie des Bürgerkriegs |
Kapitel sechs: Soldatenleben |
Kapitel sieben: Pläne |
Kapitel acht: McClellan übernimmt das Kommando |
Kapitel neun: Der Krieg in der Mitte |
Kapitel zehn: Lees Krieg im Osten, Grants Krieg im Westen |
Kapitel elf: Chancellorsville und Gettysburg |
Kapitel zwölf: Vicksburg |
Kapitel dreizehn: Unterbrechung der Verbindung Chattanooga–Atlantik |
Kapitel vierzehn: Überland-Feldzug und Fall Richmonds |
Kapitel fünfzehn: Der Einfall in den Süden |
Kapitel sechzehn: Die Schlacht vor Cherbourg und der Bürgerkrieg zur See |
Kapitel siebzehn: Schwarze Soldaten |
Kapitel achtzehn: Die Heimatfronten |
Kapitel neunzehn: Walt Whitman und die Verwundeten |
Kapitel zwanzig: Die Generalität des Bürgerkriegs |
Kapitel einundzwanzig: Die Schlachten des Bürgerkriegs |
Kapitel zweiundzwanzig: Hätte der Süden weiterbestehen können? |
Kapitel dreiundzwanzig: Kriegsende |
Abbildungen |
Anhang |
Literatur |
Anmerkungen |
Danksagung |
Register |
Bildnachweis |
Für Lindsey Wood
Eines meiner früheren Bücher begann ich mit dem Satz: «Der Erste Weltkrieg war ein grausamer und unnötiger Krieg.» Der Amerikanische Bürgerkrieg war sicherlich ebenfalls grausam, sowohl was das Leiden der Teilnehmer angeht als auch die Sorgen und Nöte der Zivilbevölkerung. Aber er war kein unnötiger Krieg.
Im Jahr 1861 war die Spaltung, verursacht durch die Sklaverei als das wichtigste aller Dinge, die Nord und Süd voneinander trennten, so virulent geworden, dass nur eine umfassende Veränderung zu einer Lösung führen konnte. Mit Sicherheit erforderte dies die Abkehr von der Überzeugung, Sklaverei sei das einzige Mittel, das amerikanische Rassenproblem im Zaum zu halten; vielleicht auch die dauerhafte Trennung der Sklavenhalterstaaten und ihrer Sympathisanten vom übrigen Teil des Landes; und möglicherweise, bedenkt man die Verwerfungen, die eine solche Trennung nach sich ziehen würde, den Krieg. Das heißt jedoch nicht, dass der Krieg unumgänglich gewesen wäre. Politische und soziale Variablen aller Art hätten zu einer friedlichen Lösung führen können: Wenn der Norden einen im Amt erfahrenen Präsidenten statt eines neugewählten gehabt hätte, dessen Einstellung gegen die Sklaverei dem Süden weniger provokant erschienen wäre; wenn der Süden über eine potenzielle nationale Führungspersönlichkeit mit der Fähigkeit und Redekunst eines Lincoln verfügt hätte; wenn beide Seiten, insbesondere jedoch der Süden, nicht in so starkem Maße von dem naiven Militarismus der Freiwilligenregimenter und Schützenvereine geprägt gewesen wären, die es um die Mitte des 19. Jahrhunderts in der angelsächsischen Welt beiderseits des Atlantiks in großer Zahl gab; wenn die Industrialisierung der Nordstaaten ihren Optimismus nicht gefördert hätte, der Kriegslust des Südens die Stirn bieten zu können; wenn Europas Appetit auf Baumwolle nicht so viele Pflanzer und Produzenten südlich der Mason-Dixon-Linie im Glauben gestärkt hätte, diplomatische Anerkennung erzwingen zu können; wenn Unsicherheit nicht zunehmend zur prägenden Geisteshaltung des Nordens wie des Südens geworden wäre – dann hätte vielleicht der schlichte Wunsch nach Frieden und seiner Wahrung den Lärm der marschierenden Massen und der Rekrutierungsversammlungen verstummen lassen und der großen Republik einen Weg durch das Kriegsfieber zu Normalität, Ruhe und Ausgleich gewiesen.
Denn die Amerikaner waren es gewohnt, Kompromisse zu schließen. Ein halbes Dutzend Mal hatten sie bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts die Gefahr einer Spaltung mittels gütlicher Übereinkünfte abgewendet. Auch dass das Land zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Ausgleich zur Leitlinie seiner Beziehungen mit den alten Kolonialherren machte und – mit der einmaligen Ausnahme des Kriegs von 1812 – auf alle Konflikte mit England dauerhaft verzichtete, verdankte es seiner Kompromissfähigkeit. Allerdings waren die Amerikaner auch ein prinzipientreues Volk. Sie hatten Grundsätzliches in die richtungweisenden Präambeln ihrer wunderbaren konstitutiven Dokumente aufgenommen: der Unabhängigkeitserklärung, der Verfassung und der als Bill of Rights bezeichneten ersten zehn Zusatzartikel der Verfassung. Im Zustand politischer Erregung griffen die Amerikaner gern auf solche Grundsätze zurück: als Orientierung, die ihnen den Weg aus ihren Schwierigkeiten aufzeigte.
Unglücklicherweise ließen sich die wichtigsten Unterschiede, die Nord und Süd 1861 voneinander trennten, als Grundsatzfragen darstellen: Die Integrität der Republik und deren unumschränkte Macht wie auch die Rechte der Gliedstaaten wurden seit den Gründertagen stets beschworen, wenn der Fortbestand der Republik gefährdet war. Auf diese Grundsätze hatten sich während der politischen Zwistigkeiten in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts so lautere und beredsame Männer wie Henry Clay und John Calhoun immer wieder aufs Neue bezogen. Es sollte sich letztlich zudem als verhängnisvoll erweisen, dass Amerika Meinungsführer von großer Überzeugungskraft hervorbrachte. Der Süden, der in der ersten Hälfte des Jahrhunderts Herr der Debatte gewesen war, hatte jedoch in ebenjenem Augenblick, als der verbale Streit in den Ruf zu den Waffen umzuschlagen drohte, das Pech, dass der Norden über einen politischen Führer verfügte, der besser und überzeugender zu reden verstand als die eigenen Interessenvertreter.
Der Krieg muss 1861 schon unter der kontroversen Debatte geschwelt haben, denn kaum hatte der Süden sich organisatorisch auf die Sezession vorbereitet, da ernannte er nicht nur seinen eigenen konföderierten Präsidenten, sondern auch einen Kriegsminister und dazu Minister des Äußeren, der Finanzen und des Innern. Kurz nachdem Präsident Lincoln sein Amt angetreten hatte, verpflichtete er die Milizen aus den Nordstaaten zum Dienst für den Bund und rief Zehntausende auf, sich freiwillig zu den Waffen zu melden. Innerhalb weniger Wochen übten in einem der friedfertigsten Gemeinwesen der zivilisierten Welt zahllose Männer das Marschieren und die Handhabung von Waffen. Es sollte zwar noch eine Zeit dauern, bis genügend Waffen verfügbar waren. Diese Verzögerung führte jedoch nicht zu einer Mäßigung des Aufruhrs, denn die Kampfansage an Integrität und Autorität der Republik hatte bei vielen tiefsitzende Leidenschaften geweckt. In der Alten Welt waren es die nationalen Befreiungskämpfe gewesen, im spanischsprechenden Teil des Kontinents ebenso wie im englischsprachigen, die die Völker zu ihrer Sache erhoben hatten. Die beiden Amerikas von 1861 hingegen, der Norden wie der Süden, waren stillschweigend übereingekommen, dass die Grundsatzfrage, die der Konflikt mit der Wahl Abraham Lincolns aufwarf, gewichtig genug war, um mit der Waffe entschieden zu werden. Dadurch gewann die bevorstehende Auseinandersetzung eine düstere Perspektive: Es sollte ein Krieg der Völker, ein Bürgerkrieg werden, und die Menschen beider Seiten sollten fortan das, was sie voneinander unterschied, für bedeutender ansehen als die Werte, die sie seit 1781 als dauerhaft und verbindlich anerkannt hatten.
Zunächst konzentrierten sich die Führer des Nordens wie des Südens auf die Frage, wie dieser Krieg geführt werden sollte. Für den Süden stellte sich die Sache unkompliziert dar: Er würde seine Grenzen verteidigen und jeden Eindringling abwehren. Im Norden lagen die Dinge nicht so einfach. Jeder Krieg bedeutete eine Rebellion, Widerstand gegen seine Autorität, der gebrochen werden musste; doch wie und – noch wichtiger – wo sollte dem Gegner die Niederlage zugefügt werden? Der Süden erstreckte sich über die Hälfte des Staatsgebiets, stellte eine ungeheure Fläche dar, die nur an wenigen, weit auseinanderliegenden Punkten an die infrastrukturell durchorganisierten Regionen des Nordens stieß. Als der Krieg im April 1861 dann ausbrach, schien er infolgedessen zunächst willkürlich und wahllos, planlos und weitgehend führungslos zu sein; die embryonalen Armeen fielen übereinander her, wann und wo immer sie sich begegneten. Die ersten Gefechte waren unbedeutende, kleine Scharmützel auf «unumkämpftem Gebiet», wie ein Korrespondent der Londoner Times sie abfällig bezeichnete. Dass die erste größere Schlacht des Kriegs, die Erste Schlacht am Bull Run – so die Bezeichnung der Union, nach konföderierter Nomenklatur die Erste Schlacht von Manassas –, mit einem Sieg des Südens endete, erwies sich für die Konföderation als besonders günstig – aber für die Vereinigten Staaten hatte es schlimme Folgen. Der unverhoffte Erfolg entmutigte den Norden, während der Süden nun davon überzeugt war, dass der Sieg zu erringen sei. Wäre die Schlacht anders ausgegangen, was ohne weiteres möglich war, hätte der Krieg vielleicht ein früheres Ende genommen und wäre den Norden wie den Süden nicht so teuer zu stehen gekommen.
So aber war ein Resultat der Schlacht am Bull Run, dass der Krieg als Auseinandersetzung großen Stils geführt werden musste und beiden Seiten den vollen Einsatz aller Ressourcen abverlangte. Bald wurde der Bürgerkrieg zum Krieg der Verlustziffern, nicht anders als später der Vietnamkrieg. Das bevölkerungsreiche Nord-Vietnam konnte in den 1960er Jahren einen solchen verlustreichen Krieg durchhalten und die 50 000 jungen Menschen, die von den USA und ihren Verbündeten jährlich getötet wurden, im Folgejahr ersetzen, ohne dass seine Kriegsanstrengungen spürbar darunter litten. Der amerikanische Süden konnte solche Lasten nicht tragen. In den Jahren 1861 bis 1864 schien er imstande zu sein, ohne Schwächung die im Kampf oder durch Erkrankung im Feld eingetretenen Verluste zu ersetzen, doch dieser Anschein der Unanfechtbarkeit war trügerisch. Für den Süden endete der Blutverlust nach und nach tödlich, während der Norden mit seiner größeren Bevölkerung zwar litt, die Verluste aber ausgleichen und weiterkämpfen konnte. So, wie der Norden dem Süden die wehrfähigen Männer raubte – vielleicht eine Million –, so verleibte er sich auch dessen Gebiet allmählich ein. Der Zug des Unions-Generals Ulysses S. Grant nach Shiloh führte nicht nur zu starken Verlusten, sondern leitete auch die Halbierung des Südens ein. Darauf folgte die Zerstückelung. Zunächst dadurch, dass Grant quer durch das südliche Tennessee zum Süden Georgias vorstieß, später dann, indem er den Tiefen Süden von den Grenzstaaten abschnitt. Anschließend konnte er den Süden in immer kleinere Teile zerlegen, wobei er ihm von Mal zu Mal schwere Menschenverluste zufügte.
Die Konföderierten, insbesondere die Nord-Virginia-Armee unter dem Oberbefehl Robert E. Lees, konnten dem Norden keine vergleichbaren Verluste bereiten. Lees Einfälle in Pennsylvania und Maryland waren kaum mehr als größere Strafexpeditionen. Er vermochte in keinem der beiden Staaten auf Dauer Fuß zu fassen, und obwohl Lee in großen, verlustreichen Schlachten, so am Antietam und bei Fredericksburg, die Oberhand behielt, musste er dafür einen hohen Preis zahlen. Nach dem Fehlschlag seiner Expeditionsunternehmen hatte Lee für den Osten keine Strategie mehr; er konnte lediglich noch starke Abwehrstellungen halten und zusehen, wie die Union im Westen eine zunehmend wirkungsvolle Strategie entfaltete.
Der Amerikanische Bürgerkrieg zählt zu den rätselhaftesten großen Kriegen der Geschichte. Rätselhaft, weil unerwartet; rätselhaft aber auch wegen der Heftigkeit, mit der er entflammte. Ein großer Teil dieses Rätsels rührt von dem Umstand her, dass ein Bürgerkrieg ausgerechnet in einem Land zum Ausbruch kommen sollte, das sich seit seinen ersten Anfängen dem Frieden unter den Menschen verschrieben hatte, der Bruderliebe seiner Bewohner, wie die bei Kriegsausbruch zweitgrößte Stadt des Landes, Philadelphia, in ihrem Namen verkündete. Auch aufgrund seiner Humangeographie ist der Bürgerkrieg rätselhaft, da er anfänglich auf das unmittelbare Umfeld seiner beiden Hauptstädte, Washington und Richmond, fixiert zu sein schien, ehe er später wie ein exotischer Eindringling aus einer tropischen Flora unverhofft weitab von den Schlachtfeldern Virginias in Tennessee, Missouri und Louisiana aufkeimte – und seine wahren Wurzeln oftmals nicht mehr zu erkennen waren. Abraham Lincoln, der neue Präsident, sagte 1861, es sei «in gewisser Weise ein Krieg um Sklaverei», doch 1862 und 1863 trieb der Krieg seine kräftigen, aggressiven Ableger in Teile der kurz zuvor noch vereinigten Staaten, wo die Sklaverei nur ein höchst marginales Kennzeichen des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens war.
Heute wissen wir, dass viele Südstaatler eigentlich gar keine persönliche Beziehung zur Sklaverei hatten, weder als Sklavenhalter noch als Nutznießer von Sklavenarbeit. Dies jedoch hinderte sie nicht daran, sich zu Tausenden zum neuaufgestellten Heer der Konföderation zu melden und in den Schlachten mit unglaublicher Kühnheit und bewundernswertem soldatischem Können gegen die Armee der Union zu kämpfen. Dies war ein weiteres geheimnisvolles Moment des Kriegs: Warum kämpften Männer ohne jedes vernünftige Interesse an einem Krieg so verbissen gegen die Nordstaatler, die angesichts ihrer wirtschaftlichen Lage häufig von ihren armen Gegnern aus dem Süden nicht zu unterscheiden waren? Im Süden wurde das Fehlen einer unmittelbaren persönlichen Motivation oftmals in dem Paradoxon deutlich: «Eines reichen Mannes Krieg, aber eines armen Mannes Kampf.» Darin kommt die unleugbare Tatsache zum Ausdruck, dass sich in den Reihen der Grauen kaum Sklavenhalter mit Großgrundbesitz oder deren Söhne fanden, dafür jedoch sehr viele arme Bauern und nicht wenige Männer, die gar nichts besaßen.
Auch der unterschiedliche Wohlstand von Norden und Süden verleiht dem Krieg eine rätselhafte Dimension. Unter dem Strich war der Süden – anders als vielfach kolportiert – nicht reich genug, um gegen die ernstzunehmenden Kriegsanstrengungen der Union durchhalten zu können. Das Pro-Kopf-Vermögen war im Süden zwar größer als im Norden, aber nur aufgrund des Marktwerts der Sklaven und wegen der Barerträge, die sie hervorbrachten; ein Reichtum, der sich in privater Hand befand. Die Kapital- und Ertragswerte der Wirtschaft des Nordens übertrafen die des Südens bei weitem, da jener unentbehrliche Rohmaterialien – Eisen, Stahl, Nichteisenmetalle, Kohle, Chemikalien – in großen Mengen produzierte und über Transport- und Umschlagmöglichkeiten verfügte, der Süden jedoch nicht. Noch weiter lag der Süden bei den Industrieprodukten zurück. 1861 exportierte der Norden bereits Kohle und Stahl auf eigene Rechnung; im Jahr 1900 übertraf seine Produktion kriegswichtiger Güter bereits die Großbritanniens. Dieser Umschwung des ökonomischen Schicksals zeichnete sich bei Ausbruch des Bürgerkriegs bereits ab.
Dass eine Kriegspartei, die der anderen wirtschaftlich so weit unterlegen und personell so sehr im Hintertreffen war wie der Süden gegenüber dem Norden, so lange einen Kampf so großen Ausmaßes zu führen vermochte, das macht das Rätsel dieses Kriegs aus.