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Inhaltsverzeichnis









Danksagung

Ohne die folgenden Menschen hätte es dieses Buch nie gegeben. Ich danke ihnen von ganzem Herzen:

 

Greer Kessel Hendricks
Heather Neely
Lea, Fred und Stacy Chbosky
Robbie Thompson
Christopher McQuarrie
Margaret Mehring
Stewart Stern
Kate Degenhart
Mark McClain Wilson
David Wilcox
Kate Ward
Tim Perell
Jack Horner
Eduardo Braniff

 

Außerdem:

 

Dr. Earl Reum, der ein wunderbares Gedicht geschrieben hat, und Patrick Comeaux, der sich falsch daran erinnerte, als er vierzehn war.

Stephen Chbosky

Epilog

23. August 1992

Lieber Freund,

die letzten zwei Monate war ich in der Klinik. Gestern wurde ich entlassen. Die Ärztin hat mir erzählt, meine Mutter und mein Vater hätten mich im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzend gefunden. Ich war völlig nackt und starrte den Fernseher an, der gar nicht lief. Angeblich sagte ich kein Wort und kam auch nicht mehr zu mir. Mein Vater gab mir sogar eine Ohrfeige, um mich aufzuwecken, und wie gesagt, macht er das normalerweise nie. Es half aber nichts. Also brachten sie mich in die Klinik, in der ich auch damals mit sieben war, nach dem Tod von Tante Helen. Angeblich habe ich eine ganze Woche lang mit niemandem geredet und niemanden erkannt. Nicht einmal Patrick, der mich offenbar während dieser Woche besucht hat. Der Gedanke ist schon unheimlich.

Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich den Brief eingeworfen habe. Und dann war ich plötzlich in einem Sprechzimmer. Und ich erinnerte mich an Tante Helen. Und fing an zu weinen. Und die Ärztin, die sich als sehr nett herausstellte, fing an, mir Fragen zu stellen. Und ich habe die Fragen beantwortet.

Ich will eigentlich nicht über die Fragen und die Antworten reden. Mir wurde einfach nur klar, dass alles, was ich von Tante Helen geträumt hatte, die Wahrheit war. Und dass es jeden Samstagabend passiert ist – wenn wir ferngesehen haben.

Die ersten Wochen in der Klinik waren ziemlich schlimm. Wobei das Schlimmste war, bei der Ärztin im Zimmer zu sitzen, während sie meiner Mutter und meinem Vater erklärte, was damals passiert war. Ich habe meine Mutter noch nie so viel weinen sehen. Oder meinen Vater so wütend erlebt. Sie hatten nichts davon mitbekommen, als es passierte.

Die Ärztin hat mir dann geholfen, vieles besser zu verstehen. Tante Helen zu verstehen. Meine Familie zu verstehen. Meine Freunde zu verstehen. Mich zu verstehen. Solche Dinge brauchen viel Zeit, und die Ärztin hat mir während alldem wirklich sehr geholfen.

Was mir aber am meisten half, waren die Zeiten, in denen ich Besuch haben durfte. Meine Familie, auch mein Bruder und meine Schwester, kam an diesen Tagen immer zu mir, bis mein Bruder dann zurück ans College musste, um Football zu spielen. Danach kam meine Familie ohne meinen Bruder, und mein Bruder schickte mir Karten. Auf seiner letzten Karte schrieb er mir, dass er meinen Aufsatz über »Walden« gelesen und er ihm sehr gut gefallen habe, was mir ein richtig gutes Gefühl gab. So wie mir die Besuche von Patrick ein gutes Gefühl gaben. Das Beste an Patrick ist, dass er sich nie ändert, selbst in einer Klinik nicht – er macht Witze, damit es dir wieder besser geht, statt dich ständig zu fragen, wie schlecht es dir geht. Und er brachte mir einen Brief von Sam mit, in dem Sam schrieb, dass sie Ende August zurückkäme. Und wenn es mir bis dahin wieder besser gehe, würden sie und Patrick und ich durch den Tunnel fahren. Und diesmal dürfte ich auf der Ladefläche des Pick-up stehen, wenn ich wolle. Das half mir mehr als alles andere.

Die Tage, an denen ich Post bekam, waren auch gut. Mein Großvater schrieb mir einen wirklich netten Brief. Und meine Großtante. Und meine Großmutter und Großonkel Phil. Tante Rebecca schickte mir sogar Blumen mit einer Karte, die von allen meinen Cousins aus Ohio unterschrieben war. Es war schön, zu wissen, dass sie alle an mich dachten. So, wie das eine Mal, als Patrick Mary Elizabeth und Alice und Bob und die anderen mitbrachte. Auch Peter und Craig. Ich glaube, die beiden sind wieder Freunde, und das hat mich gefreut. So, wie es mich gefreut hat, dass Mary Elizabeth die meiste Zeit redete. Denn das ließ alles so normal erscheinen. Mary Elizabeth blieb sogar noch etwas länger als die anderen, und ich habe mich sehr gefreut, mich noch einmal alleine mit ihr unterhalten zu können, bevor sie nach Berkeley ging. So, wie ich mich für Bill und seine Freundin gefreut habe, als sie mich vor zwei Wochen besuchen kamen. Im November wollen sie heiraten, und sie haben mich auf ihre Hochzeit eingeladen. Ist das nicht großartig?

Das Gefühl, dass alles wieder in Ordnung kommen würde, hatte ich zum ersten Mal an jenem Tag, als meine Schwester und mein Bruder noch blieben, nachdem meine Eltern schon gegangen waren. Das war irgendwann im Juli. Sie stellten mir viele Fragen über Tante Helen, denn anscheinend war ihnen nie etwas passiert. Und mein Bruder wirkte wirklich traurig. Und meine Schwester wirkte wirklich wütend. Von diesem Moment an klarte langsam alles auf – denn danach gab es niemanden mehr zu hassen.

Damit meine ich, dass ich meinen Bruder und meine Schwester angesehen und gedacht habe, dass sie eines Tages vielleicht Tante und Onkel sein werden, so, wie ich eines Tages vielleicht ein Onkel sein werde. So, wie meine Mutter und Tante Helen Schwestern waren.

Und wir könnten zusammensitzen und den Kopf schütteln und sauer aufeinander sein, so viel wir wollten, und einer Menge Leute Vorwürfe machen, was sie getan oder nicht getan oder gewusst oder nicht gewusst hatten … Ich weiß nicht, ich denke, man kann immer jemandem die Schuld geben. Vielleicht wäre meine Mutter nicht so schweigsam, wenn mein Großvater sie nicht geschlagen hätte. Und vielleicht hätte sie dann auch nicht meinen Vater geheiratet, weil er niemanden schlägt. Und vielleicht wäre ich dann nie auf die Welt gekommen. Ich bin aber sehr froh darüber, auf der Welt zu sein, daher weiß ich nicht, was ich von der ganzen Sache halten soll, besonders, da meine Mutter glücklich mit ihrem Leben zu sein scheint, und ich weiß nicht, was man sich mehr wünschen kann.

Wenn ich Tante Helen die Schuld geben würde, dann müsste ich auch ihrem Vater die Schuld geben, weil er sie geschlagen hat, und dem »Freund der Familie«, der sie betatscht hat, als sie klein war. Und demjenigen, der ihn betatscht hat. Und Gott dafür, dass er all dies und noch viel schlimmere Dinge geschehen lässt. Und eine Weile lang tat ich das auch – und dann konnte ich irgendwann nicht mehr. Denn es führte einfach zu nichts. Und das ist es auch nicht, worum es eigentlich geht.

Was ich von Tante Helen geträumt und woran ich mich dann erinnert habe, ist nicht der Grund, weshalb ich bin, wer ich bin. Das wurde mir bewusst, als sich alles etwas beruhigt hatte. Und das zu wissen, fand ich sehr wichtig. Es gab mir ein Gefühl der Klarheit und Vollständigkeit. Versteh mich bitte nicht falsch – ich weiß, es ist wichtig, was damals passiert ist. Und ich musste mich daran erinnern. Aber es ist wie mit der Geschichte von den beiden Brüdern und dem alkoholkranken Vater, die mir die Ärztin erzählt hat: Einer der Brüder wurde ein erfolgreicher Tischler, der nie auch nur einen Tropfen anrührte. Der andere Bruder wurde ein genauso schlimmer Trinker wie sein Vater. Und als man den ersten Bruder fragte, weshalb er nicht trank, sagte er, er hätte es einfach nie über sich gebracht, nachdem er gesehen hatte, was der Alkohol aus seinem Vater gemacht hatte. Und als man den anderen Bruder dasselbe fragte, sagte er, er hätte das Trinken schon von Kindesbeinen an gelernt … Und so denke ich, dass wir aus ganz vielen Gründen sind, wer wir sind. Und vielleicht werden wir die meisten davon nie erfahren. Aber auch, wenn wir uns nicht aussuchen können, woher wir kommen, können wir doch immer noch wählen, wohin wir gehen. Wir können immer noch unsere Entscheidungen treffen. Und versuchen, glücklich mit ihnen zu sein.

Ich glaube, wenn ich jemals Kinder habe und sie einmal wegen etwas unglücklich sind, dann werde ich ihnen nicht erzählen, dass in China die Menschen verhungern oder etwas in der Art, denn das würde ja nichts daran ändern, dass sie unglücklich sind. Selbst, wenn andere es noch schwerer haben, ändert das doch nichts daran, dass man hat, was man eben hat – Gutes und Schlechtes. Wie das, was meine Schwester einmal sagte, als ich schon eine Weile in der Klinik war: Sie sagte, dass sie sich wirklich Sorgen wegen des Colleges mache, aber sich angesichts dessen, was ich gerade durchmachte, ziemlich blöd deswegen vorkam. Ich weiß aber gar nicht, warum sie sich blöd vorkommen sollte. Ich würde mir auch Sorgen machen. Und ehrlich gesagt, finde ich nicht, dass ich es irgendwie schwerer oder leichter hätte als sie. Es ist einfach … anders. Vielleicht ist es gut, die Dinge aus der richtigen Perspektive zu sehen. Aber manchmal denke ich, die einzig richtige Perspektive ist die, einfach da zu sein. Wie Sam es gesagt hatte. Einfach zu fühlen. Und mit sich im Reinen zu sein.

Als ich gestern entlassen wurde, holte mich meine Mutter ab. Es war Nachmittag, und sie fragte mich, ob ich Hunger hätte. Ich sagte Ja. Dann fragte sie mich, worauf ich Lust hätte, und ich sagte, ich würde gern zu McDonald’s, so wie früher, als ich klein war und krank und nicht zur Schule musste. Also fuhren wir dahin. Und es war so schön, mit meiner Mutter zusammen zu sein und Pommes zu essen. Und später am Abend saß ich mit meiner Familie beim Abendessen – und alles war so, wie es immer gewesen ist. Das ist das Erstaunliche daran: Die Dinge laufen einfach weiter. Wir sprachen über nichts Besonderes. Wir saßen einfach nur beisammen. Und das war genug.

Mein Vater ging heute arbeiten. Und meine Mutter nahm meine Schwester und mich mit, um ein paar letzte Besorgungen für meine Schwester zu machen, weil sie ja in ein paar Tagen aufs College geht. Als wir wieder zurück waren, rief ich bei Patrick an, weil er gesagt hatte, dass Sam bis dahin daheim sein müsste. Sam nahm ab – und es war so schön, ihre Stimme zu hören.

Später kamen sie beide mit Sams Pick-up vorbei. Und wir fuhren ins Big Boy, so wie immer. Sam erzählte uns von ihrem Leben im College, das sehr aufregend klang. Und ich erzählte ihr von meinem Leben in der Klinik, von dem man das nicht gerade behaupten konnte. Und Patrick machte Witze, damit wir auch ehrlich blieben. Dann stiegen wir wieder in Sams Pick-up, und genau wie Sam versprochen hatte, fuhren wir Richtung Tunnel.

Etwa eine halbe Meile vor dem Tunnel hielt Sam an, und ich kletterte nach hinten. Patrick drehte das Radio richtig laut, und während wir auf den Tunnel zufuhren, hörte ich der Musik zu und dachte an all die Dinge, die man mir das letzte Jahr über gesagt hatte. Ich dachte an Bill, der mir gesagt hatte, dass ich etwas Besonderes sei. Und an meine Schwester, die mir gesagt hatte, dass sie mich lieb hat. Genau wie meine Mutter. Und selbst mein Bruder und mein Vater, als ich in der Klinik war. Ich dachte an Patrick, der mich seinen Freund genannt hatte. Und ich dachte an Sam, die mir gesagt hatte, dass ich etwas »tun« sollte. Wirklich da sein. Und ich dachte, wie wunderbar es war, Freunde zu haben, und eine Familie.

Als wir dann in den Tunnel fuhren, hob ich nicht meine Arme, als ob ich flöge. Ich ließ mir einfach nur den Wind über das Gesicht streichen. Und ich begann zu weinen und zugleich zu lächeln. Denn ich konnte nicht anders, als tiefe Liebe für Tante Helen zu empfinden, die mir immer zwei Geschenke gekauft hatte. Und ich hoffte so sehr, dass das Geschenk, das ich meiner Mutter zu meinem Geburtstag kaufen würde, etwas Besonderes sein würde. Und ich hoffte so sehr, dass meine Schwester und mein Bruder und Sam und Patrick und alle anderen glücklich sein würden.

Vor allem aber musste ich weinen, weil ich mir plötzlich der Tatsache bewusst wurde, dass ich es war, der dort in dem Tunnel war, den Wind im Gesicht. Und es kümmerte mich nicht, dass ich gleich die Stadt sehen würde. Daran dachte ich nicht einmal. Denn ich war im Tunnel. Und ich war wirklich da. Und das war genug, um mich grenzenlos zu fühlen.

Morgen beginnt mein zweites Jahr an der Highschool. Und ob Du es glaubst oder nicht, ich habe wirklich keine Angst davor. Ich weiß nicht, ob ich dann noch Zeit zum Briefeschreiben haben werde, denn womöglich werde ich zu sehr damit beschäftigt sein, »teilzunehmen«.

Sollte das also mein letzter Brief sein, dann glaub mir bitte, dass es mir gut geht, und auch wenn jetzt noch nicht, dann bestimmt sehr bald.

Und von Dir werde ich dasselbe glauben.

 

Alles Liebe,
Charlie