Nr. 483
Im Zeichen des Ganjos
Ein Fanal flammt auf – und der Planet der Pilger wird zum Hexenkessel
von H. G. EWERS
Auf Terra und den anderen Welten des Solaren Imperiums der Menschheit schreibt man Anfang April des Jahres 3438. Somit halten sich Perry Rhodan und seine 8000 Gefährten seit rund neun Monaten in NGC 4594 oder Gruelfin, der Heimatgalaxis der Cappins, auf.
Für die Terraner und ihr Riesenschiff hatten sich in dieser Zeit eine Unmenge von gefahrvollen Situationen ergeben. Und auch gegenwärtig ist die Lage der MARCO POLO unsicher, wenn auch nicht prekär. Das Ultraträgerschiff hält sich inmitten der Terrosch-Rotwolke auf, umgeben von Tausenden von Roboteinheiten, die nach der Abwehr des Anschlags der Pedolotsen wieder den Befehlen der Urmutter gehorchen.
Roi Danton, in Perry Rhodans Abwesenheit Expeditionschef der MARCO POLO, wartet. Er wartet auf die Rückkehr Rhodans und Atlans sowie deren Pedopartner Ovaron und Merceile – oder wenigstens auf eine Nachricht von den vier Individuen mit den zwei Körpern.
Aber die Männer und Frauen der MARCO POLO bleiben weiter im Ungewissen. Rhodan/Ovaron und Atlan/Merceile können keine Nachricht übermitteln, geschweige denn zur MARCO POLO zurückkehren. Sie sind Gefangene der Pedolotsen, und sie können nicht verhindern, was IM ZEICHEN DES GANJOS geschehen soll ...
Die Hauptpersonen des Romans
Perry Rhodan und Atlan – Der Terraner und der Arkonide sollen getötet werden.
Ovaron und Merceile – Gäste in den Bewusstseinen des Terraners und des Arkoniden.
Avimol – Ein Pilger von Uarte.
Soncopet, Loboruth und Quinfaldim – Avimols Gefährten.
Guvalasch – Anführer der Pedolotsen.
Askosan und Recimoran – Gegner des Kultes der Ganjoprester.
1.
Exegi monumentum aere perennius. – Ich habe ein Denkmal geschaffen dauernder als Erz.
Horaz, Oden 3, 30, 1
Avimol nickte seinen drei Gefährten zu und reihte sich in den langen Pilgerzug ein, der sich langsam über die Straße wälzte, die vom Raumhafen Pedoarla zur Stadt Pedoar führte.
Avimol spürte sein Herz höher schlagen, als er das Meer rosafarbener Pilgerumhänge sah, dazwischen die Inseln aus weißen, gelben und lila Roben der Ganjoprester, die auf dem ARRIVANUM Dienerfunktionen bekleideten.
Die Megaphrans der lila Diener erfüllten die warme Luft mit brüllenden Klängen; dazwischen schmetterten die hellen Töne der Tschreets, und alles wurde untermalt vom dumpfen Trommeln der Buhumbos, die von den weißen Dienern bearbeitet wurden.
Avimol wandte den Kopf und blickte zurück, die staubige Straße entlang, die sie gekommen waren. Er sah die metallisch blinkenden eiförmigen Gebilde von achtzehn Raumschiffen und seitlich davon das Terrassenhotel Epigania, in dem er zusammen mit den Gefährten aus der Heimat wohnte, solange sie auf dem ARRIVANUM weilten.
Unwillkürlich kehrten Avimols Gedanken zurück nach Uarte, seinem Heimatplaneten. Augenblicklich verdüsterte sich sein Gesicht. Das Leben auf Uarte war schwer, entbehrungsreich und gefährlich. Seit das Volk der Ganjasen von den Takerern entmachtet und vertrieben worden war, mussten die Cappins auf Uarte ohne die technische Unterstützung des ehemaligen Reiches auskommen. Zwar hatten sie Mittel und Wege gefunden, sich gegen die zahllosen Gefahren ihrer Welt zu behaupten, aber ihr Leben glich dem von kleinen Nagetieren, die sich ständig verstecken und sich ihre Nahrung unter Lebensgefahr beschaffen mussten.
Avimol seufzte. Einige Pilger von anderen Welten drehten sich nach dem hochgewachsenen, sehnigen Mann von Uarte um. Nachdenkliche, aber auch verächtliche Blicke ruhten sekundenlang auf dem schmalen, edel geformten Gesicht Avimols – verächtliche deshalb, weil sein braunes Haar nicht länger als ein Fingerglied war, obwohl das der ganjasischen Sitte widersprach. Alle Pilger – außer Avimol und seinen drei Gefährten – trugen schulterlanges Haar. Doch auf Uarte hätte langes Haar die ohnehin kurze Lebenserwartung noch mehr herabgesetzt.
»Hast du gesehen?«, flüsterte Soncopet, der narbengesichtige Führer eines Beschaffungstrupps.
Loboruth grunzte verächtlich. Loboruth war klein und stämmig. Seine Stirn wurde von einer fingertiefen blauroten Narbe geschmückt. Es war noch nicht lange her, dass er sie sich im Kampf mit einem Travellor geholt hatte.
»Diese Weichlinge sollten einmal nach Uarte kommen«, sagte er laut genug, dass man es im Umkreis von zehn Schritten hören konnte. »Sie würden schneller sterben, als sie brauchten, um Angst zu bekommen.«
Die Neugierigen wandten sich hastig ab. Man sah Loboruth so deutlich den Kämpfer an, dass niemand die geringste Lust verspürte, es auf einen Streit ankommen zu lassen.
Quinfaldim, der dritte Gefährte Avimols, grinste dünn. Der Schweiß rann über sein feistes Genick, und es sah so aus, als müsste er seinen abnorm großen Schädel ständig auf dem Hals balancieren, damit er nicht herabfiele. Auch der übrige Körper Quinfaldims unterschied sich erheblich von denen der anderen drei Uarter; es gab sogar Ansätze von Speck. Für Außeneinsätze auf Uarte wäre Quinfaldim nicht geeignet gewesen, doch seine Fähigkeit der Erfolgsvoraussage hatte ihm seine Sonderstellung innerhalb der Sumpfinselgruppe Banaveld eingebracht.
Der Pilgerzug geriet ins Stocken, als er einen großen freien Platz erreichte. Mitten auf dem Platz erhob sich ein schlanker Obelisk aus rötlichblau schimmerndem Stahl, über dem sich wie eine Haut ein flimmernder Konturschirm spannte.
Avimol schätzte den Obelisken auf eine Höhe von ungefähr sechshundert Schrittweiten; die Kantenlänge der quadratischen Grundplatte mochte achtzig Schritte betragen. Für einen Ganjasen von Uarte war das ein gigantisches Bauwerk, aber es war nichts im Vergleich zum Ovarasch, der sogar aus dieser Entfernung imposant über die Tempeldächer der Stadt Pedoar ragte.
Die Töne der Megaphrans, Tschreets und Buhumbos verstummten, als die Pilger einen Halbkreis um den kleineren Obelisken gebildet hatten. Avimol reckte den Hals und entdeckte vor dem Bauwerk eine in etwa zehn Schritt Höhe schwebende Plattform, auf der ein Mann unbeweglich wartete.
Der Mann trug eine purpurrot leuchtende, bis zu den Füßen fallende Robe.
Ein Seufzen ging durch die Menge.
Ein Pedolotse!
Tiefe Ehrfurcht erfüllte Avimol. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie schon hier von einem der sagenhaften Pedolotsen empfangen würden.
Zugleich mit der Ehrfurcht spürte der Uarter seine jähe Sorglosigkeit, die ihn zuerst erschreckte, denn ein Uarter durfte niemals sorglos werden, wenn er überleben wollte. Dann erinnerte er sich daran, dass er auf dem geheiligten Boden des ARRIVANUMS stand, auf dem niemandem ein Leid geschehen konnte, und er gab sich willig der ungewohnten Euphorie hin.
Ein Gongschlag hallte durch die Stille des sonnendurchglühten Vormittags, dann begann der Pedolotse zu sprechen. Er verkündete die baldige Heimkehr des Ganjos und sprach von einem Fanal, das diese Heimkehr ankündigen würde. Das Fanal selbst beschrieb er nicht, aber er erklärte, dass es von jedem beliebigen Ort des ARRIVANUMS gleichzeitig zu sehen sein würde; desgleichen sollte jeder Cappin aus dem Volk der Ganjasen es in sich spüren, wie tief im Weltraum er sich auch befände oder wo in der Galaxis Gruelfin er gerade weilte.
In Avimol entbrannte ein Streit zwischen der Kraft der Euphorie, die seine Kritikfähigkeit einschränkte, und dem instinktiv abwägenden Urteilsvermögen des Biotarn-Technikers. Der Uarter wollte gern glauben, was der Pedolotse dort auf der Antigravplattform sagte, aber gleichzeitig war das seinem scharfen Verstand nicht möglich.
Avimol blickte seine Gefährten an und erkannte in ihren Gesichtern ähnliche Gefühle. In Loboruths Gesicht stand sogar ironische Missbilligung, zweifellos, weil er als Kämpfer nicht die wissenschaftliche Qualifikation besaß, die ihn befähigte, im unmöglich Scheinenden die Ansätze des möglich sein Könnenden zu erkennen. Es gab nicht viel, das man als absolut unmöglich abtun konnte, wenn man genau und wissenschaftlich nachdachte; alles stand in Relation zu den Mitteln, mit denen man ein Ziel anstrebte.
Trotz dieser Überlegung empfand Avimol bei den Worten des Pedolotsen eine quälende innere Zerrissenheit, die ihn daran hinderte, in ekstatischen Beifall auszubrechen wie die meisten Pilger.
Nach der Ansprache formierten sich die Pilger wieder zu einem geordneten Zug, der sich nur sehr langsam auf die Stadt Pedoar zu bewegte. Avimol hätte mühelos viermal so schnell gehen können, aber man musste Rücksicht auf die Pilger nehmen, die von Welten mit geringerer Schwerkraft und milderem Klima kamen.
Soncopet und Loboruth unterhielten sich flüsternd. Quinfaldim hielt geistesabwesend das Marschtempo; sein Schädel schwankte leicht, und die flirrende Hitze des späten Vormittags ließ den Strom der Schweißperlen, die seinen Nacken herabrannen, niemals versiegen.
Avimol dagegen fühlte sich eigenartig leicht. Ihn störte die starke Sonnenstrahlung nicht, denn sie befanden sich auf einer Hochebene, und hin und wieder kam ein erfrischender Lufthauch aus der Richtung, in der das Grüne Meer am nächsten lag. Links und rechts der Straße erstreckten sich weite Flächen blühender Vegetation, in allen Farben prangende Blumen und verschwenderisch blühende Sträucher und Bäume. Manchmal brachte ein Luftzug Wolken von Pollen und berauschenden Düften herüber.
Als die Sonne Hyron am höchsten stand, schleppte sich der Pilgerzug gleich einem müden Tausendfüßler zwischen den Tempelbauten und den anderen Bauwerken Pedoars dahin.
Weiße Diener führten die Pilger in den kühlen Schatten eines Tempels, damit sie sich ausruhen und erfrischen konnten. Die Große Versammlung beim Ovarasch sollte erst gegen Abend stattfinden. Soncopet und Loboruth waren zu sehr daran gewöhnt, ihre Kräfte nicht unnötigerweise zu beanspruchen, als dass sie auf Avimols Vorschlag eingingen, ein wenig durch die Stadt zu schlendern. Quinfaldim wäre ohnehin nicht dazu zu bewegen gewesen; der lange Marsch hatte ihn erschöpft.
So trat denn Avimol allein wieder aus dem Schatten des Tempels. Er befand sich noch immer in gehobener Stimmung, zu der wohl auch die Tatsache beitrug, dass es auf dem ARRIVANUM keine Gefahren gab, vor denen man auf der Hut sein musste. Avimol empfand es als wohltuend, nicht ständig auf optische Eindrücke, Geräusche und Gerüche lauern zu müssen, die ihm die Nähe von Gefahr verrieten.
Unterwegs stieß er auf andere Pilgergruppen, die ebenfalls in den Tempel geführt wurden. Dazwischen bewegten sich Tausende von höheren Ganjoprestern in ihren wallenden Roben gemessenen Schrittes durch die Straßen.
Zwischen den Tempelbauten lagen große Gärten, in denen die niedersten Diener die automatischen Pflege- und Pflanzungsanlagen steuerten und kontrollierten. Sprenganlagen berieselten die Gemüsepflanzungen und hüllten sie in dampfartige Wasserschleier, kleine künstlich angelegte Bäche glucksten und plätscherten zwischen den Gehölzgruppen und Blumenhügeln dahin, und zahllose Insekten weideten auf den duftenden Blüten.
Avimol betrat einen Garten, der eher wie ein Park angelegt war. Auf einer Bank in der Nähe eines Springbrunnens ließ er sich nieder, legte seine Biotarn-Ausrüstung neben sich und lehnte sich entspannt zurück.
Es wird Zeit, dass der Ganjo heimkehrt, dachte er bei sich. Nur er kann das Ganjasische Reich erneuern. Dann wird auch Uarte ein Planet werden, auf dem die Geburtenrate höher als die Sterberate liegt und auf dem man weiter als von einer Stunde zur anderen planen kann.
Avimol wurde durch die Sicherheit seiner Umgebung in leichten Schlaf versetzt. Dennoch war er sofort hellwach, als er das Geräusch von Schritten hörte. Er öffnete die Augen, ohne sich zu bewegen; seine Muskeln spannten und entspannten sich abwechselnd, um für den Kampf bereit zu sein.
Dann fiel ihm wieder ein, wo er war, und er lächelte. Inzwischen hatte er auch erkannt, dass ein humanoides Lebewesen von etwa dem gleichen Körpergewicht wie er schräg von hinten über den kurzgeschnittenen Rasen langsam an ihn herankam. Am Geruch erkannte er, dass es sich um ein männliches Exemplar handelte, das saubere Kleidung trug und sich regelmäßig wusch. Er wandte den Kopf und erblickte einen hochgewachsenen Mann mit schwarzem Haar. Der Mann war ein einfacher Ganjoprester wie er, wie sein rosafarbener Umhang auswies.
Als Avimols Blick auf ihn fiel, verzog er das Gesicht zu einem höflichen Lächeln.
»Gruß dir, Bruder Pilger«, sagte er. »Gestattest du, dass ich mich ein wenig zu dir setze?«
Avimol rückte etwas zur Seite.
»Bitte, Bruder Pilger«, antwortete er. »Mein Name ist Avimol; ich komme von Uarte.«
Der andere blieb neben der Bank stehen.
»Verzeih mir, Bruder Avimol. Ich hätte mich zuerst vorstellen müssen. Mein Name ist Askosan.«
Askosan setzte sich und fragte: »Wie ich sehe, bist du ein Uarter. Was denken die Brüder und Schwestern auf deiner Welt über die bevorstehende Ankunft des Ganjos?«
Avimol musterte das Gesicht Askosans. Die Frage des andern erschien ihm eigenartig. Allein schon, dass jemand eine solche Frage stellte, zeugte von unzulässigen Zweifeln – und wie er sie stellte ...!
»Meine Heimat ist Uarte«, antwortete er. »Ganjo wird kommen, wenn die Zeit reif ist. Was also bezweckst du mit deiner Frage, Bruder Askosan?«
Askosan lehnte sich zurück, ein ironisches Lächeln auf den Lippen. »Du hast, ohne es zu wissen, meine Frage schon beantwortet, Bruder Avimol, denn was soll der ganze kultische Aufwand, wenn der Ganjo ohnehin zu seiner vorbestimmten Zeit kommen wird?«
Avimols Haltung versteifte sich.
»Sie sind kein Pilger«, sagte er unfreundlich. »So wie Sie kann nur ein Perdaschist reden.«
»Ganz recht, Avimol, ich bin kein ›Bruder Pilger‹, sondern ein Gegner der Pedolotsen.«
*
Avimols Gedanken jagten sich. Er sah sich plötzlich in eine Situation gestellt, in der ihm alle seine Erfahrungen nichts halfen.
Er wusste, die Perdaschisten waren die Mitglieder einer Widerstandsbewegung, die sich gegen die Macht der Pedolotsen und den Einfluss der Ganjoprester richtete. Diese Bewegung existierte seit Jahrtausenden. Aber auf Uarte hatte man noch keine Aktivität der Perdaschisten bemerkt, und mit Sicherheit gab es dort keine Anhänger dieser Bewegung.
Deshalb zögerte Avimol, einen Cappin, der zwar im gegnerischen Lager stand, ihm jedoch nicht gefährlich werden konnte, anzugreifen.
Schließlich brach Askosan das ungemütliche Schweigen.
»Ich wusste, dass ein Uarter nicht so leicht in Panik gerät; deshalb wandte ich mich an Sie, Avimol. Ihr Schweigen beweist mir allerdings, dass Sie keine rechte Vorstellung von den Zielen des Perdaschismus haben.«
»Er ist eine Sekte von Zweiflern«, gab Avimol zurück, aber im gleichen Augenblick stufte sein wissenschaftlich geschulter Geist seine Erwiderung als oberflächlich ein.
»Wir zweifeln nicht alles an, Avimol«, sagte der Perdaschist ruhig. »Wir glauben beispielsweise ebenfalls an die Heimkehr des Ganjos und haben uns die Mühe gemacht, den ungefähren Zeitpunkt seiner Ankunft auf dem ARRIVANUM durch eine Wahrscheinlichkeitsrechnung zu ermitteln.«
Avimol erwiderte nichts darauf. Dennoch war er jetzt stärker daran interessiert, dem anderen zuzuhören, als das noch vor kurzem der Fall gewesen war.
»Der Ganjo ...«, erklärte Askosan, »... hätte vor frühestens zehn ARRIVANUM-Jahren ankommen müssen, denn wir errechneten eine Toleranzspanne von plus minus fünf Jahren, und die Plusspanne läuft übermorgen ab.«
Avimols Zurückhaltung wandelte sich nun in offene Interessiertheit. Zugleich entspannte sich sein Körper.
»Übermorgen ...?«, fragte er atemlos. »Dann kann der Ganjo jeden Augenblick auf dem ARRIVANUM ankommen! Aber, wenn Sie das ausgerechnet haben, warum sind Sie dann gegen uns Ganjoprester?«
Askosan lächelte entspannt. Seine Rechte, die in einer Tasche des Umhangs bislang eine kleine Schockwaffe umspannt gehalten hatte, öffnete sich.
»Wir Perdaschisten sind nicht gegen die Ganjoprester, sondern nur dagegen, dass ihr Einfluss auf die Politik an der offiziellen Regierung überwiegt, und das vor allem deswegen, weil wir wissen, dass die Pedolotsen, die dem Kultverband vorstehen, ihre Macht zu ihrem persönlichen Vorteil missbrauchen.«
Avimol schloss die Augen, um den ungeheuerlichen Vorwurf zu überdenken, den der Perdaschist da eben gegen die Führungsspitze des Kults erhoben hatte, dem er, Avimol, selber angehörte.
Als Avimol trotz allen Nachdenkens keine Argumente fand, die schwer genug gewogen hätten, den Vorwurf Askosans völlig zu entkräften, wurde der Uarter unsicher.
Ihm fiel wieder ein, wie bedrückend und irritierend für ihn immer die mit Pathos und Schlagworten angefüllten Zeremonien seines Kultes gewesen waren. Bisher hatte er das für ein notwendiges Übel gehalten, dazu gedacht, Ganjasen niedriger Bildungsstufe mit gläubiger Hoffnung zu erfüllen und ihnen jenen Willen zum Ausharren zu vermitteln, der bei ihnen mit rationalen Argumenten nicht zu erzielen gewesen wäre.
Doch nun wurde ihm klar, dass man die kultischen Zeremonien auch anders auslegen konnte, als nivellierende Beeinflussung nämlich, die den Zweck hatte, die Masse der Ganjoprester zu Hörigen des Kultes zu machen.
»Macht ist immer in Gefahr, missbraucht zu werden«, murmelte er schließlich. »Doch woher wollen Sie, Askosan, wissen, dass die Pedolotsen ihre Macht missbrauchen?«
»Der Perdaschismus richtet sich nicht gegen unsere offizielle Regierung«, erklärte er mit spröder Stimme. »Dennoch wurden wir, solange unsere Aufzeichnungen reichen, verfolgt und dezimiert, und jedes Mal waren es die Exekutivorgane der offiziellen Regierung, die gegen uns vorgingen, weil man ihnen vorspiegelte, die und die Ganjasen planten einen Sturz der Regierung oder die und die Planeten würden gegen die Regierung revoltieren.«
Er hob seine Stimme.
»In vielen Fällen traten Ganjoprester als Perdaschisten auf, zettelten einen Aufruhr an und provozierten so die Exekutivorgane der Regierung zu Maßnahmen gegen unsere Organisation. Dabei haben wir uns stets an das Prinzip des gewaltlosen Widerstandes gehalten. Unsere Aktionen bestehen in Aufklärungskampagnen über die wirklichen Ziele der Pedolotsen, in der Gegenpropaganda unter den Ganjoprestern und in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den pseudoreligiösen Auswüchsen des Kultes.«
Avimol runzelte die Stirn.
Was Askosan vorgebracht hatte, klang einleuchtend, aber woher sollte er wissen, ob es den Tatsachen entsprach? Dazu gehörten Beweise, und das Wort allein war kein Beweis.
»Woher soll ich wissen, ob Sie mich nicht angelogen haben, Askosan?«, fragte der Uarter.
»Eine gute Frage«, erwiderte der Perdaschist gelassen. »Es lässt sich nicht allein beweisen, was ich Ihnen gesagt habe, doch falls Sie bereit wären, an einer geheimen Zusammenkunft unserer Organisation teilzunehmen, könnten Sie noch heute einige Beweise erhalten.«
Askosan zögerte und fügte dann mit verstecktem Lächeln hinzu: »Allerdings ist es nicht ungefährlich, an einer geheimen Zusammenkunft einer verbotenen Organisation teilzunehmen ...«
Avimol reagierte, wie er es von einem Uarter erwartet hatte. Er erhob sich und sagte kühl: »Ich fürchte die Gefahr nicht und bin bereit, an einer Zusammenkunft teilzunehmen.«