Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2009
Copyright © 2006 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Deutschsprachige Erstveröffentlichung 1996
Copyright © 1996 by Ullstein GmbH, Frankfurt/Main, Berlin
Titel der amerikanischen Originalausgabe «The Last Don» (Random House Inc., New York)
Copyright © 1996 by Mario Puzo
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ISBN Printausgabe 978-3-499-24823-8 (1. Auflage 2009)
ISBN E-Book 978-3-644-41761-8
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-41761-8
für
Virginia Altman, Domenick Cleri
Quogue · 1965
Am Palmsonntag, ein Jahr nach dem Großen Krieg gegen die Santadios, feierte Don Domenico Clericuzio die Taufe zweier Neugeborener aus dem Kreis seiner Blutsverwandten und traf die wichtigste Entscheidung seines Lebens. Er lud die größten Familienchefs von Amerika zu sich ein, dazu Alfred Gronevelt, den Eigentümer des Hotels Xanadu in Vegas, und David Redfellow, der sich in den Vereinigten Staaten ein riesiges Drogenimperium aufgebaut hatte. Sie alle waren mehr oder weniger seine Partner.
Nun wollte das mächtigste Familienoberhaupt Amerikas, Don Clericuzio, seine Macht abtreten – nach außen hin. Es wurde Zeit, mit anderen Karten zu spielen; demonstrative Macht war zu gefährlich. Der Machtwechsel an sich barg jedoch einige Gefahren. Deswegen musste er äußerst behutsam und mit großem Wohlwollen vorgehen. Und zwar auf eigenem Grund und Boden, im Zentrum seiner Macht.
Das Anwesen der Clericuzios in Quogue war zwanzig Morgen groß und von einer drei Meter hohen roten, mit Stacheldraht und elektronischen Sensoren bewehrten Mauer umgeben. Auf diesem Areal lagen außer dem Herrenhaus die Villen seiner drei Söhne sowie zwanzig kleinere Häuser für zuverlässige Gefolgsleute der Familie.
Bevor die geladenen Gäste eintrafen, setzte sich der Don im Spaliergarten hinter dem Herrenhaus mit seinen Söhnen an einem weißen gusseisernen Tisch zusammen. Giorgio, der älteste, war hochgewachsen, trug einen kleinen, flotten Schnurrbart und besaß die schlaksige Figur eines britischen Gentlemans, die er mit maßgeschneiderten Anzügen noch betonte. Er war siebenundzwanzig, verschlossen, hatte einen scharfen Verstand und harte Gesichtszüge. Der Don teilte Giorgio mit, dass er sich um die Aufnahme in die Wharton School of Business bewerben solle, um alle Tricks zu erlernen, mit deren Hilfe man Geld stehlen könne, ohne das Gesetz zu übertreten.
Giorgio erhob keine Einwände; dieser Befehl seines Vaters kam einem königlichen Edikt gleich und stand nicht zur Diskussion. Also nickte er gehorsam.
Nun wandte sich der Don an seinen Neffen Joseph «Pippi» De Lena. Der Don liebte Pippi ebenso wie seine Söhne, denn Pippi war nicht nur sein Blutsverwandter – der Sohn seiner verstorbenen Schwester –, sondern auch der große General, der die brutalen Santadios besiegt hatte.
«Du gehst nach Las Vegas», bestimmte er. «Dort kümmerst du dich um unsere Beteiligung am Xanadu. Da unsere Familie sich aus allen aktiven Unternehmungen zurückzieht, wird es hier nicht mehr so viel zu tun geben. Aber du wirst der Hammer der Familie bleiben.»
Wie er sah, war Pippi nicht sehr glücklich darüber, also musste er ihm Gründe nennen. «Nalene, deine Frau, kann unmöglich im Dunstkreis der Familie leben, sie kann hier in der Bronx-Enklave nicht bleiben. Sie ist einfach zu anders. Die Leute können sie nicht akzeptieren. Baut euch ein neues Leben auf, fern von uns.» Der Don hatte recht, aber er hatte noch einen anderen Grund. Pippi war der große Held und General der Familie Clericuzio, und wenn er weiterhin «Bürgermeister» der Bronx-Enklave blieb, würde er nach dem Tod des Don zu viel Macht in seiner Hand vereinigen.
«Du wirst mein bruglione im Westen sein», erklärte er Pippi. «Du wirst reich werden. Aber es warten dort auch wichtige Aufgaben auf dich.»
Er überreichte Pippi die Eigentumsurkunden für ein Haus in Las Vegas und eine blühende Inkasso-Agentur. Dann wandte sich der Don seinem jüngsten Sohn Vincent zu, einem jungen Mann von fünfundzwanzig Jahren. Er war kleiner als die anderen, dafür aber gebaut wie ein wuchtiger Schrank. Er war wortkarg und besaß ein weiches Herz. Schon auf den Knien seiner Mutter hatte er alle Gerichte der italienischen Bauernküche gelernt und, als seine Mutter in jungen Jahren starb, die bittersten Tränen von allen vergossen.
Der Don lächelte ihm zu. «Ich werde jetzt über dein Schicksal entscheiden und dich auf den rechten Weg schicken», sagte er. «Du wirst das beste Restaurant von ganz New York eröffnen. Du sollst keine Kosten scheuen. Ich will, dass du den Franzosen zeigst, was gute Küche wirklich ist.» Pippi und die anderen Söhne lachten, sogar Vincent rang sich ein Lächeln ab. Der Don lächelte ebenfalls. «Ein Jahr lang wirst du die besten Kochschulen Europas besuchen.»
Vincent war zwar aufrichtig erfreut, knurrte aber missmutig: «Was können die mir schon beibringen?»
Der Don warf ihm einen strengen Blick zu. «Deine Pasteten könnten besser sein», bemerkte er. «Vor allem aber sollst du lernen, wie man ein solches Unternehmen führt. Wer weiß, vielleicht gehört dir eines Tages eine ganze Kette von Restaurants. Giorgio wird dir das nötige Geld geben.»
Schließlich wandte sich der Don an Petie. Petie war der zweitälteste und fröhlichste seiner Söhne. Er war freundlich, trotz seiner sechsundzwanzig Jahre kaum mehr als ein Knabe, aber der Don wusste, dass er viel von den sizilianischen Clericuzios hatte.
«Petie», begann der Don, «da Pippi nun im Westen lebt, wirst du Bürgermeister der Bronx-Enklave. Du wirst der Familie die Soldaten stellen. Darüber hinaus aber habe ich für dich ein Bauunternehmen gekauft, ein sehr großes. Du sollst die Wolkenkratzer von New York instand setzen, Kasernen für die Staatspolizei bauen, die Straßen der Stadt pflastern. Die Firma ist bestens gesichert, doch ich erwarte von dir, dass du ein Spitzenunternehmen daraus machst. So gehen deine Soldaten einer legalen Arbeit nach, und du verdienst eine Menge Geld. Zunächst absolvierst du bei dem Mann, dem die Firma jetzt gehört, eine Lehre. Aber vergiss nicht, dass es deine oberste Pflicht ist, der Familie die Soldaten zu liefern und ihnen Befehle zu erteilen.» Er wandte sich an Giorgio.
«Giorgio», sagte der Don, «du wirst mein Nachfolger. Du und Vinnie, ihr sollt nicht mehr in jenem Bereich der Familie arbeiten, der gefährlich werden kann, es sei denn, es geht nicht anders. Wir müssen Vorsorge treffen. Deine Kinder, meine Kinder und die beiden Kleinen, Dante und Croccifixio, dürfen nicht in so einer Welt aufwachsen. Wir sind reich, wir brauchen unser Leben nicht mehr aufs Spiel zu setzen, um unser täglich Brot zu verdienen. Von nun an wird unsere Familie den anderen Familien nur noch als Berater in finanziellen Angelegenheiten dienen. Wir werden sie politisch unterstützen und ihre Auseinandersetzungen schlichten. Dazu brauchen wir allerdings eine einsatzfähige Truppe. Außerdem müssen wir das Geld der anderen beschützen, und dafür werden sie gestatten, dass wir uns bei ihnen den Schnabel netzen.»
Er machte eine kleine Pause. «In zwanzig, dreißig Jahren sind wir alle in der legalen Welt aufgegangen und können furchtlos unseren Reichtum genießen. Die beiden Kinder, die wir heute taufen, werden weder solche Sünden wie wir begehen noch solche Gefahren auf sich nehmen müssen.»
«Wozu dann noch die Bronx-Enklave?», fragte Giorgio.
«Wir hoffen zwar, eines Tages Heilige zu sein», gab der Don zurück, «aber Märtyrer werden wir auf keinen Fall.»
Eine Stunde später stand Don Clericuzio auf dem Balkon seines Hauses und beobachtete die Festlichkeiten unten im Garten.
Auf dem weiten Rasen, übersät von Picknicktischen und flügelähnlichen grünen Sonnenschirmen, hatten sich etwa zweihundert Gäste versammelt, viele von ihnen Soldaten aus der Bronx-Enklave. Taufen waren gewöhnlich Freudenfeste, heute war die Stimmung jedoch gedämpft.
Der Sieg über die Santadios war die Clericuzios teuer zu stehen gekommen. Der Don hatte seinen Lieblingssohn Silvio verloren und seine Tochter Rose Marie den Ehemann.
Jetzt beobachtete er, wie die Menschen sich um die langen Tafeln drängten, auf denen Kristallkaraffen mit tiefrotem Wein, weiße Schüsseln mit verschiedenen Suppen, Pasta in jeder nur erdenklichen Form, Platten mit verschiedenen Fleisch- und Käsesorten und knusprig frische Brote in allen Größen und Formen warteten. Vorübergehend ließ er sich von der sanften Musik der kleinen Band umschmeicheln, die im Hintergrund aufspielte.
Unmittelbar im Mittelpunkt der Picknicktische entdeckte der Don die beiden Kinderwagen mit den blauen Babydecken. Wie tapfer die beiden Kleinen waren, nicht einmal gezuckt hatten sie, als sie mit Taufwasser übergossen wurden. Neben ihnen standen die beiden Mütter: Rose Marie und Nalene De Lena, Pippis Frau. Er konnte die Babygesichter sehen, vom Leben noch so unberührt: Dante Clericuzio und Croccifixio De Lena. Es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese beiden Kinder beim Verdienen ihres Lebensunterhaltes niemals leiden mussten. Wenn er das schaffte, wäre ihr Eintritt in die reguläre Gesellschaft dieser Welt gesichert. Seltsam, dachte er, dass es unter den Gästen keinen Mann gibt, der den Kindern die Ehre erweist.
Jetzt sah er, wie Vincent, der sonst immer finster dreinblickte, ein paar kleine Kinder an einem Hot-Dog-Wagen versorgte, den er für dieses Fest hatte bauen lassen. Er ähnelte den Hot-Dog-Wagen auf den Straßen von New York, nur dass er größer war, einen bunteren Sonnenschirm hatte und dass Vincent bessere Zutaten verwandte. Er trug eine blütenweiße Schürze und dekorierte seine Hot Dogs mit Sauerkraut und Senf, mit roten Zwiebeln und scharfer Sauce. Jedes Kind musste ihm für einen Hot Dog einen Kuss auf die Wange geben. Denn trotz seiner rauen Schale war Vincent der weichherzigste seiner Söhne.
Auf dem Bocciaplatz spielte Petie mit Pippi De Lena, Virginio Ballazzo und Alfred Gronevelt. Petie war ein Witzbold, der ständig Dummheiten im Kopf hatte, was dem Don im Grunde nicht gefiel, weil er es für gefährlich hielt. Selbst jetzt störte Petie das Spiel mit seinen Tricks, denn eine der Bocciakugeln explodierte nach dem ersten Schlag.
Virginio Ballazzo war der Unterboss des Don, ein Manager der Familie Clericuzio. Er war ein temperamentvoller Mann und tat so, als jage er Petie nach, der wiederum so tat, als laufe er vor ihm davon. Welche Ironie!, dachte der Don. Sein Sohn Petie war ein geborener Mörder, und auch der verspielte Ballazzo erfreute sich eines gewissen Rufs.
Aber beide waren sie Pippi nicht gewachsen.
Der Don bemerkte die Blicke, mit denen die Frauen unter den Gästen Pippi musterten. Bis auf die beiden Mütter, Rose Marie und Nalene. Er sah so umwerfend gut aus! Ebenso hochgewachsen wie der Don, war sein Körper muskulös und kraftvoll, sein Gesicht brutal, aber gutaussehend. Doch auch viele Männer beobachteten ihn, einige davon Soldaten aus der Bronx-Enklave, sie bemerkten seine befehlsgewohnte Art und die geschmeidigen Bewegungen seines Körpers, sie wussten, wer er war: eine Legende, der Hammer, der beste aller qualifizierten Männer.
David Redfellow, jung, mit rosigen Wangen, mächtigster Drogendealer von Amerika, kniff die beiden Babys in den Kinderwagen in die Wangen. Und Alfred Gronevelt, noch immer in Jackett und Krawatte, fühlte sich recht unwohl bei diesem ihm fremden Spiel. Gronevelt war genauso alt wie der Don, fast sechzig.
Und heute wollte Don Clericuzio ihrer aller Leben verändern – zum Besseren, wie er hoffte.
Giorgio trat auf den Balkon, um ihn zur ersten Besprechung dieses Tages zu rufen. Zu dieser Sitzung kamen die zehn Mafiachefs im Herrenzimmer der Villa zusammen. Giorgio hatte sie bereits von Don Clericuzios Angebot in Kenntnis gesetzt. Die Taufe war eine ausgezeichnete Tarnung für das Treffen, aber gesellschaftlich verband sie nichts mit den Clericuzios, und sie wollten so schnell wie möglich wieder verschwinden.
Das Herrenzimmer der Clericuzios war ein fensterloser Raum mit schweren Möbeln und einer Bar. Alle zehn Männer an dem riesigen Konferenztisch aus dunklem Marmor machten ernste Gesichter. Sie begrüßten Don Clericuzio einer nach dem anderen und warteten anschließend gespannt auf das, was er ihnen zu sagen hatte.
Don Clericuzio rief seine Söhne Vincent und Petie, seinen Geschäftsführer Ballazzo und Pippi De Lena herein. Sobald sie den Raum betreten hatten, begann Giorgio, eiskalt und ironisch, mit einer kurzen Einführung.
Don Clericuzio beobachtete die Gesichter der Männer, die da vor ihm saßen, die mächtigsten Männer der illegalen Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die wahren Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen.
«Mein Sohn Giorgio hat Sie darüber informiert, wie alles geschehen soll», sagte er. «Mein Vorschlag ist Folgender: Ich ziehe mich aus all meinen Beteiligungen bis auf das Glücksspiel zurück. Meine Geschäfte in New York überlasse ich meinem alten Freund Virginio Ballazzo. Er wird eine eigene Familie gründen und nicht mehr von den Clericuzios abhängig sein. Meine Beteiligungen an den Gewerkschaften, am Transportwesen, an Alkohol, Tabak und Drogen im übrigen Land trete ich an Ihre Familien ab. Meine Beziehungen zum Rechtswesen stehen Ihnen ständig zur Verfügung. Dafür verlange ich, dass Sie mir die Verwaltung Ihrer Einkünfte übertragen. Ich werde sie sicher anlegen, und Sie können jederzeit darauf zurückgreifen. Dass die Regierung diesem Geld auf die Spur kommen könnte, brauchen Sie nicht zu befürchten. Als Gegenleistung verlange ich lediglich eine Provision von fünf Prozent.»
Das war ein Traumvertrag für die zehn Bosse. Sie waren den Clericuzios dankbar dafür, dass sie sich zurückzogen, obwohl es der Familie ein Leichtes gewesen wäre, die Kontrolle ganz zu übernehmen und ihre Imperien zu vernichten.
Vincent ging um den Tisch herum und schenkte allen ein wenig Wein ein. Dann hoben die Männer das Glas und tranken auf den Ruhestand des Don.
Nachdem sich die Mafiabosse feierlich verabschiedet hatten, wurde David Redfellow von Petie hereingeführt und nahm in dem Ledersessel dem Don gegenüber Platz. Vincent servierte ihm ein Glas Wein. Redfellow unterschied sich von den anderen Männern nicht nur durch seine langen blonden Haare, sondern auch durch einen Brillantohrring und seinen sauberen, gebügelten Jeansanzug. Er war skandinavischer Abstammung, hatte klare blaue Augen, trug stets eine fröhliche Miene zur Schau, war witzig und schlagfertig.
Der Don war David Redfellow großen Dank schuldig, denn er hatte bewiesen, dass gesetzestreue Behörden im Zusammenhang mit Drogen bestochen werden konnten.
«David», sagte Don Clericuzio, «Sie ziehen sich aus dem Drogenhandel zurück. Ich habe etwas Besseres für Sie.»
Redfellow erhob keine Einwände. «Warum jetzt?», fragte er den Don.
«Erstens», antwortete dieser, «verwendet die Regierung zu viel Zeit und Mühe auf dieses Geschäft. Sie müssten bis an Ihr Lebensende in Angst und Sorge leben. Aber wichtiger noch, es ist zu gefährlich geworden. Mein Sohn Petie und seine Soldaten haben Ihnen als Leibwächter gedient. Das kann ich nicht länger zulassen. Die Kolumbianer sind zu wild, zu tollkühn, zu gewalttätig. Sollen die den Drogenhandel übernehmen. Sie ziehen sich nach Europa zurück. Ich selbst sorge für Ihren Schutz dort. Sie könnten in Italien eine Bank erwerben und in Rom Ihren Wohnsitz nehmen. Wir werden eine Menge Geschäfte dort abzuwickeln haben.»
«Großartig», gab Redfellow zurück. «Ich spreche nicht Italienisch, und ich habe keine Ahnung vom Bankgeschäft.»
«Das werden Sie alles lernen», erwiderte Don Clericuzio. «Und Sie werden ein glückliches Leben führen in Rom. Wenn Sie unbedingt wollen, können Sie natürlich auch hierbleiben, aber dann werde ich Sie nicht länger unterstützen, und Petie wird Ihr Leben nicht mehr beschützen. Sie können wählen.»
«Wer wird meine Geschäfte übernehmen?», fragte Redfellow. «Bekomme ich eine Abfindung?»
«Ihre Geschäfte werden die Kolumbianer übernehmen», antwortete der Don. «Das lässt sich nicht verhindern, das ist der Lauf der Geschichte. Doch die Regierung wird ihnen das Leben zur Hölle machen. Also, was ist – ja oder nein?»
Redfellow überlegte einen Moment und lachte dann. «Wann soll ich anfangen?»
«Giorgio wird Sie nach Rom begleiten und mit meinen Leuten dort bekannt machen», sagte der Don. «Und außerdem wird er Sie ständig beraten.»
Der Don umarmte David Redfellow. «Ich danke Ihnen, dass Sie meinen Rat angenommen haben. Wir werden auch in Europa noch Partner sein, und glauben Sie mir, dort lässt es sich sehr schön leben.»
Nachdem David Redfellow gegangen war, bestellte der Don Alfred Gronevelt ins Herrenzimmer. Als Besitzer des Hotels Xanadu in Vegas hatte Gronevelt unter dem Schutz der inzwischen ausgelöschten Familie der Santadios gestanden.
«Mr. Gronevelt», sagte der Don, «Sie werden das Hotel unter meinem Schutz weiterführen. Sie haben nichts zu befürchten, weder für sich noch für Ihr Eigentum. Sie werden einundfünfzig Prozent des Hotels behalten. Ich selbst übernehme die neunundvierzig Prozent, die zuvor den Santadios gehört haben, und lasse mich durch dieselbe Anwaltsfirma vertreten. Sind Sie damit einverstanden?»
Gronevelt war trotz seines Alters ein Mann von Würde und körperlicher Ausstrahlung. Behutsam gab er zurück: «Wenn ich bleibe, will ich das Hotel mit derselben Autorität wie früher betreiben. Sonst verkaufe ich Ihnen meinen Anteil.»
«Verkaufen – eine Goldgrube?», fragte der Don ungläubig. «Nein, nein, von mir haben Sie nichts zu befürchten. Ich bin vor allem anderen Geschäftsmann. Wären die Santadios maßvoller gewesen, wären all diese schrecklichen Dinge nicht geschehen. Jetzt existieren sie nicht mehr. Doch Sie und ich, wir sind vernünftige Menschen. Meine Vertreter erhalten die Prozente der Santadios. Und Joseph De Lena, Pippi, wird der Respekt entgegengebracht werden, der ihm gebührt. Er wird im Westen mein bruglione sein, mit einem Gehalt von einhunderttausend pro Jahr, bezahlt von Ihrem Hotel in der Form Ihrer Wahl. Sollten Sie mit irgendjemandem Probleme haben, wenden Sie sich an ihn. In Ihrer Branche gibt es ja immer wieder Probleme.»
Gronevelt, ein hochgewachsener, magerer Mann, wirkte gelassen. «Warum bevorzugen Sie mich? Sie haben andere, einträglichere Möglichkeiten.»
«Weil Sie ein Genie in Ihrem Beruf sind», antwortete Don Domenico ernst. «Das sagen alle in Las Vegas. Und um Ihnen meine Wertschätzung zu beweisen, erhalten Sie von mir eine Gegenleistung.»
Gronevelt lächelte. «Sie haben mir schon genug gegeben. Mein Hotel. Was könnte sonst noch wichtig sein?»
Der Don schenkte ihm ein wohlwollendes Lächeln, denn obwohl er immer sehr ernst wirkte, hatte er großen Spaß daran, die Menschen mit seiner Macht zu überraschen. «Sie dürfen den nächsten Kandidaten für die Gaming Commission von Nevada ernennen», sagte der Don. «Dort ist ein Platz frei geworden.»
Dies war eine der seltenen Gelegenheiten in seinem Leben, da Gronevelt aufrichtig überrascht, aber auch tief beeindruckt war. Vor allem aber war er hochgestimmt, denn auf einmal sah er eine Zukunft für sein Hotel, wie er sie sich nie hätte träumen lassen. «Wenn Sie das schaffen», sagte Gronevelt, «werden wir in den kommenden Jahren alle zusammen sehr reich werden.»
«Es ist geschafft», erwiderte der Don. «Und jetzt können Sie nach draußen gehen und sich amüsieren.»
«Ich fahre nach Vegas zurück», erklärte Gronevelt. «Ich halte es nicht für geschickt, die Leute merken zu lassen, dass ich hier zu Gast bin.»
Der Don nickte. «Petie, du sorgst dafür, dass Mr. Gronevelt nach New York gefahren wird.»
Jetzt befanden sich außer dem Don nur noch seine Söhne, Pippi De Lena und Virginio Ballazzo im Zimmer. Sie wirkten ein wenig bestürzt. Der Don hatte nur Giorgio ins Vertrauen gezogen. Die anderen hatten von seinem Plan keine Ahnung gehabt.
Ballazzo war jung für einen bruglione, nur ein paar Jahre älter als Pippi. Er regierte über die Gewerkschaften, das Transportwesen im Bekleidungsdistrikt und einen Teil des Drogenhandels. Don Domenico sagte ihm, von nun an dürfe er selbständig handeln, unabhängig von den Clericuzios. Lediglich einen Tribut von zehn Prozent müsse er entrichten. Davon abgesehen sei er auf seinem Gebiet jedoch Alleinherrscher.
Virginio Ballazzo war überwältigt von so viel Großzügigkeit. Normalerweise ein überschäumender Mann, der seinen Gedanken oder Beschwerden immer con brio Ausdruck verlieh, war er jetzt vor Dankbarkeit so gerührt, dass er den Don nur noch stumm umarmen konnte.
«Von diesen zehn Prozent werden fünf für Ihr Alter oder den Fall zurückgelegt, dass Sie ins Unglück geraten sollten», erläuterte ihm der Don. «Und nun verzeihen Sie mir, aber die Menschen ändern sich, sie haben ein schlechtes Gedächtnis, die Dankbarkeit für frühere Großzügigkeiten lässt nach. Deswegen möchte ich Sie ermahnen, bei Ihren Abrechnungen hundertprozentig korrekt zu sein.» Er hielt einen Moment inne. «Schließlich bin ich nicht das Finanzamt und kann Sie nicht mit Zinsen und Zuschlägen bestrafen.»
Ballazzo begriff. Don Domenico pflegte seine Strafe immer sehr schnell und zielsicher auszuteilen. Ohne jede Vorwarnung. Und diese Strafe war stets der Tod. Denn wie sollte man sich sonst eines Feindes erwehren?
Don Clericuzio entließ Ballazzo, doch als der Don gleich darauf Pippi zur Tür begleitete, zögerte er einen Moment, zog seinen Neffen dicht zu sich heran und flüsterte ihm ins Ohr. «Vergiss nicht, dass wir beide ein Geheimnis haben. Und dass es auf ewig unser Geheimnis bleiben muss. Von mir hast du den Befehl nicht erhalten. Verstanden?»
Auf dem Rasen vor dem Haus wartete Rose Marie Clericuzio darauf, mit Pippi De Lena zu sprechen. Sie war eine sehr junge und hübsche Witwe, aber Schwarz stand ihr nicht. Die Trauer um Ehemann und Bruder dämpfte ihre natürliche Lebhaftigkeit, die ihre besondere Schönheit ausmachte. Ihre großen braunen Augen waren zu dunkel, ihre olivfarbene Haut zu fahl. Nur ihr frisch getaufter, mit einem blauen Bändchen geschmückter Sohn Dante, der in ihren Armen ruhte, verlieh ihr einen kleinen Farbtupfer. Den ganzen Tag über hatte sie sich von ihrem Vater, Don Clericuzio, und ihren drei Brüdern Giorgio, Vincent und Petie seltsamerweise ferngehalten. Nun aber gedachte sie, Pippi De Lena zur Rede zu stellen.
Er war ihr Cousin, zehn Jahre älter als sie, und als Teenager war sie heftig in ihn verliebt gewesen. Aber Pippi hatte sich immer väterlich verhalten, war ihr stets ausgewichen. Zwar war er für seine Schwäche für Frauen bekannt, er war aber viel zu vorsichtig, um dieser Schwäche bei der Tochter seines Don nachzugeben.
«Hallo, Pippi», sagte sie. «Ich gratuliere.»
Pippi lächelte mit einem Charme, der seine brutalen Züge attraktiv machte. Als er sich hinunterbeugte, um dem Kind einen Kuss auf die Stirn zu drücken, entdeckte er überrascht, dass die Haare, in denen noch ein leichter Weihrauchduft von der Kirche hing, für ein so kleines Kind außergewöhnlich dicht waren.
«Dante Clericuzio, ein wunderschöner Name», sagte er lobend.
Das war nicht unbedingt ein unschuldiges Kompliment. Rose Marie hatte für sich und ihr vaterloses Kind ihren Mädchennamen wieder angenommen. Der Don hatte sie mit unwiderlegbarer Logik von dieser Notwendigkeit überzeugt, und dennoch hatte sie irgendwie ein schlechtes Gewissen.
Aus diesem Schuldbewusstsein heraus sagte Rose Marie: «Wie hast du’s geschafft, deine protestantische Frau zu einer katholischen Taufe und einem so religiösen Namen zu überreden?»
Pippi sah sie lächelnd an. «Meine Frau liebt mich. Sie würde mir jeden Gefallen tun.»
Und das stimmt, dachte Rose Marie. Pippis Ehefrau liebte ihren Mann, weil sie ihn nicht kannte. Nicht so, wie sie selbst ihn kannte und früher einmal geliebt hatte. «Warum musstest du deinen Sohn Croccifixio nennen?», fragte Rose Marie. «Du hättest deiner Frau wenigstens einen amerikanischen Namen zugestehen können.»
«Ich habe ihn nach deinem Großvater genannt», sagte Pippi. «Deinem Vater zuliebe.»
«Immer müssen wir alles meinem Vater zuliebe tun», stellte Rose Marie bitter fest. Doch diese Bitterkeit wurde durch ihr Lächeln gemildert. Auf ihrem Gesicht schien immer ein Lächeln zu liegen, und diese Lieblichkeit nahm allem, was sie sagte, die Spitze. Jetzt zögerte sie ein wenig. «Danke, dass du mir das Leben gerettet hast.»
Pippi starrte sie einen Moment verständnislos, erstaunt und ein wenig misstrauisch an. Dann sagte er leise: «Du warst keinen Augenblick in Gefahr», und legte ihr den Arm um die Schultern. «Das kannst du mir glauben», fuhr er fort. «Aber denk nicht mehr über diese Dinge nach. Vergiss einfach alles. Vor uns liegt ein glückliches Leben. Lass uns die Vergangenheit vergessen.»
Rose Marie neigte den Kopf, um ihren Sohn zu küssen; in Wirklichkeit wollte sie jedoch ihr Gesicht vor Pippi verbergen. «Ich verstehe alles», sagte sie, weil sie wusste, dass er ihrem Vater und ihren Brüdern von diesem Gespräch berichten würde, «ich habe meinen Frieden damit gemacht.» Sie wollte ihre Familie wissen lassen, dass sie sie alle immer noch liebte und zufrieden war, dass ihr Kind in die Familie aufgenommen und nunmehr auch durch die heilige Taufe von Sünden befreit und vor der ewigen Hölle gerettet worden war.
In diesem Moment kam Virginio Ballazzo, um Rose Marie und Pippi in die Mitte des Rasens zu führen. Und aus dem Haus trat, gefolgt von seinen drei Söhnen, Don Domenico Clericuzio höchstpersönlich.
Die Herren im Gesellschaftsanzug, die Damen in festlichen Kleidern, die Säuglinge in Satin – die Familie Clericuzio bildete für den Fotografen einen Halbkreis. Die Gäste applaudierten und riefen Glückwünsche, und so wurde die Szene festgehalten: ein Augenblick des Friedens, des Sieges und der Liebe.
Später wurde das Foto vergrößert, gerahmt und im Arbeitszimmer des Don neben dem letzten Porträt seines Sohnes Silvio aufgehängt, der im Krieg gegen die Santadios getötet worden war.
Der Don beobachtete die Festlichkeiten vom Balkon seines Schlafzimmers aus.
Rose Marie schob ihren Kinderwagen an den Bocciaspielern vorbei, während Nalene, Pippis Ehefrau, groß und schlank, mit ihrem Sohn Croccifixio auf dem Arm über den Rasen schritt. Sie legte das Kind neben Dante in den Wagen, und die Mütter blickten liebevoll auf die beiden Kleinen hinab.
Der Don spürte, wie eine Woge des Glücks bei dem Gedanken in ihm aufstieg, dass diese beiden Kinder behütet und beschützt aufwachsen und niemals erfahren würden, welch hoher Preis für ihre unbeschwerte Zukunft gezahlt worden war.
Dann sah der Don, dass Petie eine Babyflasche in den Wagen legte, und alle lachten, weil beide Babys um die Flasche kämpften. Als Rose Marie ihren Sohn Dante aus dem Wagen hob, dachte der Don daran, wie sie noch vor wenigen Jahren gewesen war. Er seufzte. Es gibt nichts Schöneres als eine verliebte Frau und nichts Herzzerreißenderes, als dieselbe Frau als Witwe zu sehen, dachte er voller Bedauern.
Rose Marie war das Kind gewesen, das er am innigsten geliebt hatte; so strahlend war sie immer gewesen, so von Fröhlichkeit erfüllt. Aber Rose Marie hatte sich verändert. Der Verlust von Bruder und Ehemann war zu hart für sie gewesen. Nach den Erfahrungen des Don konnten sich jedoch auch treue Liebende wieder verlieben, waren Witwen die schwarze Trauerkleidung früher oder später leid. Und nun hatte sie ein Kind, dem sie zärtliche Liebe schenken konnte.
Der Don blickte auf sein Leben zurück und freute sich, dass es so wundervolle Früchte getragen hatte. Gewiss, er hatte ungeheuerliche Entscheidungen treffen müssen, um zu Macht und Reichtum zu gelangen, doch darüber empfand er nur wenig Bedauern. Außerdem war alles notwendig gewesen und hatte sich dazu noch als richtig erwiesen. Sollten andere Männer über ihre Sünden jammern – Don Clericuzio akzeptierte sie und setzte all seinen Glauben auf Gott, der ihm, wie er wusste, vergeben würde.
Inzwischen spielte Pippi mit drei Soldaten aus der Bronx-Enklave Boccia, Männern, die älter waren als er und solide Geschäfte in der Enklave besaßen. Dennoch hatten sie Respekt vor Pippi. Dieser war mit seiner gewohnt guten Laune und Geschicklichkeit immer noch Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Er war eine Legende, er hatte gegen die Santadios Boccia gespielt.
Pippi war übermütig und jubelte laut, wenn seine Kugel die des Gegners vom Ziel wegschob. Welch ein Mann, dieser Pippi!, dachte der Don. Ein treuer Soldat, ein warmherziger Weggefährte. Stark und schnell, listig, klug und zurückhaltend.
Sein bester Freund Virginio Ballazzo hatte sich zu den Bocciaspielern gesellt, der Einzige, der Pippi an Geschicklichkeit gleichkam. Mit weitem Schwung schickte Ballazzo seine Kugel auf die Bahn, und alle jubelten, als er traf. Triumphierend hob er die Hand dem Balkon entgegen, und der Don applaudierte ihm. Er war stolz darauf, dass solche Männer unter seiner Herrschaft blühten und gediehen, wie es überhaupt all jene taten, die sich an diesem Palmsonntag in Quogue versammelt hatten. Und er war stolz, dass seine vorausschauende Klugheit sie auch in den nächsten schweren Jahren beschützen würde.
Was der Don jedoch nicht voraussehen konnte, das war die Saat des Bösen in noch unfertigen Menschenseelen.
Hollywood
Las Vegas · 1990