Nr. 514
Der Weltraumkurier
Die Piraten-Lady schlägt Alarm – und das Trickspiel um Olymp beginnt
von H. G. EWERS
Auf der Erde schreibt man Anfang November des Jahres 3441. Damit ist seit dem Tag, als die Katastrophe über fast alle Intelligenzwesen der Galaxis hereinbrach, nahezu ein Jahr vergangen.
Immer noch herrschen Not und Chaos auf den meisten Planeten oder planetarischen Stützpunkten, immer noch kommen Hilferufe aus dem All. Und immer noch leisten die wenigen von der Verdummungsstrahlung nicht betroffenen Menschen des Solaren Imperiums und anderer Sternenvölker Übermenschliches, um das Chaos zu bewältigen und die Massen ihrer bemitleidenswerten Mitbürger mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen.
Perry Rhodan und 60 Gefährten, unter ihnen Atlan, Gucky und viele andere alte Bekannte, haben sich allerdings eine noch schwierigere Aufgabe gestellt. Unterstützt von der INTERSOLAR, Reginald Bulls Flaggschiff, versucht der Großadministrator, den mysteriösen »Schwarm« zu erforschen, der unaufhaltsam immer weiter in die Galaxis eindringt und dessen ebenso mysteriöse Lenker für die Veränderung der Gravitationskonstante und die dadurch herbeigeführte galaxisweite Retardierung der Intelligenz verantwortlich sind.
Und während sich Perry Rhodan mit der GOOD HOPE II, einem kleinen, speziell ausgerüsteten Raumkreuzer, erneut in der Nähe des Schwarms aufhält und seine Jagd nach neuen Erkenntnissen und Informationen fortsetzt, haben die drei Diktatoren des Carsualschen Bundes einen infamen Plan ausgeheckt, der vorsieht, Terra und Olymp erneut ins tiefste Chaos zu stürzen und die bisher geleistete Aufbauarbeit zunichte zu machen.
Ein Mann soll diesen Plan durchkreuzen – DER WELTRAUMKURIER ...
Die Hauptpersonen des Romans
Tipa Riordan – Die Piraten-Lady schlägt Alarm.
Anson Argyris – Kaiser von Olymp.
Shar ter Troyonas – Argyris' Stellvertreter.
Bossa Cova – Perry Rhodans »Weltraumkurier«.
Terser Frascati, Nos Vigeland und Runeme Shilter – Drei Diktatoren haben einen Plan.
Roi Danton und Galbraith Deighton – Der Sohn Perry Rhodans und der Solarmarschall schützen die Erde vor ungebetenen Gästen.
1.
Bossa Cova sah mit glänzenden Augen zu, wie der robotische Feldbesteller das Steppenland in Kulturland verwandelte. Die große Maschine schwebte auf Prallfeldkissen über das abgebrannte Grasland, pflügte mit ihren Pflugscharen den Boden auf, dass die feuchten Schollen dampften. Die folgenden Einheiten, Grubber und Egge, arbeiteten den Boden durch, und die Sämaschine setzte goldgelbe Maiskörner in den Boden. Die letzte Einheit walzte den Boden fest.
Der ehemalige Reeder wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Sonne brannte heiß vom Himmel Olymps; im Osten braute sich ein Gewitter zusammen. Hoffentlich schaffte der Feldbesteller die zweihundert Hektar, bevor das Unwetter losbrach und den fruchtbaren Steppenboden in eine zähe Schlammschicht verwandelte.
Er setzte die Sonnenbrille ab und ging zu dem kleinen offenen Gleiter, schaltete die Antigravprojektoren hoch und steuerte nach Osten. Nach einigen Kilometern kamen jene Felder in Sicht, die schon vor vier Monaten bestellt worden waren. Verdummte und der primitiven Landwirtschaft zugeführte Städter aus Trade City arbeiteten mit Hacken auf Kartoffel- und Rübenfeldern; sie schwatzten während der Arbeit lustig drauflos, geistig zu Kindern gewordene Erwachsene.
Auch in der Agrosiedlung Neu-Taho wurde emsig gearbeitet. In Schnellkursen zu einfachen handwerklichen Arbeiten ausgebildete Menschen vom Verdummungsgrad Erster Klasse bearbeiteten Baumstämme, zimmerten Blockhäuser zusammen und versorgten das Vieh in den provisorischen Ställen.
Vor dem Blockhaus des Bürgermeisters hielt Bossa an. Sein ebenholzschwarzes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, als Bürgermeister Romulus vor die Hütte trat. Romulus war ein Roboter. Es gab nicht genügend Immune, als dass man die Bürgermeisterposten der zahlreichen neu entstandenen Agrosiedlungen auf Olymp mit ihnen hätte besetzen können. Verdummte, gleich welcher Retardierungsstufe, waren dazu aber nicht geeignet. Also hatte man einfache Arbeitsroboter mit einem zusätzlichen Programm versehen und ihnen die Anleitung und Führung der Dorfbewohner übertragen.
Romulus trug einen grauen Overall, Plastikstiefel und einen Synthostrohhut. Ein nackter Roboter hätte die am stärksten betroffenen Menschen erschreckt; es war ohnehin schwierig genug, den überall aufkeimenden Geister- und Dämonenglauben in Schranken zu halten.
»Unser Feldbesteller arbeitet einwandfrei«, berichtete Bossa. »Wie geht es mit deiner Arbeit voran, Romulus?«
Der Roboter blieb neben dem Gleiter stehen.
»Zufriedenstellend, Mr. Cova. Meine Schützlinge gewinnen allmählich immer mehr Fähigkeiten zurück, beziehungsweise lernen sie neu. Aber wir brauchten mehr Menschen, die sich um sie kümmerten.«
Bossa Cova nickte.
»Ich weiß. Der Kaiser hat mir versprochen, noch heute vier Freiwillige der Superiors nach Neu-Taho zu schicken.«
Unterdessen hatten sich etwa dreißig Männer, Frauen und Kinder um Cova und den Bürgermeister versammelt. Mehr oder weniger neugierig verfolgten sie das Gespräch. Ihre Gesichter waren von Entbehrungen und harter Arbeit gezeichnet, aber sie lachten, scherzten und stießen sich gegenseitig an, eben wie Kinder es tun.
Bossa stieg auf den Beifahrersitz seines Gleiters, sah sich im Kreise um und sagte mit seiner volltönenden Stimme: »Ich soll euch schöne Grüße vom Grauen Ritter bestellen, liebe Leute. Er will euch heute noch besuchen und vier weise Männer mitbringen, die euch helfen werden, noch mehr Felder zu bestellen und Kleidung herzustellen.«
Beifälliges Gemurmel erhob sich. Mehrere Frauen klatschten in die Hände.
»Ich werde euch nun wieder verlassen«, fuhr Bossa fort. »Aber ich komme heute Abend zurück. Macht bitte Platz!«
Erneut schwang er sich hinter die Steuerung des Gleiters. Vor ihm wichen die Menschen auseinander, als er das Fahrzeug behutsam in Gang brachte. Bossa hätte natürlich auch über die Köpfe der Menge hinwegfliegen können, doch dadurch wären die meisten Menschen in Panik geraten.
Nach einer Stunde schneller Fahrt erblickte Bossa Cova in einigen Kilometern Entfernung Schloss Kuapurn, den kitschigen Wohnsitz eines Galaktischen Händlers. Der Händler war tot; zusammen mit seiner Familie war er beim Überfall einer Bande Plünderer umgekommen. Die Plünderer hatten versucht, das Schloss in Brand zu stecken, doch da es aus nicht brennbarem Material erbaut worden war, hatte das Feuer lediglich eine Sammlung antiquierter Holzmöbel vernichtet.
Seit rund zwei Monaten diente Schloss Kuapurn als Rehabilitationszentrum des VIII. planetaren Verwaltungsbezirks. Hier wurden laufend Menschen vom Verdummungsgrad Erster Klasse, also solche, die nach ihrer Verdummung sehr schnell lernten, in einfachen technischen Dingen unterwiesen. Jeder Kursus dauerte drei Wochen, danach verteilte man die Teilnehmer auf verschiedene Agrosiedlungen.
Zwei umprogrammierte und mit Lähmstrahlern ausgerüstete ehemalige Dienstroboter bewachten das Tor. Diese Maßnahme war wegen der immer noch umherstreifenden Plünderergruppen notwendig, vor allem, da einige Gruppen von halbwegs intelligent gebliebenen kriminellen Elementen angeführt wurden.
Bossa wurde anstandslos durchgelassen, fuhr in den Innenhof und stellte den Gleiter ab. Sofort stieß die dort angekettete Saurierdame Olga ein markerschütterndes Geschrei aus. Bossa hatte das Tier vor einigen Monaten, zusammen mit Patulli Lokoshan und einem Kleinkind, gerettet.
»Sei still, Olga!«, rief Bossa Cova ärgerlich. Er fürchtete, das Gebrüll könnte den Unterricht stören.
Doch Olga verstummte erst, als er hinüber ging und dem elefantengroßen Tier ein paar Stücke Würfelzucker gab.
Als er sich dem Hauptportal zuwandte, trat Patulli Lokoshan ins Freie. Der Kamashite war Leiter des Rehabilitationszentrums und hatte einige hervorragende Erfolge aufzuweisen.
Beide Männer schüttelten sich die Hände.
Patulli zwinkerte und sagte: »Ich freue mich, dass der Große Magier mich wieder einmal besuchen kommt. Wie geht es denn, Bossa?«
»Sie sollen mich doch nicht immer ›Großer Magier‹ nennen!«, erklärte Bossa. »Oder möchten Sie, dass Ihre Schüler mich für einen Zauberer halten?«
»Seien Sie doch nicht so empfindlich«, erwiderte der Kamashite. »Kommen Sie herein; ich habe etwas für Sie.«
Bossa folgte ihm ins Schloss. Sämtliche Räume waren vollklimatisiert und besaßen elektrisches Licht, was gar nicht selbstverständlich auf Olymp war. Aber der ehemalige Besitzer hatte ein eigenes Kraftwerk im Kellergeschoss installieren lassen, und es war während der schlimmsten Wirren unbeschädigt geblieben.
Auf dem Weg in Lokoshans Privaträume warfen die beiden äußerlich so unterschiedlichen Männer – Lokoshan war ein Zwerg von nur 1,38 Meter Größe und Bossa Cova ein wahrer Hüne – Blicke in mehrere Unterrichtsräume.
Der ehemalige Reeder sah Säle, in denen Verdummte Tischler- und Klempnerarbeiten ausführten, in anderen arbeiteten angehende Schuhmacher, Korbflechter und Elektriker. Auch eine große Backstube war vorhanden.
»Wir führen sogar wieder eine Schmiede«, erklärte Patulli stolz. »Ich denke, in einem Jahr sieht es auf Olymp ganz anders aus als heute noch.«
»Hoffentlich im positiven Sinne«, meinte Bossa.
Über Lokoshans Gesicht flog ein Schatten. Bossa Cova bereute seine Bemerkung sofort. Sie alle, die die großen Zusammenhänge sehen konnten, vermieden es nach Möglichkeit, über den Schwarm und die Gefahren, die ihnen weiterhin von ihm drohten, zu reden. Niemand wusste bisher, was der Schwarm eigentlich in der Galaxis wollte, aber niemand zweifelte daran, dass die Verdummung nicht das letzte war, was er den Zivilisationen brachte.
»Sie sagten vorhin, Sie hätten etwas für mich«, sagte Bossa, um den Kamashiten abzulenken. »Was ist das?«
Patulli Lokoshan seufzte.
»Kommen Sie mit!«
Er führte den Besucher in sein Wohnzimmer und holte eine Flasche aus dem Kühlschrank. Dann stellte er zwei Gläser auf den Plastiktisch und schenkte aus der Flasche eine gelbliche Flüssigkeit ein.
»Prost!«, sagte er und griff nach seinem Glas.
Bossa nahm sein Glas und roch misstrauisch daran. Dann verklärte sich sein Gesicht. Die Flüssigkeit roch nach Whisky. Er nahm einen Schluck und behielt ihn eine Weile im Mund.
»Das ist zwar nicht die beste Sorte«, erklärte er, »aber es ist Whisky. Woher haben Sie ihn?«
Patulli strahlte.
»Vor vierzehn Tagen haben wir in einer abgebrannten Tierfarm einen Futtersilo entdeckt. Das Futter war für Mensch und Tier ungenießbar geworden, aber mit einem von mir erfundenen Verfahren lässt es sich noch zum Brennen von Whisky verwenden.«
Bossa spie den zweiten Schluck aus.
»Verdorbenes Viehfutter? Wollen Sie mich vergiften?«
Betrübt starrte der Kamashite auf den vergeudeten Alkohol.
»Aber, Bossa! Ich und jemand vergiften! Sie können meinen Whisky unbesorgt trinken; die Aufbereitung des Grundstoffes lässt nicht die Spur schädlicher Substanzen zurück.«
Bossa kratzte sich in seinem wolligen schwarzen, von Silbersträhnen durchzogenen Haar.
»Entschuldigen Sie, Patulli, ich war nur so überrascht, dass ... Gießen Sie mir noch ein Gläschen ein, dann muss ich allerdings wieder aufbrechen.«
Es wurden noch drei Gläser, doch dann ließ sich Bossa Cova nach einem Blick auf seine Uhr nicht länger halten. Er musste rechtzeitig in Neu-Taho sein, um mit dem Grauen Ritter zusammenzutreffen.
Auf dem Flur begegnete den beiden Männern ein etwa zehnjähriges Mädchen, das hellgraue Lederkleidung, Wadenstiefel und einen Filzhut trug. Sie lief auf Bossa zu und hing plötzlich an seinem Hals.
»Onkel Bossa!«
Bossa Cova hielt sie ein wenig von sich ab und musterte das braungebrannte Gesicht.
»Das ist ja Io! Hallo, meine Kleine! Wie geht es dir?« Er hatte Io zusammen mit ihrem Bruder Sarkh vor Plünderern gerettet und später festgestellt, dass beide Kinder immun geblieben waren.
»Prima, Onkel Bossa.«
»Sie unterrichtet eine Frauengruppe im Nähen und eine andere an einfachen Erntemaschinen«, sagte Patulli. »Außerdem erledigt sie die Schreibarbeiten für mich.«
Bossa gab Io einen Kuss auf die Wange und setzte sie ab.
»Braves Mädchen. Wo ist eigentlich dein Bruder?«
»Sarkh arbeitet in Trade City zusammen mit einer Gruppe Superiors an der Instandsetzung der Kraftwerke. Wenn Sie ihn treffen sollten ...«
»... bestelle ich ihm Grüße von dir. Aber nun muss ich fort. Lasst es euch gutgehen. Bis bald!«
Er verabschiedete sich schnell, stieg in seinen Gleiter und fuhr durch das Tor, an dem die beiden Roboter noch immer Wache standen.
Inzwischen hatte sich der Himmel im Osten und auch im Westen verdunkelt. Die Sonne war hinter schwarzen Wolkenbänken verschwunden. Bald würde das Gewitter hereinbrechen. Bossa beschleunigte. Er wollte rechtzeitig in Neu-Taho sein.
Als er von weitem die ersten Felder der Agrosiedlung sah, zuckte der erste Blitz hernieder, gefolgt von einem krachenden Donnerschlag. Riesige Hautflügler kreisten über die Steppe; dann kam der Regen, und die Flugsaurier schossen zu den zerklüfteten Kalksteinfelsen hinüber, wo sie ihre Schlupfwinkel hatten.
Bossa Cova schloss das Verdeck mit einem Knopfdruck, dann begann er laut zu singen. Seine Stimme übertönte das schmetternde Krachen der Blitze, den grollenden Donner und das Prasseln des Regens – jedenfalls innerhalb der Gleiterkabine.
Kurz vor Neu-Taho erblickte Bossa im grellen Flackerlicht der Entladungen einen Reitertrupp und an dessen Spitze einen Ritter in schimmernder Rüstung auf einem weißen Kaltbluthengst.
Der ehemalige Reeder lachte und rief: »Gruß dir, Grauer Ritter! Ich komme!«
*
Eben noch war der Weltraum, soweit ein imaginärer Beobachter sehen konnte, leer gewesen; im nächsten Augenblick riss das vierdimensionale Raum-Zeit-Kontinuum auf.
Rötlich glühende Zickzacklinien sprangen durch die Schwärze, blaues Feuer glomm auf, dann schwebte ein bläulich schimmernder Kugelkörper im Zentrum des Aufruhrs, der Sekundenbruchteile später so vollkommen erstarb, als hätte es ihn niemals gegeben.
Die Kugel taumelte, schwankte, und plötzlich leuchtete dort, wo ein ringförmiger Wulst sich um ihren Äquator zog, blauweiße stechende Glut auf. Das Licht war so hell wie zahlreiche Atomsonnen, und menschliche Augen wären bei ihrem Anblick augenblicklich erblindet.
Doch niemand sah diesen Anblick, denn die einzigen Menschen im Umkreis von vielen Lichtjahren befanden sich innerhalb des Kugelkörpers, eines achthundert Meter durchmessenden Raumschiffes der STARDUST-Klasse.
Einer dieser Menschen saß im Kontursessel des Ersten Piloten. Es war ein etwa neunzigjähriger kleingebauter Mann mit runzliger hellbrauner Haut, einem blaurot leuchtenden Kahlkopf und einem mächtigen feuerroten Schnurrbart mit aufwärts gezwirbelten Enden. Der Mann trug blaue Pluderhosen, rote Stiefel, eine weiße Kosakenbluse und einen breiten schwarzen Waffengürtel mit terkonitblauer Schnalle.
Der Mann beobachtete eine Unzahl von Kontrollen und Bildschirmen; seine Hände huschten flink über zahlreiche Schalttasten, und das Gesicht zeigte einen überaus mürrischen Ausdruck.
Er zuckte leicht zusammen, als aus dem Hintergrund der Kommandozentrale eine keifende Stimme ertönte und sagte: »Was hockst du wie ein Ölgötze vor deinen Kontrollen, Kawa Dantroff? Bewege dich ein bisschen, damit wir heute noch diesen Planeten mit dem anmaßenden Namen erreichen!«
Kawa Dantroff, Erster Wesir der Riordan-Piraten, änderte seine Haltung nicht. Nur sein Genick lief feuerrot an. Während seine Finger weitere Schalttasten drückten, gab er mit rauer Stimme zurück: »Ich tue, was ich kann, Tipa. Anstatt mich zu stören, sollten Sie sich lieber um die Standortbestimmung kümmern.«
Aus dem Hintergrund der Zentrale kamen ein paar röchelnde Laute, dann trippelte die nach vorn gekrümmte Gestalt einer Frau durch die Zentrale und blieb neben Kawa Dantroff stehen.
Die Frau trug enge schwarze Lederhosen, bis zu den Waden geschnürte Sandalen und eine locker fallende schwarze Lederjacke, die durch einen breiten Gürtel mit einer drei Zentimeter dicken Schnalle zusammengehalten wurde. Sie stützte sich beim Gehen auf einen seltsam geformten Krückstock.
Das Ungewöhnlichste an dieser Frau aber befand sich am oberen Ende der Gestalt. Das Gesicht war eingefallen; eine lederartige runzlige braune Haut spannte sich straff über den Wangenknochen, und eine gekrümmte, scharfrückige Nase ragte aus dem Gesicht. Die silbergrauen Haare waren straff nach oben gekämmt und wurden von einem so genannten Haarnest gekrönt, einem riesigen Knoten, in dem sich Mikrowaffen befanden.
Die Frau war Tipa Riordan, eine mit allen Wassern gewaschene »Dame«, die sich selbst voller Stolz »Piratin« nannte. Im Alter von hundertfünfundzwanzig Jahren hatte sie es verstanden, einen Zellaktivator zu erbeuten; seitdem war sie im physischen Sinne nicht mehr gealtert.
Tipa streckte den dürren Arm aus und hielt ihrem Ersten Wesir eine Stanzfolie unter die Nase.
»Da, du alter Nichtsnutz! Während du Löcher in meine kostbaren Instrumente starrtest, habe ich unseren Standort bereits berechnet. Gib das dem Autopiloten ein und kümmere dich dann um unsere Leute!«
Kawa grinste und spie einen bräunlichen Strahl Tabaksaft dicht an Tipas Nase vorbei.
»Danke.«
Er griff sich die Stanzfolie und überprüfte sie. Sein Gedächtnis arbeitete so hervorragend wie das einer Positronik, wenn auch nicht so schnell. Er brauchte keinen Analysator, um die Bedeutung der eingestanzten Symbole zu erkennen.
»Hm, noch siebenhundertdreiundvierzig Lichtjahre bis zu diesem komischen Götterblitz! Ich will verdummt sein, wenn ich weiß, was Sie ...«
Seine Haltung versteifte sich, als der automatische Ortungsalarm schrillte. Er betätigte den Schalter, der die Ergebnisse der Hypertasterortung von der Ortungszentrale in die Kommandozentrale umlegte. Seit die gesamte Besatzung des Schiffes der Verdummung anheimgefallen war, mussten die beiden einzigen verschont Gebliebenen sich behelfen, so gut es ging.
»Heiliges Arsenik!«, zeterte Tipa Riordan nach einem Blick auf die Anzeigen der Relieftaster. »Zwanzig Großraumschiffe! Wer hat heute noch soviel Immune, um zwanzig Großraumschiffe zu bemannen?«
Sie kniff die Augen zusammen und kontrollierte wachsam jede Schaltung, die ihr Erster Wesir vornahm. Nach wenigen Sekunden verzog sich ihr faltiges Gesicht zu einem befriedigten Lächeln. Ihr Mund öffnete sich, so dass die zahnlosen Kiefer zu sehen waren.
»Brav, Kawa, brav!«
Sie drehte sich mit einer wieselflinken Bewegung um, die ihr niemand zugetraut hätte, der sie nicht kannte, stieß ihren Krückstock auf den Boden und löste die hydraulische Sprungeinrichtung des Stockes aus.
Kawa Dantroff drehte den Kopf und sah gerade noch, wie Tipa zielsicher auf die Öffnung des Mittelachsschachtes zuflog und in der Röhre verschwand.
Er nickte.