Nr. 565
Gucky, der Meisterdieb
Mit der KAPELLA auf der Welt der Diebe – das Tabora wird gesucht
von CLARK DARLTON
Der von den Götzen gelenkte Sternenschwarm hat das Solsystem in sein Gefüge aufgenommen und um rund 900 Lichtjahre örtlich versetzt.
Darüber hinaus haben die Beherrscher des Schwarms bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt – man schreibt auf der Erde und den übrigen Menschheitswelten Anfang April des Jahres 3443 – nicht viel erreichen können, einesteils, weil ihre Angriffe durch den systemumspannenden Paratronschirm abgewehrt wurden, andernteils weil ein Cyno und vier Terraner Stato, die Schlüsselwelt des Schwarms, ausschalteten.
Nur das unheilvolle Wirken des Dezentralisierers Ü'Krantomür und seines Parapsi-Bionten Yorgho bedeutete eine echte Gefahr für das Solsystem. Und es bleibt nur zu hoffen, dass die Beherrscher des Schwarms keine weiteren tödlichen Überraschungen dieses Kalibers auf Lager haben.
Dafür wartet ein Cyno mit einer echten Überraschung auf. Er bricht sein Schweigen und informiert die Terraner über das Tabora, den Schlüssel zur Beherrschung des Schwarms. Er zeigt ihnen den Weg zum Antipsi-Planeten, der ersten Station der Suche, die GUCKY, DER MEISTERDIEB bestreitet ...
Die Hauptpersonen des Romans
Perry Rhodan – Der Großadministrator fliegt den Planeten der Diebe an.
Harun Matakin – Kommandant des Schweren Kreuzers KAPELLA.
Gucky – Der Mausbiber stiehlt und wird gestohlen.
Lord Zwiebus – Guckys Komplize.
Kun Tares – Meisterdieb von Na'nac.
Das Tabora – Der Schlüssel zum Überraum.
1.
Auf dem siebzehnten Planeten der roten Riesensonne Merkados ruhte die Krone der Koltas in einem Schrein aus strahlensicherem Blei, dem in diesem System seltensten und wertvollsten Element. Niemand wusste oder ahnte, woher die Krone stammte, und nur ganz wenige Koltas hatten die Krone jemals gesehen. Ihre Herkunft verlor sich im Dunkel der Vergangenheit. Sie musste noch aus jenen Zeiten stammen, in denen die Koltas als Schöpfer und Herren einer gewaltigen Zivilisation auf dem Höhepunkt ihrer Macht standen und mit ihren schnellen Raumschiffen von Stern zu Stern eilten, um Handel zu treiben oder die »Saat der Erkenntnis« im Universum zu verbreiten.
Heute beschränkten sich die Koltas lediglich darauf, Besucher aus dem All zu erwarten und es gab Jahre, in denen sich ihre Hoffnungen mehr als nur einmal erfüllten. Seit Jahrtausenden schon hatten sie ihre Missionstätigkeit eingestellt und ernteten nun die Früchte jener Saat, die ihre eifrigen Vorfahren in das Unterbewusstsein anderer Sternenvölker gepflanzt hatten.
Die Krone der Koltas war ein Geheimnis, von dem man nur im Flüsterton sprach, wenn man überhaupt darüber sprach. Jene, die sie nach langer Wallfahrt angeblich gesehen hatten, erzählten unglaubliche Dinge über sie.
Ihr Anblick, wurde behauptet, könne sogar die Lebensspanne verdoppeln, und ein zweites Gerücht wusste zu berichten, dass gerade diese Tatsache der Grund dafür sei, dass nur die »Auserwählten der Priester« nach langer Wallfahrt die Krone sehen dürften.
*
Kun Tares hielt sich nun schon seit drei Jahren auf dem Planeten der Koltas auf. Jeder musste ihn für einen Kolta halten, denn er sah genauso aus wie sie – entfernt humanoid, jedoch mit einem seidenweichen Fell bedeckt. Sein kleines Raumschiff lag versteckt in den Bergen nahe der Stadt. Eines Tages würde er es brauchen, um sein Leben zu retten. Er lebte in einem kleinen Dorf, weit von der Stadt entfernt, und sein ruhiges, den Priestern wohlgefälliges Leben hatte ihn beliebt und geachtet werden lassen. Sein Lebensziel war es, so betonte er immer wieder, einmal die Krone der Koltas zu sehen, aber niemals wäre dem bescheidenen jungen Mann eingefallen, die Priester um die Erlaubnis zu bitten, an einer der jährlich stattfindenden Wallfahrten teilnehmen zu dürfen.
Kun Tares wusste, dass seine Stunde kommen würde, früher oder später. Der Hohepriester des Dorfes war ihm viel zu wohlgesonnen, um nicht eines Tages von selbst auf den Gedanken zu kommen, ihn den Auserwählten zuzuteilen. Natürlich genügte die Wallfahrt allein noch nicht, um die Krone zu sehen. Die letzte Entscheidung lag bei den »Wächtern der Krone«, die auf der Felsenburg ihre Auswahl trafen und jede Empfehlung der Dorfpriester ignoriert hätten. Sie lebten in dieser Burg und verließen sie niemals. Ihr einziger Kontakt mit der Außenwelt waren die Wallfahrer, die ihnen auch die notwendigen Nahrungsmittel als Gabe mitbrachten.
Es war ein offenes Geheimnis, dass die Wächter der Krone uralt waren, vielleicht sogar unsterblich.
An diesem Tag, von dem die Rede sein soll, ließ der Priester des Dorfes Kun Tares zu sich rufen. Der junge Mann wusste, dass die Zeit der diesjährigen Wallfahrt kurz bevorstand. Tief in seinem Herzen regte sich die Hoffnung, diesmal dazu gehören zu dürfen. Er hatte lange Abende mit dem Priester diskutiert und ihn durch seine geäußerten Vermutungen neugierig gemacht. Ein Wallfahrer, der von den Wächtern der Krone ausgewählt wurde und diese sehen durfte, brachte Segen über das Dorf, und nicht nur ideellen Segen. Aus allen Himmelsrichtungen kamen die Gläubigen, um ihn nach der Krone zu fragen. Sie brachten Geschenke für den Tempel und die Bewohner des Dorfes mit.
Kun Tares hüllte sich in ein buntes Tuch, das er mit einer Spange befestigte. Es war Mittag, und die rote Sonne stand hoch am Himmel, der rosa schimmerte und keine Wolken hatte. Es wurde niemals richtig warm, aber der Seidenpelz schützte vor der Kälte.
Der Priester streckte ihm beide Hände entgegen und bat ihn, Platz zu nehmen. Er wohnte in einer bescheidenen Hütte dicht neben dem Tempel, aber Kun Tares wusste, dass diese offensichtliche Genügsamkeit nur Tarnung war. Niemand außer ihm kannte die prächtig ausgestatteten Hinterräume der Hütte, die in den angrenzenden Felsen hineingebaut worden waren. Auch der Priester hatte keine Ahnung davon, dass sein junger Freund sein Geheimnis kannte.
»Willkommen in meiner bescheidenen Hütte, Kun. So hat mein Bote dich gefunden?«
»Sonst wäre ich nicht hier«, gab Kun Tares zur Antwort und setzte sich. »Du wolltest mich sehen? Kann ich dir helfen, du Liebling der Götter? Du weißt, ich würde für dich ...«
»Nein, es ist keine Bitte, die ich dir heute vortragen möchte. Du hast mir deren schon zu viele erfüllt. Heute möchte ich dir für deine bewiesene Freundschaft danken und dir deinerseits eine Bitte erfüllen, die du immer und immer wieder mehr oder weniger offen vorgetragen hast. Du wirst schon jetzt ahnen, wovon ich spreche.«
Kun Tares stellte sich dumm.
»Wie sollte ich das wissen, verehrter Freund? Ich hatte viele Bitten, mit denen ich zu dir kam. Du hast mir immer geholfen, und wenn ich dir manchmal eine Freude bereiten konnte, so zahlte ich damit nur einen nicht nennenswerten Teil meiner Schuld zurück.«
»Deine Bescheidenheit ehrt dich, mein Freund. So will ich dir sagen, wozu ich dich ausersehen habe: Du wirst an der diesjährigen Wallfahrt zur Krone teilnehmen, als Vertreter unseres Dorfes. Ich bin sicher, dass die letzte Wahl der Wächter in der Felsenburg auf dich fallen wird. Was das für uns alle bedeuten würde, weißt du.«
Besonders für dich, alter Gauner, dachte Kun Tares, aber er sagte: »Ich darf die Wallfahrt unternehmen?« Fast weinte er vor gespielter Rührung und Stolz. »Wie soll ich dir jemals danken für diese Gnade, etwas für unser Dorf tun zu dürfen? Stehe ich nicht in der Schuld aller, die mich vor drei Jahren hier aufnahmen, nachdem ich in den Bergen von Räubern überfallen wurde und mein Gedächtnis verlor? Haben mir nicht alle nur geholfen, besonders natürlich du? Ich unternehme die Wallfahrt nicht für mich, ich mache sie nur für euch, um meine Dankbarkeit zu beweisen.«
»Das wusste ich, wir alle wissen das«, behauptete der Priester salbungsvoll. »Darum fiel die Wahl auch einstimmig auf dich, Kun Tares. Bereits in drei Tagen werden die Wallfahrer der umliegenden Dörfer und Gemeinden durch unseren Flecken ziehen, und du wirst dich ihnen anschließen können. Sie haben schon eine lange Reise hinter sich, sie werden müde und erschöpft sein. Deine Reise wird nur kurz sein, du kannst sie ermuntern und ihnen neue Kräfte geben. Hunderte von frommen Wallfahrern werden sich unter der Burg versammeln und auf die Entscheidung der Wächter hoffen. Dort können wir nichts mehr für dich tun.«
Kun Tares blieb äußerlich ruhig, wenn er auch innerlich vor Aufregung zitterte. Drei Jahre lang hatte er voller Bangen und Hoffen auf diesen Tag gewartet, um den größten Coup seines Lebens zu landen. Einzig und allein zu diesem Zweck war er auf Mercados' siebzehnten Planeten gekommen und spielte die Rolle des heimatlosen Koltas.
Nun war es endlich soweit.
»Ich werde versuchen, ihr Wohlwollen zu erringen«, versprach Kun Tares. Er zögerte. »Gibt es keinerlei Hinweise, wie das vielleicht, nun, sagen wir gefördert werden könnte? Vielleicht besonders wertvolle Geschenke, schöne Worte ...«
»Die Wächter der Krone lassen sich nicht bestechen, mein Sohn«, erklärte der Hohepriester würdevoll. »Sie lassen sich nur vom Wert der Seele leiten, und dafür haben sie ein untrügliches Auge. Deshalb hat du die besten Aussichten; denn deine Augen spiegeln die Reinheit deiner Seele wider.«
»Oh, danke«, sagte Kun Tares ergriffen. »Mir ist das selbst noch nie so aufgefallen.« Er stand auf. »Dann werde ich mit meinen Reisevorbereitungen beginnen. Kannst du mir raten, was ich für die Kronenwächter mitnehmen soll?«
»Darum mache dir keine Sorgen«, sagte der Hohepriester und erhob sich ebenfalls. »Die Bewohner des Dorfes bringen alles zu meinem Tempel. Ich werde aussortieren und dir nur das Wertvollste mitgeben.«
Nachdem du dir vorher das Allerwertvollste unter den Nagel gerissen hast, dachte Kun Tares mit einer gewissen Bewunderung und etwas Neid. Du bist bald noch besser als ich ...
»Ich komme täglich vorbei, um nach dir zu sehen«, versprach er und kehrte in sein kleines Haus zurück, in dem er seit drei Jahren lebte.
Es erinnerte keineswegs an die Behausungen auf seinem Heimatplaneten, aber er hatte sich daran gewöhnt. Außerdem passte es auch besser zu der Körperform, die er angenommen hatte, die ihm nun ebenfalls nicht mehr ungewohnt war. Nur manchmal, in der Nacht, wenn er vor Überraschungen sicher sein konnte, entspannte er sich und wurde wieder zu dem, was er wirklich war – zu einem echten Pai'uhn K'asaltic.
Auf diese Wohltat würde er von nun an verzichten müssen, wenn ihm sein Leben lieb war. Außerdem konnte er sich so dicht vor dem ersehnten Ziel keinen Leichtsinn mehr erlauben. Wenn er plötzlichen Besuch erhielt, und das war nicht ausgeschlossen, würde die Rückverwandlung zu lange dauern. Das bedeutete seinen Tod.
Es dunkelte bereits, da kamen ihn Freunde besuchen, um ihn zu beglückwünschen. Sie taten das nicht ganz selbstlos, denn jeder wusste, dass er die wichtigste Persönlichkeit des Dorfes sein würde, wenn er tatsächlich die Krone sehen durfte.
Kun Tares bewirtete seine Gäste freundlich, plauderte mit ihnen und blieb ungemein höflich. Er hoffte, dass sie ihn nach Einbruch der Nacht endlich verlassen und allein lassen würden. Sie tranken den köstlichen Wein und kamen bald in die richtige Stimmung, um bis zum anderen Tag durchzufeiern. Kun Tares verstand es jedoch geschickt, sie gegen Mitternacht aus dem Haus zu komplimentieren.
Er musste nachdenken.
*
Die drei Wartetage vergingen ohne besondere Ereignisse. Die Geschenke wurden gesammelt und ausgewählt. Die Frauen packten sie zu einem bequemen Bündel zusammen, das er leicht tragen konnte. In einem zweiten Bündel befanden sich Lebensmittel für die Reise.
Dann trafen die ersten Wallfahrer ein.
Da die rote Sonne Merkados bereits tief stand, baten sie den Hohepriester um die Erlaubnis, auf dem Dorfplatz nächtigen zu dürfen. Man hatte ähnliches erwartet und vorgesorgt. Ein Stapel Holz würde für ein wärmendes Lagerfeuer sorgen, denn die Wallfahrer durften für die Dauer ihrer Reise nicht in Häusern nächtigen.
Kun Tares gesellte sich zu ihnen, um sie kennenzulernen. Sie nahmen ihn mit Freuden in ihrer Mitte auf, als sie erfuhren, dass er der Auserwählte des Dorfes war. Lange noch saß man um die glühenden Holzstücke und lauschte den Erzählungen der Weitgereisten, die zum Teil schon seit Wochen oder gar Monaten unterwegs waren. Man sah ihnen die Strapazen an, die sie nun bald hinter sich haben würden. Der Rückweg würde für sie nicht mehr so beschwerlich sein, denn dann durften sie einen Wagen benutzen oder sich von Freunden mitnehmen lassen.
Kun Tares kehrte in dieser Nacht nicht in sein Haus zurück, sondern schlief bei den Wallfahrern. Früh am anderen Morgen brach man auf.
*
Drei Tage später sah Kun Tares die Felsenburg aus der Ebene in den Himmel ragen. Sie lag einige Kilometer vom Stadtrand entfernt inmitten eines regelrechten Urwaldgebietes. Nur eine schmale Straße führte auf einem Damm durch das sumpfige Gelände, in dem es angeblich noch wilde Tiere geben sollte. Sie mussten das gefährliche Gebiet vor Dunkelwerden durchqueren, denn in dem riesigen Burghof erst würden sie in Sicherheit sein. Wer jetzt zurückblieb, der war so gut wie verloren. Doch auch diese letzte Strecke gehörte zu den vielen Prüfungen, die sich die Wallfahrer aufzuerlegen hatten.
Kun Tares fühlte sich noch frisch und ausgeruht. Nach einer kurzen Ruhepause nahm er sein Geschenkbündel und das zweite, bereits sehr geschrumpfte Bündel mit der Verpflegung und folgte den anderen. Das Gelände fiel zur Ebene hin ab. Die Straße, die von der Stadt zur Burg führte, war gut zu erkennen. Wie ein schmales Band zog sie sich durch den grünen Teppich des Urwaldes.
Auch von anderen Seiten kamen nun Pilger hinzu und stießen zu bereits bestehenden Gruppen. Kun Tares ging meist allein, um sich nicht das Geschwätz der anderen anhören zu müssen. Er hatte nun genug mit sich selbst und seinen geheimsten Plänen zu tun. Alles hing natürlich davon ab, dass diese Burgwächter ihn auserwählten und zur Krone führten. Er wusste nicht, was er tun sollte, wenn das nicht geschah, aber es würde sich auch dann schon ein Ausweg finden lassen. Nur wurde dann alles schwieriger, vielleicht undurchführbar.
Die Felsenburg lag auf dem abgeflachten Gipfel eines kegelförmigen Berges, ein gigantisches Bauwerk mit mächtigen Mauern, die an manchen Stellen mehr als hundert Meter senkrecht in die Tiefe fielen. Es würde unmöglich sein, sie ohne technische Hilfsmittel zu ersteigen. Die Wächter konnten sich recht sicher fühlen.
Eine tiefer gelegene Ringmauer umgab den Burghof, der dreihundert Meter unter der eigentlichen Burg lag. Eigentlich bestand er nur aus einem durch die hohe Mauer abgeschirmten Stück Urwald, das allerdings zum größten Teil gerodet war und nicht so wild wirkte wie der Wald, dem Kun Tares sich nun näherte.
Die Stadt lag weit hinter ihm, als er endlich die Straße erreichte und dem Zug der Pilger folgte. Die Burg ragte wenige Kilometer entfernt in den immer noch wolkenlosen Himmel. In zwei oder drei Stunden würde es dunkel werden.
Er beschleunigte seine Schritte, denn er hatte keine Lust, sich auch noch mit unbekannten Raubtieren herumschlagen zu müssen, zumal er keine Waffe besaß – oder besitzen durfte. Er überholte mehrmals ermattete Wanderer, warf ihnen ein aufmunterndes Scherzwort zu – und ging weiter. Jetzt musste jeder für sich selbst sorgen.
Die Auswahl würde morgen beginnen.
Kun Tares kam unangefochten durch das Gefahrengebiet und erreichte den Fuß des Berges, als die Sonne noch zwei Handbreit über dem Horizont stand. Der Wald wurde etwas lichter, und von Raubtieren hatte er nichts bemerkt. Vielleicht gab es überhaupt keine, und sie waren nur erfunden worden, um die letzten Kraftreserven der Wallfahrer zu mobilisieren.
Zwei Wächter der Krone standen rechts und links des großen Tores, das in den Burghof führte. Die Kontrolle war nicht der Rede wert, denn niemand würde es wagen, sich unter die Pilger zu mischen, wenn er nicht von einem Priester für die Wallfahrt bestimmt worden war.
Kun Tares atmete auf, als er in dem bewaldeten Hof war, dessen Gelände zur Burg hin steil anstieg. Die Straße führte in Serpentinen weiter, aber sie war schmaler geworden. Wenn es hier einen regulären Verkehr gab, dann höchstens solchen mit Geschenklasten für die Burgwächter.
Er folgte der Straße, um noch vor Dunkelwerden so nahe wie möglich an die Burg heranzukommen. Es konnte kein Fehler sein, schon jetzt gewisse Erkundigungen einzuziehen, die ihm morgen nur wertvolle Zeit rauben würden. Er musste das Gelände kennen, wenn sein Unternehmen von Erfolg gekrönt sein sollte.
Dicht unter der eigentlichen Burgmauer, die an dieser Stelle achtzig Meter hoch sein mochte, traf er einige Pilger, die er von der Reise her kannte. Durch seine lange Pause hatten sie ihn überholt und waren vor ihm hier eingetroffen.
»Kun Tares, du hast es auch geschafft?«, fragte ihn jemand spöttisch und deutete auf ein freies Stück Wiese. »Hier ist noch Platz für dich. Setz dich zu uns!«
Kun Tares setzte sich und packte die letzten Nahrungsmittel aus.
»Ich nahm mir Zeit«, erklärte er kauend. »Erst morgen beginnt die Auswahl, warum also sollte ich mich beeilen? Sind alle durchgekommen?«
»Ohne Ausnahme. Wir sollten in dieser Nacht ruhig schlafen und Kräfte sammeln, damit wir morgen den Wächtern der Krone offen in die forschenden Augen blicken können.« Er deutete hinab in die Ebene zur Straße. »Viele von ihnen werden in die Dunkelheit geraten und den Raubtieren zum Opfer fallen.«
»Es gibt keine Raubtiere«, sagte Kun Tares.
»Woher willst du das wissen?«, fragte einer der Pilger.
Kun Tares sagte vorsichtig: »Ich hätte es bemerkt. Vielleicht schlafen sie aber auch am Tage und sind nur nachts munter.«
»So wird es sein«, sagte der Pilger.
Kun Tares beschloss, künftig noch vorsichtiger zu sein. Allzuviel Positives konnte sich sehr schnell in nur Negatives verwandeln.
Es wurde schneller dunkel als im Dorf. An einigen Stellen wurden Feuer entzündet, aber Kun Tares rollte sich zusammen und versuchte, ein wenig zu schlafen.
*
Der Eingang zur Burg selbst wurde schärfer bewacht. Die Pilger mussten sich ausweisen, indem sie den Bleikristall vorzeigten, der ihnen vom Hohepriester ihres Dorfes mitgegeben worden war. Auch Kun Tares besaß diesen Kristall, den er nun auf flacher Hand dem Wächter entgegenstreckte, der ihn nur kurz musterte und dann dem nächsten Pilger zuwinkte.
Kun Tares ging weiter. Das Tor blieb zurück, und er befand sich jetzt im inneren Burghof, wo sich die Wallfahrer in Gruppen sammelten und diskutierten. Niemand wusste genau, wie die letzte Auswahl vor sich gehen würde. Es gab zu wenige, die die Krone gesehen hatten und erzählen konnten, und jeder erzählte die Geschichte ein wenig anders.