Nr. 592
Eine Welt in Trümmern
Flug zur Heimat der Paramags – das lange Warten hat ein Ende
von ERNST VLCEK
Auf Terra und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Mitte Juli des Jahres 3444 – das heißt, es sind nur noch zwei Wochen bis zum 1. August, dem Termin der Neuwahlen zum Amt des Großadministrators. Während die Propagandamaschinerien der zugelassenen Parteien auf Hochtouren laufen und die betreffenden Kandidaten sich selbst in das beste und ihre Gegner in das schlechteste Licht zu rücken bemüht sind, unternimmt Perry Rhodan nichts, um seine Wiederwahl sicherzustellen. Dem Großadministrator geht es vor allem darum, die schrecklichen Folgen der Asporc-Katastrophe, für die die Menschheit indirekt verantwortlich ist, zu beseitigen und die acht Second-Genesis-Mutanten, seine alten Mitstreiter beim Aufbau des Solaren Imperiums, zu unterstützen.
Und so lässt er mit der MARCO POLO und einem Teil ihrer Trägerschiffe den Riesenmeteoriten verfolgen, in dem sich die »Geistermutanten« aufhalten, weil sie ohne direkten Kontakt mit PEW-Materie nicht mehr lebensfähig sind.
Der geheimnisvolle Riesenmeteorit, der jahrtausendelang auf der Welt der Asporcos ruhte und mitsamt seiner Besatzung überraschend zu neuem Leben erwachte, nähert sich inzwischen dem Ort, von dem aus er seine Reise antrat. Der Ort ist EINE WELT IN TRÜMMERN.
Die Hauptpersonen des Romans
Perry Rhodan – Der Großadministrator verliert die Spur des Meteoritenraumschiffs.
Galzhasta Rouk – Ezialist an Bord der MARCO POLO.
Neryman Tulocky und Powlor Ortokur – Überlebensspezialisten von Oxtorne.
Betty Toufry – Sprecherin der Mutanten des alten Korps.
Ralf Marten – Der Teleporter verliert seinen Asporco-Körper.
Thalano – Ein Philosoph aus dem Trümmersystem.
Prolog
»Habt ihr es schon vernommen – ein Toter kehrt heim!«
Die Kunde ging von einem zum anderen; sie breitete sich mit der Geschwindigkeit des lodernden Lichts aus; und bald wussten alle die Neuigkeit.
Ein Toter kehrt heim!
Wie viele Generationen hatten sie auf diese Nachricht warten müssen! Wie lange waren sie voll Ungeduld und Ungewissheit gewesen!
Das lange Warten hatte viele skeptisch werden lassen. Vor allem die Jugend wollte nicht mehr daran glauben, dass sich die Prophezeiungen eines Tages erfüllen würden.
Es hatte sie amüsiert, wenn die Alten behaupteten: »Eines Tages wird es vor der flammenden Lebenskulisse unserer Welt zu einer Wiederkehr kommen. Dann werden sich die neun Lücken im Lebensboden füllen – und unser Volk wird Antwort auf die letzten Fragen erhalten.«
Das waren Worte voll mystischer Anspielungen, für die die Jungen kein Ohr hatten. Die Jugend wollte immer und überall klare Antworten auf die nagenden Fragen.
Wie sieht es hinter der flammenden Lebenskulisse aus?
Die Rückseite der Kulisse ist öd und kalt. Es flammt, ja, aber nur gelegentlich – es ist mehr ein Aufflackern, in dem nicht der Funke des Lebens ist.
Gibt es auch dort, wo die Lebensstrahlen nicht lodern und das Licht keine gleißende, lebenspendende Fackel ist, einen Lebensboden?
Vielleicht ... Wer mag das sicher wissen, wenn er nicht durch die Flammen der Lebenskulisse hindurchblicken kann. Es gibt Berichte unserer Ahnen, die sprechen von einem Lebensboden, der paradiesischer ist als unsere zerklüftete, zersprengte Heimat. Aber wer kann es wagen, schon jetzt mit Bestimmtheit Antwort zu geben? Solange nicht die neun Lücken gefüllt sind, müssen wir warten.
Womit sollten die neun Lücken gefüllt werden?
Wann werden die neun Lücken gefüllt?
Darauf konnten auch die Weisen den Jungen keine Antworten geben. Und die Jungen wuchsen mit ihren Zweifeln auf.
Aber mit zunehmendem Alter erkannten sie, dass man nicht alle Dinge völlig enträtseln musste, um an sie zu glauben; die großen Wahrheiten waren nicht immer die, die man durch Beweise erfuhr, sondern sehr oft auch die, auf die man gefühlsmäßig stieß.
Mit den Wissenschaften ließen sich viele Rätsel lösen.
Mit Hilfe der Technik konnte man viele angeborene Unzulänglichkeiten ausmerzen.
Aber der Geist allein war es, der über die Möglichkeiten der Technik und der Wissenschaften hinausschoss.
Und je älter die jungen Rebellen wurden, desto mehr erkannten sie, dass Weisheit nicht allein Wissen, sondern noch viel mehr Erahnen war.
Als sie das erkannten, waren sie weise genug, den Jungen der nächsten Generation zu prophezeien: »Eines Tages wird es vor der flammenden Lebenskulisse unserer Welt zu einer Wiederkehr kommen. Dann werden sich die neun Lücken im Lebensboden füllen – und unser Volk wird Antwort auf die letzten Fragen erhalten.«
Das waren mystische Worte, die sich nun aufklären sollten.
Die Zweifler aus den Reihen der jungen Generation würden nun endlich durch den endgültigen Beweis zum Verstummen gebracht werden. Und die alten Weisen brauchten sich nicht mehr hinter Andeutungen und Ahnungen zu verschanzen.
Denn es stand fest:
Ein Toter kehrt heim!
Eine der neun Lücken würde sich schließen! In den in unzählige Sprengel aufgeteilten Lebensboden würde sich einer der fehlenden Mosaiksteine einfügen. Unter den Strahlen des lodernden Himmels, vor der gleißenden, flammenden Lebenskulisse würde es zu der versprochenen Wiederkehr kommen.
Die Freude auf diesen großen Augenblick war in allen Volkskreisen gleichermaßen euphorisch: Die von den Wissenschaften, die Jünger der Technik, die Philosophen, die namenlosen Individuen der Masse und die jungen Rebellen – sie alle standen in fiebriger Erwartung des großen Ereignisses.
Überall auf dem Lebensboden, in allen Sprengeln und in den Verbindungsnetzen bot sich das gleiche Bild: Es herrschte ein hektisches Nach-allen-Seiten-hin-sich-wenden und ein Auf-allen-Ebenen-sich-Tummeln.
Der Überschwang war so groß, dass niemand auf die Warnungen der Techniker und Wissenschaftler hörte, die zu bedenken gaben, dass es zu Schwierigkeiten kommen könne.
Alles war eitel Jubel und Freude.
Das Volk ließ sich von den Philosophen mitreißen, die den Ruf ihrer Stimme über den Lebensboden hinaus und durch die flammende Lebenskulisse hindurch schickten: »Einer der Toten kehrt heim! Es ist der Beginn der ewigen Freuden!«
1.
»Die Hyperlichttriebwerke des Meteoriten laufen wieder an. Es scheint sich eine neue Transition anzubahnen!«
Diese Nachricht aus der Ortungszentrale beunruhigte Perry Rhodan zutiefst. Denn schon bei der letzten Transition über eine Entfernung von 9300 Lichtjahren war der Eintauchort kaum mehr anzumessen gewesen.
Bei der nächsten Transition würden sich die Ortungsschwierigkeiten vervielfachen. Denn dann würde der Meteorit noch näher dem Zentrum materialisieren, wo die Sonnen viel dichter standen als hier im inneren Zentrumsring der Galaxis. Die vier- und fünfdimensionalen Schockwellen, die bereits beim letzten Transitionseintauchpunkt teilweise von der Sonnenstrahlung überlagert wurden, würden dann kaum noch anmessbar sein.
Rhodan überlegte fieberhaft, während er auf den riesigen Panoramabildschirm blickte, auf dem ein Ausschnitt der zerklüfteten Oberfläche des Meteoriten zu sehen war.
Die MARCO POLO hatte sich bis auf eine Entfernung von drei Kilometern herangewagt, damit die beiden Telepathen Gucky und Fellmer Lloyd ohne besondere Anstrengungen mit Betty Toufry in Kontakt treten konnten.
Wenn sich allerdings die Prognosen der Ortungszentrale bewahrheiteten und der Meteorit neuerlich mittels des interportablen Stützmassen-Hebelaufrisses transitierte, dann würde sich das Ultraschlachtschiff der Trägerklasse schnellstens zurückziehen müssen. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass die Hyperschockwellen dem Paratronschirm gefährlich werden konnten.
Um nicht das mindeste Risiko einzugehen und um notfalls schneller operieren zu können, entschloss sich Rhodan zu einer Sicherheitsmaßnahme.
Er ließ sich über Funk mit der CMP-1 verbinden, von wo der Ertruser Oberst Toronar Kasom den Verband der 49 ausgeschleusten Kreuzer befehligte.
Als der Ertruser auf dem Bildschirm des Hyperkoms erschien und Meldung erstatten wollte, winkte Rhodan ab und sagte: »Der Meteorit scheint eine neue Transition vorzubereiten. Ich möchte, dass alle neunundvierzig Kreuzer an Bord der MARCO POLO zurückgekehrt sind, wenn es soweit ist. Leiten Sie diesen Befehl an die Flottillenchefs weiter, Oberst.«
»Jawohl, Sir.«
Als Rhodan den Zweifel im Gesicht des Ertrusers bemerkte, fragte er: »Haben Sie irgendwelche Bedenken?«
»Ich fand nur, dass sich die Methode, den Eintauchpunkt des Meteoriten von allen ausgeschleusten Einheiten und aus verschiedenen Richtungen anzumessen, bewährt hat, Sir«, antwortete der Ertruser. »Ich glaube, dass sich dieser Erfolg wiederholen ließe.«
»Möglich, aber die Beiboote stellen auch einen Unsicherheitsfaktor dar«, erklärte Rhodan. »Durch die zu erwartenden Strukturerschütterungen bei der Transition sind die Kreuzer besonders gefährdet. Nur um besser geschützt zu sein, sollen sie an Bord der MARCO POLO kommen. Ich möchte verhindern, dass ein Schiff dem Meteoriten zu nahe kommt und mit in den Hyperraum gerissen wird. Das ist alles, Oberst.«
Rhodan unterbrach die Verbindung.
Atlan, der im Kontursessel neben ihm saß, deutete auf den Monitor vor sich, auf dem stets die neuesten Ortungsergebnisse aufgezeichnet wurden.
»Die Maschinerie des Meteoriten arbeitet nach wie vor reibungslos«, sagte der Arkonide. »Ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Paramags von der mentalen Kontaktgebung immer noch ausgeschaltet sind. Nach wie vor dürfte der Paradox-I-Komplex für die Steuerung des Raumschiffmeteoriten verantwortlich sein.«
Rhodan nickte.
»Dieser Paradox-I-Komplex ist ein kaum begreifbares Phänomen. Man muss sich vorstellen, dass er aus der Intelligentwerdung der PEW-Metallvorkommen innerhalb des Meteoriten resultiert. Durch eine Modifizierung, wahrscheinlich durch die Beeinflussung der Second-Genesis-Mutanten, wurde das PEW-Metall intelligent. Es bildete sich ein frequenzbedingtes Machtbewusstsein auf verformungsmaterieller Paradox-Intelligenz. Und diese Paradox-Intelligenz hat die Macht auf dem Meteoriten übernommen – das muss man sich vorzustellen versuchen!«
Atlan grinste.
»Das Problem wird noch schwieriger, wenn man nach einer Möglichkeit sucht, die Paradox-Intelligenz zu bekämpfen. Dabei hat Geoffry in Aussicht gestellt, dass die Intelligenz des PEW-Metalls noch weiter wächst. Die Second-Genesis-Mutanten glauben auch nicht, dass sich der Paradox-I-Komplex mit der Steuerung des Meteoriten begnügt, und dass er noch nicht seine ganze Macht ausgespielt hat!«
Von den beiden unbemerkt, war Gucky in ihrem Rücken materialisiert.
»Wenn man euch beiden so zuhört, lernt man das Fürchten«, sagte er vorwurfsvoll. »Das ist ja die reinste Schwarzmalerei.«
Rhodan wirbelte herum.
»Gibt es Neuigkeiten von den Mutanten?«, fragte er.
»Das kann man wohl sagen.«
*
Gucky machte eine Pause, in der er Rhodans und Atlans erwartungsvolle Blicke genoss, dann fuhr er fort: »Betty hat uns einiges verschwiegen. So, zum Beispiel, dass sie pausenlos von den Robotern gejagt werden. Dafür macht sie, wie für die anderen Geschehnisse, den Paradox-I-Komplex verantwortlich. Nach jedem Aufwallen der fremdartigen Mentalimpulse beginnen die Roboter regelrecht Amok zu laufen.«
»Warum hat sie uns nicht mitgeteilt, dass die Roboter eine solche Bedrohung darstellen?«, rief Rhodan verärgert.
»Weil die Mutanten bisher relativ leicht mit ihnen fertig geworden sind«, erwiderte Gucky. »Außerdem glaubten sie, dass diese Gefahr gebannt sei. Nach der Transition hielten sich die Roboter im Hintergrund. Aber nur, solange die Magnetläufer-Wanderung der Paramags angehalten hat. Danach griffen die Roboter wieder mit unverminderter Vehemenz an. Jetzt veranstalten sie ein regelrechtes Kesseltreiben auf die Mutanten. Sie konnten sich nur eine Atempause verschaffen, weil Wuriu Sengu mit seiner Späherfähigkeit einen Hohlraum ohne Zugang ausgemacht hat, in den sie mit Tako Kakutas Hilfe teleportierten. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Roboter durch den Fels einen Weg zu ihnen geschmolzen haben.«
Perry Rhodan presste die Kiefer so fest aufeinander, dass die Backenmuskeln hervortraten.
»Wenn ich von den Schwierigkeiten geahnt hätte ...«
»Hättest du dann den Mutanten die versprochene Hilfe geschickt?«, erkundigte sich Atlan mit leisem Spott.
»Die Mutanten haben noch immer keine Waffen bei sich«, fuhr Gucky fort. »Tako Kakuta ist nur ein einziges Mal zum Lager teleportiert, um aus den zurückgelassenen Vorräten Lebensmittel zu holen. Ein zweites Mal wollte er nicht hinspringen, um sich kräftemäßig nicht zu sehr zu verausgaben. Ich kann mir schon vorstellen, dass es ihn parapsychische Substanz kostet, wenn er ständig mit seinen Kameraden teleportieren muss, um sie vor den Robotern zu retten. Aber es gibt auch etwas Erfreulicheres zu berichten.«
»So?« Rhodan seufzte. »Das hätte ich nicht mehr zu hoffen gesagt.«
»Ich habe vorhin die Magnetläufer-Wanderung erwähnt«, erzählte Gucky. »Nach der Transition stellten die Mutanten fest, dass die Paramags von einem regelrechten Wandertrieb befallen schienen. Sie fädelten massenweise in die PEW-Adern ein und strebten einem gemeinsamen Ziel entgegen. Daraufhin übernahmen Betty, Tako Kakuta, Kitai Ishibashi und Son Okura jeder einen Paramag und schlossen sich der Wanderung an. Und wo, glaubt ihr, kamen sie heraus? In einem Planetarium!«
»In einem Planetarium?«, wiederholten Rhodan und Atlan wie aus einem Mund.
Gucky nickte bekräftigend.
»Betty sprach von einer gigantischen Kuppel, an deren Innenfläche eine naturgetreue Nachbildung des Zentrumsgebiets der Galaxis zu sehen war. Außerdem zeigte ein Lichtpunkt die Position des Meteoriten an.«
Rhodan und Atlan hielten gespannt den Atem an. Als Gucky nicht weitersprach, erkundigte sich Rhodan: »Und – war auch das Ziel markiert?«
»Leider nicht«, sagte Gucky bedauernd. »Betty nimmt an, dass der Zielpunkt deshalb nicht gekennzeichnet war, weil er den Paramags ohnehin bekannt sein müsste. Als der Meteorit startete, wurde offenbar nicht bedacht, dass die Paramags degenerieren könnten. Es wäre aber auch möglich, dass die Zielkoordinaten aus den Speichern des Planetariums bei der Bruchlandung auf Asporc gelöscht wurden. Vielleicht aus Sicherheitsgründen, damit Fremde nichts über die Herkunft des Meteoriten erfahren.«
»Wie dem auch sei«, sagte Rhodan fest. »Die Zielkoordinaten müssen irgendwo in dem Meteoriten noch gespeichert sein!«
»Ich weiß, was du denkst«, sagte Atlan und schüttelte den Kopf. »Du hoffst, die Unterlagen zu finden. Aber bevor das gelingen kann, wird der Meteorit sein Ziel schon längst erreicht haben. Trotzdem bin ich nach wie vor der Meinung, dass es nützlich wäre, Verstärkung zum Meteoriten zu schicken. Schon allein um der Sicherheit der Mutanten willen.«
Rhodan nickte zustimmend.
»Dein Vorschlag, Arkonide?«
»Wusste ich doch, dass du noch zur Einsicht kommst«, meinte Atlan zufrieden. »Wenn du also meine Meinung hören willst: Schick kein großes Kontingent zum Meteoriten. Wer weiß, vielleicht reizt das den Paradox-I-Komplex zu einer Reaktion. Selbst ein Vier-Mann-Beiboot wäre schon zuviel. Am besten überhaupt kein Schiff. Am ungefährlichsten wäre es, den Transmitter zu benützen, den wir bei unserem ersten Besuch auf dem Meteoriten zurückgelassen haben. Wir können ihn durch einen Funkimpuls aktivieren und dann wieder ausschalten, nachdem die beiden Männer durch sind.«
»Ich vermute, du hast bereits konkrete Vorstellungen, wer die beiden Männer sein könnten«, sagte Rhodan.
Atlan nickte.
»Niemand wäre für diesen Einsatz besser geeignet als die Überlebensspezialisten von Oxtorne, Powlor Ortokur und Neryman Tulocky!«
2.
Die beiden Männer konnten sich in der engen Testkabine mit der Grundfläche von vier mal vier Metern kaum bewegen. Aber das war auch gar nicht nötig. Sie konnten stundenlang in ein und derselben Stellung ausharren. Ausschlaggebend für sie war, dass innerhalb der Kabine die extremsten Umweltbedingungen simuliert werden konnten.
Sie waren beide annähernd gleich groß – 1,96 und 1,95 Meter –, hatten haarlose Schädel, mit breiten, wie aus Granit gehauenen Gesichtern, die bar jeglichen Bartwuchses waren. Nur auf den stark vorgewölbten Brauenwülsten wuchsen dichte schwarze Haarbüschel.
Diese markante Physiognomie, der muskulöse Körperbau und die 1,20 Meter breiten Schultern charakterisierten sie als Oxtorner. Als »Umweltangepasste mit Kompaktkonstitution« von einem Planeten, auf dem die Temperaturen zwischen minus 120 Grad Celsius und plus 100 Grad schwankten, wo es ständig zu schweren und schwersten Bodenbeben kam, wo Stürme bis zu 1000 Kilometer Stundengeschwindigkeit herrschten und die Schwerkraft 4,8 Gravos betrug.
Und doch unterschieden sie sich von anderen Oxtornern.
Rein äußerlich allein durch ihre olivgrüne Haut, die ölig glänzte, hart und elastisch wirkte und der man die Widerstandsfähigkeit von bestem terranischen Stahlplastik zuerkennen würde.
Aber es gab noch einen anderen, viel einschneidenderen Unterschied zu anderen Oxtornern, den man nicht sehen konnte, denn er lag in einer besonderen Genmodifizierung.
Die beiden Oxtorner in der Testkabine galten als so genannte »Faktorträger« – und sie hatten deshalb an Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit ihren Artgenossen einiges voraus.
Powlor Ortokur, der größere der beiden, nahm eine Schaltung vor.
Die Temperatur innerhalb der Testkabine sank von einem Augenblick zum anderen um zweihundert Grad. Dazu kam noch, dass das Sauerstoffgemisch abgesaugt und durch ein Wasserstoff-Methan-Gemisch ersetzt wurde.
Die Schwerkraft stieg merklich – 10 Gravos ... 15 Gravos ...
Und die Temperatur sank immer tiefer.
Die Sauerstoffreste in dem für Menschen absolut giftigen Atmosphäregemisch festigten sich innerhalb der nebeligen Wasserstoffschleier und wurden flüssig; der flüssige Sauerstoff lagerte sich auf den Gesichtern der beiden Oxtorner ab, bildete Tropfen, die in dünnen Rinnsalen rasend schnell, dem Zug der ungeheuren Schwerkraft folgend, über ihre Spezialkombinationen abflossen.
Minus 193 Grad Celsius!
Abgesehen von der giftigen Atmosphäre, hätte diese niedrigen Temperaturen kein anderer Oxtorner überlebt.
Neryman Tulocky, der um einen Zentimeter kleiner war als sein Kamerad und dessen Gesichtszüge weicher wirkten, atmete tief aus. Dabei kam aus seinem Mund eine Wolke aus feinsten Sauerstofftropfen, die während der Umstellung auf die gewandelten Bedingungen von seinem Körper abgestoßen wurden. Er benötigte für den Stoffwechsel nicht mehr Sauerstoff, sondern atmete als Verbrennungsenergie den hochaktiven Wasserstoff ein.
Diese phantastische Wandlungsfähigkeit des gesamten Organismus war auf ein gewagtes Experiment der oxtornischen Kosmogenetiker zurückzuführen. Als Ergebnis dieser Genmodifizierung war eine »anpassungsvariable Verbandsumstellung« innerhalb der zelleigenen Molekülgruppen erreicht worden, die unter extremen Bedingungen sogar zu einer Zweckmodifizierung der kleinsten Naturbausteine, der Atomgruppen, führen konnte.
Damit war der Organismus der beiden oxtornischen Faktorträger infolge der von den Gen-Wissenschaftlern modifizierten Erbmasseneigenschaften in der Lage, sich jederzeit und augenblicklich auf extremste Bedingungen einzustellen. Und zwar geschah dies ohne bewusstes Zutun der beiden Oxtorner, sozusagen als motorische Reaktion.