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Geheimnisvolle Botschaften

erzählt von Christoph Dittert

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

 

 

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© 2011, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

 

Based on characters by Robert Arthur.

 

ISBN 978-3-440-13268-5

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Der Pergamentmacher

Eine rotblau lodernde Flamme schoss auf Justus Jonas zu.

Der stockte so abrupt, dass Bob Andrews, der dicht hinter ihm ging, ihn anrempelte. Justus verschluckte sich vor Schreck und hustete, konnte seinen Blick jedoch nicht von dem flackernden Feuer vor dem Gesicht des fremden Mannes lösen.

»Mensch, Just«, beschwerte sich Bob, »pass doch auf!«

»Ich soll aufpassen? Das gilt wohl eher für ihn hier!« Der Erste Detektiv wies auf den Feuerschlucker in einem einteiligen gelben Anzug. Einige Kinder in der Menschenmenge rundum deuteten mit offenem Mund auf ihn, ehe sie von ihren Eltern weitergeschoben wurden.

An diesem Wochenende fand auf dem Marktplatz von Rocky Beach ein Handwerkermarkt statt, was dank des schönen Wetters jeden einzelnen Einwohner des Küstenstädtchens angelockt zu haben schien. Die Sonne brannte heiß, und es wehte kaum ein Lüftchen an diesem frühen Nachmittag. Menschen drängten sich dicht an dicht und raubten sich gegenseitig den Platz vor den Ständen, von denen etliche in der Masse nur zu erahnen waren.

Der spargeldürre Feuerschlucker senkte eine lodernde Fackel, blies eine letzte Flamme in die Höhe und wischte sich über den Mund. »Entschuldige, Junge.« Seine Stimme klang rau, er räusperte sich und es hätte Justus nicht gewundert, wenn sich ein Rauchwölkchen aus der breiten Nase gekräuselt hätte. »Hab gerade die Kleine dort drüben beobachtet und dich deshalb nicht gesehen. Du verstehst schon?« Mit einem verschwörerischen Zwinkern deutete er über die Schulter zu einer blonden Frau. Ein kunstvoll geflochtener Zopf fiel ihr über den Rücken und schlängelte sich von dort bis zu den Oberschenkeln. So bildete er rechts und links der Wirbelsäule ein doppeltes »S«. Einige Haken an der Kleidung hielten die Haare in Position.

Im nächsten Moment verschwand der Feuerschlucker ohne ein weiteres Wort in der Menge.

»Interessant.« Justus ging in die Richtung, in die der Feuerschlucker gedeutet hatte. »In der Tat höchst bemerkenswert. Kommt mit!«

Seine beiden Freunde folgten ihm. »Ich sehe es zwar, aber ich kann es kaum glauben«, sagte Bob. »Ich meine, die Frisur mag ja … cool sein, aber dass du dich für …« Er brach mitten im Satz ab, als Justus an der Blondine vorbeiging.

Er drängte sich an einigen Kindern vorbei, die mit großen Augen einem Schmied dabei zusahen, wie er mit einem schweren Hammer auf ein glühendes Eisenstück einschlug. Gegen einen Holztisch lehnten drei Schwerter mit blitzenden Klingen.

Schließlich blieb der Anführer der drei ??? direkt neben einem unscheinbaren Mädchen etwa in seinem Alter stehen. Es trug einen Rucksack und eine braune Baseballmütze.

»Was will er denn gerade von dem Mauerblümchen?«, flüsterte Peter – nicht leise genug, denn Justus konnte ihn hören, und das Mädchen wahrscheinlich auch.

Doch es ging Justus nicht um das Mädchen, sondern um den Stand, den es betrachtete.

Vor einem feuerroten Plymouth – einem 1958er Fury, wenn er sich nicht täuschte – ragte ein hoher, windschiefer Klapptisch auf. Er sah aus, als müsste er bei der ersten Windbö in sich zusammenbrechen. Auf der Kante des geöffneten Kofferraums saß ein dicker Mann mit einer klobigen Brille. Ein abgewetztes graues Hemd und eine Lederweste spannten sich über seinen kräftigen Oberkörper, durch den schwarzen Schnauzbart zogen sich an manchen Stellen silbrig weiße Strähnen. Auf dem Tisch lagen einige Broschüren und Stapel von dicken Papierbögen. Rundum drängten sich merklich weniger Leute als überall sonst. Die drei ??? und das Mauerblümchen waren die einzigen Besucher.

Justus hob einen der braunen Bogen vom Tisch und hielt ihn über dem Kopf gegen die Sonne. Das Licht schien hindurch und ließ das Papier goldgelb glänzen. Nein, es handelte sich nicht um einfaches Papier – es war fester und …

»Pergament, Junge«, rief der dicke Mann. »Und diese Hände haben es selbst gefertigt!« Er hob demonstrativ die Arme; die Finger waren erstaunlich sehnig, die Nägel kurz geschnitten und gelblich verfärbt wie bei einem starken Raucher.

»Ich nehme mit einiger Gewissheit an«, erwiderte Justus, »dass es nicht Ihre Hände allein vollbracht haben, sondern Ihnen auch Ihr Kopf mitgeholfen hat?«

Der andere stutzte und lachte dann dröhnend. »Sehr gut, Bursche! Du gefällst mir! Ich sag dir was – du erhältst zehn Prozent Preisnachlass auf alles, was du heute kaufst.« Er griff nach einer der Broschüren und hielt sie Justus hin. Darin wurden offenbar die Pergamente vorgestellt; quer über die Titelseite zog sich das Wort ›Preisliste‹.

Das Mauerblümchen hob den Kopf. »Das bieten Sie wohl auch jedem an, was, Arthur?« Sie klang, als hätte sie Schnupfen, und prompt musste sie niesen.

Peter wich einen Schritt zurück – einen Schnupfen konnte er gar nicht gebrauchen. Das Wochenende hatte gerade erst begonnen, und er wollte es nicht mit einer Erkältung im Bett verbringen.

Der Mann erhob sich. Das Auto quietschte in der Federung und ruckte ein Stück in die Höhe. »Nun ja, jedem vielleicht nicht, aber der Junge gefällt mir, und du … du tust mir leid, Barbara. Oder besser gesagt, dein Vater tut mir leid, und ich finde es toll, dass du ihm helfen willst. Einen Einbruch steckt man nicht einfach so weg. Also unterstütze ich dich. Weißt du, so dick ich bin, so gutmütig bin ich auch.«

Der Erste Detektiv legte den Pergamentbogen wieder auf den Tisch. Er wollte mit Daumen und Zeigefinger seine Unterlippe kneten, wie immer, wenn er besonders scharf nachdachte. Aber seine Finger rochen leicht muffig nach einem alten Ledermantel. Bestand Pergament nicht aus getrockneter Tierhaut? Er ließ die Hand wieder sinken. »Nicht dass ich mich einmischen möchte, aber …«

»Aber du tust es trotzdem, ja?« Barbara zog ihre Baseballmütze tiefer in die Stirn. Braune Locken umrahmten ihr etwas pausbäckiges Gesicht. Die Augen schimmerten graugrün.

Justus verkniff sich ein Grinsen. Sie war wirklich schlagfertig.

»Es ist eine Art berufliche Neugier«, erklärte Justus. »Wenn jemand etwas von einem Einbruch erzählt, werde ich automatisch hellhörig. Es geht mich womöglich nichts an, aber …«

»Damit hast du recht«, sagte Barbara schnippisch.

»Lass es, Just«, bat Peter. »Wenn jemand unsere Hilfe nicht will, drängen wir uns auch nicht auf.«

Justus Jonas hingegen zeigte sich unbeeindruckt. »… wir sind Detektive«, beendete er seinen Satz. »Wenn du Unterstützung brauchst …« Er zückte eine Visitenkarte der drei ???.

Barbara warf einen kurzen Blick darauf, griff aber nicht danach. »Zehn Prozent, ja?«, fragte sie den Standbesitzer und widmete sich erneut der Broschüre.

Justus ließ die Karte in seiner Hosentasche verschwinden.

Die kleine Szene war Peter sichtlich peinlich. Er senkte den Blick.

Bob trat unbehaglich von einem Bein aufs andere. Er wandte sich an den Verkäufer. »Hören Sie, Mister …?«

»Arthur«, erklärte der Dicke. »Nenn mich schlicht und einfach Arthur. Mein Handwerk ist viele Jahrhunderte alt, und damals sprach man die Leute auch nicht so förmlich an. Oder glaubst du, man sagte Mr Arthur zu dem legendären König und seiner Tafelrunde?«

»Wohl kaum«, gab Bob zu.

»Also den König hat man sicher mit Ehrfurcht behandelt«, wandte Justus ein. »Aber ich weiß, was Sie eigentlich meinen, Arthur.«

Ein gelangweilt aussehender Mann blieb neben den drei ??? stehen. »Lose?«, fragte er und hielt ihnen ein Holzkistchen entgegen. »Garantiert jeder dritte Versuch gewinnt«, leierte er herunter, »sonst bekommst du dein Geld zurück.«

Justus schüttelte den Kopf. »Kein Interesse.« Der Losverkäufer tauchte wieder in der Menge unter.

»Worin genau besteht Ihr Handwerk, Arthur?«, wollte Peter wissen.

»Ich bin Pergamentmacher. Ich arbeite nach den alten Überlieferungen meiner Vorfahren, die diesem Beruf über viele Generationen nachgingen.«

»Und davon kann man leben?«, fragte Bob.

Arthur lachte. »Das nicht, zugegeben! Aber es ist ein schönes Hobby. Nebenbei handle ich mit Oldtimern. So wie diesem hier.« Er wies über die Schulter nach hinten auf den Plymouth. »Aber meine eigentliche Leidenschaft ist das Erstellen von Pergamenten und auch das Schöpfen von edlem Papier. Diese Kunst war vor allem in Europa verbreitet. Seit sich das Papier durchsetzte, übrigens wahrscheinlich von China aus, benutzte man immer weniger Pergament. Weil es viel teurer war als Papier, das man einfach aus alten Lumpen herstellen konnte. Für ein Pergamentbuch … also meistens für Bibeln, versteht ihr … für ein solches Buch mussten oft ganze Herden geschlachtet werden, damit es genug Viehhaut zum Trocknen gab. Eine Bibelhandschrift war darum meist der wertvollste Besitz eines Klosters, mehr wert als das Gebäude selbst.« Man merkte Arthur die Leidenschaft an, die er für seine Arbeit hegte. »Aber ich will euch nicht langweilen. Heutzutage gibt es natürlich nur noch wenige Pergamentmacher. Ein Handwerk für Liebhaber sozusagen. Im Umkreis von vielen hundert Meilen bin ich der Einzige, und vor mir ging es meinem Vater und dessen Vater ebenso. Meine Familie lebt seit Generationen hier in Rocky Beach, aber richtig bekannt wurden wir mit unserem Hobby nie. Geschweige denn, dass wir viel Geld damit verdient hätten.«

»Also, Arthur«, begann Bob. »Ich notiere mir oft etwas. Ich fände es schön, das einmal auf echtem Pergament zu erledigen. Haben Sie denn kein Heft oder so etwas?«

Der Verkäufer verschränkte seine Finger ineinander und bog sie durch, dass die Gelenke knackten. »Ein Heft nicht. Dies hier ist keine billige Supermarkt-Ramschware, mein Junge! Aber einen edlen Buchblock, traditionell gebunden, damit kann ich dienen.«

»Klingt teuer«, murmelte Bob.

Mit einem Rascheln legte Barbara die Broschüre zur Seite, in der sie eben noch geblättert hatte. »Ist es auch! Ich kaufe trotzdem den Buchblock, den Sie gerade erwähnt haben, Arthur.« Sie zog an der Schnur, die wie eine Kette um ihren Hals lag, und ein Brustbeutel kam zum Vorschein, wie er vor Jahrzehnten in Mode gewesen war.

»Du wirst es nicht bereuen!« Der Pergamentmacher ließ sich wieder auf seinen Platz am Rand des Kofferraums fallen – was den ganzen Plymouth Fury zum Ächzen brachte – und kramte in etlichen Kisten, die den restlichen Kofferraum und den Rücksitz über der heruntergeklappten Lehne füllten.

»Ich hab nachgedacht.« Barbara sah Justus herausfordernd an und streckte die Hand aus. »Die Karte, bitte!«

Justus zog sie aus der Tasche, sie war leicht zerknittert.

Barbara schaute darauf.

 

Visitenkarte

 

»Justus Jonas«, sagte Barbara und musterte Justus einen kurzen Moment. »Peter Shaw.« Sie ließ den Blick zielsicher weiterwandern und lächelte – mehr noch, sie zwinkerte Peter sogar zu. Der wusste gar nicht, wie ihm geschah. »Bob Andrews«, sagte Barbara schließlich.

»Das bin ich«, meinte Bob.

»Ich weiß.«

»Woher? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns dir vorgestellt hätten.«

»Peter hat ihn beim Namen genannt.« Sie wies auf Justus. »Und du hast erwähnt, dass du dir oft Notizen machst. Recherchen und Archiv passte am besten zu dir.«

»Ich bin beeindruckt«, meinte der Erste Detektiv. »Willst du uns nun von dem Einbruch erzählen? Ist dir oder besser gesagt deinem Vater ein Pergamentbuch gestohlen worden?«

Barbara drehte die Visitenkarte in den Fingern der rechten Hand, während sie mit der Linken die Spitzen ihrer Locken um den Zeigefinger wickelte. »Wie kommst du denn da drauf?« Sie war sichtlich beeindruckt.

Ehe der Erste Detektiv antworten konnte, wurde Arthur fündig und kam mit einem altertümlich aussehenden, in Schweinsleder gebundenen Buch zurück. Die Seiten waren dick und leicht wellig. »Wie versprochen, meine Liebe, ein Zehntel billiger!«

Sie bezahlte. Der Pergamentmacher wickelte das Buch in mehrere Lagen Zeitungspapier und steckte das Bündel in eine Plastiktüte. Barbara nahm es und strahlte über das ganze Gesicht. »Mein Vater wird begeistert sein.« Sie wandte sich Justus zu. »Noch mal – wie bist du darauf gekommen?«

»Du hast Arthur offenbar von dem Einbruch berichtet, bevor wir dazukamen. Dafür muss es einen Grund gegeben haben, also irgendeinen Bezug zu ihm. Er bot dir außerdem einen Preisnachlass an, damit du deinem Vater helfen, ihm wahrscheinlich einen Ersatz beschaffen kannst. Bingo.«

»Kommt mit«, bat Barbara und nieste wieder.

»Wohin?«

»Ich will meinen Vater fragen, ob er sich drei Detektive leisten kann.«

»Oh, das ist sicher kein Problem«, meldete sich Peter zu Wort.

»So?«, fragte Barbara.

»Wir nehmen kein Geld.«

Sie lachte, und in den graugrünen Augen blitzte der Schalk. »Und ich dachte schon, ihr würdet mir zehn Prozent Ermäßigung anbieten.«

 

Barbara teilte den drei ??? mit, dass sie mit ihrem Vater im Villenviertel von Rocky Beach wohnte, nicht weit von den Ausläufern der Steilküste entfernt.

Sie beschlossen, das kurze Stück zu Fuß zu gehen. Doch schon nach fünf Minuten, als Justus mit einem Blick auf die Uhr feststellte, dass sich die Mittagszeit näherte, merkte er, wie hungrig er war. Außerdem kam er ins Schwitzen.

Er beschloss, sich von seinem Hunger abzulenken. »Wie war das genau, Barbara? Mit dem Einbruch, meine ich.«

Sie antwortete ihm nicht gleich, sondern marschierte forsch weiter. In einem Netz an der Seite ihres Rucksacks schlenkerte eine Flasche mit rotem Saft hin und her. »Lass mich euch erst mal etwas anderes erklären«, sagte sie schließlich. »Das Pergamentbuch, das meinem Vater gestohlen wurde, sah dem, das ich Arthur eben abgekauft habe, sehr ähnlich. Na ja, ist auch logisch.«

»Wieso?«, fragte Peter.

»Weil es auch aus Arthurs Hobby-Werkstatt stammte. Oder besser gesagt, aus der von dessen Urgroßvater.« Barbara grinste. »Pergamentmacher gibt es nicht gerade wie Sand am Meer, das hat uns Arthur ja schon gesagt.«

Bob blieb stehen. »Natürlich! Dass ich nicht gleich daran gedacht habe!«

»Was denn?«, fragte Barbara.

»Ich habe von dem Diebstahl in der ›Rocky Beach Today‹ gelesen! War das nicht gerade gestern? Der Schreiber hat sich darüber lustig gemacht, dass eine alles andere als alte Pergamenthandschrift gestohlen wurde. Ob sich die Diebe da nicht gewaltig verschätzt hätten, weil das Ding absolut wertlos wäre.«

»Und so was liest du?« Barbara zog die Flasche aus dem Netz an der Seite des Rucksacks und trank.

»Aber sicher«, meinte Bob. »Ich bin für Recherchen zuständig, und das heißt auch, immer die Augen offen zu halten. Wenn ich von einem Verbrechen in Rocky Beach erfahre, werde ich selbstverständlich hellhörig.«

»Gut«, sagte Barbara und ging weiter; die drei ??? folgten ihr.

»Erzähl uns mehr«, bat Justus. »Wann wurde eingebrochen? Hat man sonst noch etwas gestohlen?«

»Nichts! Das ist ja das Seltsame. Versteht ihr, das Pergamentbuch war tatsächlich nicht viel wert. Die Diebe hätten viel kostbarere Sachen erbeuten können. Aber sie haben nur das Buch mitgenommen. Vor drei Tagen übrigens, um deine erste Frage zu beantworten.« Sie wies nach vorn. »Wir sind bald da, dann kann euch mein Vater alles selbst erzählen. Wisst ihr, bei dem ganzen Gerede darüber, dass das Buch wenig wert war, dürfen wir nicht vergessen, dass es ihm sehr viel bedeutete! Er liebte es, und der Diebstahl hat ihn hart getroffen.«

»Vielleicht ging es gar nicht um das Buch«, sagte Justus nachdenklich, »sondern um das, was darin stand.«

Barbara zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Ich weiß nur, dass mein Vater ganz vernarrt in das Ding war. Nun ja, er ist sowieso ziemlich … ach was, ihr werdet es schon sehen.«

»Er ist Wissenschaftler, stimmt’s?«, fragte Bob. »Ich glaube, mich daran zu erinnern, dass das in dem Artikel erwähnt wurde.«

»Professor für Geschichte mit dem Spezialgebiet Europäisches Mittelalter«, leierte Barbara herunter. »Klingt ganz schön schlau. Ist es auch. Aber auch langweilig.«

»Europäisches Mittelalter«, sinnierte Justus. »Das erklärt natürlich, warum er an Pergamentbüchern interessiert ist. Sie waren vor allem in Europa verbreitet.«

Barbara nickte. »Aber wie gesagt, das Buch, das ihm gestohlen wurde, war nicht echt. Also nicht jahrhundertealt. Sonst hätte er es sich kaum in den Schrank gestellt. Aber er sagte immer, es fühle sich an, als wäre es tatsächlich aus dem 16. Jahrhundert.«

»Wäre es dann nicht schon vor Ewigkeiten zerfallen?«, fragte Peter.

»Täusch dich nicht, Zweiter!«, widersprach Justus. »Die alten Pergamente sind erstaunlich lange haltbar. Viel länger als unser heutiges Papier.«

Peter winkte ab. »Schon gut. Ich bin wohl der Einzige, der darüber gar nichts weiß.«

Barbara grinste wieder, diesmal breiter, was eine kleine Sommersprosse auf ihrer schiefen Nase hüpfen ließ. »Mach dir nichts draus. Ich zum Beispiel hab mehr darüber gehört, als mir lieb ist.« Sie verdrehte die Augen. »Zu viele Vorträge hab ich über mich ergehen lassen müssen. Beim Abendessen, manchmal schon beim Frühstück. Aber ich hab dann die Ohren auf Durchzug gestellt und das meiste gleich wieder vergessen. Egal, wir sind da. Dort vorn steht unser Haus.«

Sie zeigte auf ein riesiges Grundstück, das von einer hüfthohen Mauer aus alten Steinen umgeben war. Hinter einem Rasen von der Größe eines Fußballfelds thronte eine herrschaftliche Villa zwischen knorrigen Bäumen, die ihre Kronen weit ausbreiteten. Auf einem glänzte eine Unzahl knallroter Kirschen.

Schon der Anblick ließ Justus das Wasser im Mund zusammenlaufen. So, wie die Villa aussah, wunderte es ihn noch mehr, dass bei einem Einbruch in dieses Haus nichts weiter gestohlen worden war. Ob man alles andere zu gut gesichert hatte?

Barbara drückte ein Gartentürchen in der Mauer auf. »Kommt mit! Ich bin sicher, mein Vater wird euch alles über den Diebstahl erzählen.«

Gestatten, Alan Jones

Professor Mathewson erwies sich als freundlicher Mann Mitte vierzig, der sie als Erstes ins Wohnzimmer zu einem runden Holztisch führte, wo sich alle hinsetzten.